Asiatische Nächte

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War es für Einstein ein zu kritisches Ding gewesen, daran zu rütteln, dass Raum und Zeit das Basissystem sind für all unserer Verständnis all der Welten, die es gibt? Igor hatte zu großen Respekt vor Einstein und den von ihm entwickelten Theorien, um das infrage zu stellen. Und was die vielen schönen Frauen in Granada betraf, so war ihm klar, dass diese sich gewiss nicht mit einem schon älteren und nicht sonderlich profilierten Mann wie ihm selbst einlassen wollten. Ganz besonders schien das in jüngster Zeit zu gelten, wo sich die Kluft zwischen jungen und alten Menschen immer weiter vertiefte.

Mit einer Mischung von Befriedigung und Frustration fuhr Igor am nächsten Tag nach Sevilla weiter und kam damit wieder an den Ausgangspunkt seiner Reise zurück. Wieder fand er eine Unterkunft mit einer hohen Dachterrasse. Er durchstöberte einen Tag lang auch diese ebenfalls ihm so schön vorkom­mende Stadt mit ihren berühmten Bauwerken und fand sich dann abends auf jener Terrasse in der überschäumend lustigen Gesellschaft von vielen jungen Backpackern aus aller Herren Länder. Er war ein oder sogar zwei Generationen älter als die meisten von ihnen, doch keiner,- und keine, wie er selbst leise vor sich hin murmelte,- schien sein höheres Alter irgendwie zur Kenntnis zu nehmen. Es wurde gelacht und gegessen und getrunken und geflirtet, und er fühlte sich nicht das geringste bisschen ausgeschlossen. Was hätte er sagen sollen, wenn er gefragt worden wäre, wie alt er ist? „ Ich bin so alt, wie ich mich fühle,“ kam ihm in den Sinn.

Am nächsten Tag musste er nach Berlin zurück fliegen. Mit seinem nicht allzu schweren Gepäck machte er sich auf zur Abfahrtstelle des Flughafenbus. Er fühlte sich völlig entspannt und schaute sich die lebendige Fußgängerzone an. Doch plötzlich fühlte er sich wie von einem Blitz getroffen. Eine unglaublich schöne Frau kam ihm entgegen. Der leicht knochige Typ ihres Gesichtes, die nach Regeln von Schönheitswettbewerben gar nicht schöne Stupsnase und die tiefschwarzen, etwas mehr als halblangen Haare sagten ihm sofort, dass es eine Thailänderin aus dem Isaan im Nordosten, also laotischer Abstam­mung war. Doch kaum hatte er ihre Schönheit und ihr Herkunftsland realisiert, war sie auch schon an ihm vorbei gegangen. Hatte sie ihn angeschaut? Nicht einmal daran konnte er sich im nächsten Moment erinnern. War das wichtig?

Was könnte denn wichtiger sein, überlegte er ein wenig später. Sollte er ein braver biederer Großvater sein und sein Leben den Kindern und Enkeln widmen? Er kaute mit unschönem Gefühl auf den Worten „brav“ und „bieder“ herum. Damit war die Antwort für ihn schnell klar. Unbewusst duckte er sich, als wolle ihn jemand angreifen. Ja, was wäre denn, wenn ich nicht brav und bieder bin, fragte er sich, fast wie zur Verteidigung. Er müsste täglich einen großen Teil seiner Zeit mit dieser Verteidigung verbringen, und am Ende würden wieder einmal die konservativen Elemente siegen,- ganz einfach schon deswegen, was sie viel mehr Ressourcen haben. Ist das der Grund, warum ältere Menschen meist konservativer werden? Er blieb die Antwort schuldig, merkte aber, dass für ihn diese Frage jetzt nicht im Mittelpunkt stand. Es wäre vielleicht besser, dieser ganzen Konfliktzone schlicht und einfach zu entgehen.

Was dann? Über Raum und Zeit nachdenken? Einstein nachstreben? Da musste er innerlich lachen. Doch ganz so lustig war die Sache nicht. Er lebte in einer Welt, wo praktisch alle Menschen in den überkommenen Kategorien von Raum und Zeit dachten. War uns die Stärke des Drucks, darin mitmachen zu müssen, gar nicht bewusst? Neigen wir ganz einfach dazu, dieses Problem zu verdrängen? Jetzt lachte er zwar nicht mehr, schmunzelte aber und fühlte sich fast schon wie ein wenig weiser. Wen interessieren denn schon Raum und Zeit? Dafür bekommst du kein Brötchen geschenkt, gehst anderen Menschen eher auf die Nerven damit.

Was denn? Er blieb stehen und machte unbewusst einen kleinen Schritt rückwärts. Einfach, schön und konsistent leben? Wieder musste er loslachen und wieder merkte er schnell, dass es auch hier nicht nur um Spaß ging.

Einfach war sein jetziges Leben sicher nicht. Was war es, das sein Dasein so kompliziert machte? Tausende von Regeln,- in Gesetzen fixierte, von der Gesellschaft akzeptierte und von einem Heer von zum Großteil gewiss überflüssigen Bürokraten verfochtene und zusätzlich noch in unbewussten stillschweigenden Tabus versteckte Regeln,- Regeln hier, Regeln dort,- wer musste da nicht nach Freiheit schreien? Aber kaum jemand tat das. Eine hoffnungslose Lage? Kaum jemand schien sich auch daran zu stören, dass diese Bevölkerung obendrein noch jenes riesige Heer von nicht schlecht bezahlten und gut versorgten Bürokraten finanzieren musste.

Und gab es Schönheit in seinem Leben? Er konnte bisweilen zwar hinfahren, wo es wirklich schön war. Das waren meist Gebiete, die schon von Leuten mit Beschlag belegt waren, welche gierig die Hände offen hielten. Schöne touristische Gebiete wie jetzt auf seiner Reise? Er konnte das nur mit Mühe und Not trotz stark reduzierter Ansprüche eine kurze Zeit bezahlen. Schöne Kulturveranstaltungen wie Theater, Konzerte und Ausstellungen? Teuer, teuer, und immer zur Passivität verurteilt. Schöne Menschen, gar eine schöne Frau? Die durfte er sich in dieser Welt als älterer Mensch vor allem im Fernsehen anschauen. Auch das wurde in zunehmendem und sehr fragwürdigen Maße finanziell von Leuten ausgeschlachtet, die gewiss weder Kunst ohne Establishment noch Religion ohne Kirche noch Wissenschaft ohne gewaltige Institutionen vertraten.

Zum Schluss kam noch die Frage nach Konsistenz an die Oberfläche. Aber wen interessierte das? Diese Wort gab es doch kaum oder gar nicht im Leben der meisten Menschen. War das nur sein eigenes Gehirngespenst? Dekonstruktivismus! Das kam ihm in den Sinn, als er daran dachte. Es schien ihm, als würde das zusammenhanglose Zersplittern unserer Welt sang- und klanglos akzeptiert und wie alles einfach als eine neue Kunstrichtung finanziell verwertet. Igor wurde fast wütend, als er sich klar machte, wie wenig die Menschen Zusammenhänge zwischen Kunst, Religion und Wissenschaft interessierten. Die Wirtschaft fördern, bis die Erde völlig zernagt ist,- Konsum, Konsum, Konsum!

Das ist alles nur ein großes Spiel, dachte er. Aber das Spiel gefiel ihm gar nicht. Was tun? In kleinen geduldigen Schrittchen versuchen, hier und da etwas zu ändern? Wieder verspürte er ein inneres Knurren. Einfach nicht mehr mitspielen? Wie sollte das möglich sein?

Er fasste innerlich zusammen, was er wollte: Ein einfaches Leben ohne Bürokraten, eine schöne Umgebung und eine schöne,- junge, wie er schamhaft hinzufügte,- Frau, und die Möglichkeit, sich aktiv,- nicht als Konsument, wie er hier weniger schamhaft anmerkte,- mit Kunst, Religion und Wissenschaft beschäftigen zu können. An dieser Stelle kam ihm wieder die wunderschöne Thailänderin aus jenem unbekannten Isaan nicht nur in den klaren Sinn, sondern besetzte auch seine aufgewühlten Gefühle, und er fühlte sich sexy wie ein junger Mann, voll ungeahnter Kräfte. Als er den letzten Aufruf zu seinem Flugzeug nach Berlin hörte, wusste er, wohin er wollte.

Vier Wochen später saß er in einem Flugzeug nach Thailand. Er würde seiner Fantasie-Julia wieder erzählen, was er dort erlebt hat.

Kap. 1 Vorweg-Gedanken

Omnis Thailandia divisa est in partes tres, qui una incolunt Khmer. Ganz Thailand besteht aus drei Teilen, deren einer Khmer-stämmige Bewohner hat. Die beiden anderen Teile haben eine von Laoten bzw. Malaien abstammende Bevölkerung. Genauso wie den Galliern und Karthagern die italienischen Vorfahren in Rom ziemlich merkwürdig vorkamen, wundern sich auch die von den Laoten und Malaien abstammenden Menschen in den Randgebieten Thailands, warum die Leute in Bangkok immer mit Flugzeugen fliegen müssen und statt normal hoher Gebäude Wolkenkratzer-artige Hochhäuser benöti­gen. Wie einst im alten Rom schauen umgekehrt auch die vermischten Bewohner im Zentralgebiet, also vor allem in Bangkok, lieber auf die Anderen herab und vermeiden eine peinliche Nabelschau, bei der man ihrer eigenen Fehler gewahr werden würde. Immerhin hatten die Römer aber Dolmetscher, durch welche eine gewisse Verständigung mit den Galliern möglich war. Aber die Bewohner von Bangkok und dem Zentralgebiet lehnen die laotische und die malaiische Sprache kategorisch ab, unterdrücken sie und zwingen den dortigen Menschen ihre eigene Sprache auf. Kaum haben jene aber den Bewohnern des Zentralgebietes den Rücken zugekehrt, so fluchen sie in einem unverständlichen Jargon, der absolut nicht nur reines Laotisch oder Malai ist, über ihre großspurigen und ausbeuterischen Hauptstadtbewohner mit gar nicht immer freundlichen Worten.

Nur ein kleiner Teil der Menschen in Bangkok vermag auf Englisch oder ähnlichen Sprachschöpfungen diesem Verhalten Paroli zu bieten. Doch das hat nur für den Außenhandel Bedeutung. Wichtiger, aber von den meisten Menschen der Oberschicht in Bangkok unerkannt, genauso wie einst bei den Römern hinsichtlich der am Limes wohnenden Randbevölkerung ist das Problem der verschiedenen Mentalitäten und regionalen Interessen. Denn durch die Verwendung der aufgezwungenen Zentralsprache bleibt man eben in der Denkweise der in Bangkok lebenden amart, nach kolonial-englischem Sprachgebrauch meist als Elite übersetzt, jedoch eigentlich Machtinhaber bezeichnend. Während die Leute aus dem Randgebieten häufig in Bangkok arbeiten und dadurch die Mentalität der Hauptstadtbewohner gut kennen, kann man in Kreisen besagter Elite ein einsichtiges Verständnis der Lage in den Außengebieten des Landes mit der Lupe suchen. Diese Kenntnisse meinen sie durch den häufig ausbeuterischen und durchaus auch unerfreuliche Begleiterscheinungen habenden Handel erwerben zu können, was aber weitgehend ein gründlicher Irrtum sein dürfte. Denn die Händler kommen meistens nur zu den Märkten und eher kleinen Betrieben und stecken ihre Nase praktisch nie in die völlig anderen Lebensverhältnisse. Ihre Landeskenntnisse lassen sich anhand der in Bangkok erhältlichen Landkarten dokumentieren, welche im allgemeinen jegliche Details vermissen lassen. Was die Mentalitäten betrifft, so vermeiden wir besser dieses Thema.

 

Leser aus Kreisen der besagten Elite wären an dieser Stelle so erbost, dass sie sofort nach weiter verschärfter Pressezensur rufen würden. Über Bangkok selbst wollen wir an dieser Stelle nicht reden, weil, wie schon gesagt, die öffentliche Nabel­schau als unanständig gilt. Lenken wir unseren Blick also für einen Moment auf Süd-Thailand. Dieses Gebiet hat zwei Bevölkerungsgruppen, Buddhisten und Moslems, welche wie eh und je untereinander starke Konflikte haben. Gemeinsam ist beiden Teilen aber, dass diese dort anders als in Nord-Thailand von Europäern erobert worden sind und dass es bis heute keine Wiedergutmachungsgesetze und Rückgaberegelungen für die damals eingenommenen Gebiete gibt. Kein zugereister Besucher wagt dieses Thema zu erwähnen, weil er oder sie wohl fürchtet, dann nicht mehr das Visum zum Besuch der dortigen unterdrückten Bevölkerungsteile zu bekommen, oder sogar wegen angeblicher Einmischung in die Innenpolitik bedroht wird.

Die wirklich kriminelle Unterdrückung und sogar Ausrottung der ursprünglichen dortigen Völker wird heutzutage meist nicht mehr praktiziert. Aber,- und dieses Wort “aber” müsste man an dieser Stelle tausendfach wiederholen,- das heißt natürlich nicht, dass diese sich dort frei entwickeln können. Die malaysische Sprache wurde noch viel rigoroser als die laotische unterdrückt. Gründe dafür sind vermutlich einerseits die Kopplung mit dem moslemischen Glauben, den die Buddhisten gewiss nicht gerne mögen, und aber vor allem die Tatsache, dass es hier eine etablierte Schriftsprache gibt. Im Laos ist eine gegenüber dem Thai stark vereinfachte Schrift erst eingeführt worden, als der Isaan, das Gebiet im Nordosten, schon fest in Thai-Händen war. So ist die Einführung dieser vereinfachten Schrift des Laotischen im Isaan als kommunistisches Produkt verhindert worden, was gewiss die Ausbildung einer kulturellen Identität dort verhindert hat.

In Süd-Thailand sind in verstärktem Maße buddhistische Lehrer eingesetzt worden,- sicher auch in der Absicht, das Malaysische zurück zu drängen. Das ist militärisch zunehmend abgesichert worden und hat 2004 unter der Ägide des nordthailändischen Ministerpräsidenten Thaksin, der auch gegen angebliche Drogenhändler im nördlichen Grenzgebiet mit brutaler Härte ohne Gerichtsverfahren (ca. 2500 Tote) vorging, zu einem Blutbad unter in einer Moschee zusammen getriebenen Bewohnern, hauptsächlich Frauen und Kindern geführt, was jegliche Kooperation zwischen den Führern der beiden Bevölkerungsgruppen praktisch zum erliegen gebracht hat. Im Jahre 2013 haben diese gewalttätigen Auseinandersetzungen ein schlimmes Ausmaß erreicht (über 5000 Tote).

Kap. 2 Dumme Fragen: Ein amerikanischer Krieg?

Stellen wir uns scheinbar unzusammenhängend und naiv anmutenden, kindlich klingenden Fragen!

Papa, was unterscheidet den Menschen eigentlich vom Tier? Nur, dass der Mensch aufrecht gehen und sprechen und vielleicht auch ein wenig besser denken kann, oder gibt es da noch etwas Anderes, was wichtig ist?

Hm, merkst du nicht, dass ich anders als ein Tier bin?

Die Mutter kommt aus der Küche und mischt sich in das Gespräch ein: Du kannst dem Kind doch schon von der Bibel erzählen. Dort steht doch, was der Unterschied vom Menschen und vom Tier ist.

Mama, ich verstehe die Geschichten am Anfang der Bibel auch schon nicht richtig. Wie die Welt entstanden sein soll, das ist mir dort wirklich nicht klar.

Na ja, das ist auch etwas kompliziert. Aber du kannst dem Kind doch schon die Geschichte vom Sündenfall erzählen.

Gut, mache ich. Also höre gut zu! Als Adam und Eva im Paradies lebten, da durften sie nicht die Früchte vom Baum der Erkenntnis essen.

Papa, was ist denn Erkenntnis? Und warum mussten sie sich denn ein Feigenblatt da unten vor sich halten? Durften sie damals schon nicht zeigen, wie das mit dem Sex ist?

Das verstehst du noch nicht. Aber das Wichtige war doch der Sündenfall.

Was hat der denn mit dem Blatt zu tun?

Also höre gut zu! Adam und Eva durften doch nicht diese Früchte essen. Ich glaube, vor allem Äpfelchen waren verboten. Und eines Tages kam die Schlange und sagte: Tue es doch!

Und was sagte Eva dann?

Eva sagte: Ich werde jetzt kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Sie fing an, als Frau von Allem völlig offen zu reden. Das durfte ein Mann aber nicht. Du hast doch heute im Fernsehen von Wikileaks gehört, wo auch einer plötzlich Dinge erzählt hat, die man nicht darf.

Ja, das habe ich gesehen. Das gefällt mir genauso gut wie die Simpsons. So ganz verstehe ich das aber immer noch nicht. Das Feigenblatt war doch da unten. Aber bei Wikileaks geht es doch gar nicht so sehr um Sex. Warum hat sie dann gesagt, sie wird kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, und warum ist es so schlimm, Dinge zu erzählen, bei denen gar kein Sex vorkommt?

Sie durfte eben keinen Biss von den verbotenen Früchten riskieren, und hat es dann doch getan,

Was sind denn verbotene Früchte? Und hat Adam das auch getan?

Für Adam war das noch viel schlimmer. Als das beiden so gut schmeckte, versuchte er, das Blatt wieder anzubringen. Das sollte keiner merken, was sie getan hatten,- ich glaube, nicht einmal der liebe Gott.

Und dann hat Eva gesagt, sie will kein Blatt mehr vor den Mund nehmen? Ich denke, das Blatt sollte da unten hin?

Ach, das verstehst du noch nicht. Was nehmt ihr eigentlich zur Zeit in der Schule durch?

Den amerikanischen Krieg.

Das kenne ich gar nicht. Worum geht das denn?

Das geht auch erst mit Sex los. Man soll nicht offen erzählen, was im Privatleben los ist, weil das in der großen Politik alles ähnlich ist.

Das verstehe ich nicht richtig. Kannst du mir das mal genauer erzählen?

Klar, Papa. Hör mal gut zu! Früher habt ihr in der Schule den gallischen Krieg durchgenommen. Die älteren Leute sagen, dass sie das damals in dem Alter noch gar nicht alles verstanden haben. Zum Beispiel haben sie doch wieder einen Krieg zwischen den Germanen und den Galliern angefangen. Ich verstehe das mit dem amerikanischen Krieg jetzt auch noch nicht alles. Aber ich erzähle es dir einfach mal. Vielleicht versteht die Mama es ja besser.

Kap. 3 Geld bzw. Gold

Omnis terra divisa est in partes tres, qui una incolunt Europeae. Die ganze Erde besteht aus drei Teilen, deren einen die Europäer bewohnen. Die beiden anderen Teile werden von den Amerikanern und den Asiaten bewohnt. Wie einst bei den alten Römern schauen auch die Europäer lieber zu den Anderen und vermeiden eine peinliche Nabelschau, bei der man ihrer eigenen Fehler gewahr werden würde. Genauso wie den italienischen Vorfahren die Gallier ziemlich merkwürdig vorkamen, wundern sich auch die Europäer, warum die Amerikaner immer mit Raketen fliegen müssen und statt normal hoher Häuser Wolkenkratzer benötigen. Immerhin hatten die Römer aber Dolmetscher, durch welche eine gewisse Verständigung mit den Galliern möglich war. Genauso gibt es heute unter den Europäer durch­aus Menschen, die sich mit den Amerikanern verständigen können. Kaum haben jene aber den Ameri­ka­nern den Rücken zugekehrt, so fluchen diese in einem unverständlichen Jargon, der absolut nicht nur reines Texanisch ist, über ihre unterentwickelten und rückständigen Ahnen vom anderen Kontinent mit gar nicht immer freundlichen Worten.

Nur ein kleiner Teil der Europäer vermag auf Bayerisch oder ähnlichen Sprachschöpfungen diesem Ver­halten Paroli zu bieten. Doch das hat keine große Bedeutung. Wichtiger, aber von den meisten Euro­päern unerkannt, genauso wie einst bei den Römern hinsichtlich den Belgiern als der dritten Bevöl­kerungsgruppe, von welcher manche wenigstens einmal gehört hatten, ist das Problem der prak­tisch fehlenden tieferen Verständigung mit den Asiaten. Denn das für die internationale Kommunika­tion viel ge­rühmte Englisch wird im allgemeinen mindestens von einem der beiden Sprechpartner nur gerade so gut beherrscht, wie es zur Regelung von täglichen Reiseangelegenheiten nötig ist. Man bleibt eben in der westlichen Denkweise. Während die Asiaten häufig relativ gute Sprachkenntnisse haben, und deshalb auch Landeskenntnisse und, was noch wichtiger sein dürfte, Kenntnisse der ande­ren Mentalitäten, kann man unter den Europäer Leute mit Kenntnissen asiatischer Sprachen mit der Lupe suchen. Die Landeskenntnisse meinen sie durch die Erfindung des häufig ausbeute­rischen und durch­aus auch unerfreuliche Begleiterscheinungen habenden Tourismus erwer­ben zu können, was aber weitgehend ein gründlicher Irrtum sein dürfte. Denn die Touristen werden meistens nur zu den soge­nann­ten Sehenswürdigkeiten geführt und stecken ihre Nase praktisch nie in die Slums entlang den Strecken. Ihre Landeskenntnisse lassen sich anhand der vereinfachten Touristenkarten dokumentieren, die weit unter dem Niveau von Landkarten in einem Schulatlas in den unteren Klassen liegen. Was die Mentalitäten betrifft, so vermeiden wir besser dieses Thema.

An dieser Stelle ahnt der erboste Leser vielleicht schon, dass die Dinge in Wirklichkeit sehr viel komplexer sind. Über Europa wollen wir dabei nicht reden, weil, wie schon gesagt, die öffentliche Nabel­schau als unanständig gilt. Lenken wir unseren Blick also für einen Moment auf Amerika. Dieser Kontinent besteht aus zwei Kontinenten, nämlich Nord- und Südamerika, welche untereinander starke Konflikte haben. Gemeinsam ist beiden Teilen aber, dass sie von Europäern erobert worden sind und dass es bis heute keine Wiedergutmachungsgesetze und Rückgaberegelungen für die eingenommenen Gebiete gibt. Kein zugereister Besucher wagt dieses Thema zu erwähnen, weil er oder sie wohl fürch­tet, dann nicht mehr das so begehrte Visum zum Besuch dieser unterdrückten Völker zu bekommen.

Die wirklich kriminelle Unterdrückung und sogar Ausrottung der ursprünglichen dortigen Völker wird heutzutage meist nicht mehr praktiziert. Aber,- und dieses Wort “aber” müsste man an dieser Stelle tausendfach wiederholen,- das heißt natürlich nicht, dass die Nachkommen der Überlebenden der damaligen grausamen Pogrome heute kein Recht auf Rückerstattung hätten. Das ist natürlich nicht das Problem von dorthin reisenden Besuchern von anderen Kontinenten, doch andererseits gibt es auch kein internationales Gesetz, das diesen verbietet, das Maul aufzureißen.

Am eklatantesten scheinen diese Fragen in Brasilien zu sein. Einerseits ist dieses Land ein unglaublicher Schmelztiegel und damit wohl dasjenige, welches am besten die Integration der verschiedenen Bevölkerungsteile bewerkstelligt. Andererseits wird aber auch heute dort eben jene durchaus als krimi­nell zu bezeichnende Ausrottung von eingeborenen Völkern praktiziert, die in den Wäldern noch über­lebt haben. Solch ein de facto unkontrollierbares Land bietet natürlich einzelnen Menschen Nischen zur eigenen Entwicklung in einem anderswo ungekannten Maße, was manchen Leuten dann als Rechtfertigung für das von dem Land als Ganzem eingeschlagene Verhalten dient.

Als Beispiel sei der deutsch-stämmige brasilianische Architekt Oscar Niemeyer genannt, der in nicht nur einer Hinsicht absolut ungewöhnlich gewesen ist. Im Alter von über hundert Jahren immer noch aktiv tätig hat er mit 99 Jahren noch einmal geheiratet, seine frühere Sekretärin, und keinen Hehl daraus gemacht, wie ihm immer noch die Frauen gefielen,- ein im Alten Kontinent nur schwer akzeptier­tes Verhalten. Andererseits verfocht er mit Vehemenz eine Architektur ohne gerade Linien und ohne rechte Winkel, und war damit sicher Vorreiter einer auf uns zukommenden Entwicklung, vor welcher man anderswo angesichts der angeb­lich so praktischen Fertigbauteile und einer mit Lego-Bausteinen groß gewordenen Architekten-Gene­ra­tion nur zu gerne die Augen verschließt. Es soll ja alles vor allem preisgünstig sein, vor allem wegen der asiatischen Konkurrenz.

Mehr oder weniger völlig das tun zu können, was man möchte, ohne viel fragen oder gar noch vor Bürokraten einen Kotau machen zu müssen, das setzt im Grunde die Gesetzlosigkeit des Dschungel voraus. So hat Oscar Niemeyer auch die neue Hauptstadt seines Landes Brasilia mitten im Dschungel gebaut. Der brasilianische Dschungel präsentiert sich als ein Regenwald von unglaublichen Dimensio­nen. Ein wenig mehr oder weniger davon, das schien zunächst nicht sehr wichtig, und nach indigenen Kulturen fragte zunächst kaum jemand.

 

Braucht jede Kultur nicht Freiheit? Für daran interessierte Menschen, und ganz beson­ders, wenn sie von der Bürokratie die Nase voll haben, sollte in einem solchen Land eigentlich das Paradies lie­gen. Doch immer wieder vergaß man die Kultur an derartigen magischen Orten zugunsten zum Beispiel eines anderen, den sie Eldorado nannten. Woran war doch die Suche nach jenem Eldorado in Brasilien gescheitert? Ach ja, es ging nur um das Geld in seiner majestätischten Form, um das Gold.