Tausche Einsamkeit gegen Zweisamkeit

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Tausche Einsamkeit gegen Zweisamkeit
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Ingrid Schmahl

TAUSCHE EINSAMKEIT GEGEN ZWEISAMKEIT

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Prolog

Bitte an Amor

Gerda wird aktiv

Blick zurück

Scheidung – und dann?

Neue Perspektiven

Außer Spesen nichts gewesen

Ist er es?

Ist Alexander der Richtige?

Marias Hoffnung

Sex mit Alexander?

Pech gehabt!

Gerda wieder alleine

Cowgirl gesucht

Erstes Treffen mit Herbert

Freundinnen

Wie geht es weiter?

Karl taucht auf

Jessy

Wandervögel

Karls Katastrophen

Anonyme Alkoholiker

Der Entzug

Familiäre Sorgen

Eine Zukunft mit Karl?

Ende gut – alles gut

PROLOG

Sie saßen in gemütlicher Runde beieinander: Sieben junge und ältere Frauen. Jeden Monat trafen sie sich im Café Wagner bei Kaffee und Kuchen, um sich über verschiedene Themen auszutauschen.

Heute war ihr Thema: Unterschiede zwischen Mann und Frau. Können Männer im Alter alleine leben? Können Frauen es?

Dass Frauen es oft können, weil sie es einfach müssen, war allen klar. Aber wie ist es bei Männern? Wenn sie jung sind, haben sie ihre Clique, in der sie gut aufgehoben sind. Aber wie ist es, wenn sie älter werden? Da gebraucht Mann schon alleine aus praktischen Gründen eine Frau. Eine, die ihn umsorgt, seine Zipperlein behandelt und mit der er eventuell angeben kann. Zum Angeben muss es eine junge Frau sein, die er aber nur bekommt, wenn er die finanziellen Mittel besitzt. Ansonsten ist ein älterer, alleinstehender Mann ein armer Wicht. Er lässt sich gehen, wie Gisela in der Frauenrunde berichtete. Sie ist verheiratet und kümmert sich um ihren Schwiegervater, der mit in ihrem Haus wohnt. Ohne ihre Hilfe sähe sein Zimmer oft schlimm aus. Für Ordnung hatte früher seine Frau gesorgt. Dafür ist jetzt seine Schwiegertochter zuständig.

So weit zum Thema Mann.

Von einer Bekannten namens Gerda berichtete Ursula. Gerda war zwar eine starke, selbständige Frau mit einem guten Beruf als Flugbegleiterin, jedoch ohne einen Partner an ihrer Seite fühlte sie sich sehr alleine. Sie suchte nach ihrer Scheidung einen neuen Mann, was aber zu mehreren Katastrophen führte. Sie brauchte einige Anläufe, bis es am Ende doch noch klappte und sie jetzt in einer harmonischen Partnerschaft lebt. Aber sie musste auch bei dieser letzten Partnerschaft einige Schwierigkeiten überwinden. Gerda machte viele Fehler, die sie fast am Leben verzweifeln ließen.

Die Runde der sieben Frauen diskutierten noch lange miteinander, wobei sie von Kaffee und Kuchen auf einen guten Rosé übergingen. Die Fehler, die Gerda gemacht hatte, wurden, nachdem Ursulas Bericht über Gerdas ganze Problematik auf den Tisch kam, lange besprochen. Alle hatten Verständnis für Gerdas Suche nach einem Mann, die jedoch nach ihrer einhelligen Meinung nicht so bald hintereinander hätte erfolgen sollen.

Zum Schluss waren alle der Meinung, dass ein älterer Mann schlecht alleine leben kann. Einer Frau aber trauen alle zu, alleine nach dem Verlust des Partners durch Tod oder Scheidung gut zurecht zu kommen. Bei der älteren Frau ist oft der Punkt die finanzielle Seite. Meist konnte in einer Ehe durch Kindererziehung oder ungenügende Ausbildung keine ausreichende Rente erworben werden, so dass die Frau im Alter oft in ärmlichen Verhältnissen lebt und daher eine neue Partnerschaft anstrebt, die ihre finanzielle Lage verbessern soll.

Ursula meldete sich wieder zu Wort:

„Ich habe über die ganze Geschichte von Gerda, die richtungweisend auch noch Umweg hieß, ein Buch geschrieben. Es ist gerade vom Verlag gedruckt worden und ich darf euch je ein Exemplar als Geschenk überreichen. Lest Euch die Geschichte durch, damit wir bei unserem nächsten Zusammenkommen weiter darüber sprechen können.“

Hier also Gerda Umwegs Geschichte und ihre Suche nach Liebe und Partnerschaft.

1. Kapitel
BITTE AN AMOR

Gerda Umweg war gerade 58 Jahre alt geworden. Sie war von Kopf bis Fuß eine gutaussehende Frau mit einem bezaubernden Lächeln, wenn sie nicht gerade an ihr neues Singledasein dachte. Nach fünfundzwanzig nicht sehr glücklichen Ehejahren war sie seit der vorigen Woche frisch geschieden. Diese machte ihr das Leben ziemlich schwer. Gerda hatte mit Kurt zwei Kinder, die sich trotz der schwierigen Situation im Hause Umweg sehr gut entwickelten. Gerda musste sich eingestehen, dass das Ende ihrer Ehe mit Kurt vorauszusehen war. Kurts Frauengeschichten waren einfach nicht mehr zu tolerieren. Zu allem Unglück wurde sie auch gerade als Flugbegleiterin der Worldtours in den Vorruhestand geschickt. Sie sei für die ständigen Flüge rund um den Globus nicht mehr fit genug, sagte ihr Chef, Herr Gutedel. Er hatte ihr in einem Gespräch angeboten, weiter beim Bodenpersonal zu arbeiten. Aber davon wollte Gerda nichts wissen. Die Arbeit am Stuttgarter Worldtours-Schalter war in ihren Augen eine Degradierung, die sie nicht hinzunehmen bereit war. Wenn Gerda in ihrer schicken Uniform und dem kessen Käppi auf den blonden, kurzen Locken zusammen mit dem Flugkapitän und den Kolleginnen nach einem Flug aus Hongkong oder einem anderen Punkt auf der Weltkugel durch den Stuttgarter Flughafen schritt, sahen ihr viele Männer bewundernd nach. Bei der Arbeit am Flughafenschalter würde sie nicht einmal von ihrer Arbeit aufsehen können. Da drängelten nervöse, gestresste Männer und wollten möglichst schnell abgefertigt werden. Ehefrauen und quengelige Kinder warteten ungeduldig darauf, dass es nun bald losginge.

Weil Gerda also nicht auf das Angebot ihres Chefs einging, war sie jetzt ohne Arbeit. Sie langweilte sich sehr und wusste nichts mit sich anzufangen. Sie wohnte in Krähenwinkel, einem kleinen Ort in der Nähe von Stuttgart. Wenn man Krähenwinkel auf der Landkarte suchen würde, wäre es schwer, diesen Ort zu finden.

Als sie in Stuttgart bei der Worldtours arbeitete, konnte sie nach Feierabend noch durch die Stadt schlendern oder mit den Kolleginnen in einem guten Restaurant etwas essen. In Krähenwinkel gab es kein schickes Restaurant, sondern nur Emilios Pizzeria. Weil sie an diesem Tag vor lauter Frust noch nichts gegessen hatte, entschloss sie sich, am Abend eine Pizza bei Emilio zu essen. Als sie dann jedoch in der Pizzeria stand, entschied sie sich, die Pizza mit nach Hause zu nehmen. Es war ihr einfach zu laut und nach ihren Maßstäben nicht sauber genug in dem Lokal. Also machte sich Gerda an diesem verregneten Abend mit ihrer verführerisch duftenden Pizza quadro statione von Emilio auf den Weg nach Hause. Sie wollte dort zur Beruhigung ihrer Nerven diese Pizza essen und ein Glas Rosèwein, Marke Durbacher Premium trinken.

Plötzlich schrie sie erschrocken auf, weil eine kleine, pechschwarze Katze aus der Dunkelheit auftauchte und dicht vor ihr stehen blieb.

 

„Ksch – mach, dass du wegkommst“, versuchte Gerda, sie zu verscheuchen.

Die Katze machte ein Gesicht, als ob sie die Frau auslache. Dann stolzierte sie langsam über die zum Glück unbelebte Straße weiter und verschwand im Gebüsch.

„Was ist nur los mit mir? Warum bin ich so schreckhaft geworden?“

Ihre Nerven waren wirklich schlecht. In der vergangenen Nacht hatte sie von ihrem Ex-Ehemann Kurt geträumt und war am Morgen total verstört und mit einem Gefühl der Verlassenheit aufgewacht. Den ganzen Tag hatte sie über ihren Traum nachgedacht.

So saß Gerda Umweg also jetzt am Abend einsam und traurig mit ihrer Pizza und dem Glas Durbacher Rosè in ihrem Lieblingssessel vor dem Fernsehgerät und schaute sich den Liebesfilm „Rote Rosen für die Liebe“ an. Eigentlich sollte sie lieber einen Krimi ansehen; so einen, in dem harte Männer sich gegenseitig umbringen und der Schluss ganz anders ist, als man es gedacht hat. Ein Liebesfilm machte sie einfach zu traurig. Wenn sich die Pärchen küssen und voller Begehren auf die breite Couch sinken, wurde sie neidisch und ihr neues Single-Leben kam ihr vor, als wäre sie von aller Welt abgeschrieben worden.

Neben ihr auf dem Couchtisch stand griffbereit die Flasche mit dem guten Wein, der sie aber auch nicht tröstete. Sie merkte nach dem dritten Glas, dass sie lieber etwas weniger trinken sollte.

Beim Aufstehen aus ihrem Sessel schwankte sie leicht. Der Wein hatte immerhin 12,5 Prozent Alkohol. Aber er verhalf ihr zu der nötigen Bettschwere.

Jetzt schlug die große, alte Standuhr, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte, mit dumpfen Schlägen elf Uhr. Das Glas war leer, und in der Flasche war nur noch ein kleiner Rest. Die Käsewürfel hatte Gerda auch längst aufgegessen und der tränenrührige Film im Fernsehen war beendet. Wie es nun einmal im Film so ist, haben sich die beiden Liebenden nach vielen Wirren gefunden. Sie sind glücklich und verliebt. Warum gab es das nur immer im Film und nicht auch einmal für sie?

Mit diesen trüben Gedanken, die sich auch durch den genossenen Wein nicht vertreiben ließen, ging Gerda mit leichter Schlagseite ins Badezimmer. Sie sah ihr vom Alkohol gerötetes Gesicht und streckte sich selbst die Zunge heraus. Wie konnte man sich nur so gehen lassen! Sie nahm den neuen, hellroten Lippenstift, den sie gerade erst für teures Geld gekauft hatte, drehte ihn bis hinten hin auf, drückte fest und schrieb mit unsicherer Hand auf den Spiegel über dem Waschtisch:

„MANN GESUCHT!“

Nach dieser Misshandlung war der teure Lippenstift dann auch prompt abgebrochen. Verflixt und zugenäht! Wie und wo fand sie nur einen netten Partner nach der Scheidung von Kurt? Einen, der nur sie liebte und ihre Interessen teilte? Wo fand sie ihn nur?

Nach einer Katzenwäsche ging sie mit unsicherem Schritt in ihr riesiges, sehr teuer aus Peddigrohr handgearbeitetes Doppelbett, das sie eigentlich schon längst entsorgen wollte. Die leere Hälfte neben ihr schien sie höhnisch anzugrinsen, als wollte sie sagen: „Selbst schuld!“

Aber weil Gerda die Hoffnung auf Zweisamkeit noch nicht aufgegeben hatte, ließ sie das Doppelbett in ihrem Schlafzimmer stehen. Man konnte ja nicht wissen!

Anscheinend war Amor blind und schwerhörig. Gerdas Flehen bemerkte er überhaupt nicht.

„Warum haben immer nur die anderen Glück? Mich vergisst Amor völlig.“

Das waren Gerdas Gedanken, die sie schon am vergangenen Abend hatte, und die auch am Morgen wieder in ihrem Kopf Karussell fuhren und sie mit einem riesigen Kater aufwachen ließen. Kopfschüttelnd las sie im Bad, was sie da mit ihrem guten Lippenstift auf den Spiegel geschrieben hatte.

„Oh je, ich muss doch entschieden zu viel getrunken haben“, dachte sie. „Aber wenn das hilft, mein seelisches Gleichgewicht zu finden, dann war es genau richtig.“

Sie setzte sich, noch ziemlich schläfrig, in der Küche an den Tisch. Einzig eine Tasse Kaffee konnte sie jetzt retten. Auf der Tischplatte lag immer noch das Gedicht, das sie am Abend vorher so richtig aus der Fassung gebracht hatte. Sie hatte es nach mehrmaligem Lesen aus der Tageszeitung ausgeschnitten und mit Tesafilm auf die Tischplatte geklebt.

Wieder und wieder las sie dieses Gedicht, das ihrem Kummer die richtigen Worte verlieh:

Blütenduft und Sonnenschein,

Liebesfreud soweit man sieht.

Nur ich sitze hier allein,

grau und trist ist mein Gemüt.

Könnt ich nicht auch eng umschlungen

sitzen hier mit einem jungen

oder ält’ren Kavalier?

Ja, ich könnte darum wetten,

meine Trübsal wär dahin.

Voll Musik wär dann mein Sinn.

Ach erhör mich, Gott der Liebe.

Noch sind nicht verdorrt die Triebe

und die Lust auf Zärtlichkeit.

Willst du meiner dich erbarmen,

sende heut noch dieser Armen

Liebeslust und Liebesfreud.

Da kommt schon ein Kavalier,

und er setzt sich auch zu mir.

Herzen fliegen hin und her.

Lieber Amor, ist das

E R?

So stand es also an diesem Vormittag um Gerda Umweg. Sie stützte den schmerzenden Kopf in die Hände und sah nicht einmal beim Frühstück aus dem Küchenfenster, wo die Sonne lachte und die Blüten des riesigen Kirschbaums in voller Pracht aufgeblüht waren. Die Bienen umschwärmten summend die Blüten und auch die Vögel zwitscherten ihr Morgenlied. Aber Gerda sah und hörte nichts. Sie grübelte nur vor sich hin und sah überall Probleme, wo überhaupt keine waren, wenn man davon absah, dass ihr ein Mann zu ihrem Glück fehlte.

„MANN GESUCHT!“

Kopfschüttelnd betrachtete sie wieder bei ihrem nächsten Aufenthalt im Bad die traurige Mitteilung, die sie dem Wein vom Abend zuschrieb. Schnell nahm sie einen feuchten Lappen, um diese Aussage wegzuwischen. Der Wein war auf jeden Fall nicht das richtige Mittel, um Probleme zu lösen. Aber sie gab die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft noch nicht auf. Vielleicht musste sie ja nicht bis zu ihrem Lebensende alleine leben. Sie war doch noch nicht zu alt für eine Partnerschaft. Außerdem war sie trotz ihrer zwei erwachsenen, schon recht selbständigen Kinder ziemlich attraktiv. Es konnte einfach nicht sein, dass es nach ihrer Scheidung von Kurt keine Liebe mehr für sie gab. Anstatt sich zu verkriechen, sollte sie vielleicht einmal selbst aktiv werden. Aber wie? Alleine in die Diskothek zu gehen, war nicht so recht nach ihrem Geschmack. Vielleicht in einen Verein mit anderen Singles eintreten, in dem viel gejammert wurde? Auch nicht gut. Aber was dann?

Fragen über Fragen gingen in ihrem Kopf herum.

2. Kapitel
GERDA WIRD AKTIV

Gerda stand endlich auf und holte sich nach der dritten Tasse Kaffee, mit der sie grübelnd immer noch am Küchentisch gesessen hatte, aus dem Briefkasten im Hausflur die dicke Samstagszeitung und blätterte lustlos am Frühstückstisch darin herum. Da fielen ihr nach den Seiten für Kultur, Wirtschaft und Lokales auf Seite vier die Partnerschafts-Anzeigen auf. Das Angebot an partnersuchenden Männern und Frauen war ja wirklich riesig.

„Eigentlich müsste bei diesen Angeboten doch auch ein Mann für sie dabei sein.“ Sie las konzentriert die männlichen Angebote durch. Mit welchen großen Worten hier die Vorzüge desjenigen angepriesen wurden, der inseriert hatte! Es war nicht zu glauben:

„Junger Mann, 68 Jahre jung, mit Haus, Segeljacht und flottem Cabrio sucht die junge, knackige Sie zum liebevollen Miteinander.“

Aber auch in der Spalte, in der Frauen einen Mann suchten, waren die weiblichen Vorzüge sehr genau und wahrscheinlich auch etwas übertrieben angepriesen.

„Ob ich vielleicht einmal auf die Anzeige eines netten Mannes schreibe?“ So dachte Gerda nachdenklich. „Welcher der männlichen Inserenten klingt denn so seriös, dass es sich lohnt, darauf zu antworten? Habe ich das überhaupt nötig? Vielleicht läuft mir ja auch ohne so eine Anzeige einmal ein netter Mann über den Weg. Aber leider sind die netten Männer in meinem Alter meistens verheiratet oder suchen eine junge und attraktive Frau ohne Anhang. Und man hört immer wieder, dass verheiratete Männer eine Frau für eine Nacht suchen, um dann reumütig wieder zu ihrer Ehefrau zurückzukehren. Das ist aus solchen Anzeigen nicht zu erkennen. Ich muss mir die Sache gut überlegen. Es ist doch ziemlich riskant.“

Sie legte mit einem kleinen Seufzer die Zeitung zur Seite. Sollte sie so ein Risiko eingehen, nur um nicht mehr alleine leben zu müssen?

Jetzt hatte Gerda also sehr viel freie Zeit und konnte sich nicht mit ihrer Arbeit bei der Worldtours und den ständigen Flügen in alle Welt ablenken. Sie saß so wie heute Morgen auch schon an anderen Tagen morgens im Bademantel und ohne Make up gelangweilt in ihrer stets aufgeräumten und blitzsauberen Wohnung vor dem Fernsehgerät, aß und trank so ganz nebenbei mehr, als ihr gut tat, und war rundherum unglücklich. Von ihren Kindern Simon und Jessy hörte sie kaum etwas. Beide hatten wenig Zeit für ihre Mutter. Es ging ihr eben so, wie es allen Müttern geht. Wenn die Kinder flügge sind und sich ihr eigenes Leben aufbauen, steht die Mutter nur noch an einer hinteren Stelle. Da geht die Ausbildung, der Beruf und die Partnerschaft vor. Aber das muss so sein. Gerda gönnte Simon und Jessy auch durchaus diese Selbständigkeit. Aber ein Telefonat ab und zu mit der Frage: „Wie geht es dir?“, wäre schön.

So dauerte es nicht sehr lange und Gerda nahm vor lauter Frust schnell an Gewicht zu. Sie war innerhalb kurzer Zeit rundlicher geworden, und das natürlich an den ungünstigsten Stellen.

„Das ist Kummerspeck, den ich mir in dieser schwierigen Zeit angefuttert habe“, gestand sie sich selbst ein. Die elegante, dunkelblaue Uniform mit den goldenen Ärmelstreifen in Größe 38, die sie immer noch besaß, passte einfach nicht mehr.

Gerdas Ehe mit Kurt war nach all den Jahren bis zu der Scheidung nicht mehr so glücklich, wie sie es war, als sie sich kennenlernten. Damals waren beide himmelhoch jauchzend verliebt und hielten sich für das ideale Paar. Heute war Gerda eigentlich ganz froh, als sie endlich geschieden war. Nach der Scheidung wurde ihr jedoch schnell klar, dass sie nicht bis an ihr Lebensende als Single leben wollte. Wenn auch die Ehe mit Kurt manchmal sehr schwierig war, hatte sie ihn doch ab und zu als Ansprechpartner bei Problemen gehabt. Und auch im Bett war Kurt nicht zu verachten. Bis sie endlich einen neuen Mann für den Rest des Lebens fände, wären wirklich, wie ihr Name schon sagte, noch viele Umwege nötig.

Gerda und Kurt waren lange Jahre eine nach außen hin glückliche Familie mit zwei tollen Kindern gewesen. Simon, inzwischen 24 Jahre alt, groß wie der Vater, schlank und sportlich, war ein junger Mann, den viele Mädchen gerne für sich gewonnen hätten. Er lachte viel und war bei jeder Fete der Hahn im Korb. Er sah aus, als wenn das Leben nur aus Spaß bestünde; dabei studierte er ganz ernsthaft und intensiv BWL., also Betriebswirtschaftslehre. Dann war da noch Jessy, mit gerade 18 Jahren das Nesthäkchen der Familie und von allen, vor allem von ihrem Vater, geliebt. Ihr gutes Aussehen hatte sie wohl von der Mama geerbt. Wie diese war sie groß und blond, hatte wunderschöne, blaue Augen, die sie sehr wohl bei Wünschen an ihren Papa einsetzen konnte. Leider ging das jetzt nicht mehr so leicht, weil sie noch in Krähenwinkel bei der Mutter lebte und ihr Vater nach der Scheidung ausgezogen war. Jessy war ernster als ihr Bruder, aber wie dieser hatte sie genaue Vorstellungen von ihrer Zukunft. Sie war bei der Scheidung ihrer Eltern mitten im Abiturstress. Die Probleme der Eltern hatte sie jedoch gut verkraftet. Sie wusste ja, dass sie auch nach der Scheidung immer noch Papas Liebling sein würde. Er wohnte zwar jetzt mit seiner neuen Freundin in Stuttgart, aber das war für Jessy keine Entfernung. Sie durfte, das hatte ihr der Vater versichert, bei Problemen oder Wünschen immer ihren Vater besuchen und mit ihm sprechen. Gerne würde sie nach dem Abitur wie ihre Mutter Flugbegleiterin werden. Jessy stellte es sich herrlich vor, so in aller Welt herumzureisen.

Kurt, Gerdas Ex-Ehemann war ein Mann gewesen, der so lange lieb und nett war, wie man keine Forderungen an ihn stellte. Das Geld, das er als Versicherungsagent einer großen deutschen Versicherung leicht verdiente, gab er ebenso leicht wieder aus. Die Familie sah von diesem Geld meist nicht sehr viel. Auch von den Bonuszahlungen, die er für neue Versicherungskunden bekam, sah seine Familie nichts. Kurt war charmant und redegewandt und wusste diese Begabung als Versicherungsagent vor allem bei den Damen gewinnbringend einzusetzen. Was Gerda schon lange geahnt hatte, war die Tatsache, dass Kurt neben seiner Stellung als Familienvater andere, meist junge Frauen mit seiner Gunst beglückte. Deshalb war von seinem verdienten Geld für die Familie kaum etwas übrig, zumal im Laufe der Zeit für ihn die Familie nur noch Last, nicht Lust war. Die verschiedenen Freundinnen waren meist sehr anspruchsvoll. Hier ein teurer Ring, dort ein exklusiver Pelz. Kurt zeigte sich sehr spendabel und verwöhnte seine jeweiligen Gespielinnen gerne. Seine neueste Flamme, mit der er jetzt bereits in Stuttgart zusammen wohnte, hieß Angelika. Sie war eine Frau wie aus der Illustrierten; sehr groß, superschlank mit langen, schwarzen Haaren, gekleidet nach der neuesten Mode. Sie arbeitete als Model und ging oft und gerne mit Kurt in den exklusivsten Boutiquen Stuttgarts shoppen. Das hieß, sie kaufte und Kurt zahlte. So auch heute wieder:

 

„Sieh nur mal diese schicke graue Chinchilla-Pelzjacke. Die würde mir bestimmt gut stehen.“ Dazu der gekonnte Augenaufschlag. Und Kurt kaufte und kaufte.

Bei einer dieser Einkaufstouren traf er auf seine Tochter Jessy, die gerade ihr letztes Taschengeld ausgeben wollte. Jessy versuchte, die Gunst der Stunde auszunutzen. Sie hielt ihren Vater vor der teuren Boutique in der Königsstraße an.

„Hallo Kleine, hast du Sorgen?“ Kurt kannte seine Tochter sehr gut.

„Ach Papa, gut dass ich dich treffe. Ich möchte so gerne an diesem Wochenende mit meinen Freundinnen in die Disco. Leider habe ich überhaupt nichts mehr anzuziehen. Kannst du mir nicht die tolle Bluse aus der Boutique hier kaufen? Sie kostet auch nur 120 Euro. Ist doch echt billig!“ Aber nein, Papa schüttelte nur den Kopf: „Tut mir leid, habe selbst nichts. Die Tüten, die ich für Angelika, äh – für meine Kundin trage, sind deren Einkäufe. Ich bin nur der Tütenträger. Ha ha. Frag Mama mal. Die hat doch das große Geld.“

Es war Jessy schon klar, dass diese Angelika Vaters Freundin sein musste, die den spendablen Mann jetzt nach seiner Scheidung ganz für sich haben wollte, nachdem sie sich bereits häuslich bei ihm eingenistet hatte.

Angelika, die das Gespräch zwischen Vater und Tochter staunend mit anhörte, war leicht irritiert: „Ist das deine Tochter? Du hast mir erzählt, du hättest keine Familie, für die du sorgen musst. Wenn du so eine süße Tochter hast, hättest du ihr die Bluse auch kaufen sollen. Mir hast du ja auch gerade die teure Jacke geschenkt.“

Kurt hatte nun keine andere Wahl, und an Jessy gewandt:

„Gut, überredet. Du bekommst die Bluse. Du sollst dich doch nicht über deinen Vater beklagen, auch wenn er jetzt nicht mehr bei euch wohnt. Du warst immer mein Liebling und bist es auch heute noch.“

Kurt sah kurz zu Angelika hin, die aber nun so tat, als hätte sie diese liebevollen Worte zwischen Vater und Tochter nicht gehört. Sie überlegte sich jedoch, dass es vielleicht nicht so ideal wäre, einen Mann wie Kurt, dessen Ex-Familie finanziell noch sehr an ihm hing, an sich zu binden. Gut, dass Kurt nichts von diesen Gedanken ahnte.

Inzwischen wurde in den ganzen Jahren, bis es einfach nicht mehr weiterginge, in der Familie Umweg viel gestritten. Meist ging es um Geld. Und um Geld ging es auch noch nach der Scheidung. Das war auch Kurts Freundin Angelika klar.