Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen

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Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen
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Hans Zippert

Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen

Im Selbstversuch getestet

– FUEGO –

– Über dieses Buch –

In Deutschland gibt es mehr Krankheiten als Einwohner. Denn in diesem Land herrscht das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Die Menschen erwarten einfach, dass ihnen Ärzte, Krankenkassen und Wissenschaftler eine möglichst breite Palette an Krankheiten anbieten. Krankheiten sind wichtig für die Persönlichkeitsbildung, denn wir unterscheiden uns oft nur durch unsere Krankheiten voneinander. Krankheiten geben dem Leben oft erst einen Sinn. Deshalb sind die Deutschen gerne krank. Dabei haben sie oft einfach nur einen Knall oder nicht mehr alle Tassen im Schrank. Dann gründen sie eine Selbsthilfegruppe und kämpfen solange, bis Tassen rezeptpflichtig werden und nur noch in der Apotheke zu bekommen sind. Es gibt erstaunlicherweise nur eine Form der Gesundheit, aber über 122 Millionen verschiedene Krankheiten. Ein Leben reicht nicht aus, um die alle mal bekommen zu haben. Hans Zippert hat deshalb die 55 beliebtesten Krankheiten am eigenen Leib ausprobiert. Lesen Sie seine spannenden Erfahrungsprotokolle und dann wissen Sie, welche Krankheit sich für Sie wirklich lohnt und von welcher Sie besser die Finger lassen. Ein unersetzliches Nachschlagewerk und Pflichtlektüre für alle Deutschen, die wissen wollen, welche Krankheit am besten zu ihnen passt.

Anamnese

Grundsätzlich kann jeder Zustand, in dem man sich gerade befindet, als Krankheit gedeutet werden. Nicht immer ist gleich ein Name dafür zur Hand und oft passiert es, dass übereifrige Wissenschaftler zuerst ein Medikament entwickeln und die dazu passende Krankheit ist noch gar nicht entdeckt. Dieses Buch gibt einen Überblick über die 55 gängigsten Krankheiten, die in Deutschland auftreten können. Es zeigt keinerlei Heilungsmöglichkeiten auf, weder allopathische noch homöopathische. Es handelt sich nur um die Selbsterfahrungsberichte eines Mannes, der schon viel Leid gesehen und erlebt hat. Ich muss es wissen, denn dieser Mann bin ich.

Dass dieses Buch überhaupt existiert, ist auch das Ergebnis einer Krankheit. Ich kann nämlich nichts wegwerfen. Vor allem keine Texte, die ich irgendwann mal geschrieben habe. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn jeder Satz, der in Büchern steht, wurde schon mal geschrieben, sonst könnte man ihn ja gar nicht lesen, es sei denn, jemand erfindet ein Buch, das erst im Moment der Lektüre entsteht. Das vorliegende Werk enthält jedenfalls zum größten Teil Texte, die zuerst im Internet, auf den Blogseiten der Zeitschrift Cicero zu lesen waren. Weil ich aber erst einmal im Leben jemand getroffen habe, der diese Blogeinträge überhaupt gelesen hatte, bekam ich Angst, dass ich die Texte möglicherweise nur für diese eine Person geschrieben haben könnte und sie irgendwann komplett in den Tiefen des Netzes verschwinden würden und beschloss, sie in einem Buch zu versammeln. Ich hatte schlicht Angst, sie könnten verloren gehen, der Fachausdruck dafür lautet: Verlustangst.

Als ich mit meiner Textsammlung bei der letzten Buchmesse vor die Verleger trat, erklärten sie mir übereinstimmend, dass niemand ein Buch kaufen würde, in dem nur Kolumnen gesammelt sind, vor allem, wenn es sich um Kolumnen handelt, deren Leserzahl sich nicht messen lässt. Weil sie vielleicht gar nicht messbar ist. Aber auch sonst interessiert sich außerhalb von Zeitungen niemand für Kolumnen.

Das muss so sein, weil es jeder sagt. Vor einigen Jahren, als ich noch kein eigenes Buch veröffentlicht hatte, aber eine tägliche Kolumne in einer großen überregionalen Tageszeitung schrieb, dachte ich, dass es ja schade wäre, wenn die alle nur im Altpapier landeten und konzipierte eine Art Best-of-Sammlung. Ich kannte damals allerdings keinen Verleger und deshalb ließ ich mir von Freunden den Spitzenagenten Herrn Jessen empfehlen. »Ruf Jessen an!« war geradezu eine Zauberformel der damaligen Zeit. Dieser Jessen hatte einem Kollegen mit einem ziemlich schwer verdaulichen Werk einen ungeheuren Vorschuss und einem anderen mit einem komplett unausgegorenen Roman eine ebenso gigantische Vorauszahlung besorgt. Jessen würde also auch für meine Kolumnensammlung problemlos mindestens 30.000 Euro raushandeln. Ich hatte nichts weiter zu tun, als ihn einfach anzurufen und anschließend gleich meinen Anlageberater. Also rief ich Jessen an, nannte meinen Namen und erklärte ihm, was ich vorhätte. Er fragte nur kurz: »Kolumnen? Können Sie vergessen. Verkauft sich nicht.« Und damit war das Gespräch und meine literarische Karriere beendet.

Es dauerte einige Jahre bis ich mich von diesem Jessenschock erholte, aber ich hatte meine Lek­tion gelernt und die lautete: Niemals darf der Leser sofort merken, dass er es nur mit veralteten Kolumnen zu tun hat. Deshalb nannte ich das Buch, in dem die Kolumnen aus der Tageszeitung versammelt waren, nicht »Das Beste aus Zippert zappt«, sondern »Das Weltwissen der 48jähri­gen«. Ein Supertrick, dem tausende von Lesern auf den Leim gingen, Jessen sei Dank.

Das gleiche Verfahren kommt nun ebenfalls in diesem Werk zur Anwendung. Es handelt sich zwar auch nur um eine Sammlung von Kolumnentexten, aber man erkennt es nicht sofort. Ich selber merke es ja kaum. Das liegt an dem brillanten Titel: »Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen«. Kaum war mir dieser Titel eingefallen, zeigte ich ihn auf der Buchmesse meinen Verlegern. Die Texte waren immer noch die selben, aber plötzlich rissen sich zwei Verlage gleichzeitig um das Buch. Ich genoss den Vorgang, tauchte mehrmals am Tag am Hanser-Stand auf, wedelte mit meinen Manuskripten und marschierte wieder zur Edition Tiamat. Ich fand es einerseits berauschend, dass zwei Verlage mein Buch herausbringen wollten, fühlte mich andererseits deprimiert, weil sie ja nur an dem Titel interessiert waren, der aber immerhin auch von mir stammte. Man muss sich jedoch klarmachen, dass die meisten Bücher auf diese Weise entstehen. Jemand hat einen dicken Packen von verschieden langen Sätzen beisammen, die werden zwischen zwei Buchdeckel gepresst, damit sie nicht mehr wegkönnen und vorne klebt man dann einen Titel drauf, der möglichst interessant klingt. Also: »Die Angst des Tormanns beim Elfmeter« oder »Kritik der reinen Vernunft« oder »Fräulein Smillas Gespür für Schnee«. Eigentlich würde das schon reichen, man müsste gar kein Buch mehr dazu schreiben, das verdirbt meistens nur den schönen Titel.

Es gibt übrigens keine Möglichkeit, dieses Buch zu reklamieren oder Schadensersatzansprüche zu stellen, weil Sie dachten, es handele sich um 1-A- Non-Kolumnen-Ware, und nun merken Sie, dass das gar nicht stimmt. An keiner Stelle wurde Ihnen nämlich garantiert, dass es sich um ein kolumnenfreies Werk handelt. Tun Sie einfach so, als ob nichts wäre und lesen Sie weiter. Aber lassen Sie sich Zeit. Nehmen Sie sich höchstens 4 bis 5 Krankheiten auf einmal vor, erholen Sie sich anschließend ein wenig und setzen Sie die Lektüre am darauffolgenden Tag fort.

Verwahrlosung

Während ich mir zuhause unter High-Tech-Ein­satz mit allerlei Spezialbürsten für Brückenrei­nigung und Zahnfleischtaschenentleerung den Mundraum reinige, kommt unterwegs ein höchst zweifelhaftes Objekt namens Reisezahnbürste zum Einsatz. Das ist jedenfalls die Bezeichnung unter der die Bürste in meiner Familie firmiert. Es scheint mir eher unwahrscheinlich, dass die Reisezahnbürste in diesem Jahrtausend gekauft wurde, wenn ja, dann ganz zu Anfang, als man noch mit D-Mark bezahlen konnte. Wahrscheinlicher aber ist, dass die Bürste mindestens die DDR erlebt hat. Besagte Bürste ruht in einem von meinem Sohn im Waldorf-Kindergarten getöpferten Gefäß in einer schlecht beleuchteten Ecke des Bades und wartet auf ihren Einsatz. Irgendwann wird sie vollkommen überstürzt, weil das Taxi schon wartet, in ein geschmacklos gemustertes Reisenecessaire geworfen, das ich immer mit hochrotem Kopf bei der Gepäckdurchleuchtung ausleere, und dann hat die Bürste ihren großen Auftritt in einem luxuriösen Hotelbadezimmer in Arosa oder Teneriffa. Und irgendwie sehe ich sie dann zum ersten Mal wirklich und ich begreife: allein die Anwesenheit meiner Zahn­bürste senkt den Wert der betreffenden Immobi­lie um 25 Prozent.

Seit Jahren starre ich in den Hotels dieser Welt erschüttert auf diese erbarmungswürdige struppige Erscheinung und schwöre mir, sobald ich zuhause bin, eine neue mit allen Schikanen zu erwerben. Die Bürste verstößt längst gegen die Genfer Konvention für biologische Waffen. Die Borsten sind eingebettet in eine zentimeterdicke Schicht aus uralten Zahnpasta-Ablagerungen. Archäolo­gen dürften erstaunliche Entdeckungen machen. Würde man DNA-Proben entnehmen, könnte man mir mit Sicherheit sämtliche unaufgeklärten Verbrechen der letzten zwanzig Jahre anhängen. Die Borsten selber streben in alle nur denkbaren Richtungen auseinander und scheinen ständig auf der Flucht vor meinen Zähnen zu sein. Jedesmal sage ich mir, dass es das letzte Mal sein wird, dass ich mit dieser Bakterienschleuder hantiere und jedesmal ist sie wieder dabei. Widerstand hat keinen Sinn, wir gehören einfach zusammen. Und mit meiner Zahnbürste habe ich inzwischen mehr erlebt, als mit jedem anderen Menschen. Darauf sollte ich eigentlich stolz sein. Reinhold Messner hat vielleicht alle Achttausender in einem Jahr bestiegen, aber ich habe mir mit der gleichen Bürste zwanzig Jahre lang auf vier Kontinenten die Zähne geputzt. Ohne Sauerstoffgerät. Und überlebt!

Krebs

Vor einigen Wochen hatte ich Krebs. Keine großartige Geschichte, das kommt bei mir öfter vor. Tropft die Nase, schmerzt das Knie oder der Ellenbogen, immer denke ich zuerst an Krebs. Gehe ich zum Zahnarzt, bin ich innerlich schon darauf gefasst, dass er einen kindskopfgroßen Tumor in der Mundhöhle entdecken wird. Ich überlege mir, ob ich nach einer Kieferamputation noch in der Öffentlichkeit auftreten könnte. Oder ob ich es vielleicht sogar sollte. »Der erste Roman eines kieferlosen Schrift­stellers« würde mein Verlag stolz auf den Buch­umschlag drucken lassen. Natürlich nur, wenn ich einen Roman schriebe, aber was soll man auch sonst tun ohne Kiefer. Der Zahnarzt schaute lange und konzentriert in meiner Mundhöhle umher, aber er konnte den Tumor nicht finden. Er stellte jedoch fest, ich hätte »das Zahnfleisch eines starken Rauchers«. Das war keineswegs als Lob gemeint. Da ich nie geraucht habe, vermutete er die Ursache für meine Parodontose im Magen-Darmbereich und empfahl mir den Besuch einer Reihe von Kollegen anderer Fachgebiete. Unter anderem sollte ich unbedingt in eine Schlauchschluckerei gehen, um eine Magenspiegelung zu machen. Da in meinem beruflichen Umfeld in letzter Zeit auffällig viele Personen an Krebs gestorben sind, war mir klar, was man bei mir finden würde. Ich dachte daran, dass ich ohne Haare sicher noch viel unvorteilhafter wirken dürfte, was meine Kinder wohl mit meiner Plattensamm­lung machen und wie wohl der Neue aussehen könnte, den meine Frau nach meiner Einäscherung kennenlernen würde.

 

Eine Schlauchschluckerei wird von einem sogenannten Internisten geleitet, der über gewisse Überredungskünste verfügen sollte. Meiner erklärte mir, es gebe zwei Methoden des Schlauchschluckens. Bei der einen würde er mir eine Beruhigungsspritze verpassen, ich würde augenblicklich in einen ganz angenehmen Dämmerzustand verfallen und den Schlauch ohne jeden Widerstand schlucken. Viele Patienten sagen, so erzählte er geradezu begeistert, sie hätten schon lange nicht mehr so gut geschlafen. Allerdings sei ich dann für etwa vier Stunden außer Gefecht gesetzt und müsse mit dem Taxi nach Hause fahren. Ich hatte aber noch zu arbeiten und war außerdem mit dem Fahrrad zur Schlauchschluckerei gefahren. Deshalb musste ich die zweite Methode in Erwägung ziehen, die er eher ruppig erklärte. Er würde meinen Rachenraum mit einem Spray betäuben, dann den Schlauch immer weiter in meinen Rachenraum einführen, bis der Schluckreflex einsetzte und ich das Ding praktisch ganz automatisch bis in den Zwölffingerdarm versenken würde. Die Prozedur sei natürlich von allerlei unschönen Würgereizen begleitet. Der Internist hatte selber noch nie einen Schlauch verschluckt, aber wenn er es müsste, so sagte er, würde er es wohl ohne Beruhigungsspritze tun. Das gab den endgültigen Ausschlag. Auf keinen Fall wollte ich mich vor diesem Mann als sediertes Weichei bloßstellen und sagte mannhaft: »Keine Spritze.«

Daraufhin führte er mich aus seinem gemütlich und geschmackvoll eingerichteten Sprechzimmer in einen anderen Raum. Zwei Assistentinnen warteten bereits auf mich, ich sah deutlich, wie sie den Mund verzogen, als sie hörten, ich wolle es »ohne« tun. Plötzlich hatten alle grüne Kittel sowie einen Mundschutz an und ich lag in unstabiler Seitenlage auf einem OP-Tisch. Dann sah ich zum ersten Mal den Schlauch. Er war schwarz wie eine Lakritzstange und hatte beinahe den Durchmesser eines handelsüblichen Gartenschlauchs. Es war ein kluger Schachzug des Internisten mich erst jetzt mit dem Ding zu konfrontieren, denn ich konnte nicht mehr weg. Eine Assistentin steckte mir ein Mundstück aus Plastik zwischen die Zähne, damit ich den Schlauch, der bestimmt teuer war, nicht zerbeißen konnte, und dann drückten mich beide mit aller Kraft auf die Liege. Weitere Einzelheiten will ich aussparen, ich kann nur sagen, dass zwei Assistentinnen ziemlich knapp bemessen sind, um einen konvulsivisch zuckenden und eruptiv würgenden Hypochonder ruhig zu stellen, aber es gelang ihnen irgendwie. Der Internist entnahm zwei Proben aus meinem Inneren, schaute sich gründlich im Zwölffingerdarm um und nach weniger als fünf Minuten war alles vorbei. Ich wurde für meinen Mut gelobt, die beiden Assistentinnen mussten ihre schweißnasse Kleidung wechseln. Der Internist teilte mir mit, es sei alles in Ordnung und gab den Schlauch in die Reinigung. Ich hatte den Krebs besiegt.

Warum ich das Zahnfleisch eines starken Rauchers habe, ist damit immer noch nicht geklärt. Vielleicht habe ich in meiner Jugend zuviele Folgen der Serie »Rauchende Colts« gesehen.

Verdrängung

Fast täglich findet man in Deutschland Mitgliedsausweise, die dann ihren ehemaligen Besitzern viel Ärger bereiten. Irgendwann stellt sich immer heraus, dass irgendwie jeder in der NSDAP war, u.a. Dieter Hildebrandt, Martin Wal­ser, Udo Jürgens und Klaus-Jürgen Wussow. Meist wurden sie ohne ihr Wissen in die Partei aufgenommen. Dieter Hildebrandt sagte, möglicherweise hätte seine Mutter den Antrag für ihn unterschrieben, und ich glaube ihm das. Sicherheitshalber möchte ich schon jetzt meine Mitgliedschaften offen legen, bevor ich später in Erklärungsnot komme.

Ich persönlich habe nie die Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt, soviel ist sicher. Sollte dennoch ein entsprechendes Dokument gefunden werden, dann war es meine Mutter oder die von Dieter Hildebrandt. Ich bin nie Mitglied einer Partei gewesen, das kann man mir nicht vorwerfen. Ich war allerdings zwei Jahre lang bei Verdi, weil ich hoffte, dass die mehr Lohn für mich erkämpfen würden. Sobald mir klar war, dass Verdi nichts für mich erreichen konnte, war der Klassenkampf für mich erledigt.

Sechs Jahre gehörte ich der »Prisoner Appreciation Society« an, der zweitgrößten Fernsehserienfangemeinschaft – nach Star-Trek natürlich. Diese Gesellschaft hat sich der Verehrung der 17teiligen Serie »The Prisoner« verschrieben, die bei uns »No.6« hieß. Patrick McGoohan spielte die Hauptrolle, und sollte irgendwann mal rauskommen, dass er ein verkappter Nazi gewesen ist, wäre ich natürlich dran.

Gespendet habe ich meist direkt in Hüte und Pappteller oder an Medico International. Einmal aber gab ich dem Ägyptischen Museum in Kairo hundert Dollar und übernahm dafür eine Tiermumienpatenschaft. Für das Geld bekam ich die Patenschaft für eine viertel Ibismumie übertragen und vor allem eine schöne Urkunde. Das könnte mir beim Jüngsten Gericht Probleme bringen, weil wir wahrscheinlich nicht auf der Welt sind, um unser Geld für den Erhalt von Tiermumien zu verschwenden. Mich hat damals aber vor allem das vollkommen Sinnlose der Spende begeistert.

Ich gehörte keinem Sportverein an, war niemals bei Greenpeace oder Amnesty International, aber auch nicht bei der Stasi, es sei denn meine Mutter hätte dort für mich irgendwas unterschrieben. Mitglied der evangelischen Kirche blieb ich immerhin, bis ich als Wehrdienstverweigerer anerkannt war.

Mit sieben Jahren abonnierte ich die Zeitschrift Max und Molly, die von Rolf Kauka herausgegeben wurde. Als der das Blatt einstellte, abonnierte ich Fix und Foxi, und zwar vor allem wegen der »IWM-Kartei«. IWM stand für »Ich weiß mehr« und ich befürchte, daraus kann man mir wohl doch noch einen Strick drehen. Denn eigentlich handelte es sich da um eine Art Stasi-Auf­bauorganisation.

Obwohl eigentlich nur allgemein zugängliches Wissen aus Naturwissenschaft, Tech­nik und Kultur vermittelt wurde, ging es wahrscheinlich darum, Agenten, Spione, Denunzianten und Informanten heranzuzüchten. »IWM« klingt ja nicht umsonst beinahe wie »IM«.

Unterschrieben hat den Fix-und-Foxi-Aufnah­me­antrag übrigens meine Mutter.


Die meisten jugendlichen Straftäter sind vorher Kinder gewesen. Wissenschaftler sehen da durchaus Zusammenhänge.

Erektile Dysfunktion

Man liest und hört es fast täglich. Frauen wünschen sich einen Partner, der zuhören kann, gepflegte Hände hat, und er muss auch gut im Bett sein. Wenn ich so etwas lese, werde ich immer ganz traurig, denn ich bin nicht besonders gut im Bett. Das war ich eigentlich noch nie. Man hat mir schon geraten, zum Psychiater zu gehen, aber ich denke, das ist eher ein genetisches Problem: Auch meine Mutter ist nicht besonders gut im Bett.

Ich weiß nicht, woran es liegt, aber mich macht schon der Gedanke ans Bett nervös. Es gibt so viele mögliche Stellungen. Ich begreife nie, wie ich mich legen soll. Liege ich auf dem linken Arm, schläft mein linker Arm ein, liege ich auf dem rechten Arm, schläft der rechte Arm ein, liege ich auf dem Bauch oder Rücken, schlafe ich nicht ein. Und wohin mit dem Kopf? Ich weiß es bis heute nicht. Im häuslichen Bett liegen beispielsweise dutzende potentielle Kopfablagestät­ten bereit: eine Nackenrolle, ein Dinkelspreu­kis­sen, ein Kappokkissen, ein altes Daunenkissen, das wahrscheinlich komplett mit Milben gefüllt ist, die mich seit Jahren kennen, und ein sehr großes Schaumstoffkissen, das bei uns lange Zeit nur »das Sitzkissen« hieß. Inzwischen gibt es noch ein weiteres etwas kleineres großes Kissen, das ebenfalls eine Schaumstoffüllung hat, aber einen geschmackvolleren Bezug. Das gilt jetzt als das »richtige« und wird nur noch »das Sitzkissen« ge­nannt, während das andere, das sogenannte »alte Sitzkissen«, nicht gerne im Bett geduldet wird.

Neben den Kissen gibt es noch diverse Oberbetten, die Namen wie »die dicke Winterdecke« oder »die Decke von deiner Mutter« tragen. Ich kann sie alle nicht voneinander unterscheiden, weil sie ja mit einem Bezug umhüllt sind, und es kommt regelmäßig zu unschönen Szenen, wenn ich mir versehentlich die dicke Winterdecke genommen habe und auch noch mit dem alten Sitzkissen im Rücken ein Buch lese.

Unser Bett ist außerdem an Kopf- und Fußende verstellbar, womit man wirklich die absonderlichsten Positionen einneh­men kann. Beispielsweise das Dinkelspreukissen unter die erhöht lagernden Beine geschoben und die Decke von meiner Mutter über den Kopf gezogen, der auf der Nackenrolle ruht, während man sich das Kappokkissen auf den Bauch gelegt hat.

Es sind hunderte von Schlafstellungen möglich, und jeden Abend erhebt sich außerdem die Frage, was liest man dazu? Also über welchem Buch möchte man in welcher Stellung einschlafen? Ich habe etwa 50 verschiedene Bücher in zwei Stapeln neben dem Bett gelagert, entscheide mich aber meistens für das oberste. Einmal habe ich versucht, ein Buch zu lesen, das auch wirklich zu Kissen, Decke und Körperposition gepasst hätte, das natürlich relativ weit unten im Stapel lag. Ich war aber schon zu müde, um alles wieder aufzuheben und neu zu stapeln, und am nächsten Morgen stolperte ich über die antiquarische Biographie von Alfred Brehm und riss im Fallen das Bügelbrett um, das eine unschöne Delle im Kleiderschrank hinterließ.

Zu meinem Leidwesen verfügt das Bett, in dem ich die meisten meiner Nächte verbringe, auch noch über eine Art Lehne am Kopfende, die sich irgendwie und mit einem angeblich ganz einfachen Handgriff schräg stellen lässt. Das sei dann, so wird mir immer wieder erklärt, »die Lesestellung«. Ich frage mich nur, wer in dieser Stellung und ohne »das alte Sitzkissen« lesen soll? Ich rutsche da jedenfalls immer ab.

Ich bin wirklich nicht gut im Bett, ich bin ein totaler Versager. Das Bett ist ein Ort voller heimtückischer Fallen. Es heißt ja auch, man liegt »im Bett«, aber »auf dem Sofa«. Da, auf dem Sofa übt man Kontrolle und Herrschaft aus. Dem Bett ist man ausgeliefert, man liegt drin und kann nur hoffen, dass alles gut geht. Auf mein Sofa lege ich mich dagegen völlig entspannt, schmiege meinen Körper an die Sofarückwand und stemme die Füße gegen die geflochtenen Seitenlehnen. Das Sofa ist zu kurz, um meinen Körper komplett ausgestreckt aufzunehmen, ich stoße überall auf Widerstand und habe damit sofort meine Idealposition gefunden. Da schlafe ich umgehend und problemlos ein.

Aber der Mensch wird leider nicht danach beurteilt, wie gut er auf dem Sofa ist. In unserer gnadenlosen Gesellschaft zählt nur, ob man gut im Bett ist. Wenn man gleich beim Kennenlernen einer Frau sagt, du ich hab im Bett Probleme, dann braucht man gar nicht erst vom Sofa anzufangen, dann ist die Beziehung beendet, bevor sie begonnen hat. Das Bett wird in unserer Gesellschaft vollkommen überbewertet. Es dominiert den Sprachgebrauch. Man wird zur letzten Ruhe gebettet und nicht gesofat, man geht mit den Hühnern ins Bett und nicht aufs Sofa und macht Urlaub in einer Bettenburg und nicht in einer Sofaburg. Aber in Hotelbetten wird es ja nicht besser. Grundsätzlich fühlt man sich beim Betreten von 95% aller Hotelzimmer so, als wäre man ein unerwünschter Eindringling. Alles ist unglaublich aufgeräumt und sauber. Vor allem das Bett haben speziell ausgebildete Kräfte so perfekt zurechtgezurrt, dass man glaubt, man könne sich nur mit dem Messer einen Weg unter die Decke erkämpfen. Die Decken von Hotelbetten sind nach einem vollkommen undurchschaubaren System übereinander geschichtet und vor allem in Frankreich derartig eng mit dem Restbett verbunden, dass man eigentlich kaum dazwischenpasst. Es ist, als wolle man es sich in einem Käse-Schinken-Baguette zwischen Käse und Schinken bequem machen und schläft dann doch irgendwie zwischen Butter und Salatblatt. Ähnliche Bettenkonstruktionen finden sich auch in spanischen, englischen oder kanadischen Hotels. Gerne würde man das Tuch, das ganz oben liegt und meist einen irgendwie krankheitskeimhaltigen Eindruck macht, möglichst weit weg schaffen, damit man nachts nicht die gefährlichen Dämpfe einatmen muss, die diesen Hoteloberdecken mit Sicherheit entströmen. Aber wenn man versucht, die obere Decke zu entfernen, stellt man schnell fest, dass die anderen alle auf geheimnisvolle Weise mit ihr verbunden sind und man schließlich überhaupt keine Decke mehr hat. Denn es ist unmöglich das Deckengeflecht wieder an seinem ursprünglichen Platz zu befestigen, und ohne Befestigung gleiten die Decken nach wenigen Minuten zu Boden. Wer beabsichtigt auf einem Hotelbett zu übernachten, sollte sich auf jeden Fall einen Schlafsack mitbringen.

 

Aber unter den Decken lauert die Hotelmatratze! Sie macht natürlich mit der Bettwäsche gemeinsame Sache. Eingeklemmt zwischen zwei so heimtückischen Gegnern die Nacht zu verbringen kann gefährlich sein. Die Hotelmatratze ist immer zu weich, zu hart oder zu durchgehend, meistens alles gleichzeitig. Schläft man nicht alleine, sollte man darauf achten, dass der Mitschläfer genau so schwer wie man selber ist, mit einer Toleranz von plus/minus 25g. Jede Bewegung des schwereren Schläfers wird durch die Hotelma­trat­ze hundertfach verstärkt. Dreht er sich einmal um, wird man aus dem Bett geschleudert. Bewegt er sich längere Zeit nicht, dann schiebt die durchgehende Matratze den leichteren Schläfer unaufhaltsam auf den schwereren. Man sollte deshalb immer Karabinerhaken mit sich führen, um sich damit an der Wand zu sichern.

Abgesehen von Decken und Matratzen, gibt es noch viele andere Heimtücken. Es empfiehlt sich, den Kopfkissenbereich weiträumig abzusuchen, damit man das Schokoladentäfelchen auch wirklich aus dem Bett entfernen kann. Wer einmal mit einem Stückchen Vollmilch-Nuss das Bett ge­teilt hat, weiß wovon ich spreche.

Auch ein Karamelbonbon kann für Alpdrücken sorgen. Der Bücherstapel fehlt zum Glück, aber dafür gibt es meistens mehrere Schalter neben dem Bett, mit denen man das Deckenlicht aus- und das Bettenlicht anknipsen kann. Allerdings muss man dazu irgendeinen Hauptschalter in die richtige Position gebracht haben, der sich meistens im Eingangsbereich befindet, und dann geht das Licht am Bett oft auch nur an, wenn das Deckenlicht aus ist oder plötzlich leuchtet eine Stehlampe am anderen Ende des Zimmers auf oder der Fernseher beginnt zu sprechen. Es gibt Menschen, die alle nötigen Handgriffe wie selbstverständlich beherrschen und zwei Minuten später eingeschlafen sind. Ich bewundere diese Menschen, die gut im Bett sind. Ich sehe mich leider außerstande, den Kampf mit dem Hotelbett zu gewinnen. Nur allzu oft behält das Bett die Oberhand und ich sitze verzweifelt auf dem Boden und lese im Lichtschein der Minibar in der Hotelbibel: »Von dem Bett, das du bestiegen hast wirst du nicht herunterkommen, sondern du mußt sterben.« (2. Könige, 1,4)

Ich aber sage Euch, ich werde überleben, weil ich das Bett gar nicht erst besteigen werde, sondern gleich auf dem Sofa übernachte, das ich selbstverständlich immer dabei habe.