Die Salonièren und die Salons in Wien

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ein Zeitgenosse schreibt über das ungleiche Paar: „Noch einen jungen Dichter hab ich hier in dem Haus einer gewissen Frau von G** kennen gelernt, die eine Beschützerin der schönen Literatur ist, und bey der sich viele junge Schöngeister versammeln; er heißt Haschka, ein Model von teutschem Engelländer, nicht ohne Genie, das versichre ich, aber so voll Eigenliebe, daß er nicht den geringsten Widerspruch ertragen kann. Er ist der Freund des Hauses der Frau von G** und wohnt sogar des Sommers bey ihr in ihrem Landhause vor der Stadt. Ich muß aber auch gestehen, daß ich selbst am Platze der Frau von G. mir einen Hausfreund gewählt haben würde: denn ihr trauter Hr. Gemahl … hat unter allen nichts weniger, als eine einnehmende Aussenseite.“45

Und weiter: „ … durch Unterstützung des Herrn Hofrathes von Gr. bey dem er Tisch und Wohnung frey hat, lebt Haschka ohne weiteren Charakter ganz bequem. Höchstens macht er einen gelehrten Sekretaire. Denn bey der Frau Hofräthinn von Gr. gilt er alles. Und da diese deutsche Sappho wöchentlich etlichemal gelehrte Versammlungen giebt, bey welchen sie präsidiert, so macht dabey Haschka einen akademischen Sekretaire. Diese Akademie besteht aus Frauenzimmer und Süssen Herrchen von Genie. Das übrige mag man sich hinzu denken.“46


„Geist mit Witz“ vereint: Alois Blumauers „Aeneis“ wurde zum großen Erfolg.

Charlotte erfährt von den Gerüchten, ist tief verletzt und fühlt sich missverstanden. Haschka schreibt an Alxinger am 2. August 1792: „Meine Wirthin ist die beste edelmüthigste Frau von der Welt, die dadurch, daß ich nun beynahe drey Wochen mit ihr wohne und bin, nicht nur allein nichts verloren, sondern wahrlich gewonnen hat, und bey jedem billigen Kenner und Schätzer der Menschen hätte gewinnen müssen. Wenn ich sie nun so ansehe, voll Ruhe eines guten Gewissens, aufgeheitert von dem Bewusstseyn redlich erfüllter Pflichten, freundlich und gefällig und dienstfertig gegen jede Creatur und bedenke, daß JEDERMANN, wie, die Fr. H. Gr. sich in ihrem letzten Briefe auszudrücken beliebte, JEDERMANN diese Frau verachtete, Du hast schon recht gelesen, – verachtete! O! Dann zieht sich mein Herz krampfhaft zusammen und ich möcht’ ein Menschenfeind, ein Swift, ein Hobbes werden.“47

Karoline schreibt in ihren „Denkwürdigkeiten“ nur, dass Haschka aufgrund kleiner Missverständnisse das Haus verlassen habe. Doch die Freundschaft bleibt bestehen. Auch nach Charlottes Tod verkehrt er als alter Freund der Familie im Haus ihrer Tochter

Zu seiner Zeit ist Johann Baptist von Alxinger der bekannteste Wiener Dichter und auch der temperamentvollste, der bei der Arbeit gerne ein Glas Champagner genießt. Es heißt, dass er seine schöne, treulose Frau in ein Kloster geschickt hat. Mit vielen deutschen Dichtergrößen steht er in Verbindung, so mit Christoph Martin Wieland, Salomon Geßner, Johann Wilhelm Ludwig Gleim und Friedrich Nicolai. Um ihn, den Freund und Schüler Haschkas, und Alois Blumauer sammeln sich die österreichischen Literaten. Im Hause Greiner – und später im Haus von Karoline Pichler – wirkt er bei Theateraufführungen mit.

Alxinger wird 1755 in Wien geboren und studiert wie sein Vater Rechtswissenschaften. Später wird er Hofagent und übernimmt 1794 die Stelle eines Sekretärs des k. k. Hoftheaters. Aufgrund seines geerbten Vermögens verfügt er über ein sicheres Einkommen, mit dem er ärmere Dichter fördert und Mittellose in Prozessen unterstützt.

Stilistisch erlangt die mariatheresianisch-josephinische Epoche mit den Werken Alxingers einen Höhepunkt. Die deutsche Kritik hingegen ignoriert ihn. Alxinger bekommt Schwierigkeiten mit der Zensurbehörde, als sich seine Gedichte gegen Kirche und Zölibat richten. Ab 1793 gibt er die selbstfinanzierten Österreichischen Monatsschriften heraus. Zentral in Alxingers Dichtung sind Themen aus dem Mittelalter, doch es finden sich auch literarische und politische Bezüge zur Zeit, Grundsätze der Erziehung und der Staatsführung in seinen Werken. 1797 stirbt er in Wien.

Mit folgenden Worten besingt eine junge Dichterin Alois Blumauer:

Als Vater Zeus bei guter Laune war,

Sich schmeichelnd einen guten Rat,

Der Geist mit Witz vereint, erbat –

Blumauer, da wurdest du geboren … 48

Blumauer gehört trotz oder wegen seiner sarkastischen Äußerungen in Gesellschaften zu den beliebtesten Gästen Charlottes. „Mit seinem kaustischen Witz würzte Alois Blumauer die Tafel bei Greiner“49, steht in einem Bericht über den jungen Schriftsteller. Er ist zunächst Redakteur der Österreichischen Realzeitung und des Musenalmanachs. Blumauer liebt Spaziergänge, Besuche, Reiten, Kaffeehäuser und besonders das Theater. Sein erstes Stück, Erwine von Steinheim, ein Ritterdrama, wird 1780 im Nationaltheater nächst der Burg aufgeführt und macht Blumauer bekannt. Seine Äneis wird zu einem der meistgelesenen Bücher. Es ist eine Parodie auf das Vergil’sche Werk. Wieland gefällt es sehr, Schiller und Goethe gar nicht, Grillparzer schützt es vor der Zensur. Alois Blumauer ist ein Vertreter der josephinischen Aufklärungsliteratur. In Steyr im Jahr 1755 geboren, besucht er das Jesuitengymnasium und tritt 1772 in den Orden ein, der 1773 aufgelöst wird. Ein Jahr später ist Blumauer Civis der Philosophischen Fakultät in Wien, wo er lehrt und schreibt. Er besucht den Salon Greiner und begegnet dort seinem künftigen Förderer Joseph Freiherr von Sonnenfels. Die geistigen Auseinandersetzungen nimmt er ernst und kämpft einen schweren inneren Kampf vor seiner Entscheidung für die Aufklärung. In seinem Werk nimmt er Stellung zu Fragen der Zeit und unterstützt die Kirchenreform Josephs II.

Zahlreiche kleine Broschüren überschwemmen 1782 als Folge der Pressefreiheit den Markt. Auch Blumauer verfasst einige von ihnen. Unter Sonnenfels wird Blumauer 1782 zum k. k. Bücherzensor der neu geschaffenen Zensur- und Studienhofkommission. Die Zensur soll aus den Händen der ehemaligen Jesuiten genommen werden. Das Direktorium will Sachlichkeit und Effektivität. Gelehrte Zensoren werden eingesetzt, sie sollen entscheiden, welches Wissen weitergegeben wird.

Dazu Alois Blumauer: „Allerdings geht es mit der Zurechtweisung des menschlichen Geistes sehr langsam und eine durchaus aufgeklärtere Denkungsart lässt sich höchstens erst von der zweiten Generation, wenn unsere itzigen Kinder Väter sein werden, erwarten.“50

Als Blumauer Zensor wird, tritt er auch der Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ bei. Er lebt im Haus des Ignaz von Born und ist kurze Zeit mit dessen Tochter Maria verlobt, welche die Verbindung jedoch wieder löst.

Mit Joseph Franz von Ratschky gibt Blumauer zehn Jahre lang den Wienerischen Musenalmanach heraus, der sich als Organ sieht, das „tatsächlich ein Spiegelbild der Wiener Dichtung jener Zeit bot“.51 Im Jahr 1794 verlässt Blumauer seine Stelle bei der Zensurbehörde und wird Kompagnon des Buchhändlers August Gräffer.

Zwischen Blumauer und Alxinger herrscht eine Art Konkurrenzkampf, denn beide verkehren in den gleichen Kreisen und in derselben Freimaurerloge. Alxinger ist wohlhabend, Blumauer arm, doch beide sind von den Ideen der Aufklärung und des Freimaurertums durchdrungen. 1798 stirbt Alois Blumauer und hinterlässt einen Schuldenberg.

Der älteste Dichter im Kreis ist der „Barde“ Johann Michael Denis, Jesuit, Freimaurer, Professor am Theresianum. Sein Kirchenlied „Tauet, Himmel, dem Gerechten“ ist noch heute bekannt. Geboren 1729, ist er eine besondere Autorität im Salon Greiner, er wird als „Vater der heimischen Dichtkunst“ bezeichnet. Der sprachgewandte studierte Theologe und geweihte Priester übersiedelt 1759 nach Wien und wird Präfekt an der Theresianischen Ritterakademie. Nach der Auflösung seines Ordens 1773 wird ihm die Garellische Bibliothek am Theresianum anvertraut. Sein Hauptgebiet sind Biografien und Literaturgeschichte. Er hält öffentliche Vorlesungen und übernimmt später die dritte Kustosstelle an der Hofbibliothek.

Denis ist Mitglied der „Deutschen Gesellschaft“, einer Sprachgesellschaft der Aufklärung in Leipzig, deren Ziel es ist, die deutsche Sprache gegenüber dem Lateinischen und dem Französischen aufzuwerten. Deutsch soll Vortragssprache in den Schulen und Akademien werden. Denis steht auch mit Friedrich Gottlieb Klopstock und Friedrich Nicolai im Briefwechsel.

Joseph von Sonnenfels, ein Amtskollege des Hausherrn, gehört wohl zu den bedeutendsten Freunden des Hauses, er steht in enger Beziehung zur Aufklärung und ist regelmäßiger Gast. Für Karoline wird er zum väterlichen Freund und bei ihrer Hochzeit fungiert er als Trauzeuge. Sonnenfels entstammt einer Rabbiner- und Gelehrtenfamilie und kommt 1733 als Sohn des Hebräischlehrers Lipmann Perlin in Nikolsburg (Mähren) zur Welt. Perlin konvertiert 1735 mit seinen drei Söhnen zum Katholizismus, worauf Joseph das Piaristengymnasium in Nikolsburg besucht.


Väterlicher Freund der Familie Greiner: der bedeutende Aufklärer und Reformer Joseph von Sonnenfels. Zeitgenössischer Stich.

 

Mit seinem Vater übersiedelt er nach Wien, nimmt den Namen Alois Wienner an und erhält 1746 das Prädikat „Edler von Sonnenfels“. Er studiert Staatswissenschaften, schreibt Lehrbücher und erstellt in seinen „Grundsätzen“ einen Staatsplan. Ganz im Sinne der Aufklärung fordert er die Abschaffung der Folter und arbeitet bei der Justizreform des Kaisers mit. Seine Leidenschaft gilt dem Theater, das er zu professionellen Spielstätten mit professionellen Schauspielern umstrukturieren möchte. Dennoch gelingt es ihm nicht, den derben Hanswurst von Wiens Bühnen zu vertreiben. Als seinen größten Triumph empfindet er, dass das Hoftheater zum Nationaltheater erhoben und damit eine „deutsche Bühne“ geschaffen wird. 1770 wird Sonnenfels oberster Theaterzensor, Mitglied der Bücherzensurkommission und Sekretär der k. k. Zeichen- und Kupferstecherakademie. 1776 wird er Illuminationsdirektor, Wien erhält die erste ständige Straßenbeleuchtung in Europa. 1779 wird er zum Hofrat ernannt.

Sonnenfels entwickelt eine Art Wissenschaft der Verwaltung, basierend auf dem Bevölkerungszuwachs, und strebt wirtschaftliche und politische Ausgewogenheit an. Weiters wirkt er am Strafgesetzbuch von 1787 mit. Bei der Strafe und dem Strafausmaß soll der Nutzen für den Staat ausschlaggebend sein. Von 1793 bis 1796 steht er der Universität Wien als Rektor vor. 1811 wird Sonnenfels zum Präsidenten der k. k. Akademie der Bildenden Künste ernannt.

Der aus Siebenbürgen stammende Ignaz von Born studiert in Prag Jura und tritt anschließend eine Europareise an. Danach studiert er in Prag Mineralogie, Naturlehre und Bergwerkskunde.

Born ist ein überzeugter Aufklärer und Meister vom Stuhl der Loge „Zur wahren Eintracht“. Unter seiner Führung wird die Loge zur Gesellschaft der Wissenschaften, einer Art „Deutsche Akademie der Wissenschaften und Künste im Geiste der Aufklärung“.

Franz Xaver, Charlottes Sohn, ist ebenfalls im Sinne der Aufklärung literarisch tätig. Er studiert Jura, wird 1796 Hofkonzipist und stirbt bereits mit 27 Jahren. 1791 gründet er im Sinne der Gedanken der französischen Revolution einen literarischen Verein. Man trifft sich im Haus Greiner, bis die anti-jakobinische Wende in der Politik einsetzt: Männer aus der Umgebung des Salons, wie etwa Alois Blumauer, werden von der Polizei beobachtet und verhört.

Mit der Aufdeckung einer angeblichen Jakobinerverschwörung in Wien und ihrer Niederschlagung entsteht ein Klima des Misstrauens. „Wie ein kalter Wasserstrahl wirkte das nunmehr auftretende Polizeiregiment auf die Gesellschaften und man zog sich scheu vor den Menschen zurück.“52 Die jungen Leute stellen ihren literarischen Zirkel ein. Im Landhaus in Hernals treffen sie sich nun zu harmlosen Zusammenkünften und Gartenfesten. Karoline hat inzwischen geheiratet, die Familie Greiner-Pichler reduziert den Hausstand und zieht in das Haus in der Alser Vorstadt Nr. 109, heute im 9. Wiener Bezirk. Es ist schwierig, über die Glacis, die ungepflastert und schlecht beleuchtet sind, von Wien in die Vorstadt zu gelangen. Es gibt selten Besuche und man unterhält sich im engsten Familienkreis. Mit der Veröffentlichung ihrer Gleichnisse 1800 wird Karoline Pichler bekannt. Zwei Jahre später entsteht ihr Salon, noch immer mit Charlotte Greiner als zentraler Figur.

Ihr geht es um geistig-moralische Bildung der gesamten Persönlichkeit mit dem klaren Ziel, den Geschmack zu verbessern. Dasselbe gilt für die literarischen und musikalischen Zirkel des Hausherrn, das Treiben der Kinder und das Theaterspiel.

Im Gegensatz dazu kennzeichnet den Salon der Fanny von Arnstein, einer Wiener Salonière aus Berlin, kulturelle Internationalität und die Freude am Repräsentieren. Zwischen den beiden Salons gibt es wenig Berührungspunkte – Ausnahmen sind Gäste wie Mozart und Sonnenfels –, sie sind zu unterschiedlich in ihrer Ausrichtung.


„Ihre Augen sind feurig, ihr Verstand scharf“: Fanny von Arnstein. Schabblatt von Vincenz Georg Kininger nach einem Gemälde von Guerin.

FANNY VON ARNSTEIN
(1758 – 1818)

„Wohltätig, reizend, klug und ohne jede Mängel“, beginnt ein Huldigungsgedicht Johann Baptist Alxingers an die junge Fanny von Arnstein1, geborene Franziska Itzig, die nach dem Tod ihrer Schwiegereltern 1787 die Leitung des Wiener Hauses Arnstein übernimmt und einen Salon führt. Sie ist Mitbegründerin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, wird in den folgenden Jahrzehnten eine bedeutende Rolle als Salonière spielen und auch den Boden für diplomatische Verhandlungen zur Neuaufteilung Europas zur Zeit des Wiener Kongresses bereiten.

Fanny ist von großer Gestalt, wie der Chronist, Schriftsteller, Diplomat und spätere Ehemann der berühmten Berliner Salonière Rahel Levin, Karl August Varnhagen von Ense, sie beschreibt. Er unterstreicht ihre Schönheit und Anmut, ihr strahlendes, vornehmes Wesen. Ihre Augen sind feurig, ihr Verstand scharf, sie hat Witz und kann Fröhlichkeit verbreiten, jedoch auch reizbar oder wild aufbrausend sein, wenn ihr etwas gegen den Strich geht, doch sie beruhigt sich rasch und beschenkt alle, die sie mit ihren Launen gekränkt hat. In Wien gilt sie als eine höchst auffällige Erscheinung, sie ist belesen, beherrscht mehrere Fremdsprachen und beeinflusst mit ihrer Bildung und ihrer freien Art zu denken die Wiener Gesellschaft im Geist der Berliner Aufklärung. Die Schriftstellerin Hilde Spiel schreibt in ihrer Biografie über Fanny Arnstein: „Hochgewachsen und schlank, mit langer gerader Nase und schönen, etwas vorquellenden hellblauen Augen, wirkte sie, wenn auch keineswegs norddeutsch, doch berlinisch neben den kleinen, fülligen, feingliedrigen Wienerinnen, rührten auch ihre Frische, „ihr rascher Witz, ihre rastlose Beweglichkeit unverkennbar von der scharfen reinen Luft der Stadt, aus der sie stammte.“2

Fanny ist in den literarischen Salons Berlins groß geworden. Künstlerische und intellektuelle Interessen bilden von früh an einen Teil ihres Lebens. Dieser Hintergrund, dieses Gespür für Kultur und Literatur prägen ihren überaus prächtigen Salon, die Gäste, die Gespräche, die Atmosphäre.

Später wird Fanny auch so beschrieben: „Fahrig, vergesslich, sprunghaft, stets zum Lachen wie zum Weinen bereit, unberechenbar und dennoch überaus liebenswert muss man sie sich denken.“3 Sie besitzt „die Allüren großer Damen“, die das Schicksal verwöhnt. „Doch sie war … ebenso der munteren und klagenden Vertraulichkeit mit Dienern, Zofen und ihren übrigen, Leuten’ fähig wie des Umgangs mit Prinzen, Prälaten und Diplomaten. Mag sie gegen Ende ihres Lebens entkräftet, mißgestimmt und unstet gewesen sein, ihre tiefinnere Heiterkeit, ihr echter Humor hatten sie nicht verlassen.“4

Fanny ist in Wohlstand und mit Bildung aufgewachsen. Das prädestiniert sie, auch in Wien zu glänzen. Karl August Varnhagen von Ense schreibt später: „Allein die frühe Gewohnheit, sich in Fülle und Glanz zu bewegen, und der Nachdruck, welchen äußere Hilfsmittel jedem persönlichen Dastehn und Benehmen ertheilen, gaben ihrem Eintritt in den neuen Lebenskreis unstreitig gleich den größten Vortheil. Sie bedurfte dieses Vortheils, um größere geltend zu machen … die Eigenschaften, welche nur wenigen Frauen der höchsten Stände anzugehören pflegen, sah man staunend in einer Jüdin glänzen, deren unter den segensreichen Einflüssen der Regierung Friedrichs des Großen gediehene Geistesfreiheit und Bildung nur um so stärker in einer Stadt wirken mußte, wo man diese letzteren Vorzüge wenig verbreitet fand, aber zu schätzen und begehren schon begonnen hatte.“5

Hilde Spiel schreibt in ihrer Biografie, dass „die Frau, deren Leben hier berichtet wird“, sich weder „hemmend“ noch „fördernd“ in den Fortgang der Dinge einbringt. „Doch sie war sich bewusst, aus welchem Volk, in welche Zeit und an welchen Ort sie geboren war, und sie füllte ihren Platz in der Geschichte mit Anmut, Geist und Würde. Ihr Ort war ein Europa, zerrissen von den Kämpfen der Könige, vom Aufstand der Völker, von Krieg und Revolution. Ihre Zeit spannte den Bogen vom mittelalterlichen Dunkel des Denkens über die Aufklärung bis zum neuerlichen Zwielicht der Reaktion.“ Mendelssohns Mutter nennt Fanny die „interessanteste Frau in Europa“. Sie ist „kein intellektuelles Phänomen wie die Rahel, kein romantisch-schwärmerisches wie Dorothea Schlegel, kein erotisch-sentimentales wie die arme Henriette Herz“, meint Spiel. Sie ist ein „soziales Phänomen, das allein durch seine Ausstrahlung“6 wirkt.

Franziska, die in der Wiener Gesellschaft nur noch Fanny genannt wird, ist eine der zehn Töchter von insgesamt sechzehn Kindern des Berliner Hofbankiers Friedrichs II., Daniel Itzig, eines sehr geschickten Finanzmannes, und seiner Frau Mariana (Mirjam), geborene Wulff. Sie kommt am 29. November 1758 in Berlin zur Welt. Obwohl nicht viel über ihre Kindheit und Jugend bekannt ist, weiß man doch, dass Fanny und ihre Geschwister eine sorgfältige Erziehung und vielfältige Bildung genossen haben. Zeitgenossen erwähnen die Anmut der Töchter und deren Talente genauso wie ihren hoch entwickelten Geist und ihre Musikalität. Die geradezu hervorragende Ausbildung der Kinder in Berlins jüdischen Familien fällt auch der Schwester Friedrichs des Großen, Königinmutter Ulrike von Schweden, auf, als sie im April 1772 an einer jüdischen Hochzeit teilnimmt. Sie ist tief beeindruckt von der berauschenden Pracht des Festes und den feinen Sitten: „Was mich am meisten überrascht hat, ist die Erziehung, die das auserwählte Volk Gottes seinen Kindern gibt. Ich glaubte wahrhaftig, mich unter Personen von Rang und Geburt zu befinden.“7 Dass die jüdische Elite auf eine ausgezeichnete Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder größten Wert legt und ihnen Sitten und Gebräuche des Bürgertums vorlebt, hängt auch mit dem Bestreben zusammen, in die christlich dominierte Gesellschaft Eingang zu finden, um in weiterer Folge sozial aufsteigen zu können. Dies ist von der Haskala, der jüdischen Aufklärung, geprägt, deren Vertreter die Anpassung an die christliche Gesellschaft fordern.

So werden Franziska Itzig und ihre Geschwister ganz im Geiste Gotthold Ephraim Lessings und Friedrich Nicolais erzogen, besonders aber nach den Vorstellungen des Philosophen und Aufklärers Moses Mendelssohn, dem Lessing als Nathan ein Denkmal setzte. So wie Nathan tiefgläubiger Jude ist, wird auch Fanny ihren Glauben bis zu ihrem Tod behalten. Moses Mendelssohn bleibt lebenslang ihr großes Vorbild.

Seit ihrer frühesten Jugend kommt Fanny mit Haustheater, musikalischen Darbietungen und Diskussionen im Haus ihrer Eltern in Berührung. Dort verkehren Lessing, die Familie um Moses Mendelssohn, Rahel Varnhagen, geborene Levin, die Familie Herz und viele andere Intellektuelle der Stadt.

Ihre Leidenschaft für das Schauspiel führt Fanny schon früh auf die Bühne des hauseigenen Theaters. So wirkt sie unter anderem gemeinsam mit ihren Schwestern an einer Inszenierung mit, von der Henriette Herz, die berühmte Berliner Salonière, berichten wird. Das Schauspiel wird wahrscheinlich im Gartenhaus der Itzigs in ihrem Park in der Kölnischen oder Köpenicker Vorstadt aufgeführt: „Schon etwa in meinem neunten Jahre, also ungefähr 1773“, erfährt Julius Fürst, ihr Biograf, von Henriette Herz, „wohnte ich in dem Hause eines jüdischen Banquiers der Darstellung eines Trauerspiels bei. Es war dies ‚Richard der Dritte’ – von welchem Verfasser weiß ich nicht mehr – und die Töchter des Hauses hatten in demselben die weiblichen Hauptrollen übernommen. Der Eindruck dieser ersten dramatischen Vorstellung, welche ich überhaupt sah, wurde ein unauslöschlicher.“8 Später bildet Fanny mit viel Liebe den Park am Braunhirschengrund in Wien ihren Kindheitserinnerungen an den Park vor dem Schlesischen Tor nach.

In Wien wird sich Fanny auch der sozialen Wohlfahrt widmen. Als Jüdin konzentrieren sich ihre Wohltätigkeiten vor allem darauf, den Angehörigen der untersten Klassen zu helfen. So fordert sie in ihrem Testament ihre Erben dazu auf, sich besonders um die armen Juden zu kümmern.

 

Franziska heiratet mit siebzehn den Wiener Bankier Nathan Adam Arnsteiner und zieht in das Haus ihrer Schwiegereltern. Sie verlässt das väterliche Palais in der Berliner Burgstraße, einen Hort der Schönen Künste, und das Landgut der Familie vor dem Schlesischen Tor, um am Graben, „Numero 1175 in der Stadt“, zu leben – im Wien der damaligen Zeit waren die Häuser durchnummeriert. Von ihrem Vater erhält sie 70.000 Taler Mitgift.

Der Graben bildet das Herz der Stadt, er ist die Straße der Modehändler, es gibt Kaffeehäuser und am Abend lustwandeln Spaziergänger und leichte Mädchen, gleichzeitig gilt er als der Wohnort der besten Gesellschaft.


Das Herz der Stadt: Ansicht vom Graben gegen den Kohlmarkt. Kolorierter Kupferstich von Carl Schütz, 1781.


Musik verbindet: ein Hauskonzert. Kupferstich von Johann Ernst Mansfeld in Joseph Richters Buch „Bildergalerie weltlicher Mißbräuche“, 1785.

Ihr Schwiegervater, der Hoffaktor Adam Isaak Arnsteiner, hat bereits von Maria Theresia das Recht erkämpft, frei seinen Wohnsitz zu wählen. Als Hoffaktor ist es Arnsteiner und seiner Familie mittels kaiserlichen Briefes gestattet, sein Quartier „aller Orten, wo er solches am sichersten zu sein erachtet, um billige Bezahlung“9 aufzuschlagen. Die Jahresmiete beträgt 2690 Gulden, der Eigentümer ist der Bürger Johann Baptist Contrini. Noch dürfen Juden keine Immobilien besitzen. Auf drei Stockwerke und auf Gebäude im Hof verteilt, verfügt er über 19 Zimmer, zehn Kammern und drei Küchen sowie weitere Nebenräume. Den Eckfirst des prächtigen Bauwerks ziert ein Zähne fletschender herabspringender Löwe.

Eng drängen sich in Wien die Häuser um den Stephansdom, schmale Gassen bieten keinerlei Aussicht auf Innenhöfe oder Brunnen. Die Gassen sind krumm und ungleich angelegt, ganz anders als in Berlin mit seinen breiten Alleen und Plätzen. Wie mag wohl Fannys erster Eindruck von Wien gewesen sein? Berlin und seiner Gesellschaft bleibt sie immer verbunden, ihre Tochter Henriette wird dort geboren, und doch wird Fanny zu einem Symbol des Wiener Salonlebens.

Fannys Mann, Nathan Adam Arnsteiner, wird am 30. März 1748 geboren. Ihr Ehemann, zehn Jahre älter als sie, hat ein gutmütiges, ausdrucksloses Gesicht mit weichem Kinn. Neben zwei älteren Schwestern hat Nathan zwei jüngere Brüder. Fanny und er lernen einander wahrscheinlich 1773 in Berlin kennen, die Ehe wird von den Eltern arrangiert, die Hochzeit findet 1776 statt.

Fanny hat einige Mühe, sich in ihrer neuen Umgebung einzuleben, der Familie Arnsteiner ist sie seit achtzig Jahren vertraut. Um 1700 ist der Vater des Hoffaktors aus Arnstein bei Würzburg nach Wien gereist, hat gleich beim großen Samson Wertheimer den Dienst angetreten und so an dessen Schutzprivilegium teilgenommen.

Fanny führt ein nicht immer einfaches Leben im Hause ihrer Schwiegereltern, wovon ein hebräischer Chronist berichtet. Einmal lässt sie zwei männliche Gäste hinauskomplimentieren: Ein Gelehrter reist mit seinem Schüler nach Frankfurt und logiert auf der Durchreise bei Adam Arnsteiner, um dort das Passahfest zu feiern. Der Schüler verläuft sich einmal im Haus und sieht, wie Fanny in ihrem Zimmer ihr langes Haar kämmt. Seiner Meinung nach sollen jüdische Frauen kurze Haare und eine Perücke tragen. Fanny droht daraufhin, nach Berlin zurückzukehren, wenn die beiden Gäste nicht sofort das Haus verlassen. Die selbstbewusste junge Frau duldet keine herrischen Besucher und setzt sich auch über religiöse Vorschriften zur Haartracht hinweg. Ihr freigeistiger Mann vermittelt zwischen ihr und seinem strenggläubigen Vater.

Es ist vor allem die Musik, die Menschen verschiedener Stände in den Salons zusammenbringt. Auf einer Soirée der Gattin des Ministers Hochstedten spielt Frau von Arnstein entzückend Klavier, und Mozarts Schwägerin, Aloysia Weber, bezaubert mit ihrem Gesang die versammelten Gäste.10 Das schreibt der Kölner Jurist Johann Baptist Fuchs von seiner Reise nach Wien. Nicht lange nach ihrer Ankunft gelingt es Fanny, erste Kontakte zur Wiener Gesellschaft zu knüpfen. Wohl in den letzten Regierungsjahren Maria Theresias muss sich Fanny einmal ein Wiener Haus geöffnet haben, über dessen Schwelle sie leichtfüßig tritt, so Hilde Spiel. Sie freundet sich mit anderen jungen Damen an und fordert sie und deren Ehemänner auf, nach dem Theater zum Souper zu ihr zu kommen. Allmählich beginnen solche Empfänge regelmäßig stattzufinden. Die Berliner Jüdin wird in die Wiener Gesellschaft aufgenommen.

Man schreibt das Jahr 1776. Kathl Obermayer ist die zweite Frau des Rates in der Hof- und Staatskanzlei Johann Georg Obermayer und wird eine Freundin Fanny von Arnsteins. Kathl und ihr Mann sprechen – wie viele Adelige und vornehme Bürger – miteinander Spanisch. Kathls „Sitzzimmer“ ist ihr Salon.

Wir wissen einiges davon aus Emilie Weckbeckers Erinnerungen, die über ihre Mutter und deren Salon schreibt: „Mein Vater, der gerne Leute sah, lud nun Herren seiner Bekanntschaft, meist Diplomaten, Gelehrte, nach dem Theater zu sich. So empfing meine Mutter abends fast täglich. Fanny von Arnstein tat dasselbe. Die beiden Frauen trafen sich häufig in Gesellschaft und wurden bald intime Freundinnen, doch konnten sie sich im Winter an drei Abenden nicht sehen, weil da auch die Arnstein nach dem Theater Leute bei sich empfing. Bei ihr, die reich war, fand allabendlich Souper statt, bei meinen Eltern nicht; da gab’s nur Wasser mit gestoßenem Zucker und – o Wunder – Tee … Tee zu jener Zeit, wo dieses Getränk bei uns fast noch unbekannt war.“11 Tee entwickelt sich nach und nach zu einem beliebten Getränk in den verschiedenen Salons.

Im Hause Obermayer kommt es zu einer einschneidenden Veränderung, als Joseph II. nach Maria Theresias Tod den kaiserlichen Beamten verbot, Umgang mit Diplomaten ausländischer Mächte zu pflegen. „Für die Gewohnheiten meiner Eltern bedeutete das eine Umwälzung. Sie behielten wohl ihre Soireen nach dem Theater bei, aber ihr Hauptreiz, die Fremden, war daraus verbannt.


Fannys Mann: der Bankier Nathan Adam von Arnstein. Ob seiner Leistungen für Hof und Staat erhält er den Adelstitel verliehen.

Nach und nach wurden sie durch Militärs ersetzt, die durch Bienenfeld (welcher stets Verbindungen mit der Armee hatte) ins Haus kamen.“12

Große Gesellschaften gibt es an den Geburts- und Namenstagen des Ehepaares Obermayer und am Neujahrstag.

Jahre nach ihrem Eintreffen in Wien wird Nathan Adam Arnsteiner ob seiner Leistungen für den Hof und den Staat der Adelstitel verliehen. Er nennt sich nun Nathan Freiherr von Arnstein. Die Erhebung des Bankiers zum Baron erfolgt aus rein praktischen Gründen, denn der Staat braucht das Vermögen der jüdischen Bankiers, um das Heer für die napoleonischen Kriege aufzurüsten. Fanny von Arnstein wird zur Gegnerin Napoleons werden, empfängt aber dennoch Franzosen.

1785 stirbt Fannys Schwiegervater Adam Isaak Arnsteiner, zwei Jahre später folgt ihm seine Frau nach. Von da an übernimmt Fanny das Haus. Ihren schon seit Jahren bestehenden Salon erweitert Fanny nun um die Räume der Schwiegereltern und modernisiert das Mobiliar. Anschließend vergrößert sie ihren Kreis und lädt Damen und Herren des gehobenen Adelsstandes zu sich. Die Einladungen werden gerne angenommen, denn der Empfang ist liebenswürdig, die Konversation anregend und die Bewirtung glänzend. Hilde Spiel schreibt, dass eine „Entwicklung“ vor sich gehe, „die der bisherigen Hierarchie der gesellschaftsfähigen Schichten“ entgegenwirkt, und dass „ein gelösteres, gemischteres Zusammentreffen“, wie das bisher nur bei „öffentlichen Konzerten und auf musikalischen Soireen“13 der Fall war, in die Privatgemächer Eingang findet.

Wirklichkeit und Scheinwelt berühren einander im josephinischen Jahrzehnt und gehen ineinander über. Lebenslust kommt aus den verschiedensten Bereichen. Selbst die Natur wird zum Kunstwerk. Als Kulissen für Gespräche dienen Gärten, Laubenstatuen, Springbrunnen und Parks, ja sogar die traumhafte Umgebung Wiens wird eingebunden.

Die schärfste Kritik über die Sinnenlust der Bewohner Wiens kommt von norddeutschen Besuchern. Bereits im Jahr 1784 schreibt ein Berliner seinem Freund über den Adel folgendes: „Die Jungen spielen, fahren, reiten, jagen, treiben die Liebe in warmen Ländern, bis sie ganz kalt werden, schlagen ihre Bediente lahm, ruiniren ihre Pächter, pressen Geld aus ihren Verwaltern, schwängern ihre Mägde oft, ihre Weiber wenig, kennen kein anderes Verdienst an ihnen, als daß sie Geld haben.“14 Die Alten seien „zornig, eigensinnig, stolz, führen beständig Prozesse, und halten sich eigene Partheygänger, weil sie in ihrem Alter die Leute zu necken nicht vergessen haben, welches ihnen noch von ihrer Jugend anklebt; sie zanken mit ihren Weibern, sind dem Fraß und Trunk ergeben, und lassen ihre Kinder Schafköpfe seyn“.15