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Die Schaffnerin; Die Mächtigen: Novellen

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Die Schaffnerin, die voll Furcht, mit weitgeöffneten Augen, den Amtmann angestarrt hatte, erhob sich fast mechanisch und drückte einen hauchenden Kuß auf Truchs Kinn.

»Fester!« gebot der Amtmann.

Sie gehorchte.

Es klopfte an der Thür und auf den Ruf des Amtmanns trat Tarnow ein.

»Ah, guten Tag, lieber Tarnow,« sagte Truchs freundlich; er hatte den Wirtschaftsschreiber erst vor wenigen Minuten im Bureau verlassen.

»Die Libuhn geht nach der Stadt, Herr Amtmann, und fragt, ob sie von Ihnen aus etwas besorgen soll.«

»Für mich, Herr Tarnow!« rief die Schaffnerin mit auffallendem Eifer. »Ich brauche Nähgarn und Stopfwolle.«

»Nähgarn und Stopfwolle,« murmelte Tarnow, indem er aus seinem Notizbuch ein Blatt riß. »Sonst etwas?« Tarnow öffnete die Thür, der Amtmann drehte sich um und sagte, er solle nachher wieder herein kommen und mit Kaffee trinken.

Fanny deckte den Tisch und holte die Tassen. Der Amtmann stand am Fenster und trommelte den Wirbel der Tamboure an die Scheiben. Er wandte den Kopf, um etwas zu sagen, sah aber niemand im Zimmer. Er durchschritt den Raum, um in die Küche zu gehen. Man mußte da durch den ganzen steingepflasterten Flur, bis dahin, wo er sich gegen den Hof zu erweiterte. Dort war die Küche, die sehr groß war und, weil sie eine weite Esse hatte, einer Schmiede glich. Der Amtmann blieb am Ende des schmalen Ganges stehn. Er konnte von hier aus ein kleines Stück der Küche überblicken. Die Schaffnerin saß auf dem zugedeckten Backtrog und blickte beharrlich auf ihre Schürze. Vor ihr stand Tarnow, hielt den Kopf tief gesenkt und seine Hände lagen auf dem Rücken. Der Amtmann strich mit festaneinandergedrückten Fingern ein paarmal über die Schläfenhaare und kehrte wieder um. Als ihm die Libuhn, fein herausgeputzt, begegnete, trat er zur Seite, verbeugte sich ein paarmal und näselte affektiert: »Ah, mein Fräulein, in die Stadt, wa? Verabredung mit dem Schatz, wa? Messe besuchen, hä? Haben Fräulein denn die Erlaubnis dazu?«

Das Mädchen heftete den Blick erschrocken auf Truchs. »Der Herr Tarnow –« stammelte sie scheu.

»Bataillon kehrt marsch!« fuhr der Amtmann auf. »Dageblieben! Den Schlendrian hab ich satt.« Er lachte bitter und ließ die heulende Magd stehen. Sie dachte an Stauff, der sie nun umsonst vor dem Cirkus erwartete. Und draußen flutete der glänzende Sonnenschein! Am Meß-Montag ist sonst immer Feiertag gewesen, dachte sie bekümmert, als sie sich in eine dunkle Ecke der Scheune verkrochen hatte, um dort nach Herzenslust weiter zu schluchzen.

Die drei im Wohnzimmer nahmen am Kaffeetisch Platz. Nach einem langen und seltsamen Schweigen, das nur durch Tassengeklapper unterbrochen wurde, wandte sich der Amtmann an Tarnow. »Nun sagen Sie mal, mein lieber Tarnow,« begann er mit freundlichem Augenzwinkern und richtete den Zeigefinger wie einen Pfeil gegen seine Nasenspitze, »Sie sind doch so ein hübscher Mensch und jung sind Sie auch, kaum dreißig, und ein angenehmes, sanftes Wesen haben Sie, – gewiß, gewiß –! nun sagen Sie, waren Sie denn noch nicht verliebt?«

Tarnow errötete und schüttelte lächelnd den Kopf.

»Nein, sagt er! Haben Sie’s gehört, Fanny? Nein, sagt er!« rief der Amtmann, ganz außer Rand und Band vor Freude und stieß die Schaffnerin in die Seite. »Er lügt, er muß lügen,« fuhr er heftig gestikulierend fort. »Er ist ein Heuchler, ein Windhund. Ein Schuft ist er, weil er lügt.«

Tarnow sah den Amtmann fest und erwartungsvoll an. Er hatte ein Gefühl wie vor einer ungreifbaren Gestalt, die sich windet wie ein Rauch und in Nichts verfließt, wenn man die Arme nach ihr streckt.

»Wollen Sie nicht noch eine Semmelschnitte, Herr Tarnow?« fragte Truchs zuvorkommend. »Oder mit ein wenig Mus darauf? Nicht? Zum Teufel, Herr, fressen Sie! Glauben Sie, wenn Sie jeden Tag dürrer werden, nützt mir Ihre Arbeit was?«

»Ich habe keinen Hunger mehr, Herr Amtmann,« entgegnete Tarnow mit vollkommener Ruhe.

»Hunger mehr, was heißt das? Wenn ich sage, fressen Sie, dann fressen Sie! Verstanden? Stehen Sie auf, wenn ich mit Ihnen rede.«

Tarnow stand auf.

»Schließen Sie das Fenster,« befahl Truchs.

Tarnow schloß das Fenster.

»Öffnen Sie es wieder!« befahl er und stieß die Schaffnerin von neuem in die Seite.

Tarnow öffnete es wieder. Er that es still und wie selbstverständlich. Nichts von Erbitterung war auf seinen Mienen zu lesen, nichts von zurückgehaltenem Zorn. Geduldig wartete er, was der Amtmann noch mit ihm beginnen würde.

»Jetzt können Sie gehen,« sagte Truchs und stützte den Kopf in die Hand, während Tarnow mit einer linkischen Verbeugung, die der Schaffnerin galt, hinaus ging. Er nahm seinen Hut und verließ alsbald den Hof, um die Richtung nach der Stadt einzuschlagen. Soldaten mit frischgewaschenen Drillichröcken blickten von den Stockwerken der Kaserne auf ihn herab, und als er die Fahrstraße erreicht hatte, geriet er in ein Gewimmel von Menschen, das immer größer wurde, je mehr er sich der inneren Stadt näherte. Den Main hinab fuhren Boote, beglänzt von der sich rötenden Sonnenscheibe; die vergoldete Domuhr brannte förmlich im Feuer. Flatternde Fahnen über den Wirtschaftsgärten, quietschende Tanzmusik aus winkeligen Gassen, und dann das sinnlose Gedränge auf den Budenstätten! Tarnow vermied die dichtesten Massen und besah nur, was er eben besehen konnte, ohne viel Neugierde zu zeigen, aber auch ohne Gleichgültigkeit, alles mit dem inneren Frieden und der merkwürdigen Sanftheit, die ihm eigen waren. Vor dem Brettertisch des schreienden Ausrufers, der seine Waren unter staunenswürdigen Witzen und Wortspielen anpries, konnte er lachen wie das harmlose Kind neben ihm. Bei den Mordthaten, die, serienweise abgebildet, am Quai aufgestellt waren und mit Hilfe von sehr weinerlichen Reimen kommentiert wurden, blieb er ebenso schaudernd stehen wie der simple Rekrut aus Unterdürrbach. Besonders eines dieser Ungeheuer erregte sein Entsetzen. Auf der Tafel seiner Schandthaten war zu lesen: Martin Jung, genannt Blutmartin. Ein Teufel in Menschengestalt! Erschlug seine Opfer, siebzehn an der Zahl, mit einer spitzen Hacke und hängte sie dann mit einem Strick auf.

Die Sonne war untergegangen. Allmählich hatte sich die Menge verlaufen. Die Bretterhütten, alle Häuser und Gärten schwammen in einem warmen Dämmerungsdunst, als Tarnow sich anschickte, den Heimweg anzutreten. Er hatte nichts getrunken während der ganzen Zeit, weder Wein noch Bier, denn er war ein sehr enthaltsamer Mensch. Als die Buden schon hinter ihm lagen und er auf dem ansteigenden Weg zur neuen Mainbrücke war, sah er aus einer seitlich gelegenen Gasse Fanny Leuthold kommen.

Sie ging ohne weiteres auf ihn zu. »Truchs ist im goldenen Hahn,« sagte sie, »und ich wollte heim. Sie gehen doch mit, Tarnow?«

Als sie über die Wiesen gingen, auf denen weit und breit kein Mensch zu sehen war, fing die Schaffnerin an, schwärmerische Reden über die Schönheit der Natur zu führen. Sie sagte, sie liebe die Natur und die Natur sei das »einzige«. Tarnow solle doch nur diese Wolken dort hinten ansehen. Das sei so poetisch. »Finden Sie nicht auch, Tarnow?«

Tarnow bejahte etwas verständnislos.

Ob er sich das Wachsfigurenkabinett angesehen habe? Sie finde es so interessant. Sie liebe überhaupt die grausigen Sachen; sie träume dann immer davon. Oft müsse sie dann weinen, aber wenn sie dann erwache, das sei wunderbar. Man recke dann die Glieder – so! – und das Deckbett sei einem zu schwer, ja selbst das Hemd. Ob er das nicht auch habe?

»Nein,« erwiderte Tarnow leise, mit klopfendem Herzen.

Als sie auf dem Gutshof angelangt waren, ging die Schaffnerin ins Haus, um den Hut abzulegen. Tarnow betrat den Garten, schlenderte träumerisch zwischen den Beeten umher und setzte sich schließlich in die Laube. Es war schon dunkel geworden. Der blühende Hollunder strömte seinen schwülen Duft aus, und auf den Bäumen der Nähe pfiff ein verspäteter Wasservogel. Sonst war es ruhig. Der Himmel war vollkommen wolkenlos. Die traumhaft klare Helle des Westens machte deutliche Silhouetten aus den Hügelreihen und kein Lüftchen bewegte die Gesträucher. Tarnow fühlte sich ermüdet, aber darin war etwas Angenehmes. Er fühlte es auch gleichsam wie eine freundliche Berührung, als der Mond heraufstieg, das gutmütig grinsende Gesicht eines alten Schlaukopfs, und wie er höher glitt, als würde er an einer Schnur gezogen, und wie er immer leuchtender dastand, als würde er von einer unsichtbaren Hand allmählich blank poliert.

Tarnow schreckte zusammen, als er Schritte im Garten vernahm. Es war die Schaffnerin. Sie setzte sich ihm gegenüber und schwieg einige Zeit. Dann seufzte sie schwer und sagte: »Ach, Tarnow!«

Tarnow antwortete nichts. Befangen hob er den Kopf, senkte ihn aber gleich wieder. Da erhob sich die Schaffnerin mit einer leidenschaftlichen Bewegung, die er im Dunkel nur undeutlich sah; sie umging den Tisch, setzte sich an Tarnows Seite, ergriff mit beiden Händen seine Hand, und es schien ihm, als ob sie damit kämpfe, ihr Schluchzen zu verbergen. Fast unbewußt streichelte Tarnow ihre Hand.

»Ach, wenn Sie wüßten,« begann die Schaffnerin wieder. »Ich bin ja die unglücklichste von allen. Er quält mich beständig, der Amtmann, jeden Tag, jeden Tag! und wenn es so weitergeht, ich kann es nicht mehr aushalten. Dann muß ich eine schlechte Person werden. Dann muß ich thun was er verlangt von mir, nur damit ich eine Ruh hab’. Retten Sie mich, Tarnow. Thun Sie wenigstens eins. Gehn Sie abends nach dem Essen nie aus dem Zimmer, bevor ich nicht weggegangen bin. Damit er mir nur da meinen Frieden läßt. Bleiben Sie immer, bis ich ins Bett bin. Wollen Sie’s thun, Tarnow, von heut an?«

»Ich will es thun,« sagte Tarnow feierlich, und die Schaffnerin sah seine Augen leuchten.

»Und denken Sie nie was Schlimmes, Tarnow, denken Sie nicht schlecht von mir. Alles ist zum besten, was geschieht. Wollen Sie’s thun, Tarnow?«

 

»Ja, ich will,« wiederholte Tarnow fest und atmete tief auf.

»Und jetzt gehen wir hinein, sonst kommt er unversehens.«

Tarnow beugte sich rasch herab und küßte die Finger der jungen Frau. Aber gleich darauf erschien ihm diese Kühnheit so unverzeihlich, daß er angstvoll in das Gesicht der Schaffnerin starrte. Aber sie, die inzwischen herausgetreten war in den überaus hellen Mondschein, lächelte nur und brach eine Rosenknospe. Dann gingen sie ins Haus.

Nach einer halben Stunde kam der Amtmann. Er sagte, er hätte schon gegessen. Er schien viel getrunken zu haben, denn er war in einer gerührten Stimmung. »Alle Menschen sind Trottel,« sagte er mit einer schwammigen Stimme. »Aber einige Menschen sind nette Trottel. Sie, Tarnow, Sie sind ein netter Trottel.«

Die Schaffnerin lachte hellauf. Truchs kicherte förmlich atemlos in sich hinein. Als es zehn Uhr schlug, sagte die Schaffnerin gute Nacht. Der Amtmann rief ihr nach: »Schließen Sie fein Ihr Zimmer zu, Leutholdin!« und lachte cynisch. Tarnow erhob sich wie gequält, trat ans Fenster, verließ aber nach kurzer Zeit ebenfalls die Stube. Der Amtmann schüttelte ihm die Hand mit einer Herzlichkeit, die beängstigend war bei ihm.

Tarnow wandelte wieder in den Garten hinaus, – durch den Hof, wo eine wahrhaft köstliche Ruhe ausgebreitet war. Er brach eine Rose von demselben Strauch, von dem die Schaffnerin genommen. Es war auch eine Knospe, zart und duftig und Tarnow drückte sie voll Bedacht an seine Lippen. Dann setzte er sich in die Laube; aber er hatte nicht Ruhe, sondern ging bald wieder ins Haus zurück. Gerade wie er in den Flur trat, sah er den Amtmann aus seinem Schlafzimmer kommen. Er hatte Pantoffeln an den Füßen, die seinen Schritt unhörbar machten. Er trällerte leise vor sich hin, und ohne Tarnow gewahrt zu haben, tappte er den engen Flur entlang, bis er zu der Thüre kam, die in das Zimmer der Schaffnerin führte. Ohne zu atmen, harrte Tarnow, was er nun beginnen würde. Aber der Amtmann besann sich kaum, drückte auf die Klinke und betrat das Zimmer. Totenbleich geworden, wartete Tarnow immer noch. Er glaubte, Lärm hören zu müssen. Ja, er hoffte auf Geschrei, auf erregten Wortwechsel, – aber alles blieb still wie vorher.

Nachdem er lange genug gelauscht hatte, drehte sich Tarnow um und trat unter die Hausthür. Sein Blick war wie verhängt. Mechanisch ging er hinaus, um zu sehen, ob das Außenthor geschlossen sei. Von der Richtung der Kaserne hallte ein langgezogener Ruf durch die Nacht. Es klang ähnlich wie: Fedolar! Fedolar! Sonst war kein Laut zu hören.

IV

Tarnow hatte dem Jäger Klein Auftrag wegen der Abholzung im Zeller Revier gegeben und stand dann, wie unfähig, weiter zu gehen, am Brunnen, lehnte sich an den Trog und starrte vor sich hin. Da trat die Schaffnerin aus dem Hause und ging auf ihn zu. Sie tippte mit den Fingern kokett auf seinen Arm und fragte: »So finster, Tarnow? Was haben Sie? Was ist Ihnen?«

»Sie wissen es wohl, Schaffnerin,« entgegnete Tarnow traurig. »Was haben Sie mir da alles erzählt!«

»Was? Was denn? Reden Sie doch!«

»Nun, gestern abend –«

»Was? Ja, was denn, gestern abend –?«

»Ich hab es ja gesehen, Schaffnerin. Der Amtmann –«

Die Schaffnerin wurde purpurrot. Ihre Nasenflügel zitterten. »Reden Sie nicht weiter,« flüsterte sie erregt. Sie sah ihn starr an, mit einem Blick, der ihm etwas Unerbittliches zu enthalten schien. »Sehen Sie, Tarnow, wenn ich nicht so wäre, wie ich bin, wär ich längst über alle Berge oder wär ich tot. Das müssen Sie mir glauben. Ich weiß, er war bei mir gestern, Tarnow, aber Sie hätten mich sehen sollen, Tarnow. Wie ein Kind hab ich geheult und hab ihm gesagt, was das ist für meine Ehre, wenn er so kommt. Aber dann hat er gelacht und hat gesagt, er kann im Haus herumgehen, wo er will. Sonst war nichts, bei meiner Ehr und Seligkeit, hier haben Sie die Hand drauf.«

Tarnow, gänzlich erschüttert von ihrem Bekenntnis und ihrer bebenden Art zu sprechen, legte unbedenklich seine Hand in die ihre. »Ich glaube Ihnen, Schaffnerin,« sagte er einfach.

Indem sie so bei einander standen, hielt ein eleganter Kutschierwagen vor dem Hofthor. Die am Bau der Waschküche beschäftigten Maurer hielten in ihrer Arbeit inne und sahen neugierig hinüber. Der Adjutant des Generalleutnants kam zur Besichtigung des kleinen Neubaus. Tarnow führte ihn ehrerbietig herein und erstattete Bericht, bis der Amtmann selbst kam. Als Truchs erschien, stand er mit der Schaffnerin in respektvoller Entfernung, doch vernahm er deutlich, wie der Adjutant dem Amtmann erzählte, die Verwalterstelle auf Gut Strelentin, das ebenfalls dem Herrn von Bruneck gehörte, sei frei geworden. Ein Gedanke, dessen Kühnheit ihn schwindeln machte, durchzuckte Tarnow. Aber es war, als ob er seinen Bedenken und seiner Zaghaftigkeit diesmal die Zeit rauben wollte; rasch trat er einige Schritte vor und sagte: »Verzeihung, Herr Adjutant; ich möchte wohl gerne Administrator auf Strelentin werden. Ich würde gewiß mich sehr befleißigen, Exzellenz zufrieden zu stellen. Ich bitte den Herrn Adjutanten sehr, sich dafür zu verwenden.«

Der Adjutant runzelte die Brauen und musterte den Bittsteller vom Kopf bis zu den Füßen. Der Amtmann verzog keine Miene. Tarnow verwunderte sich im stillen, daß er die Worte so verständlich hatte fügen können, und achtete dabei kaum auf die Antwort, an die er sich erst erinnerte, als der Adjutant sich wieder zu seinem Wagen gewandt hatte. »Wir werden ja sehen,« hatte er gesagt und hatte Truchs fragend angeblickt, der in unbestimmter Weise die Achseln gezuckt hatte.

Der Amtmann, die Schaffnerin und Tarnow standen dann auf der Straße und sahen dem zierlichen Gefährt nach. »Na, Tarnow,« wandte sich da die Schaffnerin scherzend an ihn, »Sie wollen wohl heiraten, weil Sie so große Pläne haben?«

»O, das kann wohl sein,« antwortete Tarnow ebenso scherzend.

»Und haben Sie denn schon eine Braut?« fragte die Schaffnerin lächelnd weiter.

»Sie sind ja noch zu haben, Schaffnerin,« erwiderte Tarnow lebhaft, dem über dieser neuen Kühnheit das Herz stürmisch zu klopfen begann.

Bei alledem blieb der Amtmann still und teilnahmlos.

Zu seiner großen Verwunderung erhielt Tarnow eine Stunde später ein Billet vom Amtmann. Er wußte noch nicht, daß es eine Liebhaberei von Truchs war, solche kleine Nachrichten nicht mündlich abzumachen, sondern zu schreiben. »Es ist nunmehr ausgemacht,« schrieb der Amtmann in einem wohlgefällig verschnörkelten Stil, »daß Sie ein Liebesverständnis mit der Leuthold haben. Daher verlange ich und habe das Recht zu verlangen eine bestimmte Erklärung, ob Sie die Leuthold heiraten wollen oder nicht. Im ersten Fall will ich, Truchs, mich für Sie und die Leuthold bei der Exzellenz verwenden. Im entgegengesetzten Fall müssen Sie entweder oder es muß die Schaffnerin das Gut verlassen. Truchs.«

Tarnow wußte nicht, wie ihm geschah. Er lachte kindisch, glaubte zu träumen und besann sich, wo er sei. Endlich nahm er einen großen, weißen Bogen Papier und schrieb darauf mit der schönsten Schrift, deren seine Hand fähig war: »Geehrtester Herr Amtmann! Meine Gefühle zu der Leuthold sollen dem Herrn Amtmann kein Geheimnis sein. Ich wünsche sehr, die Schaffnerin zu heiraten und zwar noch in Bruneck. Und ist es mein heißester Wunsch, mit ihr nach Strelentin zu kommen.«

Dieses Schriftstück legte er auf den Platz, wo der Amtmann seine Arbeiten vorzunehmen pflegte, und wo er es sogleich sehen mußte, wenn er kam. Und Truchs kam, las es, und obwohl er jetzt in demselben Raum mit Tarnow war, schrieb er auf das Blatt Tarnows die Worte: »Gut, ich werde dem Generalleutnant Anzeige machen und ihm alles von der besten Seite vorstellen,« und reichte Tarnow stumm das Blatt zurück.

Darauf ging Tarnow hinaus, weil die Libuhn zum Mittagessen rief. Er fand die Schaffnerin allein beim Tisch. Und jetzt, wie er sie sah in einer blendend weißen Schürze, dem schöngeformten Hals, dem etwas geöffneten und feuchten Mund, jetzt glaubte er, sein unverdientes Glück fürchten zu müssen. Trotzdem ging er hin und ergriff Fanny Leutholds Hand. »Schaffnerin,« sagte er bewegt und seine treuen Augen glänzten trunken, »ich habe beim Amtmann um Ihre Hand angehalten.«

»Nun, und?« erwiderte sie, ohne überrascht zu sein.

»Er ist doch ein generöser Mann. Er will sich für uns beide verwenden, daß wir Strelentin bekommen.«

»So?« machte die Schaffnerin.

Jetzt erst bemerkte Tarnow, daß sie ungewöhnlich bleich war, und er fragte, was ihr fehle.

»Nennen Sie mich nicht Schaffnerin,« sagte sie mit müder Betonung. »Sagen Sie Fanny zu mir.«

Tarnow nickte und schwieg.

Der Amtmann trat ein und sein Gesicht zuckte kaum merklich zusammen, als er die beiden am Tisch sah. Doch als er sich setzte und begonnen hatte, die Suppe zu essen, wurde er plötzlich sehr aufgeräumt. »Also, ihr Brautleutchen«, sagte er lachend, »jetzt küßt euch einmal anständig.«

Tarnow gab es einen Ruck vom Kopf bis zu den Knien. Der Löffel entfiel seiner Hand.

»Na wird’s?« ermunterte der Amtmann freundlich und klopfte ungeduldig an sein Trinkglas.

Die Schaffnerin beugte sich hinüber zu Tarnow. Er sah ihr Gesicht unter sich mit halbgeschlossenen Augen und ihren Mund immer noch ein wenig geöffnet. Er seufzte auf, schloß seine Augen, ließ das Kinn gegen die Brust sinken und in demselben Augenblick fühlte er ihre Lippen auf den seinen, und er schauderte, als ob er nackten Leibes im Eis stünde.