Es ist kurz nach der halbstündigen Mittagspause, ein brennend heißer Sommermittag. In der Schreibstube ist es stickig und schwül, die weißen Scheiben lassen nicht einmal den Trost blauen Himmels und heller Sonne ein – erstickende heiße Luft, nichts sonst.
Die Finger tanzen schlaff auf den Tasten, ist der Wagen am Ende, wird er langsam, träge zurückgezogen, eine Sekunde, zwei Sekunden Pause, und die Finger beginnen neu.
Heiße feuchte Stirnen, verschlossene, verkrampfte Gesichter, kein Geschwätz, kein Flüstern, nur Schlaffheit und Verdrossenheit.
Im Nebenzimmer, die Weiber von der Vervielfältigungsmaschine, die schwatzen. Sie haben nichts zu tun, sie haben schon den dritten oder vierten Tag keine Arbeit, nichts da zu vervielfältigen. Aber ihr Gehalt bekommen sie darum doch, sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, manchem wächst das Fressen wirklich ins Maul, wer sich aber nicht satt essen kann, kann sich auch nicht satt schlecken.
Jawohl, zwanzig Schreibmaschinen klappern, aber darum hört man doch: Drüben, in Jauchs Büro, ist die Tür gegangen, und nun fliegt sie zu, mit einem donnernden Getöse: bumm, bumm!
Es schüttert.
Kufalt wirft Maack einen Blick zu. Maack wirft Kufalt einen Blick zu. Maack senkt die Lider über die Augen zum Zeichen, dass er den Blick verstanden hat.
Hinundhergelaufe drüben im Büro, ein Fenster wird aufgerissen, nun fängt Jänsch an, unterdrückt vor sich hin zu lachen, denn der Jauch da drinnen schimpft mit sich. Aber er wird sofort wieder stille, denn die Tür geht auf, Jauch brüllt mit aller Kraft, nur den blauroten Kopf durchsteckend: »Fräulein Merzig!! Fräulein Merzig!!!«
»Ja, Herr Jauch?«
Auf der anderen Seite der Schreibstube öffnet sich die Tür, Fräulein Merzig (die Große, Zibbe) steckt ebenfalls den Kopf durch: »Ja, bitte, Herr Jauch?«
»Das Hamburger Adressbuch, aber ein bisschen flott, ja?«
»Sofort, Herr Jauch!«
Jeder merkt: Sturm im Anzug, Gewitterbö am Himmel. Fräulein Merzig läuft eilig in der Schreibstube von Platz zu Platz, zu sehen, wo das Hamburger Adressbuch liegt.
Jauch, immer mit dunkelrotem Gesicht, folgt ihr mit seinem Blick. »Wer, zum Donnerwetter, hat es denn! Kann der sich nicht melden?!«
Sie findet es bei Sager und nimmt es ihm fort.
»Hören Sie mal, Fräulein, ich muss arbeiten«, protestiert Sager matt.
Sie läuft schon damit zu Herrn Jauch, der drohend verkündet: »In Kürze werden sehr viel großkotzige Herren ohne Arbeit sitzen.«
Er reißt das Adressbuch an sich und verschwindet.
»Sie können wenigstens ›Entschuldigung‹ oder ›Bitte‹ sagen, Fräulein«, grollt Sager.
»Mit Ihnen rede ich überhaupt nicht«, erklärt Fräulein Merzig, und sie meint nicht etwa nur Sager, sondern alle in diesem Zimmer. Sie geht und verschwindet bei ihrer Kollegin, nicht ohne die Tür einen Spalt offenzulassen –: »Denn heute gibt’s was, so habe ich Jauch noch nie gesehen, sicher wirft er einen von denen raus!«
Vorläufig flucht er weiter in seinem Zimmer, raschelt mit dem Adressbuch und erscheint wieder in der Tür, diesmal in voller Figur.
»Kann ich mein Adressbuch wiederhaben, Herr Jauch?« fragt Sager hartnäckig.
»Kennt jemand von Ihnen eine Schreibstube Cito-Presto?« fragt Herr Jauch und kommt bis in die Mitte des Zimmers.
Stille.
Dann lässt sich eine Stimme vernehmen: »Schreibstube Cito, Herr Jauch …«
»Cito-Presto habe ich gefragt, Sie Idiot«, brüllt Herr Jauch los und ist beim Nebenzimmer, wo er seine Frage wiederholt.
»Schreibstube Cito …«, sagt Fräulein Merzig.
»Gänse!« brüllt Jauch, besinnt sich und sagt milder: »O Pardon«, schmettert aber immerhin die Türe zu.
Er dreht sich um, nun hat er die ganze Schreibstube wie eine Schulklasse vor sich, alle mit den Gesichtern zu ihm hin. Er lehnt sich mit dem Rücken gegen die Tür, steckt die Hände in die Taschen, spielt in der einen mit seinen Schlüsseln, in der anderen mit Silbergeld und nagt dabei an der Unterlippe, die Stirn in Querfalten.
»Hol mal einer die Zigarre aus meinem Aschenbecher …«
Er überlegt, sieht die Reihe entlang, bleibt bei Maack hacken – der tippt. Jauch überlegt wieder, springt dann zu Maacks Hintermann und ruft: »Lammers!«
Lammers steht ängstlich auf, geht beinahe laufend in das Chefbüro, kommt wieder mit einem Zigarrenstummel, reicht ihn Herrn Jauch.
»Feuer!« sagt der.
Lammers sucht in seinen Taschen, findet Streichhölzer, brennt eins an, gibt Jauch Feuer, alles in angstvoller Haltung. Jauch zieht, pafft dann. »Sie wissen doch, dass das Rauchen hier verboten ist? Wenn ich das noch einmal sehe, dass Sie Streichhölzer bei sich haben …!«
»Ich habe aber nicht geraucht, Herr Jauch«, stammelt Lammers.
»Hältst du den Mund?! Hältst du den Mund?! Soll ich dich rausschmeißen, oder hältst du den Mund?!!!« brüllt Jauch den aschfahlen Lammers an.
Der steht einen Augenblick, läuft dann torklig an seinen Platz, setzt sich hastig, zieht den Kopf zwischen seine Schultern und tippt los.
Einen Augenblick Stille. Jauch schnauft. Jeder fühlt, es war erst der Windstoß vor dem Losbruch, es soll erst losgehen. Jauch sucht sein nächstes Opfer mit dem Auge, sein Blick fällt auf Kufalt, der wie verzweifelt tippt. Jauch bewegt schon die Lippen, da klingt ein kräftiger Bass aus dem Hintergrund: »Stinkt, der Affenstall!«
Jauch fährt herum, sein Mund steht töricht halb offen, er fragt atemlos, als sei ihm von einem Magenschlag die Luft weggeblieben: »Wie bitte?! Wer sagte da was?«
Jänsch steht auf hinter seiner Schreibmaschine, wie ein kleiner Junge zeigt er mit dem Finger hoch. »Ich, Herr Jauch.«
Er steht einen Augenblick abwartend da, sieht zu, wie Jauch sich aus seiner Fassungslosigkeit zu einem Ausbruch sammelt, dann, gerade als er loslegen will: »Hab gesagt, dass der Affenstall hier stinkt, Herr Jauch. Und das tut er denn ja auch bei so ’ner Affenhitze, nicht?«
»Kommen Sie mit!« schreit Jauch. »Kommen Sie mit in mein Zimmer! Ihre Papiere. Sie sind entlassen, Sie Mensch, Sie, Sie undankbares Geschöpf! Ihre Papiere!«
»Und mein Geld«, sagt Jänsch unerschütterlich und geht gleichzeitig mit Jauch auf dessen Zimmer los.
Sie sind im Begriff, dort zu verschwinden, als in einer anderen Ecke der Schreibstube einer aufsteht, Deutschmann diesmal, und schreit: »Herr Jauch, ich finde auch, dass dieser Affenstall stinkt.«
Jauch steht fassungslos, er bewegt wortlos die Lippen, er sieht von einem zum anderen, er fängt an nachzudenken, dann hebt er die Hand. »Kommen Sie auch, Herr Deutschmann, Sie sind beide entlassen.«
»Schön«, sagt Deutschmann, »geht in Ordnung.«
Aber sie kommen noch immer nicht in Jauchs Zimmer, denn nun steht Sager auf und sagt höflich und bescheiden: »Darf ich mir wohl mein Hamburger Adressbuch holen, Herr Jauch? Ich muss arbeiten.«
»Lassen Sie mich zufrieden!« brüllt Jauch den Höflichen an.
»Dann bin auch ich der Ansicht, dass dieser Affenstall stinkt«, sagt Sager mit derselben lächelnden Höflichkeit. Und etwas schneller: »Ich stell mich von selbst zu den anderen, Herr Jauch, ich komme schon.«
»Das ist Meuterei!« schreit Herr Jauch. »Das ist …«
»Meuterei gab’s im Kittchen, Herr Jauch, da täuscht Sie Ihre Erinnerung«, sagt Maack kühl und steht nun auch seinerseits auf. »Hier sind wir doch nicht mehr im Kittchen, nicht wahr?«
»Natürlich der Herr Maack«, sagt Jauch langsam, und nun ist seine ganze Wut weg. Er sieht auch nicht mehr rot aus, er ist fahl. Er ist sehr aufgeregt, aber er hat sich wieder am Bändel. Er sagt langsam: »Darf ich, zur Abkürzung des Verfahrens, fragen, wer von Ihnen noch der Ansicht ist, dass es in – diesem – Affenstall – stinkt? Bitte, meine Herren, nicht genieren. Ja, bitte?!«
Es stehen noch auf: Kufalt, Fasse, Öser.
»Ich übrigens auch«, sagt Maack.
»Nun, natürlich. Herr Fasse, Herr Öser. Und der Herr Kufalt. Aber ich weiß Bescheid, meine Herren, so leicht ist es nun doch nicht. Ich weiß Bescheid …«
Die Herzen der Verschwörer bleiben stehen. Wenn das Aas wirklich Bescheid weiß, wenn er uns die Arbeit vermasselt …!
»Das ist eine Verschwörung, und der liebe, gute, demütige Herr Kufalt ist der Anführer. Ich habe wohl gehört, wie Sie sich heute am Farbbandkasten verabredet haben, ein Ding zu schieben. Ich werde die Kriminalpolizei benachrichtigen, ich werde …«
»Ich finde auch, es stinkt in diesem Affenstall«, sagt eine helle, überschlagende Stimme. Siehe da, es erhebt sich noch einer, Emil Monte, Hundertfünfundsiebziger,1 schlanker, blonder Pupenjunge …
»Mensch, bleib du doch bloß sitzen, du gehörst doch nicht zu uns!« schreit unbedacht Jänsch.
»Der Beweis ist erbracht«, sagt Jauch feierlich, »dass eine planmäßige Verabredung vorliegt. Kommen Sie einer nach dem anderen in mein Zimmer, und holen Sie Papiere und – Geld. Das Weitere werde ich mit Herrn Pastor Marcetus besprechen. Sie werden schon sehen, wie Ihnen das bekommt.«
1 Der § 175 des deutschen Strafgesetzbuches (§ 175 StGB) existierte vom 1. Januar 1872 bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. <<<
Es war die herrlichste Sache von der Welt …!
Einer hatte gerufen: »Zuerst einmal gehen wir futtern! Ich habe Kohldampf noch und noch.«
»Ich auch!«
»Und ich!«
Die mahnende Stimme »Warmessen am Wochentag« verhallte ungehört, und sie verschwanden acht Mann hoch in einem Bräukeller.
Von dem sparsam besonnenen Maack, der saure Linsen für fünfunddreißig Pfennig aß, bis zum wildverfressenen Jänsch, der ein Gulasch und noch ein Eisbein vertilgte, dazu zwei Helle (drei Mark sechzig), waren alle Temperamente vertreten.
Montes helle Stimme schrie überschnappend: »Ich zahl euch allen ein Bier! Gott sei Dank, dass ich da raus bin aus diesem Affenstall!«
»Dankend abgelehnt«, brummte Jänsch. »Ich zahl mein Bier alleine.«
Und Maack: »Trinken dürfen Sie in einem Monat, wenn’s geklappt hat.«
»Uch«, sagt Monte. »Seid doch nicht so ete. Ich bin ja sooo froh, dass die verfluchte Adressenschmiererei vorbei ist. Angekotzt hat mich das schon. Gearbeitet habe ich im Kittchen wahrhaftig genug.«
Die sieben anderen sitzen und sehen, Essgerät in den Händen, den Knaben Emil Monte, dann einander ernst an.
»Also sagt schon, was ihr für eine Sache auf der Pfanne habt. Quatscht euch rein aus, ich mach jeden Dreck mit.«
»Aber wir nicht!« ruft Fasse und bekommt einen strengen Blick von Jänsch.
Schon zeigt sich, dass sich hier zwei die Führerrolle streitig machen werden, denn statt Jänsch sagt Maack: »Was wir für ein Ding auf der Pfanne haben, Monte? Adressenschreiben!«
»Und zwar«, sagt Jänsch hastig, um auch sein Wort zu sagen, »und zwar Adressenschreiben, wie du es noch nicht erlebt hast: fünfzehn Stunden täglich, und wenn dir das nicht passt, den Arsch voll!« Er hebt seine große, schaufelbreite Pratze und zeigt sie drohend dem Monte.
»Ich bin allerdings der Ansicht«, sagt Maack eilig und leise, »dass es noch sehr zweifelhaft ist, ob wir Monte überhaupt mitnehmen. Er gehört nicht zu uns.«
»Ogottogott«, flüstert der hübsche, blondlockige Monte, völlig überwältigt, »ihr wollt richtige, solide Arbeit machen, ihr?! Ogottogott, was bin ich für ein Dussel gewesen!«
»Über all das werden wir zu sprechen haben«, sagt Jänsch.
»Ich bin satt. Ober, zahlen!«
»Wir auch!«
»Wir gehen zu dir, Kufalt, deine Bude liegt am bequemsten.«
Es war die herrlichste Sache von der Welt …!
Zuerst wurde mit zwei Stimmen Mehrheit der ruhige Herr Maack zum Schreibstubenvorsteher gewählt.
»Ich nehme die Wahl mit Dank an«, sagte Maack rasch und sicher und gab seiner Brille auf dem Nasenrücken einen kleinen Schubs, »und werde mich bemühen, immer eure Interessen wahrzunehmen. Aus der Reihe tanzen«, sagte er noch rascher, denn Jänsch fing eifersüchtig an zu brummen, »gibt es nicht. Ich werde möglichst wenig anordnen, aber was ich anordne, muss unbedingt befolgt werden. Wer sich widersetzt …«
»Arsch voll«, brummte Jänsch.
»Ungefähr, Jänsch, ungefähr so dachte ich es mir auch«, sagte Maack lächelnd. »Dabei fällt mir Monte ein. Ich habe mir den Fall noch einmal überlegt. Ich bin jetzt anderer Ansicht …«
»Ich auch …«, brummte Jänsch.
»Sie sind jetzt gegen Behalten?«
»Ja, jetzt bin ich gegen Behalten.«
»Ich bin«, sagt Maack, »anderer Ansicht. Wir haben in einem Monat dreihunderttausend Adressen abzuliefern. Zwei Mann müssen ständig falzen und kuvertieren. Bleiben, Monte eingerechnet, sechs Mann zum Tippen. Sechs mal zehn ist sechzig, sechs mal sechs ist sechsunddreißig, neuntausendsechshundert …«
»Was rechnest du für ’nen Mist?«
»Muss, selbst wenn Monte bleibt, jeder Mann jeden Tag zwischen sechzehn- bis siebzehnhundert Adressen schreiben.«
»Au Backe!«
»Das zieht hin!«
»Ich schreib zweitausend«, erklärt Jänsch.
»Ich auch«, sagt Maack, »und Deutschmann bestimmt auch. Aber es gibt genug unter uns, die weniger schreiben. Ich schlag also vor: Wir setzen den Monte ans Falzen und Kuvertieren, mit Kufalt zusammen. Sonst schaffen wir es nicht.«
Verdrossenes Schweigen. Einer sagt ärgerlich: »Na ja. Und was soll der verdienen?«
Monte setzt ein: »Ich möchte aber gar nicht mitmachen. Ich habe nicht deswegen …«
Jänsch steht auf und geht quer durch das Zimmer auf Monte los. Er fasst ihn an den Schultern, drückt ihm die Arme an den Leib und schüttelt ihn hin und her. »Pupenjunge«, sagt er dazu. »Pupenjunge!«
»Genug, Jänsch«, sagt Maack. »Also du weißt Bescheid, Monte. In einem Monat kannst du machen, was du willst. Bis dahin …«
»So!« sagt Jänsch, hebt den Monte hoch und setzt ihn mit einem Krach auf den nächsten Stuhl.
Monte reißt sein Taschentuch heraus, trocknet sich die Stirn, reibt sich den Oberarm, sieht albern-empört von einem zum anderen, und plötzlich fängt er weibisch an zu kichern …
»Was der für Kräfte hat!« kichert er.
»Ehe wir an die Arbeitsverteilung gehen«, sagt Maack, »müssen wir feststellen, welche Geldmittel wir als Betriebskapital zur Verfügung haben. Wir müssen sechs Schreibmaschinen auf Abzahlung kaufen, ich rechne dreißig Mark pro Stück die erste Rate, ein Zimmer mieten, dreißig Mark, Tische, Stühle, sechzig Mark …«
»Aber das können wir uns doch alles so« – Handgriff – »besorgen.«
»Tische und Stühle sechzig Mark! – Das wäre wohl alles. Hundertachtzig die Maschinen, zweihundertzehn die Miete, zweihundertsiebzig alles in allem … Wie viel kann jeder von euch dazu geben?«
Stille.
Noch viel stiller. Jeder sieht krampfhaft vor sich hin.
»Wir sind acht Mann«, sagt Maack. »Es würden auf jeden vierzig Mark entfallen. Wer hat so viel?«
Stille. Stille. Stille.
»Ich zeichne also vierzig Mark«, sagt Maack. »Na, und du, Kufalt?«
»Ich habe doch den Auftrag gebracht«, sagt Kufalt hilflos. Er fürchtet, gibt er jetzt vierzig Mark her und die anderen sehen, er hat dann noch immer dreihundertvierzig in der Brieftasche – so muss er alles zahlen.
»Und Sie, Jänsch?«
»Ich fress all mein Geld immer gleich auf«, sagt Jänsch mürrisch. »Sie sind doch der Schreibstubenvorsteher, Maack.«
»Und Sie, Fasse? – Deutschmann? – Sager? – Öser? – Monte?«
»Geld soll ich auch noch geben«, schreit Monte. »Wo ich so behandelt werde!«
Langes, verdrossenes Schweigen.
»Ja, wozu sind Sie denn der Schreibstubenvorsteher?« sagt Jänsch noch einmal.
»Der Kufalt hat uns überhaupt reingerissen«, sagt Öser böse. »Schön blöd sind wir gewesen. Siebzehnhundert Adressen den Tag, so ein Quatsch!«
»Scheiße!« schreit Sager und haut auf den Tisch.
»Scheiße!« schreit auch Fasse.
Und plötzlich schreien sie alle: »Scheiße!« Sind wie wild, trommeln auf den Tisch, geraten in einen Paroxysmus1 von Verzweiflung: ach, die schöne, so leichtsinnig aufgegebene Schreibstube dahinten!
»Einen Augenblick«, sagt Maack, und langsam wird es still.
Maack sagt – und er sieht ja wirklich tadellos aus, dieser Maack mit dem weißen, selbstbeherrschten Gesicht, mit der schmalen Goldbrille –, also er sagt: »Unter der Voraussetzung, dass uns die Geldbeschaffung gelingt …«
»Scheiße!«
»Bitte! Ich bin überzeugt, ihr alle habt Geld – ausgenommen vielleicht Monte.«
»Hab auch keines«, sagt Monte. »Wenn ich hier mitarbeiten soll, muss ich Vorschuss haben.«
»Also – unter der Voraussetzung, dass das Geld zusammenkommt und wir morgen mit Arbeiten anfangen, so bekommen wir übermorgen von der Firma dreiundneunzig Mark fünfzig für die ersten Zehntausend und jeden weiteren Tag weitere dreiundneunzig Mark fünfzig Arbeitslohn …«
»Ja, wenn …!«
»Ich schlage nun vor, dass wir vorläufig jedem nur einen Wochenlohn von fünfundzwanzig Mark auszahlen, bis die Geldgeber ihre Einlagen zurückhaben. Und zwar bekommt jeder Geldgeber für hergegebene zehn Mark fünfzehn Mark aus den Eingängen zurück, als Belohnung für sein Risiko.«
Höher atmendes Schweigen.
»Wird dieser Vorschlag von mir«, sagt Maack hurtig, »angenommen, so bin ich bereit, hundert Mark zu zeichnen.« Einen Augenblick Stille – und Maack setzt träumerisch hinzu: »Ich würde dann hundertfünfzig zurückbekommen.«
»Wieso hundert Mark?« sagt Jänsch brummig. »Wieso gerade Sie hundert Mark? Dann zeichne ich auch hundert Mark!«
»Ich auch!«
»Ich auch!«
»So viel brauchen wir doch gar nicht.«
»Ich hundertfünfzig«, schreit Kufalt.
»Und ich habe nicht mehr als vierzig Mark«, klagt Monte. »Wieso soll gerade ich so wenig verdienen?«
Brüllendes Gelächter.
»Kiek, der Pupe, der wittert auch was!«
»Will Vorschuss, der Goldjunge! Nachschuss, mein Süßer.«
»Da also«, sagt Maack, »die Geldfrage in dem Sinne geregelt ist, dass jeder von uns vierzig Mark zahlt …«
»Aber wir kriegen sechzig wieder!«
»Natürlich! … So bitte ich erst einmal alle, möglichst schnell nach Hause zu gehen und das Geld zu holen. Wir haben heute noch einen Haufen zu erledigen.«
Alles eilt fort.
»Junge, Monte – wenn du nicht wieder anzitterst – wir finden dich!«
»Ich komm schon«, sagt Monte. »Wenn ich sechzig Mark für vierzig kriege!«
Kufalt und Maack bleiben zurück. Maack liniiert einen Bogen, schreibt die Namen der acht untereinander, zuoberst den seinen, neben jeden Namen die Zahl vierzig. Dann nimmt er aus einer abgegriffenen roten Brieftasche zwei Zwanzigmarkscheine, legt sie vorsichtig vor sich hin und quittiert sich selbst: »Erhalten, Peter Maack.«
Dann empfängt er von Kufalt ebenfalls vierzig, quittiert wieder und sieht lächelnd zu Kufalt auf. »Ein bisschen dumm seid ihr ja alle. Denkt, ihr verdient zwanzig Mark jeder, und merkt nicht, dass die euch allen gleichmäßig vom Arbeitsverdienst abgezogen werden.«
»Mensch«, sagt Kufalt atemlos. »Das hast du die ganze Zeit gewusst! Wenn das die anderen wüssten!«
»Ich erzähl’s auch dir alleine«, sagt Maack. »Hoffentlich kommt keiner von den anderen darauf, bis sie wieder hier sind mit ihrer Marie.«
1 anfallartiges Auftreten einer Krankheitserscheinung <<<