Buch lesen: «In der inneren Welt», Seite 2

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Ankunft in Posid

Durch leises Wispern wurde Wolfgang am nächsten Morgen munter. Als er die Augen aufschlug blendete ihn das volle Tageslicht im Raum. Da blinzelte er durch die fast geschlossenen Augen und sah vor seinem Bett sieben junge Mädchen und Frauen kauern. Er schätzte sie im Alter zwischen fünfzehn und dreißig Jahren und sie waren allesamt blond. Sie trugen alle ein merkwürdiges weißes Gewand, so ähnlich, wie es Wolfgang aus der Geschichte von den alten Griechen oder den Römern von Bildern her kannte. Merkwürdige Mode, dachte er.

Doch dann wurde ihm mit einem male bewusst, dass die jungen Frauen wegen ihm da kauerten. Er riss jetzt die Augen auf und fragte sie, was sie an seinem Bett wollen. Dies wäre ja ein Männerschlafraum. Dabei erinnerte er sich besorgt daran, dass er ja nur in seiner Unterhose im Bett lag.

Da antwortete eine von ihnen: „Ja, das ist unser Schlafraum. Wir wundern uns nur, weil du noch schläfst.“

Wolfgang machte ein Gesicht, als ob er in eine Zitrone gebissen hätte. „Wie … euer Schlafraum. Ihr schlaft hier? Das ist ein Frauenschlafraum?“ Sie sahen erst sich und dann ihn an. Anschließend nickten sie. Aus ihren fragenden Gesichtern las Wolfgang, dass sie irgendetwas nicht richtig verstanden hatten. Erst jetzt wurde ihm so richtig die Tragweite der Situation bewusst.

„Bitte verzeihen Sie mir, aber mir ist dieses Bett gestern Abend hier von der verantwortlichen Frau zugewiesen worden. Ich werde das sofort klären. Wenn ich … na ja … wenn ich aufgestanden bin.“

Eine der jungen Frauen fragte: „Was ist ein Männerschlafraum und was ein Frauenschlafraum?“

„Na, ein Schlafraum für … was soll das?“, fragte Wolfgang verärgert. Solche billigen Scherze mochte er jetzt nicht.

Doch als die Frauen ihn ehrlich fragend mit großen Augen ansahen, wurde er unsicher und betrachtete sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. Immer noch etwas ärgerlich bemerkte er: „Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass ihr das nicht wisst. Ich kann wirklich nichts dafür, dass ich dieses Bett zugewiesen bekam. Woher sollte ich wissen, dass ihr in diesem Raum schlaft?“

Bis auf eine gingen die jungen Frauen lachend und kopfschüttelnd aus dem Zimmer. Wolfgang benutzte die Gelegenheit und sah sich flüchtig im Zimmer um. Hier standen vielleicht fünfzehn Betten und er fragte sich, wo die anderen seien, die hier geschlafen haben. Dann überlegte er, wie er möglichst günstig aus dieser peinlichen Lage herauskommen könnte. So fragte er die Zurückgebliebene: „Sie wollen nicht mit den anderen mitgehen?“

„Nein, wenn du hier neu bist, kennst du dich doch nicht aus. Ich werde dir alles zeigen, wenn du möchtest. Mein Name ist Diane.“

„Diane? Hm! Ich heiße Wolfgang“, entgegnete er nickend. Aber dann stammelte er: „Aber … äh … hm … ich bin nicht komplett angezogen und … na ja … ich würde jetzt gern aufstehen.“ Dabei lächelte er sie an.

„Ja, dann tu es doch!“, kam prompt die Antwort aus ihrem strahlenden Gesicht.

Auch das noch, dachte er. Das kann ja heiter werden.

Umständlich stieg er aus dem Bett und sprang schnell in seine Jeans. Jetzt war ihm schon etwas wohler. Die junge Frau lächelte etwas naiv und fragte: „Wünschst du, dass ich dir den Waschraum zeige?“

Ganz spontan sagte er „Ja!“ und war froh, dass es aus diesem Frauenraum rausgehen sollte. Erst jetzt betrachtete er seine Begleiterin etwas genauer. Sie war deutlich größer als er, was bei seinen 1,71 Meter auch keine große Kunst war. Doch sie strahlte eine harmonische Wärme aus, die Vertrauen signalisierte. Das irritierte Wolfgang etwas. Sie benahm sich, als würden sie sich schon lange kennen. Dabei sah er diese Diane heute zum ersten Mal.

Sie ging voran und zeigte ihm einen großen Waschraum. Links und rechts waren Waschbecken aus Marmor und in der Mitte standen zwei lange Holzbänke aus irgendeinem edlen Holz. Die waren sicher da, um die Sachen abzulegen, wenn man duschen wollte. Weiter hinten gab es einen großen Raum mit mindestens zehn Duschmöglichkeiten. Der vordere und der hintere Raum waren durchweg mit wertvollen Materialien ausgestattet, aber trotzdem schlicht und zweckmäßig. Irgendwie passte das alles in Wolfgangs Kopf nicht so richtig zusammen. Na ja, so dachte er, in den Betrieben aus seinen vergangenen Arbeitsverhältnissen gab es ja auch solche gemeinschaftlichen Wasch- und Duschräume, nur nicht so extrem sauber und modern wie hier.

Jetzt wartete Wolfgang, dass Diane sich entfernen würde. Doch sie ging nicht!

„Willst du nicht duschen?“, fragte sie verwundert.

„Duschen?“ Dabei blickte er sie skeptisch an und vermutete, dass sie den Waschraum nicht verlassen wollte. „Nein, ich wasche mich nur kurz ab. Aber …“ Erschrocken blickte er um sich. „Na ja … ist das auch der Männerwaschraum?“, bemerkte er nun etwas misstrauisch.

„Was ist ein Männerwaschraum? Hier gibt es nur diesen und der ist für alle.“

Jetzt riss Wolfgang die Augen auf und fragte entsetzt: „Was denn, ihr … Ach so, ihr habt bestimmte Zeiten für Männer und für Frauen. Wären denn da zwei kleinere Waschräume nicht besser?“

In ihrem Gesicht las Wolfgang Unverständnis. „Hast du ein Problem mit einem Waschraum für alle?“, meinte sie verständnisvoll.

„Hm.“ Er zuckte mit den Schultern. Eigentlich nicht, dachte er. Trotzdem ist das eine merkwürdige Herberge hier in Goseck. Ob das mit den Schwingungen zusammenhing, von denen schon Wassili und auch der junge Mann im Museum berichtet hatten?

Mit diesen Gedanken im Kopf wusch er sich eben nur obenrum und putzte anschließend seine Zähne. Dabei bemerkte Wolfgang, wie interessiert ihn Diane zusah. Sie benimmt sich, als ob sie noch nie gesehen hätte, wie sich jemand die Zähne putzt, dachte er kopfschüttelnd.

Danach gingen sie wieder zurück zum Zimmer. Inzwischen war ihm alles recht. Er legte sein Waschzeug ab und zog sich komplett an.

„Sind meine Sachen hier überhaupt völlig sicher? Vergreift sich hier auch keiner dran?“

Verständnislos sah ihn Diane an. „Was meinst du mit sicher? Glaubst du denn, dass irgendjemand an deine Sachen geht?“

„Das kann man doch nicht wissen, wenn niemand im Zimmer ist.“

Da traf ihn ein ganz merkwürdiger Blick seiner Begleiterin. Trotzdem behielt sie ihre sanfte Art und führte Wolfgang jetzt in den Speiseraum. Der Raum war leer, aber dort standen viele Schalen mit Obst. Vieles davon kannte Wolfgang nicht. Brot oder Aufschnitt war nicht zu sehen. Wozu diesen Aufwand mit dem exotischen Obst, dachte er für sich. Was wird hier eigentlich gespielt? Doch beim probieren des Obstes vergaß er alles und stellte fest, dass auch die wenigen bekannten Sorten vorzüglich schmeckten. Nichts so halbreif, wie es der Handel oft anbot.

Beim Essen schielte er von Diane unbemerkt auf sein Handy. Was denn, erst 6.47 Uhr. Wann stehen die denn hier auf? Und Netz habe ich hier auch keins! Wenn das Handy hier ständig auf Netzsuche ist, dann ist ja der Akku schnell leer. Widerwillig schaltete er sein Handy aus, um Strom zu sparen. Da fragte seine große Begleiterin, ob er anschließend mit ihr zur Schule gehen möchte, oder ob er vielleicht anderes vorhabe. Wolfgang vergaß plötzlich weiterzuessen und starrte sie erstaunt an. „Zur Schule? Sie gehen noch zur Schule? Sind wir dafür nicht etwas zu alt?“ Er lächelte kopfschüttelnd.

Nun lächelte sie ebenfalls großherzig zurück und meinte strahlend in ihrer sanften Art: „Aber nein. Es ist sehr interessant. Wir lernen hier zum Beispiel in verschiedenen Sprachen zu kommunizieren und noch vieles andere mehr.“

„Ach so, Fremdsprachen?“ Das machte Wolfgang neugierig. „Gut, ich komme mit. Vielleicht kann ich bei euch noch einiges lernen.“ Dabei sah er Diane lange an. Ihm gefiel diese junge Frau, die sich so um ihn bemühte und doch so merkwürdig war. Nur dass sie ihn ständig mit ‚du‘ ansprach, irritierte ihn schon.

Und so gingen sie rüber in den Schulsaal, der auch mit zum Gebäude gehörte, in dem die Herberge war. Eigentlich sehr praktisch, dachte Wolfgang. So erspart man sich viele unnütze Wege.

Als sie im Klassenzimmer ankamen, lief der Unterricht schon. Ein Blick in die Klasse genügte und Wolfgang bereute seinen Entschluss mitzugehen schon wieder. Alle trugen hier diese merkwürdigen weißen Gewänder wie auch Diane. Selbst die Männer trugen sie. Ebenso war auch die Lehrerin so bekleidet. Nur war in ihrem Gewand ein oranger Streifen. Wolfgang hingegen stand in Jeans und kariertem Hemd da. Er kam sich wie ein Papagei vor.

Diane stellte ihn mit den Worten „Das ist Wolfgang!“ vor und nahm ihn anschließend mit zu zwei freien nebeneinander liegenden Sitzplätzen. Dabei überflog er die Klasse und stellte fest, dass sie nur aus etwa zehn Schülern bestand, die bis zu dreißig Jahre alt waren. Er erkannte auch einige von den jungen Frauen, die morgens mit an seinem Bett kauerten. Sie lächelten ihn aufgeschlossen an. Die Lehrerin, eine Frau in seinem Alter, lächelte ihm ebenfalls zu und nickte. Nun wurde es Wolfgang doch etwas unheimlich. Wo bist du hier eigentlich und was machst du hier?, durchfuhr es ihn.

Nachdem sie sich gesetzt hatten, sprach die Lehrerin ihn auch gleich an. Auch das noch, dachte er.

„Du hast einen typisch deutschen Namen. Dann bist du sicher auch Deutscher. Wir freuen uns, dass du zu uns gefunden hast“, begrüßte sie ihn mit einem leichten Akzent in der Sprache.

Aha, Ausländerin, dachte Wolfgang. Warum auch nicht? Sie scheint ja nett zu sein.

Diane klärte die Lehrerin auf. „Wolfgang versteht unsere Sprache nicht. Können wir, damit er uns verstehen kann, auch weiterhin nur deutsch sprechen?“

Auf Wolfgangs Stirn bildeten sich Falten. Fragend sah er Diane an. Doch die Lehrerin lenkte ihn gleich wieder ab. Sie war ebenfalls sehr freundlich und strahlte eine mütterliche Sympathie aus, obwohl sie sicher nicht älter als Wolfgang war. „Das ist eine gute Übung für uns alle. Dein Vorschlag gefällt mir.“ In die Klasse hinein sagte sie jetzt: „Dann wollen wir unserem Gast mal zeigen, dass wir die deutsche Sprache beherrschen.“ Danach wendete sie sich wieder Wolfgang zu. „Bist du schon lange hier?“

Er verstand noch immer nicht, aber die Lehrerin ließ ihm keine Zeit, um zu überlegen. Und so antwortete er wahrheitsgemäß: „Nein. Ich bin heute … nein gestern …“

„Er hat mit bei uns im Raum geschlafen“, rief eine von den jungen Frauen. „Er war heute am Morgen sehr lustig.“

Wolfgang spürte, wie sein Gesicht sich immer rötlicher färbte. Wäre ich bloß nicht mit in diese Schule gegangen, dachte er und bereute seinen so schnellen Entschluss zutiefst.

„Dann warst du das, von dem die Mädchen und Jungs erzählt haben? – Ist dir warm?“, fragte die Frau vor der Klasse besorgt.

„Ja, mir ist irgendwie … Die ganze Sache ist mir irgendwie peinlich“, versuchte Wolfgang sich zu entschuldigen.

„Warum?“, fragte die Lehrerin und die ganze Klasse sah gespannt auf ihn. „Hast du schlecht geschlafen? Waren die Mädchen und Jungs zu laut? Das kann ich mir gar nicht vorstellen?“ Dabei sah sie ihn wieder mütterlich lächelnd an.

Alle aus der Klasse blickten nun erwartungsvoll auf Wolfgang. Mädchen und Jungs? Dabei sind doch die ältesten bestimmt Ende zwanzig, dachte er verwundert. Doch dann antwortete er der Lehrerin: „Ich versichere Ihnen, dass ich nicht wusste, dass es ein Frauenzimmer war. Mir ist das Bett dort zugewiesen worden. Ganz sicher! Ich war selbst wirklich völlig ahnungslos“, versuchte er sich zu verteidigen. „Das können Sie mir glauben!“

„Wovon sprichst du eigentlich und was meinst du mit Frauenzimmer?“

„Er sprach schon heute Früh so merkwürdig, so voller Rätsel. Verstehst du das?“, fragte eine junge Frau aus dem Schlafsaal die Lehrerin.

Diese kam jetzt auf Wolfgang zu und begann mit ihrem leichten Akzent: „Warum versuchst du dich zu verteidigen? Und weshalb sprichst du mich mit ‚Sie‘ an? Niemand wirft dir etwas vor.“

„Hier sagen alle ‚du‘ zueinander?“, fragte er erstaunt.

„Ja!“

„Gut, dann eben ‚du‘!“ Merkwürdig, dachte er und hob seine Schultern.

Die Lehrerin nickte freundlich und der Rest der Klasse sah nun voller Spannung auf Wolfgang. Sie wollten nichts von dem Gespräch verpassen. Er war so anders als sie.

„Ist es hier normal, dass Männer und Frauen in einem Raum schlafen?“, fragte Wolfgang jetzt etwas ironisch.

Die Lehrerin antwortete prompt: „Aber ja! Weshalb nicht?“

Ein „Waaas?“ konnte Wolfgang nicht unterdrücken. „Wie … wie geht denn das? Gibt es denn da keine Probleme? Das kann doch gar nicht funktionieren!“, stammelte er.

„Woher kommst du eigentlich, dass du so merkwürdig fragst?“

„Ich? – Aus Leipzig.“

„Leipzig? Davon habe ich noch nie gehört.“ Dabei sah sie ihn durchdringend aber immer noch freundlich an.

„Waaas? Das ist doch gar nicht weit von hier!“

Plötzlich riss die Lehrerin die Augen auf und ließ ihm keine Zeit zum Denken. Sie fragte weiter: „Schlafen die Menschen bei euch nur getrennt?“

„Männer und Frauen, ja. Nur wenn sie miteinander verheiratet sind nicht, sonst immer. Hier nicht? Ist es da nicht riskant für die Frauen und Mädchen? Ich meine, haben sie denn keine Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft?“, fragte Wolfgang ungläubig.

Nun schüttelte die Lehrerin lächelnd den Kopf und meinte: „Aber Frauen bekommen ihre Kinder, wenn überhaupt, im Normalfall erst nachdem sie über achtzig Jahre alt sind und ungewollt bekommt bei uns niemand ein Kind.“

„Die Frauen nehmen hier … Was haben Sie gesagt? Über achtzig? Sie meinen achtzehn?“

„Nein, über achtzig“, bestätigte sie lächelnd. „Hier ist das so.“

Wolfgang rutschte förmlich auf seinem Stuhl zusammen, riss die Augen auf und starrte die Lehrerin an, als ob sie ein Geist wäre.

Die Frau kam jetzt erschrocken noch näher und wollte ihm helfen. „Fehlt dir etwas? Brauchst du Hilfe?“, fragte sie fürsorglich.

„Wo … wo bin ich?“, hauchte er.

Sie antwortete ihm immer noch besorgt: „In Posid.“

„Nicht in Goseck?“

„Wo ist Goseck?“, fragte sie ihn darauf.

„Sie kennen Goseck nicht?“

Die Lehrerin schüttelte freundlich den Kopf. „Außerdem waren wir beim Du! Ich bin Sharula.“

Wolfgang stierte sie an. Viele Gedanken stiegen jetzt in ihm hoch und er wiederholte: „Wo … wo sind wir hier?“

„In Posid. Du kennst Posid nicht?“

Wolfgang schüttelte den Kopf und Sharula sah ihn wieder so durchdringend an, als ob sie in ihn hineinsehen wollte. Kurz darauf riss sie die Augen weit auf und sagte erstaunt: „Du bist … von außen!“

Ein Raunen ging durch die Klasse. Diane starrte Wolfgang jetzt wie eine Fata Morgana an. Nur die Lehrerin hatte sich schnell wieder gefasst und lächelte erneut.

„Nein, ich komme nicht von draußen. Ich habe in der Herberge übernachtet und bin gleich mit Diane hierher gekommen. Vielleicht war das gar keine so gute Idee und ich gehe besser wieder“, klärte er diese Sharula auf und sah sie dabei unsicher an.

„Oh, nein. Bitte bleib. Ich sagte von außen, nicht von draußen. Du bist jetzt in der inneren Erde und nicht mehr auf der äußeren Welt. Bitte verzeih mir, wenn ich deinen Gedanken gelauscht habe.“

„Ich bin wooo?“, fragte Wolfgang gedehnt und riss dabei die Augen auf. Er starrte erst die Lehrerin, anschließend die Schüler der Klasse und dann auch Diane an, als ob sie alle Geister wären. Danach fasste er sich plötzlich wieder und dachte, Gedanken lesen, dass hätte sie sicher gern.

„Du bist im Reich Agartha in der inneren Erde.“

Jetzt lehnte sich Wolfgang zurück, lächelte ebenfalls und schüttelte den Kopf. „In der Erde? Ganz sicher! Da herrschen weit über tausend Grad!“

„Dieses Märchen lehrt man also immer noch bei euch in den Schulen? Dabei wissen eure Politiker und Wissenschaftler schon seit über fünfzig Jahren, dass es uns hier in der inneren Erde gibt. Vor sechzig Jahren hat uns ein hoher Militär aus einem Land, was ihr USA nennt, besucht. Er hieß Richard Byrd. Hast du von ihm noch nie gehört?“

„Doch, doch. Das ist doch der mit dem Tagebuch. Dann ist es wohl wahr, was in seinem angeblichen Tagebuch steht. Er war wirklich hier?“

Sharula nickte. „Nicht direkt bei uns. Die Deutschen haben ihn zu ihrem Oberhaupt eskortiert. Dort sprach er mit Teletron, einem Meister der Deutschen."

„Moment mal! Was für Deutsche haben ihn eskortiert? Hier bei euch leben auch Deutsche?“

„Ja, seit fast achtzig Jahren. Sie haben hier die Kolonie Neuschwabenland gegründet. Wusstest du das denn nicht? Von ihnen haben wir eure Sprache gelernt.“

Wolfgang schüttelte den Kopf. „Gehört habe ich schon davon, aber über diese Legende wird bei uns nur gelächelt. Dieses Neuschwabenland gibt es wirklich?“

„Hast du nicht selbst gesagt, dass du das Tagebuch von diesem Richard Byrd gelesen hast? Ich habe es auch gelesen. Darin stand, dass er von Flugobjekten mit interessanten Symbolen begleitet wurde. Byrd hat die Swastika erkannt, welche die Deutschen auf ihren Fluggeräten als Symbol haben.“

„Die Swastika? Was soll denn das sein?“, fragte Wolfgang skeptisch.

„Sie ist das Symbol, welches bis 1945 auf der deutschen Fahne war. Du kennst es nicht?“

„Ach so, das meinen Sie? Dieses Symbol zu verwenden ist heute bei Strafe verboten.“

Jetzt wurde sie zum ersten Mal ernst. „Ja, ich habe davon gehört. Aber nur bei euch ist es verboten. In allen anderen Ländern der Erde darf die Swastika benutzt werden. Besonders in dem Gebiet, was ihr Asien nennt, benutzt man sie immer noch häufig und das schon seit Tausenden von Jahren. Sie ist das Symbol der Zentralsonne unserer Galaxis.“

„Und die Deutschen hier in Neuschwabenland benutzen dieses Symbol immer noch?“

„Ja. Weshalb nicht? Vielleicht solltest du sie einmal besuchen, wenn du schon hier bist.“

Wolfgang sah sie erstaunt an und hob seine Schultern. Doch nach kurzer Überlegung schüttelte er mit dem Kopf. „Aber hat denn der Meister nicht zu Admiral Byrd gesagt, dass in der inneren Erde eine absolut friedliche Zone ist. Wie können dann Deutsche von damals hier sein?“

„Du musst noch viel lernen“, antwortete Sharula besonnen lächelnd. „Aber eines ist richtig. Hier in unserer Welt gibt es keine aggressiven Menschen. Auch du kannst keiner sein, sonst wärst du nicht hier.“

„Ich habe keine Ahnung, wie ich hierher gekommen bin.“

„So? Aber du bist hier. Wie kamst du denn hierher?“, fragte Sharula.

Da erzählte Wolfgang seine Geschichte, von der Idee mit dem Wanderurlaub, von Wassili, von Goseck und dem Sonnenobservatorium und dem Aufwachen früh in der Herberge.

Sharula wiegte ehrfurchtsvoll mit dem Kopf. „Dann ist dieses Goseck ein sehr spiritueller Ort. Durch deine lange Meditation hast du vermutlich Kräfte aktiviert, die dir bei der Teleportation hierher geholfen haben. Anders kann ich es mir einfach nicht erklären. Uns ist kein ähnlicher Fall bekannt, bei der eine Person so wie du in die innere Erde gekommen ist.“

„Ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin und wie ich wieder zurückkommen kann.“

Jetzt lächelte die Lehrerin wieder und versuchte ihn zu beruhigen. „Mach dir darüber keine Sorgen. Das kriegen wir schon hin. Erzähle uns lieber von deiner Welt und von deiner Stadt, in der du lebst. Die Klasse und ich hatten noch nie die Möglichkeit jemandem von der äußeren Erde direkt zuzuhören.“

„Gut. Leipzig liegt mitten in Deutschland. Es ist eine schöne Stadt, die fast tausend Jahre alt ist. In ihr leben so etwa 600.000 Einwohner. Früher zu DDR-Zeiten waren es deutlich mehr. Man sagt auch, Leipzig wäre eine spirituelle Stadt. Aber das ist sicher Unsinn.“

„Nun, es gibt sehr spirituelle Gegenden auf der äußeren Erde und das ist kein Unsinn! Warum lehnst du alles ab, was spirituell ist?“

„Aber das gibt es doch nicht wirklich!“

„Glaubst du? Von Lemuria und Atlantis hast du doch sicher schon einmal gehört.“

„Von Atlantis ja, aber von Lemu … wie hieß das? Davon habe ich noch nie gehört.“

„Was lernt ihr nur in Geschichte in euren Schulen? Lemuria und Atlantis waren zwei große Kontinente auf der äußeren Erde. Lemuria versank in den Fluten des Pazifischen Ozeans und Atlantis im Atlantik. Wieso lehrt man das nicht bei euch? Es ist doch reale Geschichte!“

Wolfgang schüttelte den Kopf. „Bei uns wird das nur als Spinnerei von überdrehten Fanatikern belächelt. Diese Kontinente hat es wirklich gegeben?“ Wolfgang sah jetzt hilfesuchend Diane an. Sie nickte verständnisvoll.

Da begann Sharula wieder: „Als damals etwa vor 13.000 Jahren Atlantis unterging, flüchteten einige Atlanter durch die große Öffnung am Südpol und kamen in der inneren Erde an. Hier ließen sie sich von den Völkern der inneren Erde einen Platz zuweisen und bauten an dieser Stelle die Atlantische Stadt Posid. Und wir hier sind Nachkommen von ihnen.“

Wolfgang saß wie versteinert da. Das, was er da soeben gehörte hatte, war ungeheuerlich. „Ihr seid … ihr seid wirklich Nachkommen … der Atlanter?“, stammelte er und konnte es einfach nicht fassen. Ungläubig sah er nach vorn zur Lehrerin, die inzwischen wieder vor der Klasse stand. Sie schien zu fühlen, was Wolfgang dachte. Deshalb sagte sie zu allen: „Kommt einmal alle zu mir nach vorn. Du bitte auch.“ Dabei sah sie Wolfgang an.

Als sie alle vorn standen, staunte Wolfgang nicht schlecht. Da war keiner unter zwei Meter. Alle waren sie wesentlich größer. Diane war von ihm abgesehen die Kleinste.

„Glaubst du es jetzt? Die Atlanter sind größer als ihr auf der äußeren Erde. – Ihr könnt euch wieder setzen.“

Gehorsam setzten sich alle wieder ohne einen Ton zu sagen.

Wolfgang fasste sich langsam. „Wenn wir hier in der inneren Erde sind, was ist dann über … oder besser gesagt unter uns?“

„Das Mato-Grosso-Plato in Brasilien. Du glaubst mir immer noch nicht!“

Er wurde rot im Gesicht und dachte, kann sie denn Gedanken lesen?

„Ja.“ antwortete Sharula prompt. „Alle hier in der inneren Erde können das. Aber in meinem Unterricht ist das Gedankenlesen untersagt. Hier lernen wir verbal zu kommunizieren. Deshalb haben dich die Mädchen und Jungen auch nicht verstanden. Hätten sie deine Gedanken lesen dürfen, hätten sie sehr schnell erkannt, dass du von der äußeren Erde kommst. Deine Gedanken haben es mir vorhin verraten. Bitte verzeih mir, dass ich in deinem besonderen Fall deinen Gedanken gelauscht habe, ohne dich zu fragen.“

Wolfgang dachte an die vielen Unklarheiten vom Morgen und begriff langsam, dass diese Menschen hier völlig anders lebten, als er es gewohnt war. Erschrocken blickte er auf die Lehrerin vor der Klasse, aber sie reagierte nicht. Verwundert sah er sie jetzt an.

„Was hast du?“ fragte sie ihn.

„Ich denke, Sie können Gedanken lesen?“

„Ja, aber es ist ungehörig die Gedanken eines anderen zu lesen, wenn dieser kein Telepath ist. Also darf ich es auch nicht. Das vorhin war eine große Ausnahme, um dich verstehen zu können und ich bat dich dafür um Verzeihung.“

Wolfgang nickte beruhigt. „Und daran halten sich alle?“

„Selbstverständlich! Es ist unehrenhaft, einen anderen zum eigenen Vorteil auszunutzen. Und dann noch heimlich! Niemand könnte das mit seinem Gewissen vereinbaren.“

Jetzt fragte Wolfgang die Lehrerin, was ihm schon seit dem Morgen brennend interessierte. So eine Gelegenheit kam vielleicht nie wieder: „Gibt es bei euch auch keine Gesetze, die das Zusammenleben zwischen Männern und Frauen regeln?“

Sharula antwortet: „Wozu? Bei uns gibt es im Großen und Ganzen nur ein Gesetz, welches lautet: Tu niemandem weh, weder physisch noch psychisch, weder anderen noch dir selbst. Mehr Gesetze brauchen wir nicht.“

„Ihr habt gar keine weiteren Gesetze?“ Wolfgang war sprachlos. Doch je mehr er darüber nachdachte, umso mehr kam er zu der Gewissheit, dass alle gerechten Gesetze genau auf diesem einen Atlantischen Grundsatz basierten. Wie einfach man doch alles halten kann, wenn man will?

Nach einigem Nachdenken fragte Sharula plötzlich: „Jetzt habe ich eine Bitte an dich. Kannst du uns vermitteln, wie heute die Menschen auf der äußeren Erde leben?“

„Gern, aber wie und vor allem wo soll ich anfangen?“

„Würdest du erlauben, dass die ganze Klasse für diesen Moment deinen Gedanken lauschen darf. Das wäre am einfachsten, schnellsten und auch am genauesten.“

„Was, alle hier sollen meine Gedanken lesen dürfen?“, rief Wolfgang entsetzt. Er schielte zu Diane, die ihm ganz gut gefiel. Aber das wollte er den anderen natürlich nicht mitteilen, auch gedanklich nicht.

Sharula lächelte. Sie hatte seinen vorsichtigen Blick zu seiner Nachbarin gesehen und vermutete, was Wolfgang dachte. Deshalb schüttelte sie den Kopf und klärte ihn auf. „Ein Telepath kann nur die vordergründigen Gedanken lesen. All deine Erinnerungen sind für ihn genauso unerreichbar, wie für dich unsere Gedanken. Also können wir nur lesen, womit du dich gerade gedanklich befasst. Dürfen wir?“

„Und wenn ich jetzt nein sage, wird niemand meine Gedanken lesen?“

„Natürlich nicht! Bei uns lügt niemand, denn das würde ein Telepath sofort merken. Außerdem lieben wir uns alle und würden nie einen anderen hintergehen.“

„Wie, ihr liebt euch alle? Wie soll ich mir das denn vorstellen?“, fragte Wolfgang jetzt und verzog dabei seinen Mund.

Sharula fixierte ihn kurz, lächelte anschließend sehr tiefgründig und antwortete darauf: „Nicht so, wie du das siehst. Ist bei euch Liebe und Sexualität dasselbe? Bitte verzeih mir, wenn ich schon wieder deinen Gedanken gelauscht habe. Aber deine Frage war so fremd, dass ich sie nur so verstehen konnte. Liebe ist doch etwas, was man mit dem Herzen empfindet. Siehst du das nicht so?“

Wolfgang machte ein fragendes Gesicht, hob die Schultern und sagte nichts mehr.

„Dann lass uns den Gedanken von vorhin noch einmal aufgreifen. Wir wären dir alle sehr dankbar, wenn du uns an deinen Erfahrungen von der Außenwelt teilhaben lassen würdest. So kannst du uns in nur wenigen Minuten mehr vermitteln, als du uns in einem Jahr erzählen könntest.“

„Na gut. Am Ende habe ich ja nichts zu verbergen.“

„Danke!“ Zu der übrigen Klasse gewandt sagte Sharula nun: „Jetzt dürft ihr alle eure Blockierung aufheben und seinen Gedanken lauschen. Aber sollte etwas dabei sein, was für ihn unangenehm ist, dann wisst ihr, dass ihr das niemanden mitteilen dürft. Wolfgang bringt für uns ein großes Opfer. In seiner Welt ist das fast so viel wert, wie das eigene Leben.“

Die Schüler der Klasse sahen ihn jetzt ehrfurchtsvoll an und waren unheimlich gespannt auf seine Gedanken.

Zu Wolfgang sagte Sharula jetzt: „Nun setz dich bequem hin, schließe die Augen und denke an alles, was du für erwähnenswert hältst. Gehe durch deine Stadt, durch dein Land, durch dein Leben.“

Wolfgang dachte zuerst an sein zu Hause, danach an den gestrigen Tag, seine Zugbekanntschaft, seine Wanderung und an Goseck. Dann gingen ihm die aktuellen Nachrichten von Radio und Fernsehen durch den Kopf. Danach kamen immer mehr Gedanken. Nach etwa dreißig Minuten hatte er sein ganzes Leben offenbart. Als er wieder zu sich kam, war ihm bewusst, dass auch seine Beziehungen mit bei der „Übertragung“ dabei waren. Er traute sich niemandem in die Augen zu sehen.

Diane, die immer noch neben ihm saß, umarmte ihn plötzlich und dann bekam er einen Kuss auf die Wange. „Das hast du großartig gemacht. Danke! Noch nie haben wir so nah das Geschehen von außen miterleben können. Wir können noch sehr viel von dir lernen.“

Verlegen blickte Wolfgang jetzt um sich. Hoffentlich ist ihr Freund nicht unter den anderen in der Klasse, dachte er. Dann sah er wieder auf Diane, die ihn anstrahlte und heftig mit dem Kopf schüttelte.

Die Lehrerin nickte, als Diane das sagte und alle sahen jetzt Wolfgang dankbar an. Doch dann ermahnte sie Wolfgangs charmante Nachbarin: „Diane, die Übertragung ist zu Ende. Du hast offensichtlich noch einen ganz privaten Gedanken gelesen. Bitte Wolfgang dafür um Verzeihung. Er soll fühlen, dass wir seine Privatsphäre respektieren.“

„Bitte verzeih mir“, kam ehrfurchtsvoll von Wolfgangs rechter Seite.

„Ist schon gut. Ich muss mich nur daran gewöhnen. Ich möchte von euch so vieles lernen. Geht das auch?“

„Ich werde dich begleiten, solange du hier bei uns bist. So werde ich dir alles zeigen können, was du sehen willst“, sagte Diane spontan.

„Das ist eine gute Idee, Diane. Hol dir dazu bitte noch die Erlaubnis von Galatril. Ihr werdet sicher viel reisen müssen“, erklärte ihr Sharula.

„Das werde ich. Willst du auch, Wolfgang?“

Er sah Diane an und nickte. Doch dann kamen ihm Bedenken „Die ganze Zeit? Egal, wie lange? Du hast doch sicher einen Freund. Wie soll das denn gehen?“

„Diane, erklär es ihm in aller Ruhe nach der Mittagspause. Wir beenden für heute unseren Unterricht und gehen mal etwas zeitiger runter zum See. Wolfgang, du warst uns mit deinem Wissen über die äußere Erde eine große Bereicherung. Danke!“

Schulterzuckend sah er Diane an. Sie nickte und alle aus der Klasse ebenso. Hier waren sie alle ganz anders, dachte Wolfgang. So ständig freundlich und verständnisvoll. Ob alle Menschen hier so sind? Aber vielleicht ist das nur in dieser Klasse so? Er nahm sich vor, seine selbst ernannte Begleiterin danach zu fragen.

Jetzt gingen erst einmal alle nach draußen. Dabei fragte Wolfgang seine Begleiterin: „Wann esst ihr zu Mittag?“

„Oh, du hast Hunger? Bitte verzeih mir, dass ich nicht daran gedacht habe. Dann gehen wir zuerst in den Speiseraum.“

Wieder lag nur Obst in den bereitgestellten Schalen. Da fragte Wolfgang kopfschüttelnd: „Gibt es bei euch nur Obst?“

„Wieso? Schmeckt dir unser Obst nicht? Dann müssen wir für dich etwas anderes suchen.“

„Doch, es schmeckt sehr, sehr gut. Aber esst ihr denn nichts anderes?“

Diane schüttelte den Kopf. „So wie ihr in bestimmten Zeitabständen essen müsst, ist das für uns nicht notwendig. Wir tanken unsere Energien von unserer Sonne.“

„Was für eine Sonne? Ich denke, wir sind hier unter der Erde? Da kann man doch die Sonne gar nicht sehen!“

„Nicht unter der Erde. In der inneren Erde. Und … Was meinst du, weshalb es hier so hell ist?“ Diane schaute ihn dabei freundlich an.

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