Die bedeutendsten Österreicher

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Sigmund Freud

* 6. Mai 1856 Freiberg (Mähren), † 23. September 1939 London

Anna Freud

* 3. Dezember 1895 Wien, † 9. Oktober 1982 London

Psychiater

Ende der 1850er Jahre betrieben Sigmund Freuds Eltern einen kleinen Textilhandel, der jedoch drei Jahre nach Geburt des Sohnes zu Grunde ging. Die Familie war gezwungen, nach Wien zu übersiedeln. Er wuchs im »Mazzesviertel«, dem überwiegend jüdischen 2. Bezirk auf. Hier wurden auch seine sechs jüngeren Geschwister geboren. Freud konnte ein fortschrittliches Gymnasium besuchen, wo er 1873, im Jahr der Weltausstellung und großen Wirtschaftskrise, die Matura ablegte. Er studierte zunächst Philosophie und Biologie und wandte sich dann, fasziniert von den neuen Erkenntnissen Darwins, der Medizin zu. Bereits 1877 veröffentlichte er eine wissenschaftliche Arbeit über Aale. Seine liebste Wirkungsstätte an der Universität war das physiologische Institut, damals von Professor Ernst Brücke geleitet. Sigmund und Anna Freud

1881 beendete Freud sein Studium, ein Jahr später lernte er Martha Bernays, seine spätere Frau kennen. Um heiraten zu können, musste er zunächst die Träume von einer wissenschaftlichen Karriere aufgeben und mit Eröffnung einer medizinischen Praxis sein Leben auf eine solide wirtschaftliche Basis stellen. Er konzentrierte sich auf die Behandlung von Erkrankungen des menschlichen Nervensystems, zumal damals Kokain als neuer und effektiver Wirkstoff bekannt wurde, wenngleich man dessen Suchtcharakter noch nicht einschätzen konnte. Freud machte Selbstversuche, in denen er Kokain als Mittel zur Schmerzbekämpfung erprobte. Rasch festigte sich sein Ruf in Kollegenkreisen. Ihm wurden eine gute Allgemeinbildung, ein ruhiger und ernster Charakter sowie ein klarer Blick bescheinigt. 1885 habilitierte sich Freud und konnte ein Jahr später heiraten und eine eigene Praxis eröffnen.

Während seiner Fachausbildungszeit hatte er im Pariser Hôpital Salpêtrière bei Jean-Martin Charcot, einem auf dem Gebiet der Hysterie weltweit anerkannter Spezialisten, einige Studienmonate absolviert. Dabei hatte er auch die Hypnose als eine mögliche Behandlungsmethode von Nervenkrankheiten kennen gelernt. Zwar wurde sie von den Fachkollegen als unwissenschaftlich abgetan, doch in hoffnungslosen Fällen schien dieses »kathartische« Verfahren, wie Freud es in einer 1895 mit seinem Kollegen und Freund Josef Breuer veröffentlichten Studie über Hysterie nannte, Heilungsmöglichkeiten zu bieten. Freud entdeckte hierbei, dass die Ursache für die Hysterie vielfach in seelisch krank machenden Konflikten zwischen inneren sexuellen Wünschen und der offiziell eingeforderten Moral lag. Es waren verdrängte Phantasien, Wunschvorstellungen und Träume seiner Patienten, die Freud mit den Begriffen Verdrängung und Ödipuskomplex belegte, wobei letzterer den kindlichen Wunsch nach der Beseitigung des gleichgeschlechtlichen Elternteils mit dem Ziel, den andersgeschlechtlichen Elternteil für sich allein zu besitzen, bezeichnet.

In dem Jahrzehnt zwischen 1895 und 1905 entwickelte Freud sein Lehrgebäude der Psychoanalyse. Einen Eckpfeiler dieser Lehre legte er in seinem bereits 1899 erschienenen, aus kommerziellen Erwägungen auf 1900 datierten Werk Die Traumdeutung nieder. 1910 gründete er die Internationale Psychoanalytische Vereinigung.

Bis zum Ausbruch seiner Krebserkrankung im Jahr 1923 – Freud hatte Mundhöhlenkrebs und musste über 30 Operationen über sich ergehen lassen – war Freuds Praxis gut besucht. Der Analytiker war eine international angesehene Koryphäe und verdiente äußerst gut, was bei der Größe seines Haushalts dringend nötig war, lebten doch in seinem Haus nicht nur seine Ehefrau und seine Kinder, sondern auch seine Schwestern und zahlreiches Personal. Nach 1923 reiste er immer wieder zu Kongressen und Tagungen, zumeist begleitet von seiner jüngsten Tochter Anna, die mit den Jahren die eigentliche Bewahrerin seines Erbes wurde.

Freuds Lehre war von Anfang an heftig umstritten und im Zuge dessen bildeten sich Schulen, die ihr entweder die Treue hielten oder auf ihrer Basis eine Gegenlehre entwickelten, zu letzteren gehörte etwa der Psychotherapeut Alfred Adler (→ siehe dort). Auch Carl Gustav Jung, Freuds langjähriger Schüler und Vertrauter, den er als seinen eigentlichen Nachfolger ansah, distanzierte sich und schlug einen eigenen Weg ein. So bildeten sich schließlich eine Reihe von Schulen, die zwar alle auf Freud zurückgehen, sich in Theorie und Praxis aber von den Positionen des Analytikers unterscheiden.

Bis zu Freuds erzwungener Emigration nach London im Jahr 1938 war Wien das geistige Zentrum der Psychoanalyse. Aus der ganzen Welt kamen Heilung Suchende zu Freud, wobei seine Erfolgsquote aufgrund der langen zeitlichen Dauer der Analyse jedoch nicht besonders hoch war. 1938 wurde die Psychoanalyse gewaltsam aus Wien verbannt. Bereits 1933 waren Freuds Werke bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten der Bücherverbrennung zum Opfer gefallen. Freud erkannte nur allzu deutlich, welche gefährliche politische Entwicklung Deutschland nahm, konnte sich aber lange nicht zur Emigration entscheiden. Ins Londoner Exil ging er, um »in Freiheit zu sterben«. Seine Krebserkrankung war bereits sehr weit fortgeschritten, so dass ihm nur noch wenige Monate Lebenszeit blieben. Kurz vor seinem Tod gab ihm sein langjähriger Arzt Dr. Max Schur, der ihm ins Exil gefolgt war, auf eigenen Wunsch schmerzlindernde Morphiumspritzen, in deren Folge er ins Koma fiel und nicht mehr erwachte.

Mittlerweile ist Freuds Lehre in vielerlei Hinsicht überholt. Der Analytiker vertrat Ansichten, die heute z.T. äußerst fragwürdig sind, wie etwa die, dass man Homosexualität heilen müsse. Andererseits prägte er mit Begriffen wie Verdrängung, Fehlleistung oder Ödipuskomplex eine Terminologie, die aus unserem Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken ist. Seine Leistung bestand darin, dass er eine Sprache für die inneren Vorgänge des Individuums fand, die der Wiener Analytiker Richard Picker als eine »Art Psychosprache« bezeichnet. Freuds kulturtheoretische Ansätze sind hingegen nach wie vor höchst angesehen.

Anna Freud wurde als sechstes Kind von Sigmund und Martha Freud in Wien geboren. Sie war ihr Leben lang die Lieblingstochter und Vertraute des Vaters. Nach Besuch des Cottage Lyceums begann sie eine Ausbildung als Volksschullehrerin, die sie 1914 mit dem ersten Staatsexamen abschloss. Ihr Vater schenkte ihr im Sommer 1914 eine Englandreise, von der sie nach Ausbruch des Krieges nur dank der Intervention von Freunden nach Österreich zurückkehren konnte. Nach Ablegung des zweiten Staatsexamens im Jahr 1916 unterrichtete sie zwischen 1917 und 1920 an ihrer alten Schule. Neben ihrer Lehrerausbildung absolvierte sie eine informelle Ausbildung als Psychoanalytikerin, indem sie die Vorlesungen ihres Vaters an der Wiener Universität besuchte und von Anfang an seine fachliche Vertraute war. Auch ihre Lehranalyse absolvierte sie von 1918 bis 1921 beim Vater, was bei dem engen verwandtschaftlichen Verhältnis nicht ohne Probleme und Folgen war und vor allem von Außenstehenden kritisiert wurde. Möglicherweise resultierte gerade aus dieser Lehranalyse ihr sehr enges Verhältnis zum Vater.

Nach dem Ersten Weltkrieg waren die fünf anderen Geschwister alle aus dem Haus, so dass Anna die einzige intellektuelle Bezugsperson für den Vater wurde. Mit der Mutter hielt sie den Freudschen Haushalt aufrecht und sorgte dafür, dass ihr Vater sich ganz seiner Arbeit widmen konnte.

Im Juni 1922 nahm Freud sie in die Psychoanalytische Vereinigung auf; sie hielt bei dieser Gelegenheit einen viel beachteten Vortrag mit dem Titel Schlagphantasien und Tagtraum. Ein Jahr später eröffnete sie ihre eigene Praxis in der Berggasse 19, wo sie vorwiegend Kinder analysierte und therapierte. Ab 1918 nahm sie auch regelmäßig an den jeweils mittwochs stattfindenden Diskussionsrunden ihres Vaters teil. Wenn Sigmund Freud zu Kongressen reiste, befand sie sich immer in seiner Begleitung.

1925 begegnete sie Dorothy Tiffany Burlingham, die aus der amerikanischen Tiffany-Glas- und Schmuckdynastie stammte. Sie war mit ihren vier Kindern nach Wien in die Praxis von Sigmund Freud gekommen. Dorothy Burlingham war fünf Jahre älter als Anna und seit 1911 verheiratet, lebte jedoch bereits seit Jahren von ihrem Mann getrennt. In ihr fand Anna ihre Lebenspartnerin. Burlingham begann ebenfalls eine Ausbildung als Psychoanalytikerin. Sie und Anna Freud gestalteten ihr Leben gemeinsam, zogen Dorothys Kinder auf und erwarben 1932 als Wochenend- und Sommerhaus ein Bauernhaus in Hochrotherd.

Über den Vater lernte Anna 1921 die um mehr als 30 Jahre ältere Lou Andreas-Salomé kennen, die als Muse berühmter Männer wie Rainer Maria Rilke und Friedrich Nietzsche bereits internationale Bekanntheit genoss. Die Begegnung mit der intellektuell anregenden Lou, die ebenfalls eine analytische Ausbildung hatte, war für Anna prägend. Sigmund Freud bezeichnete Lou Andreas-Salomé als ein Frauenzimmer von gefährlicher Intelligenz.

Bei den Mittwochgesellschaften ihres Vaters traf Anna Freud Muriel Gardiner, Erbin eines Chicagoer Fleischimperiums. Gardiner, die eng mit der Society of Friends verbunden war, verbrachte einige Jahre in Wien. So lange sie konnte, versuchte sie Freunden zu helfen Sie war auch an der Verschickung von Freuds Antiquitätensammlung beteiligt.

Bereits die Berufswahl von Anna Freud verdeutlichte, auf welches tiefenpsychologische Gebiet sich ihre fachlichen Interessen richten würden: die psychische, physische und geistige Entwicklung des Kindes. Stets hatte sie Kinder beobachtet, ihre individuelle Entwicklung verfolgt und vor allem der Kindlichkeit und den verschiedenen Formen ihrer Äußerungen verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet. Die Erziehung war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Gegenbild der Erziehungsmethoden des 19. Jahrhundert geprägt, denen man unterstellte, dass sie die kindliche Unschuld durch von außen aufoktroyierte Zwänge zerstört hätten. Die Psychoanalyse wies hier einen anderen, differenzierteren Weg, indem sie von der empirisch bewiesenen Erkenntnis ausging, dass alle Versuche des Kindes, die Erwachsenenwelt kennen zu lernen, ihrerseits einen rücksichtslosen und grausamen Akt darstellten. Aus diesen Erfahrungen bildeten sich zwei Schulen: diejenige von Anna Freud und eine weitere unter der Anhängerschaft von Melanie Klein, mit der Anna in erstaunlicher Direktheit einen Grundsatzstreit austrug. Sie war der Auffassung, dass Melanie Kleins Deutungen das Kind zu sehr überforderten und wollte daher nur neurotisch gestörte Kinder therapieren, während Melanie Klein der Ansicht war, dass jedes Kind einer psychoanalytischen Therapie bedürfe.

 

Anna Freuds kinderpsychologische Ansätze standen auch im Gegensatz zur Theorie von Alfred Adler (→ siehe dort), der als Individualpsychologe die soziale Komponente in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen betonte. 1927 veröffentlichte Anna Freud ihre erste große Arbeit, die Einführung in die Technik der Kinderanalyse. Im Auftrag des Jugendamtes der Stadt Wien verfasste sie 1930 eine Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen.

Als die Ärzte Sigmund Freud 1923 Kieferkrebs diagnostizierten, wurde Anna Freud für den Vater unentbehrlich: sie arbeitete für ihn als Sekretärin, als Vertraute und als Pflegerin. Da er bereits Schwierigkeiten mit dem Sprechen hatte und keine Reisen mehr unternehmen wollte, erledigte sie alles für ihn. So verlas sie beim Psychoanalytischen Kongress in Homburg im Jahr 1925 Freuds Beitrag Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds. 1930 nahm sie für den Vater den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt entgegen. Anna Freud bezog Stärke aus der zunehmenden Hinfälligkeit des Vaters und ihre Auftritte in der Öffentlichkeit wurden immer souveräner.

Die politische Entwicklung in Österreich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland erfüllte die Mitglieder der Psychoanalytischen Vereinigung und sowohl Vater als auch Tochter Freud mit Sorge. Deutlich war spürbar, dass nicht nur die persönliche Lebenssituation des Einzelnen einer stetig zunehmenden Bedrohung unterlag, sondern auch die psychoanalytische Theorie immer mehr von der Politik bedroht erschien. Die letzte Sitzung der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung fand am 13. März 1938 statt. Bei dieser Sitzung wurde beschlossen, dass angesichts der Erfahrung in Deutschland, jeder, dem es nur irgend möglich war, aus Österreich fliehen sollte. Zahlreiche ausländische Kollegen wie der Amerikaner Walter C. Langer oder die französische Prinzessin Marie Bonaparte bemühten sich, Sigmund Freud aus Österreich herauszuhelfen bzw. ein britisches Visum zu erhalten.

Unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs wurde Anna Freud zur Gestapo zitiert und konnte sie erst Stunden später verlassen. Was dort tatsächlich passierte, bleibt ungeklärt. Der Hausarzt der Familie, der um die Bedrohung der Freuds wusste, hatte Anna für den Fall, dass sie bei der Gestapo gefoltert werden sollte, Veronal gegeben. Anfang Juni 1938 konnten Sigmund Freund, seine Frau, Anna Freud und auch Dr. Schur, der Arzt der Familie, Österreich schließlich verlassen. Auch Dorothy Burlingham wählte das britische Exil. Die Exilanten reisten über Paris, wo sie von Marie Bonaparte erwartet wurden, nach London. Im September bezogen sie ein Haus in Hampstead, in dem Freud ein Jahr später verstarb. Unmittelbar nach ihrem Eintreffen in London wurden Vater und Tochter in die Britische Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen. Nach dem Tod des Vaters wurde Anna Freud zur Testamentsvollstreckerin des Vaters.

1940 gründete Anna Freud das Kriegskinderheim Hampstead Nurseries, um für ihr Gastland Großbritannien in der schweren Kriegssituation einen Beitrag zu leisten. In dieser Kinderkolonie wurden etwa 80 Kriegswaisen betreut. Nach dem Krieg kümmerte sich Anna zunächst um Waisenkinder aus dem KZ Theresienstadt. 1947 wurde daraus ein Ausbildungszentrum für Kinderanalyse. In diese Institutionen brachte Anna ihre gesamten Kenntnisse und all ihre Energie ein. Von London aus baute sie die Psychoanalytische Vereinigung wieder auf und knüpfte an alle alten Kontakte an, um die Lehren des Vaters weltweit zu verbreiten. 1965 wurde Anna Freud mit dem Titel Commander of the Order of the British Empire ausgezeichnet. Sie unternahm zahlreiche Vortragsreisen und beteiligte sich an internationalen Kongressen. Vor allem in den USA gibt es viele bedingungslose Anhänger des Freudschen Denkgebäudes.

Obgleich sie einen großartigen und wesentlichen Beitrag zur Kinderanalyse leistete, hatte Anna Freud selbst keine Kinder. Der Vater war und blieb die dominierende Persönlichkeit in ihrem Leben. An eine Eheschließung hatte sie nie gedacht. Anna Freuds Leben beherrschten ein Mann, ihr Vater und eine Reihe von Frauen, darunter ältere Vorbilder wie Lou Andreas-Salomé und Marie Bonaparte, ihre Lebenspartnerin Dorothy Burlingham, sowie die engen Freundinnen und Fachkolleginnen Jeanne Lampl-de Groot und Marianne Rie-Kris. Nach Österreich kehrte sie erst im Jahr 1971 anlässlich der Teilnahme am 27. Psychoanalytischen Kongress in Wien zurück. Sie hielt dort einen Vortrag in englischer Sprache.

Anna Freud, die sich bis zu ihrem Lebensende für ihre Kinderklinik einsetzte, starb, nachdem sie im Frühjahr 1982 einen Schlaganfall erlitten hatte, am 9. Oktober desselben Jahres in London. Sie hatte wesentliche Charakterzüge ihres Vaters geerbt: wie er war sie sehr genau, sehr pünktlich und sorgfältig. Im Umgang mit Menschen generell distanziert, ließen beide nur wenige Menschen nahe an sich heran. Am Anfang ihrer Karriere und solange der Vater lebte, stand sie immer in seinem Schatten, was wohl daran liegen mochte, dass sie nicht akademisch ausgebildet, sondern nur beim Vater in die Lehre gegangen war. Sie verhielt sich daher in allen Gremien äußerst scheu und zurückhaltend. So ambivalent der Vater seine emotionalen Stimmungen lebte, so konstant erscheint dagegen die Tochter in ihrer Lebensführung: Weder war sie eitel wie ihr Vater, noch besaß sie sein Savoir vivre, war im Gegenteil äußerst asketisch und auch nicht fähig, wie er ihr Leben in der Spannweite zwischen intensivster Arbeit und exzessiver Freizeit zu leben. Ihr Arbeitsdrang kam nie zur Ruhe, sie soll sogar beim Zuhören geradezu manisch mit Stricken beschäftigt gewesen sein. Schon in Hochrotherd und später im englischen Walberswick pflegte sie ihren Garten leidenschaftlich. Sie las viel, liebte Rainer Maria Rilke und war von der Musik von Richard Wagner und Gustav Mahler begeistert. Anna Freud war kein religiöser Mensch, sie glaubte jedoch an Gerechtigkeit.

Auswahlbibliographie von Sigmund Freuds Werken:

Drei Abhandlungen zur Sexualtherapie (1905), Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewusstsein (1905), Totem und Tabu (1913), Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1917), Jenseits des Lustprinzips (1919), Das Ich und das Es (1923), Das Unbehagen in der Kultur (1930), Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939).

Auswahlbibliographie von Anna Freuds Werken:

Einführung in die Technik der Kinderanalyse (1927); Einführung in die Psychoanalyse für Pädagogen (1930); Das Ich und die Abwehrmechanismen (1936); Kriegskinder (1942, deutsch 1949); Anstaltskinder (1942, deutsch 1950); Normality and Pathology in Childhood. Assessments of Development (1965), dt.: Wege und Irrwege in der Kinderentwicklung (1968); Jenseits des Kindeswohles (1974); Diesseits des Kindeswohles (1979); In the best Interest of the Child (posthum 1985).

Julius Wagner-Jauregg

* 7. März 1857 Wels, † 27. September 1940 Wien

Neurologe und Psychiater

Der Sohn eines Juristen und Finanzrates wurde noch während des Medizinstudiums Assistent bei dem österreichischen Pathologen und Histologen Professor Salomon Stricker in allgemeiner und experimenteller Pathologie. 1883 nahm Wagner-Jauregg eine frei werdende Stelle in der psychiatrischen Klinik in Wien an. Bereits 1885 wurde er habilitiert. Zwei Jahre später übernahm er die Leitung der Klinik von Max Leidesdorf. Zwischen den Jahren 1889 und 1893 hatte er eine außerordentliche Professur für Nerven- und Geisteskrankheiten in Graz inne. 1893 kehrte er als Ordinarius und Klinikdirektor nach Wien zurück. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1928 wirkte er an der Wiener Psychiatrischen Klinik.

Wagner-Jaureggs erfolgreiche Versuche, die durch Syphilis hervorgerufene progressive Paralyse mit einer künstlich herbeigeführten Malariainfektion zu bekämpfen, beruhten auf Beobachtungen, über die bereits Hippokrates berichtete. Bereits 1887 begann er mit ersten Experimenten mit Tuberkulosebakterien. Erst dreißig Jahre später stellte sich jedoch ein durchschlagender Erfolg ein, nachdem er einem Patienten das Blut eines Tertiana-Malariakranken injiziert hatte. Andere Versuche mit Malaria tropica gingen hingegen tödlich aus, weswegen der Österreicher schweren Anschuldigungen ausgesetzt wurde. Letzten Endes etablierte sich die Malaria-Impfung jedoch als die klassische Therapie für Paralyse und andere schwere Psychosen und trug dem Wiener Neurologen 1927 den Nobelpreis für Medizin ein. Damit ist er der einzige Psychiater, dem der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde. Durch die Anwendung der neu entdeckten Antibiotika in den 1940er Jahren wurden seine Forschungsergebnisse allerdings obsolet.

Wagner-Jauregg beschäftigte sich darüber hinaus mit der Schilddrüsenerkrankung des Kretinismus, die infolge von Jodmangel Entwicklungsstörungen des Skelett- und Nervensystems hervorruft. Als Vorbeugung initiierte er die Trinkwasserjodierung, die heutzutage noch immer üblich ist. Auch war der Neurologe vielfach als Gerichtssachverständiger in Fragen der Zurechnungsfähigkeit von Straftätern im Einsatz.

An der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert wurde Wagner-Jauregg wegen seiner rassehygienischen Ansichten vermehrt angegriffen, eine Aberkennung des Ehrengrabes der Stadt Wien bzw. eine erläuternde Ergänzungstafel zu seiner Büste im Arkadenhof der Wiener Universität werden erwogen.

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