Buch lesen: «1932»

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Helmut H. Schulz

1932

Ein deutsches Lesestück

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorspiel

Von den Ursprüngen und den Übergängen

1. Kapitel

Berlin Juli 1932, im Salon der Baronin.

2. Kapitel

3. Kapitel

In der großen Veranda des Mietshauses in Zoppot, Ende August 1932

4. Kapitel

Im Salon des Hauses

5. Kapitel

Abendessen in Zoppot

Zwischenspiel.

6. Kapitel

Nach der Abreise des Anwaltes in Zoppot

Zwischenspiel

Präsidentenpalast Berlin

Zimmer des Reichspräsidenten

Reichskanzlei

Präsidentenpalast

Im alten deutschen Reichstag

Hotel Excelsior, 8. Dezember 1932

7. Kapitel

Nachspiel

Impressum neobooks

Vorspiel

Der Tod, »Maître des hautes œuvres«, das heißt: Meister der hohen Werke, und das akademisch gebildete Mädchen beginnen einen Disput über Krieg und Frieden in dieser Welt ernsten Strebens, es geht um die Bestimmung des Homo erectus in der Periode des Scheiterns aller Hoffnungen um eine sittliche Erneuerung, die Zeit der Weltreligion des siegreichen monetären Bürgerstaates, der Abschaffung des Nationalismus in Europa, und ganz am Ende der Einrichtung einer gewaltlosen Welt, es geht um Tod und um Liebe, den alten Gegenspielern. Sie sprechen über Geschichte im allgemeinen wie im besonderen Fall des untergegangenen Occident, und der Meister der hohen Werke schließt seine Einlassung mit der Mahnung: Discite, moniti! Ihr seid gewarnt.

Das Mädchen: Lernt! Ihr seid gewarnt! Ich bin ganz einig mit Ihnen, wenn Sie den Krieg als Instrument des Fortschrittes betrachten, mit dessen Hilfe wir vom Niederen zum Höheren gelangen; kann man das Prinzip nicht abschaffen oder umgehen? Erfahrung führt schließlich auch zur Verbesserung der Übelstände. So war es gemeint. Ohne Zweifel befinden wir uns nach dem Scheitern aller sozialen Träume von einer Verbesserung an einem Endpunkt ohne Wiederkehr, segeln im Fahrwasser einer Art historischer Technokratie. Alles Irrationale sozialpolitischer Hoffnungen ist durch den bloßen techno-sozialen Fortschritt erledigt. Es gibt wahrscheinlich kaum ein Zeitalter, wie das unsrige, das so gut über alles Bescheid weiß, und mit Kompetenz reagiert. Und mit Verantwortung.

Der Tod: Ohne die Verhältnisse zu ändern. Fortschritt, Kompetenz, Verantwortung? Ich habe zwar die weibliche Sophistik geliebt, vermochte ihr aber nie zu folgen; sie scheint mir anderer Natur zu sein, als die männliche. Erklären Sie, was Sie meinen, wenn Sie vermögen, Magister Logika!

Das Mädchen: Beobachten wir ihn denn nicht, den Fortschritt? Sind wir denn nicht kompetent in der Beurteilung unserer Lage? Und fühlen wir denn nicht in jeder Sekunde unseres Daseins Verantwortung für alles auf der Welt, was uns angeht und mehr noch für das, was uns nichts angeht, für den wertloseren Nebenmenschen, für rassische, ethnische oder soziale Minoritäten? Haben wir denn nicht begriffen, dass uns, und zwar allüberall Kompromisse ziemen, nach dem Weltbürgerkrieg, den alle verloren haben, ausgenommen die Institutionen? Alle sind nunmehr gleich, unwiderruflich und anmaßend nachhaltig! Dass sich unser Glück nur bürgerlich vollenden kann, in täglicher Erfüllung unserer Pflichten, ist das nicht die schwer errungene Weisheit unserer moralischen Geschichte?

Der Tod: Sie sind die Lethargie, die das magere Ergebnis misslungener sozialer Experimente etwas hilflos als vernünftig bezeichnet. Ihr Mitgefühl mit den Randgruppen, wie Sie in Ermangelung eines genaueren Begriffes den stinkenden faulen Bodensatz elender Minderheiten vor sich selbst nennen, ist bloße Sentimentalität, bestenfalls der Ausdruck Ihrer Ratlosigkeit. Kriege haben stets mit dem Überfluss unwerten Lebens aufgeräumt. Reden Sie mir nicht von Liebe. Sie und ich, die wir uns immer auf einer Schattenlinie treffen, einem hohen, dem höchsten mythischen Ort allen Daseins, müssen bekennen: Unsere Doppelgestalt ist ewig, und so Ihr Euch an uns haltet, werdet Ihr leben! Aber sie haben den Pakt mit mir aufgekündigt. Die kalten Schauer, die mein Erscheinen auslöst, unterscheiden sich in nichts von den Flammen der Liebe, die ich Euch einst geschenkt habe. Alles Dasein vollendet sich in mir. Ich bin die Liebe und das Leben könnte auch heißen: Ich bin die Liebe und der Tod.

Das Mädchen: Sie sind bloß Rhetor, Dialektiker, Demagoge. Ihre Anhänger haben im historischen Scheitelpunkt des Todesmythos allen Respekt vor ihrem Gott preisgegeben, der Leben wollte, nicht den Tod. Und Sie sind eitel, Sie lieben das Rollenspiel, geben bald die Knochengestalt oder den träumenden Knaben; Ihr Wesen ist im Grunde narzisstisch, am meisten liegt Ihnen die Rolle des Scharfrichters. Aber Sie sind ein Anachronismus, überlebt. Niemand glaubt Ihnen noch, keiner will Sie mehr.

Der Tod: Welch ein Irrtum, Magister Simpel! Verzeihlich zwar, weil Sie nur das Jetzt, nur das Reale zu akzeptieren gelernt haben, den ewigen Fötus im Bauch wie im Kopf, der nicht hinauskann und doch sterben darf, mich aber können Sie in vieler Gestalt treffen, ich bin auch der Lebendige, das Altertum wies mir ein eigenes Reich zu, und die Christen übernahmen darin die Statthalterschaft, nicht die Herrschaft, wie sie womöglich wähnten. Niemand entthront mich, ich bin noch immer allgegenwärtig, real und im Kultus.

Das Mädchen: Das neunzehnte Jahrhundert hatte uns diese Sehnsucht nach dem Liebestod beschert; die Erfahrungen des zweiten Jahrtausend haben uns davon wieder geheilt. Soll ich vielleicht Eurer Ehrbarkeit mit Tatsachen aufhelfen? Entbrennt irgendwo ein überflüssiger Krieg, so ist die ganze Welt dabei, mit Armeen einzuspringen, um Frieden zu stiften. Wann hat man das wohl gesehen, solange Sie herrschten?

Der Tod: In der Antike. Eine Erfindung der Römer. Der Trick ist uralt; die Großmacht im friedensstiftenden Gewand lässt zunächst einen kleinen Partner den Konflikt mit jenem Staat auslösen, der vernichtet werden soll. Dann kommt Rom, um Ordnung zu schaffen, Roma locuta und bleibt natürlich ein wenig. Man teilt die Beute zwar ein wenig ungleich, aber der Zweck wurde erreicht. Die Unterlegenen müssen wohl oder übel anerkennen, was Rom die Pax romana nannte. Überflüssige Kriege gibt es nicht; wo sie ausbrechen, gehen sie auf Ursachen zurück.

Das Mädchen: Kaum, uns hat die erste Hälfte dieses Jahrhunderts die Augen geöffnet. Nie wieder Krieg, nie mehr Nationalismus, nie mehr Euthanasie; wir wissen Bescheid.

Der Tod: Wie steht es denn? Der geschichtlich handelnde Mensch in der Periode vor dem Untergang dieses Europa schimmert angesichts der Papierberge aus Rechtfertigungen und Schuldbekenntnissen, aus Unsinn und Unterwerfung nur wie durch Milchglas. Die so Belehrten starren gebannt auf die tanzenden Schatten an der gegenüberliegenden Wand ihrer Angsthölle. Ich nehme an, dass Ihnen dieses alte Gleichnis nicht fremd ist, Magister. Einer meiner griechischen Schüler hat es gefunden. Ich fand es nicht schlecht. Und Sie? Wie finden Sie es?

Das Mädchen: Was haben Sie damit im Sinn? Woran denken Sie, Erbe und Enkel eines Reiches, das sich durch Negation und Nichtexistenz auszeichnet? Ihre Griechen haben Sie mehr gefürchtet, als ihren obersten Gott.

Der Tod: Wohl, aber Sie verwechseln da etwas, meine Dame. Plutos Reich war nie das meine. Ich bin Universalist. Nein, ich denke über euren Hochmut nach, daran, dass ihr im erdnahen Raum Blech montiert und in den Himmel schießt, und Eroberung des Weltraumes nennt. Kaum wäre die Ansiedlung von Menschen auf einem erkalteten Stern geschehen, würden die Kolonisatoren einander ausrotten; ihr hättet das Lebensgesetz in den Orbit mitgenommen; darum ist alles, was entsteht, auch wert, dass es zugrunde geht, und besser wär’s, dass nicht entstünde, und so weiter … Ich denke daran, dass eure Informationsgesellschaft aus Individuen besteht, die desorientierter sind, als selbst der Mensch nach dem Schöpfungsplan in der grauen Vorzeit. Was die historische Bearbeitung betrifft, so habt ihr euren Beobachtern die Fesseln des Vorurteils angelegt, lasst sie am langen Seil einer imaginären Schuld voran tasten, und wendet, um euch selbst zirkulierend, an den Landmarken des Dogmas wieder in den Kreis des Irrtums und der Verblendung zurück.

Das Mädchen: Eure Ehrbarkeit, fassen wir Ihre Empfehlungen näher ins Auge! Sie wollen den Krieg moralisch rechtfertigen! Es ist absurd, Sie haben keine Gefolgschaft mehr. Und die Moral? Woran messen Sie denn eigentlich menschliche Handlungen?

Der Tod: An den Folgen. Moralische Wahrheiten gibt es nicht. Wahrheiten, die irgendeiner Hilfskonstruktion bedürfen, um geglaubt zu werden, nennt man Demagogie, Magister. Was Ihnen fehlt, ist das klare, das nüchterne eiskalte Denken. Alles wiederholt sich. Nachdem sie den Untergang des Nationalgedankens aus der Geschichte verbannt und durch den Mischkessel der Rassen ersetzt haben, um so ultimativ wie kategorisch festzustellen, der Mensch ist gut, à la Rousseau. Sie müssen nur noch das ethnische Restbewusstsein denunzieren. Indessen feiert der Nationalismus seine Auferstehung, wie ich auf meiner Liste Ihrer Verluste ablesen kann. Und die gnadenlos ausgetragene Konkurrenz, um Dasein, um Lebensraum, aus der heraus einst alle in Vergessenheit geratenen Tugenden sprossen, richtet sich zuletzt gegen euch selbst. Ich will Ihnen mein tiefstes Geheimnis verraten, Magister, selbst mich, der jeden Zuwachs an Verfall begrüßen müsste, mich ekelt es vor dieser Welt.

Das Mädchen: Nun, zur Menschenliebe sind Sie nicht verpflichtet. Es gibt aber doch ein Gegengewicht zur Entwurzelung, für das Sie die Preisgabe nationaler Zentren verantwortlich machen; die Imaginair Community. Gibt es also im historischen Bezirk keinerlei Verantwortung? Und die persönliche Verfehlung, darf sie nur nüchtern abwägend beschrieben werden, und nicht ethisch qualifiziert?

Der Tod: Das weiß ich nicht. Imaginäre Community, das heißt so viel wie eingebildete Gemeinschaft? Da ich mit einer Intellektuellen rede, noch dazu mit einer Frau, die ihre Bestimmung verfehlt hat, was der Feigheit des intellektuellen Establishments die Krone aufsetzt, bestreite ich vorläufig nur den Nutzen einer Analyse, die alles vermengt, persönliches mit schicksalhaftem. Wohlan! Politik wurzelt in der allgemeinen Geschichte. Was Ihnen heute als Sündenfall erscheint, das empfanden die Zeitgenossen nur als eine Folge aus den Zeitumständen heraus. Alle realen Feststellungen wurden methodisch zu einem bittersüßen Brei verrührt, den Sie, meine Dame, nur schlecht vertragen, sich aber zu genießen nicht weigern dürfen, ohne mit dem Bannfluch des Zeitalters belegt zu werden, der historischen, kollektiven Schuld, die nicht vergeben wird.

Das Mädchen: Das alles klingt dunkel, und es ist überdies noch ungerecht.

Der Tod: Ungerecht? Kaum, und dunkel nur insofern, als Sie sich neu definieren müssen. Übrigens steht der Tod außerhalb der Kategorien von Schuld und von Gerechtigkeit. Ich bin immer gerecht, bin immer Rächer und Gleichmacher. Ich bringe euch den andauernden Frieden. Es ist mir lieb, Frauen und Männer zu bekommen, die sich ehrenhaft benehmen, da ihnen das Urteil der Nachwelt sicher ist.

Das Mädchen: Es kann Ihnen nichts ausmachen, sich zu erklären. Niemand wird Sie zur Rechenschaft ziehen.

Der Tod: Nein. Da Sie und ich Prinzipien sind, und nur im kurzen physischen Dasein des Einzelnen wahrgenommen werden.

Das Mädchen: Meister der hohen Werke. Fürchten Sie nicht, eines Betruges überführt zu werden, wenn Sie sich auf konkrete Geschichte einlassen, und nicht im Dunkel Ihres finsteren Mythos bleiben? Ihre heroischen Frauen und Männer empfanden den Schmerz womöglich nicht als Auszeichnung, sondern als das qualvolle und sinnlose Ende des Lebens. Und, ehe ich es vergesse; dieses Jahrhundert, das uns von der Geißel Nationalismus befreite, forderte den höchsten Zoll an Leben überhaupt.

Der Tod: Wenn Sie die durch Seuchen erledigten abrechnen, ja. Wie mache ich es Ihnen klar, dass Sie einer kollektiven Glaubensregelung aufsaßen, und sich heute nur selbst manipulieren. Wäre ich sterblich, würde ich sagen; wir leben unsere Zeit, Magister. Ich kenne in keiner Sprache einen ähnlichen Begriff für Wandel, für Besserung, als das Wort Wende der Deutschen. Was wirklich untergeht, sind immer die unterschiedlichen Hoffnungen, die in der Real- wie in der Sittengeschichte wurzeln. Den Zeitgenossen der Dreißigerjahre galt der Nationalsozialismus als eine der beiden großen Utopien. Der herrschende Kapitalismus, die schlimme Geldpest der Klassengesellschaft sollte abgelöst, und ein Traum befriedigt werden, wie ihn mein Schüler Plato geträumt hat. Die Zusammenführung aller Wünsche und Hoffnungen in den neuen, den rassisch begründeten Staat galt der großen Mehrheit der Deutschen als die Erfüllung aller Hoffnungen und Wünsche. Gerade diejenigen, die ihn am heftigsten geträumt haben, zweifeln heute auch am tiefsten. Verzeihen Sie, Magister, wenn ich mich ausnahmsweise auf die Erörterung vorübergehender Zustände einlasse; es geschieht, um Ihnen eine Ebene des Disputes zu bieten, da Sie meine Sphäre nicht erreichen werden. Das gilt auch für die angestrebte klassenlose Gesellschaft. Was geschieht und wie, ist immer zeitlich gebunden, was damit auch verfehlt oder gewonnen wird.

Das Mädchen: Wie nun? Sie, der eben noch das Evangelium des Faktischen predigte, negieren, dass der deutsche Großmachttraum durch die beiden verlorenen Kriege ad absurdem geführt wurde, leugnen es angesichts der geschichtlichen Unmöglichkeit, einen deutschen Großstaat zu bilden? Wir vermögen höchstens als eine ökonomische Mittelmacht zu bestehen, aber nicht als Nationalstaat großen Stils, was wir völlig zutreffend als wilhelminischen Größenwahn bezeichnen.

Der Tod: Oder Victorianischen, das geht vorüber. Sie können diese Zeit auch als das Victorianische Zeitalter bezeichnen; die Europäer waren allesamt nicht frei von Großmachtgelüsten. Stabile Großstaaten sind eine Voraussetzung für lange friedliche Zeiträume. Ihr Verfall zeigt jeweils an, wie sehr es der Menschheit erneut nach einer Periode des Kampfes, des Unterganges und des Todes dürstet. In meine Version des Lebens ist alles kurzfristig und auf Zeit angelegt.

Das Mädchen: Letzten Ende hat uns die Lösung, die mit der Überwindung des Deutschen Reiches eng einhergeht, in den Kreis der Völkergemeinde zurückgeführt, in einen Bundesstaat, welcher der Attribute deutsch und national gut entraten kann.

Der Tod: Ich bitte Sie, setzen Sie sich nicht selbst herab. Was hat Sie denn anders in diesen Völkerkreis zurückgeführt, als die Unterwerfungsgelüste der Erben des untergegangenen Staates? Ist dieser Bundesstaat wirklich so beschaffen, dass ihn alle lieben und nicht bloß melken wollen? Das Dritte Reich war die letzte große Herausforderung der Geschichte an euch, Nation zu werden, zugleich trug dieses Reich die Vision eines übergreifenden Gebildes in seinem Schoß.

Das Mädchen: Heureka! Mit fast den gleichen Worten steht es in Mein Kampf!

Der Tod: Woher wissen Sie das? Dieses Werk ist Ihnen verboten und entzogen worden, nicht mehr zugänglich. Immerhin klingt prophetisch, was Hitler kurz vor seinem Freitod schrieb, dass es mit der deutschen Niederlage und nach ihm kein Deutsches Reich mehr geben werde, weil es nicht mehr gelänge, die Deutschen zu großen Leistungen anzuregen, im Bewusstsein, ein edles und stolzes Volk zu sein, es zu einer gebündelten Kraft zu machen. Dass man ihn allerdings millionenfach verfluchen werde, sollte er scheitern, vermutete er in seinem Testament auch.

Das Mädchen: Das Letztere ist nur zu wahr. Es hat indessen aber nicht nur ein Überleben gegeben, sondern auch einen Neubeginn und Wiederaufstieg. Deutschland war keineswegs verloren, im Gegenteil.

Der Tod: Sie verwechseln die Existenz in einer überpfiffigen Krämergesellschaft, in der es als erfolgreich gilt, einander womöglich hineinzulegen, mit den Tugenden, die ein wirkliches Staatsvolk ausbildet, und zwar nur in einem Nationalstaat ausbildet. Den wirtschaftlichen Wiederaufstieg verbinden Sie unzulässigerweise mit diesen Schatten von Politikern, die auf dem Misthaufen des allgemeinen Wahlrechtes wuchern. Selbst mit der unerlässlichen Reproduktion geht es zu Ende; zu einem harmonischen Kreislauf gehört die Aufrichtung eines gesellschaftlichen Ideals, das Bewusstsein völkischer Zusammengehörigkeit, das Wissen um die unantastbare Besonderheit des Herkommens. Die Konkurrenz hat Ihnen eine soziale Harmonie vorgetäuscht; die Gemeinschaft eines Volksstaates ist ohne Diktatur nicht denkbar, ohne Druck auf den Einzelnen.

Das Mädchen: Bis zum Befehl, für das Ganze zu sterben.

Der Tod: Gewiss, der Logik dieses Konzeptes nach. Dulce et decorum est patria mori.

Das Mädchen: Besser: Est patria vita!

Der Tod: Schlechtes Latein, noch schlechtere Auslegung. Wenn ein Mann denken kann, dann denkt er an den Tod, das schrieb einer meiner Schüler aus dem neunzehnten Jahrhundert, Tolstoi.

Das Mädchen: ... Denkt an Sie?

Der Tod: Möglicherweise ist Ihnen diese Erfahrung fremd, sie ist uralt, mit einer eigenen Mystik. Kein Volk der Neuzeit ist mehr zur Mythenbildung fähig, sucht aber gleichwohl händeringend nach einer neuen dämonischen Religion. Der Nationalsozialismus fand seine mystische Wurzel im Neuheidentum, aber auch in der Beziehung zur modernen und realen technozistisch-faustischen Welt. Es war sein größter Erfolg, dem öden technisch-wissenschaftlichen Dasein Sinn zu geben.

Das Mädchen: Sie meinen, dass die derzeitige Renaissance der Neo-Nazis nicht das Werk einiger gestriger Intellektueller und ein paar dummer jugendlicher Verführter ist? Niemand hält es heute für ehrenhaft, sein Leben an eine so unsichere Sache hinzugeben, wie das Vaterland. Jedermann strebt logischerweise nach Erfüllung eines eigenen egoistischen Lebenszieles.

Der Tod: Da haben wir es. Vor allem logischerweise, und Lebensziel ist ein Euphemismus, gemessen an dem kalten Traum von der Macht des Geldes. Diese Hypostase blieb der Krämergesellschaft vorbehalten, die nach dem Weltbürgerkrieg die Herrschaft angetreten hat. Täuschen Sie sich nicht! Sie selber leben mit einer so heimlichen wie verdrängten Sehnsucht nach der großen Übergemeinschaft, vielleicht nach dem Rasseverbund.

Das Mädchen: Sie plädieren für einen immerwährenden Krieg, und Sie postulieren den unauslöschlichen Kampf der Rassen, der Religionen, wenn ich Sie richtig verstanden habe.

Der Tod: Ich brauche nicht zu plädieren. Weiße wie Farbige, haben nie aufgehört, Krieg gegeneinander zu führen, und den Krieg als Lebensgesetz de facto stets vorbehaltlos anerkannt und einfach weitergemacht im Töten. Die Dezimierung der Weltbevölkerung ist ohne Zweifel eine der großen Aufgaben, angesichts des rasanten Mengenwachstums, an dessen Ende ein aufgezehrter Planet liegen wird. Und damit sind wir an den Anfang zurückgekommen: Ich bin, ich existiere als das höchste Prinzip wie eh und jeh. Ich habe die große Konjunktur noch vor mir, wenn die unbemittelten Scharen aus Asien, die Horden aus Afrika aufbrechen, um Europa auszuplündern. Dann ist die fromme Heuchelei zu Ende.

Das Mädchen: Ich könnte Ihnen schwerlich antworten. Sie sollten immerhin anerkennen, dass wir alle leben können, wenn …

Der Tod: Ja, wenn. Und einige kaufen ja schon ein Stück Verlängerung des schändlichen Daseins auf Kosten anderer.

Das Mädchen: Was wollen Sie dem Menschen geben, wenn nicht die Hoffnung in den Fortschritt, in die Segnungen der Naturwissenschaft, in die Verlängerung des verächtlichen Daseins, wie Sie sagen, in die schaffende Vernunft? Wirklich nichts anderes, als den neuen Völker- und Weltkrieg mit allen seinen vorauszusehenden Leiden, wo wir über Vernichtungswaffen gebieten, die ein Überleben der Welt als Ganzes ausschließen? Sie haben mir mit einem Tolstoizitat zu helfen versucht, aber Tolstoi war Dichter, visionär, radikal und gefährlich, und so stelle ich den Schluss seines berühmtesten Werkes Krieg und Frieden gegen Ihren Todesgesang, die Bestimmung des Menschen ist das Glück.

Der Tod: Ungeheuer banal und grundfalsch.

Das Mädchen: Banal vielleicht, aber das Leben. Zum Glück suchen die Menschen heute eher die Verständigung, akzeptieren nicht Ihre Angebote.

Der Tod: Ewig hoffende Unschuld. Die automatisierte Steinzeit, in die ihr mehr gestolpert, als gefallen seid, kann schnell beendet sein, meine Hilfe bei der Bereinigung der irdischen Verhältnisse wird wieder gefragter werden, obschon ich mich nicht beklagen kann.

Das Mädchen: Die Geschichtskräfte …

Der Tod: Es gibt nur zwei, die Liebe und den Tod. Der Rest läuft nach der Gesetzlosigkeit des Chaos ab, unbeeinflussbar, immer überraschend, immer in Alternativen. Denken Sie an Alexander von Mazedonien, an Peter I., an die katholischen Majestäten von Spanien, an die Osmanenherrscher, denken Sie an die Bomben von Hiroshima, von Nagasaki, an die Roten Khmer, an die Ausrottungskriege afrikanischer Buschfürsten, denken Sie an den Krieg, der auf dem Balkan herrscht, zum Zeichen, dass sich neuerlich in meinem Sinn etwas bewegt, und dann haben Sie die Stirn, das Leben als dauernden Glückszustand zu beschreiben.

Das Mädchen: Es bleibt dabei. Es muss einen Plan der Geschichte geben, den wir vielleicht erst erkennen, wenn die Absicht des, ja, suchen wir nicht nach einem Begriff, enthüllt worden ist. Was wollen Sie? Das Ende allen Lebens herbeiführen? Das wäre auch ihr Ende.

Der Tod: Was könnte ich noch erreichen, wenn ich etwas erreichen wollte, da Ihnen der Ausdruck Demiurg entfallen oder suspekt ist?

Das Mädchen: Sie haben ein Gefühl für das, was wir heute Timing nennen, Meister Hans. Sie verstehen es, zur rechten Zeit zu kommen oder zu gehen. Ich kenne ein wenig von Ihrer Biografie, nicht genug, aber so viel, um zu ahnen. Sie sollten der Nachwelt etwas hinterlassen, eine Bestandsaufnahme, wenn Sie wollen.

Der Tod: Solange ein Schwachkopf fragt, ob es an der Zeit sei, euch aus der Geschichte zu entlassen, nicht bedenkend, dass die ewige Frage: Wie war das möglich?, mit einem Kniefall der Unterworfenen enden muss. Fragen wir nach! Führen wir die Fäden zusammen, die lose und unbeachtet liegen, von keinem wahrgenommen. Kennen Sie sich in der Edda aus? Dort ist ein Jarl Einar erwähnt, ein Krieger und Kaufmann der Wikingerzeit. Ich gedenke mit anhaltender Sympathie seiner Nachkommen, nicht allein des genetischen Aufwandes willen; dieses Beispiel könnte Sie darüber belehren, Magister, dass alle eure Lieder nach dem Zeitgeist gesungen werden.

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