Buch lesen: «Gott - Offenbarung - Heilswege»

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Hans-Joachim Höhn

Gott · Offenbarung · Heilswege

Fundamentaltheologie

Hans-Joachim Höhn

Gott ·
Offenbarung ·
Heilswege

Fundamentaltheologie


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© 2011 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Umschlag: Peter Hellmund (Umschlagbild: Annette Predeek, Isola di Compostella (2010), 80 × 60 cm, Gold und Öl auf Leinwand) Satz: Hain-Team, Bad Zwischenahn Druck und Bindung: Druckerei Friedrich Pustet, Regensburg ISBN 978-3-429-03447-4 (Print) ISBN 978-3-429-04621-7 (PDF) ISBN 978-3-429-06021-3 (Epub)

Vorwort

Der Gegenstand der Theologie ist zwar Gott und die Weise, wie Menschen an ihn glauben. Aber ihre Methoden sind darauf aus, diesem Gegenstand in der Weise des Denkens gerecht zu werden. Kann man das, was Christen glauben, auch widerspruchsfrei denken? Ist mit den Mitteln der Vernunft vertretbar, wofür Christen eintreten? Wer diese Fragen stellt, treibt bereits Theologie. Es handelt sich um Fragen, die gleichermaßen von glaubenden und glaubensfernen Zeitgenossen diskutiert werden können. Sie verlangen nichts anderes als kritische Nachdenklichkeit und eine wache Vernunft. Beides erreicht man nach gängiger Überzeugung am ehesten durch die Lektüre von Texten, die einen besonderen Platz in der Geschichte des Denkens einnehmen und bis heute zu denken geben. Aber bereits für Thomas von Aquin (1225–1274) war klar, dass bloße Belesenheit nicht genügt, um Lehr- und Lernziele zu erreichen: „Das Studium der Philosophie ist nicht dazu da, zu erfahren, was andere gesagt haben, sondern wie die Wahrheit der Dinge sich verhält“ (Sententia super Librum De caelo et mundo, I, 22). In der Theologie gilt dieser Satz ohne Abstriche. Zwar wird auch hier viel Zeit und Energie aufgewendet für das Nachdenken von Einsichten, die von Meisterdenkern stammen. Hinzu kommen ausgiebige Exkurse in die Ideen-, Kultur- und Sozialgeschichte des christlichen Glaubens. Allein damit kommen jedoch Lehren und Lernen nicht an ihr Ziel des kritischen Selberdenkens. Deswegen muss irgendwann die Frage gestellt werden: „Was denkst du denn? Was leuchtet dir ein? Was hältst du für wahr?“ Eine eigene Meinung, Position und Option ist gefragt. Das gilt nicht nur für Studierende in ihrem Abschlussexamen. Auch an die Adresse der Lehrenden ist die Aufforderung zu richten: „Beziehe Position! Sag, was du denkst! Verstecke dich nicht in und hinter Traditionen! Rücke mit deiner eigenen Meinung und Sprache heraus.“

In der Theologie kommt zur Frage „Was denkst du denn?“ die Frage noch hinzu: „Was glaubst du denn?“ Dahinter steckt die Aufforderung: „Verstecke dich nicht hinter Bibel, Dogma und Lehramt! Rede in der ersten Person Singular! Sag, was du (noch) glaubst – und was du nicht (mehr) glaubst! Rücke mit deiner eigenen Sprache und deinem eigenen Glauben heraus!“ Solche Aufforderungen sind einerseits berechtigt, andererseits in akademischen Kontexten aber auch prekär. Soll hier jemand bedrängt und gedrängt werden, etwas als wahr zu bekennen oder als unglaubwürdig zu kritisieren? Ist ein akademisches Vorhaben der rechte Ort für Bekenntnisse und Geständnisse? Verträgt sich ein solches Drängen mit der Freiheit des Denkens? Geraten hier nicht Glauben und Denken in Bedrängnis?

Befürchtungen dieser Art sind unbegründet. Kann man denken, was man glaubt, dann kann man auch frank und frei sagen, was man denkt. Und dann kann man auch mit guten Gründen aus freien Stücken eine Antwort auf die Frage geben: „Was denkst du denn, was man vernünftigerweise glauben kann?“ Mit dieser Frage lässt sich auch der Focus aller folgenden Erörterungen von Thema, Anliegen und Ziel einer zeit- und sachgemäßen Fundamentaltheologie einkreisen: Was ist unter den Bedingungen der Gegenwart glaubwürdig und rational vertretbar als Basis und Kern des christlichen Glaubens? Was ist daran strittig und über welche Inhalte lohnt ein Streit?

Bei der Suche nach überzeugenden Antworten ist die Geschichte des theologischen Denkens zweifellos eine wichtige Quelle. Aber nicht in jedem Fall eignen sich die Ansätze der Vergangenheit für die Bewältigung von Problemen der Gegenwart. Immer häufiger sind Innovationen gefragt. Die Herausforderungen, die von der zeitgenössischen Philosophie, aber auch von Provokationen aus dem Bereich der Naturwissenschaften ausgehen oder mit der Pluralität der Religionen im Zeitalter der Globalisierung verbunden sind, verlangen nach Neuerungen im Begriffs- und Methodenrepertoire der Theologie. Der hier vorgelegte Grundriss einer Fundamentaltheologie stellt sich dieser Aufgabe. Wer um ihre Komplexität weiß, wird skeptisch sein, ob sie in einem Buch von nur einem Autor zureichend bewältigt werden kann. Ist hier nicht Teamarbeit gefragt? In der Tat steht hinter diesem Buch kein Autorenkollektiv. Es ist aber auch nicht im Alleingang entstanden. In den zwei Jahrzehnten meiner Lehrtätigkeit an der Universität zu Köln sind seine Grundthesen immer wieder mit meinen Mitarbeitern und meinen Studierenden in Vorlesungen und Seminaren diskutiert worden. Besonders zu danken habe ich Martin Dürnberger, Gregor Reimann und Claudia Rott. Ihr beharrliches Nachfragen und ihre Kritik haben dazu geführt, dass ich neben den Auskünften der theologischen Klassiker zur Verantwortbarkeit des christlichen Glaubens immer wieder auch mit eigenen Worten sagen musste, was davon nach meiner Überzeugung mit Fug und Recht heute (noch) vertretbar ist. Nicht alle meiner Thesen wurden auf Anhieb geteilt. Dass über sie bisweilen heftig gestritten wurde, hat aber allen Beteiligten einen Zugewinn an Einsichten gebracht. Genau darin besteht für mich der Reiz theologischen Denkens. Es lebt von der Kunst der Bestreitung. Es lehrt, wie man gekonnt miteinander streitet. Und es drängt darauf, dass das Streiten dem Miteinander zugute kommt. Was erwartet jemanden, der sich darauf einlässt? Blättern Sie um!

Köln im Sommer 2011

Hans-Joachim Höhn

Inhalt

I. Einstimmung: Theologie als Kunst der Bestreitung

§ 1 Streitkultur: Theologie zwischen Angriff und Verteidigung

1. Anfechtungen: Theologie unter Druck

2. Im Dissens: Streiten verbindet!

§ 2 Streitlust: Theologie im Format des Plädoyers

1. Theologisches Leitmotiv: Zum Glauben kommen – Vernunft annehmen

2. Skeptischer Einspruch: Krise der Vernunft – Kritik der Vernunft

3. Glaube im Diskurs: Rede und Antwort stehen

§ 3 Streitfälle: Gott – Offenbarung – Heilswege

II. Streitsache „Gott“

§ 4 Bestreitung: Die Unmöglichkeit, von Gott zu reden

1. Verluste – oder: Wenn der Wert des Wortes „Gott“ aufgezehrt ist

2. Konsequenzen – oder: Wenn Gott im Horizont der Welt nicht mehr nötig ist

§ 5 Focussierung: Von Gott reden im Kontext der „Gottlosigkeit“

1. Problemverschärfung: Transzendenz und Unbegreiflichkeit Gottes

2. Fatale Auswege: Theologische Weltentstehungstheorien

§ 6 Expedition: Gott denken im Widerstreit von Sein und Nichts

1. Welt ohne Gott: Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt?

2. Die naturalistische Herausforderung: Welt erklären – Welt verstehen

3. Gott denken: Im Widerstreit von Fraglosigkeit und Fraglichkeit der Welt

4. Der Widerstreit von Sein und Nichts: Ontologische Realität oder hermeneutisches Konstrukt?

§ 7 Perspektiven: Das Gott/Welt-Verhältnis im Format einer Relationalen Ontologie

1. Paradigmenwechsel: Von der Substanzmetaphysik zur Relationalen Ontologie.

2. „Verhältnis“ und „Beziehung“: Basiskategorien einer Relationalen Ontologie

3. Das Welt/Gott-Verhältnis: Geschöpflichkeit als unüberbietbares Verwiesensein auf den unüberbietbar verschiedenen Schöpfer

§ 8 Diskussion: Gott – in Wahrheit und in Wirklichkeit

1. Gott und Welt: „Alles in allem“ oder unüberbietbar verschieden?

2. Gottes Handeln in der Welt: Erfahrbar – möglich – denkbar?

III. Streitsache „Offenbarung“

§ 9 Bestreitung: Aufklärung und Offenbarung

1. Grenzmarken: Autonomie der Vernunft – Relativität der Geschichte

2. Jenseits der Vernunft: Glaube unter Verdacht

§ 10 Focussierung: Gegenwart des Unbedingten im Bedingten?

1. Die Offenbarung von Gottes Weltverhältnis: (K)eine theologische Selbstverständlichkeit?

2. Die Theo-Logik des Bilderverbotes: Kriterien des Redens von Gottes Weltimmanenz

§ 11 Expedition: Gottes Weltverhältnis – Beziehung, Übersetzung, Entsprechung

1. Unbedingte Zuwendung: Gottes Welt- und Selbstverhältnis

2. Selbstoffenbarung Gottes: Vergegenwärtigung unbedingter Zuwendung

3. Entsprechungsverhältnisse: Gottes Weltverhältnis in vermittelter Unmittelbarkeit

§ 12 Perspektiven: Jesus von Nazareth – der Gott entsprechende Mensch

1. Offenbarungserfahrungen: Erschließung von Unbedingtheit

2. Angstentmachtung: Begegnung mit dem Gottes- und Menschenverhältnis Jesu von Nazareth

3. Kreuz und Auferstehung: Das Verhältnis Gottes zum Verhältnis von Leben und Tod

4. Realpräsenz unbedingter Zuwendung: Widerfahrnis oder Projektion?

§ 13 Diskussion: Jesus als „Sohn Gottes“ – ein Rückfall in die Mythologie?

1. Der Ineinsfall von Göttlichem und Menschlichem: Mythologie statt Christologie?

2. Gott entsprechen: Gottessohnschaft Jesu und Gottebenbildlichkeit des Menschen

3. „Wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch“: Hermeneutik christologischer Dogmen im Format einer Relationalen Ontologie

4. „Christus praesens“: Zeitversetzte Gleichzeitigkeit?

IV. Streitsache „Heilswege“

§ 14 Bestreitung: Geschichtliche Vermittlung der Offenbarung Gottes

1. Offenbarung und Geschichte: Tradition – Kontinuität – Identität

2. Partikularität und Pluralität: Religiöse Identität jenseits von Relativismus und Fundamentalismus

§ 15 Focussierung: Gottes universaler Heilswille in partikularer Vermittlung

1. Heilsgeschichte konkret: Kirche und Evangelium

2. Kirche in Geschichte und Gegenwart: Inkulturation des Evangeliums

3. Das Katholische des Christentums: Wider die Logik der Exklusion

§ 16 Expedition: Christlicher Universalismus und/oder Heil im Plural?

1. Das entscheidend Christliche: Evangeliumsgemäße Universalität

2. Das Heil der Anderen: Universaler Heilswille Gottes

§ 17 Perspektiven: Transversale Theologie der Religionen

1. Die Unüberbietbarkeit des Christentums: Interpersonale Erschließung von Gottes Heilswillen

2. Jenseits von Exklusivismus und Inklusivismus: Die Transversalität von Gottes Heilswillen

§ 18 Diskussion: Eins in allem: ganz – und doch anders?

Auswahlbibliographie

I.
Einstimmung: Theologie als Kunst der Bestreitung

„Streite nie mit einem Dummkopf. Es könnte sein, dass die Zuschauer den Unterschied nicht bemerken!“ (Mark Twain). Wer den Streit als Leitmotiv zur Einstimmung auf ein akademisches Unternehmen wählt, ist offensichtlich nicht gut beraten. Es könnte sein, dass ein zu Anfang angezettelter Streit schon sehr bald mit einer Blamage des Streitsuchenden endet. Besonnene Menschen gehen daher dem Streit aus dem Weg. Denn sie wissen: Im Streiten liegt die Tendenz zur Eskalation. Im Streit regiert die Logik von Sieg und Niederlage – und am Ende freut sich der unbeteiligte Dritte. Wer ein solches Ende bereits am Anfang vermeiden möchte, sollte seine Adressaten nicht vor den Kopf stoßen. Zur Einstimmung in ein Thema empfiehlt es sich mit Sätzen zu beginnen, denen alle uneingeschränkt zustimmen können. Wer an den Anfang nicht den Konsens, sondern die Kontroverse platziert, hat bereits den entscheidenden Fehler bei der Durchsetzung seines Anliegens gemacht. Denn wer lässt sich schon gerne in einen Streit verwickeln?!

• Einem streitsüchtigen Menschen geht man am besten aus dem Weg, will man nicht Gefahr laufen, ständig Post von seinem Rechtsanwalt zu bekommen. Wem man lobend attestiert, er sei ein streitbarer Zeitgenosse, will man in der Regel höflich beibringen, er sei ein Querulant.

• Lediglich die Medien lieben Streit. Sie inszenieren und dramatisieren Meinungsverschiedenheiten, Rivalitäten und Konflikte. Denn sie wissen: Zoff steigert die Quote. An ihr bemisst sich letztlich auch die öffentliche Aufmerksamkeit für ein Thema. Wer Beachtung finden will, sollte daher am besten einen Streit vom Zaun brechen.

• Nicht jeder Streit landet vor Gericht. Ist der Streitwert zu gering, kommt es gar nicht zu einer Verhandlung. Und nicht jeder Prozess gelangt bis zur höchsten Instanz. Manchmal ist schon vor dem Landgericht Schluss. Revision wird nicht zugelassen. Das Urteil wird sofort rechtskräftig und kann auch vor Verwaltungs- und Verfassungsgerichten nicht mehr angefochten werden. Mit Bagatellfällen gibt man sich dort nicht ab.

Dass nicht mehr um eine Sache gestritten wird, kann ein Zeichen ihrer Bedeutungslosigkeit sein. Sie ist es nicht mehr wert, dass man sich ihrer annimmt, sie angreift oder verteidigt. Geraume Zeit galten Religion und Glaube für die Verfechter von Aufklärung und Vernunft als Streitobjekte minderen Ranges. Und ebenso lange wurde ihre Sache nicht mehr vor den höchsten Instanzen der Wissenschaft verhandelt. Das hat sich seit einigen Jahren verändert. Auch das mediale Interesse an religiösen Themen ist gewachsen – ein untrügliches Indiz für ihren gestiegenen Streitwert. Gründe für ein heftiges pro und contra finden sich zur Genüge. Jede Religion verfügt ebenso über destruktive wie konstruktive Potentiale, sie kann Gewaltbereitschaft fördern und zum Frieden anstiften, sie kann aus Unterdrückung herausführen und in Unmündigkeit einschließen, sie kann in den Wahn führen und Quelle von Lebenssinn sein.1

1 Zur Ambivalenz der Religion(en) siehe etwa M. v. BRÜCK (Hg.), Religion – Segen oder Fluch der Menschheit?, Frankfurt/Leipzig 2008; P. KEMPER u. a. (Hg.), Wozu Gott? Religion zwischen Fundamentalismus und Fortschritt, Frankfurt/Leipzig 2009; V. BERNIUS u. a. (Hg.), Religion und Gesellschaft. Zur Aktualität einer unbequemen Beziehung, Frankfurt/Leipzig 2010.

§ 1 Streitkultur:
Theologie zwischen Angriff und Verteidigung

Mit dem Widerstreit der Positionen und Perspektiven in Sachen Religion ist von allen theologischen Disziplinen am stärksten die Fundamentaltheologie konfrontiert. Das Streitmotiv und das Schema „Angriff und Verteidigung“ sind ihr vertraut, seitdem sie – anfangs noch unter dem Stichwort „Apologetik“ – in der Neuzeit die Aufgabe unternommen hat, die Vertretbarkeit des christlichen Glaubens vor der skeptischen Öffentlichkeit und die Rechtfertigungsfähigkeit seines Geltungsanspruchs vor der Instanz der kritischen Vernunft zu demonstrieren. Dem ging ein Vorspiel im 2./3. Jahrhundert voraus, als sich christliche Theologen mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus als „Sohn Gottes“ mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen das erste Gebot des Dekaloges aus dem Bereich des Judentums auseinandersetzen mussten. Gleichzeitig hatten die Christen, welche die Teilnahme am römischen Staatskult verweigerten, sich des Verdachtes der Illoyalität und politischen Unzuverlässigkeit zu erwehren. Ihre Distanz zum Kaiserkult ließ sie obendrein als Kultur- und Menschenverächter, Toren und Barbaren erscheinen. Es brauchte erhebliche Zeit, bis das Christentum selbst für sich in Anspruch nehmen konnte, ein Hort der Kultur und Gelehrsamkeit zu sein. Zeit brauchte es auch, bis die Theologie eine elaborierte akademische Streitkunst hervorbrachte. Das vielfach und zu Unrecht für dunkel oder unaufgeklärt gehaltene Mittelalter bildet hier einen ersten Höhepunkt. Im Modell der scholastischen „Quaestiones“ (im Stil von Argumenten pro und contra) führt es zum systematischen Ausbau des theologischen Diskurses unter der Leitperspektive „fides quaerens intellectum“.2 Aber erst in der Zeit der konfessionellen Spaltungen sowie nach der Aufklärung ist es zur Etablierung der Fundamentaltheologie im Kanon der theologischen Fächer gekommen.3 Prägend war dabei eine Konstellation, welche die (katholische) Theologie nötigte, aus einer Defensivposition für den Geltungsanspruch von Glaube und Kirche einzutreten. In die Defensive war sie geraten durch konkurrierende Bestimmungen des Christlichen in der Reformation (und den aus ihr hervorgehenden Konfessionen), durch philosophische Reduktionen des der Vernunft noch zumutbaren Gehaltes von Glaubensaussagen und durch ideologie- bzw. kultur- und sozialkritische Delegitimierungen des Religiösen überhaupt.

1. Anfechtungen:
Theologie unter Druck

Die Hauptaufgabe der Fundamentaltheologie bestand in drei Gegenbeweisen („demonstrationes“): Gegenüber dem Atheisten war zunächst die Vernünftigkeit von Religion als Ausdruck und Praxis eines menschlichen Gottesverhältnisses zu demonstrieren und der Vorwurf der Projektion, Illusion, Entfremdung abzuwehren („demonstratio religiosa“). In einem zweiten Schritt galt es zu zeigen, welche Religion die authentische Form eines Gottesverhältnisses darstellt bzw. ein solches Verhältnis wahrhaft erschließt. Es war zu belegen, dass das Christentum (allein) diese „vera religio“ ist, da es sich einem göttlichen Offenbarungsakt verdankt und als Offenbarungsreligion Einsichten birgt, die für die Vernunft unableitbar sind („demonstratio christiana“). Angesichts von Häresien und Spaltungen innerhalb des Christentums als Folge der Reformation kam es im dritten Schritt darauf an, die katholische Kirche als die eine, wahre, von Jesus Christus gegründete Institution des Glaubens zu erweisen, in der unverfälscht und unverkürzt die unüberbietbare Selbstoffenbarung Gottes tradiert wird („demonstratio catholica“). Mit diesen Beweiszielen verbanden sich entsprechende Strategien im Umgang mit den jeweiligen Kontrahenten: die Delegitimation des Atheismus, die Relativierung des Rationalismus und die Inversion des Konfessionalismus.

Allerdings haben sich in Theologie und Philosophie seit geraumer Zeit beträchtliche Veränderungen vollzogen, die erhebliche Neuformatierungen dieser drei Beweisgänge nötig machen. Diese Veränderungen betreffen sowohl die eingesetzten Beweismittel als auch die damit angestrebten Beweisziele und die jeweils anvisierten Gegenparteien. Die Krise metaphysischen Denkens hat die Beweiskraft von Gottesaufweisen erschüttert. Das Aufkommen historisch-kritischer Forschung relativierte die Tauglichkeit von Weissagungen, Wundern oder Stiftungsakten des historischen Jesus für die Legitimation des Christentums und der Sonderstellung der katholischen Kirche. Außerdem hat es tief greifende Umwälzungen im Kontext von Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur gegeben, welche die Antreffbarkeit und die Optionen der Kontrahenten der Fundamentaltheologie veränderten.


Die jeweiligen Beweisgänge haben ihren Widerpart nicht mehr bloß außerhalb der katholischen Kirche zu orten: Fundamentalistische und positivistische Glaubensauslegungen innerhalb des Christentums tangieren die Vertretbarkeit des Glaubens nicht weniger als von außen kommende naturalistische Entmythologisierungen eines Gottesverhältnisses. Und nicht zuletzt stellt die Pluralität der Religionen und Heilswege in einer globalisierten Kultur das Christentum im Ganzen – und nicht bloß einzelne Konfessionen – vor die Frage, inwiefern es als eine partikulare Größe eine universale Bedeutung oder eine Unüberbietbarkeit beanspruchen kann. Gibt es – wenn überhaupt – Gott und Göttliches, Offenbarung und Glaube, Heil und Erlösung nur im Plural?

Vor diesem Hintergrund ist in der Theologie und für die Theologie hinsichtlich ihres Gegenstandes, ihrer Beweisziele und -mittel kaum noch etwas unstrittig und unumstritten. „Christlicher Glaube ist vielfach angeklagt: der Unbegründetheit seiner Versprechungen, der Unvernünftigkeit seiner Voraussetzungen und Deutungen, der Unmenschlichkeit seines Lebensentwurfes und seiner Forderungen. Diese Anklagen zwingen zu einer Rechenschaft, die sich ihnen ehrlich stellt und doch zu zeigen versucht, dass man ihnen im Entscheidenden und Letzten nicht Recht geben muß.“4 Allerdings kann die Entschlossenheit, den Anklagepunkten letztlich nicht Recht geben zu wollen, zu neuen, problemverschärfenden Fehlleistungen führen: Im Stile des „ja, aber“ gibt man bestimmte Unzulänglichkeiten zu, erklärt sie aber für unwesentlich, d. h. das Wesen des Christentums sei davon nicht betroffen und schon gar nicht würden christliche Ideale dadurch korrumpiert.

Eine solche Reaktion weicht eher vor der Radikalität der Bestreitung eines rational verantwortbaren religiösen Daseinsverhältnisses und seiner christlichen Stilisierung aus, als dass sie sich ihr stellt. Die neuzeitliche Religionskritik zielt aber nicht allein auf bestimmte negative Auswüchse, sondern auf Religion im Ganzen und hat dabei vor allem ihre Grundlagen im Blick. Sie sieht menschliche Religiosität prinzipiell als Ausdruck einer pathologischen Lebenseinstellung. Den Verweis auf offenbarungsbasierte Einsichten versteht sie nicht als Hinweis auf das vernunftgemäße Andere der Vernunft, sondern als Ausrede, um das Vernunftwidrige und Unvernünftige religiöser Überzeugungen zu verschleiern. In jede Offenbarungsreligion ist für sie ein exklusivistischer Fundamentalismus eingraviert, in dessen Zentrum ein Monomythos steht, der die Berechtigung anderer Heilswege ausschließt. Er befördert darum auch ein Bewusstsein, das konstitutionell unfähig ist, die unabweisbare Vielfalt, Heterogenität und Alterität menschlicher Lebens- und Denkformen überhaupt erkennen und ihr sozio-kulturell entsprechen zu können.5 Das Christentum steht damit nicht allein. Offenbarungsreligionen generell und Monotheismen im Besonderen gelten unterschiedslos als Exponenten eines intoleranten Einheitsdenkens, das heute nur auf dem Weg eines gewaltsamen und totalitären Antipluralismus wieder Fuß fassen kann.6

Angesichts dieses Generalverdachtes kann die Fundamentaltheologie nicht mehr auf die bewährten Abwehrmuster und Verteidigungsstrategien setzen. Mit den Mitteln der Apologetik ist hier wenig auszurichten. Hier verheddert man sich leicht in einem Gestrüpp aus Freund/Feind-Logik, Rechthaberei und Besserwisserei, sophistischen Tricks und frömmelnder Schlaumeierei. Ebensowenig kann die Berufung auf übernatürliche Gewissheiten oder unfehlbare Lehrentscheidungen hier etwas ausrichten. Stil und Methode der Fundamentaltheologie müssen so formatiert werden, dass diese Ausflüchte erst gar nicht aufkommen.

Dabei ist die Theologie nicht schlecht beraten, wenn sie aus den skizzierten Nöten neue Tugenden macht und ihren Auftrag neu begreift als Einführung in eine neue Streitkultur. Die Theologie hat sich dabei zu bewähren als Kunst der Bestreitung. Bestreiten heißt: Selbstverständlichkeiten in Frage stellen, einen Konsens aufkündigen, Revision beantragen, eine Sache neu aufrollen. Eine solche Kunst ist durchaus an der Zeit, wenngleich sie aus einer anderen Zeit stammen mag. In der Antike gehörte sie zur philosophisch-rhetorischen Grundausbildung. Als Eristik stand die Lehre vom Streitgespräch und die Kunst der Widerlegung in einer juristischen Auseinandersetzung oder philosophischen Diskussion auf dem Programm. Im Dienst der Debattierkunst stand auch die Polemik, welche die Streit- und Angriffslust im Rahmen politischer oder akademischer Auseinandersetzungen förderte und forderte. Wie man ein Streitgespräch erfolgreich führt, im Frage/Antwort-Schema Wissen erwirbt und bewährt, Widersprüche beim Kontrahenten aufzudecken und Widersprüchliches in der eigenen Position zu meiden lernt, war Gegenstand der Dialektik. In der christlichen Theologie haben diese Fertigkeiten zwar auch im Projekt einer Apologetik des Glaubens eine Rolle gespielt.7 Aber ihre aggressive Tönung und ihre negative Schlagseite zur Rechthaberei haben auch die Grenzen ihrer Verträglichkeit mit Anliegen und Auftrag der Theologie aufgezeigt. Der Polemiker sucht nicht den Konsens mit seinem Gegenüber, sondern dessen Blamage oder Niederlage; der Dialektiker entwickelt die Neigung, berechtigten anderen Auffassungen nur so lange und nur insoweit Recht zu geben, wie dies ihm am Ende hilft, allein Recht zu behalten. Wahrheitsfindung aber braucht mehr und anderes als eine Strategie oder Taktik, wie man einen Opponenten sprachlos macht.8 In dieser Weise eine Debatte zu führen oder enden zu lassen dient der Sache des Christentums nicht. Größeren Raum verdienen daher in der Fundamentaltheologie verständigungsorientierte, kommunikative Formate des friedlichen Wettbewerbs um gute Argumente für die eigene Position: Hermeneutik und Dialogik.9

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