Die Schlafwandler

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Ruzena dagegen schien ihre düstere Prophezeiung vergessen zu haben. Sie hatte nach Joachims Hand unter dem Tische gehascht und als er, in panischer Wohlerzogenheit und mit einem Seitenblick auf Bertrand, die Hand in die Öffentlichkeit des hellbeleuchteten Tischtuchs rettete, griff Ruzena nach ihr und streichelte sie; und Joachim, in der Berührung des Besitzes wieder froh geworden, überwand mit kleinem Anlauf seine Scham und behielt ihre Hand in der seinen, so daß es mithin in aller Öffentlichkeit sichtbar wurde, wie sie rechtmäßig zusammengehörten. Und sie taten doch nichts Unrechtes; in der Bibel hieß es doch: wenn ein Bruder stirbt vor dem andern ohne Kinder, so soll sein Weib keinen Fremden nehmen, sondern sein Bruder soll es nehmen. Ja, so ähnlich mußte es heißen und es war absurd, daß er Helmuth mit einer Frau betrügen könnte. Dann aber klopfte Bertrand ans Glas und hielt einen kleinen Toast, und man wußte wieder nicht, ob er es ernst meinte oder ob er spaßte oder ob die wenigen Glas Sekt für ihn schon zuviel gewesen waren, so außerordentlich schwer verständlich war seine Rede, da er von der deutschen Hausfrau sprach, die am reizendsten als Imitation sei, weil ja das Spiel doch die einzige Realität dieses Lebens bleibe, weshalb auch die Kunst stets schöner sei als die Landschaft, ein Kostümfest netter als echte Trachten und das Heim eines deutschen Kriegers erst dann vollkommen werde, wenn es, gewöhnlicher Eindeutigkeit entrückt, durch einen traditionslosen Kaufmann zwar entweiht, durch das lieblichste Böhmermädchen hingegen geweiht worden ist, und darum bitte er die Anwesenden, mit ihm auf das Wohl der schönsten Hausfrau anzustoßen. Ja, das war alles etwas dunkel und hinterhältig und man wußte eben nicht recht, ob mitallden Anspielungen auf die Imitation und die Nachahmung nicht irgendwie die eigenen Gedanken über den Vertreter gemeint waren, aber da Bertrand trotzeines gewissen ironischen Zuges um den Mund nicht aufgehört hatte, Ruzena sehr freundlich anzuschauen, wußte man auch, daß es eine Huldigung für sie gewesen war und daß man sich über all die dunklen Unverständlichkeiten hinwegsetzen durfte, und das Essen endete für sie alle in einer angenehmen Fröhlichkeit und Unbeschwertheit.

Später ließen sie es sich nicht nehmen, Bertrand in sein Absteigequartier zu begleiten, wohl auch, weil sie nicht offen zeigen wollten, daß Ruzena noch bei Joachim bleiben werde. Ruzena in der Mitte, gingen sie durch die stillen Straßen, jeder allein, da Joachim nicht wagte, Ruzena den Arm zu reichen. Als Bertrand im Hauseingang verschwunden war, sahen sie einander an und Ruzena fragte sehr ernst und ergeben: »Bringst mich in Kasino?« Er fühlte, wie schwer und ernst es ihr von den Lippen kam, aber er empfand nur müde Gleichgültigkeit, so daß er beinahe die Frage ebenso ernst bejaht und es sogar ertragen hätte, jetzt Abschied für immer zu nehmen, und wenn Bertrand zurückgekommen wäre, um Ruzena wegzuführen, Joachim hätte es ertragen. Unerträglich jedoch war der Gedanke an das Kasino. Und beschämt, daß es solchen Anstoßes bedurfte, trotzdem fast glücklich, nahm er schweigend ihren Arm. Sie liebten sich in dieser Nacht mehr denn je. Nichtsdestoweniger vergaß Joachim auch diesmal, Ruzena ihre Spitzentüchlein zu geben.

Täglich, wenn der kleine einspännige Postwagen vom Morgenzuge zurückkehrte und beim Amt im Dorfe vorfuhr,Iehnte der Bote vom Gut bereits am Schalter, zwar nur ein Privatbote, dennoch zum Inventar des Postamtes gehörig, gewissermaßen selber zur Amtsperson geworden, vielleicht sogar über die beiden dort befindlichen Amtspersonen gesetzt, nicht etwa seiner persönlichen Leistung wegen, mag er auch schon selber im Dienste ergraut sein, wohl aber, weil er vom Gute kam und seine Würde eine Einrichtung war, die schon viele Jahrzehnte bestand, sicherlich in jene Zeit zurückreichte, in der es noch keinerlei Reichspost gab, sondern, selten genug, die Postkutsche durchs Dorf fuhr und ihre Briefschaften beim Kruge abgab. Die große schwarze Posttasche, deren Riemen seinem Anzug ein diagonales Abzeichen über den Schultern eingebrannt hatte, hatte so manchen Boten überlebt und sicherlich mochte sie aus dieser längst vergangenen und wohl auch besseren Zeit stammen; denn da ist keiner so alt im Dorfe, daß in seinen fernsten Jugendtagen nicht die Tasche schon an ihrem Haken gehangen und nicht der Bote schon am Postschalter gelehnt hätte, und jeder der Alten entsinnt sich und weiß auch alle die Gutsboten aufzuzählen, die mit dem diagonalen Streifen über der Jacke brav ihren Weg gegangen waren und die nun allesamt draußen auf dem Gottesacker ausruhten. So war die Tasche älter und ehrwürdiger als das neumodische Postamt, das nach dem Sturmjahr 1848 eingerichtet worden war, älter als der Haken, den man der Tasche zu Ehren oder gewissermaßen als letzte amtliche Huldigung für die Gutsherrschaft bei der Einrichtung des Postamtes dort eingeschlagen hatte, vielleicht auch als Mahnung, daß man der alten Sitten trotz des stürmenden Forschrittes nicht vergessen soll. Denn auch im neuen Postamt bestand die alte Gepflogenheit weiter, die Post der Gutsherrschaft bevorzugt zu behandeln und wahrscheinlich wird es auch heute noch so gehalten: war der Kutscher mit dem graubraunen Postbeutel hereingekommen und hatte er ihn mit jener verächtlichen Bewegung, die einem Postbeutel in den Augen eines gewöhnlichen Kutschers zukommt, auf den abgenützten Posttisch geworfen, hatte der Postmeister, der über die Würde menschlicher und amtlicher Einrichtungen besser Bescheid weiß, mit kaum verhehlter Feierlichkeit das Siegel und die Schnüre gelöst und die durcheinanderfallenden Postsachen der Größe nach in kleine Pakete geschichtet, um sie bequemer durchsehen und einteilen zu können, hatte sich solches der schönen Ordnung gemäß abgespielt, dann war es stets das erste, daß der Postmeister die Briefschaften des Gutes herauslegte und, ehe er etwas anderes tat, der Tischlade einen Schlüssel entnahm und zu der aufgehängten Tasche schritt, die mit ihrem gelben Messingbügel schweigend dieser Prozedur harrte; in der Mitte des Bügels sperrt sie der Postmeister auf, so daß sie aufklafft und ihm schamlos ihr graues Segeltuchfutter entgegenzeigt, und rasch, als könnte er den Anblick des klaffenden Leinenmaules nicht länger ertragen, läßt er die Briefe und Zeitungen und auch die kleineren Pakete hineingleiten, gibt dem Maule einen schwachen Schlag in den Unterkiefer, damit es zuklappe und sperrt die Messinglippen ab, versorgt den Schlüssel in der Lade. Der Bote aber, der bisher bloßer Zuschauer geblieben war, nimmt die schwere Posttasche, hängt sie sich mit dem harten brüchigen Riemen über die Schulter, nimmt die größeren Pakete in die Hand und bringt die Sendung solcherart ein oder zwei Stunden früher zum Gute, als dies dem amtlichen Briefträger, der erst das ganze Dorf abzulaufen hat, gelungen wäre; eine außerordentlich beschleunigte Zustellung, welche dartut, daß die Einrichtung des Gutsboten und seiner Tasche nicht nur die Fortführung einer schönen alten Tradition ist, sondern auch praktische Bedürfnisse der Herrschaft und der Leute auf dem Gute noch immer zu befriedigen vermag.

Joachim bekam jetzt öfter als früher Nachricht vom Hause; zumeist schrieb der Vater bloß kurze Mitteilungen in jener halbschrägen Kurrentschrift, die so sehr an seinen Gang gemahnte, daß man geradezu von einer Dreibeinigkeit dieser Schrift hätte sprechen können. Joachim erfuhr von den Besuchen, die die Eltern empfangen hatten, von den Jagdverhältnissen und den Aussichten für den Herbst, auch einiges über die Ernte, und zumeist schloß sich an die landwirtschaftliche Mitteilung: »Es wäre gut, wenn Du bald Vorbereitungen zu Deiner Übersiedlung ins Auge fassen würdest, da es ja angebracht wäre, daß Du Dich je eher einarbeitest und alles seine Zeit braucht. Dein getreuer Vater.« Wie stets spürte Joachim starke Abneigung gegen die Schrift und er las die Briefe mit vielleicht noch ärgerer Unaufmerksamkeit als sonst, denn jede Mahnung zur Quittierung des Dienstes und zur Übersiedlung in die Heimat war wie ein Hinabzerren ins Zivilistische und Haltlose, nicht viel anders, als wollte man ihn eines Schutzes berauben und ihn nackt hinausstoßen in die Gegend des Alexanderplatzes, damit jeder der fremdartigen und geschäftigen Herren sich an ihm reiben könne. Mochte man es Trägheit des Gefühls nennen: nein, er war nicht feig und er würde sich ruhig vor die Pistole des Gegners stellen oder gegen den französischen Erbfeind ins Feld ziehen, aber die Gefahren des Zivilistischen Lebens waren von fremder und dunkler, unfaßbarer Art. Da war alles in Unordnung, ohne Hierarchie, ohne Disziplin und wohl auch ohne Pünktlichkeit. Wenn er auf seinem Weg zwischen Wohnung und Kaserne an Borsigs Maschinenfabrik zu Arbeitsbeginn oder -schluß vorüberkam und die Arbeiter vor dem Fabriktor standen wie ein exotisches rostiges Volk, nicht viel anders als das Volk der Böhmen, so fühlte er ihre unheimlichen Blicke, und wenn der eine oder der andere grüßend an die schwarze Lederkappe griff, wagte er nicht zu danken, weil er sich scheute, den Freundlichen zum Überläufer zu stempeln, zu einem, der mit ihm Partei macht. Denn er empfand den Haß der anderen als etwas Berechtigtes, wohl auch weil er ahnte, daß sie Bertrand trotzseines Zivilanzuges nicht minder hassen würden als ihn. Etwas davon steckte wohl auch in Ruzenas Abneigung gegen Bertrand. All dies war beklemmend und ungeordnet, und es war Joachim, als habe sein Schiff ein Leck bekommen, das zu erweitern man ihn zwingen wolle. Völlig ungereimt aber schien es, daß der Vater von ihm verlangte, er möge Elisabeths halber den Dienst quittieren; gab es überhaupt etwas, was einen Freier ihrer würdig machen könnte, so war es, daß er sich wenigstens dem Kleide nach von all der Unreinheit und der Unordnung abhob; ihn der Uniform berauben, hieße Elisabeth entwürdigen. So schob er wohl den Gedanken an das zivilistische Leben und an die Rückkehr ins Vaterhaus als eine zudringliche und gefährliche Zumutung beiseite, doch um dem Vater nicht völlig ungehorsam zu werden, fand er sich mit Blumen am Bahnhof ein, als Elisabeth und ihre Mutter sich zum Sommeraufentllalt nach Lestow begaben.

 

Der Schaffner vor dem wartenden Zuge stand stramm, als er Joachims ansichtig wurde, und es war ein stillschweigendes Einverständnis zwischen den beiden Männern, Einverständnis in dem Blick des braven Unteroffiziers, der die Damen des Vorgesetzten in seinen Schutz übernahm. Und obzwar es ein wenig gegen die Konvention verstieß, die Baronin, welche mit Jungfer und Gepäck im Abteil installiert worden war, dort allein zurückzulassen, empfand Joachim es als freundliche Auszeichnung, daß Elisabeth den Wunsch äußerte, bis zum Klingelzeichen längs des Zuges noch zu promenieren. Sie gingen auf der festgestampften Erde zwischen den Schienen auf und nieder und wenn sie bei der geöffneten Türe des Coupes vorüberkamen, verabsäumte Joachim nicht, mit leichter Verbeugung hinaufzugrüßen, während die Baronin herunterlächelte. Elisabeth aber sprach davon, wie sehr sie sich auf das heimatliche Haus freue und daß sie mit Sicherheit darauf rechne, Joachim während seines Urlaubes, den er doch wie stets und in diesem traurigen Jahre mit um so größerer Bestimmtheit bei den Eltern verbringen werde, oft in Lestow zu sehen. Sie trug ein knappes englisches Reisekostüm aus leichtem grauem Tuche und ihr blauer Reiseschleier, der den kleinen Hut verdeckte, stand gut zur Farbe des Tuches. Es war fast verwunderlich, daß ein Wesen von so ernstem Gesichtsausdruck das Interesse und den tändelnden Geschmack zur Auswahl der vorteilhaften Garderobe aufbringen konnte, besonders wenn man mutmaßen wollte, daß das Grau des Kleides und das Blau des Schleiers eigens zur Farbe ihrer Augen ausgewählt sein mochten, die zwischen ernstem Grau und heiterem Blau schimmerten. Doch schien es schwierig, diesen Gedanken in richtige Worte zu fassen und Joachim war daher froh, als das Klingelzeichen ertönte und der Schaffner bat, die Plätze einzunehmen. Elisabeth stieg auf das Trittbrett und wußte durch Fortsetzung des Gespräches bei halbgewendetem Körper den häßlichen Anblick einer gebückt ins Coupe kletternden Dame geschickt zu kaschieren; erst auf der obersten Stufe ließ es sich nicht weiter vermeiden und sie kroch resolut durch die niedere Türe. Nun stand Joachim emporgedrehten Kopfes vor dem Waggon, und der Gedanke an den Vater, zu dem er vor nicht allzu langer Zeit hier an der gleichen Stelle in die Coupetüre hinaufgesprochen hatte, vermischte sich so merkwürdig mit dem Gedanken an die Jackenschöße Elisabeths und mit dem Projekt der Heirat, welches der Vater damals in häßlicher Weise angedeutet hatte, daß der Name dieses Mädchens mit den graublauen Augen und den grauen Jackenschößen, obwohl er es doch leibhaftig dort oben in der Coupetüre vor sich sah, plötzlich gleichgültig und vergessen war, merkwürdig und häßlich untergetaucht in der verwunderten Empörung, daß es Menschen gab wie seinen Vater, die in ihrer Verworfenheit sich erfrechten, ein jungfräuliches Wesen, gleichsam zur Erniedrigung und Besudelung irgendeinem Manne für ein ganzes langes Leben zu bestimmen. Aber so sehr er sie in dem Augenblick ihres resoluten Einsteigens als Frau erkannt hatte, er erkannte gleichzeitig schmerzlich, daß er nicht die Süßheit der Nächte Ruzenas, nicht ihr sehnendes Empfangen und Verdämmern erwarten dürfte, sondern daß es ein ernstes, vielleicht religiöses Gewährenlassen sein müßte, unvorstellbar, nicht nur weil es ohne Reisekostüm und ohne Uniform zu geschehen hätte, sondern auch unvorstellbar, weil der Vergleich mit Ruzena, die er aus der Männer Berührung und Besudelung gerettet hatte, geradezu als Gotteslästerung erschien. Doch schon läutete es zum dritten Male und während er leicht salutierend am Bahnsteig stand, ließen die Damen ihre Spitzentücher flattern, so lange, bis schließlich nur mehr zwei weiße Punkte sichtbar waren und eine Linie sanfter Sehnsucht aus dem Herzen Joachims sich herauswagte, sich dehnte und zu dem weißen Pünktchen sich hinüberspann, noch rechtzeitig im letzten Augenblick, ehe es in der Ferne entschwand.

Vom Portier und den Angestellten militärisch gegrüßt, verließ er den Bahnhof und trat auf den Küstriner Platz hinaus. Der lag nüchtern und ein wenig verwahrlost da, dunkel, obwohl er doch allenthalben von heller Sonne durchströmt war, einer entlehnten Sonne, während die richtige über den goldenen Feldern glänzte. Und wenn dies auch in einer nur schwerverständlichen Weise an Ruzena erinnerte, so war es doch deutlich, daß Ruzena, sonderbar durchsonnt, dennoch dunkel und ein wenig verwahrlost, mit Berlin so eng verbunden war wie Elisabeth mit den Feldern, durch die sie jetzt fuhr, und mit dem Herrenhaus, das in dem Parke liegt. Das war eine Art befriedigender reinlicher Ordnung. Trotzdem war er froh, Ruzena dem dunklen Animierberuf und seiner falschen Helligkeit entzogen zu haben, froh, daß er daran war, sie aus dem Gewirr der Fäden zu lösen, die diese ganze Stadt umspannten, aus diesem Netz, das er überall fühlte, am Alexanderplatz und bei der rostigen Maschinenfabrik und in der Vorstadt mit dem Gemüsekeller, ein undurchdringliches unfaßbares Netz des Zivilistischen, das unsichtbar war und dennoch alles verdunkelte. Aus solcher Verstrickung galt es, Ruzena zu lösen, denn auch hier galt es, sich Elisabeths würdig zu erweisen. Aber das war bloß ein sehr undeutlicher Wunsch, ein Wunsch, den er sich überdies gar nicht klarmachen wollte, weil er ihm wahrscheinlich selber absurd erschienen wäre.

Eduard v. Bertrand, der im Begriffe stand, seine Geschäfte auf das böhmische Industriegebiet auszudehnen, erinnerte sich in Prag an Ruzena, hatte gewissermaßen für sie Heimweh und wollte ihr etwas Freundliches zum Troste sagen. Und da er Ruzenas Adresse nicht wußte, schrieb er an Pasenow, daß er in dankbarem Gedenken an ihren letzten Abend gerne hoffe, ihn bei der Rückreise nach Harnburg in Berlin anzutreffen, fügte einen herzlichen Gruß an Ruzena bei und lobte ihre schöne Heimat. Dann bummelte er durch die Stadt.

Nach dem Abend mit Bertrand und Ruzena hatte Pasenow erwartet, daß irgend etwas Besonderes und Feierliches, vielleicht sogar etwas Furchtbares erfolgen würde, zum Beispiel daß Bertrand die Auszeichnung und das Vertrauen, die er ihm durch die Gewährung jenes Abends hatte zuteil werden lassen, mit gleicher Münze zurückzahlen werde, wenn eine Entführung Ruzenas auch nicht ganz außerhalb des Bereichs des Möglichen lag; Kaufleute sind gewissenlos. Aber als weder das eine noch das andere erfolgte, vielmehr Bertrand sang- und klanglos und programmgemäß abreiste und nichts mehr von sich hören ließ, war Joachim eigentlich gekränkt. Da kam unverhofft die Nachricht aus Prag; er zeigte sie Ruzena: »Du scheinst Eindruck auf Bertrand gemacht zu haben«, sagte er zögernd. Ruzena verzog das Gesicht: »Wenn schon, mir gefallte nicht dein Freund, ist häßlicher Mensch.« Joachim nahm Bertrand in Schutz; er sei nicht häßlich. »Weiß nicht, mir gefallte nicht, sagt so Sachen«, entschied Ruzena, »soll nicht wiederkommen.« Damit war Joachim sehr einverstanden, obwohl er ihn jetzt eigentlich dringend gebraucht hätte, um so mehr, als Ruzena hinzufügte: »Morgen geh' ich in Theaterschule.« Er wußte, daß sie nicht hingehen würde, wenn er sie nicht hinführte, natürlich nicht, aber wie konnte er sie hinführen? Wie packte man so etwas an? Ruzena wollte durchaus etwas »arbeiten« und das Planen neuer Beschäftigungsarten bildete ein neues Gesprächsthema mit dem Reiz ungewohnter Ernsthaftigkeit, wenngleich Joachim all den aufgeworfenen Fragen sehr hilflos gegenüberstand. Vielleicht fühlte er, daß ein bürgerlicher Beruf ihr die exotische Anmut, mit der sie zwischen zwei Welten schwebte, rauben und sie in die Barbarei zurückversetzen würde, und eben deshalb reichte seine Phantasie auch nicht weiter als bis zum Theaterberuf, auf den Ruzuena voll Begeisterung sich mit ihm einigte: »Wirst sehen, wie ich sein werde berühmt, wirst mich liebhaben! « Aber es war ein weiter Weg bis dahin und es geschah nichts. Bertrand hatte einmal von einer vegetativen Indolenz gesprochen, in der die meisten Menschen lebten; das war wohl etwas Ähnliches wie jene Trägheit des Gefühls. Ja, wenn Bertrand hier wäre; der könnte mit seiner Weltgewandtheit und praktischen Erfahrung vielleicht helfen. Und so fand Bertrand, als er nach Berlin kam, eine dringende Einladung Pasenows als Antwort auf seine freundlichen Grüße vor.

Das ließe sich wohl machen, meinte Bertrand zur großen Überraschung der beiden, das ließe sich wohl machen, wenn sie auch nicht glauben sollten, daß das Theater eine besonders zukunftsreiche oder gar leichte Karriere sei. Allerdings habe er in Harnburg bessere Beziehungen, aber er wolle es gerne versuchen. Und dann entwickelten sich die Dinge viel rascher als man gehofft hatte; schon nach wenigen Tagen war Ruzena zu einem Probesingen bestellt, das sie nicht schlecht bestand, und kurze Zeit darauf war sie als Chordame engagiert. Der Argwohn Joachims, daß die rasch bereite Gefälligkeit Bertrands mit dessen Absichten auf Ruzena zusammenhänge, konnte vor der freundlich-gleichgültigen, man könnte beinahe sagen ärztlichen Haltung Bertrands nicht bestehen. Es wäre zweifellos klarer gewesen, wenn Bertrand seine Bemühungen für Ruzena zum Anlaß genommen hätte, um seine Liebe zu ihr offen zu erklären. Im Grunde war Joachim ernstlich böse auf Bertrand, der zwar drei Abende in seiner und Ruzenas Gesellschaft verbracht und allerlei durcheinander geschwatzt hatte, der aber doch nichts von sich hergab als die sattsam bekannte freundliche Verschlossenheit, ein Fremder blieb, der überdies für Ruzena mehr geleistet hatte als er selber in der Trägheit seiner romantischen Phantasie. Das war alles sehr peinlich. Was wollte dieser Bertrand? Jetzt, da er sich von ihm verabschiedete und, wie es sich gehörte, jeden Dank von und für Ruzena ablehnte, sprach er wieder einmal die Hoffnung aus, Joachim v.Pasenow bald wiederzusehen. Warum wollte er ihn wiedersehen? war das nicht heuchlerisch? Und Joachim, sich selbst unverständlich, sagte: »Ja, Bertrand, wenn Sie nächstens nach Berlin zurückkehren, werden Sie mich kaum antreffen, da ich nach den Manövern für einige Wochen nach Stolpin fahre. Wenn Sie mich dort aber wirklich besuchen wollten, so würde ich mich aufrichtig freuen.« Und Bertrand sagte zu.

Es war stets eine Gepflogenheit Herrn v. Pasenows gewesen, die Post in seinem Zimmer zu erwarten. Auf dem Tische wurde seit unvordenklichen Zeiten neben dem Stoß der Jagdzeitungen ein Platz freigehalten und auf diesen Platz hatte der Bote täglich die Tasche hinzulegen. Und obwohl die Ausbeute sich meistens nicht verlohnte und oftmals bloß aus ein oder zwei Zeitungen bestand, nahm Herr v. Pasenow mit der stets gleichen Gier den Postschlüssel von dem Rehgeweih, an das er ihn zu hängen pflegte, und öffnete den gelben Messingbügel der schwarzen Tasche. Und während der Bote mit der Mütze in der Hand schweigend wartet und den Fußboden betrachtet, übernimmt Herr v. Pasenow die Briefschaften und setzt sich mit ihnen an den Schreibtisch, legt vor allem die seinen und die seiner Familie heraus, und nachdem er sorgsam die Anschriften der übrigen geprüft hat, übergibt er sie dem Boten, damit dieser sie den Empfängern unter den Hausleuten bringe. Manchmal mußte er sich Zwang antun, um nicht den einen oder den anderen Brief, der an die Mägde gerichtet war, zu öffnen, denn dies erschien ihm wie ein selbstverständliches jus primae noctis des Herrn, und daß das Briefgeheimnis auch für Untergebene gelten sollte, war eine neumodische Einrichtung, die ihm wider den Strich ging. Immerhin gab es unter dem Gesinde einige, die sogar über die äußerliche Briefbeschau murrten, besonders da der Herr sich nicht scheute, hinterher nach dem Inhalt der Briefe zu fragen oder die Mägde zu hänseln. Dies hatte auch schon zu ernsten Zerwürfnissen geführt, welche aber mit Kündigungen geendet hatten, so daß die Rebellen jetzt nicht mehr offen sich auflehnten, sondern ihre Briefe entweder selbst vom Amte holten oder dem Postmeister insgeheim den Auftrag gaben, sie durch den amtlichen Briefträger zustellen zu lassen. Ja, sogar den seligen Jungherrn hatte man eine Zeitlang täglich. beim Amte vom Pferde steigen sehen, um seine Post eigenhändig abzuholen; mag sein, daß er damals Frauenbriefe erwartete, die er vor den Augen des Alten bewahren wollte, oder daß er Geschäfte machte, die geheim bleiben sollten; aber der Postmeister, der sonst mit seinen Beobachtungen nicht hinterm Berge hielt, konnte weder das eine noch das andere vermuten, da die spärlichen Briefschaften, die Helmuth v.Pasenow empfing, keinerlei Schlüsse zuließen. Nichtsdestoweniger erhielt sich hartnäckig das Gerücht, daß der Alte durch irgendwelche Machinationen mit der Post eine Heirat und das Glück seines Sohnes zerstört habe. Insbesondere die Frauen auf dem Gute und im Dorfe hielten daran fest, und sie mochten nicht ganz so unrecht haben, denn Helmuth wurde immer gleichgültiger und müder, hatte bald seine Ritte ins Dorf eingestellt und seine Post wieder in der großen Posttasche aufs Gut und auf den Tisch des Vaters bringen lassen.

 

Seine Leidenschaft für die Post hatte Herr v. Pasenow beibehalten und es war daher nicht auffallend, daß sie sich vielleicht sogar noch etwas verschärft hatte. Er richtete seinen Morgenritt oder Spaziergang nun oft so ein, daß er dem Boten begegnen mußte, und da zeigte es sich, daß er den kleinen Schlüssel zur Tasche nicht mehr am Rehgeweih hängen ließ, sondern ihn zu sich gesteckt hatte, damit er auf offenem Felde die Tasche öffnen könne. Dort sah er auch die Briefe hastig durch, legte sie aber in die Tasche zurück, um das häusliche Ritual, das sich in gewohnter Weise anschloß, nicht zu stören. Einmal aber war er des Morgens gar bis zum Amte vorgedrungen, in dem der Bote noch am Schalter lehnte, und hatte gewartet, bis der Postbeutel auf den abgenützten Posttisch entleert worden war, hatte dann gemeinsam mit dem Postmeister die Briefe gesichtet und eingeteilt. Als der Bote diesen bemerkenswerten Vorfall auf dem Gute erzählte, meinte das Hausfräulein Agnes, die wegen ihrer scharfen Zunge überall bekannt war: »Jetzt beginnt er schon, sich selber zu mißtrauen.« Das war natürlich ein Gerede ohne vernünftigen Hintergrund, und die Unerschütterlichkeit, mit der sie mehr als alle anderen den Gutsherrn für den Tod seines Sohnes verantwortlich machte, ließ sich vielleicht als späte Folge jenes Ärgers auslegen, der nun schon seit den Jahren in ihr saß, da sie, noch jung und stattlich, von dem Alten ob ihrer Korrespondenz gehänselt worden war.

Nein, mit der Post hatte es Herr v. Pasenow stets gehabt und was er jetzt trieb, war eben auch nicht weiter auffallend. Es fiel auch nicht auf, daß der Pastor jetzt öfter zum Abendessen eingeladen wurde und daß auf seinen Spaziergängen Herr v. Pasenow von Zeit zu Zeit sogar selber im Pfarrhause vorsprach. Nein, dies schien nicht verwunderlich und der Pastor wertete es als Frucht des gespendeten geistlichen Trostes. Bloß Herr v. Pasenow wußte, daß es ein unerklärlicher und geheimer Grund war, der ihn zu dem Pastor trieb, obwohl er den Mann nicht leiden mochte, eine unbestimmte Hoffnung, daß der Mund, der in der Kirche predigte, ihm etwas mitteilen müßte, das er erwartete und das er, trotz aller Angst, daß es niemals eintreffen werde, nicht einmal zu benennen vermochte. Wenn der Pastor die Rede auf Helmuth brachte, so sagte Herr v. Pasenow manchmal: »Ist ja egal. .. « und brach zu seiner eigenen Verwunderung das Gespräch ab, fluchtartig geradezu, als fürchte er sich vor dem Unbekannten, das er doch herbeisehnte. Aber manchmal gab es Tage, da duldete er es, daß das Unbekannte ihm in die Nähe kam, und das war dann wie ein Spiel, das er als Kind gespielt hatte: man hatte einen Ring sichtbarlieh versteckt, ihn etwa an einen Lüster gehängt oder an einen Schlüssel, und wenn die Suchenden sich entfernten, sagte man »kalt« und wenn sie sich dem versteckten Gegenstand näherten sagte man »warm« oder gar »heiß«. So war es nur ganz selbstverständlich, daß Herr v. Pasenow plötzlich scharf und deutlich »heiß, heiß... « sagte und beinahe in die Hände geklatscht hätte, als der Pastor wieder einmal von Helmuth sprach. Höflich bestätigte der Pastor, daß der Tag wirklich recht warm gewesen sei, und Herr v. Pasenow fand in die Gegenwart zurück. Dennoch war es sonderbar, wie nahe beieinander die Dinge lagen: noch glaubte man mitten im Kinderspiel zu sein und doch ist auch der Tod schon mitten im Spiele. »Ja, ja, warm ist's heute«, sagte also Herr v. Pasenow, hatte aber das Aussehen als fröre ihn, »ja, in solch heißen Nächten brennt es gerne in den Scheunen.«

Der Gedanke an die Hitze verließ ihn auch beim Abendessen nicht: »In Berlin muß es jetzt drückend heiß sein. Joachim schreibt zwar nichts darüber... ja, er schreibt überhaupt so wenig.« Der Pastor sprach von den Anstrengungen des Dienstes. »Was für ein Dienst?« fragte Herr v. Pasenow scharf, so daß der Pastor betreten keine Antwort wußte. Nun, kommentierte Frau v. Pasenow, der Herr Pastor meine eben, daß der Dienst Joachim wenig Muße zum Schreiben lasse, besonders jetzt zur Manöverzeit. »So soll er eben den Dienst lassen«, knurrte Herr v. Pasenow. Dann trank er rasch nacheinander einige Glas Wein und erklärte, daß ihm nun wohler sei; er schenkte dem Pastor ein: »Trinken Sie, Pastor, wenn man trinkt, wird einem warm und wenn man doppelt sieht, ist man weniger einsam.«-» Wer mit Gott ist, ist nie einsam, Herr v. Pasenow«, erwiderte der Pastor, und Herr v. Pasenow empfand die Antwort als Ermahnung und Taktlosigkeit. Hatte er nicht stets Gott gegeben, was Gottes ist und dem Kaiser oder richtiger dem König hat er gegeben, was ihm gebührt: ein Sohn macht Dienst beim König und schreibt nicht und den andern hat Gott zu sich genommen und ringsherum ist es leer und kalt. Ja, der Pastor hatte leicht hochmütig reden; der hatte das Haus voll, zu voll für seine Verhältnisse und jetzt war wieder eines zu erwarten. Da hielt es nicht schwer, mit Gott zu sein; gerne würde er dies dem Pfarrer sagen, aber er durfte es nicht mit ihm verderben, wer blieb ihm denn sonst, wenn keiner mehr zu ihm wollte, außer... da riß der eben sichtbar gewesene Gedanke ab, versteckte sich, und Herr v.Pasenow sagte weich und träumerisch: »Im Kuhstall ist es warm.« Erschrocken schaute Frau v. Pasenow auf ihren Gatten; hatte er den Wein doch zu hastig getrunken? Aber Herr v. Pasenow war aufgestanden und horchte zum Fenster hin; hätte die Lampe nicht bloß den Tisch beleuchtet, so hätte Frau v. Pasenow den erschreckt-wartenden Ausdruck in seinen Zügen sehen müssen, der allerdings verschwand, als im knirschenden Kies die Schritte des Nachtwächters vernehmbar wurden. Herr v. Pasenow ging zum Fenster, beugte sich hinaus und rief »Jürgen «. Und als Jürgens schwerer Tritt vor dem Fenster Halt machte, befahl Herr v. Pasenow auf die Scheuern achtzuhaben, »just zwölf Jahre sind es her, daß uns die große Scheune am Vorwerk in solch warmer Nacht abgebrannt ist«. Und als Jürgen sich befehlsgemäß erinnert und» keine Sorge« gesagt hatte, fügte sich auch für Frau v. Pasenow der Vorfall wieder ins Gewohnte und Unauffällige, so daß sie auch nichts weiter dabei fand, als Herr v. Pasenow sich verabschiedete, um noch einen Brief, der mit der Morgenpost fortgehen sollte, zu schreiben. An der Tür kehrte er nochmals um: »Sagen Sie, Herr Pastor, warum haben wir Kinder? Sie sollten es doch wissen, Sie haben doch Praxis.« Und er entfernte sich rasch und kichernd, aber ein wenig wie ein Hund, der auf drei Beinen läuft.

Mit dem Pastor allein geblieben, sagte Frau v. Pasenow: »Ich bin ganz glücklich, wenn er wieder mal besserer Laune ist. Seit dem Ableben unseres armen Helmuth ist er ja stets recht gedrückter Stimmung gewesen.«

Der August neigte sich seinem Ende zu und die Pforten der Theater waren wieder geöffnet. Ruzena hatte nun Visitenkarten, die sie als Schauspielerin bezeichneten, und Joachim mußte auf Manöver nach Oberfranken. Er war Bertrand böse, weil er Ruzena in einem Beruf untergebracht hatte, der schließlich nicht minder anrüchig war als die Tätigkeit im Jägerkasino. Natürlich mußte man es auch Ruzena selber zur Last legen, daß sie überhaupt in einen derartigen Beruf geraten war, mehr vielleicht noch ihrer Mutter, daß sie ihr Kind nicht besser behütet hatte. Aber was er daran hatte gutmachen wollen, das schien nun durch Bertrand wieder zerstört. Vielleicht war es sogar jetzt noch ärger als früher. Denn im Kasino war alles eindeutig und es galt ja, ja, und nein, nein; die Bühne hingegen besaß ihre eigene Atmosphäre; hier gab es Huldigung und Blumen und wohl nirgend anderwo wurde es einem jungen Mädchen so schwer gemacht, anständig zu bleiben. Das war ja allgemein bekannt. Ach, es war ein stets tieferes Hinabgleiten, und Ruzena wollte es nicht verstehen, sondern war auf ihren neuen Beruf und ihre Visitenkarten sogar noch stolz. Sie erzählte mit großer Eindringlichkeit Kulissenerlebnisse und all den Klatsch des Theaters, den er nicht hören wollte, und durch die Dämmerung ihres Zusammenlebens brachen nun unaufhörlich Streifen von Rampenlichtern. Wie hatte er je glauben können, daß er zu ihr hinfinden würde, oder daß sie ihm gehört hätte, sie, die im vorhinein Verlorene. Noch suchte er sie, aber das Theater stand wie eine Drohung aufgerichtet und wenn sie von den Liebesaffären der Kolleginnen eifrig erzählte, so sah er darin die Gefahr und das feste Vorhaben ihres geweckten Ehrgeizes, es ihnen gleichzutun, sah darin Ruzenas Rückkehr zu einem früheren Leben, das sich vielleicht nicht viel . anders abgespielt haben mochte; denn der Mensch strebt immer zu seinem Ausgangspunkt zurück. Zerstörtes Glück der dämmerigen Indolenz, verlorene Süßigkeit der Trauer, die das Herz zwar umschloß und Tränen aufsteigen machte, die aber doch den Schimmer ewigen Versinkens in sich trug. Nun tauchten auch wieder die Hirngespinste auf, vor denen er sich gefeit geglaubt hatte, und wenn er auch nicht mehr das Antlitz des italienischen Bruders im Gesicht Ruzenas suchen mußte, es war darin vielleicht in noch ärgerer Weise eingegraben, eingegraben als das unauslöschliche Antlitz jenes Lebens, dem er sie nicht zu entreißen vermochte. Und der Argwohn wurde wieder wach, daß Bertrand es sei, der diese Hirngespinste herbeiführte, der alles beabsichtigt hatte, der gleich Mephisto alles vernichten und selbst Ruzena nicht schonen wollte. Zu alldem kamen die Manöver; wie wird er Ruzena bei seiner Rückkunft wiederfinden? Wird er sie überhaupt noch wiederfinden? Sie versprachen einander häufig zu schreiben, täglich; aber Ruzane hatte mit der deutschen Schriftsprache allerhand Schwierigkeiten, und weil sie überdies auf ihre Visitenkarten stolz war und er nicht wagte, die kindliche Freude zu zerstören, brachte ihm die Post oftmals bloß eine solche Karte mit derverhaßten Aufschrift »Schauspielerin« und auf der Karte stand »schickt viele Pussi«, ein Wort, das die Sanftheit ihrer Küsse zu entweihen schien. Dennoch war er höchlich beunruhigt, wenn er einige Tage keine Nachricht von ihr erhielt, trotzdem er sich sagen mußte, daß die Bewegtheit des Feldlebens Postverspätungen erklärlich machte; und er war froh, wenn dann eines der unangenehmen Kärtchen einlangte. Und plötzlich und unvermittelt tauchte es wie Erinnerung auf, daß auch Bertrand so eine Art Schauspieler sei.