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Die Dorf-Plage

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Die Dorf-Plage
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I

Zwei schlichte, sonntäglich gekleidete Landbewohner kehrten an einem Nachmittag von der benachbarten Stadt nach ihrem Dorfe zurück.

Die Landschaft, die sie durchwanderten, war eine der Schönsten des Hagelandes.1 Die Straße schlang sich, quer durch den braunen Eisenstein gehauen, neben einem Hügelrücken in wundersamen Wellenlinien über Höhen und Tiefen dahin, bis zu dem kleinen Kreuz mit dem vergoldeten Hahn, das in der Ferne aus dem dunklen Laubwerk hervor glänzte. An der einen Seite des Weges erhob sich die steile Felsenwand, deren dunkle Farbe mit dem lieblichen Grün üppigen Brombeergesträuchs bedeckt war, und welche die Aussicht nach dieser Richtung versperrte . . . Zuweilen indessen senkte sich der Boden zu einem reich bepflanzten Thale und es ließ sich von der Höhe, auf der sich unsere Wanderer befanden, mit einem einzigen Blicke die ganze weite Strecke überschauen. Ein schönes Schauspiel gewährte es besonders, in der Ferne die Tannenwälder, gleichsam über einander gestapelt, an den Hügelwänden sich hinauf— und hinabbreiten, und in immer schwächerem Farbenton, ihr saftiges Grün allmälig mit den Dünsten des Horizontes in ein nebelhaftes Grau verschwimmen zu sehen.

Auf der andern Seite des Weges hatten die Gewitterregen ein breites Bett aufgewühlt, hinter welchem eine weite Fläche wohlbebauter Felder sich erstreckte, deren regelmäßige Furchen bis an den Abhang einer andern Hügelreihe fortliefen und dort als bunte Teppiche von den Rücken der Berge herabzuhängen schienen.

Es war Herbstzeit; die Spätsonne glänzte mit höherer Gluth am wolkenlosen Himmel und spielte in den mannigfaltigsten Schattierungen mit den bunten Farben des halbverwelkten Laubes. Obgleich ihr Licht noch in voller Klarheit strahlte, verkündigte bereits am Fuße der fernen Wälder der zarte Purpurton, daß die Luft kälter wurde als die Erde, und die Abendnebel aufstiegen.

Von den Anhöhen, über die sie der Weg führte, konnten die zwei Wanderer Stundenweit blicken und des prächtigen Gemäldes genießen, das die stille Herbstnatur vor ihren Augen entrollte, aber sie schienen es kaum zu beachten und wanderten schweigsam ihre Straße fort.

Der eine war ein alter Mann mit grauem Haare und tief gefurchtem Gesicht. Obschon von den Jahren gekrümmt, schritt er noch leichten Trittes dahin und bedurfte kaum des Knotenstockes, der ihm an einer ledernen Schnur von der Faust hing. Auch seine Augen blickten helle und der ruhig ernste Ausdruck, der über seinen Zügen lag, zeugte noch von Gemüthsstärke und Willensfestigkeit.

Ein grober Filzhut aus dem vorigen Jahrhundert verbarg theilweise sein Silberhaar und ein nicht minder altmodischer Ueberrock hing ihm fast bis an die Fersen herab.

In demselben Anzug hatte der gute Mann einst vor dem Altare gekniet, als er seiner Bethe die ewige Treue gelobte. Sorgsam hatte er ihn geschont, denn derselbe hatte ihn ein gut Theil Silberstücke gekostet . . . Sechsundzwanzig Jahre waren seit jenem Hochzeitsmorgen verstrichen und noch holte er ihn nur dann aus dem Schrein, wenn er zur Kirche ging oder in Geschäften sich nach der Stadt begeben mußte.

Sein Begleiter war ein junger Gesell, dem Gesundheit und Kraft aus dem frischen Gesichte strahlten. Eine hübsche Tuchmütze hing ihm über dem linken Ohr und üppig wallten die braunen Locken über die Schultern herab. Die Zipfel einer bunten Halsbinde bedeckten zierlich den Brustschlitz seines feinen blauen Kittels. Es leuchteten ihm die Augen von stiller Lebenslust, ein süßes Lächeln umschwebte den Mund und die flüchtigen Blicke, die er zuweilen um sich warf, verriethen die Einfalt seines Herzens und das volle Vertrauen, womit er die Zukunft erwartete.

Auf der rechten Schulter trug er an einem Stock einen beladenen Korb; die Hand, womit er den Stock hielt, war mächtig und breit, und die schwieligen Finger bezeugten, daß der junge Bauer, der eben erst zum Manne herangereift war, schon manche schwere Arbeit bestanden habe.

Seit einiger Zeit schritt der alte Mann mit gesenkterem Haupte, als er zu thun pflegte, dahin. Offenbar hatten ernste Gedanken seinen Geist ergriffen, und der häufige Wechsel seines Ausdrucks ließ auf Kummer und ängstigende Sorgen schließen.

Wohl war seinem Gefährten diese düstere Stimmung nicht entgangen und mit einer stillen Theilnahme, die von Achtung und, Ehrerbietigkeit zeugte, suchte er auf dem Gesichte des Alten die Ursache dieser traurigen Gemüthsbewegungen heraus zu lesen.

Als ob der Zug seiner Gedanken ihn endlich zu einem Schlusse geführt hätte, sprach endlich der Greis mit nachdrucksvollem Tone:

– »Ja, Lukas, mein Sohn, wohl ist es so, wie zuweilen unser alter Pastor scherzend sich ausdrückt: – Als der Teufel sah, daß er nicht mehr genug Seelen zu fangen im Stande sei, da verwandelte er sich in Branntwein und Seitdem ist die Hölle zu klein."

– »Wie kommt Ihr darauf, Vater?« fragte der Jüngling verwundert.

Aber der Alte ließ sich in seinem Gedankengange nicht stören, und fuhr fort, mit einem Ausdrucke der Verachtung:

– »Was kann es aber auch für ein verächtlicheres Geschöpf auf der Erde geben, als den Trunkenbold? Träge und sorglos läßt er seine Felder entweder unbesäet liegen, oder das Unkraut darin ungehemmt seine Saaten ersticken; schamlos sieht er seine Sachen immer bedenklicher rückwärts schreiten und verzehrt in elender Schlemmerei das Wenige, das er erworben. Frau und Kinder quälen sich ab in Angst und Verdruß, leiden Hunger und Durst und sehen die bitterste Noth drohend vor der Thüre stehen. Er unterdessen schlendert herum, lärmend, fluchend und singend, zur Schande des ganzen Dorfes. Im Taumel seines stürmischen Uebermuthes hofft er der nagenden Gewissensbisse Meister zu werden, verliert dabei aber am Ende sowohl seine arme Seele, als den Verstand. Und so geht es vom Bösen zum Schlimmeren fort, bis er sich endlich mit seiner unglücklichen Familie auf den Bettel zu gehen gezwungen sieht, ja vielleicht an der Thüre desselben Hofes ein Stück Brod erstehen muß, den sein Vater mit saurem Schweiße zum schönsten Gedeihen gebracht hatte, um ihn dem undankbaren Sohne in gutem Stande zu hinterlassen. Sieh, wenn ich nur daran denke, so kocht mir das Blut in den Adern. Elende Tagediebe!«

Der Jüngling blickte verdutzt auf seinen Vater, dessen Aeußerungen er in ihrer nächsten Ursache immer noch nicht begriff. Dieser aber fuhr fort:

– »Sieh meine Hände, Lukas, sieh mein Gesicht und meinen gewölbten Rücken. Vor den Jahren bin ich alt und gebrochen. Gar früh war ich eine Waise, meine Eltern hatten bei einer Feuersbrunst beide den Tod gefunden, und auch mein Ohm, der gute Mann, der sich damals meiner annahm und ich zur Schule schickte, starb, da ich eben dreizehn Jahre alt geworden. Da wurde ich Knecht auf dem großen Hof hinter dem Kreuzberg. Als ich deine Mutter heirathete, besaßen wir Nichts als eine Ziege und einige an unserem Tagelohn ersparte Gulden. Aber wir haben wacker geschafft und gesorgt, und Gott segnet immer die rüstige Arbeit. So haben wir es allmälig so weit gebracht, daß wir ein Pferd, vier Kühe und ein ziemliches Stück Land in Pacht besitzen, und dabei noch ein kleines Häuschen Geld für die bösen Zeiten im Rückhalte haben. Es wird wohl auch einmal ein Kreuzchen über meinem Grabe auf dem Kirchhofe ragen – aber nicht wahr, Lukas, du wirst dir es nie aus dem Sinne schlagen, daß Alles, was ich dir zurückgelassen, die mühsame Frucht meiner Arbeit, der wohlverdiente Lohn meines Schweißes war; daß dein Vater und deine Mutter Mangel gelitten und sich zu Tode gearbeitet haben, um dir zu deinem Besitzthum zu verhelfen. Nicht wahr, du wirst es treulich pflegen, dieses kostbar errungene Besitzthum, es vermehren, es mit Umsicht verwalten, als ein theures Andenken unserer treuen Liebe?«

Der herzliche Ton dieser Worte rührte den jungen Burschen fast zu Thränen.

Mit sanfter Wehmuth erwiederte er:

– »Lieber Vater, was sagt ihr denn? Ihr irrt euch; habe ja bei Baes2 Anton doch höchstens ein einziges Glas Diester—Bier getrunken!«

Da griff ihn der Alte bei der Hand und sagte:

– »Oh, meine Rede geht nicht auf dich, Lukas; Gott sei es gedankt, du bist brav und arbeitsam, und deine Güte, deine Tugend ist mir ein theurer Lohn für meine Mühen. Wenn – du einmal alt und von der Arbeit aufgerieben, gebückt unter der Last deiner Jahre einhergehst, dann sollst du es auch empfinden, mein Sohn, wie trostvoll es ist, zu wissen, daß einem der Segen des Schweißes nach dem Tode nicht von unwürdigen Kindern vergeudet wird.«

– »Aber, Vater, ich werde nicht klug aus euren Worten,« sagte der Sohn; »es liegt euch etwas auf dem Herzen; sagt es doch lieber heraus.«

– »Ach, es würde dir gar zu wehe thun, Lukas.«

– »Mir? – was mag das sein?«

– »Nun, früher oder später, erfährst du’s doch; also brauche ich nicht länger damit einzuhalten.

Weißt du, was mir der Notar unseres Grundbesitzers heute gesagt hat? – Bauer Staers wird morgen oder übermorgen von Gerichtsdienern vor die Thüre seines Hofes gesetzt werden!«

 

– »Himmel! und Clara?« rief der Junge mit schmerzlichem Erstaunen.

– »Ja, Clara, die arme Clara,« versetzte der Greis. »Sie hat freilich solch elendes Loos nicht verdient, aber sie muß ihrem Vater folgen, wohin sich dieser auch wenden mag . . . «

– »Bauer Staers aus seinem Pachte getrieben?« wiederholte Lukas mit Zittern. »Es ist nicht möglich; was kann man denn gegen ihn haben?«

– »Den vorjährigen Pachtzins ist er noch immer schuldig, und wir sind schon fast im Oktober.«

– »Aber er besitzt ja selbst ein hübsches Stück Land zu eigen?«

– »Zwei Jahre lang war es verpfändet und ist längst verkauft,« antwortete der Alte.

– »Er ist doch einst reich gewesen?«

– »Das gerade nicht, aber wohlhabend, und hätte er besser Haus gehalten, er wäre am Ende auch reich geworden, denn er hat viele gute Bauernjahre erlebt.«

– »Was ist denn aus seiner väterlichen Erbschaft geworden? so viel kann doch ein Mensch nicht Vertrinken!«

– »Das scheint dir so, Lukas; aber die Kehle eines Säufers ist ein bodenloses Faß und es bedarf keiner fünfzehn Jahre, um weit mehr zu verthun, als Bauer Staers je besessen hat. Ich will dir nun erzählen, wie es mit ihm gegangen ist; es wird uns Kurzweil geben und kann dir dabei zur Warnung dienen, mein Sohn . . . «

– Von anderen Empfindungen beherrscht, wollte Lukas noch einige Bemerkungen machen, aber der Vater ließ ihn nicht zum Worte kommen und begann:

– »Höre nun und unterbrich mich nicht. – Jan Staers’ Eltern waren Leute, bei denen es nicht knapp herging: sie bestellten ihre Felder vortrefflich und scheuten keine Arbeit, aber im Verstande sah es nicht ganz richtig bei ihnen aus und die guten Leute bildeten sich etwas mehr ein, als es Bauersleuten ansteht. So sollte denn auch ihr einziger Sohn, nicht wie sie, hinter dem Pfluge einhergehen; in der Stadt sollte er wohnen und den Herrn spielen. Sie schickten ihn in eine Schule, wo Doktoren und Advokaten gebildet werden, aber nach zwei Jahren wurde Jan des Lernens müde und wollte lieber ein Bauer werden, indem er dachte, es sei doch viel angenehmer, einer Wirthschaft vorzustehen, als sich in der weiten Welt eine unsichere Existenz zu suchen. So weit ging es noch an . . . aber anstatt ihren Sohn an die Arbeit zu gewöhnen, ließen ihn die Eltern ganz nach seiner Laune schalten und steckten ihm viel zu viel Geld in die Tasche. – Die Gelegenheit macht Diebe, sagt das Sprichwort, und Müßigang ist aller Laster Anfang, sagt unser alter Pastor. Ganze Tage lang wußte Jan nicht, wohin er seinen Körper herumschleppen sollte. So lief er ins Wirthshaus, zuerst aus langer Weile, dann aus Gewohnheit; Anfangs trank er ein einziges Gläschen, aber daraus wurden bald zwei, drei und noch mehr. Die Wirthe natürlich behandelten ihn achtungsvoll und schmeichelten seinem Hochmuthe, und ein Troß von gierigen Speichelleckern, deren es leider gar viele auf unserem Dorfe giebt, begleitete ihn auf jedem Tritt und rühmte, um damit seine Zechfreiheit zu erkaufen, Alles, was der junge Mensch that oder sagte. Kurz Jan Staers war allmälig ein Trunkenbold geworden, ehe er selber, geschweige denn seine Eltern, es ahnte. Da ließ er sich in eine Bekanntschaft ein mit der Tochter aus dem blinden Pferd, einem kleinen Wirthshaus, das früher dort hinter dem Hügel stand. Seine Trauung geschah an demselben Tage, als die meinige, und es ist jene Hochzeit die einzige Gelegenheit, bei der ich je einen andern um seinen Wohlstand beneidet habe. Staers’ Braut war schön in Seide und Sammt aufgeputzt und er selber hatte sich in der Stadt einen feinen Rock machen lassen, nebst einem Hute, der wie ein Spiegel glänzte. Sie sahen aus, als ob sie die Herren des Dorfes wären, während ich mit den Kleidern, die ich noch am Leibe habe, und meine arme Bethe, deine Mutter, mit ihrem kattunenen Mieder und ihrem gestreiften Rocke, wie Dienstleute des Bauern Staers daneben aussahen. Da habe ich es unserem Herrgott vor dem Altare gelobt, daß ich rastlos arbeiten würde, bis meine gute Bethe auch in besseren Kleidern zur Kirche gehen könne . . . und ich habe Wort gehalten . . . Aber ich vergesse weiter fortzufahren in der Geschichte des Jan Staers . . . Du magst daraus lernen, Lukas, daß es wahr ist, wenn es heißt: Wer einmal ein Sklave des Trunkes geworden, hat seine Seele dem Teufel verkauft . . . Im Anfange seines Hausstandes verhielt sich Jan ziemlich anständig und arbeitete wohl auch zuweilen auf dem Felde und wir glaubten alle, er habe mit dem Junggesellenleben auch seine schlimme Lebensart abgestreift; aber es dauerte nicht lang und man sah ihn wieder im Wirthshaus und wenn er auch mäßiger trank, so glühten ihm doch manchmal die Backen und leuchteten ihm in nicht natürlicher Weise die aufgelaufenen Augen . . . Seine Eltern starben in demselben Jahre kurz nacheinander und Jan wurde Pächter auf dem steinernen Hofe. Da er seines Vaters Kasse wohl versehen fand, dünkte er sich jeder Sorge für die Zukunft enthoben und fing an, seine Arbeit immer mehr zu versäumen, um seiner Trinklust zu fröhnen. Ob er seine Frau mißhandelte, weiß ich nicht; gewiß ist, daß sie von Tag zu Tag mehr abzehrte und Jedermann sagte sich, es müsse dies nicht von allzu behaglichem Lebensgenusse herrühren. – Jan ging damals noch von Zeit zu Zeit zur Kirche. Eines Sonntags aber stellte der Pastor ein Gleichniß auf, von einer aus Lehm gebauten Hütte, die mit der Zeit einen steinernen Pachthof aufgezehrt hatte. Die Hütte, sagte er, bewohnte ein arbeitsamer rechtschaffener Mann; der Pächter des steinernen Hofes hingegen war ein leichtsinniger Säufer. Da nun unser Häuschen – das zu jener Zeit noch aus Lehm bestand – nicht weit von seinem Hofe lag, glaubte Jan Staers, das Gleichniß des Pastors sei auf ihn und mich gemünzt gewesen, und wurde so sehr auf mich erbittert, daß er mich seitdem nur mit hämischem Auge ansah. Unter seinen saubern Gesellen heißt er mich einen Grillenfänger, einen Haarklauber, einen Knauser, einen Splitterrichter u. dgl . . . .aber was kümmert’s mich; weiß ich doch, daß der nur unglücklich genannt werden muß, der von schlechtem Gesindel sich rühmen hört. – Aber ich komme wieder von meiner Erzählung ab . . . Ich habe dir nämlich noch kurz zu berichten, was du zum Theil selbst mit angesehen hast. Als Jan bemerkte, daß es mit seinem Wohlstand gewaltig bergab ging, wollte er ihm mit gewagten Unternehmungen wieder aufhelfen. Er legte einen Getreidehandel an, aber da er immer noch zu tief ins Gläschen guckte, ist ihm der Handel auch nicht sonderlich gelungen und in kurzer Zeit sah er sich um seinen letzten Stüber gebracht. Nach sechs Jahren starb seine Frau und von da ab ist er vollens ins Elend gerathen; Knecht und Magd liefen davon; die Felder blieben brach liegen oder wurden an arme Leute vermiethet, die Kartoffeln darauf pflanzten; eine Kuh nach der andern wurde verkauft, so daß er am Ende nur noch eine einzige übrig behielt. Auch sein letztes Pferd ging darauf. Denke dir, Lukas, eine einzige Kuh für einen so stattlichen Hof! Der Gedanke thut mir fast so weh, als wenn ich von mir selber redete. Wir, die wir auf magerem Sandboden vom Morgen bis zum Abend uns abmühen, um einige kümmerliche Früchte zu erringen, müssen auf den fetten Feldern des Nachbars das Unkraut wuchern sehen! Es ist dies eine Schande, behaupte ich, eine Schande vor Gott und der Menschheit . . . So begreift sich’s, daß, wie gesagt, Jan Staers im vergangenen Jahre seinen Zins nicht hat entrichten können; unser Grundherr, der ihn lange geschont hat um seines seligen Vaters willen, hat endlich die Geduld verloren und ist auf dem Punkte, kurzen Prozeß mit ihm zu machen. Morgen sollen die Gerichtsdiener Alles auf dem Hof in Beschlag nehmen und den Schlemmer auf die Straße setzen . . . So geht es den Säufern, mein Sohn; den Anfang macht ein Tröpfchen Branntwein; aber das Ende ist der Bettelsack, dass Verbrechen oder noch etwas Aergeres!«

Der Jüngling hatte auf diese Erzählung mit einer unwillkürlichen Zerstreutheit gehorcht. Als nun der Greis zu sprechen aufgehört, fragte er:

– «Seid ihr zu Ende, Vater?«

– »Ja, Lukas; und du weißt nun, was mich so trübsinnig stimmte?«

– » Weiß denn der Bauer Staers, welches Unglück ihm droht?«

– »Gewiß; es ist ein Urtheilsspruch gegen ihn erlassen worden. Dennoch hat man ihm bis gestern noch Zeit gelassen, um zu bezahlen. Aber was hat er gestern und vorgestern gethan? von einer Kneipe zur andern ist er geschlendert, was nicht gerade das passendste Mittel ist, um sich Geld zu verschaffen . . . «

Beide schwiegen eine Weile und schritten nachdenklich«fort.

In einiger Entfernung vor ihnen stand auf einer kleinen Anhöhe neben der Straße ein steinernes Kreuz, wie man deren zur Erinnerung an ein geschehenes Unglück zu errichten pflegt.

– »Auf diesem Kreuze steht zu lesen,« sagte der Vater, »daß ein gewisser Petrus Darinckx an dieser Stelle ums Leben gekommen. Der ruchlose Mörder war der Branntwein. Das Unglück geschah, als diese Straße noch nicht ausgehauen war und dort unten noch große Steinblöcke lagen. Da nun – Darinckx in dem Wirthshause hinter dem Hügel dort seine Vernunft zurückgelassen hatte, ist er in der dunkeln Nacht von diesem Abhang mit der Stirne auf die Steine gestürzt. Gott ist barmherzig; aber doch beklage ich seine arme Seele . . . «

Mit gesenktem Haupte wandelte der Jüngling an seines, Vaters Seite dahin, ohne sonderlich auf seine Rede zu merken; dem Alten entging der bittere Verdruß, der seinen Sohn erfüllte, nicht und er betrachtete diesen mit tief empfundenem Mitleiden.



Auf einmal rief der junge Bauer, den Kopf aufrichtend und mit kräftigem Tone:

– »Aber Clara, die unschuldige Clara, was wird aus ihr werden?«

– »Ich habe wohl auch an sie gedacht, mein Sohn; aber ich sehe nichts als Elend und Drangsal für das arme Mädchen …«

– »Elend und Drangsal!« erwiederte schmerzlich Lukas.»Vater, dürfte ich euch doch heraussagen, was mir auf dem  Herzen liegt! Aber ich wage es nicht; ihr möchtet böse darüber werden, fürchte ich.«

– »Ich kann mir wohl denken, was dich drückt und es thut mir leid genug um dich, mein armer Lukas, aber Gott hat es einmal so geschickt und du mußt dich geduldig in seinen Rathschluß fügen.«

– »Wie, ihr wisset, was ich meine?« stammelte der Jüngling mit Erröthen, »Niemand auf Erden weiß es ja; Niemand .   . . . als die Mutter allein und die hat mich nicht darum gescholten, im Gegentheil …«

Einige Falten zogen über die Stirne des Greises.

– »Nein, Vater, laßt es euch nicht verdrießen,« bat Lukas.»Es hat sich dies Gefühl nach und nach in meine Seele geschlichen, ohne mein Wissen und Wollen.Zuerst war es nur Mitleiden; ich konnte doch das unglückliche Schaf,  so schön und so zart, nicht allein den Garten des Hofes besorgen, den Acker umgraben und düngen und vorn Morgen  bis zum,Abend eine Arbeit verrichten sehen, vor der selbst ein Mann erschrecken müßte. So habe ich ihr denn in der Abwesenheit ihres Vaters und wenn es zu Hause wenig zu thun gab, geholfen und ihr das Tagwerk erleichtert.Aus ihrer Dankbarkeit und meinem Mitleiden ist aber mit der Zeit ein anderes Gefühl rege geworden, das, ich bisher mit Ausnahme der Mutter vor Jedermann Verborgen hielt…Aber der Gedanke, daß man Clara vom Hofe vertreiben und brodlos auf die Straße werfen will, durchbohrt mir das Herz und macht mich kühn genug, um euch etwas zu sagen, Vater, das mir sonst nicht leicht über die Lippen gekommen wäre.«

Mit geschwächter Stimme und zur Erde blickend murmelte er unter schwerem Seufzer:

– »Vater, ich liebe Clara!« .

Nach einer Pause fragte der Alte wie in Gedanken versunken:

– »Hast du es ihr je gesagt, Lukas?«

– »Nein, niemals!« flüsterte der Jüngling.

– »Wie kannst du dann wissen, ob sie für dich dasselbe Gefühl hegt?«

– »Das weiß ich freilich nicht, Vater,« antwortete Lukas mit völliger Niedergeschlagenheit, »aber ihre Augen, ihre Stimme, ein unbeschreiblicher Ausdruck in ihrem ganzen Wesen, etwas Geheimnißvolles, als ob unsere Seelen in eine verschmolzen wären . . . «

»Sei nicht gar so muthlos, Lukas,« sagte der Greis mit sanftem Tone, »ich wußte es längst schon; und hätte ich Arges darin gesehen, so würde ich gleich Anfangs ein Hinderniß in den Weg gelegt haben. Das Unkraut, wenn es wirklich Unkraut ist, muß zeitig ausgesätet werden, sonst wird man seiner nicht mehr Meister.«

– »Dank, Vater, für eure Güte,« rief der Jüngling. »Jetzt aber müßt ihr meine Angst und meinen Schmerz wohl begreifen. Clara Von Haus und Hof gejagt« Clara, eine irrende Bettlerin! Das kann doch nicht sein, Vater; ich würde krank und« schwindsüchtig darüber werden!«

 

– »Nein, nein, Lukas, so arg ist es noch nicht; aber immerhin verstehe ich deinen Verdruß recht gut. Clara ist ein gutes, fieißiges Kind; und wäre es mir möglich, etwas für sie zu thun, würde ich – der Geizhals, der Haarklauber, der Schalenbeißer – es nicht unterlassen, und sollten auch einige Stüber, aus der Mutter Sparhafen dazu genommen werden. Aber, wenn ich ihr Geld gäbe, würde es ihr Vater bald in die Hand kriegen und es ins Wirthshaus schleppen . . . «

– »Ein Almosen!« seufzte der Jüngling mit Verzweiflung.

– »Mein Schweiß, der Schweiß deiner Mutter sollte dazu dienen, um Branntwein zu bezahlen? Niemals!«

– »Es bleibt noch ein anderes Mittel, Vater.«.

– »Ein anderes Mittel? Laß hören.«

Der Jüngling schwieg und senkte den Blick verschämt zur Erde. Es schien dem Alten, als ob seinem Sohne die Beine schlotterten und er an einer heftigen Gemüthsbewegung litte.

– »Ist denn das Mittel so gar schrecklich, mein Sohn,« fragte er, »daß du es nicht auszusprechen wagst?«

– »Wohlan, es muß heraus!« rief der junge Bauer, als hätte er einen verzweifelten Entschluß gefaßt.

– Aber er verfiel aufs neue ins Schweigen und erst nach einer Weile sagte er mit stiller, bewegter Stimme:

– »Ach Vater, seid nicht böse auf mich, ich werde mich eurem Willen unterwerfen, und sollte mich die Achtung, die ich euch schulde, vor der Zeit ins Grab führen . . . Hört aber « immer, was ich euch nun erzählen will. Es hat mir in der Nacht geträumt; nicht gestern, sondern es ist schon ein Monat darüber verstrichen. Ich hatte des Abends zuvor für Clara einige Ruthen Land geackert und die Arbeit hatte mich sehr ermüdet . . . «

– »Nun, es braucht nicht so viele Umschweife. Was war’s für ein Traum?«

– »Ein gar schöner. Noch sehe ich euch, Vater, in der Ecke des Kamins mit eurem Pfeifchen im Munde sitzen, lachend und lustig, als wie der reichste Mensch . . . und die Mutter sang gemüthlich unter dem Spinnen. »Wo kann man froher sein?« Es war so schön und herrlich, daß ich wohl so fort, bis in die Ewigkeit hinein träumen wollte; freilich ihr, Vater, müßtet immer dabei sein, und die Mutter auch und . . . und Clara auch.«

– »Ah so, Clara war auch dabei?« lächelte der Alte, – »hatte mir’s wohl gedacht.«

Sein Gesicht wurde ernster und er sprach weiter:

– »Aber Junge, merke auf deine Worte. Du wolltest so fort in die Ewigkeit hinein träumen, sagtest du? Gäbest du denn etwa den Himmel für einen Traum?«

– »Ach, verzeiht mir’s, Vater; es war nur so eine Redensart und nicht ernstlich gemeint; ich wollte blos sagen, daß es gar ein schöner Traum war.«

– »Aber, Lukas, wird’s bald?« rief der Greis mit Ungeduld; »kriege ich endlich den Traum zu hören? Sonst wollen wir lieber von was Anderem reden.«

– »Nein, nein, Vater, habt Geduld,« bat der Jüngling, »ich werde gleich Muth fassen und mit der Sprache heraustreten. Ihr könnt nur einmal böse werden, und dazu kann ich doch nichts thun . . . So höret denn, was ich im Traume sah: – Wir hatten acht Kühe und zwei Pferde, – Land und Weide im Ueberfluß. Mich dünkte, ich sei stark wie ein Riese; meine Hände waren breit und schwer geworden und ich fühlte in mir einen ganz eigenthümlichen Muth – und eine seltsame Kraft. Wir arbeiteten – ich will sagen, ich arbeitete . . . vom frühesten Tageslicht an bis zur Abenddämmerung und fühlte mich so überglücklich, daß ich wohl die Sonne an den Himmel festgenagelt haben würde, wenn es mir möglich gewesen wäre. Alles gedieh aufs Schönste; Gottes Segen ruhte auf unserem Hause; unser Grund strotzte von herrlich aufblühenden Saaten. Ihr selbst brauchtet nicht mehr zu arbeiten, Vater; – ihr habt ja euer gutes Theil in diesem Leben den Spaten geführt, nicht wahr? – So beträchtlich auch unser Gut war, die Arbeit war noch nicht groß genug für uns, – für mich, will ich sagen. – Ihr, Vater, saßet gemüthlich rauchend in der Stube oder spaziertet auf dem Felde herum, um mir rathend und lehrend beizustehen. – Denn ihr habt durch lange Uebung gar manchen vortheilhaften Griff ausgefunden. Die Mutter, die wurde treulich versorgt und liebevoll von Clara verpflegt . . . Ach, wir waren sämtlich so froh, und Clara nicht minder; und ihr, Vater, und die gute Mutter, ihr liebtet Clara wie euer eigenes Kind, denn sie war es ja, die durch ihre innige Hingabe unser Haus zu einem solchen Himmel von Friede und Liebe umgewandelt hatte! . . . «

Der Jüngling harrte mit gesenktem Blick auf eine Bemerkung seines Vaters. Nach einer Weile fragte dieser:

– »In deinem Traume also wohnte Clara bei uns?– Als Magd?«

Zitternd flüsterte Lukas fast unvernehmlich:

– »Nein, Vater, sie war meine Frau!«

Der alte Mann klopfte seinem Sohne leise auf den Kopf und sagte scherzend:

– »Schlaukopf! du hättest ein Advocat werden sollen. Nur so beiläufig lässest du das Schlagwort fallen! – Aber, Junge, die Sache ist ernst; wir wollen gründlich darüber sprechen, aufrichtig und offenherzig wie zwei gute Freunde. Zuerst will ich dir was sagen, das dir wohl thun wird. Es sind über fünf Jahre her, da haben deine gute Mutter und ich ebenfalls davon geträumt, daß Clara deine Ehefrau werden könnte; denn so lange dauert es schon, glaube ich, daß du stets um den steinernen Hof herumschwärmst, so bald du einen freien Augenblick findest? . . . Glaubst du wohl, daß unser Wirken und Mühen sogar nur darauf zielte, dich einst mit Clara getraut zu sehen? Ihr Vater war, oder schien wenigstens ein wohlhabender Pächter, aber dabei trug er den – Kopf ziemlich hoch. So würde er niemals in die Heirath seiner Tochter mit dem Jungen eines armen Ochsenbauern, der ich damals war, eingewilligt haben.«

– »Jetzt aber—, Vater, wird er diese Einwilligung mit Vergnügen aussprechen.«

– »Das wohl! Aber das macht unsere Rechnung noch nicht. Damals hatte er zu« viel, jetzt hat er zu wenig . . . «

Lukas hob seine Hand bittend zum Vater empor, als wollte er eine trockene Weigerung in seinem Munde ersticken.

– »Das will heißen, jetzt hat er gar nichts mehr,« fügte der Alte hinzu.

– »Vater,« rief der Jüngling, »habt ihr nicht selber gesagt, daß ihr auch nichts besaßet, als ihr meine Mutter trautet Und dennoch waret und seid ihr mit eurem Schicksal zufrieden. Macht mich also nicht unglücklich um ein Bisschen Geldes willen!«

– »Geld?« versetzte der Alte. Darum handelt es sich nicht. Man nennt mich zwar einen Geldhascher, und hält mich für einen Geizhals, aber das Geld hat für mich keinen Werth, als insofern es die Frucht meiner Arbeit ist. Wollte mir Jemand einen Schatz geben, ich würde ihn wohl annehmen, in der Hoffnung, er möchte dir, Lukas, zu etwas nützlich sein können. Was aber mich betrifft, so würde ich wenig um eine Summe Geldes geben, die ich nicht verdient und deren Ursprung ich nicht kenne. Ich würde dabei nicht mehr essen oder trinken können, als zuvor, und wenn ich nicht mehr arbeiten sollte, würde ich vor Müßiggang vergehen . . . «

– »Aber, Vater, ihr seid doch recht wunderlich! Warum wollt ihr denn eure Zustimmung nicht geben?« rief der Junge mit peinlicher Ungeduld. »Meint ihr, ich würde eurem wackeren Beispiel nicht folgen? Seid überzeugt, daß die Schwielen meiner Hände so wenig Zeit finden sollten zu verschwinden, als die eurigen. Habt ihr mich denn je über Arbeit klagen hören?«

– »Nein, Lukas; es läuft ein gesundes Blut in deinen Adern: ich weiß es und freue mich darüber. Aber du unterbrichst mich, und ich habe das nicht gerne, denn es bringt mich aus dem Geleise. – Es ist etwas, mein Sohn, woran du nicht denkst. Wenn Bauer Staers noch im Wohlstand lebte und Clara die Frau würde, da könnte sie wohl bei uns wohnen oder mit dir auf einen kleinen Pachthof ziehen; aber jetzt weiß ihr Vater nicht mehr, wo er Stand fassen soll. So wird er ihr folgen wollen, mit euch wohnen, von der Frucht eurer Arbeit trinken, und euch vielleicht in den Abgrund stürzen.«

i Wie von Schrecken ergriffen, blieb der Jüngling plötzlich stehen und stieß einen Schrei peinlicher Ueberraschung aus seiner beklommenen Brust.

– Der Vater fuhr fort:

– »Es ist eine Pflicht – ich glaube, es steht sogar im Gesetze geschrieben – daß die Kinder ihre Eltern unterhalten müssen, sobald diese nicht mehr im Stande sind, selbst ihr Brod zu verdienen. Ein Trunkenbold sein ist nun noch viel schlimmer, als verkrüppelt oder lahm; denn der Trunkenbold, anstatt zu verdienen, verzehrt und verpraßt sogar das Geld, das noch nicht einmal verdient ist. Stelle dir vor, Lukas, du arbeitetest wie ein Sklav, während er sein liederliches Wesen forttreibt, in eurem Hause mit rohen Worten, mit Gotteslästerungen um sich wirft, ja vielleicht deine Frau gar mißhandelt, wenn sie ihm zur Befriedigung seines unseligen Gelüstens das nöthige Geld nicht reichen will . . . Und dann, es wird euch Gott auch Kinder schenken und die würden von der Wiege an ein so trauriges Vorbild vor Augen haben, fluchen und lästern hören, Großvater sagen müssen zu einem Wüstling, der von Kirche und Klause nichts wissen will und mit vollem Bewußtsein seine Seele dem Teufel überliefert! Nein, mein Sohn, das darf nicht sein; du wirst es selbst einsehen und dich demüthig beugen unter das Kreuz, das dir Gott zu tragen auflegt. Nicht wahr, Lukas, du wirst gut und vernünftig sein und dein Leben, dein Glück nicht bloßstellen, um einer Neigung zu folgen, die nach einigem Schmerze von selber vergehen wird.«

1Hageland heißt ein Strich in Belgien, der, unter den Stadtmauern von Aerschot und Diest beginnend, sich ins Limburgische, über St. Trond und Thienen (Tirlemont) erstreckt. Oberhalb Aerschot ist die Gegend am reizendsten.
2Baes ist der vläm. Ausdruck für Schenkwirth.