Die bedeutendsten Österreicher

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Aus der Reihe: marixwissen
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Ignaz Philipp Semmelweis

* 1. Juli 1818 Ofen (heute Budapest), † 13. August 1865 Oberdöbling (heute Wien)

Arzt

Semmelweis wurde als Sohn eines Kaufmannes in Ofen geboren. Nach Besuch des Piaristengymnasiums studierte er an der Universität in Pest (heute ebenfalls Budapest). 1837 kam er nach Wien, um Jura zu studieren, wechselte aber ein Jahr später das Fach und nahm ein Medizinstudium auf. Nach seiner 1844 erfolgenden Promotion arbeitete er als Arzt im Allgemeinen Krankenhaus und an der pathologischen Anatomie. Zwei Jahre später wechselte er als Assistenzarzt in die Abteilung Geburtshilfe. Zu dieser Zeit lag die postnatale Sterblichkeitsrate durch Kindbettfieber zwischen 5 und 15 %, teilweise sogar bei 30 %. Die Geburt von Kindern stellte folglich ein großes Risiko dar.

Semmelweis entdeckte durch Beobachtungen, dass in jenen Orten, in denen Studenten und Ärzte sowohl in der Pathologie als auch in der Geburtshilfe tätig waren, die Sterblichkeit höher war, als in den Abteilungen, in denen ausschließlich Hebammenschülerinnen ausgebildet wurden, die nicht in der Pathologie arbeiteten. Daher untersuchte Semmelweis die Mütter noch gründlicher, was jedoch zu einem weiteren Anstieg der Todesfälle führte. Erst der Todesfall eines anderen Mediziners, der sich bei einer Leichensektion verletzt hatte und an Blutvergiftung starb, brachte Semmelweis auf die Ursache: Ärzte und Studenten sezierten täglich die an Kindbettfieber verstorbenen Frauen und gingen unmittelbar danach zu weiteren Geburten, ohne zwischendurch ihre Hände zu desinfizieren. Daher instruierte Semmelweis seine Studenten, sich nach den Leichensektionen mit Chlorkalk zu desinfizieren, wodurch die Todesrate merklich sank. Semmelweis entdeckte darüber hinaus, dass nicht allein die Leichensektion, sondern bereits der Kontakt mit anderen septischen Patienten zu Ansteckungen führen kann. Daher verlangte er von seinen Mitarbeitern, sich nach jeder Untersuchung zu desinfizieren. Der Erfolg war groß, die Sterblichkeitsrate sank auf 1,3 %. Doch die Anerkennung für seine Entdeckung blieb ihm verwehrt. Die konservativen Kollegen machten nicht die fehlende Sauberkeit sondern »Miasmen« für das Kindbettfieber verantwortlich.

1849 wurde Semmelweis Assistenzstelle nicht verlängert, da die Kollegenschaft mehrheitlich gegen ihn stimmte. Nur der Internist Josef Skoda soll sich auf seine Seite gestellt haben, jedoch überstimmt worden sein. Semmelweis reagierte mit Empörung und heftigen Anwürfen gegen die Kollegen, wurde sogar ausfallend und nannte sie Mörder vor Gott und der Welt. Offenkundig trug dieses Verhalten nicht zu einer Entspannung seiner misslichen Lage bei und zu alldem erschwerend hinzu trat die Tatsache, dass die Einsetzung einer Untersuchungskommission über seine Ergebnisse von seinen Kollegen verhindert wurde. Der Arzt verließ Wien daraufhin voller Wut und ging an die Universitätsklinik in Pest, die heute seinen Namen trägt. Auch in Ungarn fand er kaum Unterstützung, denn Hygienemaßnahmen wurden als Zeitverschwendung betrachtet. Semmelweis verfasste in Reaktion darauf polemische offene Briefe, in denen er an seinen Kollegen kein gutes Haar ließ. 1865 eskalierte die Situation in Budapest: Semmelweis erkrankte psychisch und wurde durch den Antrag von Kollegen in die Irrenanstalt in Oberdöbling eingeliefert. Zwei Wochen nach seiner Einweisung starb er an einer Blutvergiftung. Er wurde in Budapest beigesetzt.

Semmelweis Bedeutung wurde lange nicht erkannt, erst in den 1880er Jahren setzte die öffentliche Anerkennung langsam ein und es begannen dramatische Gerüchte um seinen frühen Tod zu kursieren, die von verweigerter Hilfeleistung bis zu seiner Ermordung reichten. Tatsächlich wurde erst ein Jahrhundert später entdeckt, dass Semmelweis lange vor seinem Tod an Syphilis litt, eine Krankheit, die bei Frauenärzten vielfach aus ihrer beruflichen Tätigkeit und nicht aus einem ausschweifenden Lebenswandel resultierte. Obwohl die damalige Diagnose »Blutvergiftung infolge eines Abszesses« korrekt war, befand sich seine Paralyse unmittelbar vor seinem Tod bereits in einem sehr fortgeschrittenen Stadium, was auch seine hohe Aggressivität und die starken Stimmungsschwankungen erklären.

Gregor Mendel

* 20. Juli 1822 Heinzendorf (heute Vražné, Österreichisch-Schlesien), † 6. Januar 1884 Brünn

Naturforscher und Pionier der Vererbungslehre

Der Kleinbauernsohn half schon im elterlichen Garten bei der Veredelung von Obstbäumen. Wegen seiner guten Schulerfolge durfte er das Gymnasium in Troppau besuchen; in den Oberklassen musste er sich dort seinen Lebensunterhalt als Privatlehrer verdienen. Da seine jüngere Schwester zu seinen Gunsten auf ihr Erbteil verzichtete, konnte er drei Jahre die Universität in Olmütz besuchen. Doch dann musste er mangels irgendeines Unterhalts sein Studium abbrechen. Mendel entschloss sich, Mönch zu werden, und trat in die Augustinerabtei St. Thomas in Brünn ein. Zwischen 1845 und 1848 studierte er Theologie und Landwirtschaft in Brünn. 1847 erfolgte seine Priesterweihe. Seine Ordensoberen erkannten rasch seine wissenschaftliche Neigung und Begabung und setzten ihn als Hilfslehrer am Gymnasium ein. Da er die Lehramtsprüfung für Naturgeschichte und Physik nicht bestand, erlaubte ihm der Orden, diese Fächer ihn Wien zu studieren. Er studierte Experimentelle Physik bei Christian Doppler (→ siehe dort) und Pflanzenphysiologie bei Franz Unger. Ab 1854 wurde er wieder als Lehrer in Brünn eingesetzt. 1856 scheiterte er aber aus unbekannten Gründen noch einmal an der Lehramtsprüfung.

Unterstützt von seinem Abt Cyrill Franz Napp, der an der Naturwissenschaft, speziell am Obstbau, sehr interessiert war, begann er im Klostergarten mit seinen systematischen Experimenten mit Erbsen. Seine Kreuzungen mit Erbsen hatte er sorgfältig geplant. Er unterschied die Pflanzen nach Blütenfarbe bzw. nach Samenfarbe und -form. Er kreuzte die Sorten, indem er Pollen der einen Sorte auf die Narben der anderen Sorte aufbrachte, wobei er eine Fremdbestäubung durch Entfernung der Staubblätter und Verhüllung der Blüten verhinderte. Er unternahm 335 künstliche Befruchtungen und konnte aus den fast 13.000 entstandenen Pflanzen eine nach klaren Regeln verlaufende Vererbung der Merkmale beweisen. Innerhalb von acht Jahren zog er insgesamt 28.000 Erbsenpflanzen, die ihn zu drei allgemeinen Gesetzen führten, die heute als Mendel’sche Regeln bekannt sind. Er entdeckte das Uniformitätsgesetz, das Spaltungsgesetz und die Unabhängigkeitsregel.

Seine Forschungen präsentierte Mendel erstmals in einem Vortrag im Februar und im März 1865 im Naturforschenden Verein in Brünn. 1866 publizierte er »Versuche über Pflanzenhybriden« und 1870 einen Artikel mit dem Titel »Über einige aus künstlicher Befruchtung gewonnene Hieracium-Bastarde«. Die Rezeption seiner Entdeckungen fiel mager aus. Vermutlich waren seine Erkenntnisse für die damalige Zeit zu revolutionär. Sein Artikel wurde kaum gelesen, selbst der damals bedeutende Botaniker Carl Nägeli, dem Mendel ein Exemplar übersandt hatte und mit dem er eine längere Korrespondenz führte, erkannte nicht die Bedeutung von Mendels Forschungsergebnissen. Dass ihn 1868 seine Mitbrüder zum Abt wählten, konnte die Enttäuschung über die geringe Resonanz auf seine Forschungen kaum wettmachen. Die starke Inanspruchnahme durch sein neues Amt verhinderte weiterführende Forschungen. 1883 erkrankte Mendel an einem Nierenleiden, an dem er schließlich verstarb.

Erst um 1900 erkannten die Botaniker Hugo de Vries, Carl Correns und Erich Tschermak-Seysenegg, die selbst eine Reihe von Experimenten durchgeführt hatten, die große Bedeutung der Mendel’schen Forschungen. Mendel entdeckte, dass ein Organismus zahlreiche Merkmale aufweist, die sich unabhängig voneinander vererben lassen. Davor meinte man, dass sich nur die Gesamtgestalt einer Pflanze vererbe. So bewies er, dass Lebewesen aus Genen zusammengesetzt sind, die eine Gesamtinformation zu einem Lebewesen darstellen. Damit bestätigte er auch Darwins Selektionstheorie und legte die Grundlagen für die Genetik als eigenständiges Wissensgebiet, die erst zu Ende des 20. Jahrhunderts eine ungeahnte Blüte erlebte.

Otto Wagner

* 13. Juli 1841 Wien, † 11. April 1918 Wien

Architekt und Stadtplaner

Otto Wagner wurde in Penzing, einem damaligen Vorort der Kaisermetropole, als Sohn eines begüterten königlich-ungarischen Hofnotars geboren. Von Hofmeistern und französischen Gouvernanten in den klassischen Fächern erzogen, begann er ein Architekturstudium am Wiener Polytechnikum; außerdem besuchte er ein Jahr lang die Bauakademie in Berlin. 1862 beendete er als Schüler von Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg, den beiden Erbauern der Wiener Staatsoper, seine Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste.

Seinen ersten Wettbewerb gewann Wagner mit einem Entwurf für den Kursalon im Wiener Stadtpark, erhielt aber nicht den damit verbundenen Bauauftrag. Gemeinsam mit seinem Studienkollegen Otto Thienemann erbaute er 1874 den noch heute bestehenden Grabenhof. Nun konnte Wagner ein eigenes Büro eröffnen, und sein Ruf als innovativer Architekt verbreitete sich rasch. Wahrscheinlich errichtete er mehr als dreißig Wohnhäuser, die er oft als selbstständiger Bauherr erbaute, manche selbst bewohnte und dann an Private weitergab. Sein damaliger Baustil befand sich durchaus im Mainstream der Zeit und garantierte seinen Kunden einen hohen Grad an technischer Perfektion. Auch seine Planungen für den zeitlichen Ablauf der Bauprojekte waren geradezu perfekt. So gelang es ihm, das Festzelt für den Festzug anlässlich der Silbernen Hochzeit des Kaiserpaares Franz Joseph I. und Elisabeth binnen weniger Stunden zu errichten.

 

Um etwa 1890 fand er im Zug des Auftrags für einen »Generalregulierungsplan« für Wien zu seinem unverwechselbaren Stil. Er verfasste dazu eine theoretische Schrift mit dem Titel »Die Großstadt – Eine Studie über diese«, in der er seine Grundgedanken zu Städtebau, aber auch zur Gestaltung eines einzelnen Objekts formulierte. Darin schrieb er Sätze wie: »Der Architekt hat immer aus der Konstruktion die Kunstform zu entwickeln«, oder: »Die Kunst hat daher die Aufgabe, das Stadtbild der jeweiligen Menschheit anzupassen.« Dieser Funktionalismus wurde die Basis für den qualitätsvollen Städtebau des 20. Jahrhunderts.

Formalistisch fühlte sich Wagner den Grundsätzen von Symmetrie und Achsialität verbunden, eine geistige Verwandtschaft mit den Monumentalentwürfen eines Johann Bernhard Fischer von Erlach ist nicht zu leugnen. Otto Wagners Schüler – er lehrte seit 1894 an der Akademie der bildenden Künste – errichteten in seinem Sinne zahlreiche Bauten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hervorzuheben sind dabei die monumentalen Bauten des »roten Wien« der Zwischenkriegszeit, welche die Formen der Herrschaftsarchitektur in den sozialen Wohnbau übernahmen.

Im Jahrzehnt zwischen 1880 und 1890 errichtete Wagner in öffentlichem Auftrag nur das überaus qualitätsvolle Verwaltungsgebäude der Länderbank in der Hohenstaufengasse, das durch seine kühne Lösung für eine verschobene Achse für den Kassensaal überrascht. Zukunftsweisend bei diesem Bau war, dass Otto Wagner erstmals ein Skelettbausystem aus Stahl, das mit Platten ausgefüllt wurde, verwendete – wie er sich überhaupt zunehmend den neuen Materialien, nämlich Stahl und Aluminium, zuwandte.

1894 erhielt er den Großauftrag für die Planung und Erbauung der Stadtbahn und der Vorortelinie. Auch die künstlerische Gestaltung dieses damals europaweit größten Bauauftrages wurde Wagner übertragen. Schon in seinem Generalregulierungsprogramm hatte er sich mit der Steuerung von Verkehrsflüssen beschäftigt. Für ihn war die Einbeziehung des Wiener Donaukanals und der Donau in ein Gesamtverkehrskonzept wesentlich. So ist die Planung und Ausführung des Nußdorfer Wehrs am Donaukanal als ein Tor in die Stadt zu begreifen. Eine generelle Neuplanung der städtischen Verkehrsströme war 1890 durch die Eingemeindung der Vororte Wiens notwendig geworden. Wagners Konzept beruhte auf dem Gedanken der Kreuzungsfreiheit für den Verkehr, was bei der Gestaltung etwa der Stadtbahn hervorragend gelang. Seine Trassierung hat noch immer Gültigkeit, wurde sie doch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Streckenführung der Wiener U-Bahnlinien übernommen.

Für die Detailplanung dieses riesigen Bauvorhabens baute Wagner ein Büro mit siebzig Mitarbeitern auf. Seine begabtesten Schüler, u.a. Joseph Maria Olbrich, Josef Hoffmann oder Max Fabiani, hatten wesentlichen Anteil an den künstlerischen Details. Er schuf für seine Bauten eine Unverkennbarkeit, die man heute als Corporate Identity bezeichnen würde. Der große Architekt starb 1918 wenige Monate vor Ende des Ersten Weltkrieges.

Internationale Bewunderung erregten Wagners Bauwerke nach 1900. Mit ihnen erwies er sich als radikaler Wegbereiter der Moderne. Das Gebäude der Postsparkasse und die Kirche St. Leopold am Steinhof überzeugen sowohl ästhetisch wie funktional.

Wagners letztes Lebensjahrzehnt war überschattet von der peinlichen Diskussion um die Errichtung eines Neubaues für ein historisches Museum der Stadt Wien. Vor allem konservative Kreise um den Thronfolger Franz Ferdinand und um die das Wiener Kulturleben nachhaltig beeinflussende Fürstin Pauline Metternich lehnten Wagners Projekt vehement ab. Lediglich der Wiener Bürgermeister Karl Lueger unterstützte ihn. Das Scheitern dieses Projekts wurde zum Symbol des Untergangs der Wiener Moderne. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte in der Zeit der völligen Verarmung aller Bevölkerungskreise nicht mehr an diese künstlerischen Großtaten angeschlossen werden.

Wichtigste Bauten in Wien:

Grabenhof (1873), Bürgerhaus Schottenring 23 (1877), Familiengruft Hietzinger Friedhof (1881), Länderbank (1881), Bürgerhaus Stadiongasse 6–8 (1882), Große Wagner-Villa Hüttelbergstraße 28 (1886), Bürgerhaus Universitätsstraße 12 (1887), Wohnhaus Rennweg 3 (1889), Wehranlage am Donaukanal (1894), Stadtbahn (1894–1900), Bürgerhaus Spiegelgasse 2 (1894), St. Johannes-Kapelle Währinger Gürtel (1895), Bürgerhäuser Linke Wienzeile 38 und 40 (1898), St. Leopold am Steinhof (1902–1904), Postsparkassengebäude (1903–1910), Kleine Wagner-Villa Hüttelbergstraße 28 (1912).

Bertha von Suttner

* 9. Juni 1843 Prag, † 21. Juni 1914 Wien

Schriftstellerin und Pazifistin

Als Bertha Sophia Felicitas Gräfin Kinsky von Chinic und Tettau am 9. Juni 1843 in Prag geboren wurde, war ihr Vater Feldmarschall-Leutnant Graf Kinsky, der einem alten böhmischen Adelsgeschlecht entstammte, bereits verstorben. Ihre 50 Jahre jüngere Mutter war ihrem Mann keine ebenbürtige Ehepartnerin gewesen. Da Graf Kinsky nicht Majoratsherr war, verfügte die Familie lediglich über ein bescheidenes Vermögen. Obgleich Berthas Vormund, Friedrich Graf Fürstenberg, der jungen Frau eine gute Erziehung angedeihen ließ, litt sie zeitlebens am »Makel« ihrer Geburt. Berthas Mutter versuchte das Vermögen der Familie durch Spielen in Europas Casinos zu vermehren, scheiterte jedoch naturgemäß. Als Bertha 18 Jahre alt war, wurde sie in die Gesellschaft eingeführt, damit möglichst schnell ein wohlhabender Mann für sie gefunden würde. Zwar fand sie viele Bewunderer, ein seriöser Ehemann war jedoch nicht auszumachen. Aus diesem Grund musste die junge Frau sich für den Beruf einer Gouvernante oder Gesellschaftsdame entscheiden, was bei ihrer ausgeprägten Bildung jedoch kein Problem darstellte: sie beherrschte drei Fremdsprachen, konnte singen und Klavier spielen und war sehr belesen.

Im Jahr 1873 trat Bertha eine Stelle im Haus von Carl von Suttner an, wo sie dessen vier Töchter beaufsichtigte. Im Hause Suttner entspann sich zwischen dem jüngsten Sohn der Familie Arthur Gundaccar – er war um sieben Jahre jünger als Bertha – und Bertha eine Liebesbeziehung, die das Paar drei Jahre geheim halten konnten. Letztlich verweigerte die Familie ihre Zustimmung zu einer Eheschließung und Bertha war gezwungen, ihre Stelle aufzugeben. Über Baronin Suttner erhielt sie den Hinweis, dass in Paris ein älterer Herr eine sprachenkundige Sekretärin suche. Sie bewarb sich um diesen Posten und wurde von Alfred Nobel angestellt. So sehr ihr die Arbeit auch gefiel und sie Nobel als intelligenten und kongenialen Gesprächspartner schätzte, arbeitete sie doch nur kurz in Paris, denn sie wurde von Heimweh und Liebeskummer geplagt. So kehrte sie nach Wien zurück, blieb aber weiterhin mit Nobel in Kontakt.

1876 heirateten Bertha und der junge Gundaccar heimlich in der Vorstadtkirche von Gumpendorf und brachen dann beinahe fluchtartig nach Georgien auf. Sie wählten dieses Land als Exilstätte, weil Bertha von Suttner die verwitwete Fürstin Ekaterina Dadiani von Mingrelien aus früheren Jahren kannte. Von ihr erhoffte sie sich eine Stellung, von der ihr Mann und sie leben könnten. Daraus wurde jedoch nichts und das Ehepaar erteilte anfangs Musik- und Französischunterricht. Nach Ausbruch des russisch-türkischen Krieges verschlimmerte sich die wirtschaftliche Lage allerdings zunehmend und niemand wollte mehr die französische Sprache erlernen. Daher versuchte sich Arthur Suttner als Schriftsteller. Er berichtete für westeuropäische Zeitungen über Georgien und auch vom Kriegsschauplatz. Bertha von Suttner verlegte sich ebenso auf das Schreiben, ihre Romane erschienen in Fortsetzungen in verschiedenen Zeitschriften. Als sich die finanzielle Lage des Ehepaares noch mehr verschlechterte, kehrten sie beide nach Österreich zurück. Die Aussöhnung mit Arthurs Familie war inzwischen erfolgt. Das Ehepaar ließ sich in Harmannsdorf, im Suttnerschen Schloss nieder und beide verdienten sich weiterhin ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben.

1889 erschien Berthas erstes bedeutendes Buch Das Maschinenzeitalter, in dem sie sich mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzte. Sie kritisierte darin die Nationalismen, tadelte das Schulsystem, das technischen Neuerungen gegenüber nicht aufgeschlossen war und beklagte die schlechtere Stellung der Frau in der Gesellschaft. 1887 erhielt sie in Paris Kenntnis von der Existenz einer internationalen Friedensbewegung, für die sie das Buch Die Waffen nieder! schrieb. Dieser 1889 erschienene Tendenzroman wurde ein Bestseller und wurde innerhalb von nur vier Jahren in zwölf Auflagen publiziert. Bis zu Suttners Tod wurde dieses Buch in 12 Sprachen übersetzt und machte die Österreicherin zu einer der führenden Vertreterinnen der Friedensbewegung. Mit dem aus der Ich-Perspektive geschriebenen Bericht einer Gräfin, die innerhalb eines Zeitraums von knapp zehn Jahren durch die Erfahrung von vier Kriegen zur überzeugten Pazifistin wird, traf Bertha von Suttner den Nerv der Zeit, der einerseits durch einen schrankenlosen Imperialismus und hemmungslosen Nationalismus gekennzeichnet war, andererseits durch linke Massenparteien, die sich vehement für die Rechte der Menschen einsetzten. Im September 1891 wurde die Österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde als eine Sektion der Internationalen Friedensgesellschaft gegründet und Bertha von Suttner widmete ihr ganzes künftiges Leben dieser hehren Idee. Sie schrieb hunderte Artikel und Abhandlungen, hielt Vorträge und nahm an Tagungen teil. Einen Mitstreiter fand sie in ihrem österreichischen Landsmann Alfred Fried (→ siehe dort) und auch Schriftsteller wie Leo Tolstoi oder Peter Rosegger unterstützten sie. Ab 1892 gab sie die Zeitschrift Die Waffen nieder heraus und gründete die Deutsche Friedensgesellschaft, die innerhalb kürzester Zeit mehrere Tausend Mitglieder hatte.

Zur Förderung der Friedensidee fanden Weltfriedenskonferenzen statt, so 1889 zum ersten Mal in Paris. Einen wesentlichen Impuls für die Friedensbewegung bedeutete die testamentarische Verfügung von Alfred Nobel, aus den Zinsen seines Vermögens einen Preis für Verdienste um die Friedensbewegung zu stiften. Bertha von Suttners Mann war seinerseits pazifistisch eingestellt und engagierte sich im Verein zur Abwehr des Antisemitismus. 1905 wurde Bertha von Suttner für ihr unermüdliches Wirken für die Friedens­idee als erste Frau in der Geschichte mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Dennoch blieb ihre Arbeit nicht von Kritik verschont. Man unterstellte der Österreicherin eine naive Gesinnung und versuchte sie mit allen Mitteln der Lächerlichkeit preis zu geben. Unzählige Karikaturen der »Friedensbertha« machten sich über ihren Optimismus lustig.

Sie starb am 21. Juni 1914, wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, mitten in den Vorbereitungen für einen weiteren Weltfriedenskongress, der in Wien stattfinden sollte, an einer Krebserkrankung.