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Buch lesen: «Soll und Haben», Seite 56

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Anton legte seine Hand in die des Kaufmanns und sprach: »Leben Sie wohl.«

Der Kaufmann aber hielt die Hand Antons fest und sagte lächelnd: »Nicht so schnell; ich lasse Sie noch nicht fort. – Denken Sie, daß es Ihr ältester Bekannter ist, der Sie jetzt ersucht, zu bleiben«, fügte er ernst hinzu, als Anton noch immer an der Tür stand.

»Ich bleibe heut abend, Herr Schröter«, sagte Anton mit Haltung.

Der Kaufmann führte ihn zum Sofa. »Manches habe ich von Ihren Abenteuern gehört, aus Ihrem Munde möchte ich sie vollständiger erfahren. Und auch Sie werden Interesse daran nehmen, wie es uns ergangen ist; davon zuerst.« Er begann zu erzählen, was unterdes in der Handlung geschehen war. Es war kein heiteres Bild, das er Anton zeigte, aber sein Bericht bannte aus Antons Herzen einen Teil der Kälte, welche der herbe Empfang des Prinzipals angesammelt hatte, denn Anton verstand, welches Vertrauen der Kaufmann ihm durch seine Worte schenkte. Dieser erwähnte manches, was der Geschäftsmann nur selten seinen Freunden mitteilt, alle wichtigeren Geschäfte, den geringen Gewinn und die großen Verluste des letzten Jahres.

Nach und nach zog wieder Friede und ein Schimmer von Behagen durch das Haus, alle guten Hausgeister, die während der Unterredung zwischen den beiden Männern erschreckt in die Mauselöcher gekrochen waren, steckten jetzt mutig die Köpfe hervor, und die unter dem Geheimbuch fingen an, gegen die andern vertraulich zu werden.

Unvermerkt war Anton in das Geschäft zurückversetzt, schnell machte er alle Stimmungen des Jahres noch einmal durch, wieder rötete sich seine Wange, sein erloschenes Auge erhielt Glanz, und unwillkürlich begann er von den Geschäften der Handlung zu sprechen, als gehörte er noch dazu. Da hielt ihm der Kaufmann wieder mit trübem Lächeln die Hand hin, und Anton schlug herzhaft ein, die Versöhnung war geschlossen.

»Und jetzt sprechen wir von Ihnen, lieber Wohlfart«, fuhr der Kaufmann fort. »Sie haben mir einst über Ihre Tätigkeit für den Freiherrn Mitteilung gemacht, die ich damals ungeduldig zurückwies, jetzt bitte ich Sie, mir zu erzählen, was Sie dürfen.«

Anton berichtete, was kein Geheimnis war; der Kaufmann hörte gespannt, ja ängstlich auf alles, was Anton von den Geschäften des Freiherrn und seiner eigenen Arbeit erwähnte. Anton sprach mit Zurückhaltung, denn sein Stolz bäumte in der Stille gegen das Ausfragen auf. Aber er gönnte dem Kaufmann doch manches, was dazu half, diesen getrosten Muts zu machen.

»Erlauben Sie mir, auch über Ihre Zukunft zu reden«, begann der Kaufmann endlich und erhob sich von seinem Stuhl. »Nach dem, was Sie mir angedeutet haben, fordere ich Sie nicht auf, die nächsten Jahre in meinem Geschäft zuzubringen, so wertvoll Ihre Hilfe mir gerade jetzt wäre. Aber ich bitte, daß Sie mir überlassen, eine Stellung zu suchen, die für Sie paßt. Wir wollen gemeinsam prüfen und uns darin nicht übereilen. Unterdes bleiben Sie in den nächsten Wochen bei uns. Ihr Zimmer ist leer, alles darin unverändert. Wie ich höre, haben Sie in diesen Monaten ohnedies noch eine Verpflichtung zu erfüllen. Davon werden Sie sich unterdes befreien können. Und wenn Sie Zeit und Lust haben, mir nebenbei im Kontor zu helfen, so wird mir das sehr willkommen sein. – Was Ihr Verhältnis zu meinem Haus betrifft«, fuhr er ernster fort, »so vertraue ich Ihnen vollständig. Es ist mir Bedürfnis, Ihnen das zu beweisen, auch deshalb mache ich Ihnen den Vorschlag.«

Anton sah schweigend vor sich nieder.

»Ich mute Ihnen nichts Peinliches zu«, sagte der Kaufmann. »Sie wissen, wie es in unserm Haushalt zugeht, man muß manchmal die Gelegenheit sehr suchen, miteinander zu sprechen. Für Sabine und für Sie wünsche ich auf einige Wochen das Zusammenleben in der alten Weise, und wenn die Zeit kommt, ein ruhiges Scheiden. Ich wünsche das auch meiner Schwester wegen, Wohlfart«, fügte er mit Offenheit hinzu.

Unterdes ging Sabine unruhig in ihrem Zimmer umher und lauschte auf einen Ton aus der Arbeitsstube des Bruders. Aber wie oft ihr traurige Gedanken kamen, heut vermochten sie sich nicht festzusetzen. Wieder knisterte das Feuer, und wieder lauschte sie auf den Schlag der Uhr, aber das Tannenholz knackte und prasselte heut lustig im Ofen und machte einen ungewöhnlichen Lärm. Unaufhörlich fuhren kleine Freudenraketen in der Glut umher, und die Funken flogen durch das Zugloch der Ofentür mitten in die Stube. Sie konnte nicht traurig werden, und sie konnte sich nicht ängstigen, denn immer wieder tickte die Uhr in ihre Gedanken: Er ist gekommen, er ist da!

Die Tür öffnete sich, die Tante trat eilig herein. »Was höre ich!« rief die Tante. »Ist es möglich? Franz behauptet, daß Wohlfart bei deinem Bruder ist.«

»Er ist da«, sagte Sabine abgewandt.

»Was ist das wieder für ein geheimnisvolles Benehmen«, fuhr die Tante unzufrieden fort. »Warum bringt Traugott ihn nicht herüber? Und in seiner Stube ist noch nichts zurechtgemacht. Wie kannst du so ruhig hier stehen, Sabine? Ich begreife dich nicht.«

»Ich warte«, sagte Sabine leise, aber sie selbst faßte mit einer Hand nach der andern und hielt sie am Gelenk fest, denn die Hand zitterte.

Da näherten sich Männerschritte dem Zimmer, der Kaufmann trat mit Anton ein und rief schon an der Tür: »Hier ist unser Gast.« Und als Anton und die Tante einander freudig begrüßten, sagte der Kaufmann: »Herr Wohlfart wird einige Wochen bei uns wohnen, bis er eine Stelle gefunden hat, wie ich sie für ihn wünsche.« Höchlich erstaunt hörte die Tante diesen Beschluß, und Sabine rückte stark mit den Tassen, um ihre Unruhe zu verbergen. Aber keine der Frauen machte eine Bemerkung, und die eifrige Unterhaltung an der Abendtafel überdeckte die Bewegung, welche in allen nachzitterte. Jeder hatte viel zu fragen und viel zu erzählen, denn für alle war das letzte Jahr reich an großen Begebenheiten gewesen. Wohl war ein Zwang bemerkbar auch in Antons Haltung, als er von seinem Leben in der Fremde sprach, von Fink und von der deutschen Kolonie, die sich auf dem Gute festgesetzt hatte. Und mit gesenktem Haupt hörte Sabine auf seine Worte. Aber der Kaufmann wurde immer heiterer, und als Anton sich erhob, um nach seinem Zimmer zu gehen, da lag auf dem Angesicht des Kaufmanns fast das gütige Lächeln von ehedem, kräftig schüttelte er Antons Hand und sagte im Scherz: »Schlafen Sie wohl und achten Sie auf Ihren Traum in der ersten Nacht; man sagt, ein solcher Traum geht in Erfüllung.«

Und als Anton sich entfernt hatte, zog der Kaufmann die Schwester in das dunkle Nebenzimmer, dort küßte er sie auf die Stirn und sprach ihr leise ins Ohr: »Er ist brav geblieben, das hoffe ich jetzt mit ganzer Seele!« Und als er mit ihr wieder in das Helle trat, da glänzte es feucht in seinem Auge, und er fing an, die Tante mit ihrer stillen Neigung für Wohlfart zu necken, so daß die gute Tante endlich die Hände zusammenschlug und ausrief: »Der Mann ist heut ganz ausgelassen!«

Ermüdet und angegriffen warf sich Anton aufs Lager. Freudenleer erschien ihm seine Zukunft, und der Gedanke an die bittern Empfindungen des Abends und an den stillen Kampf der nächsten Wochen lag schwer auf seinem Herzen. Und doch sank er kurz darauf in ruhigen Schlummer. – Und es wurde wieder still in dem Patrizierhaus. – Es war ein nüchternes altes Haus mit vielen Ecken und einigen verborgenen Winkeln. Es war gar kein Ort für glühende Schwärmerei und auflodernde Leidenschaft. Aber es war auch ein gutes Haus, und es deckte sicher jeden, der in seinen Mauern schlief. Und wieder waren die kleinen Heimlichen heut nacht geschäftig, sie fuhren durcheinander und schwatzten und lachten, und in alle Räume summte die Nachricht, daß das Kind der Handlung zurückgekehrt war, und der Gips auf dem Postamente sah stolz auf den schlafenden Anton nieder, hob feierlich seinen hübschen geringelten Schwanz in die Luft und schnurrte die ganze Nacht hindurch.

3

Am nächsten Morgen eilte Anton zu Ehrenthal. Der Kranke war für ihn nicht zu sprechen, die Frauen empfingen ihn so feindselig, daß er es für schädlich hielt, ihnen irgend etwas über den Zweck seines Besuches zu sagen. Er ließ deshalb an demselben Tage dem Anwalt Ehrenthals durch Justizrat Horn anzeigen, daß zwanzigtausend Taler bereit lägen, um die Ansprüche Ehrenthals auf diese Summe zur Stelle zu tilgen, für die übrigen Forderungen, welche Ehrenthal – ohne Berechtigung – gegen den Freiherrn erhoben hatte, sollte richterliche Entscheidung abgewartet werden. Der Anwalt des Gläubigers weigerte sich, diese Zahlung anzunehmen. Sofort ließ Anton bei Gericht die nötigen Schritte tun, um Ehrenthal zur Annahme der Summe und zum Verzicht auf die Ansprüche, die er ihretwegen erhob, zu zwingen.

Es war gegen Abend, als Anton einen alten Kontorrock anzog und mit eiligem Geschäftstritt in das Haus von Löbel Pinkus trat. Durch das Fenster sah er in die kleine Branntweinstube. Er fand den würdigen Pinkus hinter seinem Schenktisch und richtete eine kurze kaufmännische Frage aus: »Herr T. O. Schröter läßt fragen, ob Schmeie Tinkeles aus Brody angekommen ist oder ob er erwartet wird? Er soll sich sogleich wegen des Geschäfts in der Handlung einfinden.«

Pinkus erwiderte vorsichtig, Tinkeles sei nicht anwesend und er wisse nicht, ob und wann dieser kommen werde. Tinkeles spreche manchmal bei ihm vor, manchmal auch nicht, die Sache sei unsicher. Er werde übrigens den Auftrag ausrichten, wenn er den Mann sehe.

Am andern Tag öffnete der Diener die Tür Antons, und Schmeie Tinkeles schlüpfte in das Zimmer. »Willkommen, Tinkeles!« rief Anton ihm entgegen und sah mit trübem Lächeln auf den Mann im Kaftan.

Der Händler war überrascht, als er sich Anton gegenüber fand. Über sein schlaues Gesicht flog ein Schatten, und eine innere Unruhe wurde aus dem lebhaften Gewirbel sichtbar, womit er seine Freude über das Wiedersehen auszudrücken suchte. »Gottes Wunder, daß ich Sie leibhaftig wiedersehe, ich habe mich oft erkundigt im Geschäft bei Schröter und habe nicht können erfahren, wo Sie hingereist sind. Ich habe immer gern mit Ihnen zu tun gehabt, wir haben doch zusammen gemacht manchen schönen Kauf.«

»Wir haben auch Krieg miteinander geführt, Tinkeles«, warf Anton dazwischen.

»Es war ein schlechtes Geschäft«, sagte Tinkeles ablenkend, »es sieht jetzt traurig aus mit dem Handel, das Gras wächst auf den Landstraßen. Es ist gewesen eine böse Zeit im Lande. Der beste Mann, wenn er sich schlafen gelegt, hat es nicht gewußt, ob er morgen noch wird Beine haben zum Stehen.«

»Ihr habt es doch durchgemacht, Tinkeles, und ich nehme an, die Zeit ist Euch nicht schlecht bekommen. Setzt Euch, ich habe mit Euch zu reden.«

»Wozu setzen?« fragte der Jude mißtrauisch, als Anton nach der Tür ging und diese verriegelte. »Beim Geschäft hat man keine Zeit zum Sitzen. Verzeihen Sie, was verriegeln Sie die Tür? Man braucht keinen Riegel, wenn man machen will Geschäfte, es stört uns niemand.«

»Ich will mit Euch etwas im Vertrauen besprechen«, sagte Anton, vor den Händler tretend, »es soll Euer Schade nicht sein.«

»So sprechen Sie«, sagte Tinkeles, »aber lassen Sie offen die Tür.«

»Hört mich an«, begann Anton. »Ihr erinnert Euch an die letzte Unterredung, die wir hatten, damals, als wir auf der Reise zusammentrafen.«

»Ich erinnere mich an nichts«, sagte der Händler kopfschüttelnd und sah unbehaglich nach der Tür.

»Ihr gabt mir damals einen guten Rat, und als ich mehr von Euch erfahren wollte, wart Ihr aus der Stadt verschwunden.«

»Das sind alte Geschichten«, antwortete Tinkeles immer unbehaglicher. »Ich kann mich jetzt nicht erinnern, ich habe auch zu tun auf dem Markt, ich dachte, Sie wollten mit mir reden von einem Geschäft.«

»Es ist ein Geschäft, von dem wir sprechen, und es kann für Euch ein gutes Geschäft werden«, sagte Anton nachdrücklich. Er ging an seinen Schreibtisch und holte eine Geldrolle heraus, die er vor Tinkeles auf den Tisch legte. »Diese hundert Taler gehören dem, welcher mir eine Nachricht gibt, die ich brauche.« Tinkeles sah mit einem scheuen Seitenblick auf die Rolle und erwiderte: »Hundert Talerstücke sind gut, aber ich kann keine Nachricht geben, ich weiß von nichts; ich kann mich nicht besinnen. Sooft ich Sie sehe, fangen Sie an von ärgerlichen Sachen«, schloß er unwillig, »es ist mir kein Glück, wenn ich habe mit Ihnen zu tun, ich habe immer nur gehabt Not und Kummer.«

Anton ging schweigend zu seinem Pult und holte eine zweite Geldrolle, die er neben die erste legte. »Zweihundert Taler«, sagte er, ergriff die Kreide und schloß die Rollen durch vier Striche ein. »So viel ist Euer, wenn Ihr mir die Auskunft geben könnt, die ich haben will.« Die Blicke des Galiziers hefteten sich sehnsüchtig auf das Viereck. Anton stand daneben und wies schweigend mit dem Finger darauf. Der Händler kämpfte einen schweren Kampf, er sah auf Anton und verzog sein Gesicht zu einem harmlosen Lachen, er versuchte unbefangen auszusehen und blickte wie gleichgültig in der Stube umher; aber immer wieder fiel sein Blick auf Antons Zeigefinger und das weiße Viereck auf dem Tische. Keiner sprach, das stumme Schweigen dauerte einige Augenblicke, und doch war es eine lebhafte und beredte Unterhaltung. Immer glänzender wurden die Augen des Galiziers, immer unruhiger seine Gebärden, er zuckte mit den Schultern, hob die Brauen in die Höhe und rang heftig, von dem Zauber loszukommen, der ihn festbannte. Endlich wurde ihm der Zustand unerträglich. Er griff mit der Hand nach den Rollen.

»Erst redet«, sagte Anton und hielt die Hand über das Geld.

»Seien Sie nicht so hart gegen mich«, bat Tinkeles.

»Hört mich an«, sagte Anton. »Ich will nichts Unrechtes von Euch, nichts, was ein ehrlicher Mann einem andern verweigern dürfte; ich könnte vielleicht Eure gerichtliche Vernehmung durchsetzen und ohne Kosten zu sichern Geständnissen kommen; ich weiß aber von früher, welchen Widerwillen Ihr gegen das Gericht habt, und auch deshalb biete ich Euch das Geld. Verstündet Ihr eine andere Sprache, so würdet Ihr mir sagen, was Ihr wißt, wenn ich Euch erzähle, daß eine Familie unglücklich geworden ist deshalb, weil Ihr mir früher nicht alles gesagt habt. Diese Sprache aber würde bei Euch nichts nützen.«

»Nein«, sagte Tinkeles ehrlich, »sie würde nichts nützen. Lassen Sie sehen das Geld, das Sie haben hingelegt für mich. Sind es richtig zweihundert Talerstücke?« fuhr er fort, auf die Rollen starrend. »Es ist gut, ich weiß, sie sind richtig. Fragen Sie mich, was Sie wollen wissen.«

»Ihr habt mir gesagt«, begann Anton, »daß Itzig, der frühere Buchhalter Ehrenthals, darauf ausging, den Freiherrn von Rothsattel zu ruinieren.«

»Ist es nicht gewesen, wie ich habe gesagt?« fragte Tinkeles.

»Ich habe Grund, anzunehmen, daß Ihr wahr gesprochen. Ihr habt damals zwei erwähnt, wer ist der andere?«

Der Händler stockte; Anton griff nach den Geldrollen. »Lassen Sie liegen«, bat Tinkeles, die Hand bewegend. »Der andere heißt Hippus, wie ich habe vernommen. Er ist ein alter Mann und hat gewohnt lange Zeit bei dem Löbel Pinkus.«

»Ist er vom Geschäft?« fragte Anton.

»Er gehört nicht zu unsern Leuten und ist nicht vom Geschäft, er ist vertauft, er ist gewesen Sachwalter.«

»Habt Ihr mit Itzig in irgendeinem Geschäft zu tun?« fragte Anton weiter.

»Soll mich bewahren der gerechte Gott vor diesem Menschen«, rief Tinkeles. »An dem ersten Tage, wo er ist gekommen in die Stadt, hat er mir wollen aufmachen den Schrank, worin sind gewesen meine Sachen. Ich habe gehabt meine Mühe, ihn zu verhindern, daß er mir nicht hat genommen meine Kleider. Er nimmt’s von den Lebendigen. Ich mag nichts zu tun haben mit einem solchen Menschen.«

»Um so besser für Euch«, antwortete Anton; »jetzt hört mir zu. Dem Freiherrn ist ein Kasten gestohlen worden, in welchem wichtige Papiere aufbewahrt wurden. Der Diebstahl ist in dem Kontor Ehrenthals verübt worden. Habt Ihr zufällig etwas über den Diebstahl gehört, oder habt Ihr Argwohn, wer der Dieb sein könnte?«

Der Galizier sah unruhig in der Stube umher, auf Anton und die Rollen, und sagte entschlossen, die Augen zudrückend: »Ich weiß von nichts.«

»Um so besser für Euch«, antwortete Anton. »Jetzt hört mir zu. Und gerade dies will ich von Euch erfahren; und dies Geld ist für den, der mir darüber Auskunft gibt.«

»Wenn ich also muß reden«, sagte der Galizier, »so soll es gesagt sein. Ich habe gehört, daß der Mensch, welcher heißt Hippus, als er ist gewesen betrunken, hat geschrien und hat gesagt: ›Jetzt haben wir den Rotschwanz, er ist geliefert, wegen der Papiere ist er geliefert.‹«

»Und weiter wißt Ihr nichts?« fragte Anton in ängstlicher Spannung.

»Nichts«, sagte der Galizier, »es ist lange her, und ich habe nur wenig können verstehen, was sie haben miteinander gesprochen.«

»Ihr habt das Geld, welches hier liegt, Euch nicht verdienen können«, entgegnete Anton nach einer Pause, »was Ihr mir gesagt habt, ist wenig. Damit Ihr aber seht, daß mir daran liegt, von Euch Auskunft zu erhalten, so nehmt hier diese hundert Taler; das zweite Hundert ist Euer, sobald Ihr mir irgendeine Spur des gestohlenen Kästchens oder der entwendeten Papiere schaffen könnt. Vielleicht ist das Euch nicht unmöglich.«

»Es ist nicht möglich«, sagte der Galizier bestimmt, die empfangene Geldrolle in der Hand wägend und die zweite betrachtend. »Was der Itzig tut, tut er nicht so, daß ein anderer auf seinen Weg sehen kann, und ich bin doch nur ein Fremder im Ort und mache keine Geschäfte mit Spitzbuben.«

»Versucht es doch, die Spur zu finden«, entgegnete Anton. »Sobald Ihr etwas erfahrt, bringt mir Nachricht, dies Geld hebe ich für Euch auf. Ich habe nicht nötig, Euch zu sagen, daß Ihr sehr vorsichtig sein und unter Umständen vermeiden müßt, dem Itzig oder seinen Spießgesellen Argwohn zu geben. Verratet gegen niemand, daß Ihr mich kennt.«

»Ich bin kein Kind«, antwortete Tinkeles beistimmend, »aber ich fürchte, ich werde Ihnen nichts dienen in dieser Sache.«

So entfernte sich der Galizier, nachdem er die Geldrolle in die Tasche seines Kaftans versenkt hatte.

Anton hatte den Namen dessen erfahren, der vielleicht den Diebstahl verübt hatte. Es war ihm die Möglichkeit gegeben, an diesen Namen weitere Nachforschungen zu knüpfen. Aber die Schwierigkeit, die fehlenden Dokumente ohne Hilfe der Behörde wiederzuerlangen, wurde immer größer. Unter diesen Umständen faßte er den Entschluß, welcher einem Kaufmann näher lag als einem Beamten. Es war ein gewagter Schritt, aber er bot die Möglichkeit, in kurzer Zeit und ohne Aufsehen die Papiere in die Hand des Barons zurückzubringen.

Er wollte mit Itzig selbst in Verbindung treten und das wenige, was er durch den Galizier erfahren hatte, dem Verschlagenen, Gewissenlosen gegenüber so gut als möglich zu benutzen suchen. Wohl fühlte er, wie unsicher der Schritt sei und daß ein harter Kampf mit Itzig bevorstehe. Hätte er alles gewußt, was der unternehmende Geist des Agenten in sich herumtrug, er hätte noch mehr Bedenken gehabt, den Weg zu machen.

Itzigs verschmitzter Bursch öffnete die Tür. Anton stand seinem Schulkameraden gegenüber. Der Agent wußte bereits, daß Anton von dem Gut bei Rosmin nach der Stadt zurückgekehrt war, und hatte sich auf diesen Besuch vorbereitet. Einen Augenblick betrachteten die beiden Männer einander, beide bemüht, in Gesicht und Haltung des Gegners zu lesen und sich zu dem beginnenden Kampf zu rüsten. Beiden hatte ein vieljähriger vorsichtiger Verkehr mit Menschen und den Interessen des Handels einiges Gleichartige gegeben. Beide waren gewöhnt, den Schein kaltblütiger Ruhe zu behaupten und das Ziel, das sie erreichen wollten, zu verbergen, beide waren gewöhnt an schnelle Überlegung, an behutsames Sprechen, an kühle Haltung, beide zeigten auch in Sprache und Gebärde etwas von der Form, welche der kaufmännische Verkehr dem Geschäftsmann verleiht, beide waren heut in einer großen inneren Aufregung, welche die Wange Antons rötete und die Backenknochen Veitels mit einem hellen Schimmer überzog. Aber dem klaren Blick Antons begegnete das Auge des Gegners unruhig und lauernd, dem herben Ernst seiner Haltung eine Mischung von Trotz und Unterwürfigkeit; beide erkannten im ersten Augenblick, daß der Gegner gefährlich und schwer zu besiegen sei, und beide sammelten ihre ganze Kraft. Der Kampf begann. Itzig eröffnete ihn in seiner Weise. »Es ist mir eine Freude, auch Sie einmal bei mir zu sehen, Herr Wohlfart«, sagte er mit plötzlicher Freundlichkeit. »Es ist lange her, daß ich nicht das Vergnügen gehabt habe, Ihnen zu begegnen. Ich habe doch immer ein großes Interesse genommen an Ihnen. Wir sind zusammen in der Schule gewesen, wir sind an einem Tage hierhergekommen, wir haben uns beide vorwärtsgebracht in der Welt. Ich hatte gehört, daß Sie seien gegangen nach Amerika. Die Leute reden so vieles. Ich hoffe, daß Sie jetzt wieder in der Stadt bleiben. Vielleicht treten Sie auch wieder in das Geschäft des Herrn Schröter, man sagt, er hat sehr bedauert Ihren Abgang.« – So flossen ihm die Worte von den Lippen, aber sein Blick suchte von allen Seiten durch die Außenseite Antons durchzudringen in das, was den Besuchenden beschäftigte.

Er hatte sich eine Blöße gegeben, als er sich anstellte, nicht genau zu wissen, wo Anton in der letzten Zeit gewesen war. Denn daß er den Namen Rothsattel zu nennen vermied, gab Anton die feste Überzeugung, er habe Grund, bei Nennung dieses Namens ungewöhnliche Vorsicht zu beobachten.

Anton begann, diesen Fehler Veitels benutzend, so kalt, als ob der andere seine ganze Rede in die Luft gesprochen hätte: »Ich komme, Herr Itzig, um in einer Geschäftsangelegenheit mit Ihnen Rücksprache zu nehmen. Sie sind mit den Verhältnissen des Familiengutes bekannt, welches dem Baron Rothsattel gehört und jetzt im Wege der notwendigen Subhastation verkauft werden soll.«

»Im allgemeinen bin ich damit bekannt«, antwortete Veitel und lehnte sich entschlossen an die Ecke des Sofas, »Wie man bekannt ist mit so etwas; ich habe manches darüber gehört.«

»Sie haben doch im Kontor von Ehrenthal dessen Geschäfte mit dem Baron, welche jahrelang verliefen und die Geldverhältnisse des Gutes betrafen, geleitet und müssen, wie sich voraussetzen läßt, dadurch genaue Einsicht erhalten haben. Da gegenwärtig mit Ehrenthal selbst seiner Krankheit wegen ein geschäftlicher Verkehr nicht möglich ist, so ersuche ich Sie um einige Auskunft.«

»Was ich etwa in Ehrenthals Kontor erfahren habe als Buchhalter«, sagte Itzig, »das habe ich im Vertrauen erfahren und kann es einem andern nicht mitteilen. Ich wundere mich, daß Sie so etwas von mir verlangen«, schloß er mit einem boshaften Blicke.

Anton erwiderte kaltblütig: »Ich verlange nichts, wodurch das Pflichtgefühl, welches Sie äußern, verletzt werden könnte. Es liegt mir daran, zu erfahren, in welchen Händen die Hypotheken gegenwärtig sind, welche auf dem Gute haften.«

»Das können Sie leicht erfahren durch einen Auszug aus dem Hypothekenbuch«, sagte Veitel mit wohlangenommener Gleichgültigkeit.

»Sie werden vielleicht gehört haben«, fuhr der angreifende Anton fort, »daß einige der Hypotheken in den letzten Monaten am hiesigen Platz aus einer Hand in die andere gegangen sind; die gegenwärtigen Besitzer sind jedenfalls im Hypothekenbuche nicht eingetragen. Es ist anzunehmen, daß die Instrumente aufgekauft sind, um einem Kauflustigen bei der Subhastation den Kauf entweder zu erleichtern oder auch zu erschweren.«

Bis hierher war das Gespräch eine alltägliche Vorbereitung zum ernsten Gefecht gewesen, etwa wie die ersten Züge im Schach oder wie der Anfang eines Wettrennens. Itzigs Ungeduld führte durch einen Sprung weiter hinein.

»Haben Sie Auftrag, das Gut zu kaufen?« fragte er plötzlich.

»Nehmen Sie an, ich habe einen solchen Auftrag«, versetzte Anton, »und ich wünschte mir dabei Ihre Mitwirkung zu sichern. Sind Sie imstande, mir in kürzester Zeit Auskunft zu verschaffen, und wollen Sie die etwa nötigen Verhandlungen wegen Ankaufs der Hypotheken übernehmen?«

Itzig überlegte. Es war möglich, daß Anton nur deshalb kam, um dem Freiherrn oder seinem Freunde Fink bei der Subhastation das Gut zu sichern. In diesem Fall war er in Gefahr, das stille Ziel langer Arbeit, gefährlicher Taten verrückt zu sehen. Wenn Fink durch sein Vermögen den Freiherrn deckte, so verlor Itzig das Gut. Dann mußte er einen andern Weg einschlagen, sich von dem Baron Geld zu machen. Während er dies in stürmischer Bewegung überlegte, sah er, wie forschend Anton auf ihn blickte. Er schloß daraus mit dem Scharfsinn eines bösen Gewissens, daß Anton etwas von seinen Plänen erraten habe und daß er noch anderes von ihm wolle. Wahrscheinlich war dieser Antrag nur Finte. Er beeilte sich daher, mit großer Geläufigkeit seine Mitwirkung zu versprechen, und äußerte die Hoffnung, daß ihm wohl gelingen werde, die gegenwärtigen Besitzer der Hypotheken noch zur rechten Zeit zu ermitteln.

Anton sah, daß der Schurke ihn verstanden hatte und auf seiner Hut war. Er änderte den Angriff.

»Kennen Sie einen gewissen Hippus?« fragte er schnell und sah seinem Gegner scharf ins Gesicht.

Einen Moment zuckten die Augenlider Itzigs, und die leise Röte zeigte sich wieder auf seiner Wange. Zögernd, als suche er den Namen in seinem Gedächtnis, antwortete er: »Ja, ich kenne ihn. Er ist ein heruntergekommener, nichtsnutziger Mann.«

Anton merkte, daß er den rechten Punkt getroffen hatte. »Vielleicht erinnern Sie sich, daß vor ein und einem halben Jahr aus dem Kontor Ehrenthals eine Kassette des Freiherrn mit Papieren und Dokumenten gestohlen wurde, welche für den Freiherrn große Wichtigkeit haben.«

Itzig saß ruhig, nur seine Augen fuhren unsicher hin und her. Kein Fremder würde dies Zeichen eines bösen Gewissens erkannt haben, aber Anton sah in den veränderten Zügen deutlich das alte Gesicht des Ostrauer Schulkameraden, dasselbe Gesicht, welches der Knabe Veitel gemacht hatte, wenn ihm der Diebstahl einer Feder oder eines Bogens Papier vorgeworfen wurde. Itzig wußte um die Papiere, er wußte um den Diebstahl.

Endlich erwiderte der Agent gleichgültig: »Ich habe von der Kassette gehört, es war, kurz bevor ich Ehrenthals Geschäft verließ.«

»Wohl«, fuhr Anton fort, »die gestohlenen Papiere konnten für den Dieb keinen Wert haben. Es ist aber Grund, anzunehmen, daß diese auf irgendeine Weise in die Hände eines Dritten hier am Orte gekommen sind.«

»Das ist nicht unmöglich«, antwortete Itzig, »aber für wahrscheinlich halte ich nicht, daß jemand wertlose Papiere so lange aufhebt.«

»Ich weiß«, sagte Anton mit Nachdruck, »daß die Papiere vorhanden sind, ja ich weiß, daß sie dazu benutzt werden sollen, von dem Baron auf irgendeine Weise Vorteile zu erlangen.«

Itzig bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl, er sah vor sich nieder, und die Flecke auf seiner Wange wurden röter, aber er schwieg, auch Anton machte eine Pause. Überlegend standen beide einander gegenüber. Endlich wurde dem Angegriffenen das Schweigen unerträglich, er rückte sich mit festem Entschluß zurecht, zwang sich, seinen Gegner anzusehen, und fragte mit heiserer Stimme: »Und wozu erwähnen Sie gegen mich diese Sache?«

»Sie sollen über das, was ich will, nicht im Zweifel bleiben«, sagte Anton. »Ich weiß, daß die Papiere hier vorhanden sind, ich habe Grund, anzunehmen, daß es Ihnen bei Ihrer Gewandtheit möglich sein wird, den Besitzer der Papiere zu ermitteln, Sie werden durch jenen Hippus die Auskunft erhalten können, welche Sie etwa noch brauchen.«

»Warum durch diesen?« fragte Veitel schnell.

»Er hat in Gegenwart von Zeugen Äußerungen getan, welche die Überzeugung begründen, daß er mit dem Inhalt jener Papiere genau bekannt ist.«

Itzig preßte die Zähne zusammen, und nur ein Murmeln wurde vernehmlich, welches, bis zu Worten verstärkt, ungefähr gelautet hätte: »Der betrunkene Schuft!«

Anton fuhr fort: »Der Freiherr hat die Rechte, welche Ehrenthal an die gestohlenen Schulddokumente hat, durch gerichtliche Hinterlegung der betreffenden Summe bereits abgekauft. Die Kassette und ihr Inhalt sind Eigentum des Freiherrn. Wenn durch Ihre Hilfe die Papiere geschafft und den Händen des Freiherrn oder seines Bevollmächtigten übergeben werden können, so würde der Freiherr, dem weniger an der Verfolgung des Diebes als an Wiedererlangung der Papiere gelegen ist, bereit sein, eine Summe dafür zu zahlen.«

Wohl hatte dieser Antrag für Itzig viel Lockendes, selbst er hatte in der ganzen Zeit den Druck des Verbrechens gefühlt, mit steigendem Widerwillen hatte er die Kameradschaft des trunksüchtigen Hippus ertragen. Wenn jetzt fremdes Geld dem Baron zu Hilfe kam, wenn er selbst die Aussicht, das Gut zu erwerben, aufgeben mußte, so war der Augenblick gekommen, wo er gegen eine gute Summe das verhängnisvolle Papier in die Hände des Freiherrn zurückgeben konnte. Aber das angebotene Geschäft war auch gewagt, wenn Anton nach Auslieferung der Papiere noch an Verfolgung des Diebes dachte. Deshalb fragte Itzig: »Wenn dem Baron so viel daran liegt, die Kassette wiederzuerhalten, wie kommt es, daß damals, als sie verschwunden war, so wenig Lärm gemacht wurde, weder von Ehrenthal noch von dem Baron selbst? Ich habe nicht gehört, daß der Polizei Anzeige zugekommen ist und daß man Nachforschungen angestellt hat.«

Diese Frechheit empörte Anton. Er antwortete gereizt: »Der Diebstahl war von Umständen begleitet, welche für Ehrenthal eine Untersuchung peinlich machen mußten, die Kassette verschwand aus seinem verschlossenen Kontor, vielleicht unterblieb aus solchen Rücksichten die gerichtliche Nachforschung.«

Itzig erwiderte: »Wenn ich mich recht erinnere, sagte Ehrenthal damals zu seinen Bekannten, daß die Untersuchung unterbliebe aus Rücksicht auf den Baron.« Anton empfand tief diesen Hieb des Gauners, er dachte an Lenore, an die große Zahl demütigender Empfindungen, welche die Familie in den letzten Jahren gehabt hatte, und vermochte nur mühsam seine Ruhe zu behaupten, als er sagte: »Vielleicht hatte der Baron noch andere Gründe, in jener Zeit die Sache fallen zu lassen.«

Jetzt war Veitel sicher. An Antons unterdrücktem Ärger erkannte er, wie lebhaft dieser die Notwendigkeit fühlte, den Freiherrn zu schonen; sein Anerbieten war ernstlich gemeint, der Freiherr hatte Angst vor dem Diebe. Und von diesem Augenblick bekam er alle Ruhe wieder, sein Benehmen wurde so kalt und sicher, daß Anton empfand, er sei in Nachteil gesetzt und sein schlauer Gegner entschlüpfe ihm unter den Händen, denn sogleich begann Itzig: »Soweit ich den Hippus kenne, ist er ein unzuverlässiger Mensch, der sich oft betrinkt. Wenn er im Trunke etwas gesagt hat, so fürchte ich, wird es uns nicht viel helfen, zu den Papieren zu kommen. Hat er ihnen denn sichere Anzeige gebracht, worauf wir ihm Anerbietungen machen können?«