Buch lesen: «Rayan - Zwischen zwei Welten»

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Indira Jackson

Rayan - Zwischen zwei Welten

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

September 2014 – Flug von Alessia nach London – Traum oder Erinnerung

September 2014 – Flug von Alessia nach London – Bericht aus der Vergangenheit

September 2014 – Cityairport London – Willkommen im Regen

September 2014 – Einige Tage früher - Tal von Zarifa – Sturm der Gefühle

September 2014 – Tal von Zarifa – Reisevorbereitungen

September 2014 – Tal von Zarifa - Enttarnung des Verräters

September 2014 – Tal von Zarifa – Ende einer langjährigen Freundschaft

September 2014 – Tal von Zarifa – Aufbruch in der Nacht

Mai 2002 – Große Wüste – Eigentlich Routine

September 2014 – Irgendwo in den Bergen von Zarifa – Jede Minute zählt

Mai 2002 – Große Wüste – Heimreise mit Hindernissen

September 2014 – Flughafen von Alessia – Wiedersehen mit Leila

Mai 2002 – Große Wüste – Unbarmherzige Verbrecher

September 2014 – Alessia – Déjà-vu

September 2014 – London - Check-in

Mai 2002 – Große Wüste – Die Spur ist noch heiß

September 2014 – Flughafen von Dubai – Mazin

Mai 2002 – Große Wüste – Der Sklavenmarkt

September 2014 – London - Nächtliche Treffen

September 2014 – London – Unerwarteter Besuch

Mai 2002 – Große Wüste – Die weitere Vorgehensweise

September 2014 – Nahe Eston Castle – Erkundungen

Mai 2002 – Große Wüste – Leilas Geschichte

September 2014 –Dubai – Ein alter Freund

Mai 2002 – Große Wüste – Rachegedanken

September 2014 – Eston Castle – Die Flucht

Mai 2002 – Große Wüste – Rettungskommando

September 2014 – Dubai – Abschied von Dubai

September 2014 – Nahe Eston Castle – Die Befreiung - Hanif

Mai 2002 – Große Wüste – Späte Erkenntnis

September 2014 – Nahe Eston Castle – Die Befreiung - Rayan

Mai 2002 – Große Wüste – Der Urteilsspruch

September 2014 – Flug nach München - Sven

Mai 2002 – Große Wüste – Zwei Fürsprecher

September 2014 – Im Hotel in London – Weitere Recherchen

September 2014 – München – Eine neue Beziehung

Mai 2002 – Große Wüste – Stimmungswandel

September 2014 – Auf dem Weg zum Flughafen – Morddrohung

Mai 2002 – Große Wüste – Ein Abschied und ein neuer Anfang

September 2014 – London City Airport – Auslegung von Pflicht

April 2005 – Universität von London – Besuch mit Überraschungen

September 2014 – Innenstadt von London – „Mit Begleitung“

April 2005 – London – Rendezvous am Freitagabend

September 2014 – London Innenstadt – Sei vorsichtig was du dir wünschst

April 2005 – London – Neue Erfahrungen

September 2014 – Krankenhaus London – Das Verhör

April 2005 – London – Auslöschung der Vergangenheit

September 2014 – Irgendwo in London – „Nosy Nutter“

April 2005 – London – Der Blick in den Spiegel

September 2014 – Irgendwo London – Smiths langer Arm

September 2014 – Irgendwo in London – Eingreifen in letzter Minute

September 2014 – Zurück im Club – Zufluchtsort

September 2014 – Irgendwo in London – Vom Retter zum Flüchtling

September 2014 – Isle of Wight – Die nächste Etappe

September 2014 – Vorort von Paris – Auf den Weg nach München

September 2014 – München – Weitere Vorgehensweise

September 2014 –München – Und wieder Nachforschungen

September 2014 – Flughafen München – Überraschende Beobachtung

September 2014 – Flughafen München – Ahnungslos

September 2014 – Alessia – Ein Versprechen

Anfang November 2014 – München – Besessenheit

Anfang November 2014 – München – Überraschende Verfügung

Anfang November 2014 – München – Ein Angebot

Anfang November 2014 – Carinas Wohnung – Wieder einmal der Anwalt

Anfang November 2014 – Carinas Wohnung – Stilvolles Geleit

November 2014 – Flughafen München – Unerwartete Einladung

November 2014 – Flughafen München – Endlich die Wahrheit?

November 2014 – Flughafen München – Immer ein Balanceakt

November 2014 – Flughafen München – Abflug ins Ungewisse

November 2014 – Im Flugzeug – Nächtliche Landung

Juli 2005 – In den Bergen von Zarifa – Stiller Abschied

November 2014 – Flughafen von Las Palmas – Ein Kurzurlaub

Juli 2005 – Alessia – Ehrerweisung

November 2014 – Finca – Nachtaktiv

Juli 2005 – Alessia – Vorurteile

November 2014 – Finca – Die Insel und ihre Schönheiten

Juli 2005 – Alessia – Vom Regen in die Traufe

November 2014 – Sonias Haus – Ungewohnter Verlauf eines Besuches

Juli 2005 – Alessia – Eine heiße Spur

November 2014 – Finca – Abwägung von Chancen

Juli 2005 – Alessia – Genug der Höflichkeiten

November 2014 – Finca – Erster Schritt zur Annäherung

Juli 2005 – Alessia – Ein schlechtes Gewissen

November 2014 – Finca – Zurück in die Vergangenheit

Juli 2005 – Alessia – Setzen von Prioritäten

November 2014 – Finca – Drohende Entscheidung

August 2005 – Alessia – Endlich am Ziel

Ende November 2014 – Flughafen München – Die Entscheidung ist gefallen

Ende November 2014 – Flug von München nach Alessia – Aus der Starre erwacht

Ende November 2014 – Ankunft in Alessia – Neue Wege

Anfang Dezember 2014 – Tal von Zarifa – Die Rückkehr nach Zarifa

Anfang Dezember 2014 – Tal von Zarifa – Sinnloses Unterfangen

Anfang Dezember 2014 – München – Das falsche Pferd

Anfang Dezember 2014 – Tal von Zarifa – Gute oder schlechte Nachrichten

Anfang Dezember 2014 – Flughafen München – Sven: ein kurzer bedeutungsloser Flirt

Anfang Dezember 2014 – Flughafen München – Sven: Auf dem Weg zum Erfolg?

Anfang Dezember 2014 – Flughafen München – Sven: Gefallen mit Folgen

Anfang Dezember 2014 – Flughafen Dubai – Sven: Ursache und Wirkung

Ende Januar 2015 – Tal von Zarifa – Hanifs Verzweiflung

Ende Januar 2015 – Tal von Zarifa – Pflichtenthebung

Ende Januar 2015 – Tal von Zarifa – Ruhi schreitet ein

Ende Januar 2015 – Alessia – Offene Aussprache

Ende Januar 2015 – Alessia – Der denkbar ungünstigste Zeitpunkt

01.02.2015 – München – Ein unerwarteter Anruf

01.02.2015 – München – Vorbereitungen für den nächsten Tag und die Zukunft

02.02.2015 – München – Fehleinschätzung

02.02.2015 – München – Treffpunkt zum Showdown

Namensverzeichnis

Vorschau

Impressum neobooks

Vorwort

Indira.jackson@web.de

Irrtum vorbehalten

Alle Rechte bleiben der Autorin vorbehalten.

Alle Namen, Personen und auch die meisten Orte frei erfunden.

Ähnlichkeiten zu realen Personen oder Ereignissen sind rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt.

An meine Fans,

jedes einzelne Exemplar von „Rayan – Sohn der Wüste“, dem ersten Teil meiner Trilogie, das ich als E-Book oder Taschenbuch verkauft habe, hat mich wahnsinnig gefreut. Nicht etwa des Geldes wegen! Glaubt mir, vom Bücherschreiben reich zu werden, ist verdammt schwer …

Nein, es war mir wichtig, dass ich mit jedem Exemplar meine Ideen an Euch vermittle. Beim Lesen taucht ihr in eine von mir erschaffene Welt ein, und ich hoffe, dass es mir gelungen ist, Euch damit zu faszinieren.

Ich habe mich bemüht auch den zweiten Teil genauso spannend und abwechslungsreich zu gestalten, wie den Ersten.

Auch in „Rayan – zwischen zwei Welten“ – gibt es wieder unterschiedliche Handlungsstränge und Zeitebenen. Daher sind auch diesmal erneut die Kapitelüberschriften extrem wichtig! (Das hatte wohl einige Leser im ersten Buch zunächst etwas verwirrt)

Und nun möchte ich Euch nicht länger abhalten, sondern wünsche ich Euch viel Spaß beim Lesen!

Indira Jackson

September 2014 – Flug von Alessia nach London – Traum oder Erinnerung

„Nein!“ Rayan stieß das Wort so plötzlich und heftig aus, dass Hanif vor Schreck fast von seinem Flugzeugsessel aufgesprungen wäre. Sie waren beide an Bord des Learjet von Scheich Rayan Ibn Sedat Suekran al Medina y Nayran und flogen in Richtung London.

Sie würden einen Zwischenstopp in München zum Auftanken machen müssen, hatte der Pilot ihnen vor dem Start gesagt. Die Flugzeit dorthin betrug etwas mehr als sechs Stunden. Sie würden also gegen 20 Uhr dort ankommen. Danach waren es nur noch etwas mehr als eineinhalb Stunden, bis sie in London am Cityairport landen würden.

Seit ihrem eiligen Aufbruch aus Zarifa vor fünf Tagen hatten beide nicht viel Rast gehabt, aber Rayan hatte besonders schlecht geschlafen. Er war erst jetzt, wo sie an Bord und auf dem Weg in Richtung England waren, endlich in einen unruhigen Schlummer gefallen. Einige Minuten lang hatte er noch über Hanifs und Leilas offensichtliche Zuneigung nachgedacht, dann hatte der Schlaf ihn übermannt.

Er hatte bereits einige Minuten vorher undeutliche Worte gemurmelt, doch nun sprach er auf einmal ganz klar. Hanif beugte sich vor, um zu sehen, ob er wach war, aber Rayan war definitiv noch immer im Land der Träume. „Wohl eher ‚Land der Albträume‘ “, dachte Hanif für sich.

Es musste der Stress und die Sorge um seinen Sohn Tahsin sein, die ihn derart zu beunruhigen schien. Denn Hanif hatte bereits so viele Stunden bei ihren unzähligen Ritten durch die Wüste mit Rayan verbracht, auch während dieser schlief, aber niemals hatte er auch nur geschnarcht, geschweige denn während des Schlafes gesprochen.

„ ….kann es nicht sagen, wir werden alle sterben …muss sie beschützen.“ Dann stöhnte er leise und murmelte wieder vor sich hin.

„Aufhören! Es tut so weh …nein nicht das Salz!“

Hanif lief es eiskalt den Rücken herunter. Salz? Zwischen den Wortfetzen die er verstehen konnte, stöhnte Rayan immer wieder und murmelte vor sich hin, doch die letzten Worte waren so deutlich, dass ein Irrtum ausgeschlossen war.

Er überlegte, ob er seinen Freund und Herren wecken sollte, denn dass dies kein angenehmer Traum sein konnte, war ihm klar. Er streckte gerade seine Hand nach Rayan aus, als dieser wieder zu sprechen begann: „Vater! Sag ihnen, sie sollen aufhören! Ich - ich sterbe!“ …und Hanif hielt wie vom Donner gerührt inne, denn nun wusste er, von welchem Ereignis Rayan da träumte.

„Vater, warum hilfst du mir nicht …?“

Noch bevor Hanif sich entscheiden konnte, ob er Rayan nun wecken sollte, schreckte dieser mit einem letzten Laut hoch und wachte auf.

Im ersten Moment wusste Rayan nicht, wo er war. Das passierte ihm nur äußerst selten und war eine Folge des Albtraums, den er gerade gehabt hatte. Er sah sich nach Hanif um, doch der schien zu schlafen.

Vorsichtig stand er aus seinem Sessel auf, er wollte Hanif nicht wecken, denn nach einem Gespräch war ihm jetzt nicht zumute.

Er ging zur kleinen Bar des Fliegers, nahm sich ein paar Eiswürfel in ein Gefäß und etwas Sodawasser.

Seine Hände zitterten leicht beim Einschenken der Flüssigkeit.

Er hob das Glas und hielt kurz an seine Stirn, Rayan fühlte sich, als hätte er Fieber. Er trank einige Schlucke des kalten Getränks und spürte erleichtert, dass er etwas ruhiger wurde.

„Nur ein Traum“, sagte er leise zu sich selbst. Dabei fiel sein Blick in den Spiegel der Bar.

Eine Weile musterte er sich selbst, wie er so dastand. Die teure europäische Kleidung stand ihm gut. Das weiße Hemd betonte die Farbe seines Teints, das Dunkelblau des Anzugs passte hervorragend zum Blau seiner Augen. Diese Augen waren das auffälligste an der ohnehin bemerkenswerten Erscheinung des Scheichs.

Sie waren ein Erbe seiner deutschen Großmutter, der er zusätzlich auch noch seine Sprachbegabung zu verdanken hatte. Denn Rayan sprach mehrere Sprachen fließend. Deutsch unter anderem sogar so gut wie akzentfrei. Meistens ließ er seine Gesprächspartner allerdings über diese Veranlagung im Dunkeln. Er liebte es nicht, zu viele Informationen über sich selbst preiszugeben. Umso interessanter, wenn manche Personen unvorsichtig genug waren, sich in seinem Beisein offen zu unterhalten, weil sie der Meinung waren, er verstünde sie nicht. Am liebsten noch über ihn. Die einfachste, aber äußerst effiziente Methode, ihre wahre Meinung zu erfahren.

Auch sein Körper ließ kaum Wünsche offen: Er war 1,89 m groß und durchtrainiert. Von seinem Vater hatte er das tief dunkelbraune, fast schwarze Haar geerbt. Alles in allem ein Anblick, der es ihm in der Frauenwelt einfach machte, zu bekommen, was er wollte.

Allerdings nicht nur dort. Denn wenn sich der Scheich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es unter Umständen gefährlich, ihm zu widersprechen. Er hatte den Einfluss, die Mittel und vor allem auch die Ausstrahlung, sein Umfeld in seinem Sinne zu beeinflussen.

Gegenüber seinen Feinden galt er als gnadenlos und war daher gefürchtet. Bei seinen Freunden dagegen zeichnete er sich durch Treue und Großzügigkeit aus. Lediglich sein Temperament machte ihm manchmal zu schaffen.

Heute jedoch sah Rayan im Spiegel nur, dass er aufgrund der Strapazen der letzten Tage und der psychischen Anspannung und inneren Unruhe trotz seiner natürlichen Bräune ungewöhnlich blass wirkte und tiefe dunkle Augenringe hatte. Einen Moment schloss er die Lider und sinnierte wieder dem Albtraum nach, den er soeben gehabt hatte. Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass Hanifs ihn beobachtete, was seine Meinung bestätigte, dass dieser sich vorher nur schlafend gestellt hatte.

Ihre Blicke kreuzten sich und dabei realisierte er Hanifs Gesichtsausdruck: Eine Mischung aus Verlegenheit und Entsetzen.

Rayan seufzte und fragte noch immer mit dem Rücken zu Hanif: „Ich habe wohl im Schlaf gesprochen?“, dabei beobachtete er dessen Reaktion. Hanif zögerte einen Moment. „Ja, ihr habt einen sehr unruhigen Schlaf gehabt und Euch hin und her geworfen und auch einiges Unverständliches gemurmelt …“, dabei wurde er leicht rot.

Rayan lächelte sanft: „Seit wann lügst du mich an Hanif?“

Nun glich Hanifs Gesicht der Farbe einer Tomate. „Verzeiht mir Herr, ich wollte nicht …“ Er brach ab, denn er wusste nicht, was er sagen sollte.

Rayan schenkte ein zweites Glas Wasser ein, drehte sich um und ging zu seinem Platz zurück. Er reichte Hanif das Wasser und setzte sich hin.

„Also Hanif, sag mir, was habe ich im Schlaf erzählt?“

Einen Moment lang war Hanif noch verlegen, doch dann setzte er sich gerade hin, schaute Rayan direkt in die Augen und sagte:

„Es war offenbar ein Albtraum. Ihr habt gesagt, dass es wehtut, und ihr es nicht mehr aushalten könnt. Aber müsst, weil Eure Freunde sonst sterben werden. Dann habt ihr mit Eurem Vater gesprochen und ihn angefleht, er möge Euch helfen und ‚sie‘ dazu bringen aufzuhören, weil ihr sonst sterbt.“

Nun war es an Hanif, Rayan prüfend zu beobachten. Dieser entgegnete nichts und sinnierte eine Weile über die Worte seines Freundes. Dann fragte er ihn: „Und was denkst du von diesem Traum?“

Ohne zu zögern antwortete Hanif: „Ich glaube nicht, dass es lediglich ein Traum war – ich bin mir sogar sicher, dass es eine Erinnerung war.“

September 2014 – Flug von Alessia nach London – Bericht aus der Vergangenheit

Rayan nickte und sagte mehr zu sich selbst: „Diesen Albtraum hatte ich schon eine lange Zeit nicht mehr, früher träumte ich ihn allerdings fast jede Nacht. Nur dass ich dieses Mal zum ersten Mal IHN deutlich vor mir gesehen habe.“

Und er versank wieder in seinen Gedanken. Ab und zu nippte er an seinem Wasserglas.

Eine Weile wartete Hanif ab, ob Rayan ihm von sich aus mehr erzählen würde. Dann stellte er fest, dass dieser so tief in Gedanken verloren war, dass er wohl keine weiteren Erklärungen abgeben würde. Es ärgerte ihn, dass Rayan nach all den Jahren über viele Dinge noch immer nicht mit ihm sprach. Also versuchte er, ihn aus der Reserve zu locken: „Ihr habt auch etwas von Salz gesagt – der Wortlaut war in etwa „nein, nicht das Salz.“

Rayan wurde durch die Bemerkung tatsächlich aus seinem Grübeln gerissen, aber statt etwas zu sagen, schaute er ihn eine Weile sinnierend an und Hanif dachte schon, er würde seinen Satz einfach ignorieren. Dann begann er doch noch leise, wie zu sich selbst, zu reden:

„Als mich die Handlanger meines Vaters damals verhört haben, hatten sie eine ganz bestimmte Methode, mit der sie mich zum Reden bringen wollten: immer zehn Peitschenhiebe, danach einen Kübel mit Salzwasser, direkt auf die offenen Wunden, die die Striemen hinterlassen hatten. Dann ließen sie mich stundenlang in der prallen Sonne warten, nur um dann von Neuem zu beginnen.“

Er sagte es bewusst teilnahmslos, beobachtete Hanif dabei jedoch, um dessen Reaktion zu sehen. Der war etwas blass geworden, aber nachdem er die abscheulichen Narben auf Rayans Rücken kannte, hatte er Ähnliches erwartet.

„Ihr sprecht nie über Euren Vater …“, entgegnete Hanif, auch um das Thema zu wechseln.

Rayan lächelte matt: „Das stimmt nicht. Ich spreche nur nicht mit DIR über meinen Vater.“ Wie er erwartet hatte, spiegelte Hanifs Gesicht zuerst Überraschung und dann Kränkung wieder, doch bevor dieser wirklich beleidigt sein konnte, fuhr Rayan fort: „Weißt du, dass ich dich beneide, Hanif?“

Wieder wartete er erst die Reaktion des anderen ab und Hanif fragte erwartungsgemäß überrascht: „Ihr? Mich? Das verstehe ich nicht.“

„Als ich damals von Zarifa weggegangen bin, hatte ich nichts. Manchmal hatte ich noch nicht einmal etwas zu essen und musste tagelang hungern, bis ich genug verdient hatte, um mir Essen zu kaufen. Anderen Males habe ich nur für ein wenig Essen stundenlang gearbeitet. Aber wenn man mich in dieser Zeit gefragt hätte, was ich mir am meisten wünsche, hätte ich die gleiche Antwort wie heute gegeben.“ Vor sich hin sinnierend schwieg er erneut eine ganze Weile. Wieder überlegte Hanif, ob das alles gewesen sei, und holte gerade Luft um etwas zu sagen, da fuhr Rayan leise fort:

„Nach dem Angriff auf deine Familie und dem Tod deines Vaters hat mein Vater dich wie seinen Sohn angenommen. Diese – wie viel? – sechs, sieben Jahre sind es, um die ich dich beneide. Ihr habt gemeinsam gegessen, über alles geredet, gemeinsam gelacht …Wenn ich an die Jahre zurückdenke, bevor ich weggelaufen bin, fallen mir nur Begriffe wie: ‚Unnahbar, unbarmherzig, ehrgeizig, verbittert‘ ein.“

Er hielt inne, machte eine wegwerfende Handbewegung, zuckte die Schultern und fügte hinzu: „Ach was soll‘s – das ist lange her.“ Sein Tonfall machte klar, dass er nicht weiter über das Thema reden wollte.

Hanif war aber entschlossen, sich dieses Mal nicht wieder abspeisen zu lassen und fragte: „Seid ihr deshalb damals weggelaufen?“

Rayan sah ihn prüfend an und antwortete abweisend und mit einem bewusst arroganten Tonfall: „Glaubst du eigentlich, nur weil wir nicht mehr auf dem Boden sind, hat sich etwas geändert? Warum sollte ich dir diese Fragen beantworten wollen?“

Es war klar, dass er Hanif in seine Schranken weißen wollte. Doch dieser hatte mit genau der Reaktion gerechnet. Er kannte sie nur zu gut aus der Vergangenheit. Immer wenn sie dieses Thema anschnitten, baute Rayan eine unüberwindbare Mauer auf. Doch dieses Mal würde er nicht zurückstecken. Vielleicht lag es auch tatsächlich daran, dass sie über den Wolken waren, dass er sich auf einmal traute, auf einer zufriedenstellenden Antwort zu beharren. Er spürte, dass sich ihm eine Chance bot. Daher reagierte er nicht etwa verlegen oder gar beleidigt, sondern bemerkte mit kühlem Kopf:

„Nein, geändert hat sich überhaupt nichts. Ihr seid nach wie vor mein Herr und ich Euch verpflichtet. Doch glaube ich, dass ich nach so vielen Jahren einige Antworten verdient habe …“

Rayan war verblüfft. War Hanif die Höhenluft zu Kopf gestiegen? Seit wann stand es ihm zu, in einem derartigen Tonfall mit ihm zu reden?

Bevor er eine passende Antwort für Hanif parat hatte, fuhr dieser schon fort: „Immer wenn das Thema aufzukommen droht, stoßt ihr mich von Euch. Ihr habt es gerade aber selbst gesagt: Ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu Eurem Vater – und darum habe ich es auch verdient, endlich zu verstehen, was zwischen euch vorgefallen ist.“

Einen Moment lang war Rayan verärgert – musste er sich vor Hanif rechtfertigen? Dann jedoch gestand er sich ein, dass er dem Thema lediglich auswich, weil es ihm unangenehm war. Er wusste, dass es der sehnlichste Wunsch seines Vaters gewesen war, dass sie sich gut verstünden und so etwas wie Brüder würden.

Also zuckte er resignierend die Achseln und fragte Hanif: „Bist du sicher, dass du das alles wissen willst? Ich möchte nicht deine guten Erinnerungen an meinen Vater mit schlechten Gedanken vergiften. Du musst das verstehen: Ich habe dir gerade gestanden, dass ich dich um die schönen Jahre mit meinem Vater beneide. Gerade deshalb will ich nicht derjenige sein, der nun ein ungünstiges Licht auf ihn wirft. Man redet nicht schlecht über die Toten.“

Doch Hanif nickte überzeugt: „Ich möchte es endlich verstehen.“

Also begann Rayan zu erzählen: „Die einzigen schönen Erinnerungen, die ich an meinen Vater habe, stammen aus der Zeit vor dem Tod meiner Mutter. Da war ich keine sieben Jahre alt. Ab diesem Moment hat sich alles verändert.

Freunde hatte ich nie welche, denn ich war für alle nur der Ehrgeizling, der immer alle übertreffen musste, immer besser als die anderen sein wollte. Wie habe ich das gehasst! Aber das war IHM egal.

Wenn du ehrlich bist, hast du mich auch so gesehen, nicht wahr?“

Hanif nickte verlegen. Er konnte sich gut an seine Kindheitserlebnisse mit Rayan erinnern.

Rayan nickte zufrieden über diese Bestätigung und fuhr fort: „Doch das war niemals ich selbst – es war ER, der mich dazu gezwungen hat.“

Er hielt wieder einen kurzen Moment inne, als überlege er seine nächsten Worte. „Du hast mich vor einigen Jahren einmal gefragt, warum ich mein Büro in Zarifa oben im ersten Stock habe, wenn doch die Bibliothek unten viel größer ist und mehr Platz bieten würde. Die Antwort lautet: weil ich diesen Raum hasse! Es ist das ehemalige Büro meines Vaters. Dort war ich damals nur aus einem einzigen Grund: weil er mich zu sich befehlen ließ. Um mir zu sagen, wo ich versagt hatte und welche Strafe er sich deshalb für mich ausgedacht hat. Er war darin sehr erfinderisch. All die Male, als ich nicht zusammen mit den anderen Jungen meines Alters an Ausflügen oder anderen Aktionen teilnehmen durfte. Und dann ließ er mich von seinem persönlichen Diener verprügeln. Er machte sich nie selbst die Hände schmutzig. Ich kann und will mich nicht mehr daran erinnern, wie viele Male ich noch am folgenden Tag kaum laufen konnte …und so begann ich bald nicht nur den Raum, sondern IHN zu hassen.

Der Tag, an dem ich weggelaufen bin, ist mir noch gut in Erinnerung. Ich hatte beim Kampftraining wieder einmal nicht gut genug abgeschnitten. Zwar war ich der Schnellste beim Laufen, doch hatte ich vor lauter Eile zu oft danebengeschossen. Als Strafe sollte ich die Ställe ausmisten, anstatt mit den anderen Jungen einen schon lange geplanten Ausflug zu machen. Ich wäre - wie so oft - der Einzige gewesen, der nicht dabei war und alle hätten - wieder einmal! - gedacht, ich wäre zu arrogant, um mitzukommen. Da ist etwas in mir zerbrochen. Ich denke, es war das letzte bisschen Respekt, das ich noch vor ihm hatte. Ich habe ihn angeschrien. Vor seinen Männern. Ein böser Fehler! Das Andenken an die Ohrfeige die er mir versetzt hat, habe ich noch heute im Gesicht. Von seinem Rubinring.“ Rayan wies mit dem Zeigefinger auf die etwa einen Zentimeter lange strichförmige Narbe auf seiner rechten Wange.

„Für den nächsten Morgen hat er mir dann wieder eine unserer ‘speziellen ‚Unterredungen‘ angekündigt. In dieser Nacht habe ich meine Sachen gepackt und bin gegangen. Und ich hatte nicht die Absicht, jemals zurückzukehren.“

Lange Zeit schwiegen beide. Hanif versuchte, sich vorzustellen, was er getan hätte. Außerdem dachte er an seine Zeit mit Scheich Sedat Suekran zurück. Wie anders war er dieser zu ihm gewesen!

Da fühlte er den prüfenden Blick Rayans auf sich und sah auf, er lächelte seinen Herren an: „Ich danke Euch für das Vertrauen, dass ihr mir diese Geschichte erzählt habt. Es bedeutet mir viel.“ Und das meinte er auch genauso, wie er es sagte.

3,99 €
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Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
451 S. 2 Illustrationen
ISBN:
9783738020984
Verleger:
Rechteinhaber:
Bookwire
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