Makroökonomik und Wirtschaftspolitik

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2.4.4 Polit-ökonomisches Konjunkturmodell

Weitere theoretische Versuche, konjunkturelle Schwankungen zu erläutern, sind polit-ökonomische Modelle. Diesen zu Folge werden Konjunkturzyklen durch wirtschaftspolitische Entscheidungen verursacht. Sie entstehen durch die Politik einer Regierung, die ihre Wiederwahl sicherstellen möchte. Um das Ziel des Machterhalts zu erreichen, trägt eine Regierung Sorge dafür, dass am Ende einer Legislaturperiode und damit vor der Wahl die Arbeitslosenquote besonders niedrig ist. Der Preis für diese Politik ist unter Umständen eine zunehmende Inflation, d.h. die Instabilität des Preisniveaus. Nach erfolgreicher Wiederwahl muss die Regierung die Preisniveaustabilität mit den ihr zur Verfügung stehenden Instrumenten wieder herstellen. Nebenprodukt dieser Maßnahmen kann der Anstieg der Arbeitslosenquote sein. William D. Nordhaus hat dargestellt, welche Konsequenzen der Wechsel von einer am Gemeinwohl orientierten Wirtschaftspolitik zu einer am Eigeninteresse ausgerichteten Wirtschaftspolitik hat (Nordhaus 1975)[27]. In seinem Modell unterscheidet er zwischen dem ökonomischen und dem politischen System. Letzteres hat ebenfalls zwei Komponenten:

 die Regierung, die das Ziel der Wiederwahl verfolgt;

 die Wähler bzw. das Wählerverhalten.

Das Wahlverhalten eines Wirtschaftssubjektes kann modellhaft in einer Wahlfunktion erfasst werden. Diese beinhaltet zunächst nur die Zielgrößen geringe Arbeitslosigkeit und geringe Inflation.

Abbildung 12:

Indifferenzkurven der aggregierten Wahlfunktion (Eigene Darstellung in Anlehnung an Jürgen Heubes, Konjunktur und Wachstum, München 1991, S. 113ff).

Die in der Abbildung 12 dargestellten konvexen Indifferenzkurven der Wahlfunktion geben alle Kombinationen von Höhen der Inflationsrate und der Arbeitslosenquote an, die der Regierung den gleichen Stimmenanteil sichern (in Abbildung 12 entweder mit 51 Prozent die Mehrheit der Stimmen oder mit 40 Prozent weniger als die Mehrheit der Stimmen). Der Stimmenanteil ist umso größer, je näher die Indifferenzkurve am Ursprung liegt. Hinsichtlich des Wählerverhaltens wird angenommen, dass die Wirtschaftssubjekte ihre Wahlentscheidung in Abhängigkeit der Entwicklung der Arbeitslosenquote und Inflationsrate während der gesamten Wahlperiode berücksichtigen, wobei neuere Daten zur Wirtschaftslage ein höheres Gewicht haben. Die |50|Regierungspartei oder -koalition ihrerseits versucht, ihre Wiederwahl sicherzustellen, indem sie abschätzt, welche Präferenzen die Wähler hinsichtlich der Arbeitslosenquote und der Inflationsrate haben.

Abbildung 13:

Kurzfristige Philips-Kurven (Eigene Darstellung in Anlehnung an Jürgen Heubes, Konjunktur und Wachstum, München 1991, S. 114ff).

|51|Da die wirtschaftspolitischen Ziele des hohen Beschäftigungsstandes und der Preisniveaustabilität nicht ohne weiteres bzw. nur in Sondersituationen (wie z.B. 2014 bis 2016, vgl. Tabelle 1) parallel erreicht werden können, ist ein Optimum scheinbar nicht erreichbar. Eine hohe Arbeitslosenquote ist gemäß der Philips-Kurve mit einer geringen Inflation verbunden und vice versa. Grafisch bedeutet dies: Je höher die erwartete Inflationsrate ist, umso weiter verläuft die hier betrachtete Philips-Kurve vom Ursprung entfernt. Nordhaus hat für sein Modell diese Philips-Kurve genutzt, um die optimale Strategie der Regierungspartei darstellen zu können. Bringt man nun die Präferenzen der Wähler mit der Situation in der Wirtschaft in Einklang, so ergibt sich ein Tangentialpunkt, der der Regierung eine Hilfestellung hinsichtlich einzuleitender wirtschaftspolitischer Maßnahmen gibt.

Abbildung 14:

Optimale Strategie der Regierungspartei (Eigene Darstellung in Anlehnung an Jürgen Heubes, Konjunktur und Wachstum, München 1991, S. 117ff).

Punkt A in Abbildung 14 veranschaulicht, dass die Regierung versuchen sollte, im Hinblick auf den Wahltag eine relativ geringe Arbeitslosenquote zu erreichen und die hiermit verbundene vergleichsweise hohe Inflation in Kauf zu nehmen. Da die damit verbundenen hohen Inflationserwartungen die kurzfristige Philips-Kurve nach außen verschieben (Philips-Kurve 1), wodurch die Stimmenmehrheit verloren geht, muss die Regierung im Laufe der Legislaturperiode die Inflationserwartungen mittels die Konjunktur dämpfende wirtschaftspolitische Maßnahmen zurückführen, obschon dies mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote verbunden sein könnte.[28] Hierdurch verschiebt sich die Philips-Kurve wieder in Richtung Ursprung, so dass die Regierung die dann anstehende Wahl gegebenenfalls erneut gewinnt.

|52|Abbildung 15:

Der politische Konjunkturzyklus (Eigene Darstellung in Anlehnung an Jürgen Heubes, Konjunktur und Wachstum, München 1991, S. 117ff).

Abbildung 15 zeigt, dass die zeitliche Abfolge durch die Dauer der Legislaturperiode bestimmt wird und erklärt die Persistenz von Konjunkturschwankungen. Infolge der Wahltermine ändert sich periodisch die Wirtschaftspolitik der Regierung. Diese Änderungen der Wirtschaftspolitik wirken auf die betrachteten Bereiche der Wirtschaft wie exogene Schocks. Exogene Schocks, die in den oben dargestellten Modellen allerdings unmittelbar die Nachfrage betreffen, sind die Ursache für konjunkturelle Schwankungen.

2.4.5 Internationaler Konjunkturzusammenhang

Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten jeweils Modelle vorgestellt wurden, die eine geschlossene Volkswirtschaft zugrunde legen, wird nun nicht zuletzt aus aktuellem Anlass der internationale Konjunkturzusammenhang thematisiert. In Anbetracht der Weltwirtschaftskrise, die 2007 in den USA durch die Vergabepraxis von Krediten („Subprime Crises“) ausgelöst wurde und 2009 massive Rückwirkungen auf viele, auch die deutsche Volkswirtschaft hatte, wird im Folgenden ein Modell erläutert, dem flexible Wechselkurse zugrunde liegen. Auch in jüngster Vergangenheit haben wir mit dem im Juni 2016 per Volksentscheid herbeigeführten ‚Brexit‘, dem Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union (EU), und der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA im November 2016 anschauliche Beispiele für den internationalen Konjunkturzusammenhang.

Ziel ist es, zu zeigen, ob und inwieweit flexible Wechselkurse das Inland gegenüber – auch konjunkturellen – Störungen im Ausland abschirmen. Dazu werden geld- und finanzpolitische Maßnahmen im Ausland betrachtet. In den USA wurden beispielsweise im Zuge der Krise von der Zentralbank, der Federal Reserve Bank, mehrere geldpolitische Pakete geschnürt und lanciert, die zu einer sehr guten Versorgung der Märkte mit Geld führten. Auch die Europäische Zentralbank EZB hat |53|seit 2011 mehrmals den Geldmarkt „geflutet“ und den Leitzins ab dem 10. März 2016 auf 0 Prozent gesenkt[29], um der drohenden Unterversorgung der Banken mit Kapital entgegenzuwirken bzw. die Weitergabe von Kapital an Investoren zu gewährleisten.[30] Die Banken stellen sich seit Beginn der Krise 2009 untereinander aufgrund der erwarteten Risiken und der Notwendigkeit, ‚faule‘ Kredite abzuschreiben, kaum noch gegenseitig Finanzierungsmittel zur Verfügung. Die EZB versucht mit einer weiteren Lockerung der Geldmengenpolitik, dem Outright Monetary Transaction-Programm, den resultierenden Problemen entgegenzuwirken.

Im nun erläuterten Modell wird davon ausgegangen, dass sich alle Märkte, die Güter- und der Geldmarkt, hin zu einem Gleichgewicht orientieren.[31] Der Gütermarkt ist im Gleichgewicht, wenn gerade so viele Güter angeboten wie nachgefragt werden. Dies ist der Fall, wenn die Investitionen der Unternehmen aus den Ersparnissen der privaten Haushalte finanziert werden, ihnen also entsprechen. Die Investitionen der Unternehmen hängen von der Höhe des Zinses ab. Je niedriger der Zins, umso günstiger sind Investitionen. In der Folge wird üblicherweise mehr investiert. Die Ersparnisbildung der Wirtschaftssubjekte hängt modellgemäß ausschließlich vom Einkommen ab. Je höher das Volkseinkommen, desto größer sind die Ersparnisse. Sinkt das Volkseinkommen, dann wird weniger gespart und damit auch weniger investiert. Damit der Gütermarkt nach dem Sinken des Volkseinkommens wieder im Gleichgewicht ist, muss der Zins steigen. Der Geldmarkt befindet sich im Gleichgewicht, wenn die Nachfrage der Wirtschaftssubjekte nach Geld dem Geldangebot der Zentralbank entspricht. Die Geldnachfrage ist im Modell abhängig vom Einkommen und von der Höhe des Zinses. Nimmt das Einkommen der Wirtschaftssubjekte zu, so steigt ihre Geldnachfrage. Sie wollen mehr konsumieren. Steigt allerdings der Zins, so nimmt die Geldnachfrage ab. Geld ist relativ teuer geworden. Andere Vermögensobjekte, wie z.B. festverzinsliche Wertpapiere oder Aktien werden bevorzugt.

Das Geldangebot wird von der Zentralbank festgelegt. Falls es in dieser Situation gleichbleibt, sinkt das Volkseinkommen. Folglich nimmt die Geldnachfrage ab und ist schließlich geringer als das Geldangebot. Der Zins muss fallen, damit die Wirtschaftssubjekte trotz niedrigeren Einkommens ebenso viel Geld halten wollen wie zuvor. Damit ein internationaler Wirtschaftszusammenhang dargestellt werden kann, muss die Zahlungsbilanz bzw. die Außenhandelsbilanz in die Überlegungen einbezogen werden. Ein höheres Einkommen bewirkt ein Zahlungsbilanzdefizit[32], weil die Importe stärker zunehmen als die Exporte. Dieses Zahlungsbilanzdefizit im Ausland, beinhaltet einen Zahlungsbilanzüberschuss[33] im Inland. Im Inland müssen daher die Zinsen steigen. Unter der Annahme, dass eine expansive Geldmengenpolitik im Ausland umgesetzt |54|wird, erhöhen sich das ausländische sowie das inländische Einkommen. Aufgrund der Geldmengenausdehnung sinken die Zinsen im Ausland. Durch den Anstieg des Einkommens steigt der Konsum, d.h. die Güternachfrage nimmt im Ausland und im Inland zu. Es stellt sich ein Zahlungsbilanzdefizit im Ausland ein, da mehr Güter importiert werden. Im Inland hat das gestiegene ausländische Einkommen steigende Exporte zur Folge. Tendenziell liegt also ein Zahlungsbilanzüberschuss im Inland vor.

 

Wären die Anpassungsprozesse in dieser Situation vollendet, könnte die Behauptung aufgestellt werden, dass eine expansive Geldmengenpolitik im Ausland zu einer Einkommenserhöhung im Inland führt. Bei den unterstellten flexiblen Wechselkursen bewirkt jedoch der tendenzielle Zahlungsbilanzüberschuss im Inland eine Aufwertung der inländischen Währung. Wenn in diesem Prozess der inländische Zinssatz nicht so stark sinkt wie der ausländische, dann muss die Aufwertung der inländischen Währung so stark sein, dass ein Leistungsbilanzdefizit im Inland entsteht, welches den Überschuss der Kapitalverkehrsbilanz ausgleicht. Aufgrund dieser Aufwertung gehen die Exporte zurück, die Importe nehmen zu und das reale Einkommen im Inland sinkt.

Es kommt in diesem Fall zu einer negativen Konjunkturübertragung. Es zeigt sich, dass flexible Wechselkurse wie beispielsweise zwischen dem Euro und dem US-Dollar die deutsche Wirtschaft bzw. die Wirtschaften der Euro-Länder nicht vor konjunkturellen Störungen in den USA abschirmen können bzw. vor den Wirkungen der Instrumente, die zur Abhilfe eingesetzt werden. Würde keine internationale Verflechtung des Güter- und Kapitalhandels zwischen den Euro-Ländern und den USA bzw. dem Vereinigten Königreich bestehen und damit die Kapitalverkehrsbilanz unberührt bleiben, wäre die Lage anders.

2.5 Warum sind Konjunkturschwankungen problematisch?

Konjunkturschwankungen beinhalten wie Abbildung 11 zeigt, dass die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital in einer Boom-Phase in besonderer Weise zum Einsatz kommen und in einer Depression nicht vollständig genutzt werden. In der Boom-Phase stellt sich aufgrund der Knappheit der Produktionsfaktoren eine Knappheit auf dem Gütermarkt mit der Folge eines zunehmenden Preisniveaus ein. Eine Inflationsrate nahe unter zwei Prozent ist gemäß des deutschen Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes akzeptabel. Entwickelt diese sich darüber hinaus, so ist mit gesamtwirtschaftlich nachteiligen Wirkungen zu rechnen. In der Depression werden weder die Produktionsanlagen vollständig genutzt, noch können alle Arbeitskräfte in dem Maße beschäftigt werden, wie es wünschenswert ist. Es tritt Arbeitslosigkeit auf. Wenn die Arbeitslosenquote oberhalb von vier Prozent liegt, so wird dies gemäß des deutschen Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes als nicht akzeptabel eingestuft. Verschiedene nachteilige Auswirkungen ergeben sich auch hieraus für die Gesamtwirtschaft, die sozialen Sicherungssysteme, das Gemeinwohl und die nachfolgenden Generationen. Steigt die Inflation oder ist zu erwarten, dass sie zunimmt, dann investieren die Wirtschaftssubjekte vermehrt in Sachkapital, da dieses von der Geldentwertung nicht tangiert wird. Es kann jedoch zu Über- und Fehlinvestitionen kommen. Liegt eine vergleichsweise hohe |55|Inflation vor, so spiegeln die Preise der Güter nicht mehr die Knappheitsrelationen am Gütermarkt wider. Die Wirtschaftssubjekte verschieben u.U. ihre Einkäufe in die Zukunft, wenn sie erwarten, dass die Preise künftig fallen. Es kommt zu einem Nachfrage- und Produktionsrückgang, einer Unterauslastung der Produktionskapazitäten und einer rezessiven Wirtschaftsentwicklung.

In Abbildung 16 wird die Veränderung des Harmonisierten Verbraucherpreisindex’ (HVPI) dargestellt, d.h. die Preisentwicklungen bei Lebensmitteln, Energie und Tabak werden außen vor gelassen. Wir sehen, dass die Finanzmarktkrise mit ihren Auswirkungen auf die Konjunktur ab 2009 einen deutlichen Wendepunkt bei der Entwicklung der Inflationsraten darstellt. Erst 2011 kommen wir wieder in bekannte Fahrwasser, jedoch nur kurz. In den Jahren 2013ff. steigt die Sorge deflationärer Tendenzen. Die Entwicklung im Jahr 2015 mit Nullinflation bzw. in den USA negativen Inflationsraten ist u.a. Grund für die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken; z.B. der us-amerikanischen Federal Reserve Bank bis Ende 2016.

Abbildung 16:

Inflationsraten ausgewählter Volkswirtschaften in Prozent (Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von Eurostat)[34].

Gehen wir einmal davon aus, dass die Dynamik der Teuerung erneut zunehmen wird: Dann ist als weitere Folge davon auszugehen, dass es zu einer Umverteilung der Einkommen und Vermögen durch zu hohe Inflation kommt. Die Löhne werden z.B. aufgrund von laufenden Tarifverträgen nicht unmittelbar an die Inflation angepasst. Die abhängig Beschäftigten erleiden damit einen Reallohnverlust. Die Wirtschaftssubjekte, die in der Lage sind, aus dem Geld- und Finanzkapital in Sachwerte zu flüchten, haben einen Vorteil. Da dies in der Regel die vermögenderen Mitglieder einer Gesellschaft sind, bewirkt Inflation eine Umverteilung von den weniger vermögenden zu den vermögenden Wirtschaftssubjekten. Auch der Staat profitiert von |56|Inflation, da die Transferleistungen genau wie die Löhne nicht unmittelbar an die Inflationsrate angepasst werden. Wendet man den Blick in Richtung Außenhandel, so bewirkt eine relativ hohe Inflation im Inland, dass die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland sinkt. Die Inlandswährung wird aufgrund der Inflation gegenüber der Auslandswährung abgewertet. Die inländischen Wirtschaftssubjekte erhalten für ihr Exportgüterbündel ein geringeres Importgüterbündel als zuvor und erleiden somit einen realen Kaufkraftverlust.

Arbeitslosigkeit ist prinzipiell ein Problem für eine Volkswirtschaft, da das ‚Humankapital‘ der betroffenen Personen entwertet wird. Dies hat psychische Folgen für die Betroffenen, die nicht selten mit Hilfe staatlicher Transferleistungen „behandelt“ werden müssen. Arbeitslosigkeit bewirkt neben Erkrankungen des Einzelnen auch, dass die Investitionen in das Humankapital zurückgehen. Die Folge ist eine langfristige Senkung der Produktivität der Volkswirtschaft und damit ein Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Arbeitslosigkeit hat aber auch Auswirkungen auf die volkswirtschaftliche Produktion, da vorhandene Ressourcen verschwendet werden, die eigentlich produktiv eingesetzt werden müssten. Zudem steigen die Sozialausgaben des Staates und die Steuereinnahmen fallen. Die entstehenden Beitragslücken z.B. in der Renten- und Krankenversicherung müssen durch den Staat finanziert werden. Eine Steuermitfinanzierung der Systeme, die eigentlich gemäß des Umlageverfahrens bzw. des Versicherungsprinzips finanziert werden, belastet die aktuell erwerbstätige Generation, während eine Schuldenfinanzierung die künftig Erwerbstätigen zur Kasse bittet. Beide Varianten sind ungünstig und veranschaulichen, dass die Folgekosten einer hohen Arbeitslosigkeit vermieden werden sollten, indem Arbeitslosigkeit verhindert und das wichtigste Potenzial einer Wirtschaft, das Humankapital, weitestgehend genutzt wird. Durch hohe Arbeitslosigkeit gehen zudem die durchschnittlichen Einkommen der abhängig Beschäftigten zurück. Dies beinhaltet auch, dass die Nachfrage nach Gütern abnimmt. Die Produktion fällt daraufhin etc.

Starke konjunkturelle Schwankungen sollten zusammenfassend nach Kräften vermieden werden. Der ‚Brexit‘ wird aller Voraussicht nach Katalysator einer konjunkturellen Verwerfung im Vereinigten Königreich wie auch in der EU und im Besonderen in der Eurozone werden, zumal die Unsicherheit über die künftige Entwicklung der Zusammenarbeit zur Zurückhaltung bei Investitionen der Unternehmen und Wirtschaftssubjekte generell führen dürfte. Diese Starre dürfte sich erst lösen, wenn der ‚Fahrplan‘ des Austritts feststeht. Die Verhandlungen begannen ab Ende März 2017, nachdem Premierministerin Theresa May das Austrittsgesuch des Vereinigten Königreiches der Europäischen Union zugestellt hat.

2.6 Konjunkturpolitik

Konjunkturpolitiken sollen konjunkturelle Schwankungen bzw. deren nachteiligen Folgen dämpfen oder vermeiden. Betrachtet man die theoretischen Ansätze, so werden einige Hilfestellungen hinsichtlich der Instrumentenauswahl gegeben. Während die Unterkonsumtions- und die Überinvestitionstheorie sowie der (plötzliche) technische |57|Fortschritt allerdings als Ursache von Konjunkturzyklen heute weniger in Betracht gezogen werden, bieten die chronologisch nachfolgenden keynesianischen Ansätze, die neoklassische und die polit-ökonomische Sichtweise wichtige Hinweise. Konjunkturpolitiken können inhaltlich voneinander abgegrenzt werden. Mit konjunkturpolitischen Maßnahmen kann das Ziel verfolgt werden, den Konjunkturzyklus zu glätten (Stetigkeitspolitik) oder zusätzlich einen bestimmten Wachstumspfad anzustreben (Niveausteuerung). Beide Ziele können mit unterschiedlichen Vorgehensweisen verfolgt werden. Zum einen kann eine Politik adäquat sein, mit deren Hilfe die Ursachen konjunktureller Schwankungen ausgeschaltet werden (Ursachentherapie). Zum anderen können politische Maßnahmen ergriffen werden, die die Auswirkungen der konjunkturellen Schwankungen wie zu hohe Inflation oder Arbeitslosigkeit bekämpfen (kompensatorische Konjunkturpolitik, z.B. Arbeitsmarktpolitik[35]). Verstetigende Maßnahmen haben die Aufgabe, die Nachfrage zeitlich zu verschieben. Geplante Käufe sollen in die Rezession vorgezogen, im Aufschwung und Boom hinausgezögert und in die nachfolgende Rezession bzw. Depression verlagert werden.

Ein Beispiel für die Stetigkeitspolitik ist die ‚Abwrackprämie‘, die im Januar 2009 in Deutschland eingeführt wurde und im September 2009 auslief. 2500 Euro erhielt ein Fahrzeughalter für Fahrzeuge, die mindestens neun Jahre alt waren und wenigstens ein Jahr auf den aktuellen Halter zugelassen waren, wenn der Wagen abgegeben wurde. Auch Frankreich hatte im Dezember 2008 eine derartige Verschrottungsprämie mit dem Ziel der Ankurbelung der Konjunktur eingeführt.[36] Im Gegensatz zum Versuch, die Wirtschaft so zu steuern, das sie sich entlang eines Wachstumstrends entwickelt, ist die Stetigkeitspolitik zunächst weniger komplex als die Niveausteuerung. Um eine Niveausteuerung vornehmen zu können, müssten die Politiker zunächst in der Lage sein, eine perfekte Statusanalyse zu machen. Schließlich ist die Angebotsseite der Wirtschaft in angemessener Weise zu stärken. Dass Politiker hier die perfekte Weitsicht haben, wurde bereits vor vielen Jahren, z.B. vom griechischen Philosophen Sokrates in Frage gestellt. „… dieser glaubt doch, etwas zu wissen, was er nicht weiß, ich aber, der ich nichts weiß, glaube auch nicht zu wissen. Ich scheine doch wenigstens um ein Kleines weiser zu sein als dieser, weil ich, was ich nicht weiß, auch nicht zu wissen glaube …“[37]

Die polit-ökonomische Sichtweise von Nordhaus unterstützt die These: Als Ursachen zyklischer Schwankungen können die Nachfragelücke bzw. der Nachfrageüberschuss sowie Informationsmängel gemäß der keynesianischen Perspektive benannt werden. Informationsmängel verzögern die Marktkorrektur über den Preismechanismus. Sie bewirken, dass Investoren und Konsumenten angesichts erwarteter konjunktureller Risiken ihre Pläne zurückstellen. Die Nachfragelücke oder der Nachfrageüberschuss können durch externe Einflüsse verursacht werden oder durch Zufall. Der Akzelerator-Multiplikator-Prozess bewirkt hier die Verstärkung der Konjunkturschwankung. |58|Eine Ursachentherapie sollte naturgemäß genau an diesen Stellen ansetzen. So wäre eine Verzögerung der Lohnanpassung, also des Einkommensanstiegs im Aufschwung, ein adäquates Instrument zur Verhinderung zu hoher Preissteigerungsraten. Gleichwohl bleiben den Politikern häufig nur nachträgliche kompensatorische Maßnahmen, weil die Gründe für die konjunkturellen Schwankungen, beispielsweise wegen einer expansiven Geldmengenpolitik im Ausland, oft nicht eingeschätzt werden können. Die Politik muss dann ein anderes Ziel avisieren. Es geht um den Ausgleich z.B. zu hoher Exportüberschüsse und Geldzuflüsse aus dem Ausland oder eines Rückgangs der Investitionen durch eine Politik, die den Konsum der Wirtschaftssubjekte anreizt und damit indirekt auf die Investitionen zurückwirkt.