Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Aus alten Tagen

Mei­ne lie­be Co­let­te!

Ich weiß nicht, ob du dich ei­nes Ver­ses aus Sain­te-Beu­ve ent­sinnst, den wir zu­sam­men ge­le­sen ha­ben, und der sich mei­nem Ge­dächt­nis fest ein­ge­prägt hat; denn er sagt mir Man­ches, die­ser Vers, und oft hat er mein ar­mes Herz be­ru­higt, be­son­ders in der letz­ten Zeit. Er heißt:

»Im sel­ben Haus ge­bo­ren wer­den, le­ben

Und ster­ben…«

Hier bin ich nun ganz al­lein in die­sem Hau­se, in dem ich ge­bo­ren bin, ge­lebt habe und auch zu ster­ben ge­den­ke. Es ist nicht alle Tage hei­ter, aber es ist süß; denn ich bin von Erin­ne­run­gen um­ge­ben.

Mein Sohn Hen­ry ist Ad­vo­kat; er be­sucht mich jähr­lich zwei Mo­na­te. Jean­ne wohnt mit ih­rem Man­ne am an­de­ren Ende Frank­reichs; sie be­su­che ich je­den Herbst. So bin ich denn hier al­lein, ganz al­lein, aber ver­trau­te Ge­gen­stän­de um­ge­ben mich und er­zäh­len mir un­aus­ge­setzt von den Mei­nen, von den To­ten wie von den fer­nen Le­ben­den.

Ich lese nicht mehr viel, aber ich den­ke viel, oder bes­ser, ich träu­me! Frei­lich nicht in mei­ner Art von ehe­dem. Du kennst ja un­se­re aben­teu­er­li­chen Gril­len, un­se­re Plä­ne, die wir schmie­de­ten, als wir zwan­zig Jah­re alt wa­ren, all die glück­li­chen Aus­sich­ten, die sich uns er­öff­ne­ten!

Von al­le­dem ist nichts in Er­fül­lung ge­gan­gen, oder viel­mehr, es ist al­les an­ders ge­kom­men, we­ni­ger süß und poe­tisch, aber doch zu­frie­den­stel­lend, wenn man sein Schick­sal zu neh­men weiß.

Denn weißt du, warum wir Frau­en so oft un­glück­lich sind? Weil man uns in der Ju­gend zu viel an das Glück glau­ben lehr­te. Wir sind nicht mit dem Ge­dan­ken er­zo­gen wor­den, dass der Mensch zu kämp­fen, zu har­ren und zu lei­den hat. Und un­ser Herz bricht beim ers­ten Sto­ße. Mit of­fe­ner Brust er­war­ten wir Strö­me von glück­li­chen Er­eig­nis­sen, und es kom­men im­mer nur halb­wegs gute. Dann wei­nen wir gleich. Das Glück, das wah­re Glück un­se­rer Träu­me habe ich erst ler­nen müs­sen. Es be­steht nicht in ei­nem glück­li­chen Er­eig­nis, denn die sind sehr sel­ten und von kur­z­er Dau­er, son­dern ein­fach im ste­ten Er­war­ten ei­ner Rei­he von gu­ten Din­gen, die nie­mals kom­men. Glück, das ist das glück­li­che War­ten, das ist ein Dunst­kreis von Hoff­nun­gen, also die Il­lu­si­on ohne Ende. Ja, mei­ne Lie­be, es gibt nichts Gu­tes, als die Il­lu­sio­nen, und so alt ich bin, ma­che ich mir noch alle Tage wel­che; nur hat sich ihr Ge­gen­stand ge­än­dert, denn mei­ne Wün­sche sind nicht die­sel­ben ge­blie­ben. Ich sag­te dir schon, dass ich die meis­te Zeit mit Träu­men ver­brin­ge. Was soll ich auch andres tun? Ich habe dazu zwei Ar­ten. Ich will sie dir nen­nen: viel­leicht, dass sie dir nütz­lich sind.

Die ers­te ist sehr ein­fach; sie be­steht dar­in, dass ich mich in einen nied­ri­gen Lehn­stuhl, der mei­nen al­ten Kno­chen weich ge­nug ist, vor mein Ka­min­feu­er set­ze und mei­ne Bli­cke auf Das zu­rück schwei­fen las­se, was da­hin­ter liegt.

Oh wie kurz ist doch ein Men­schen­le­ben! Be­son­ders, wenn es ganz an ei­nem Orte ver­fließt.

»Im sel­ben Haus ge­bo­ren wer­den, le­ben

Und ster­ben…«

Wel­che Fül­le von Erin­ne­run­gen! Sie drän­gen sich förm­lich. Und wenn man alt wird, deucht es ei­nem kaum zehn Tage her, dass man jung war. Ja, es ist al­les ver­flos­sen, als wär’ es nur Ein Tag ge­we­sen! Mor­gen, Mit­tag und Abend – und die Nacht fällt schnell, die Nacht ohne Mor­gen­rot!

Wie ich so Stun­de auf Stun­de ins Feu­er star­re, wird mir die Ver­gan­gen­heit wie­der le­ben­dig, als wäre es ges­tern ge­we­sen. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin; der Traum reißt mich fort; mein gan­zes Da­sein lebe ich noch ein­mal durch.

Und oft glau­be ich wie­der, ich wäre noch ein Mäd­chen: so stark sind die Ein­drücke der Ver­gan­gen­heit, die Ge­füh­le der Ju­gend, ihre ho­hen Stun­den und selbst ihr Herz­klop­fen, all die­se acht­zehn­jäh­ri­ge Le­bens­freu­de; und das Ver­gan­ge­ne steht greif­bar, wie neue Wirk­lich­keit, vor mei­nen Au­gen.

Na­ment­lich mei­ne Ju­gend­spa­zier­gän­ge su­chen mich wie­der heim! Hier auf mei­nem Lehn­stuhl, als ich vor mei­nem Feu­er saß, dach­te ich neu­lich wie­der an einen Son­nen­un­ter­gang auf dem Mont Saint-Mi­chel und gleich dar­auf an eine Hetz­jagd im Wal­de von Uville; und der Duft des feuch­ten San­des und des thau­fri­schen Lau­bes, die Glut der Son­ne, die ins Was­ser tauch­te, und die feuch­te Wär­me ih­rer ers­ten Strah­len, als ich durchs Holz ga­lop­pier­te – das al­les um­schweb­te mich plötz­lich wie­der. Und al­les, was ich da­mals ge­dacht habe, mei­ne Be­geis­te­rung vor den end­lo­sen Wei­ten des Mee­res, mein fro­hes Selbst­ge­fühl, als die Zwei­ge im Rei­ten mich streif­ten, mei­ne kleins­ten Ge­dan­ken, all die klei­nen Er­geb­nis­se mei­ner Beo­b­ach­tun­gen, mei­ner Wün­sche und mei­ner Ge­füh­le, al­les, al­les ist wie­der da, als wä­ren die fünf­zig Jah­re nicht ver­flos­sen, die mein Blut ge­dämpft und mein Hof­fen ge­wan­delt ha­ben. Mei­ne an­de­re Art aber, die Ver­gan­gen­heit zu be­schwö­ren, ist bei Wei­tem die bes­se­re.

Du weißt oder du weißt nicht, mei­ne lie­be Co­let­te, dass im Hau­se nichts weg­ge­wor­fen wird. Oben un­ter dem Da­che ha­ben wir eine große Trö­del­kam­mer, die »das An­ti­qui­tä­ten­ka­bi­net« heißt. Al­les, was nicht mehr ge­braucht wird, wan­dert dort hin­ein. Ich gehe oft her­auf und sehe mich um. Da er­bli­cke ich dann einen Hau­fen von Nich­tig­kei­ten wie­der, an die ich nie mehr dach­te, und die mir eine Men­ge Din­ge ins Ge­dächt­nis zu­rück­ru­fen. Zwar sind es nicht die trau­ten Mö­bel, die man von Kind­heit auf kennt, und an de­nen die Erin­ne­run­gen von Er­eig­nis­sen, von Freu­den und Lei­den, von Ta­gen un­se­rer Ge­schich­te haf­ten. Kei­ne Ge­gen­stän­de, die mit un­se­rem Le­ben ver­knüpft sind, und dar­um eine Art von Per­sön­lich­keit und Cha­rak­ter an­ge­nom­men ha­ben. Kei­ne Ge­fähr­ten uns­rer hol­den und trü­ben Stun­den, – die ein­zi­gen, ach! die wir si­cher sind, nicht zu ver­lie­ren, die ein­zi­gen, die nicht ster­ben wer­den wie die an­de­ren, de­ren Züge, de­ren lie­be Au­gen, de­ren Mund und Stim­me auf ewig da­hin sind! – Aber ich fin­de in dem al­ten Trö­del eine Men­ge von al­ten, nichts­sa­gen­den Din­gen wie­der, die vier­zig Jah­re um uns her­um ge­we­sen sind, ohne dass sie ei­nem je auf­ge­fal­len wä­ren, und die nun, wo man sie wie­der sieht, plötz­lich die Be­deu­tung und den Aus­druck al­ter Zeu­gen an­neh­men. Sie kom­men mir vor, wie Leu­te, die man un­be­stimmt ge­kannt hat, ohne dass sie sich je of­fen­bart hät­ten, und die plötz­lich ei­nes Abends ohne jede Ver­an­las­sung zu schwat­zen be­gin­nen, ohne wie­der auf­zu­hö­ren, und uns ihr gan­zes Da­sein und alle ihre In­ti­mi­tä­ten er­zäh­len, von de­nen wir nichts ahn­ten.

Und ich gehe vom einen zum an­de­ren und mein Herz krampft sich weh­mü­tig zu­sam­men. Halt, sage ich mir, das habe ich an dem Abend zer­bro­chen, wo Paul nach Lyon ab­reis­te. Oder: Ach, da ist ja die klei­ne La­ter­ne, mit der Mama an den Win­ter­aben­den im­mer zum Got­tes­dienst ging!

Es sind auch Sa­chen dar­un­ter, die nichts sa­gen, die von den Gro­ß­el­tern her­stam­men, Din­ge, die nie­mand un­ter den Le­ben­den ge­kannt hat, von de­nen so­gar nie­mand weiß, wer sie be­ses­sen. Nie­mand hat die Hän­de ge­se­hen, die sie an­ge­fasst, noch die Au­gen, die sie be­schaut ha­ben. Die ge­ben mir lan­ge zu den­ken! Sie kom­men mir wie Ver­las­se­ne vor, de­ren letz­te Freun­de ge­stor­ben sin­d…

Vi­el­leicht, mei­ne lie­be Co­let­te, wirst du das al­les kaum be­grei­fen, viel­leicht wirst du über mei­ne Ein­falt und über mei­ne kind­li­chen und sen­ti­men­ta­len An­wand­lun­gen la­chen. Du bist Pa­ri­se­rin, und Euch Pa­ri­se­r­in­nen ist die­ses in sich ge­kehr­te Le­ben, die­ses ewi­ge Zu­rück­grei­fen auf sein ei­ge­nes Herz et­was Un­be­kann­tes. Ihr lebt nach au­ßen, und alle eure Ge­dan­ken flat­tern in den Wind. Ich lebe al­lein, dar­um kann ich dir nur von mir er­zäh­len. Wenn du mir aber ant­wor­test, dann sprich mir auch ein we­nig von dir, da­mit ich mich auch in dei­ne Lage ver­set­zen kann, wie du dich mor­gen in die mei­ne wirst ver­set­zen kön­nen.

Aber nie wirst du den Vers von Sain­te-Beu­ve ganz ver­ste­hen:

»Im sel­ben Haus ge­bo­ren wer­den, le­ben

Und ster­ben…«

Tau­send Küs­se. Dei­ne alte Freun­din

Ade­lai­de.

*

Magnetismus?

Die Her­ren­ge­sell­schaft war zu Ende, und da­mit be­gann das end­lo­se Zi­gar­ren­rau­chen und das un­auf­hör­li­che Li­queur­trin­ken im Rau­che. Die Köp­fe wa­ren von dem vie­len Durchein­an­der von Spei­sen und Ge­trän­ken nicht mehr ganz klar, und eine schlaf­fe Ver­dau­ungs­ru­he herrsch­te.

Man kam auf den Ma­gne­tis­mus zu spre­chen, auf die Wun­der­ku­ren Do­na­tos und die Er­fah­run­gen des Dr. Char­cot. Und mit ei­nem Male be­gan­nen die­se bla­sier­ten, lä­cheln­den, je­der Re­li­gi­on ab­hol­den Le­be­män­ner, sich die merk­wür­digs­ten Ge­schich­ten zu er­zäh­len, lau­ter un­glaub­li­che aber wah­re Be­ge­ben­hei­ten, wie sie ver­si­cher­ten; sie fie­len plötz­lich wie­der in die aber­gläu­bi­sche­s­ten Vor­stel­lun­gen zu­rück, klam­mer­ten sich an die­sen letz­ten Rest des Ge­heim­nis­ses an und beug­ten sich dem Ma­gne­tis­mus, den sie im Na­men der Wis­sen­schaft ver­tei­dig­ten…

Nur ei­ner lä­chel­te hart­nä­ckig; er war ein über­mü­ti­ger Ge­sell und großer Schür­zen­jä­ger; sein Un­glau­ben war so fest ein­ge­wur­zelt, dass er nicht ein­mal zu­las­sen woll­te, dass über die­sen Ge­gen­stand ge­re­det wur­de.

– Un­sinn! Un­sinn! Un­sinn! rief er höh­nisch da­zwi­schen. Über Do­na­to ist gar­nicht erst zu re­den, er ist ganz ein­fach ein schä­bi­ger Quack­sal­ber. Und Herr Char­cot, der ja ein nam­haf­ter Arzt sein soll, macht mir im­mer den Ein­druck ei­nes Fa­bu­lis­ten vom Schlag Ed­gar Poes: er denkt über be­son­de­re Fäl­le von Ver­rückt­heit so lan­ge nach, bis er sel­ber ver­rückt wird… Er hat Ner­ven­zu­stän­de kon­sta­tiert, die un­er­klär­lich und je­den­falls noch un­er­klärt sind; er lebt in je­nem Un­be­kann­ten, das tag­täg­lich un­sern Witz her­aus­for­dert, und da er nicht im­mer al­les ver­steht, was er sieht, macht er viel­leicht von den re­li­gi­ösen Er­klä­run­gen des Ge­heim­nis­vol­len einen zu aus­gie­bi­gen Ge­brauch. Au­ßer­dem möch­te ich ihn selbst ein­mal hö­ren; das ist et­was ganz andres, als was Sie mir hier nach­er­zäh­len.

 

Die­se Wor­te des Ungläu­bi­gen rie­fen un­ter den An­we­sen­den eine mit­lei­di­ge Be­we­gung her­vor, als ob er in ei­ner Ge­sell­schaft von Mön­chen Läs­ter­li­ches ge­sagt hät­te.

– Je­den­falls hat es frü­her Wun­der ge­ge­ben! be­kräf­tig­te ei­ner der Her­ren.

– Das leug­ne ich. Sonst müss­te es ja auch heu­te noch wel­che ge­ben.

Da brach­te nun je­der ein Be­weis­stück vor, fan­tas­ti­sche Vorah­nun­gen und Mit­tei­lun­gen von See­len durch wei­te Räu­me, ge­hei­me Ein­flüs­se ei­nes We­sens auf das an­de­re u. s. w. Und die­se Tat­sa­chen wur­den be­teu­ert und für un­be­streit­bar er­klärt, wäh­rend der hart­nä­cki­ge Leug­ner im­mer noch sein »Un­sinn! Un­sinn! Un­sinn!« da­zwi­schen schrie.

End­lich stand er auf, warf sei­ne Zi­gar­re fort, steck­te die Hän­de in die Ta­schen und be­gann:

– Nun wohl. Auch ich kann Ih­nen zwei Ge­schich­ten der Art er­zäh­len, die ich Ih­nen aber nach­her er­klä­ren wer­de. Die eine ist fol­gen­der­ma­ßen.

Die Män­ner des klei­nen Strand­dor­fes Étre­tat sind sämt­lich Fi­scher und fah­ren je­des Jahr nach den Bän­ken von Ter­re-Neu­ve zum Stock­fisch­fang. Ei­nes Nachts nun wach­te das Kind ei­nes der Fi­scher plötz­lich auf und schrie: »De Vat­ter is im Mee ätun­ken!« Man be­ru­hig­te den Schrei­hals, aber bald wach­te er von Neu­em auf und heul­te, sein »Vat­ter wäre ätun­ken«. Ei­nen Mo­nat spa­ter wur­de nun wirk­lich be­kannt, dass der Va­ter von ei­ner Sturz­see er­fasst und von der Brücke ins Meer ge­schleu­dert wor­den wäre, wo er sei­nen Tod ge­fun­den hät­te. Da schrie nun al­les: »Ein Wun­der! Ein Wun­der!« und reg­te sich groß auf. Es wur­de nach­ge­rech­net, und es fand sich, dass der Un­fall und der Traum un­ge­fähr zu­sam­men­fie­len. Daraus wur­de dann ge­schlos­sen, dass bei­des in der­sel­ben Nacht und zur sel­ben Stun­de ge­sche­hen wäre. Das ist so ein Wun­der der Fern­wir­kung…

Der Er­zäh­ler hielt inne.

– Und wie er­klä­ren Sie das? frag­te ei­ner der Zu­hö­rer sehr er­regt.

– Sehr gut, mei­ne Her­ren; ich habe das Ge­heim­nis ge­lüf­tet. Die Tat­sa­che hat­te mich al­ler­dings ver­blüfft und selbst leb­haft be­un­ru­higt; aber se­hen Sie, ich glau­be grund­sätz­lich an nichts. Wie die an­de­ren da­mit an­fan­gen zu glau­ben, so fan­ge ich da­mit an zu zwei­feln. Und wenn ich es auch gar­nicht be­grei­fe, so leug­ne ich doch ru­hig wei­ter fort, dass es eine Fern­wir­kung von See­len gibt, und ich bin ge­wiss, dass mein Scharf­sinn al­lein aus­reicht. Nun wohl, ich habe also ge­sucht und ge­sucht, bis ich es her­aus hat­te. Ich frag­te alle Wei­ber der ab­we­sen­den Fi­scher aus und über­zeug­te mich, dass kei­ne Wo­che ver­ging, wo nicht ei­nes von ih­nen oder ei­nes der Kin­der da­von träum­te, dass sein »Vat­ter im Meer ätun­ken« wäre, und dies beim Er­wa­chen aus­po­saun­te. Die be­stän­di­ge schreck­li­che Furcht vor die­sem Un­glück ließ sie stets da­von re­den, im­mer dar­an den­ken. Wenn nun eine die­ser häu­fi­gen Ah­nun­gen durch einen ganz ein­fa­chen Zu­fall mit ei­nem sol­chen Un­glücks­fal­le zu­sam­men­trifft, schreit al­les gleich: »Ein Wun­der!« – und alle an­de­ren Träu­me und Vorah­nun­gen, alle un­glück­li­chen Pro­phe­zei­un­gen, die sich nicht er­füllt ha­ben, wer­den ver­ges­sen. Ich selbst habe an die fünf­zig in der Erin­ne­rung, von de­nen der Ur­he­ber schon acht Tage spä­ter nichts mehr wuss­te. Wäre aber der Mann wirk­lich um­ge­kom­men, dann wäre das Ge­dächt­nis un­ver­se­hens er­wacht, und die einen hät­ten ein Wun­der Got­tes, die an­de­ren den Ma­gne­tis­mus ge­prie­sen.

– Das ist al­les ganz rich­tig, was Sie da sa­gen, un­ter­brach ihn ei­ner der Rau­cher. Aber wie steht es mit Ih­rer an­de­ren Ge­schich­te?

– Oh, mei­ne an­de­re Ge­schich­te ist ein hei­ke­les The­ma. Sie ist mir selbst be­geg­net, und dar­um miss­traue ich mei­ner ei­ge­nen An­sicht dar­über ein we­nig. Man kann nicht Rich­ter und Par­tei zu­gleich sein. Nun also, die Sa­che war fol­gen­de:

– Un­ter mei­nen Be­kannt­schaf­ten, die ich hat­te, be­fand sich eine jun­ge Frau, an die ich nie ge­dacht, die ich nie an­ge­se­hen hat­te, kurz, die mir nie auf­ge­fal­len war, wie man sagt. Sie ge­hör­te nach mei­ner Mei­nung un­ter die nichts­sa­gen­den We­sen, ob­wohl sie nicht häss­lich war. Schließ­lich hat­te sie Nase, Mund und Ohren, Haa­re von ir­gend ei­ner Far­be und eine, wie soll ich sa­gen, ver­bli­che­ne Phy­sio­gno­mie. Sie war ei­nes von den We­sen, an de­nen uns­re Ge­dan­ken schein­bar nur durch Zu­fall haf­ten, ohne bei ih­nen zu ver­wei­len, und die un­ser Ver­lan­gen nie wach­ru­fen.

Ei­nes Abends nun schrieb ich vor dem Schla­fen­ge­hen Brie­fe am Ka­min, und wie ich so mei­nen Ge­dan­ken die Zü­gel schie­ßen las­se und Bild auf Bild mir durch den Kopf ge­hen, wie ich so mit der Fe­der in der Hand vor mich hin­träu­me, läuft mir plötz­lich ein lei­ser Schau­der durchs Hirn und ein Be­ben durchs Herz, und un­mit­tel­bar dar­auf sehe ich, ohne ver­nünf­ti­gen Grund, ohne lo­gi­sche Ide­en-Ver­ket­tung, sehe ich die­ses jun­ge Weib ganz deut­lich vor mir, zum Grei­fen nahe, vom Kopf bis zu den Fü­ßen… Sie, an die ich noch nie län­ger als drei Se­kun­den ge­dacht hat­te, so­lan­ge mir ihr Name durch den Kopf ging… Und plötz­lich ent­deck­te ich an ihr eine Fül­le von hol­den Ei­gen­schaf­ten, die mir nie auf­ge­fal­len wa­ren, einen sanf­ten Zau­ber, einen be­stri­cken­den Rei­z… Und sie rief jene ver­lieb­te Un­ru­he in mir wach, die uns ei­nem Wei­be nach­ge­hen heißt.

Sie alle ken­nen jene ei­gen­tüm­li­chen Träu­me, die einen zum Herrn des Un­mög­li­chen ma­chen, ei­nem die ver­schlos­se­nen Tore un­ver­hoff­ter Freu­den und die sprö­des­ten Arme öff­nen. Wer von uns hat nicht jene un­ru­hi­gen, auf­re­gen­den, atem­lo­sen Träu­me ge­habt, wo wir das Weib, nach dem uns der Sinn stand, mit der größ­ten sinn­li­chen Schär­fe und Deut­lich­keit in den Ar­men ge­hal­ten ha­ben? Und ha­ben Sie nicht ge­merkt, wel­che über­ir­di­sche Won­ne in sol­chen ver­zück­ten Träu­men liegt? In wel­chen Tau­mel­zu­stand sie einen ver­set­zen, wie sie ei­nem das gan­ze We­sen durch­kämp­fen und das Herz mit un­end­li­cher, zärt­lichs­ter, über­strö­men­der Zärt­lich­keit er­fül­len; wie man das We­sen liebt, das man in die­sem gött­lich teuf­li­schen, Wirk­lich­keit schei­nen­den Gau­kel­spiel ohn­mäch­tig und glü­hend im Arme häl­t…

Al­les dies emp­fand ich da­mals mit un­ver­ge­ss­li­cher Deut­lich­keit. Dies Weib war mein ei­gen ge­we­sen, ich fühl­te es! Als ich längst ent­täuscht er­wacht war, hat­te ich das sam­met­wei­che Ge­fühl ih­res Haa­res noch an den Fin­gern, den Schmelz ih­rer Haut noch in den Sin­nen, die Sü­ßig­keit ih­rer Küs­se noch auf den Lip­pen, den Klang ih­rer Stim­me noch im Ohre, den Druck ih­rer Umar­mung noch um den Hals; und der be­rau­schen­de Zau­ber ih­rer Lieb­ko­sun­gen er­füll­te mich ganz und gar.

Und drei­mal in der­sel­ben Nacht hat­te ich den­sel­ben Traum.

Als es Tag wur­de, er­füll­te mich nur der Ge­dan­ke an sie; ihr Bild spuk­te mir durch Herz und Hirn; es ver­ging kei­ne Mi­nu­te, wo ich nicht an sie dach­te.

Ich wuss­te nicht mehr aus noch ein; schließ­lich stand ich auf, klei­de­te mich an und ging zu ihr. Als ich die Trep­pe her­auf stieg, zit­ter­te ich vor Auf­re­gung und fühl­te mein Herz ge­gen die Rip­pen häm­mern; ein un­wi­der­steh­li­ches Ver­lan­gen er­füll­te mich vom Kopf bis zu den Fü­ßen.

Ich trat ein. Als sie mei­nen Na­men hör­te, rich­te­te sie sich hoch auf, und plötz­lich be­geg­ne­ten sich un­se­re Bli­cke mit merk­wür­di­ger Starr­heit. Ich setz­te mich und stot­ter­te ein paar un­zu­sam­men­hän­gen­de Wor­te, die sie gar­nicht zu hö­ren schi­en. Ich wuss­te nicht, was ich tun und sa­gen soll­te; dann plötz­lich stürz­te ich auf sie zu und um­schlang sie mit bei­den Ar­men. Mein gan­zer Traum ver­wirk­lich­te sich so rasch, so leicht und süß und toll, das ich plötz­lich in Zwei­fel war, ob ich auch wach wä­re… Sie war zwei Jah­re lang mei­ne Ge­lieb­te…

– Und was schlie­ßen Sie dar­aus? frag­te eine Stim­me.

Der Er­zäh­ler schi­en zu zö­gern.

– Was ich dar­aus schlie­ße? frag­te er lang­sam. Ich schlie­ße dar­aus, dass dies ein ein­fa­ches Zu­sam­men­tref­fen war, ja ge­wiss! Und dann – wer weiß? – viel­leicht auch ein Blick von ihr, den ich nicht be­merkt hat­te, und den mir mein Ge­dächt­nis an je­dem Abend wie­der wachrief; denn es gibt ja sol­che ge­heim­nis­vol­len und un­be­wuss­ten Erin­ne­run­gen, wel­che ge­ra­de Das wie­der­ge­ben, was un­ser Be­wusst­sein ver­nach­läs­sigt und un­ser In­tel­lekt nicht be­ach­tet hat!

– Nun, wie Sie wol­len, schloss ei­ner der Gäs­te. Aber wenn Sie hier­auf nicht an Ma­gne­tis­mus glau­ben, dann, mein ver­ehr­ter Herr, sind Sie ein ganz un­dank­ba­rer Mensch!

*

Ein korsikanischer Bandit

Der Weg stieg im Wal­de von Aïto­na sanft an. Rie­si­ge Pi­ni­en wölb­ten sich über uns zum seuf­zen­den Da­che und rausch­ten in ewi­ger Schwer­mut; rechts und links stie­gen ihre ge­ra­den dün­nen Stäm­me wie ein Meer von Or­gel­pfei­fen em­por, aus de­nen die ein­tö­ni­ge Mu­sik des Win­des in den Baum­kro­nen her­vor­zu­quel­len schi­en.

Nach drei­stün­di­gem Mar­sche lich­te­te sich die­ses Durchein­an­der von lan­gen Baum­schäf­ten; hin und wie­der wölb­te eine rie­si­ge, al­lein­ste­hen­de Pi­nie, de­ren Wip­fel sich wie ein un­ge­heu­res Schirm­dach aus­spann­ten, ihr dunkles Grün, und plötz­lich er­reich­ten wir den Wald­rand ein paar hun­dert Schritt un­ter­halb der Enge, die in das wil­de Nio­lo­tal führt.

Auf den bei­den hoch­ra­gen­den Kup­pen, die die­se Stel­le über­rag­ten, er­ho­ben sich ein paar un­för­mi­ge alte Bäu­me, die dem nach­fol­gen­den Ge­wim­mel wie Auf­klä­rer vor­an­zu­ge­hen schie­nen. Als wir uns um­dreh­ten, sa­hen wir den gan­zen Wald sich vor uns deh­nen, wie ein un­ge­heu­res Be­cken vol­ler Grün, des­sen Rän­der, von nack­ten Fel­sen um­starrt, an den Him­mel zu sto­ßen schie­nen.

Wir gin­gen wei­ter und hat­ten den Hohl­weg nach zehn Mi­nu­ten er­reicht. Eine er­staun­li­che Land­schaft er­schloss sich da. Hin­ter ei­nem neu­en Wal­de lag ein Tal, wie ich es noch nie ge­se­hen, eine Stein­wüs­te von zehn Mei­len Län­ge, von fünf­tau­send Fuß ho­hen Ber­gen ein­ge­schlos­sen, nir­gends ein be­bau­tes Feld oder ein Baum. Es war das Nio­lo­tal, die Hei­mat der kor­si­schen Frei­heit, das un­be­zwing­ba­re Boll­werk, aus dem noch kein Ero­be­rer das Berg­volk ver­drängt hat.

– Hier flüch­ten sich auch alle un­se­re Ban­di­ten hin, mein­te mein Beglei­ter.

Bald schrit­ten wir auf der Tal­soh­le die­ses wil­den und un­ver­gleich­lich schö­nen Berg­kes­sels. Kein Halm, kei­ne Pflan­ze war um­her, nichts als Gra­nit, so­weit das Auge reich­te, eine leuch­ten­de Gra­nit­wüs­te, wel­che die pral­le Son­ne wie einen Back­ofen durch­glüh­te. Es war, als ob sie ei­gens über die­sen Stein­topf schweb­te. Wenn man die Au­gen zu den Fels­gra­ten er­hob, blieb man ge­blen­det und ge­bannt ste­hen. Sie schie­nen rot und ge­zähnt, wie lan­ge Koral­len­schnü­re, die zwi­schen den ro­ten Por­phyr­gip­feln auf­ge­hängt wa­ren, und der Him­mel dar­über war von sat­tem, veil­chen­far­be­nen Tone; so ver­färb­te er sich in der Nähe die­ser selt­sa­men Fels­zin­ken. Wei­ter un­ten war der Gra­nit von ste­chen­dem Grau und un­ter un­sern Fü­ßen war er wie zer­mah­len und zer­körnt; wir schrit­ten auf fun­keln­dem Stau­be. Uns zur Rech­ten zuck­te in lan­gem, ge­wun­de­nen Bet­te ein un­ge­stü­mer Berg­bach. Wie be­täubt wank­te man un­ter die­ser schwe­ben­den Glut, in die­sem Licht­meer durch das nack­te, bren­nen­de, tro­ckene, wil­de Tal, dem das schäu­men­de Wild­was­ser in Hast zu entei­len schi­en; denn es war ohn­mäch­tig, die­ses Ge­stein zu be­feuch­ten, und ver­lo­ren in die­sem Schmelzofen, der es gie­rig auf­saug­te, ohne je da­von durch­tränkt und er­frischt zu wer­den…

Zu un­se­rer Rech­ten tauch­te plötz­lich ein klei­nes Holz­kreuz auf, das in einen Stein­hau­fen steck­te. Dort war ei­ner ge­tö­tet wor­den.

 

– Er­zählt mir doch et­was von Eu­ren Ban­di­ten, bat ich mei­nen Ge­fähr­ten.

– Den be­rühm­tes­ten da­von habe ich selbst ge­kannt, rühm­te er; es war der schreck­li­che San­ta Lu­cia; des­sen Ge­schich­te will ich Ih­nen er­zäh­len.

Sein Va­ter war im Streit er­schla­gen wor­den; ein jun­ger Mann die­ses Lan­des soll­te den Mord be­gan­gen ha­ben, und San­ta Lu­cia blieb al­lein mit sei­ner Schwes­ter zu­rück. Er war ein schwa­cher, furcht­sa­mer Kna­be, klein, oft­mals krank und ohne ir­gend­wel­che Wil­lens­kraft. Dem Mör­der sei­nes Va­ters schwur er kei­ne Ven­det­ta. Alle sei­ne Ver­wand­ten ka­men zu ihm und be­schwo­ren ihm hoch und hei­lig, sich zu rä­chen; aber er blieb taub ge­gen ihr Fle­hen und selbst ge­gen ihre Dro­hun­gen.

Da nahm ihm sei­ne Schwes­ter nach al­tem kor­si­schen Brau­che ent­rüs­tet sei­ne schwar­zen Klei­der fort, da­mit er nicht um einen To­ten trau­er­te, der un­ge­rächt ge­blie­ben. Aber selbst da­ge­gen blieb er un­emp­find­lich, und an­statt die noch ge­la­de­ne Flin­te sei­nes Va­ters her­un­ter zu neh­men, schloss er sich ein und zeig­te sich nir­gends mehr, denn er wag­te den ver­ächt­li­chen Bli­cken sei­ner Al­ters­ge­nos­sen nicht Trotz zu bie­ten.

So ver­gin­gen Mon­de. Es schi­en, als hät­te er die Un­tat ganz ver­ges­sen und leb­te mit sei­ner Schwes­ter in der Tie­fe ih­rer ge­mein­sa­men Be­hau­sung.

Ei­nes Ta­ges nun hei­ra­te­te der, den man des Mor­des be­zich­tig­te. San­ta Lu­cia schi­en die­se Nach­richt nicht zu rüh­ren, und der Bräu­ti­gam ging auf dem Wege zur Kir­che, wie um ihn her­aus­zu­for­dern, an dem Hau­se der bei­den Wai­sen vor­bei. Bru­der und Schwes­ter sa­ßen ge­ra­de am Fens­ter und aßen Ge­ba­cke­nes, als der Bur­sche den Braut­zug er­blick­te, der vor sei­ner Woh­nung vor­bei­zog. Plötz­lich über­kam ihn ein Zit­tern; er stand auf, ohne ein Wort zu sa­gen, be­kreu­zig­te sich, lang­te die Flin­te von der Herd­wand her­un­ter und ging her­aus.

Wenn er spä­ter hier­auf zu spre­chen kam, pfleg­te er zu sa­gen: »Ich weiß nicht, was mir war, aber ich hat­te es im Blu­te; ich fühl­te, es muss­te so sein, ich könn­te doch nicht wi­der­ste­hen, und dar­um ging ich und ver­steck­te die Flin­te im Rohr an der Stra­ße nach Cor­te.«

Eine Stun­de dar­auf kehr­te er mit lee­ren Hän­den und sei­ner all­täg­li­chen Mie­ne zu­rück. Sei­ne Schwes­ter glaub­te, dass er an nichts mehr däch­te. Aber des Nachts ver­schwand er.

Sein Feind muss­te noch in der­sel­ben Nacht mit sei­nen bei­den Hoch­zeits­bit­tern zu Fuße nach Cor­te ge­hen. Sie schrit­ten sin­gend auf der Stra­ße ein­her, als plötz­lich San­ta Lu­cia vor ih­nen auf­tauch­te und den Mör­der an­blitz­te. »Jetzt ist’s Zeit!« schrie er und jag­te ihm einen wohl­ge­ziel­ten Schuss durch die Brust.

Ei­ner der Hoch­zeits­bit­ter lief da­von, der an­de­re blick­te ihn an und frag­te: »Was hast du da ge­tan, San­ta Lu­cia?«

Da­mit woll­te er nach Cor­te lau­fen und Hil­fe ho­len. Aber San­ta Lu­cia wet­ter­te ihn an: »Steh oder ich schie­ße dir dein Bein ent­zwei!« Der an­de­re, der sei­ne bis­he­ri­ge Furcht­sam­keit kann­te, er­wi­der­te ge­ring­schät­zig: »Das wagst du ja doch nicht!« und ging. Aber da krach­te schon der Schuss und er brach zu­sam­men; die Ku­gel hat­te ein Bein zer­schmet­tert.

San­ta Lu­cia kam nä­her. »Ich will dei­ne Wun­de be­se­hen«, sag­te er. »Ist sie nicht schwer, so wer­de ich dich hier lie­gen las­sen; ist sie töt­lich, so wer­de ich dir den Rest ge­ben.«

Da­mit un­ter­such­te er die Wun­de, und da er sie für töt­lich be­fand, lud er sein Ge­wehr noch ein­mal, for­der­te den Ver­wun­de­ten auf, sein Pa­ter­no­s­ter zu be­ten, und schoss ihm dann durch den Schä­del. Am nächs­ten Mor­gen war er in den Ber­gen.

Und wis­sen Sie, was er da ge­tan hat, die­ser San­ta Lu­cia?

Sei­ne gan­ze Fa­mi­lie wur­de von Gen­darmen fest­ge­nom­men. Selbst sein On­kel, der Pfar­rer, den man als An­stif­ter des Mor­des im Ver­dacht hat­te, wur­de ins Ge­fäng­nis ge­wor­fen und von den Ver­wand­ten des Er­schos­se­nen an­ge­klagt. Es ge­lang ihm in­des­sen, zu ent­flie­hen; er griff gleich­falls zur Flin­te und tat sich mit sei­nem Nef­fen zu­sam­men.

Lu­cia tö­te­te nun nach­ein­an­der die An­klä­ger sei­nes Oheims und riss ih­nen die Au­gen aus, um den an­de­ren die Leh­re zu ge­ben, dass sie nichts be­haup­ten soll­ten, was sie nicht mit ei­ge­nen Au­gen ge­se­hen hät­ten.

Er tö­te­te alle Ver­wand­ten und den gan­zen An­hang der feind­li­chen Fa­mi­lie. Er brach­te in sei­nem Le­ben vier­zehn Gen­darmen um, zün­de­te die Häu­ser sei­ner Wi­der­sa­cher an und war bis zu sei­nem Tode der ge­fürch­te­tes­te Räu­ber, des­sen man sich ent­sin­nen kann. – – –

Die Son­ne ver­schwand hin­ter dem Mon­te Cin­to, und die mäch­ti­gen Schat­ten des Gra­nit­stockes leg­ten sich auf den Gra­nit des Ta­les. Wir be­schleu­nig­ten un­sern Schritt, um noch vor An­bruch der Nacht nach dem klei­nen Dor­fe Al­ber­tac­ce zu kom­men, das wie ein großer Stein­klum­pen an den Rän­dern der wil­den Schlucht kleb­te. Und ich sag­te im Ge­dan­ken an den Ban­di­ten:

– Was für eine schreck­li­che Sit­te ist doch Eure Ven­det­ta!

– Was wol­len Sie? ent­geg­ne­te mein Beglei­ter. Man tut nur sei­ne Pf­licht!

*