Die Salonièren und die Salons in Wien

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Die Salonièren und die Salons in Wien
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Die Salonièren

und die Salons

in Wien

200 JAHRE GESCHICHTE

EINER BESONDEREN INSTITUTION



Alma Mahler-Werfel im Jahre 1909. Foto von Madame d’Ora.

INHALTSVERZEICHNIS

Cover

Titel

Salons entstehen und Salonièren entwickeln sich

Charlotte von Greiner

Fanny von Arnstein

Karoline Pichler

Henriette Pereira, die Häuser Eskeles, Weckbecker, Rothschild und Metternich

Josephine von Wertheimstein

Rosa von Gerold

Berta Zuckerkandl

Alma Mahler-Werfel und Anna Mahler

Marie Lang, Lina Loos, Gina Kaus, Grete Wiesenthal

Eugenie Schwarzwald

Fußnoten

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Danksagung

Impressum

SALONS ENTSTEHEN UND
SALONIÈREN ENTWICKELN SICH

Ein Salon bildet sich um eine gebildete, geistreiche Frau, die Salonière. Die Besucher treffen einander mehr oder minder regelmäßig, die Geselligkeitsform ist das Gespräch mit dem Ziel, neues Wissen aufzunehmen, weiterzuentwickeln und weiterzugeben.

Der ursprüngliche Salon beginnt Anfang des 17. Jahrhunderts in der Pariser Aristokratie. Die Kultivierung der feinen Lebensart, der Sitten und der Sprache, und der Kontakt mit Künstlern und Wissenschaftern bleiben jedoch innerhalb dieser Elite und erzielen keine Wirkung nach außen.

In Wien setzt das Salonleben in den 70er-Jahren des 18. Jahrhunderts ein. Der erste Kreis bildet sich um das Ehepaar Charlotte und Franz Greiner. Im Salon Fanny von Arnsteins treffen Adelige, Geschäftsleute, Gelehrte, Künstler und Damen der Gesellschaft aufeinander. Karoline Pichler umgibt sich mit angesehenen Beamten und deren Familien, Kavalieren, Gelehrten und Künstlern. Um 1800 und zur Zeit des Wiener Kongresses 1814/​15 erlebt der Wiener Salon eine erste Hochblüte, er dauert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Der Begriff „Salon“ entstammt der repräsentativen Architektur, er wird in die bürgerliche Wohnkultur übernommen, als die bürgerliche Repräsentation die aristokratische ablöst. Ohne das Salonleben wären die prachtvollen Ringstraßenbauten nicht entstanden. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts findet man Salons als Geselligkeitsformen im Bereich zwischen privater und öffentlicher Sphäre, das ist das Emanzipatorische daran. Der Hochadel grenzt sich zu dieser Zeit noch streng vom niederen Adel und den bürgerlichen Schichten ab. Durch das starre Festhalten an Althergebrachtem und das Abgrenzen gegenüber neuen Einflüssen, bleibt die Hocharistokratie meist unberührt von gesellschaftlichen Entwicklungen. Merkmal für die Zugehörigkeit zur Hocharistokratie sei die Zahl der adeligen Vorfahren, berichtet 1796 ein Reisender, der von Riga aus nach Wien fährt. Niemand könne die Salons der Hocharistokratie betreten, „den nicht Rang und Geburt dazu berechtigen, und die Häuser sind immer noch selten genug, die hierin bey verdienstvollen Gelehrten und Künstlern eine Ausnahme machen“.1

Zusehends öffnen sich die Gesellschaften des niederen Adels, der sich ständig durch Nobilitierungen erweitert, dem aufstrebenden Bürgertum, und es bildet sich die Zweite Gesellschaft heraus. Man blickt auf den Hochadel und kopiert ihn, ist jedoch gesellschaftlich weit geöffnet. Aufgeklärte Wien-Reisende werden rasch in die Geselligkeit integriert und von Salon zu Salon herumgereicht, sobald sie eingeführt sind. Bankiers, Wissenschafter, höhere Beamte, Künstler und Offiziere kommunizieren miteinander. Im 18. Jahrhundert, das vom Geist der Aufklärung stark geprägt ist, distanziert man sich zunehmend vom Hof und bespricht politische Themen. Der politische Salontyp entsteht. Es bilden sich Interessengemeinschaften, und gebildete Bürger nehmen gleichberechtigt an den Salongesprächen teil.

Ideen und Ideale, „cognitiv“ akzentuierte Geselligkeiten bilden den Kern von Salons mit dem Ziel, gewisse Kunstrichtungen oder politische Ideen philosophischer Schulen zu diskutieren. Die Salonière bringt intellektuelle Fähigkeiten mit und verfügt, meist durch den Ehemann, über die materiellen Voraussetzungen, ein entsprechendes Ambiente, Räumlichkeiten sowie über das notwendige Personal, um eine solche Gesellschaft zu geben, in der und durch die sie anerkannt ist. Zu den hervorstechenden Eigenschaften einer Salonière gehören organisatorisches Geschick, Kontaktfreudigkeit, ein großes Interesse an Menschen und die Fähigkeit, einen intellektuellen Diskurs zu führen. Dem Ehemann ist eine untergeordnete Rolle im Salon zugeteilt, obwohl er als Geldgeber fungiert, „Salonunternehmerin“ ist die Salonière. Oft übernimmt ein Habitué den männlichen Part im Salon, oder es steht der Dame des Hauses eine herausragende Persönlichkeit zur Seite – ein großer Schriftsteller, ein tonangebender Philosoph –, die dem Gespräch eine Richtung gibt. Die regelmäßigen Zusammenkünfte ermöglichen es, dass ein Thema vertieft, der Gesprächsfaden wieder aufgenommen wird. Ist zunächst die kommunikative Begegnung der primäre Zweck, so ändert sich die Dynamik mit dem Beginn der Aufklärung und man will den Gesprächspartner überzeugen. Die Argumentation gewinnt an Raum. Die Salondame bezieht Position.

Universalität ist wichtig, die Themenpalette erstreckt sich von Literatur über Philosophie, Musik, Kunst hin zu politischen Ereignissen und kleinen Skandalen. Mit Beginn der Aufklärung entwickelt sich der Salon zu einer Plattform für Künstler und Publikum und zum Ort, der Einfluss auf das Schaffen eines Schriftstellers oder Musikers ausübt. Philosophische, wissenschaftliche und religiöse Fragen werden im Sinne der Aufklärung zu Themen. Der neue Stil ist geistreich, witzig, elegant.

Die Zweite Gesellschaft ist eine lernende Gesellschaft, ihre Salons sind die Akademien, in denen Wissen aufgenommen und weitergegeben wird. Gebildete Frauen sind bildungshungrig, ihnen ist es aber in Österreich verwehrt, an der Universität zu studieren. So holen sie sich kulturelle und wissenschaftliche Weiterbildung ins Haus und sammeln einen Kreis von Persönlichkeiten aller Schichten und Sparten um sich. Wissenschafter, führende Persönlichkeiten, Künstler verschiedenster Richtungen leisten ihren Beitrag zur Weiterbildung im Gespräch, im Vortrag, zur Ausbildung und Verfeinerung der Sinne.

Der Salon bildet „einen Freiraum von materiellen oder ideologischen Interessen. Die alleinige Motivation der Gäste ist es, einander zu respektieren, zu fördern und zu bilden.“2 Ein ästhetisches Element kann hinzukommen: Gedichte und Schriften aller Art werden vorgetragen, Theaterstücke aufgeführt, Musikabende gestaltet.

Statt rückwärts zu schauen, wie es vielfach in den hochadeligen Kreisen der Ersten Gesellschaft Usus ist, trachtet man in den Salons des aufstrebenden Bürgertums nach Erweiterung des Geistes, unabhängig vom Stand, in den man hineingeboren ist.

Die Salonière hat einen großen Anteil an diesem Bildungsangebot, denn sie stellt die Besucherliste aus Habitués und Besuchern zusammen, die zur geistigen Bereicherung aktiv beitragen. Die meist heterogene Zusammensetzung der Gäste zwingt sie, ein „auf situative Harmonie“ bedachtes Verhalten zu beherrschen. Dadurch gelingt im Salon eine Art von Gleichberechtigung, die anderswo nicht zu finden ist: Das bürgerliche Rollenmodell steht gleichberechtigt neben dem aristokratischen und das weibliche neben dem männlichen. Die erotische Komponente in der Begegnung zieht sich wie ein roter Faden durch die europäische Salonkultur.

Ende der 1930er-Jahre gehen die Salons ihrem Ende entgegen. Die Künstler und Gelehrten verlassen vielfach Österreich, die Salonièren ebenfalls, sie kehren größtenteils nicht mehr zurück und es gibt keine Persönlichkeiten, die die Lücke nach Eugenie Schwarzwald, Gina Kaus, Berta Zuckerkandl, Alma Mahler und Grete Wiesenthal füllen. Doch die Erinnerung an die großen Wiener Salons und Salonièren ist heute noch lebendig.

 


Führte in Wien den ersten bürgerlichen Salon: Charlotte von Greiner. Anonyme Bleistiftzeichnung nach einer Miniatur.

CHARLOTTE VON GREINER
(1739 – 1815)

Charlotte von Greiner, geborene Hieronymus, führt den ersten bürgerlichen Salon in Wien.3 In der eleganten Wohnung steht ihr berühmtes Kanapee, von dem aus sie abends Gäste empfängt und geistvolle Diskussionen anregt. Charlotte ist von Jugend an Maria Theresias Vorleserin und Kammerfrau. Der Hof ist ihr Zuhause, wo sie unter der Obhut der Kaiserin, von deren Obersthofmeisterin, der Gräfin Fuchs, und in der Gesellschaft von Erzherzoginnen und Erzherzogen aufwächst. Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass sie den ersten Salon Wiens entwickelt und zur Blüte bringt.

Charlotte ist die Tochter des aus Hannover stammenden protestantischen Leutnants Augustus Siegfridus und seiner Frau Anna Elisabetha Hieronymus, sie wird am 14. April 1739 in Brod in Slawonien (heute Slavonski Brod, Kroatien) geboren. Der Vater hat das Privileg, Frau und Kind an seinen Dienstort mitzunehmen und durch das Regiment verpflegen zu lassen. Eine solche Eheschließung der „ersten Art“ ist eher selten, nur wenigen wird dieses Recht erteilt. Bei allen anderen Eheschließungen von Militärangehörigen darf die Familie nicht mitkommen.

Zwei Tage nach ihrer Geburt wird Charlotte getauft. Es heißt, dass ihre Mutter in Ödenburg (heute Sopron, Ungarn) gestorben sei, bei der Geburt oder kurz danach. Im April 1744 kommt sie mit dem Regiment ihres Vaters aus Ungarn nach Wien, wo dieser kurz darauf an Lungenbrand, einer damals tödlich verlaufenden Krankheit, stirbt. Er lässt ein unmündiges Kind zurück. „Der Vater hatte das kleine, kaum fünfjährige Mädchen bei sich, zog mit ihm und dem Regimente – mühsam genug, wie man [sich] denken kann – auf ungarischen Dörfern umher, und kam zuletzt … nach Wien. Hier erkrankte er schwer und starb nach kurzer Zeit, das unmündige Kind unter lauter fremden Menschen, fremden Glaubens (denn mein Großvater war protestantisch), im fremden Lande zurücklassend. ‚Du armes Kind, was wird aus dir werden!’ waren seine letzten schmerzlichen Worte zu der kleinen Charlotte (so hieß meine Mutter) gewesen, die sich ihrem kindischen Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt hatten.“4 So berichtet Karoline Pichler, die Tochter Charlottes, in ihren Memoiren.

Maria Theresias Mutter Elisabeth Christine entstammt der Familie Braunschweig-Wolfenbüttel. Charlottes Vater hat dem Regiment Wolfenbüttel angehört. Das mag das Mitgefühl der Kaiserin erweckt haben, als sie die Geschichte der kleinen Waisen von ihrer Kammerfrau erfährt. Nach einigen Tagen findet man das Mädchen, nimmt es auf und erzieht es im katholischen Glauben. Religiöse Erziehung ist Maria Theresia besonders wichtig.

Charlotte spielt oft mit den Kindern der Kaiserin und nimmt gelegentlich an deren Unterricht teil. Sie erhalten eine strenge, dennoch ausgesprochen moderne Erziehung, Naturereignisse wie Gewitter werden ihnen wissenschaftlich erklärt.

Charlotte lernt lesen, schreiben, rechnen. Bald kann sie Druck- und Handschriften gut entziffern. Schließlich beherrscht sie die ungarische Geschäftssprache Latein, Französisch, die Sprache der Gebildeten und der Diplomatie sowie der belgischen Provinzen, und Italienisch, die Sprache, die im Großherzogtum Toskana und in Mailand gesprochen wird.

Obersthofmeisterin Karolina Reichsgräfin von Fuchs kümmert sich um Charlotte und erzieht sie zur Vorleserin der Kaiserin, für die sie als Lieblingskammerdienerin und persönliche Sekretärin immer unentbehrlicher wird. Am kaiserlichen Hof lernt sie die vornehme Lebensart kennen. Sie ist schön und klug, ihre Interessen sind breit gestreut.

Am 22. Februar 1782 schreibt Charlotte an den Theologen, Philosophen und Schriftsteller Johann Caspar Lavater über ihr Leben am Hof: „Ich war bei Hof erzogen, oder besser zu sagen mir selbst überlassen. Von meinen zwölften Jahr an brauchte mich die Kayserin zum Vorlesen und dann zu allen Geschäften die nur immer bei einer Selbstregierenden Frau vorfallen können … Die vielen Kränkungen die ich in denen Jahren die bei anderen Mädchen die angenehmsten sind, erlitten, haben in Ermanglung einer vernünftigen Erziehung das meiste zu meiner Bildung beigetragen, ich lernte früh mir selbst alles zu sein.“5 Aus dieser Briefstelle klingen Einsamkeit und Bitterkeit. Charlotte erlebt die Realität des Lebens am Hof. Sie fühlt sich als Zuschauerin hinter der Bühne, lernt dabei früh, auf sich achtzugeben, und entwickelt ein starkes Selbstbewusstsein. „Und da ich auf diesen grossen Schauplaz keine Rolle spielen wolte, so stand ich hinter der Courtine, und sah alle die Räder, Federn und Seile, die die Machine in Bewegung brachten, sah alle die Schminke all das Flittergold, mit denen man den Zuschauer täuschte.“6 Später schreibt ihre Tochter Karoline: „Meiner Mutter ungewöhnlich lebhafter und durchdringender Geist fühlte bald die Schranken, welche die Beschränktheit ihrer Umgebungen demselben anlegte. Sie dürstete nach Kenntnissen, nach gründlichen Erklärungen der Dinge oder Begebenheiten, die sie um sich sah, und sie benutzte die Besuche einiger älterer, gebildeter Männer, welche in das Haus ihrer Erzieherin kamen, um von ihnen Antwort auf die Fragen zu erhalten, welche sich ihr während der Zeit aufgedrängt, und die sie sich deshalb aufzuschreiben pflegte. So strebte ihr Geist weit über ihre Lage, über ihre Gefährtinnen hinaus, und bildete sich meist aus sich selbst.“7

Zu ihren Aufgaben gehört es, der Kaiserin Akten, Depeschen und diplomatische Berichte vorzulesen. Dadurch erhält sie Einblicke in Politik und Regierungsgeschäfte, erfährt wichtige Staatsgeheimnisse, ist aber absolut verschwiegen. Auch am Abend liest Charlotte vor: „Diese Lektüre dauerte fort, nachdem die Monarchin sich schon entkleiden lassen und zu Bette gelegt hatte, und selbst dann noch, bis der Schlaf sie überwältigte. Dann erst bekam meine Mutter die Erlaubnis, sich zu entfernen.“8

Charlotte führt ihre im Alter schwindende Sehkraft auf stundenlanges Vorlesen bei Kerzenlicht zurück. Dabei muss sie eisige Kälte ertragen, denn Maria Theresia lässt auch im Winter nicht heizen und arbeitet bei offenem Fenster. Die zierliche Charlotte hat diese harte Schule bei Hof hingenommen. Später prägt sich ihr Wille zu dominieren und zu beherrschen stark aus, was sicher auch auf diese Erlebnisse zurückzuführen ist. Außerdem hat Charlotte gelernt, die Kaiserin auf das Schönste zu frisieren und den Kopfputz besser als alle anderen Kammerfrauen zu stecken. „Oft – sehr oft – mußte eine Haube vier- bis fünfmal anders gesteckt werden, bis sie nach dem Geschmacke der Gebieterin war, und wer diese Art von Arbeit zu beurteilen versteht, wird wissen, daß ein öfteres Auf- und Andersmachen der Sache gar nicht förderlich ist, ja meistens die Schönheit der Stoffe und des Zubehörs ganz zerstört.“9 Maria Theresia zerrt und zupft, bis die ganze Haarpracht in sich zusammenfällt und „die Haare ausgekämmt und nicht selten neu in Papilloten gewickelt und gekräuselt werden mußten. Daß die Gebieterin dabei übellaunig wurde, daß die Zofen das entgelten mußten, ist ebenso natürlich – und die Erinnerung an alle die trüben Stunden, welche Putz und Toilette ihr gemacht hatten, mag wohl schuld gewesen sein, daß meine Mutter selbst in den Jahren, wo sie noch wohl Freude daran hätte haben können, sich vorteilhaft und ihrer sehr niedlichen Figur gemäß anzuziehen, sich schon ganz matronenhaft, und, wie ich mich aus den Bildern meiner Kindheit wohl entsinne, beinahe altfränkisch kleidete.“10

Die Kammerfräulein genossen Ansehen und Wohlstand, standen aber unter einer Art häuslicher, ja mütterlicher Aufsicht. Wollten sie ausgehen, mussten sie es melden, dann wurde eine Hofequipage angespannt, anders durften sie auf den Straßen nicht erscheinen. In Gesellschaften stand ihnen der Rang einer Hofrätin zu.

„Ihren Tisch hatten sie vom Hofe, ihre Besoldungen waren mäßig, aber die Freigebigkeit der Monarchin, die vielen Teilungen ihrer Garderobe ersetzte ihnen das reichlich, und sie fanden bei Ordnungsliebe und Sparsamkeit stets die Mittel, sehr geschmackvoll und glänzend angezogen zu sein und doch etwas zurückzulegen. An den Tagen, an welchen sie den Dienst nicht hatten, war es ihnen auch vergönnt, auf ihren Zimmern Bekannte, selbst Männer, nicht bloß vom Hofe, sondern auch aus der Stadt, zu sehen, nur mußte die Kaiserin davon benachrichtigt und diese Personen von unbescholtenem Rufe sein.“11

Ihre Stellung bei der Kaiserin bringt Charlotte Vorteile wie Aussteuer, Erziehungsbeiträge für Kinder und weitere Unterstützung von der Monarchin, die sich gerne und erfolgreich als Ehestifterin betätigt. Charlotte hat viele Verehrer, doch ihre Liebe, den Ungarn Ignaz Sautersheim, einen Honorarkonzipisten der Hofkammer in Pressburg, darf sie nicht heiraten. Die Kaiserin versagt ihre Zustimmung. Er ist ein zu unruhiger Geist, reist oft nach Wien, verschuldet sich und flüchtet 1762 in die Schweiz, der Spionage verdächtigt. Zwei Jahre später stirbt er in Straßburg. „Bei den meisten, ja fast bei allen, war meiner Mutter Herz gleichgültig geblieben. Nur einer, ein geborner Ungar, dessen Porträt sie noch lange Jahre nachher besaß – und dessen in Rousseaus Konfessionen als eines höchst interessanten und liebenswürdigen jungen Mannes erwähnt wird –, hatte ihr Herz tiefer gerührt. Nicht bloß der Wille der Monarchin, auch ungünstige Verhältnisse in der Familie des jungen Ungars zerrissen das Bündnis. – Er starb bald darauf; meine Mutter gedachte seiner nie ohne Rührung.“12

Charlottes späterer Ehemann, Franz Sales Greiner, geboren am 2. Februar 1730, entstammt einer kaisertreuen Beamtenfamilie. Sein Vater Franz Joseph besitzt eine beachtliche Kunstsammlung, seine Mutter Katharina, geb. Schwärzel, ist gebildet und beherrscht sogar Latein. Er studiert Rechtswissenschaften, seine Familie besitzt ein Haus am Tiefen Graben. In den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts, als der dritte schlesische Krieg gegen Preußen tobt, lernt Charlotte Franz Sales kennen, der um sie wirbt. Er ist zunächst Konzipist beim Hofkriegsrat, vier Jahre später Hofkriegssekretär und ab 1769 Hofsekretär der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei.

Bisher hat die Kaiserin jeden Bewerber um Charlottes Hand abgewiesen, zunächst mit den Worten: „Du bist zu jung.“ Sie will ihre persönliche Sekretärin noch nicht entbehren. Erst nach dem Tod ihres Gatten, um den sie tief trauert, gestattet sie, weicher geworden, noch in ihrem Trauerjahr Charlotte die Ehe. Auch Charlotte ist in Hoftrauer. Sie stellt ihren zukünftigen Mann der Kaiserinwitwe vor, er gefällt ihr, aber die Monarchin meint: „Ich glaubte immer du würdest dir so einen galanten Herrn, einen Chevalier aussuchen.“13 – Eine Anspielung auf Sautersheim.

Zwischen Charlotte und Franz wird ein Ehevertrag geschlossen, in dem die Ehepartner finanziell abgesichert werden. Auffallend ist in diesem Vertrag die mehrmalige Feststellung der Gleichwertigkeit der Ehepartner. Kurz nach Charlottes 27. Geburtstag heiraten die beiden.

Zur Hochzeit legt Maria Theresia Charlotte eine sehr wertvolle Perlenschnur aus dem habsburgischen Familienschmuck um den Hals, die sie nach den Trauungsfeierlichkeiten jedoch wieder zurückgeben muss. Für Charlottes hervorragende Stellung bei der Kaiserin spricht, dass Obersthofmeisterin Gräfin Maria Josepha Paar, Nachfolgerin der Gräfin Fuchs, die Braut in der Kammerkapelle der Kaiserin zum Altar führt. „Als der Geistliche … die Braut auffordert, das Ja auszusprechen, mußte diese (so gebot es die Etikette), ehe sie antwortete, sich mit einer Verneigung gegen die Obersthofmeisterin wenden, sie gleichsam um die Erlaubnis dazu ersuchen. – Die Obersthofmeisterin erhob sich, drehte sich gegen das Oratorium, in welchem sich die Monarchin befand, und wiederholte die Verbeugung und die stumme Anfrage. Hierauf nickte die Kaiserin bejahend, die Obersthofmeisterin überlieferte durch ein ebensolches Zeichen die Einwilligung der, Mutterstelle vertretenden, hohen Frau; die Braut verbeugte sich dankbar, wendete sich dann gegen den Priester und sprach ihr Ja aus.“14 Die Trauzeugen sind Kollegen des Bräutigams.

 

Mit der Eheschließung geht für Charlotte eine große Umstellung einher, sie verlässt den Glanz des Hofes, um sich in einer wohlhabenden Wiener Beamtenfamilie einzurichten. Doch das bereitet der jungen Ehefrau keine großen Schwierigkeiten, sie freut sich, dass sie nun freier leben kann. „Hier begann nun für meine Mutter eine ganz neue Lebensweise, ja, sie fand sich eigentlich in einer neuen Welt, nicht bloß durch den bedeutenden Unterschied, den die Verheiratung in das Leben jedes Mädchens bringt, sondern hauptsächlich dadurch, daß sie sich plötzlich aus den glänzenden, geräuschvollen Räumen eines der ersten Höfe Europas und aus der unmittelbaren Nähe einer regierenden Monarchin in die Stille und Dunkelheit einer wohlhabenden, aber im Vergleich mit ihren frühern Gewohnheiten doch sehr beschränkten Haushaltung versetzt sah. Dennoch scheint dies so sehr mit den geheimen und lange genährten Wünschen ihres Herzens übereingestimmt zu haben, daß ich sie nicht allein dieser Epoche nie mit Trauer oder düsterer Erinnerung erwähnen hörte, wie man sonst wohl später sich an trübverlebte Stunden erinnert, sondern sie vielmehr mit Freude von dem Zeitpunkte sprach, wo sie endlich einer glänzenden und von vielen beneideten Sklaverei los ward und sich selbst angehören durfte.“15

Charlotte beginnt ihr Leben nach eigenen Vorstellungen aufzubauen, Selbstständigkeit und innere Unabhängigkeit zählen zu ihren herausragenden Eigenschaften. Eine Rente von 1000 bis 3000 fl. ist nach Beendigung des Dienstes für Hofdamen und Kammerfrauen üblich, Kammerdienerinnen erhalten bei der Heirat 1000 bis 2000 fl. Charlotte ist finanziell unabhängig. Ihr Mann profitiert ebenfalls von der Eheschließung. Maria Theresia wird auf ihn aufmerksam. Franz Greiner macht rasch Karriere und avanciert 1771 zum jüngsten Hofrat der österreichischen Monarchie.


Verstört die Damen des Salons durch seine derbe Art: Franz Sales von Greiner, der Ehemann Charlottes.

Zahlreiche Schreiben Greiners tragen eigenhändige Bemerkungen der Kaiserin. Die beiden Eheleute verstehen sich, nach den Schilderungen der Tochter Karoline, nicht besonders, denn sie haben recht unterschiedliche Interessen. Charlotte, die Offizierstochter, ist ehrgeizig, intellektuell; Franz Sales stammt aus einer alten österreichischen Beamtenfamilie, ist voller Pflichtgefühl, künstlerisch interessiert, ein sympathischer „Dilettant“. Er liebt die Musik und seine Kinder. Ein schöner Mann ist er nicht, ein Herr mit gewaltigem „Embonpoint“, aber wenig Ausstrahlungskraft und einer derben Art sich auszudrücken, was gelegentlich die Damen des Salons entsetzt. Die Eheleute sind gegensätzliche Charaktere, die Männer aus ihrem geistigen Freundeskreis sind Charlotte näher als ihr eigener Gemahl.

Im Jahr 1767 erwartet Charlotte ihr erstes Kind. Sie steht im 29. Lebensjahr und ist für eine erste Schwangerschaft in dieser Zeit eine reife Frau. Am 19. Oktober kommt Joseph Franz Vinzenz zur Welt. Anton Faucherand, ein Hof-Kammerdiener, vertritt als Taufpate die Kaiserin. Der Junge gedeiht zunächst prächtig, stirbt aber früh an „Kopffraisen“, eleptoiden Krämpfen. Am 7. September 1769 kommen die Zwillinge Karoline und Franz Salesius zur Welt. Charlotte hat ihr erstes Kind selbst gestillt, was in diesen Kreisen unüblich ist, und möchte dies auch bei den Zwillingen tun. Bei einem Besuch bei Hof erzählt sie Maria Theresia von ihrer Absicht, doch die Kaiserin verbietet ihr „ausdrücklich, mehr als ein Kind zugleich zu stillen, und so überließ meine Mutter die Wahl, welche ihr schwer gewesen sein würde, der Vorsicht, indem sie beschloß, das Erstgeborne selbst zu tränken. Das war nun zu meinem Glücke ich, und obwohl ich, wie man mir später erzählte, so klein und schwach auf die Welt kam, daß man an meinem Leben verzweifelnd, mir die Nottaufe gab, so gedieh ich doch an meiner Mutter Brust zu einer solchen Fülle von Kraft und Gesundheit.“16 So Karoline in ihren Memoiren. Ihr Zwillingsbruder ist ein kräftiger, hübscher Bub, für den eine Amme engagiert wird. Als diese jedoch erkrankt, ihren Zustand verheimlicht und den Knaben weiterhin stillt, stirbt dieser noch vor dem vollendeten ersten Lebensjahr. Am 10. September 1772 wird Karolines Bruder Franz Xaver Nikolaus geboren. Die Kinder werden der Kaiserin vorgestellt. Ihr ganzes Leben hält Maria Theresia ihre schützende Hand über die Familie ihrer ehemaligen Vorleserin.

Fünf Jahre nach der Vermählung erhebt Maria Theresia Franz Sales Greiner mit seiner Familie in den Ritterstand, bereits zwei Jahre später ist er in der Hofkanzlei einer der engsten Berater der Kaiserin. Trotz seiner anspruchsvollen Tätigkeit findet er Zeit, um Lieder zu komponieren und zu malen, bevorzugt in Pastellfarben. Die Kunst ist sein Gebiet, während sich Charlotte den Naturwissenschaften zuwendet. Aufgrund der breit gestreuten Interessen des Paars und des engen Kontakts zum Kaiserhof entwickelt sich im Hause der Greiners ein reges gesellschaftliches Leben.

Am 31. Dezember 1777 kommt noch eine Tochter zur Welt und stirbt ein knappes Jahr später an Blattern. Hofrat Greiner berichtet der Kaiserin am 17. Dezember 1778 davon:

„Heute früh um acht Uhr“, schreibt er der Monarchin, „habe ich mein armes Mädel verloren, das die Blattern auf eine schmerzliche Weise erstickt haben. Dem Buben geht es bis itzt noch so ziemlich gut. Weil mein Weib vor Wehmuth dem Kinde nicht beystehen konnte, habe ich das arme Würmchen müssen sterben sehen, so weh mir auch dabey geschah. O Gott wie war es so finster in meiner Seele!“ Die Kaiserin schreibt: „Ich empfinde beeder Eltern Schmertz; wie glücklich ist die Kleine, hat ihr Carriere bald gemacht in unschuld. Von dem muss man sich occupiren, nicht von dem Verlurst. Was haben wir mit unsern langen Leben vor Nutz und Freud, was vor Verantwortung! Da ist zu zittern. Gott erhalte ihm seinen Kleinen.“17

Die Kinder Franz Xaver und Karoline nehmen schon früh an den Gesellschaften im Hause teil, wodurch ihre Bildung in Fragen der Ästhetik, der Philosophie und der Religion erweitert wird. Unterricht erhalten beide in den Sprachen Deutsch, Französisch, Italienisch und Latein, weiters in Mathematik, Religion und Naturgeschichte. Die Mathematik soll Karoline „gründliche[s] Denken“18 lehren. Dazu erhält Karoline Zeichen- und Klavierstunden sowie hauswirtschaftliche Unterweisung. Charlotte lässt ihre Kinder von ausgesuchten Lehrern, teils bekannten Persönlichkeiten, im Hause unterrichten. Zu ihnen gehören Joseph Anton Gall, ein Priester aus Schwaben, der in Wien Felbigers Normalschule (Volksschule) bekannt macht. Joseph Anton Steffan aus Böhmen, ein berühmter Hofklaviermeister, unterrichtet die Erzherzoginnen Marie Antoinette, Maria Karoline und Elisabeth ebenso wie Karoline Greiner.

Charlotte beschäftigt sich intensiv mit ihren Kindern: Am 5. Februar 1783 schreibt sie an Lavater: „Von meinen Kindern kan ich – vielleicht mit Partheylichkeit – sagen das sie gutartig sind; das Mädchen ist im 14ten Jahr, hat viel Talente aber desto weniger Anwendung, doch hoffe das ihr hang zum Nachdenken, in reiferen Jahren gute Früchte bringen wird. Der Knab hat 10 Jahr, giebt sich mit wenigern Talenten mehr Mühe etwas zu lernen; bis izt aber will es noch nicht gelingen. Die unterhaltlichen Lehr stunden als Musik und Tanzen, haben den besern Fortgang. Ich will indessen hoffen das das wichtigere und also auch mühsamere mit den Jahren nachkomt.“19

Für die Geschwister wird ein neuer Hofmeister eingestellt, der sie gemeinsam in Latein und Englisch unterrichtet. Noch mehr lernen sie im Salon. Sie hören zu und sind es gewohnt, mit Dichtern und Wissenschaftern umzugehen. Karoline berichtet: „Das Leben in meiner Eltern Hause gestaltete sich um diese Zeit sehr angenehm, wie denn überhaupt in ganz Wien damals ein fröhlicher, für jedes Schöne empfänglicher, für jeden Genuß offener Sinn herrschte. Der Geist durfte sich frei bewegen, es durfte geschrieben, gedruckt werden, was … nicht … wider Religion und Staat war. Auf gute Sitten ward nicht so sehr gesehen.“20 Es bahnen sich, verglichen mit früheren Zeiten, lockere Sitten an. Dieser legere Lebensstil soll Wien zur Zeit des Kongresses so beliebt machen.

Die Wohnung im Haus „Im Tiefen Graben“ wird zu klein und so zieht die Familie im Jahr 1776 in das nahe gelegene Haus Nr. 429 im Salvatorgassl, wo sie bis 1777 lebt. Das einstöckige Gebäude gleicht außen wie innen einer alten Schlossruine, aber es gibt große stattliche Zimmer und noch stellt man bei einer Wohnung keine so hohen Ansprüche an die Bequemlichkeit. „Ich weiß, daß meine Eltern ganz zufrieden mit ihrer Wohnung waren. Die großen Zimmer, welche Sälen glichen, boten ihnen ein gewünschtes Lokal für die Bildersammlung meines Großvaters und für die zahlreichen Gesellschaften, welche sich in unserm Hause zu versammeln anfingen. Hier wurde ein Theater errichtet, worauf wir Kinder kleine französische Stücke: Zeneide ou la fée und L’isle déserte, nebst einer kleinen deutschen Idylle aufführten … In allen diesen Stücken wurden mir die muntern, mutwilligen Rollen zugeteilt.“21 Man gab große musikalische Aufführungen und „obwohl ich ein ganz winziges Geschöpf von etwa 7 – 8 Jahren war, ließ mein Vater mich doch kleine Konzerte, die mein Klaviermeister Steffann eigens für mich komponierte, mit vollem Orchester produzieren. Natürlich wurde das Kind, die Tochter vom Hause, beklatscht, belobt, bewundert, und ich hielt mich bald für eine bedeutende Künstlerin.“22