Nachdem sie uns diesen unerbetenen Unterricht über die Unvollkommenheit der irdischen Waffen erteilt hatten, zogen sich die Marsleute wieder in ihr ursprüngliches Hauptquartier auf der Horsell-Weide zurück. In ihrer Hast und überdies mit den Resten ihres zerschmetterten Gefährten beladen, übersahen sie ohne Zweifel viele solche verstreut liegende und unnötige Opfer, wie ich es war. Hätten sie ihren Kameraden im Stich gelassen und hätten sie sich sofort aufgemacht, so hätte es zu jener Zeit zwischen ihnen und London nichts gegeben, als Batterien von Zwölfpfündern; und ohne Zweifel hätten sie die Hauptstadt schneller erreicht als die Kunde ihres Herannahens. Ihre Ankunft wäre ebenso plötzlich, erschreckend und vernichtend gewesen, wie das Erdbeben, das ein Jahrhundert vorher Lissabon zerstört hatte.
Doch sie hatten keine Eile. Ein Zylinder folgte dem anderen auf seiner Bahn von Planet zu Planet; alle vierundzwanzig Stunden erhielten sie Verstärkungen. Unterdessen gingen die Militär- und Marinebehörden, die sich jetzt der ungeheuren Gewalt ihrer Gegner völlig bewusst waren, mit fieberhaftem Eifer ans Werk. Jede Minute wurde ein neues Geschütz aufgepflanzt; bevor noch die Dämmerung hereinbrach, barg jedes Gehölz, jede Reihe vorstädtischer Landhäuser an dem hügeligen Abhang um Kingston und Richmond eine kampflustige schwarze Mündung. Durch die verkohlte und verödete Fläche — in einem Ausmaß von etwa zwanzig Quadratmeilen — die das Feldlager der Marsleute auf der Horsell-Weide umschloss, durch die ausgebrannten und in Trümmern liegenden Dörfer mit ihren grünen Bäumen, durch die schwarzen und rauchenden Säulengänge, die noch einen Tag vorher Fichtenanpflanzungen gewesen waren, krochen die treuen Kundschafter mit den Heliografen, welche den Kanonieren das Herannahen der Marsleute anzeigen sollten. Die Marsleute aber waren jetzt von der Bedeutung unserer Artillerie unterrichtet, sie kannten die Gefahren menschlicher Nähe, und nicht einer von ihnen wagte sich außerhalb des Bereiches einer Meile vor jedem Zylinder, außer um den Preis seines Lebens.
Es schien, als verbrachten diese Riesen den frühen Nachmittag damit, hin- und herzuwandern und den gesamten Inhalt des zweiten und des dritten Zylinders – jener lag in Addlestone-Golf links, dieser bei Pyrford – in ihre ursprüngliche Grube auf der Horsell-Weide zu schaffen. Weiter drüben, bei dem geschwärzten Heidekraut und den zertrümmerten Gebäuden, die sich weit und breit erstreckten, stand einer als Wache, während die übrigen ihre riesigen Kriegsmaschinen verließen und in die Grube hinabstiegen. Sie arbeiteten bis spät in die Nacht hinein mit vollen Kräften, und die hochgetürmte Säule dichten grünen Rauches, die sich aus der Grube erhob, konnte von den Hügeln bei Merrow gesehen werden und soll selbst von Banstead und Epsom Downs bemerkt worden sein.
Während so die Marsleute hinter mir sich für ihren nächsten Ausfall rüsteten, während vor mir die Menschheit sich zum Kampf vorbereitete, bahnte ich mir unter unsäglichen Schmerzen und Mühen meinen Weg vom Feuer und vom Rauch des brennenden Weybridge nach London.
Ich sah ein sehr kleines verlassenes Boot in ziemlicher Entfernung flussabwärts treiben. Und nachdem ich den größten Teil meiner durchnässten Kleidungsstücke abgeworfen hatte, eilte ich ihm nach, erreichte es und entkam so der Verwüstung. Es waren keine Ruder im Boot, aber ich beschloss, zu plätschern, soweit es meine verbrühten Hände erlaubten. So gelangte ich nur sehr mühsam mich weitertreibend, den Fluss hinab nach Halliford und Walton; dabei blickte ich mich unaufhörlich um, wie man wohl begreifen wird. Ich folgte dem Fluss, indem ich mir sagte, dass das Wasser mir die beste Gelegenheit zum Entkommen bieten werde, wenn jene Riesen wiederkehrten.
Das heiße Wasser, das sich bei dem Sturz der Marsmaschine gebildet hatte, floss mit mir stromabwärts, und so konnte ich fast während einer Meile nur wenig von beiden Ufern erblicken. Einmal jedoch gewahrte ich eine Reihe schwarzer Gestalten, die aus der Richtung von Weybridge über die Wiesen eilten. Halliford schien gänzlich verödet zu sein, und einige dem Fluss zugewendete Häuser standen in Flammen. Es berührte mich seltsam, den Ort so friedlich daliegen zu sehen, so verlassen unter dem heißen blauen Himmel, und wie doch der Rauch und kleine Feuerfäden kerzengerade in die schwüle Luft des Nachmittags aufstiegen. Ich hatte nie noch vorher Häuser ohne den Zulauf einer im Wege stehenden Menschenmenge brennen sehen. Ein wenig weiter rauchte und glühte das ausgedorrte Schilf am Ufer, und eine Feuerlinie, die landeinwärts führte, kroch gierig über ein verspätetes Heufeld.
Lange Zeit trieb ich so hin; ich war von Schmerzen gepeinigt und erschöpft nach all dem Schrecklichen, das ich erlebt; und die Hitze auf dem Wasser war fast unerträglich. Dann überfiel mich wieder die Furcht, und ich nahm mein Plätschern wieder auf. Die Sonne versengte meinen bloßen Rücken. Endlich, als nach der Krümmung die Brücke von Walton mir entgegenblickte, besiegten Fieber und Schwäche meine Furcht; ich landete am Middlesex-Ufer und legte mich, fast zu Tode erschöpft, im langen Gras nieder. Es war, wie ich vermute, etwa vier oder fünf Uhr. Ich erhob mich bald wieder, ging eine halbe Meile weiter, ohne einer lebenden Seele zu begegnen, und legte mich dann wieder in den Schatten einer Hecke. Ich erinnere mich dunkel, während dieses letzten anstrengenden Marsches mit mir selbst gesprochen zu haben. Ich war auch sehr durstig und bereute es bitter, nicht mehr Wasser getrunken zu haben. Es ist auch eigentümlich, dass ich etwas wie Ärger über meine Frau empfand; ich kann es mir nicht erklären; aber mein ohnmächtiges Verlangen, Leatherhead zu erreichen, brachte mich über die Maßen auf.
Ich entsinne mich nicht mehr deutlich der Ankunft des Kuraten. Ich schlummerte also wahrscheinlich. Ich wurde seiner erst gewahr als eines Geschöpfes, das mit rußbedeckten Hemdärmeln dasaß und mit seinem aufwärtsgerichteten, glattrasierten Gesicht auf ein schwach flackerndes Licht starrte, das am Himmel tanzte. Es war ein Himmel, über und über besät mit feinen daunenfedergleichen Wölkchen, die von der sinkenden Hochsommersonne rosig angehaucht waren.
Ich setzte mich auf, und beim Geräusch meiner Bewegung blickte er rasch nach mir.
»Haben Sie etwas Wasser?«, fragte ich ohne Begrüßung.
Er schüttelte den Kopf.
»Sie haben schon seit einer ganzen Stunde um Wasser gebeten«, sagte er.
Einen Augenblick lang schwiegen wir und maßen uns gegenseitig mit den Blicken. Ich muss gestehen, dass er eine recht wunderliche Gestalt in mir fand, nackt bis auf meine durchnässten Beinkleider und Socken, halbverbrüht, und Gesicht und Schultern von Rauch geschwärzt. Sein Gesicht war das eines blonden Schwächlings, sein Kinn trat stark zurück, und sein Haar lag in krausen, fast flachsfarbenen Wellen auf seiner niedrigen Stirn. Seine Augen waren ziemlich groß, blassblau und ins Leere starrend. Er sprach abgebrochen und blickte gewöhnlich unstet von mir weg.
»Was bedeutet das?«, sagte er, »Was sollen alle diese Dinge bedeuten?«
Ich starrte ihn an und gab keine Antwort.
Er streckte eine dünne weiße Hand aus und fuhr in fast klagendem Ton fort:
»Warum werden solche Dinge zugelassen? Was für Sünden haben wir begangen? Die Morgenandacht war zu Ende, ich wandelte durch die Straßen, um meine Gedanken für den Nachmittag zu klären — da — Feuer, Erdbeben, Tod! Als ob es Sodom und Gomorrha wäre! Die ganze Arbeit zerstört, die ganze Arbeit! Wer sind diese Marsleute?«
»Wer sind wir?«, antwortete ich und räusperte mich.
Er umklammerte seine Knie und wandte sich wieder mir zu. Eine halbe Minute vielleicht brütete er schweigend vor sich hin.
»Ich wandelte durch die Straßen, um meine Gedanken zu klären«, sagte er. »Und plötzlich Feuer, Erdbeben, Tod!«
Er verfiel wieder in Schweigen; sein Kinn sank fast auf seine Knie.
Bald darauf fing er wieder an und fuhr mit der Hand umher.
»Die ganze Arbeit — alle die Sonntagsschulen. Was haben wir denn getan — was hat Weybridge getan? Alles verschwunden — alles zerstört. Die Kirche! Wir haben sie erst vor drei Jahren wieder aufgebaut. Verschwunden! — Vom Erdboden weggefegt! Warum?«
Abermals eine Pause; dann brach er wieder los wie ein Rasender.
»Der Rauch Seines Feuers gehet auf für ewig und immerdar!«, schrie er.
Seine Augen flammten, und sein magerer Finger wies gegen Weybridge.
Ich war jetzt so weit, um mir über ihn klar zu werden. Das entsetzliche Trauerspiel, in das er verflochten war — er war offenbar ein Flüchtling aus Weybridge — hatte ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben.
»Sind wir weit von Sunbury?«, fragte ich in einem gleichgültigen Ton.
»Was sollen wir tun?«, fragte er. »Sind denn diese Geschöpfe überall? Ist ihnen denn die Erde übergeben worden?«
»Sind wir weit von Sunbury?«
»Diesen Morgen erst hielt ich den Frühgottesdienst ab.«
»Die Dinge haben sich seither verändert«, sagte ich ruhig. »Sie müssen Ihren Kopf oben behalten. Es gibt noch Hoffnung.«
»Hoffnung!«
»Ja; Hoffnung in Menge — trotz aller dieser Zerstörung!«
Ich fing an, meine Ansicht über unsere Lage darzulegen. Er hörte anfangs zu, aber während ich weitersprach, verwandelte sich das Interesse in seinen Augen wieder in das leere Starren von früher, und seine Blicke schweiften von mir weg in die Ferne.
»Das muss der Anfang vom Ende sein«, sagte er, mich unterbrechend, »das Ende! Der große und schreckliche Tag des Herrn! Wenn die Menschen werden anrufen die Berge und die Felsen, dass sie mögen fallen auf sie und sie verbergen — verbergen vor Seinem Angesicht, vor dem Antlitz dessen, der da sitzet auf dem Throne!«
Ich begann, die Sachlage zu verstehen. Ich gab meine anstrengenden Vernunftspredigten auf, richtete sich mühsam auf, und zu ihm tretend, legte ich meine Hand auf seine Schulter.
»Seien Sie ein Mann«, sagte ich. »Der Schrecken hat Sie um Ihren Verstand gebracht. Wozu ist denn die Religion gut, wenn sie beim ersten Unglück zusammenbricht? Bedenken Sie doch, was Erdbeben und Wasserfluten, Kriege und Vulkane schon früher der Menschheit angetan haben. Dachten Sie denn, dass Gott mit Weybridge eine Ausnahme machen wollte? … Er ist kein Versicherungsagent, Herr.«
Eine Zeit lang saß er in Schweigen verloren da.
»Aber wie sollen wir entfliehen?«, fragte er plötzlich. »Sie sind unverwundbar, sie sind erbarmungslos.«
»Weder das eine, noch, vielleicht, das andere«, antwortete ich. »Und je mächtiger sie sind, umso vernünftiger und behutsamer sollten wir sein. Nicht drei Stunden sind es her, dass einer von ihnen da drüben getötet wurde.«
»Getötet!«, sagte er, und starrte mich an. »Wie können die Gesandten des Herrn getötet werden?«
»Ich sah es«, fuhr ich in meiner Erzählung fort. »Der Zufall will es eben, dass wir ins Ärgste hineingeraten sind«, sagte ich, »das ist alles.«
»Was bedeutet denn jenes Flackern am Himmel?«, fragte er unvermittelt.
Ich sagte ihm, dass es die Signale der Heliografen seien – das Zeichen menschlicher Hilfe und Bemühungen am Himmel.
»Wir sind gerade mitten darinnen«, sagte ich, »so ruhig alles auch ist. Das Flackern am Himmel deutet auf nahenden Sturm. Dort drüben, glaube ich, sind die Marsleute, und gegen London zu, dort, wo die Hügel um Richmond und Kingston sich erheben, und die Bäume Schutz gewähren, werden Schanzen aufgeworfen und Geschütze aufgepflanzt. Bald werden die Marsleute wieder hierherkommen…«
Während ich noch sprach, sprang er auf und unterbrach mich mit einer Gebärde.
»Hören Sie«, sagte er …
Von jenseits der niedrigen Hügel über dem Wasser erschollen der dumpfe Widerhall ferner Geschütze und in weiter Ferne ein unheimliches Schreien. Dann war alles still. Ein Maikäfer schwirrte über die Hecke an uns vorüber. Hoch im Westen hing, bleich und kaum sichtbar, die Sichel des Mondes über dem Rauch von Weybridge und Shepperton und der heißen stillen Pracht der sinkenden Sonne.
»Wir tun am besten, diesen Weg einzuschlagen«, sagte ich, »nach Norden.«
Mein jüngerer Bruder war in London, als die Marsleute Woking überfielen. Er war Student der Medizin, arbeitete gerade für eine bevorstehende Prüfung, und hörte von ihrer Ankunft nichts vor Samstag früh. Die Morgenblätter am Samstag enthielten als Ergänzung ziemlich ausführliche Fachartikel über den Planeten Mars, das Leben auf dem Planeten und so weiter und nur ein kurzes, in unbestimmten Wendungen gehaltenes Telegramm, das durch seine Kürze umso auffälliger wirkte.
Die Marsleute, durch die Annäherung einer Menschenmenge erschreckt, haben eine Anzahl Menschen mit einem Schnellfeuergeschütz getötet, so etwa lautete der Bericht. Das Telegramm schloss mit den Worten: »So furchtbar sie auch scheinen mögen, haben sich die Marsleute noch nicht aus der Grube, in die sie gefallen sind, gerührt und scheinen auch ganz unfähig dazu zu sein. Dies ist wahrscheinlich eine Folge der relativ ungleich stärkeren Anziehungskraft der Erde.« Über diesen letzteren Punkt verbreitete sich der Artikelschreiber mit großem Behagen.
In dem biologischen Kurs der Vorbereitungsschule, die mein Bruder zu jener Zeit besuchte, waren natürlich alle Studenten von dem lebhaftesten Anteil an diesen Vorgängen erfüllt. Aber auf den Straßen waren keine Zeichen einer ungewöhnlichen Erregung wahrzunehmen. Die Nachmittagsblätter verbreiteten einige Brocken Neuigkeiten unter riesigen Aufschriften. Aber außer der Bewegung der Truppen auf der Weide und dem Brand des Fichtengehölzes zwischen Woking und Weybridge um acht Uhr wussten sie nichts zu berichten. Später teilte die »St. James Gazette« die nackte Tatsache von der Unterbrechung der telegrafischen Verbindung in einer besonderen Ausgabe mit. Man nahm an, dass dies dem Auffallen einiger brennender Fichtenstämme auf die Drähte zuzuschreiben sei. Über das Gefecht wurde in jener Nacht, der Nacht meiner Fahrt nach Leatherhead und zurück, nichts weiter bekannt.
Mein Bruder war nicht im Mindesten um uns besorgt, da er aus der Beschreibung der Blätter wusste, dass der Zylinder gute zwei Meilen von unserem Haus entfernt war. Er nahm sich vor, in der Nacht zu mir zu fahren, um, wie er sagte, sich die Geschöpfe anzusehen, bevor sie getötet würden. Er sandte mir ein Telegramm, das mich nie erreichte. Das war um vier Uhr. Den Abend verbrachte er in einer Singspielhalle.
Auch in London herrschte Samstag nachts ein starkes Unwetter, und mein Bruder fuhr in einer Droschke zum Waterloobahnhof. Auf dem Bahnsteig, von dem der Mitternachtszug die Station gewöhnlich verlässt, erfuhr er nach einigem Warten, dass ein Unfall die Züge verhindere, diese Nacht Woking zu erreichen. Über das Nähere dieses Unfalls konnte er nichts Verlässliches erfahren; selbst die Bahnbeamten wussten damals noch nichts Bestimmtes. Auf dem Bahnhof herrschte nur geringe Aufregung, und die Bahnbeamten, weit entfernt, etwas anderes anzunehmen als eine einfache Störung zwischen Byfleet und dem Knotenpunkt Woking, führten die Theaterzüge, welche gewöhnlich über Woking fuhren, auf einen Umweg über Virgina Water oder Guildford. Ebenso eifrig waren sie damit beschäftigt, die Linien der Sonntags-Vergnügungszüge nach Southampton und Portsmouth zu ändern. Der Nacht-Berichterstatter einer Zeitung, der meinen Bruder irrtümlich für den Betriebsleiter hielt, mit dem er eine entfernte Ähnlichkeit besitzt, stellte sich ihm in den Weg und versuchte, einiges aus ihm herauszubekommen. Außer einigen Bahnbeamten brachten nur wenige Leute den Unfall mit den Marsmännern in Zusammenhang.
In einem anderen Bericht dieser Ereignisse habe ich gelesen, dass am Sonntagmorgen »ganz London durch die Nachrichten aus Woking elektrisiert war.« In Wahrheit aber gab es nichts, das diesen sehr übertriebenen Ausdruck rechtfertigen konnte. Zahlreiche Leute in London hatten bis zur Panik am Montagmorgen nichts von den Marsleuten gehört. Und die davon gehört hatten, bedurften einiger Zeit, um sich aus den hastig entworfenen Telegrammen der Sonntagsblätter ein Bild zu machen. Die Mehrheit der Leute in London liest keine Sonntagsblätter.
Außerdem wurzelt das gewohnte Gefühl persönlicher Sicherheit so tief in der Seele des Londoners, und aufregende Zeitungsnachrichten sind eine so alltägliche Sache in London, dass die Leute ohne besondere Furcht Dinge wie diese lesen konnten: »Vorige Nacht kamen die Marsleute um sieben Uhr aus ihrem Zylinder heraus. Sie wagten sich in Harnischen aus Metallplatten hervor, zerstörten das Bahnhofsgebäude von Woking samt den umliegenden Häusern vollständig und vernichteten ein ganzes Bataillon des Cardigan-Regimentes. Einzelheiten sind nicht bekannt. Maxim-Geschütze erwiesen sich völlig nutzlos gegen ihren Harnisch; Feldgeschütze wurden von ihnen zertrümmert. Fliehende Husaren sprengten nach Chertsey. Die Marsleute scheinen langsam nach Chertsey oder Windsor vorzurücken. In West-Surrey herrscht große Angst und Schanzen werden aufgeworfen, um einem Einrücken in London vorzubeugen.« In dieser Weise drückte sich die »Sunday Sun« aus; und ein geschickter, und mit bemerkenswerter Schnelligkeit geschriebener Fachaufsatz im »Referee« verglich die Sache mit einer plötzlich auf ein Dorf losgelassenen Menagerie.
Niemand war in London über die Beschaffenheit der gepanzerten Marsleute genau unterrichtet und noch immer herrschte die fixe Idee, dass diese Ungeheuer nur schwerfällig »krabbelten«, »mühselig krochen«. Solche Ausdrücke fanden sich fast in jedem der ersten Berichte. Keines jener Telegramme konnte von einem Augenzeugen jener Vorgänge herrühren. Die Sonntagsblätter druckten Sonderausgaben, als weitere Nachrichten bekannt wurden, manche auch, bei denen das nicht der Fall war. Aber es gab tatsächlich nichts, was man den Leuten bringen konnte, bis zum späten Nachmittag, als die Behörden den Presseagenten die Nachrichten übermittelten, die in ihrem Besitz waren. Es wurde die Mitteilung gemacht, dass die Bewohner von Walton und Weybridge, und überhaupt aus diesem ganzen Bezirk auf den Straßen London zuströmten. Das war alles.
Am Morgen ging mein Bruder in die Kirche des Findelhauses, immer noch ohne zu wissen, was sich am Abend vorher zugetragen hatte. Er hörte dort Anspielungen auf den Einfall der Marsbewohner und ein besonderes Gebet um Frieden. Nach dem Gottesdienst kaufte er eine Nummer des »Referee«. Die darin enthaltenen Nachrichten machten ihn doch besorgt, und er begab sich erneut zum Waterloo-Bahnhof, um dort ausfindig zu machen, ob die Verbindung schon hergestellt sei. Die Stellwagen, die Droschken, die Radfahrer und die zahllosen Leute, die in ihren besten Kleidern umherwandelten, schienen von den seltsamen Nachrichten, welche die Zeitungsjungen ausriefen, kaum berührt zu werden. Die Leute interessierten sich höchstens dafür, oder wenn sie besorgt waren, so waren sie es nur um ihre dort wohnenden Angehörigen. Auf dem Bahnhof hörte er zum ersten Mal, dass die Linien nach Windsor und Chertsey schon unterbrochen waren. Die Träger erzählten ihm, dass am Morgen einige wichtige Telegramme von den Stationen Byfleet und Chertsey eingetroffen seien. Plötzlich aber wäre nichts mehr gekommen. Mein Bruder konnte keine genaueren Einzelheiten aus den Männern herausbekommen. »Dort um Weybridge herum scheint tüchtig gekämpft zu werden«, darauf liefen alle ihre Mitteilungen hinaus.
Der Bahndienst schien in große Unordnung geraten zu sein. Eine erhebliche Menge von Menschen, die aus den Ortschaften des südwestlichen Bahnnetzes Freunde erwartet hatten, stand unschlüssig herum. Ein grauköpfiger alter Herr kam an meinen Bruder heran, und ließ sich in heftigen Worten über die Süd-Westbahn-Gesellschaft ans. »Die sollte wohl tüchtig hergenommen werden«, sagte er.
Ein paar Züge kamen an, aus Richmond, Putney und Kingston. Sie brachten Leute, die ausgezogen waren, um einen Tagesausflug zu Wasser zu machen, aber sie hatten die Schleusen geschlossen gefunden und glaubten etwas wie ein Gefühl von Angst, das in der Luft lag, zu merken. Ein Mann in blau und weiß gestreiftem Flanell, wendete sich an meinen Bruder, seine seltsamen Neuigkeiten an den Mann zu bringen:
»Scharen von Leuten fahren auf Karren und Wagen und allen erdenklichen Fuhrwerken nach Kingston und schleppen dabei Koffer mit ihren Habseligkeiten mit«, sagte er, »sie kommen aus Molesey und Weybridge und Walton und behaupten, in Chertsey ein heftiges Geschützfeuer gehört zu haben; berittene Soldaten sollen ihnen geraten haben, schleunigst die Flucht zu ergreifen, da die Marsleute kämen. Auch wir hörten Geschützfeuer am Bahnhof von Hampton Court, aber wir hielten es für Donner. Was zum Kuckuck soll denn das alles bedeuten? Die Marsleute können doch nicht aus ihrer Grube heraus? Oder doch?«
Mein Bruder konnte ihm keine Auskunft geben.
Später bemerkte er, dass ein unbestimmtes Gefühl der Furcht sich auch der Benutzer der Untergrundbahn bemächtigt hatte, und dass die Sonntags-Ausflügler aus den südwestlichen Sommerfrischen — Barnes, Wimbledon, Richmond Park, Kew und so weiter — zu ungewöhnlich früher Zeit zurückzukehren begannen. Aber nicht einer von ihnen wusste außer leeren Gerüchten etwas Nennenswertes zu erzählen. Jedermann, der mit der Bahn zusammenhing, schien schlechter Laune zu sein.
Um fünf Uhr etwa geriet der anschwellende Menschenhaufen am Bahnhof in ungeheure Aufregung, weil die fast beständig geschlossene Verbindungslinie zwischen den südöstlichen und südwestlichen Haltestellen geöffnet wurde. Die Aufregung wuchs beim Anblick einfahrender Güterwagen, die mit riesigen Geschützen beladen, und Wagenabteilungen, die von Soldaten dicht besetzt waren. Es waren die Geschütze, die von Woolwich und Chatham heraufgebracht worden waren, um Kingston zu decken. Sofort begann ein Austausch von Scherzworten: »Ihr werdet gefressen werden!« »Wir sind die Tierbändiger!«, und dergleichen. Kurz darauf kam ein Zug Wachleute, welche die Bahnsteige säuberten. Auch mein Bruder begab sich wieder auf die Straße.
Die Kirchenglocken läuteten zum Abendsegen, und eine Abteilung von Mädchen der Heils-Armee kam singend die Waterloostraße herab. Bei der Brücke beobachtete eure Anzahl Müßiggänger einen sonderbaren braunen Schaum, der stellenweise sichtbar den Strom hinabtrieb. Die Sonne versank eben, und der Uhrturm und die Häuser des Parlaments erhoben sich gegen einen Abendhimmel, den man sich kaum friedlicher vorstellen konnte, einen goldenen Himmel, unterbrochen von langen Querstreifen rötlichbrauner Wolken. Es ging die Rede von einem schwimmenden Leichnam. Einer der Männer, ein Reservist, wie er sagte, erzählte meinem Bruder, er habe im Westen den Heliografen aufblitzen gesehen.
In der Wellingtonstraße begegnete mein Bruder einem Paar stämmiger Bengel, die eben mit noch feuchten Zeitungsblättern und auffallenden Plakaten aus der Fleetstreet stürmten. »Furchtbare Katastrophe!«, brüllten sie, einer den anderen überschreiend. »Kämpfe in Weybridge! Ausführliche Beschreibung! Flucht der Marsleute! London in Gefahr!« Mein Bruder musste ihnen drei Pence für eine Nummer des Blattes geben.
Damals geschah es, damals erst, dass er sich einen Begriff von der vollen Gewalt und der Furchtbarkeit jener Ungeheuer machte. Er erfuhr, dass sie nicht bloß eine Handvoll kleiner plumper Geschöpfe waren, sondern geistig hochstehende Wesen, die riesige mechanische Körper lenkten, die sich blitzschnell bewegen und mit solcher Kraft ihre Opfer treffen konnten, dass selbst die mächtigsten Geschütze ihnen nicht standzuhalten vermochten.
Sie wurden geschildert als »ungeheure spinnenartige Maschinen, fast hundert Fuß hoch, fähig, sich mit der Schnelligkeit von Eilzügen vorwärtszubewegen, und imstande, Strahlen von unermesslicher Hitze abzufeuern.« Verborgene Batterien, hauptsächlich aus Feldgeschützen bestehend, wären in der Umgebung der Horsell-Weide aufgepflanzt worden, besonders zwischen dem Bezirk Woking und London. Man hätte fünf Maschinen gesehen, wie sie sich der Themse näherten, und eine wäre durch eine Laune des Zufalls zerstört worden. In allen anderen Fällen wären die Geschosse fehlgegangen, und die Batterien von den Hitzestrahlen sofort vernichtet worden. Schwere Verluste von Soldaten wurden gemeldet, aber der Ton des Berichtes war hoffnungsvoll.
Die Marsleute wären zurückgeschlagen worden; sie wären nicht unverwundbar. Sie hätten sich wieder in ihr Zylinderdreieck im Kreise von Woking zurückgezogen. Brave Leute, die heliografische Zeichen gaben, näherten sich ihnen unausgesetzt von allen Seiten. Mit reißender Schnelligkeit würden von Windsor, Portsmouth, Aldershot, Woolwich, selbst aus dem Norden Geschütze an Ort und Stelle geschafft; unter anderem lange gezogene Geschütze von fünfundneunzig Tonnen ans Woolwich. Alles in allem würden hundertundsechzehn aufgestellt oder hastig vorbereitet werden, hauptsächlich zum Schutz Londons. Niemals vorher hätte in England ein so ungeheures oder schleuniges Aufgebot von kriegerischer Macht stattgefunden.
Jeder in Zukunft niederfallende Zylinder würde, so hoffte mein, durch starke Sprenggeschosse sofort zerstört werden, die schleunigst hergestellt und verteilt werden sollten. Ohne Zweifel, fuhr der Bericht fort, könne die Lage nicht sonderbarer und ernster sein, aber die Öffentlichkeit sei hiermit ermahnt, Paniken zu meiden und zu verhindern. Ohne Zweifel seien die Marsleute äußerst seltsame und erschreckende Geschöpfe, aber im schlimmsten Fall gäbe es nicht mehr als zwanzig gegen unsere Millionen.
Die Behörden hätten guten Grund aus dem Umfang der Zylinder zu schließen, dass im äußersten Fall nicht mehr als fünf in jedem Zylinder stecken könnten — zusammen also fünfzehn. Und einer wenigstens sei schon abgetan — vielleicht schon mehr. Die Öffentlichkeit sei schon genügend vor der drohenden Gefahr gewarnt worden; und die umfangreichsten Vorsichtsmaßregeln seien getroffen worden, um die Bevölkerung der bedrohten südwestlichen Vororte zu schützen. Und mit wiederholten Beteuerungen in Bezug auf die Sicherheit Londons und in festem Vertrauen darauf, dass die Behörden ihrer schweren Aufgabe gewachsen seien, schloss diese Quasi-Proklamation.
Das alles war in riesigen Buchstaben gedruckt, so frisch, dass das Papier noch feucht war, und es war nicht Zeit gewesen, ein Wort der Erklärung hinzuzufügen. Es war merkwürdig, erzählte mein Bruder, zu sehen, wie rücksichtslos der übrige Inhalt des Blattes verstümmelt und beseitigt wurde, um für diese Mitteilungen Raum zu schaffen.
Die ganze Wellingtonstraße entlang konnte man die Leute sehen, wie sie diese blassroten Blätter auseinanderfalteten und lasen; und der Strand1 war plötzlich erfüllt von den lärmenden Stimmen eines Heeres von Zeitungverkäufern, die jenen Pionieren auf dem Fuße folgten. Die Leute kletterten von den Stellwagen herab, um sich Blätter zu sichern. Diese Nachrichten erregten die Menge natürlich aufs Äußerste, so groß ihr früherer Gleichmut auch war. Die Tür eines Landkartenladens am Strand wurde aufgeschlossen, erzählte mein Bruder, und hinter dem Fenster wurde ein Mann in seinem Sonntagsstaat mit zitronengelben Handschuhen sichtbar, wie er Karten von Surrey hastig an das Glas befestigte.