Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band

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Zeuge: Ich würde ihn trotzdem für geisteskrank erklären, da er unaufhörlich von Verfolgungen und Komplotten sprach. Das ist ein Schulbeispiel für Geistesgestörtheit.

Es wurde darauf das Attest des Kreisarztes verlesen, auf Grund dessen die Aufnahme in das Irrenhaus erfolgte.

Kreisarzt Dr. la Roche wiederholte: Lubecki habe auf ihn einen psychopathischen Eindruck gemacht.

Vert.: Haben Sie Veranlassung genommen, mit dem Hausarzt des Herrn Lubecki, der ihn seit 17 Jahren behandelte, Rücksprache zu nehmen?

Zeuge: Nein, ich war der Meinung, Sanitätsrat Dr. Locke sei der Hausarzt, dieser war aber nicht zu Hause.

Vert.: Herr Medizinalrat! Jeder Arzt kann sich irren. Haben Sie kein Bedenken, wenn Sie hören, daß der langjährige Hausarzt niemals das geringste an Lubecki wahrgenommen hat, das auf Geistesgestörtheit schließen ließ?

Zeuge: Das kann mich in meinem Urteil nicht beeinflussen.

Vert.: Das sagen Sie, obwohl Sie den Mann niemals körperlich untersucht haben?

Zeuge: Jawohl.

Vert.: Haben Sie nach der Krankheitsgeschichte des Lubecki gefragt?

Zeuge: Das hielt ich nicht für notwendig, ich wußte, daß Lubecki aus einer gesunden Familie stammte.

Vert.: Haben Sie die Pupille des Lubecki untersucht, haben Sie Sprachstörungen oder Schreibfehler festgestellt?

Zeuge: In dieser Beziehung war alles ausgezeichnet.

Vert.: Und trotzdem hielten Sie den Mann für derartig geistesgestört, daß er aus der Liste der Lebenden gestrichen werden sollte?

Zeuge: Jawohl.

Angeklagter Schneidt: Aus der Vernehmung des Herrn Medizinalrats ist zu entnehmen, daß Lubecki wider seinen Willen in die Irrenanstalt gesperrt worden ist; etwas anderes habe ich in dem Artikel nicht behauptet.

Am zweiten Verhandlungstage wurde nochmals Frau Lubecki als Zeugin vernommen. Sie bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Sie habe lediglich die Verpflegungskosten für ihren Mann in der Irrenanstalt Leubus bezahlt. Sie hatte auch nur das Interesse, ihren Mann so schnell als möglich wieder herauszubekommen. Nochmals versicherte sie, daß es erst, nachdem ihr Mann in Leubus war, zu Liebeleien zwischen ihr und Dieterichs gekommen sei. Es seien aber nur Zärtlichkeiten ausgetauscht worden. Sie habe am Tage vor der Entlassung ihres Gatten aus Leubus mit Dieterichs einen Vertrag geschlossen, wonach letzterer, im Falle er von ihrem Gatten entlassen werde, von ihr eine Remuneration erhalten solle.

Verteidiger R.-A. Dr. Halpert: Er wolle glauben, daß zwischen der Zeugin und Dieterichs nur Zärtlichkeiten ausgetauscht worden seien. An der Aufklärung dieser Frage habe er nur das Interesse, um den angeblichen Eifersuchtswahn des Lubecki festzustellen.

Es wurde alsdann Geschäftsführer Dieterichs, Beuthen, Oberschlesien, ein großer, stattlicher, dunkelblonder Mann mit schöngepflegtem Schnurrbart, als Zeuge in den Saal gerufen. Er sei Geschäftsführer bei Lubecki gewesen. Als Lubecki nach Leubus kam, sei er (Zeuge) 25 Jahre alt gewesen. Frau Lubecki habe, nachdem ihr Mann nach Leubus gekommen war, heftig geweint und große Besorgnis wegen der Fortführung des Geschäfts geäußert. Er habe Frau Lubecki getröstet. Bei dieser Gelegenheit sei es zwischen ihm und Frau Lubecki zu Zärtlichkeiten gekommen.

Vors.: Sie sollen zu einem Freund gesagt haben: »Ich kann mich vor der Frau gar nicht retten!«

Zeuge: Das ist mir nicht erinnerlich, ich glaube auch nicht, daß ich das gesagt habe.

Vors.: Der betreffende Mann ist Ihr Freund, er hat doch kein Interesse, in dieser Beziehung eine Unwahrheit zu sagen?

Zeuge (zögernd): Ich glaube nicht, eine solche Äußerung getan zu haben.

Vors.: Sie können sich also an eine solche Äußerung nicht erinnern?

Zeuge: Nein.

Vors.: Hielten Sie Lubecki, ehe er nach Leubus kam, für geistesgestört?

Zeuge: Das kann ich nicht sagen, jedenfalls war Herr Lubecki in einer Weise nervös, wie es mir noch niemals vorgekommen war.

Vors.: Befand er sich nach Ihrer Meinung in einem Zustande, daß er für seine Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden konnte?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Ist Ihnen bekannt, daß Herr Lubecki mit 50 Mark angefangen und in verhältnismäßig kurzer Zeit ein Vermögen von 2-300000 Mark hatte?

Zeuge: Das habe ich gehört. Als Herr Lubecki aber nach Leubus kam, war das Geschäft schon sehr wesentlich zurückgegangen.

Auf Befragen des Verteidigers R.-A. Dr. Halpert gab der Zeuge zu: Am Tage vor der Entlassung des Lubecki aus Leubus habe er mit Frau Lubecki einen Vertrag geschlossen, wonach er im Falle seiner Entlassung von seiten des Ehemannes das Gehalt für vier Monate und eine Entschädigung von 500 Mark zu erhalten habe. Kaufmann Erdrink: Dieterichs habe ihm einmal erzählt, Frau Lubecki verfolge ihn mit Liebesanträgen. Wenn sie wenigstens ein hübsches Weib wäre, würde er darauf eingehen, er könnte alsdann alles erreichen. Dieterichs galt allerdings in dieser Beziehung als großer Renommist.

Direktor der Leubuser Provinzial-Irrenanstalt, Geh. Sanitätsrat Dr. Alter bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei, als Lubecki am 7. September 1905 nach Leubus kam, auf Urlaub gewesen. Daß die Aufnahme in vollständig korrekter Weise erfolgt sei, werde Landesrat Schölzel, Breslau, der im Auftrage des Landeshauptmanns der Provinz Schlesien der Verhandlung beiwohnte, zweifellos bestätigen.

Verteidiger R.-A. Dr. Halpert: Nach dieser Bemerkung halte ich es für wahrscheinlich, daß Herr Landesrat Schölzel als Zeuge vernommen werden wird. Da laut Strafprozeßordnung die Beweisaufnahme in Abwesenheit der Zeugen geführt werden muß, beantrage ich, den Herrn Landesrat zu ersuchen, den Saal zu verlassen.

Angeklagter Schneidt: Ich schließe mich dem Antrage meines Herrn Verteidigers an, da ich ausdrücklich die Vernehmung des Herrn Landesrats beantrage, um festzustellen, ob Herr Lubecki in korrekter Weise in die Irrenanstalt Leubus eingesperrt worden ist.

Der Gerichtshof beschloß, den Landesrat Schölzel sofort als Zeugen zu vernehmen.

Landesrat Schölzel: Er sei 23 Jahre praktischer Jurist gewesen und seit fünf Jahren Mitglied der Provinzialverwaltung der Provinz Schlesien. Die öffentlichen Irrenanstalten unterstehen, laut gesetzlicher Bestimmungen, den Provinzialverwaltungen. Die Bestimmungen über die Unterbringung Geisteskranker in die Irrenanstalten sind in jeder Provinz verschieden. In der Provinz Schlesien gibt es augenblicklich über 9000 Geisteskranke. Die große Mehrheit der Geisteskranken werden vom Landarmenverband bzw. Ortsarmenverband überwiesen. Die Aufnahme in eine Irrenanstalt darf nach den gesetzlichen Bestimmungen nur erfolgen, wenn entweder der Kranke oder dessen gesetzlicher Pfleger damit einverstanden ist. Beides ist aber fast niemals der Fall, da einmal der Kranke fast niemals in der Lage ist, eine solche Erklärung abzugeben und ein gerichtlicher Pfleger fast niemals bei der Aufnahme vorhanden ist. Wir veranlassen die Aufnahme, sobald sie von seiten des Landarmen- oder Ortsarmenverbandes und der Polizeibehörde als dringend bezeichnet wird. Wir veranlassen alsdann ungesäumt die Ernennung eines gerichtlichen Pflegers und holen die Genehmigung des letzteren ein. Bei vermögenden Geisteskranken genügt die Zustimmung des Kranken oder seines gesetzlichen Pflegers. Wenn der Kranke nicht mehr in der Lage ist, eine solche Erklärung abzugeben und ein gesetzlicher Pfleger noch nicht vorhanden ist, dann kann die Aufnahme erfolgen, wenn ein Physikatsattest und ein Polizeiattest die Aufnahme als notwendig bezeichnen. Im vorliegenden Falle hatte der Kranke selbst sein Einverständnis mit der Aufnahme gegeben.

Vert.: Hatte der Schwager, der Herrn Lubecki nach Leubus gebracht hatte, die Berechtigung, die Aufnahme zu beantragen?

Zeuge: Keineswegs. Mit dem Schwager wurde ja auch nur ein Vertrag geschlossen, um eine Person zu haben, an die man sich wegen der zu zahlenden Verpflegungskosten halten konnte.

Vert.: Herr Landesrat, Sie haben der Verhandlung beigewohnt und gehört, daß die Eheleute Lubecki beide der Ansicht waren, Leubus sei ein Privatpensionat. Halten Sie alsdann nicht eine Täuschung für vorliegend?

Zeuge: Ich nehme an, daß die Genehmigung von seiten Lubeckis in Leubus erfolgt ist. Lubecki hat doch wohl gesehen und sehen müssen, daß Leubus eine Irrenanstalt ist.

Vert.: In dem Physikatsattest wird Lubecki als geisteskrank erklärt, durfte alsdann seine Erklärung um Aufnahme als gültig angesehen werden?

Zeuge: Lubecki war vollständig verfügungsfähig.

Vert.: Ist die Verwaltung einer Irrenanstalt befugt, Briefe und Anträge eines Kranken zurückzuhalten?

Zeuge: Über die Beförderung von Briefen von Kranken hat die Irrenhausverwaltung zu befinden. Dagegen müssen Anträge, wenn nicht etwa eine Querulanz festgestellt ist, weitergegeben werden. Nur wenn alle Instanzen aus den gestellten Anträgen die Gewißheit erlangen, daß der Kranke Querulant sei, ist die Irrenhausverwaltung berechtigt, die Anträge zurückzubehalten.

Vert.: Sachgemäße Anträge müssen also unter allen Umständen weitergegeben werden?

Zeuge: Jawohl.

Der Verteidiger richtete noch eine Reihe Fragen an den Zeugen, wobei die Ansichten beider auseinandergingen. Vors.: Sie sind ja beide Juristen, da ist es eigentlich selbstverständlich, daß die Ansichten zwischen beiden Herren verschieden sind. (Allgemeine Heiterkeit.)

 

Landesrat Schölzel bemerkte im weiteren auf Befragen des Vorsitzenden: Leubus gelte allgemein als die beste Irrenanstalt in Schlesien.

Geh. Sanitätsrat Dr. Alter bekundete darauf: Der Zustand des Lubecki war derartig, daß Bettruhe und Bäder geboten waren. Das ist die mildeste Form von Beruhigungsmitteln. Ich muß es als vollständig unwahr bezeichnen, daß Bäder als Strafmittel verordnet und von den Kranken als besonderes Strafmittel gefürchtet werden. Die Bäder werden lediglich als therapeutische Mittel angewendet. Im Oktober besserte sich der Zustand Lubeckis; es wurde daher in Aussicht genommen, ihn Ende November zu entlassen. Wir rieten der Frau Lubecki, den Mann in ein offenes Sanatorium zu geben und schlugen Wölfelsgrund vor. Weshalb Lubecki nicht den Landeshauptmann zu sprechen bekam, ist mir nicht mehr erinnerlich. Der Landeshauptmann inspiziert alljährlich zweimal die Anstalt. Sobald der Besuch angekündigt ist, werden die Oberpfleger aufgefordert, eine Liste derjenigen Kranken aufzustellen, die den Landeshauptmann, zu sprechen wünschen. Wenn aber der Landeshauptmann von einzelnen Kranken zu lange in Anspruch genommen wird, dann kann er aus Mangel an Zeit nicht zu allen Kranken kommen, die ihn zu sprechen wünschen. Er kann auch nicht immer alle Abteilungen inspizieren. Daß Lubecki während der Anwesenheit des Landeshauptmanns extra eingeschlossen wurde, ist unwahr. Lubecki hatte am 30. September einen Fluchtversuch unternommen; es wurden ihm deshalb, wie dies bei Fluchtversuchen immer geschieht, die Kleider fortgenommen und er in eine besondere Beobachtungsstation gebracht. Das geschah aber keineswegs aus Anlaß des Besuches des Landeshauptmanns.

Vors.: Der Oberarzt Herr Dr. von Kunowski ist Ihr Schwiegersohn und Herr Dr. Alter junior Ihr Sohn?

Zeuge: Jawohl, mein Sohn ist inzwischen Direktor der Fürstlich Lippe-Detmoldschen Landes-Irrenanstalt geworden.

Vors.: Ich bin zu meinem Bedauern genötigt, Ihnen die Frage vorzulegen: Erhalten die Ärzte außer ihrem Gehalt eine Remuneration?

Zeuge: Keinen Pfennig. Ich will mitteilen, daß eines Tages meinem Sohn von Angehörigen eines Pensionärs (nicht von der Familie Lubecki) 500 Mark zugesandt wurden. Mein Sohn hat das Geld sofort zurückgesandt. Auf weiteres Befragen bemerkte der Zeuge: Ein Pfleger komme bei den Pensionären, d.h. den Kranken, die aus eigenen Mitteln Bezahlung leisten, gewöhnlich auf drei Kranke. Pfleger seien zumeist Reservisten, die, sobald sie vom Militär kommen, in der Anstalt ausgebildet werden. Die Pfleger der Pensionäre seien aber zumeist ältere Leute.

Briefe von Kranken werden von diesen dem Oberpfleger übergeben, letzterer übergibt sie der Verwaltung. Die Briefe werden gewöhnlich befördert; wenn sie aber geschrieben sind, um die Entlassung zu bewirken und letztere in Aussicht genommen ist, dann werden sie zumeist nicht befördert.

Hierauf wurden die Briefe verlesen, die Lubecki an den Landeshauptmann, an den Justizrat Kaiser in Beuthen, Oberschlesien, und an seinen Schwager, den Rittergutsbesitzer Albrecht, gerichtet hatte. In allen diesen Briefen beteuerte Lubecki, daß er widerrechtlich in Leubus interniert, und, da er nicht geisteskrank sei, bitte er, seine Freilassung zu bewirken.

Geheimrat Dr. Alter: Da die Ankunft des Landeshauptmanns angekündigt war, wurden die Briefe nicht befördert.

Vors.: Weshalb sind die Briefe an Justizrat Kaiser und den Rittergutsbesitzer Albrecht nicht befördert worden?

Zeuge: Weil die Ankunft des Herrn Landeshauptmanns angekündigt war.

Vors.: Das ist doch aber absolut nicht gerechtfertigt, der Mann verlangte doch Hilfe von außen. Sie haben also auch den Brief an Justizrat Kaiser nicht befördert?

Zeuge: Nein, das hielt ich aus den angeführten Gründen nicht für nötig. (Heiterkeit im Zuhörerraum.)

Vors.: Ich muß dringend um Ruhe bitten. Sollte sich ein derartiger Vorgang wiederholen, dann werde ich den Zuhörerraum sofort räumen lassen. Herr Geheimrat, wenn die Ankunft des Herrn Landeshauptmanns nicht angekündigt gewesen wäre, wären die Briefe alsdann befördert worden?

Zeuge: Jawohl.

Vert.: Weshalb ist nun Herr Lubecki dem Herrn Landeshauptmann nicht vorgestellt worden?

Zeuge: Das weiß ich nicht mehr.

Angeklagter Schneidt: Wäre es nicht besondere Pflicht der Anstaltsverwaltung gewesen, gerade Herrn Lubecki, der so viele Anträge auf Entlassung gestellt hatte, dem Herrn Landeshauptmann vorzuführen?

Vors.: Der Herr Zeuge hat bereits erklärt, er erinnere sich nicht, weshalb dies nicht geschehen sei.

Auf weiteres Befragen des Verteidigers bemerkte der Zeuge: Lubecki habe an Affektpsychose auf neuropathischer Grundlage gelitten. Es sei wohl der Verdacht der Paralyse entstanden, dieser Verdacht habe sich aber nicht bestätigt.

Vert.: Sie haben in der Hauptsache die Verrücktheit des Herrn Lubecki auf den Eifersuchtswahn aufgebaut?

Zeuge: Für uns war in der Hauptsache maßgebend, in welcher Weise sich der Eifersuchtswahn äußerte.

Vert.: Wenn Sie nun hören, daß die Eifersucht berechtigt war, halten Sie alsdann an dem Krankheitsbild fest?

Zeuge: Ich habe bereits gesagt, wir haben der Eifersucht wenig Wert beigelegt.

Vert.: Haben Sie an Lubecki einmal einen Tobsuchtsanfall wahrgenommen?

Zeuge: Lubecki war wohl sehr aufgeregt, einen direkten Tobsuchtsanfall haben wir nicht wahrgenommen.

Vert.: Sie sollen einmal angeordnet haben, daß Lubecki mit Schwerkranken zusammen ins Bad gesteckt werde? Diese Kranken sollen Lubecki mit ekelhaftem Schmutz beworfen haben. Lubecki soll aus diesem Anlaß geweint haben. Darauf sollen Sie gesagt haben: Ein Mann, welcher weint, gehört ins Irrenhaus. (Große Bewegung im Zuhörerraum.)

Zeuge: Ich glaube nicht, daß ich das gesagt habe.

Vert.: Sie geben aber die Möglichkeit zu, eine solche Äußerung getan zu haben?

Zeuge (nach einigem Zögern): Nein, ich halte es für ausgeschlossen. Der Zeuge bekundete im weiteren auf Befragen: Die Bäder haben einen Wärmegrad von 340 C. Lubecki wurde im Höchstfalle 13 Stunden im Bad gehalten, andere Kranke bisweilen mehrere Tage und Nächte. Die Kranken essen, schlafen, lesen und spielen Skat in der Wanne. Er gebe zu, daß den Kranken das Baden oftmals unangenehm sei. Es gebe eben verschieden ärztliche Verordnungen, die Kranke unangenehm berühren. Medizin sei zumeist bitter.

Auf Befragen des Verteidigers bemerkte der Zeuge: Man kann den Krankheitszustand des Lubecki mit Stimmungsirrsinn übersetzen.

Staatsanwalt Dr. Rasch: Er sei der Meinung, daß die Beförderung der Briefe vom Irrenhausinsassen der diskretionären Gewalt der Direktion unterstellt sei.

Verteidiger R.-A. Dr. Halpert (mit erhobener Stimme): Ich protestiere mit voller Entschiedenheit gegen diese Behauptung des Herrn Staatsanwalts. Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, daß Briefe von Irrenhausinsassen auf alle Fälle befördert werden müssen. Es ist ein Irrtum von Herrn Medizinalrat Dr. Leppmann, wenn er diese Verpflichtung nicht anerkennt, weil im Reglement hierüber keine Bestimmung enthalten ist. Wo eine klare gesetzliche Bestimmung vorhanden ist, bedarf es keiner Reglementsbestimmung. Herr Geheimrat, sind Sie der Meinung, daß es dem Kranken zur Beruhigung dient, wenn er wider seinen Willen stundenlang in ein Bad gesteckt wird, das er als Strafmittel betrachtet?

Zeuge: Ich habe bereits gesagt, daß das Bad kein Strafmittel ist, wenn es auch von den Kranken als solches angesehen wird, es ist trotzdem ein Beruhigungsmittel.

Vert.: Haben Sie Wahrnehmungen gemacht, daß Lubecki Trinker war?

Zeuge: Nein.

Vert.: Hätten sich nicht Abstinenzerscheinungen ergeben müssen, wenn Lubecki Trinker gewesen wäre?

Zeuge: Bei nur mäßigen Trinkern sind Abstinenzerscheinungen nicht wahrzunehmen.

Vert.: Ist auch ein mäßiger Trinker als Alkoholiker zu bezeichnen?

Zeuge: Das kommt ganz auf die körperliche Beschaffenheit des Individuums an.

Dr. med Przybilski, Beuthen, Oberschlesien: Er sei 17 Jahre Hausarzt bei Lubecki gewesen und habe niemals irgendeine Wahrnehmung gemacht, die auf Geistesgestörtheit schließen ließ. Er sei daher ungemein erstaunt gewesen, als er hörte, Lubecki sei nach Leubus gebracht worden. Auf weiteres Befragen, des Verteidigers äußerte der Zeuge: Lubecki sei wohl sehr lebhaften Temperaments, von einem Irrsinn habe er aber niemals das geringste wahrgenommen. Auf Befragen des Vorsitzenden bestritt der Zeuge, mit Frau Lubecki irgendwelche unlautere Beziehungen unterhalten zu haben. Auf Ansuchen der Frau Lubecki habe er an die Anstaltsdirektion in Leubus geschrieben: Auf Grund von Mitteilungen der Frau Lubecki und seiner eigenen Beobachtung fühle er sich veranlaßt, der Anstaltsdirektion anzuzeigen, daß Lubecki ungemein nervös, sinnlich erregt, Trinker sei und an Eifersuchtswahn leide. Lubecki habe auch an Tobsuchtsanfällen gelitten. Ein anderes Mal habe er der Anstaltsdirektion geschrieben: »Ich höre von den Angehörigen Lubeckis, daß letzterer entlassen werden solle; ich kann dies nicht billigen.«

Vors.: Diese beiden Briefe haben Sie nicht auf Grund Ihrer eigenen Beobachtungen geschrieben?

Zeuge: Nein, lediglich auf Grund von Mitteilungen der Frau Lubecki. (Große Bewegung im Zuhörerraum.)

Vors.: Sie hielten die Angaben der Frau Lubecki für wahr?

Zeuge: Allerdings.

Vert.: Und Sie hielten es mit Ihrem Gewissen für vereinbar, auf bloße Angaben der Frau Lubecki derartige Briefe an die Anstaltsdirektion zu schreiben?

Dr. Przybilski: Ich hielt eben die Angaben der Frau Lubecki für wahr.

Vert.: Der Anstaltsdirektion war es bekannt, daß Sie 17 Jahre Hausarzt des Lubecki waren; hat die Direktion jemals Veranlassung genommen, sich bei Ihnen nach dem Krankheitszustande des Lubecki zu erkundigen?

Zeuge: Nein.

Oberarzt Dr. v. Kunowski: Am 7. September 1905 habe er Lubecki aufgenommen. Als Grundlage galt ihm das Physikatsattest, das Polizeiattest und insbesondere das Einverständnis Lubeckis selbst. Dieser konnte über den Charakter der Anstalt nicht einen Augenblick im Zweifel sein. Die Leubuser Anstalt sei in Schlesien ebenso als Irrenanstalt bekannt, wie in Berlin Dalldorf. Lubecki habe auch sofort sehen müssen, daß er sich in einer geschlossenen Irrenanstalt befinde. Er hatte sich ausdrücklich einverstanden erklärt, in der Anstalt zu bleiben. Bisweilen war Lubecki sehr niedergeschlagen, wälzte sich an der Erde, weinte wie ein Kind, klagte, daß er finanziell ruiniert sei und daß er seiner Frau schweres Unrecht getan habe; seine Frau sei ein Engel. Bald darauf schimpfte er wieder auf seine Frau. Dann war er wieder in ungemein gehobener Stimmung, er hatte die kühnsten Pläne. Außerdem belästigte er vielfach die anderen Kranken mit seinen Klagen, so daß sich diese beschwerten. Die ganze Physiognomie und das Verhalten des L. ließen keinen Zweifel, daß der Mann geistesgestört war. Zur Beruhigung mußten ihm Bettruhe und warme Bäder verordnet werden. Weshalb er nicht dem Landeshauptmann vorgestellt wurde, sei ihm nicht erinnerlich; irgendein Grund habe jedenfalls nicht vorgelegen. Er müsse hierbei bemerken, daß er niemals von irgendeiner Seite eine Remuneration erhalten habe. Die Anstaltsverwaltung habe nicht die Verpflichtung, sämtliche Briefe der Kranken zu befördern. Wenn die Anstaltsverwaltung wisse, daß die Behörden von Kranken mit Briefen überschwemmt werden, oder wenn Aussicht vorhanden sei, daß der Kranke bald entlassen werde, dann werden Briefe nicht befördert.

Vert.: Diese beiden Fälle treffen aber zum mindesten bei den Briefen an Justizrat Kaiser und den Rittergutsbesitzer Albrecht nicht zu. Weshalb sind nicht wenigstens diese Briefe befördert worden? Dagegen ein Brief Lubeckis an seine Frau, in dem er zugab, geisteskrank zu sein und in der Anstalt bleiben zu wollen? In diesem Briefe hatte Lubecki nämlich simuliert.

Zeuge: Ich kann nur wiederholen, die Verwaltung hat nicht die Pflicht, alle Briefe von Kranken zu befördern.

 

Oberarzt Dr. Blumreich, Sorau, Oberschlesien Lubecki sei freiwillig zwecks Beobachtung seines Geisteszustandes in seine Anstalt gekommen. Er habe ihn vierzehn Tage lang beobachtet und weder eine Wahnidee noch Halluzinationen an ihm wahrgenommen.

Rittergutsbesitzer Albrecht: Er sei der Schwager Lubeckis. Er habe eine Schwester des letzteren zur Frau. Lubecki habe sich in der letzten Zeit derartig aufgeführt, daß er ihn für geistesgestört gehalten habe. Er habe geradezu an Eifersuchtswahn gelitten und befürchtet, seine Frau könne ihm den Hals abschneiden oder ihn vergiften. Er habe weder geschlafen noch etwas in seiner Behausung gegessen. Deshalb habe er den Kreisarzt rufen lassen und sei auch damit einverstanden gewesen, daß Lubecki in eine Irrenanstalt komme. Medizinalrat Dr. la Roche habe ausdrücklich gesagt: Gehen Sie nach Leubus, das ist eine Provinzial-Irrenanstalt, von dort können Sie jederzeit entlassen werden, da die Leute nicht so interessiert sind als Privatanstalten. Sie können ja ins Pensionat gehen, ein solches ist mit der Irrenanstalt verbunden. Lubecki, der ehemals ein sehr reicher Mann war, habe, als er nach Leubus ging, weder Holz noch einen Pfennig Geld im Hause gehabt. Er habe dem Lubecki 20000 Mark geliehen und ihn, da er das Geld nicht zurückerhalten konnte, verklagt. Lubecki habe eine Gegenklage auf Zahlung von 51000 M. gegen ihn angestrengt, da er ihn dadurch, daß er seine Unterbringung in Leubus veranlaßte, finanziell ruiniert habe.

Am dritten Verhandlungstage wurde nochmals Frau Lubecki vernommen. Ihr Mann habe sie im Juni 1905 sehr heftig geschlagen, so daß ihr die Haarnadeln verbogen wurden und sie aus Nase und Mund heftig geblutet habe. Am folgenden Tage habe ihr Mann sie unter Weinen und in kniefälliger Weise

um Verzeihung gebeten.

Am dritten Tage habe er sie wieder heftig geschlagen. Bei diesen Vorkommnissen habe er zugegeben, mit dem Dienstmädchen Verkehr gehabt zu haben. Das Mädchen habe behauptet, er habe sie gezwungen. Das Verhalten des Mannes war derartig, daß sie und viele andere Leute an seiner geistigen Gesundheit zweifelten. Sie habe dem Manne gesagt, es müsse ein Arzt zu Rate gezogen werden. Ihr Mann habe versetzt: Aber lasse um Gotteswillen nicht Dr. Przybilski holen, der läßt mich sofort ins Irrenhaus sperren. Ihre Verwandten sagten zu ihr: Du wirst noch so lange warten, bis ein Unglück passiert sein wird. Sie habe sich schließlich an den Kreisarzt gewandt. Als ihr Mann aus Leubus kam, habe er sie wiederum heftig geschlagen. Dasselbe habe er getan, als er aus Sorau kam, und zwar habe er damals ein Verhalten an den Tag gelegt, daß sie ernstlich in Erwägung gezogen habe,

ob sie nicht von neuem den Antrag stellen solle, ihn ins Irrenhaus zu bringen.

Der Mann habe sie alttestamentarische H ... genannt, die auf dem Ringe von zwei Pferden auseinandergerissen werden müßte. Er habe ihr ins Gesicht gespuckt und gesagt: »Der kleine Paul muß sterben, denn sein Vater hat mit dir H ..... getrieben.« Einige Tage darauf stand ihr Mann am Fenster. Als sie vorüberging, steckte er ganz weit die Zunge heraus. Von diesem Augenblick hatte sie die Überzeugung, daß es mit ihrem Manne noch viel schlimmer geworden sei.

Vert.: Ich beantrage, zunächst Herrn Lubecki bezüglich dieser Aussagen zu vernehmen und ferner: das Dienstmädchen, das damals bei Lubecki war, als Zeugin zu laden. Ich werde dieser betreffs der Glaubwürdigkeit der Frau Lubecki eine Reihe Fragen vorlegen.

Lubecki bestritt die Richtigkeit der Aussagen seiner geschiedenen Frau. Als ich aus Leubus kam, fragte ich meine Frau, ob sie mich noch liebe; da sie dies verneinte und offen bekannte, sie liebe Dieterich, habe ich ihr ins Gesicht gespuckt und gesagt: Du bist nicht wert, daß ich dich Frau nenne. Geschlagen habe ich meine Frau überhaupt nicht, zumal ich gar kein Interesse mehr an ihr hatte. Aber ich muß bekennen, daß ich, wo ich sie auch traf, ihr ins Gesicht gespuckt habe. Im November 1905 sollte ich aus Leubus entlassen werden. Als mir der Oberarzt, Dr. v. Kunowski, auf mein Befragen erklärte: der Beschluß bezüglich meiner Entlassung sei aufgehoben, sagte ich: Aber, Herr Oberarzt, ich bin doch nicht verrückt. Der Oberarzt erwiderte: Das wissen Sie eben nicht und Unkenntnis des Gesetzes schützt vor Strafe nicht! (Bewegung im Zuhörerraum.) Herr Oberarzt, versetzte ich, ich bin doch kein Verbrecher; ich habe doch zum mindesten den Anspruch, als Kranker und nicht als Sträfling behandelt zu werden. Der Oberarzt drehte mir den Rücken und entfernte sich.

Angeklagter Schneidt: Frau Lubecki, ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß Ihr Mann während der ganzen Verhandlung, selbst als die schlimmsten Dinge über ihn und seine Familie vorgebracht wurden,

eine eisige Ruhe

bewahrt hat, während Sie mehrfach dazwischenriefen, so daß Sie wiederholt vom Herrn Vorsitzenden zur Ruhe ermahnt werden mußten?

Zeugin: Davon verstehe ich nichts, ich bin nicht Psychiater.

Schneidt: Ist es wahr, daß, obwohl Sie gehört haben, Dieterichs habe gesagt: Frau Lubecki verfolgt mich mit Liebesanträgen, sie ist mir aber zu häßlich, Sie trotzdem Freitag und Sonnabend während der Pausen mit Dieterichs in einer gegenüber dem Gerichtsgebäude gelegenen Restauration zusammen gegessen und sich freundschaftlich unterhalten haben?

Zeugin: Das ist richtig, freundschaftlich habe ich mich aber nicht mit Dieterichs unterhalten.

Kaufmann Paul Lubecki, Beuthen, Oberschlesien: Er habe längere Zeit mit seinem Bruder einen Kolportage-Buchhandel betrieben. Das Geschäft sei sehr gut gegangen; durch politische Gegensätze sei er mit seinem Bruder auseinandergekommen. Nachdem er aus dem Geschäft ausgeschieden war, habe sein Bruder eine Möbelfabrik errichtet, obwohl er absolut nichts davon verstanden habe. Es hatte den Anschein, daß sein Bruder mit der Möbelfabrik gute Geschäfte machte. Als aber sein Bruder nach Leubus gebracht wurde, sei nicht ein Pfennig im Hause und auch kein Holz vorhanden gewesen. Er bestreite, mit seiner Schwägerin irgendwelche unlauteren Beziehungen unterhalten zu haben. Sein Bruder habe kurz vor seiner Einlieferung nach Leubus auf seine (des Zeugen) damals 19jährige Tochter in seiner Wohnung ein Sittlichkeitsattentat unternommen. Er habe selbst beobachtet, daß sein Bruder, insbesondere kurz vor seiner Überführung nach Leubus, mehrere Tobsuchtsanfälle gehabt habe. Um das Geschäft weiterführen zu können, sei Frau Lubecki genötigt gewesen, beim Vormundschaftsgericht die Entmündigung ihres Mannes und ihre Ernennung als Pflegerin zu beantragen. Einige Zeit, nachdem sein Bruder aus Leubus zurückgekehrt war, habe er ihn besucht, da er gehört hatte, daß er wieder sehr aufgeregt sei. Er hatte deshalb die Absicht, ihn zu beruhigen. Der Bruder habe ihn aber sofort, ohne jede Veranlassung, gewürgt, geschlagen und geschrien: »Du Schuft, du Schurke! Dein Junge muß sterben!« Sein kleiner Sohn lag damals schwer krank. Lediglich in der Notwehr habe er mit seinem Stock den Bruder über den Kopf geschlagen. Darauf habe ihm sein Bruder ein Auge ausdrücken wollen. Er habe damals sofort die Empfindung gehabt, daß sein Bruder geistesgestört sei. Er halte seinen Bruder noch heute für geisteskrank.

Direktor Dr. Alter jr.: Er habe sich ein Urteil über Emanuel Lubecki gebildet, und zwar vollständig unabhängig von jedem ärztlichen Zeugnis und ebenso unabhängig von jeder Mitteilung der Angehörigen. Er habe Lubecki sofort nach seiner Einlieferung eingehend untersucht und alle Merkmale einer Geisteskrankheit an ihm festgestellt. Der Mann sei von einem Extrem ins andere gefallen. Zunächst klagte Lubecki über das Verhalten seiner Frau. Am folgenden Tage war er wie umgewandelt. Der Mann fühlte sich außerdem verfolgt; er behauptete: es wäre der Versuch gemacht, durch die Türritze auf ihn einzuwirken, die Pfleger seien gegen ihn voreingenommen. Er lärmte und schrie bisweilen derartig, daß nicht ein Wort zu verstehen war.

Vors.: Benahm er sich wie ein Geisteskranker?

Zeuge: Genau wie ein Geisteskranker.

Vors.: Haben Sie von jemandem irgendeine Vergütung empfangen?

Zeuge: Ich habe weder jemals Geld noch ein Angebot empfangen. Was nun die Beförderung der Briefe anlangt, so bestand bei uns der Grundsatz, Briefe an Staatsanwaltschaften sämtlich zu befördern. Wir sind in dieser Beziehung sogar so weit gegangen, daß wir von Staatsanwaltschaften ersucht wurden, dafür zu sorgen, daß sie nicht mit Briefen gar zu sehr überschwemmt werden. Alle Briefe von Lubecki sind nicht befördert worden, zumal er oftmals hinterher sagte: Ich bin ein Schuft, ein Schurke, es ist sehr gut, Herr Doktor, daß die Briefe nicht abgeschickt worden sind. Daß Lubecki den Wunsch geäußert hat, den Landeshauptmann sprechen zu wollen, kann ich nicht glauben; hätte er einen solchen Wunsch geäußert, dann würde ich ihm gesagt haben: »Teilen Sie dies dem Oberpfleger mit.« Es lag absolut keine Ursache vor, Herrn Lubecki dem Landeshauptmann nicht vorzustellen. Wir haben so viel Kranke, daß wir froh sind, wenn wir einen weniger haben.