»Dazu hab ich sie auch mitgenommen«, antwortete Saxon. »Und wenn wir auf der Landstraße sind, will ich singen, und auch beim Lagerfeuer wollen wir singen. Wir machen eine Fußwanderung – das ist alles. Wir haben uns Ferien genommen und wollen uns umsehen. Warum sollten wir es uns nicht gut sein lassen? Wir wissen ja nicht einmal, wo wir heute Nacht und im übrigen auch alle anderen Nächte schlafen sollen. Ist das nicht lustig?«
»Ja, es ist wirklich sehr komisch«, sagte Billy nachdenklich. »Aber ich möchte dir doch vorschlagen, dass wir durch die Nebenstraßen gehen. An der nächsten Ecke stehen ein paar Burschen, die ich kenne, und ich möchte ihnen nicht gern die Köpfe zerschlagen.«
*
1 Schal <<<
Die elektrische Straßenbahn ging ganz bis nach Haywards, aber auf Saxons Vorschlag stiegen sie in San Leandro aus.
»Es ist ganz gleich, wo wir unsere Wanderung beginnen«, sagte sie, »denn irgendwo müssen wir ja anfangen. Da wir uns nach Boden umsehen und etwas über Boden erfahren wollen, müssen wir es ja lieber tun, sobald wir können. Außerdem wollen wir über jede Art von Boden etwas erfahren, sowohl in der Nähe der großen Städte wie tief in den Bergen.«
»Na ja! Das hier muss das Hauptquartier der Portugiesen sein«, meinte Billy immer wieder, als sie durch San Leandro wanderten.
»Ja, es sieht so aus, als wäre hier für Leute unseres Schlages kein Platz«, meinte Saxon.
»Hier ist es überfüllt, finde ich«, knurrte Billy, »es sieht aus, als gäbe es für den freigeborenen Amerikaner keinen Platz mehr in seinem eigenen Lande.«
»Dann ist es deine eigene Schuld«, sagte Saxon mit einer Strenge, die sich jedoch an keinen Bestimmten richtete; sie ärgerte sich nur im Allgemeinen über die Lebensbedingungen, die sie unklar zu verstehen begann.
»Ach, das weiß ich nun gerade nicht. Ich rede mir ein, dass ein Amerikaner dasselbe tun könnte wie die Portugiesen – wenn er nur wollte. Aber er will nicht – Gott sei Dank! Er will nicht von Abfall leben wie ein Schwein.«
»Nein, auf dem Lande vielleicht nicht«, antwortete Saxon eifrig. »Aber in den Städten habe ich doch eine schreckliche Menge Amerikaner gesehen, die wie die Schweine lebten.«
Billy brummte etwas, musste ihr aber doch recht geben. Ich kann mir denken, dass sie von den Bauernhöfen in die Stadt gegangen sind, weil sie glaubten, dass es dort besser sei, und dass sie dort nur Ohrfeigen kriegen.
»Sieh die Kinder!« rief Saxon. »Die Schulen fangen an – und es sind fast alles Portugiesen!«
»Drüben, wo sie herkommen, haben sie nie so gute Kleider gehabt«, spottete Billy. »Sie sind herüber gekommen, um anständige Kleider und anständige Kost zu kriegen. Sie sind so rund wie kleine Butterkugeln.«
Saxon nickte bestätigend, und es war, als ginge ihr plötzlich ein Licht auf.
»Das ist es ja eben, Billy! Sie schlagen sich durch, und zwar glänzend, indem sie den Boden bebauen Für sie gibt es keinen Streik.«
»Du willst doch die dummen Gärten nicht Ackerbau nennen«, sagte er und wies auf ein kleines Stück Land, an dem sie gerade vorbei kamen.
»Ach, du redest dir immer ein, dass es so groß sein muss!« lachte sie. »Du bist wie Onkel Bill, der Tausende und aber Tausende von Morgen Land besaß, schließlich eine Million haben wollte und als Nachtwächter endete. Das ist es eben mit uns Amerikanern. Alles soll so groß sein. Alles, was weniger ist als hundertundsechzig Morgen, ist uns zu kleinlich.«
»Nun, immerhin« – Billy wollte sich nicht geschlagen geben –, »immerhin sind die großen Betriebe doch viel besser als all die lächerlichen kleinen Gärten hier.«
Saxon nickte.
»Ich weiß nicht, was lächerlicher ist, bemerkte sie schließlich: ein paar Morgen Boden und die Pferde, mit denen man fährt, zu besitzen oder gar keinen Boden zu besitzen und ein Gespann, das anderen gehört, zu fahren – für Geld.«
Billy krümmte sich ein wenig.
»Nur weiter, Robinson Crusoe!« brummte er gutmütig. »Spar ja dein Pulver nicht! Und das allerschlimmste ist, dass es stimmt. Ich bin verrückt und kein freier Amerikaner gewesen; ich habe die Pferde anderer Leute gefahren und gestreikt und Streikbrecher verprügelt – und nicht einmal die Ratenzahlung für das bisschen Möbel aufbringen können. Aber eines tut mir doch leid! Es kam mir verflucht schwer an, den großen Sessel zurückzugeben – du hast ihn so gern gehabt. Wir haben doch manche Stunde unserer Flitterwochen in dem Sessel verbracht.«
Sie hatten jetzt San Leandro hinter sich und kamen an einer ganzen Reihe winziger Bauernhöfe vorbei – Höfchen nannte Billy sie – und Saxon nahm ihre Ukulélé, um ihn mit einem Lied zu erheitern. Zuerst kam das Lied von dem alten Bauern, dann ging sie zu einem alten Kirchenlied über, wie die Neger sie bei den Gebetversammlungen singen.
»Ach, der jüngste Tag bricht an,
Er bricht an, ja er bricht an.
Und die Trompeten gellen dann,
Hört nur, wie sie gellen.«
Ein großes Automobil, das vorbeifuhr, wirbelte den Staub um sie auf und zwang Saxon, eine Pause zu machen. Sie benutzte die Zeit, um Billy ihren letzten Einfall zu erzählen.
»Weißt du, Billy, denk daran, dass wir nicht das erste beste Stück Boden nehmen, das wir sehen. Wir müssen die Augen aufmachen –«
»Na, viel können wir noch nicht sehen«, warf er ein.
»Und wir müssen vorsichtig sein. Wer sucht, findet, weißt du ja. Wir haben massenhaft Zeit, alles zu lernen. Es kann uns gleich sein, ob es mehrere Monate dauert. Wir haben keinen festen Boden unter den Füßen. Und man muss lieber einmal richtig anfangen als ein dutzendmal falsch. Wir müssen mit den Leuten reden, die wir treffen. Wir wollen sie ausfragen. Wir wollen alle Menschen fragen. Das ist die einzige Möglichkeit, etwas zu erfahren.«
»Im Ausfragen bin ich nun gerade nicht groß«, sagte Billy zögernd.
»Dann frage ich«, antwortete sie. »Wir werden es schon erreichen, aber wir müssen zuerst Bescheid wissen. Sieh all diese Portugiesen! Wo sind die Amerikaner? Ihnen gehörte das Land zuerst nach den Mexikanern. Warum gingen die Amerikaner fort? Wie machen die Portugiesen es, dass es geht? Wir müssen Tausende von Dingen fragen.«
Sie klimperte ein wenig auf der Ukulélé und sang dann mit ihrer schönen, klaren Stimme:
»Ich muss zurück nach Dixie,
Ich muss zurück nach Dixie,
Zurück dorthin, wo die Orangen blühn,
Ich hör die Kinder lallen,
Ich seh die Tränen fallen –
Mein Herz sehnt sich nach Dixie,
Dort muss ich hin.«
Dann unterbrach sie sich plötzlich: »Ach, wie schön es hier ist! Sieh doch den Baum – der ist ganz mit Weinranken überwuchert!«
Immer und immer wieder wurde ihre Aufmerksamkeit von den kleinen Gehöften gefesselt, an denen sie vorbeikamen. Jetzt hieß es: »Sieh die Blumen!« oder: »Nein, welch Gemüse!« oder: »Sieh, die haben eine Kuh!«
Männer – Amerikaner –, die in Einspännern und Landauern den Weg entlang fuhren, betrachteten Saxon und Billy neugierig. Saxon fand sich viel besser darein als Billy, der knurrende und gereizte Kehllaute ausstoßen konnte.
Am Wegrand trafen sie einen Telefonarbeiter, der sein Frühstück aß.
»Bleib stehen und sprich mit ihm«, flüsterte Saxon.
»Ach, wozu? Der ist nur Telefonarbeiter. Was weiß der von Landwirtschaft?«
»Das kann man nicht wissen. Er ist einer von unseren Leuten. Los, Billy, rede mit ihm. Er arbeitet doch jedenfalls augenblicklich nicht, und da ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass er Lust hat zu reden. Sieh den Baum dort hinter dem Tor, und die Art, wie die Zweige zusammengewachsen sind. Das ist eine Kuriosität. Frag ihn danach. Das ist eine gute Art, ein Gespräch einzuleiten.«
Billy blieb bei dem Mann stehen.
»Guten Tag«, sagte er barsch.
Der Telefonarbeiter, ein ganz junger Mann, hielt in seiner Beschäftigung, ein hart gekochtes Ei einzuschlagen, inne, um die beiden anzusehen.
»Guten Tag!« sagte er.
Billy nahm sein Bündel ab und legte es auf die Erde, und Saxon legte ebenfalls ihren Rucksack neben sich.
»Hausierer?« fragte der junge Mann, der zu zurückhaltend war, um eine direkte Frage an Saxon zu richten, sie aber mit einem Seitenblick auf den Rucksack für beide gelten ließ.
»Nein«, sagte sie eifrig. »Wir sehen uns nach Boden um. Wissen Sie, ob es hier in der Nähe etwas gibt?«
Er ließ wieder von seinem Ei ab und sah sie neugierig an, wie um sich über ihre finanzielle Leistungsfähigkeit klar zu werden.
»Wissen Sie, was der Boden hier in der Gegend kostet?« fragte er.
»Nein«, antwortete Saxon. »Sie?«
»Ja, das sollte ich meinen. Ich bin hier geboren. Und Boden wie der, den Sie um sich her sehen, kostet zwei- bis vierhundert Dollar den Morgen.«
Billy stieß einen Pfiff aus. »Ja, dann glaube ich nicht, dass wir etwas davon kriegen werden!«
»Aber warum ist er denn so teuer? – Sind es Bauplätze?« fragte Saxon.
»Nein, die Portugiesen schrauben die Preise so hoch.«
»Ich glaubte, dass man für hundert den Morgen sehr guten Boden bekäme«, sagte Billy.
»Ach, das ist vorbei. Es gab auch Zeiten, da man den Boden und den ganzen Viehbestand geschenkt bekam, wenn man sehr brav war.«
»Aber wie steht es hier in der Nähe mit staatlichem Boden?« lautete Billys nächste Frage.
»Hier gibt es gar keinen und hat nie welchen gegeben. Das hier ist alter mexikanischer Besitz. Mein Großvater kaufte sich hundert Morgen vom besten Boden hier in der Nähe für eintausendfünfhundert Dollar – fünfhundert auf den Tisch und den Rest im Laufe von fünf Jahren – zinsfrei. Aber das war die gute alte Zeit. Er kam 48 nach dem Westen, weil er ein Land finden wollte, wo es weder Erkältung noch Fieber gab.«
»Und das fand er denn auch«, sagte Billy.
»Ja, darauf können Sie schwören! Und wenn er und mein Vater auf dem Boden sitzen geblieben wären, so würde das besser gewesen sein als eine Goldmine, und ich wäre nicht gezwungen, für mein tägliches Brot zu arbeiten. Was ist Ihr Beruf?«
»Kutscher.«
»Den Streik in Oakland mitgemacht?«
»Eben! Ich bin dort fast mein ganzes Leben lang Kutscher gewesen.«
Die beiden Männer vertieften sich in eine Unterhaltung über die Wirtschaftsfragen und die Aussichten des Streiks, aber Saxon wollte sich nicht ausschalten lassen und brachte das Gespräch wieder auf die Bodenpreise.
»Woher kommt es, dass die Portugiesen die Preise so hoch geschraubt haben?« fragte sie.
Der junge Mann riss sich mit einiger Mühe von der Diskussion über die Gewerkschaften los und sah sie einen Augenblick mit einem schlaffen Blick an, bis die Frage in sein Bewusstsein gedrungen war.
»Weil sie so mächtig mit dem Boden gearbeitet haben. Weil sie morgens, mittags und abends geschuftet haben – Männer, Frauen und Kinder. Weil sie aus zwanzig Morgen mehr herauspressen können, als wir aus hundertsechzig. Sehen Sie den alten Silva – Antonio Silva. Ich kannte ihn schon, als ich ein kleiner Bengel war. Er hatte nichts zu essen, als er hierher kam und Boden von meiner Familie pachtete. Und sehen Sie ihn jetzt – er hat reichlich seine viertel Million in bar, und ich möchte wetten, dass er für eine ganze Million Kredit hat, und Gott weiß, was die übrige Familie besitzt!«
»Und das alles hat er an dem Boden verdient, der Ihrer Familie gehörte?« fragte Saxon.
Der junge Mann nickte, aber es war klar, dass er es nicht gern einräumte.
»Aber warum tat Ihre eigene Familie denn nicht dasselbe?« fuhr sie fort.
»Ja, das fragen Sie nur!« sagte er.
»Aber das Geld war doch da!« Saxon wollte den Kampf nicht aufgeben.
»Den Teufel war es da!« lautete die Antwort mit einem schwachen Anflug von Heftigkeit. »Wir haben nie etwas davon gesehen – nein, wahrhaftig nicht! Ich glaube eher, dass das Geld in den Köpfen der Portugiesen steckte. Die verstanden mehr von der Geschichte als wir.«
Saxons offensichtliche Unzufriedenheit mit seiner Erklärung spornte ihn an, sich anzustrengen. Er erhob sich.
»Kommen Sie, ich will es Ihnen zeigen«, sagte er erbittert. »Ich will Ihnen zeigen, warum ich mich für das liebe Brot abrackern muss, obwohl ich Millionär hätte sein können, wenn meine Vorfahren nicht Idioten gewesen wären. Das sind wir eben, wir alten Amerikaner – ein Haufen Idioten.«
Er führte sie durch die Pforte zu dem Obstbaum, der vom ersten Augenblick an Saxons Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Vom Stamme spalteten sich vier Äste ab, aber zwei Fuß darüber waren die Äste durch ein Band lebender Zweige verbunden.
»Sie glauben vielleicht, dass er so gewachsen ist! Nun ja, das ist er auch auf seine Art. Aber es war doch der alte Silva, der ihn machte – als der Baum noch ganz jung war, verflocht er zwei Schößlinge miteinander. Sehr schlau, nicht wahr? Ja, darauf könnt ihr Gift nehmen! Der Baum wird nie umgeweht. Es ist ein natürliches Dach, das prachtvoll federt und besser ist als alle eisernen Klammern. Sehen Sie die Reihen entlang. Jeder Baum ist so gemacht. Verstehen Sie? Und das ist nur eine von den Schlauheiten der Portugiesen. Die wissen viel dergleichen.
Sie können es sich ja denken. Die Bäume brauchen keine Stütze, wenn sie auch noch so gut tragen. Wenn unsere Bäume so gut trugen, so brauchten wir für jeden fünf Stützen. Sagen wir, dass wir ein paar Morgen Obstbäume hätten! Das macht mehrere tausend Stützen, und die kosten Geld und die Arbeit dazu, sie einzurammen und jedes Jahr wieder auszureißen. Das hier kommt von selber und ist jederzeit da. Ja, die Portugiesen sind viel klüger als wir – das sind sie. Kommen Sie, ich will Ihnen etwas anderes zeigen!«
Billy, dem die Angst des Städters vor verbotenen Wegen in den Gliedern steckte, war etwas nervös über die Ungeniertheit, mit der sie durch die kleine Wirtschaft gingen.
»Ach, das macht nichts, solange wir nichts zertreten«, beruhigte der Telefonarbeiter sie. »Außerdem hat das alles einmal meinem Großvater gehört. Die Leute kennen mich. Vor vierzig Jahren kam der alte Silva von den Azoren herüber. Er hütete ein paar Jahre lang in den Bergen Schafe, und dann kam er nach San Leandro. Die fünf Morgen waren die ersten, die er pachtete. Und das war nur der Anfang. Dann pachtete er Höfe von hundert Morgen und hundertsechzig Morgen. Und seine Schwestern und Onkel und Tanten strömten von den Azoren hierher – drüben sind sie alle miteinander verwandt, wissen Sie – und bald war ganz San Leandro eine portugiesische Kolonie.
Und der alte Silva kaufte zuerst die fünf Morgen von meinem Großvater. Aber bald – und zu dem Zeitpunkt war mein Vater so verschuldet, dass er nicht aus und ein wusste – bald kaufte er meinem Vater den Boden in großen Stücken zu hundertundsechzig Morgen ab. Und seine Verwandten taten alle dasselbe. Mein Vater redete immer davon, reich zu werden – aber es sollte immer schnell gehen, und er starb als verschuldeter Mann. Doch der alte Silva übersah nicht das Geringste, nein, und wenn es noch so klein und unansehnlich gewesen wäre. Und so sind all die anderen auch. Sehen Sie da draußen vor dem Hause bis zu den Wagengleisen – das sind lauter Pferdebohnen. Wir hätten nie an solche lächerlichen Kleinigkeiten gedacht. Aber Silva dachte daran! Und jetzt hat er ein Haus in San Leandro und fährt in einem Tourenauto für viertausend Dollar herum. Und doch wachsen Zwiebeln in seinem Vordergarten bis auf die Straße hinaus. Er verdient allein daran dreihundert Dollar. Ich weiß, dass er letztes Jahr zehn Morgen kaufte – sie verlangten tausend Dollar den Morgen, aber er blinzelte nicht einmal! Er wusste, dass er das wieder hereinbekommen würde und mehr dazu. Und in den Bergen hat er ein Gut von fünfhundertundachtzig Morgen, die er für ein Butterbrot kaufte, und ich sage Ihnen, für das Geld, das er dort verdient, könnte ich jeden Tag in der Woche in einem neuen Auto herumreisen. Er züchtet dort Pferde jeder Art, von schweren Brauerpferden bis zu den feinsten Luxustieren.«
»Ja, aber – wie – hat er denn das alles bekommen?« fragte Saxon.
»Indem er vernünftigen Ackerbau getrieben hat. Ich sage – die ganze verfluchte Familie arbeitet. Sie schämen sich nicht, die Ärmel aufzukrempeln und zu graben – Söhne und Töchter und Schwiegersöhne, der Alte und die Frau und alle Kinder. Sie haben ein altes Sprichwort, dass ein vierjähriger Bengel nichts taugt, der einer Kuh kein Futter auf der Landstraße verschaffen und sie in gutem Stande halten kann. Sehen Sie die Silvas, den ganzen Stamm der Silvas – sie bebauen hundert Morgen mit Erbsen, achtzig mit Tomaten, dreißig mit Spargel, zehn mit Rhabarber, vierzig mit Kürbis – ach, und massenhaft andere Sachen.«
»Ja, aber wie machen sie das denn nur?« forschte Saxon weiter. »Wir haben uns auch nie geschämt, etwas zu tun. Wir haben all unsere Tage schwer gearbeitet. Ich kann besser arbeiten als eine Portugiesin – das habe ich in der Jutefabrik gesehen. Dort saßen eine Menge portugiesischer Mädchen an den Webstühlen um mich her, und ich konnte sie in Grund und Boden weben – und das tat ich auch. Auf die Arbeit kommt es nicht an. Aber worauf denn?«
Der Telefonarbeiter sah sie an, als wüsste er nicht recht, was er sagen sollte.
»Ja, ich habe mir oft dieselbe Frage gestellt. Wir sind besser als diese lumpigen Auswanderer, sage ich mir. Wir waren zuerst da, und uns gehörte die Erde. Ich kann jeden Portugiesen, den die Azoren je ausgebrütet haben, verprügeln. Ich habe eine bessere Erziehung genossen. Aber wie geht es dann zu, zum Donnerwetter, dass sie uns übertrumpfen, uns den Boden wegnehmen und sich Bankkontos einrichten? Die einzige Antwort, die ich weiß, ist, dass wir nicht ihr Sabe1 haben. Wir gebrauchen unsere Köpfe nicht ordentlich. Das ist es. Nun, und jedenfalls waren wir nicht so gerissen in Bezug auf Ackerbau. Wir spielten nur mit der Erde. Soll ich es Ihnen zeigen? Deshalb habe ich Sie mit herein genommen – damit Sie sehen, wie der alte Silva und sein Stamm Ackerbau treiben. Sehen Sie sich das an! Hier wohnt ein Vetter von ihm, der gerade von den Azoren gekommen ist und hiermit anfangen soll. Er bezahlt dem alten Silva eine recht hübsche Abgabe, aber bald wird er soweit sein, dass er sich selber von irgendeinem ruinierten amerikanischen Farmer Boden kauft.
Und sehen Sie das dort – ja, Sie sollten es selbstverständlich im Sommer sehen, aber das ist nun einerlei! Nicht ein Zoll geht verloren. Wo wir eine magere Ernte haben, haben sie vier fette Ernten. Und sehen Sie, wie sie es ausnutzen – Johannisbeeren zwischen den Bäumen, eine Reihe grüner Bohnen zu beiden Seiten der Bäume und Bohnenreihen zu beiden Enden der Bäume. Der alte Silva würde die fünf Morgen hier nicht für fünfhundert den Morgen verkaufen, und wenn er das Geld bar auf den Tisch bekäme. Er bezahlte meinem Großvater fünfzig für den Morgen, mit langer Zahlungsfrist, und ich arbeite hier für die Telefongesellschaft und lege den Vettern des alten Silvas aus den Azoren die Telefone an, obwohl sie nicht einmal amerikanisch reden können.
Pferdebohnen am Wegrand – ja, als Silva auf die Idee kam, verdiente er mit Schweinemast mehr, als mein Großvater an seinem ganzen Betrieb verdient hatte. Mein Großvater rümpfte die Nase über Pferdebohnen. Er starb bis über beide Ohren verschuldet und mit Hypotheken bis zum Schornstein belastet. Tomaten in Packpapier pflanzen – haben Sie so etwas je gehört? Mein Vater fauchte, als er die Portugiesen das zum ersten Mal tun sah. Und er fauchte weiter. Aber deshalb erzielten sie doch mächtige Ernten, und Vaters bisschen Tomaten wurden von schwarzen Käfern gefressen. Wir haben nicht die Sabe, das dazu gehört, oder die Geschicklichkeit, oder was es nun ist. Sehen Sie nur das Stück Erde – vier Ernten im Jahr, und jeder Zoll Boden macht doppelte Arbeit. Sehen Sie, hinter der Stadt liegt Boden, wo man auf einem einzigen Morgen mehr verdient, als wir in alten Tagen auf fünfzig verdienten. Die Portugiesen sind die geborenen Ackerbauer, das ist es, und wir verstehen nichts davon und haben es nie getan.«
Saxon sprach mit dem Telefonarbeiter und ging mit ihm herum, bis es eins war. Dann sah er auf die Uhr, verabschiedete sich und kehrte zu seiner Arbeit zurück, die darin bestand, bei einem der zuletzt angekommenen Auswanderer von den Azoren ein Telefon anzulegen.
Wenn sie durch ein Städtchen kamen, trug Saxon ihren Rucksack in der Hand; aber er hatte Riemen, durch die sie die Arme stecken konnte, sodass sie ihn, sobald sie auf die Landstraße kamen, auf dem Rücken trug. Wenn sie das tat, schob sich der Ukulélékasten unter ihren linken Arm.
Als sie etwas weiter gekommen waren, machten sie an einer Stelle halt, wo ein kleiner, schilfumkränzter Bach quer über die Landstraße floss. Billy wollte, dass sie sich mit kaltem Frühstück begnügen und das Butterbrot essen sollten, das die letzte Mahlzeit war, die Saxon im Hause in der Pine Street bereitet hatte. Aber sie blieb dabei, dass sie Feuer machen und Kaffee kochen wollten. Nicht, dass sie sich selbst etwas aus dem Kaffee gemacht hätte, aber sie war fest entschlossen, alles vom Beginn dieser abenteuerlichen Wanderung an so angenehm wie möglich für Billy zu machen. Und da sie ihn um jeden Preis zu einer Begeisterung entflammen wollte, die sich mit ihrer eigenen messen konnte, wollte sie nicht den Funken, der möglicherweise in ihm glomm, mit etwas so Trostlosem wie kaltem Essen allein auslöschen.
»Sieh, etwas, das wir uns gleich von Anfang an aus dem Kopfe schlagen müssen, ist, dass wir Eile hätten. Wir haben keine Eile, und uns ist es gleichgültig, ob Schule oder Feiertag ist. Wir wollen uns amüsieren, wir sind auf Abenteuer ausgegangen – wie man es in den Büchern liest! Gott, wie wünschte ich, dass der Junge, der mich in seinem Boot mitnahm, mich in diesem Augenblick sehen könnte! Oakland sei der rechte Startplatz, sagte er. Und – nun ja, wir sind gestartet, nicht wahr? Und hier machen wir nun halt und kochen Kaffee. Du musst Feuer machen, Billy, und ich hole Wasser und packe das Frühstück aus.«
»Weißt du«, sagte Billy, während sie darauf warteten, dass das Wasser kochte, »weißt du, woran mich das hier erinnert?«
Saxon wusste es sehr gut, aber sie schüttelte den Kopf. Sie wollte es ihn sagen hören.
»Selbstverständlich an den Sonntag, nachdem ich dich kennen gelernt hatte, als wir mit King und Prince vor dem Wagen nach dem Moraga-Tal fuhren. Da packtest du auch das Frühstück aus.«
»Nur mit dem Unterschied, dass es ein viel üppigeres Frühstück war«, fügte sie mit einem glücklichen Lächeln hinzu.
»Aber ich möchte im übrigen wissen, warum wir damals keinen Kaffee bekamen«, fuhr er fort.
»Das hätte vielleicht etwas zu sehr ausgesehen, als ob wir verheiratet gewesen wären«, lachte sie, »etwas, das Mary unpassend genannt hätte –«
»Oder roh«, warf Billy ein. »Sie gebrauchte das Wort immer.«
»Und nun kannst du sehen, was aus ihr geworden ist!«
»Ja, so geht es immer«, brummte Billy mürrisch. »Ich habe immer bemerkt, dass die Empfindlichsten und Zimperlichsten zuerst um die Ecke gehen. Sie sind wie gewisse Pferde, die am meisten vor den Dingen scheuen, die sie am wenigsten fürchten.«
Saxon schwieg, beschwert von dem Gefühl einer unbestimmbaren und fernen Traurigkeit, das sie immer überkam, wenn Berts Witwe erwähnt wurde.
»Ich weiß noch etwas anderes, das an dem Tage geschah, aber das errätst du selbstverständlich nie«, sagte Billy, in Erinnerungen an die Vergangenheit verloren. »Ich möchte wetten, dass du es nicht rätst!«
»Da bin ich aber neugierig«, sagte Saxon, aber ihre Augen zeigten deutlich, dass sie es erraten hatte.
Billys Augen antworteten ihr, und ganz unwillkürlich beugte er sich zu ihr herab, ergriff ihre Hand und drückte sie zärtlich gegen seine Wange.
»Sie ist so winzig klein, ach Gott ja!« sagte er zu der gefangenen Hand. Und dann sah er Saxon an, die vor Freude über seine Worte warm geworden war. »Wir fangen wohl wieder von vorne damit an, Liebesleute zu spielen, nicht wahr, Saxon?«
Sie aßen beide gut, und Billy trank drei ganze Tassen Kaffee.
»Weißt du – die Landluft macht tüchtigen Appetit«, murmelte er und nahm sich das fünfte Stück Butterbrot. »Ich könnte ein ganzes Pferd essen und es hinterher in Kaffee ertränken.«
Saxons Gedanken beschäftigten sich wieder mit dem, was der junge Telefonarbeiter gesagt hatte, und sie fasste alle Auskünfte, die sie erhalten hatte, zu einer Art Resümee zusammen.
»Herrgott!« rief sie. »Wie viel wir schon gelernt haben!«
»Ja, eines haben wir jedenfalls gelernt, nämlich, dass dies nicht der rechte Ort für uns ist, wenn der Boden tausend Dollar den Morgen kostet, und wir nur zwanzig Dollar in der Tasche haben.«
»Ja, hier wollen wir auch gar nicht bleiben«, warf sie schnell ein. »Aber deshalb sind es doch die Portugiesen, die dem Boden seinen Wert gegeben haben, ihm große Ernten abzwingen und ihre Kinder für das, was sie damit verdienen, in die Schule schicken … und Kinder haben, die, wie du selbst sagtest, so rund wie Butterkugeln sind.«
»Und ich ziehe den Hut vor ihnen«, antwortete Billy. »Aber deshalb möchte ich doch lieber vierzig Morgen zu hundert Dollar als vier Morgen zu tausend Dollar den Morgen haben. Mir wäre mörderlich bange vor einem solchen Betrieb von vier Morgen – bange, dass ich hinaustrudele, verstehst du?«
Sie verstand ihn gut, denn tief in ihrem Herzen war auch sie mehr auf die vierzig Morgen erpicht. Mit dem Unterschied, den eine zwischen ihnen liegende Generation schuf, hatte sie auf ihre Art denselben Drang nach Raum um sich her, wie ihr Onkel Will ihn gehabt.
»Nun, hier bleiben wir jedenfalls nicht«, versicherte sie Billy. »Wir sind ausgezogen – nicht nach vierzig Morgen, sondern nach hundertundsechzig, die der Staat uns ganz umsonst geben soll.«
»Ja, ich finde auch, dass der Staat uns das schuldet, für alles, was unsere Väter und Mütter getan haben. Ich sage dir, Saxon, und wenn eine Frau über die Prärie marschiert, wie deine Mutter getan, und wenn ein Mann und eine Frau von den Indianern niedergemacht worden sind, wie mein Großvater und meine Großmutter, dann schuldet der Staat ihnen doch etwas.«
»Ja, und wir werden ihn auch dazu bringen, uns zu bezahlen, was er uns schuldet.«
»Und wir wollen ihn auch schon dazu bringen, da brauchst du keine Angst zu haben – irgendwo in den Riesentannenwäldern südlich von Monterey.«
*
Erst spät am Nachmittag erreichten Billy und Saxon Niles. Sie mussten zuerst nach Haywards, und ließen sich zudem Zeit zu allen möglichen kleinen Abstechern von der Hauptlandstraße. Sie folgten den parallelen Wegen durch gepflegte Felder, wo der Boden bis zu den Wagenspuren ausgenutzt war. Saxon sah mit großem Erstaunen die kleinen dunkelhäutigen Auswanderer, die sich in dieser Gegend niederließen, ohne das geringste zu besitzen, und doch aus dem Boden zweihundert, fünfhundert und tausend Dollar den Morgen herausholten.
Überall herrschte Geschäftigkeit. Frauen und Kinder arbeiteten wie die Männer auf den Feldern. Der Boden wurde gepflügt und wieder gepflügt; es war, als gönnten sie ihm nie Ruhe. Aber er lohnte ihnen die Mühe. Er musste ihnen die Mühe lohnen – sonst hätten sie es sich nicht leisten können, in all den kleinen lächerlichen Fahrzeugen herumzufahren, in gebrauchten Einspännern oder starken, leichten Wagen.
»Sieh ihre Gesichter!« sagte Saxon. »Sie sind froh und zufrieden. Sie sehen nicht aus wie die Leute in unserer Nachbarschaft nach Beginn der Streiks.«
»Ja, sie haben es gut«, gab Billy zu, »das kann man mit einem halben Auge sehen. Aber deshalb brauchen sie sich vor mir nicht dicke zu tun, das sage ich dir nur – weil sie uns um den Boden und alles betrogen haben.«