Asiatische Nächte

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Asiatische Nächte
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Hans J. Unsoeld

Asiatische Nächte

Gedanken und Erfahrungen 2010-2013 in Südost-Asien

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Asiatische Nächte

Vorwort

Nicht Casanova

Nicht Barenboim

Nicht Einstein

Kap. 1 Vorweg-Gedanken

Kap. 2 Dumme Fragen: Ein amerikanischer Krieg?

Kap. 3 Geld bzw. Gold

Kap. 4 Der Dschungel

Kap. 5 Der Rabe

Kap. 6 Die Panterkatze

Kap. 7 Das Kätzchen

Kap. 8 Von Reis und Enten

Kap. 9 Kein Glück?

Kap. 10 Kultur ?

Kap. 11 Nai und Prai - Bosse und Bauern

Kap. 12 Die Amart

Kap. 13 Das Militär

Kap. 14 Waffen

Kap.15 Aufmärsche

Kap. 16 Der erste Barrikadenkampf

Kap. 17 Ferne Welten

Kap. 18 Die dreigeteilte Welt

Kap. 19 Schöne Fassaden gehen in Flammen auf

Kap. 20 Rückkehr nach Thailand

Kap. 21 Forcierter Tourismus

Kap. 22 Gemeinschaft

Kap. 23 Indonesien

Kap. 24 Bali

Kap. 25 Viele schöne Katzen

Kap. 26 Die Raubkatze

Kap. 27 Die Löwin

Kap. 28 Intermezzo

Kap. 29 Leben und Tod

Kap. 30 Entwicklung

Kap. 31 Chaos

Kap. 32 Kultur, Politik und Privatleben

Kap. 33 Multipolar

Kap. 34 Die Pfeife blasen

Kap. 35 Spiegelbilder

Kap. 36 Tabuzonen

Kap. 37 Vertrauen - eine Illusion?

Kap. 38 Zusammenschlüsse

Kap. 39 Die Großen und die Kleinen

Kap. 40 Ohne Raum und Zeit

Kap. 41 Mini ist modern

Kap. 42 Der schwarze Schwan

Kap. 43 Raubtier-Attacke

Kap. 44 Das Ende von Raum und Zeit

Kap. 45 Entwicklung wohin?

Kap. 46 Auseinandersetzungen

Kein Paradies?

Kein Tod?

Impressum neobooks

Asiatische Nächte

Die Suche nach dem Paradies

jenseits von Raum und Zeit

"Fantasy is what people want, but reality is what they need"

Lauryn Hill (MTV Unplugged 2001)

Vorwort

Ein Paradies,- gibt es das? Früher glaubte man, das sei ein ferner, nur schwer zu erreichen­der Garten. Dort gäbe es alles,- paradiesische Zustände sagen wir heute. Sein Symbol wurde der Baum des Lebens. Ist es etwa dort, wo wir das Leben selbst und unsere „kleine“ Welt verstehen und vielleicht sogar genießen lernen? Ist es in uns oder in weiter Ferne?

Haben wir den Traum vom Paradies aufgegeben? Sich abgrenzen statt das Paradies und seinen Genuss zu suchen,- ist es das, was die Menschen in Wirklichkeit tun und was uns traurig macht? Aber kann es ein Paradies ohne schwer zu überwindende Zäune geben? Das Gerücht von seiner leichten Erreich­barkeit würde sich schnell verbrei­ten. Jeder könnte kommen und allein dadurch, dass so viele kommen, das Paradies zerstören. Es würde nötig sein, die Freiheit der Menschen zu beschränken. Ist jede Annähe­rung an das Paradies mit einer Einengung von Freiheit zu bezahlen? Oder ist gar einfach die Freiheit selber das Paradies?

Ist es überhaupt möglich, ein Paradies zu haben? Ja, wir wissen, dass es glückliche Momente im Leben gibt, in denen man sich wie im Paradies fühlt. Aber diese Art von Paradies scheint immer wie ein Geheimnis zu sein, sich als begrenzt zu erweisen. Woher rühren diese glücklichen Momente? Kommen sie von dem, was wir tun, von dem, was wir erreichen, von dem, was wir fühlen, oder von dem, was wir denken? Alle diese vier Wege wären vielleicht möglich. Ist alles nur eine Frage unserer eigenen Offenheit und im Grunde damit ganz einfach? Vielleicht, vielleicht! Ist die Offenheit selber solch ein einfaches “Ding”? Vielleicht, vielleicht, vielleicht! Fragen über Fragen,- doch zuvor sollten wir festhalten, was am Anfang gesagt wurde.

Einerseits wurde zum Symbol des Paradies der Baum des Lebens. Ein Baum lebt. Er entsteht aus einem Samen, wächst durch immer neue Verzweigungen, produziert neuen Sauerstoff und neue Samen, und stirbt schließlich. Je nach seiner Todesart hinterlässt er Humus oder Rauch. Hoffentlich ist das nicht zu viel Detail für ein Symbol. Andererseits muss das Paradies eine Art Zaun haben. Das kann sehr verschieden aussehen. Ein weiter leerer Raum, eine dünne Haut, ein Maschendraht, eine Wand mit Türen, eine überwachte Gebietsgrenze, ein hohes Gebirge,- was alle gemeinsam haben, ist eine beschränkte Durchlässigkeit. Schon wieder zu viel Detail? Und noch mehr gilt das für die vier viel­leicht möglich erscheinenden Wege.

Bringt uns das, was wir tun, in ein Paradies? Kann es einen perfekten Job geben? Unter einem Job verstehen wir im allgemeinen eine abhängige Arbeit. Fehlende Selbst­bestimmung ist gewiss kein Paradies. Was ist, wenn wir müde, faul, lustlos oder gar krank sind? Doch alleine tun, was wir gerade möchten? Teamarbeit ist mehr und mehr gefragt, soziale Sicherung ebenso. Für was sind wir offen?

Bringen uns gesellschaftlicher oder privater Erfolg in ein Paradies? Beide Male gibt es zwei völlig verschiedene Möglichkeiten. Der gesellschaftliche Erfolg bedeutet Gewinn von entweder nur Einfluss oder sogar Macht. Leben Menschen, die in dieser Hinsicht viel erreicht haben, in einem Paradies? Der private Erfolg hat ebenfalls zwei Gesichter, entweder im Familienleben oder sexueller Erfolg. Für was sind wir offen?

Bringen uns Gefühle in ein Paradies? Wie unterschiedliche Arten von Gefühlen es gibt! Ein unauslöschliches Erleben oder eine ebensolche Meditation sind grundverschieden, das Bestehen von Gefahren und das Erlangen eines höheren “erleuchteten” Zustandes charak­te­ri­sieren sie, beide Arten kämen infrage. Und wie steht es mit dem Glück? Zufälliges oder ge­schaf­fenes Glück sind wieder zwei entgegengesetzte Möglichkeiten. Für was sind wir offen?

 

Bringen uns Aufgaben, neue Wege, Einstellungen oder Erkenntnisse in ein Paradies? Hier spielt immer der Kopf eine große Rolle. Aufgabenstellungen für Andere oder für einen selber, neue Wege zur allgemeinen Weiterentwicklung oder zur eigenen Vervoll­kommnung, Glaubenseinstellungen einer Gruppe oder individuelle Überzeugungen, Natur- oder geistige Erkenntnisse,- wieder stoßen wir auf eine verwirrende Vielfalt. Für was sind wir offen?

Was begrenzt unsere Suche nach einem Paradies? Ist es dadurch, dass es an Leben gebunden zu sein scheint, der Vergänglichkeit unterworfen? Ist es nur die wiederholt gestellte Frage nach unserer eigenen Offenheit, gleichbedeutend mit der wohlbekannten Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Verantwortung, wie es seit langem die Humanisten postulieren, oder gibt es im Zuge moderner, vor allem von den Naturwissenschaften getragener Entwicklung, hier möglicherweise ganz neue Aspekte?

Ein mögliches Paradies scheint in solcher Sicht begrenzt zu sein hinsichtlich des Raumes, der Zeit und all seiner Dimensionen, die sowohl spirituell sein oder sich ebenso ins Reich der Künste erstrecken oder die scheinbar endlosen intellektuellen Räume der Wissenschaften einbeziehen können.

Dürfen wir die Geheimnisse eines besseren Lebens nicht verraten? Niemandem erzäh­len, dass es jenseits der Grenzen von Raum und Zeit ein Paradies gibt? Die Mächtigen werfen ins Gefängnis, wer zu laut die Pfeife bläst. Andere gehen alleine irgendwo in die Wüste oder die Wälder und kümmern sich den Teufel um jene Gesellschaft. Sollen die Anderen doch selber für sich sorgen! Wenn es denen schlecht geht, was tut das? Ist das nicht das Ende von sozia­lem Leben, das doch auf der Einschränkung von Freiheit zugunsten der Übernahme von Verantwortung beruht?

Müssen wir entweder die Kommunikation einschränken oder nur begrenz­tem materiellen Erfolg hin­nehmen? Inzwischen haben wir gelernt, dass Kommunikation etwas mit Ener­gie zu tun hat. Geht es um die alles durchdringende Wechselwirkung zwischen Ener­gie und Materie, die überall im Univer­sum herrscht? Das mag uns klar machen, dass die Transfor­mation zwi­schen beiden das wesentliche Ele­ment ist, das hinter allem steht, was die Welt bewegt.

Die entscheidende Frage würde einfach sein, ob wir volle Freiheit und das ersehnte Paradies durch die mehr oder weniger vollständige Umwandlung von materiellen Dingen in Energie und Information finden können. Ebenso könnten wir umgekehrt fragen, ob wir praktisch endlos mate­rielle Güter produzieren können mit Hilfe von Energie und Information? Das klingt wie eine schöne Utopie. Aber solche Vorgänge ten­dieren dazu, wenn sie einmal Fahrt aufgenommen haben, sich wie alles in unserem Universum immer weiter zu beschleu­nigen. Wie alles? Streben nicht sogar alle Galaxien, von denen wir heute Kenntnis haben, immer schneller ausein­ander? Muss das zwangs­läufig in einer Explo­sion enden oder in einer Implosion, was im Grunde gleich bedeutend sein mag? Man mag diese Krieg nennen oder Supernova oder Annihilisierung, aber es wäre aus unse­rer Sicht immer destruktiv.

Konstruktivismus oder Dekonstruktivismus,- sind sie die Kennzeichen der Welt in dieser Sichtweise? Es gibt nur Oszillation und Transformation, keiner hat jemals gesehen, dass irgendetwas aus nichts erzeugt wird. Ebenso lebt alles, was zerstört wird, in Form von Energie und Information weiter.

Werfe dich zu Boden, hier beginnt Religion! Doch sofort wird jemand kommen und schreien: Das ist alles esoterischer Unsinn! Und andere Menschen werden dich strafen, indem sie sagen, du zerstörst ihr Paradies und ihre Freiheit.

Um welche Art von Religion oder besser gesagt Religiosität handelt es sich? Sie könnte basieren auf einer modernen Form von “Dreieinigkeit”, - der Einfachheit, der Schönheit, und dem Gleichgewicht. Kleine oder größere Störungen dieser Basiselemente würden Entwicklung in Gang setzen. Durch Entwicklung entstehen auch Raum und Zeit. Erst in Raum und Zeit gewinnt der Begriff Leben seine Bedeutung.

Weder Einfachheit noch Schönheit noch Gleichgewicht werden von den meisten Menschen als Grundlage des Lebens akzeptiert. Das Streben nach Einfachheit als treibendes Element, die bevorzugte Stellung von schönen Menschen und die aktive Suche nach Gleichgewicht, also die gleich große Bedeutung der vier Anteile im Menschen von Tätigkeit, Sex und Macht, Gefühlsleben und Gedanken,- all diese drei Ziele scheinen den meisten Leuten mehr ein Dorn im Auge als erstrebenswert zu sein.

Besonders kritisch und deswegen weitgehend tabuisiert scheint der Anteil von Sex und Macht zu sein. Der vorliegende Text beschäftigt sich vorwiegend, jedoch absolut nicht ausschließlich mit diesem. Wer nicht möchte, dass über Sex und Macht offen geredet wird, sollte das Buch zur Seite legen.

Die drei folgenden einleitenden Geschichten und die letzten beiden Kapitel sind wie in dem vorausgegangenen Buch “101 Nachkriegsnächte” eine Rahmengeschichte, die absichtlich verstören soll, denn nur durch Störung kommt Entwicklung zustande. Die erste von ihnen ist weitgehend, die beiden folgenden teilweise fiktiv. Der Kernteil des Buches ist einerseits wieder autobiografisch und geht andererseits in Bereiche der Naturphilosophie und Kultur,- zwei Begriffe, die es in Ostasien in dieser Form gar nicht gibt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Sex ist nicht das Hauptthema.

Nicht Casanova

Das Paradies auf Erden? Gibt es das wirklich? Oh ja,- mann muss nur an der richtigen Stelle eine Eintrittskarte lösen. Kann das nicht ganz einfach sein, oder? Aber alle Zwei­fel zurückgestellt,- wo könnte es das denn geben?

Es gibt in Europa nicht wenige Menschen, die meinen, dass die italienische Toskana diejenige “geheime” Landschaft ist, die dieses Prädikat am ehesten verdient. Aber was ist denn dort so paradiesisch? Pinien und Zypressen in unvergesslichen langen Reihen auf geschwungenen Hügel­ketten, malerische kleine Städtchen hoch oben auf Bergkuppen, ein ewig blauer Himmel, der perfekt zu den sanften Pastelltönen der Landschaft passt? Schöne Menschen, die in voller Harmonie zu dieser Landschaft leben? Sind das nicht bürger­liche Illusionen?

Oh Wanderer, kommst du nach Aventurina, so tritt auf die Bremse! Die große Durch­gangsstraße dort schaut zwar absolut nicht paradiesisch aus, ist laut, vom Verkehr über­lastet, auch nicht gerade schön. Aber der Name des Ortes sollte dich hellhörig machen. Hat er nicht mit aventura, mit Abenteuer zu tun? Doch wahrscheinlich wirst du mit der Schulter zucken und dich fragen, wo denn auf dieser Lastwagenpiste Pinien oder Zypressen, malerische Bergkuppen oder schöne Pastelltöne zu sehen sind. Nichts als gehetzte Berufstätige, bürgerliche Realität.

Die beiden exotisch aussehenden Frauen in ihrem kleinen Auto mit offenen Verdeck wussten genau, an welcher Stelle frau zu der Therme abbiegen muss. Weil der Blinker seinen Geist aufgegeben hatte, streckte die Fahrerin kichernd den Arm aus dem offenen Fenster und reihte sich auf der Abbiegespur ein. Der heftige Berufsverkehr am einsetzenden Abend brachte sie nicht aus der Ruhe. Wenige Minuten später stiegen sie auf dem staubigen Parkplatz bei der Therme aus ihrem bescheidenen Gefährt, angelten sich große Handtücher vom Rücksitz, warfen sie sich über die Schultern und begaben sich zur Kasse. Nur wenige Leute kamen um diese Tageszeit hierher.

Recht verschieden schauten sie aus, im Alter wohl beide um die Dreißig, aber nicht genau einschätzbar. Ein erfahrener Asienreisender hätte gewiss sofort gesehen, dass am Steuer eine Thailänderin saß und ihre Freundin eine Balinesin war. Die kleine Thailänderin trug einen fast elegant wirkenden Minirock aus Jeansstoff und ein enges kurzes tief sitzendes Hemdchen. Was sie im Wunder-Bra zu bieten hatte, ließ sich so voll in Augenschein nehmen. Die etwas größere Balinesin stand ihr in Schönheit nicht nach. Doch sie war völlig anders gekleidet, eher europäisch mit einem „kleinen Schwarzen“, einem eng anliegenden Abendkleidchen aus Synthetik-Stoff. Zusammen boten die beiden einen hinreißenden Kontrast, ohne jedoch in dieser italienischen Umgebung unangenehm aufzufallen. Ein akzent-behaftetes, aber charmant klingendes Englisch sprachen sie miteinander.

„Hast du genug Geld für die Eintrittskarten?“, fragte die Thailänderin ihre Freundin.

„Natürlich nicht“, gluckste diese, verdrehte ihre malaysischen Augen wie ein Schalk und zog gleichzeitig einen Geldschein aus dem Portemonnaie.

„Ich habe aber wirklich kein Geld dabei, habe gestern alles meiner Familie geschickt. Aber der Typ muss ja zahlen. Kannst du hier für mich auslegen?“

„Weißt du, ich bewundere, wie du das immer tust,- so viel Geld denen schicken. Ich bin da etwas egoistischer. Du siehst ja, dass ich für das Kleid einiges ausgegeben habe, und morgen ist es vielleicht hinüber.“ Beide lachten laut los. Sie wussten genau, dass keiner von den Umstehenden verstand, was sie wirklich meinte. Das lag gewiss nicht an man­geln­den Englischkenntnissen.

Kaum hatten sie den Kasseneingang passiert, lag wirklich ein nicht einmal ganz kleines Paradies vor ihnen. Ein nur ungefähr rundes, von Natursteinen umgebenes Wasserbecken von ansehnlicher Größe grenzte hinten an eine kleine Felswand, aus der ein dampfender Quellbach sprudelte. Die beiden Frauen interessierten sich nicht für das Schild, welches besagte, dass diese Therme bereits vor 2000 Jahren von lebenslustigen Römern frequentiert wurde. Offensichtlich mit dem Ort vertraut, prüften sie, ob das Wasser im Becken genauso warm wie beim letzten Mal war. Doch die im rötlichen Abendlicht romantische Felsenkulisse und der plätschernde Wasserzufluss im Hintergrund nahmen sie auch diesmal gefangen, so dass sie im ersten Moment ihren Bekannten Igor gar nicht bemerkten, der an einem Tisch am vorderen Beckenrand bereits auf sie wartete. Das Zwitschern von Vögeln schien sich dem rhythmischen Geplätscher anzupassen, der entspannende Anblick und die Töne fügten sich zu einem harmonischen Ganzen zusammen.

„Hallo Enni, was gibt es Neues in Thailand?“ ließ Igor sich aus dem Hintergrund vernehmen. Als würde er keine Antwort erwarten, fügte er hinzu: „Du siehst wieder so schön aus.“ Er legte seinen Arm um sie, was ihr offensichtlich ebenso wie dieses Kompliment gefiel.

„Na, nimmst du mich auch noch zur Kenntnis?“, frotzelte nun Anjali ein wenig unsicher, schien aber nicht eifersüchtig zu sein, dass er sich zuerst ihrer Freundin zugewandt hatte. Doch ihre größere Zurückhaltung ließ sich nicht übersehen.

„Ihr wisst doch, dass ich euch alle beide mag“, flüsterte Igor fast, als er sich kritisch angeschaut fühlte. Die beiden Frauen kannten sein Alter nicht, hielten ihn für etwa doppelt so „jung“ wie sie selber, denn sein kurz geschorenes Haar und seine gebräunte Haut machten eine Schätzung schwierig. Nicht nur älter, auch einen Kopf größer als sie war er. Doch er fühlte, dass sie ihn trotzdem mochten, und das gab ihm vielleicht Sicherheit.

Sie setzten sich zu ihm an seinen Tisch und wurden sogleich mit Cocktails verwöhnt, die sie ohne Zweifel gerne mochten. Die Stimmung wurde schnell noch lockerer als am Anfang. Neues aus Thailand war nicht zu erfahren, und aus Bali ebenso wenig. Kleine Anzüglichkeiten kamen ihnen dafür umso leichter über die Lippen. Und keiner hatte etwas dagegen, als diese nach etwas Alkohol erheblich saftiger wurden. Doch es wurde nicht viel nachbestellt. Ganz klar hatten alle Drei etwas ganz anderes im Sinn.

Enni platzte als erste damit heraus: „Ich möchte jetzt baden!“ Dazu reckte sie sich so sinnlich, dass kaum Widerspruch kommen konnte.

„Ihr habt mal wieder kein Badezeug dabei“, grinste Igor.

„Das macht doch ohne Badezeug viel mehr Spaß. Das weißt du doch ganz genau“. Sie legte ihre Uhr ab, stellte die Sandalen unter ihren Stuhl, und gluckste zu Anjali: „Du passt hier schön auf alle Sachen auf.“ Man merkte, mit wie viel Spaß sie an den Beckenrand ging, sich genüsslich streckte, langsam mit den Händen über ihre Kleidung strich und dann kopfüber hinein sprang.

Kaum war sie im Wasser verschwunden, fühlte er, wie sich Anjalis Blick veränderte. Da gab es keinen Zweifel, wie gern sie mit ihm baden würde. Igor gefiel das. Er erwiderte ihre Blicke gern, zog sich gleichzeitig aber seine Jeans und sein Oberhemd aus und sprang ebenfalls ins Wasser.

Wenige Minuten später lag am hinteren Rand des großen Beckens Enni in seinen Armen. Hier konnte man von ihnen nicht viel sehen, vollends nicht die wilde Erregung, die beide nun packte. Die Slips auszuziehen war für beide kein Problem. Ganz fest packte er sie unter ihrem kleinem Rock und führte sie voller Sinnlichkeit an sich heran. Sie machte keinen Hehl daraus, wie gern sie es hatte, als er immer tiefer in sie eindrang.

 

Als sie triefend nass zum Tisch zurück kamen, schien es, als ob Anjali eingeschlafen war. Doch ein kleines Blinzeln ihrer Augen machte schnell klar, dass sie die Situation zumindest vage beobachtet hatte. Enni beugte sich zu ihr, nahm sie liebevoll in die Arme und hatte gleichzeitig vollen Spaß daran, wie nass nun auch ihre Freundin in dem schönen Kleid war. Lachend ging sie um den Stuhl herum, beugte sich nun von hinten über ihren Rücken und sorgte dafür, dass auch hier nur wenig trocken blieb. Ihr lautes Gelächter erzeugte einige Aufmerksamkeit an den Nachbartischen, doch es schien, als ob hier im wesentlichen alle mit sich selbst beschäftigt waren. Und wenn nicht mit sich selbst, dann mit der Speisekarte. Inzwischen war die Dämmerung eingebrochen, und zahlreiche italienische Gäste nahmen an den Tischen entlang der Vorderseite der Therme Platz. Sie ließen keinen Zweifel daran, dass sie diesen Ort auch als eine Diskothek der gehobenen Sorte ansahen. Tanzen und Baden gehörten hier zusammen. Auch die hier eher seltenen Besucher aus den Gebieten nördlich der Alpen hielten sich an diesen Standard. Genauso selbstverständlich gehörten hier Essen und Trinken dazu und ebenso eine unaufdringliche Barmusik im Hintergrund.

Aphrodisiaka suchte mann gewiss vergeblich auf dieser Speisekarte, und für die Getränke galt ähnliches. Ebenso wenig fand frau, was sie sich für die schlanke Linie wünschte. Genussvoll den Magen zu füllen stand obenan. Doch Igor hatte noch Anderes im Sinn. Diskret flüsterte er Anjali seine Unersättlichkeit ins Ohr, und sie war durchaus nicht abgeneigt. Eine schwer zu trennende Mischung von Scham und Freude in ihrem Gesicht nahm er deutlich wahr. Doch sie vertraute wie wohl schon gewohnt ihre Schuhe und ein paar kleine Dinge ihrer Freundin an und ließ sich in ihrem kleinen schwarzen Kleid geschickt und unauffällig ins Wasser gleiten, ohne dass Fremde etwas davon bemerkten. Dass Igor ihr auf ähnliche Art folgte, war wohl eine Selbstverständlichkeit.

Was sie am anderen Beckenrand miteinander trieben, schien auf den ersten Blick ebenso eine Selbst­verständlichkeit zu sein. Nur Igor wusste, dass das absolut nicht der Fall war. Anjali zeigte sich viel gehemmter als ihre Freundin, was jedoch kaum etwas damit zu tun hatte, dass sie nun als Zweite an die Reihe kam. Liebe im Wasser zu machen, war sie auch durchaus gewöhnt. An Igor ging aber gar nicht so spurlos vorbei, was er vorher mit Enni gemacht hatte. Wie verschieden die Beiden waren! Ihn erregte Anjalis glattes schlüpfrig-nasses Kleid sehr, aber er spürte auch, wie sich ihre Haut dahinter unerreichbar verbarg. Und wie anders es war, in sie hineinzugehen, das konnte er mit keinen Worten beschreiben. Er spürte vor allem, dass er diese Erfahrung mit keinem anderen Menschen teilen konnte. Mit Enni hatte er Gemeinsamkeit gefunden, mit Anjali fand er Einsamkeit. Auch diese Einsamkeit hatte etwas sehr Erregendes an sich, doch sie endete nicht in einem gemeinsamen Orgasmus.

Als sie wieder gemeinsam rund um den kleinen Tisch saßen, störte ihn Enni's leise Frage ziemlich: „Na, was ist denn nun verschieden zwischen uns?“ Er wusste, dass es darauf viele verschiedene Antworten gab. Enni machte ein ziemlich gelangweiltes Gesicht, als er sagte: „Die Kultur.“ Er kannte sie auch schon länger und hatte akzeptieren gelernt, dass Kultur ein Wort war, dass es in der thailändischen Sprache in dieser Form nicht gibt. Einen kurzen Augenblick später streichelte sie ihn ganz liebevoll. In diesem Moment empfand er, dass seine eigene Liebe ihr galt. Oder war es nur Zuneigung? Wie in einer kurzen Meditation spürte er die Unterschiede zwischen Thailand und Bali.

In Thailand gibt es statt Kultur Tempeldienst, seien es Andacht oder einfach eine Tempelbesichtigung oder eine Opfergabe, um die bösen Geister fern zu halten. Nicht nur die thailändische geschwungene, geheimnisvoll wirkende Schrift,- nein, vor allem auch die Tatsache, dass Thailand als einziges Land auf jener Seite der Erde nie längere Zeit kolonisiert worden ist, verleiht diesem Land einen mythischen, schwer erfassbaren Reiz, von welchem viele Touristen nur wenig mitbekommen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den dort vor allem von den Frauen sehr aktiv gelebten Buddhismus. Bei der dort Thera­vada genannten Form können fundamentalistische Züge gewiss nicht übersehen werden. Dass das Land sowohl von Japan als auch von den USA kurzzeitig mit Beschlag belegt worden ist, tut dem wenig Abbruch, hat aber Ressentiments gegen Fremde bestärkt.

In Bali wissen viele Menschen dagegen inzwischen recht genau, was die Fremden aus dem Westen unter Kultur verstehen. Vor allem gebildete Künstler aus dem deutschsprachigen Raum haben sich dort niedergelassen und eine attraktive Alter­nativ­szene aufgebaut, die viele Brücken zwischen der einhei­mischen und der fremden Bevölkerung ermöglicht. Die Balinesen sind nicht wie die Mehr­zahl der übrigen Indone­sier Moslems, sondern halten ihren hinduistischen Glauben in Ehren. Grausame Kolo­nialkriege bis vor nicht langer Zeit waren für sie schrecklich, haben viel Altes zerstört und auch Neues geschaffen.

Igor fühlte, wie er gar nicht über Sexuelles, sondern darüber, also über kulturelle Eigenarten, sprechen wollte und dies insbesondere in jener Umgebung nicht das geringste bisschen infrage kam. Die beiden Frauen schienen sich nun einig darin, dass sie spendabel eingeladen werden wollten und überhaupt gern die Hand offen hielten. Sie rauchten eine Zigarette nach der anderen und tranken wesentlich mehr Alkohol als er. Äußerlich ergab sich eine ausgelassene lustige Stimmung, doch Igor gestand sich fast schmerzlich ein, dass er die Nacht allein verbringen wollte, was schlussendlich auch geschah.

Beim Abschied fragte Enni, was er denn am nächsten Tag vor hat. Als er sagte, dass er nach Spelunca wolle, konnten die Beiden wenig damit anfangen. Anjali meinte aber nicht ganz unrichtig, das sei sicher ziemlich teuer und habe etwas mit Kultur zu tun. Enni fiel ihr ins Wort und seufzte fast, dass sie sich eben in Berlin selber auch wieder ums liebe Geld kümmern müsse. Wohl wissend, dass das auch ein Signal für ihn war, steckte er allen Beiden je einen Geldschein zu, der so zusammengerollt war, dass er wie eine Zigarette aussah. An ihren Gesichtern sah er, dass sie damit zwar zufrieden waren, aber nicht übermäßig begeistert. Er gehörte eben nicht zu den Reichen. Aber sie schienen auch zu spüren, dass er mehr als nur Geld zu bieten hatte.

Als die Beiden in ihrem kleinen Auto davon gebraust waren, hängte er sich sein Gepäckbündel über die Schulter, kontrollierte, dass Geld und Papiere dort waren, wo sie in seiner Welt hingehörten, und schlenkerte zum Bahnhof. In dem um diese Zeit völlig menschenleeren Gebäude schaute er sich die Übersicht der Zugabfahrten an und warf einen Blick auf die Uhr. Zufrieden lächelnd stellte er fest, dass in einer knappen Stunde ein Nachtzug in den Süden hier hielt. Er holte sich eine Cola und Schokolade aus einem Automaten und wartete auf einer Bank die Ankunft des nur wenig verspäteten Zuges ab. Als dieser einrollte, war es nicht ganz einfach, einen freien Sitzplatz zwischen all den mehr oder weniger laut schnarchenden Südländern zu finden. Er setzte sich zwischen eine halb schlafende Familie. Ein kleines Kind schrie kurz auf, ließ sich dann aber in seinem Schlaf nicht weiter stören. Nachdem der controllore ihm eine Fahrkarte ausge­stellt hatte, dachte er noch einen kurzen Moment an Giulia, die er in Spelunca besuchen wollte, und tat es dann dem Kinde bald nach.

Weil jener Ort nicht an der Eisenbahnlinie liegt, ließ er sich von einem Taxi die letzten Kilometer dort­hin bringen. Er fragte den lustigen Fahrer, wo er sowohl preiswert als auch bei netten Leuten wohnen könne, und wurde dann fast ohne weiteren Kommentar vor einer Pension abgesetzt, die zwar teurer war, als er sich das vorgestellt hatte und auch nicht im alten Stadtkern lag. Doch sowohl die nette Familie als auch deren Speisekarte überzeugten ihn dann schnell, dass es die richtige Wahl war.

Spelunca liegt am Meer zwischen Rom und Neapel. Wie verschieden das Leben in jenen beiden weltbekannten Großstädten ist, bleibt für Touristen meist ein Geheimnis. Das zu ergründen lockt auch nicht sehr, falls man sich nicht einfach auf die üblichen touristischen Sehenswürdigkeiten beschränken will. Denn weder gibt es dort Badestrand noch ist es selbst mit Italienisch-Kenntnissen leicht, die Dialekte zu verstehen. Sowohl die führenden Kreise in Rom als auch die Mafiosi in Neapel haben ihre eigene Sprache und lassen Fremde da nicht gern hinein hören, geschweige denn, dass sie das spezielle lokale Vokabular erklären würden.


Spelunca dagegen! Welch ein Traum von einer kleinen Stadt! Hoch auf einem Felsen hinter einer kleinen unbenutzten Zitadelle liegt der Kern des in vielem noch mittelalterlichen Ortes. An beiden Seiten erstrecken sich breite Badestrände und im Land dahinter moderne Gebäude für all diejenigen, die nicht gern hinaufsteigen, um zu den verwinkelten uralten, aber schön renovierten Häusern zu kommen, und die obendrein dort kein Auto vor der Tür haben können. Welche Freude es macht, sich dort hinauf zu bemühen!

Es roch in den engen Gassen nach Kultur. Zumindest bildete Igor sich das ein, als er wieder einmal den steilen Weg hoch stapfte. Nachdem er ein wenig Abstand zu Aventurina gewonnen hatte, zu dem faszinierenden Abend mit seinen zwei asiatischen Schönheiten, schien ihm genau das der Punkt zu sein, der ihm eben dort doch gefehlt hatte: eine gute Prise Kultur. In seinem Kopf blitzten rote Lampen auf. War er in Aventurina bereits im Rotlichtbezirk gelandet? Hatte er sich auf Sextourismus einge­lassen? Ihm schien, dass seine braven Freunde aus früherer Zeit neben ihm standen und mit dem Finger auf ihn zeigten. Aber es kamen keine Argumente. Sie wandten sich ein­fach von ihm ab.

Ihn machten diese Gedanken müde. Er schaute sich um, wo er sich ein wenig hinsetzen könnte, und merkte, dass er genau vor einem Internetcafé stand. Wenig sich darum kümmernd, dass dieser Ort nichts von der eigentlichen Kultur repräsentierte, die er suchte, ließ er sich einen Computer und eine Flasche Cola geben und schaute in seine E-Mail. Drei Mails von seinen Freunden enthielten alle, als hätte es eine geheime Absprache zwischen ihnen gegeben, ganz ähnlich die Frage, ob er ihnen Fotos von seiner Reise schicken könnte, und sie wollten alle wissen, wie es ihm geht. Vage kam in ihm das Gefühl hoch, dass eigentlich niemanden interessiert, was er hier wirklich sucht. Einer machte eine frotzelnde Anspielung, dass er sicher mal wieder eine Frau gefunden habe für . . . .

Ja, für was, das äußerte dieser nicht. Doch die auszufüllenden Punkte sagten alles. Nur für ihn selbst schien das nicht so. Für was hatte er sich denn mit den Beiden in Aventurina getroffen,- für was kam er jetzt hierher? Es stimmte schon, dass der Sex ihm gewaltige Freude gemacht hatte. Aber wenn ihm jemand ins Gesicht gesagt hätte, dass er dort nur Sex suchte, hätte er der Person sicher die Augen ausgekratzt. Er hatte das Gefühl, dass die beiden Frauen genau gespürt hatten, wie ihn der kulturelle Unter­schied zwischen ihnen interessiert, auch wenn sie das sprachlich nicht artikulieren konnten.