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Buch lesen: «Die Ahnen», Seite 73

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»Vernahm ich recht, so war von einem Duellium die Rede.«

»Es ist nichts damit,« entschuldigte sich Georg mit bösem Gewissen, »er hatte sich früher gerühmt, daß er jedem Kinde von Thorn feindlich sein wollte, und kam heut zu sagen, daß er verhindert sei, gegen uns zu reiten.«

»Der lange Henner ist mit allen jungen Gesellen vom Artushofe verfeindet,« erzählte auch Eske, der in der Rede häufig zu spät kam, »denn er hat sich geweigert, auf der Stechbahn gegen uns zu stechen, weil unser Adel, wenn unsere Väter ihn auch gehabt hätten, durch Tinte bekleckst und durch die Gewandschere zerschnitten sei. Es ist jedem unleidlich, das zu hören.«

»Darum also wollte er nicht mit Georg raufen?« fragte der Magister ernsthaft.

»Bei diesem«, fuhr Eske vorsichtig fort, »will er eine Ausnahme machen, weil ihre Vorväter Landsleute gewesen wären aus Thüringen, wir aber stammten aus Westfalen; und er sagt, ein Vorfahr des Georg hätte lange als Knecht gedient bei einem seiner Vorfahren, deshalb habe er ein Recht, sich mit Georg zu schmeißen und ihn zu schlagen, sooft es ihm gefiele.«

»Du könntest auch Besseres tun, Lips, als den Frauen die ungefügen Reden des wüsten Junkers vorerzählen«, unterbrach ihn Georg mit einem furchtsamen Blick auf das ernste Gesicht der Jungfrau. »Aber hier ist ein Gast, welcher sein Schüßlein noch nicht erhalten hat«, und er bückte sich zu Ajax, der wohl wußte, wer Wirt war, denn er saß still neben ihm und bat mit Schweif und Pfoten. Georg goß Milch in eine Schale, brockte Weißbrot ein und setzte das Gericht neben Annas Stuhl auf den Boden, aber er gewann keinen dankenden Blick.

Jetzt nahm der Magister das Wort und sprach Gelehrtes über den Unterschied zwischen deutschen Rittermäßigen und römischen Rittern, die deutsche Reitersitte sei ungeschickt und barbarisch, bei den Römern aber sei sie weit besser gewesen, »denn«, sagte er, »die römischen Ritter vergeudeten nicht, sondern sammelten Geld und hielten auch für ehrenvoll, durch Kaufmannschaft vorwärts zu kommen.« Er wurde heiter durch seine Rede und den Met, und da unterdes alle dem Vesperbrot Ehre erwiesen hatten und da die Vogtin mit einer Hand voll großer grüner Blätter hereinkam, und den Frauen viel von dem Weizengebäck einpackte, damit sie es in den Körben heimtrügen, so erhob sich auch der Magister und erklärte seine Beistimmung, als Georg um die Erlaubnis bat, den Gästen das Gutsland und die Gegend zu zeigen. Die Gesellschaft brach auf, Georg gab dem Dobise, der unterdes vom hohlen Baume zurückgekehrt war, einen Wink, worauf dieser zwei Lauten aus der Kammer holte und hinter ihnen hertrug. So schritten sie aus dem Hofe und zwischen dürftigen Hütten des kleinen Dorfes dahin. Die Dorfleute saßen gedrängt in der Schenke, aus welcher eine Sackpfeife klang; wer in der Tür stand, grüßte unterwürfig den Herrensohn und mit finsteren Blicken den Vogt, der den Gästen mit seinem großen Amtsstock folgte. Die Kinder des Dorfes starrten von den Hausschwellen neugierig auf die Fremden, ein übel bekleidetes Völklein, die meisten barfüßig, die kleineren nur im groben Hemde, und als Anna sich nach den rundlichen Wangen und blauen Augen umsah und einem Krauskopf die Wange streichelte, kam die ganze Schar nachgezogen, aus Furcht vor dem Stock des Vogtes in geziemender Entfernung.

Die Gäste durchschritten einen Wiesengrund und betraten den hochstämmigen Laubwald. Der unebene Fußpfad führte zu einer Lichtung, in welcher eine riesige Eiche stand, die Herrin des Waldes, umgeben von ihrem grünen Hofgesinde. Zwischen den hohen Wurzeln des Baumes war ein Balkenstück als Holzbank eingeklemmt, auch in der Höhe sah man über den mächtigen Ästen die morschen Bohlen, einst Boden und Seitenwände eines Baumhauses, wie es hier und da als Sommerlaube in den Ritterburgen und als Jagdhütte in den Wäldern zu finden war. In der Lichtung war es still und feierlich wie in einer Kirche, nur zuweilen klang von dem hohen Gipfel der klagende Schrei eines Raubvogels. »Hier ist ein philosophischer Sitz«, rühmte der Magister sich schnell setzend und die Mütze lüftend, da der unebene Pfad ihm warm gemacht hatte. Georg aber sah nach Dobise mit den Lauten zurück, und Anna erriet wohl seine Gedanken. Denn nachdem alle eine Weile still geruht hatten, begann sie: »Die Nachtigall höre ich nicht mehr und auch der Kuckuck schweigt, er hat sich wohl, wie das Lied im Scherze sagt, zu Tode gefallen in einer alten Weiden«, und sie begann mit leiser Stimme die Melodie. Da faßte Georg schnell die eine Laute, reichte dem treuen Philipps die andere und beide nahmen zur Stelle die Weise auf: »Wer soll uns nun, wer soll uns nun die liebe Zeit vertreiben.« Kräftig fuhren die Jünglinge fort: »Ei, das soll tun Frau Nachtigall.« Und Georg hörte während des Singens mit Entzücken, wie Anna mitsang und künstlich in hoher Stimme trillerte, ganz als wollte sie die Nachtigall nachahmen. Auch der Magister summte im Baß »Kuckuck« dazu. Als das Lied zu Ende war, lachten alle gegeneinander, die Spieler begannen eine andere noch feinere Weise ohne Gesang, und darauf stimmten Wirt und Gäste in schöne Lieder ein, welche sie gemeinsam vermochten.

Anna wurde von Herzen vergnügt; Georg gefiel ihr heut ausnehmend gut, wie er in blühender Jugend mit dem Rosse sprang, daß er sich ritterlich gegen den Vater hielt, daß er so froh war, sie im Hause zu begrüßen und so bescheiden den Wirt machte mitten in allem Überfluß des Reichtums. Wohl hatte er sie durch sein schnelles Losfahren gegen den Fremden geängstigt, und auch am Tische hatte der reiche Haushalt sie bedrückt, aber das alles war vergessen, seit sie miteinander sangen, und sie fühlte sich ihm so vertraulich, als ob sie zu ihm gehöre. Als sie während des Ausruhens fröhlich um sich sah, merkte sie, daß sie nicht allein waren, am Rande der Lichtung lagerten die Dorfkinder, die kleinen saßen auf der Erde, den Finger im Munde, alle staunten unverwandt die vornehmen Stadtleute an. Da ergriff Anna schnell einen Handkorb, der neben ihr stand, eilte zu ihnen und sprach: »In dem Korbe ist Süßes für euch, ihr Kleinen, seid fromm und sprecht ein Vaterunser.« Aber die Kinder glotzten sie an und regten sich nicht. »Die wissen nichts vom Vaterunser,« lachte der Vogt, »wo sollen sie es her haben, von den Eltern lernen sie eher Flüche und Schelmlieder.«

»Lieber Gott,« rief Anna erschrocken, »so lebt ihr ja als kleine Heiden dahin.« Sie beugte sich nieder, legte den Kindern der Reihe nach die Hände zusammen und gebot: »Sprecht mir alle die Worte nach, welche ich euch vorsage, damit der liebe Gott doch wenigstens eure Stimmchen hört, so bekommt ihr den Kuchen«, und sie sprach ihnen die erste Bitte nachdrücklich vor. Da schrien die Kinder hoffnungsvoll den frommen Gruß nach und die Jungfrau neigte das Haupt. Dann griff sie in den Korb und verteilte den Kuchen. Sie sah begeistert aus, wie damals in der Kirche.

Aber die Thorner sahen befremdet auf diese sorglose Verteilung, welche ihnen ungehörig und als eine Kränkung des Gutsherrn erscheinen mußte. Denn das Gebäck war aus Gastfreundschaft den Geladenen gewidmet und es war ihnen feierlich als angenehme Erinnerung beigepackt worden. Am tiefsten gekränkt war die Ratsbotin, da es ihr Handkorb war, aus dem die Jungfer ihre Verschwendung betrieb. Sie faßte den Korb und sagte mit scharfer Stimme: »Hierzulande ist es nicht Brauch, Jungfer Anna, Ehrengeschenke der Hauswirte vor ihren Augen zu vergeuden, am wenigsten aus fremdem Korbe.«

»Nehmt dafür den meinen,« antwortete Anna sich erhebend. Obgleich sie gutherzig lächelte, so dachten doch die Thorner, daß die Ratsbotin nicht ohne Grund ärgerlich war. Und Georg freute sich zwar, daß sie von den Kindern mit so sicherem Vertrauen zu ihm aufsah, als ob sie selbst die Gutswirtin wäre, aber er sagte doch leise zu seinem Gesellen Eske: »Ach, sie ist schön und hat als Nachtigall holdselig getrillert, aber ich fürchte, ihrem Gemüt ist alle irdische Freude gleichgültig.«

»Sie ist zu einer Nonne geboren,« versetzte Lips unwillig, und Georg dachte, »ich will und muß erfahren, ob sie mich so gering achtet wie unsern Kuchen.«

Anna hatte sich wieder zu den Kindern gebeugt, die ihr jetzt williger Bescheid gaben. Da rief eine schrille Stimme von der Seite: »Lehrt nur die deutschen Krähen singen, Junker Georg, hier vor Eurem Baume; der Tag wird kommen, wo die fremden Vögel wieder wegfliegen, große und kleine.« Eine alte Frau, verwittert und runzlig, wankte unter der Last eines schweren Korbes heran, stellte sich vor Georg hin und die grauen Augen in dem wankenden Kopf sahen scharf nach dem Herrensohn.

»Wollt Ihr schweigen, Alte«, rief Dobise herzueilend und versuchte die Frau wegzuführen, sie aber hielt sich mit ihrer Hacke an eine Baumwurzel.

»Laß deine Mutter, Dobise,« gebot Georg, »ich weiß, sie wünscht mir nichts Böses.«

»Denkst du daran, Junkerlein, daß ich dich einst auf den Armen hielt? Lange hast du der Alten nichts Gutes in das Haus gesandt, und doch gehe ich hier Jahr für Jahr um den Baum und sehe zu, wie die Krähen kommen und fliegen; ich höre, wie das Holz im Sturme kracht und ich fege den Schnee von den Wurzeln, damit die Seelen der Verstorbenen gute Bahn finden, wenn sie aus den Ästen zur Erde fahren.«

»Demens est,« rief der Magister.

Aber die Alte versetzte mit scharfem Ton, als wenn sie die Rede verstanden hätte: »Ich bin nicht schwachsinnig, deutscher Mann, und wenn die deutsche Glocke bimmelt, opfere ich den Heiligen mein Wachslicht so gut wie andere. Das Herrenkind versteht mich wohl, denn es ist von alten Leuten gesagt; als der Stamm in festem Holze stand, kamen seine Vorfahren in das Land, sie fällten ringsumher den Wald, sie zimmerten ihr grünes Lager unter dem Wipfel, und ihre Weiber und Kinder saßen in den Ästen. Von hier flogen sie über das Preußenland, ihrer wurden viele und unserer wenige. Solange der Baum grünt, soll das fremde Geschlecht in dem Lande herrschen. Grüßt Euren Vater, Georg, und sagt ihm, es rauscht in der Luft und die Unsichtbaren brauen einen Sturm, der Moder frißt in der Eiche, er soll seinen Sohn hüten«, und mit veränderter Stimme wiederholte sie: »Warum hast du der alten Mutter so lange nichts Gutes hinausgeschickt, ich singe deinetwegen und gehe für dich um den Baum, aber ich kann das Volk der Würmer nicht mehr aus dem Holze bannen.«

»Gut, Mutter, daß Ihr erinnert; geht heut abend auf den Hof, der Vogt wird Euch geben, was Euch erfreut,« und während Dobise die Alte abführte, gebot er dem unwilligen Vogt: »Der Vater will, daß ihr von Euch kein Leid geschieht, wenn sie auch wilde Reden verführt; sie ist harmlos und war eine Zeitlang meine Wärterin.« Und zum Magister fuhr er fort: »Diese und ihr Sohn sind eigene Leute des Gutes und stammen von den alten Preußen. Die Leute sagen, daß einst meine Vorfahren, als sie unter dem Kreuz in das Land kamen, bei dem Baume gerastet haben, und darum prophezeien sie allerlei. Sonst war das Sommerhaus dort oben in besserem Stande, ich selbst habe oben mit dem Flitzbogen geschossen, jetzt hat niemand daran gedacht, neues Gebälk einzuziehen.«

Anna hatte mit Anteil die Erklärung gehört. Als sie nun zur Heimat aufbrachen, machte sich‘s, daß Georg neben ihr ging, er half ihr das große Regentuch umlegen, denn die Sonne stieg niederwärts und es wurde kühl. Da begann sie: »Die Alte war doch eine schreckhafte Frau, und zu ihrem Sohne, Eurem Diener, könnte ich auch kein Zutrauen haben.«

»Er ist anstellig, und der Vater ist gewöhnt, ihm zu vertrauen.«

»Ich denke, Euer Herr Vater kommt selten auf das Gut.«

»Er sorgt doch in der Stille um alles, was hier vorgeht, aber er lebt schweigsam vor sich hin. Es werden bei uns im Hause nicht mehr Worte gemacht, als gerade nötig sind. Immer freue ich mich, wie der Herr Magister mit Euch verkehrt; Ihr seid freilich an Hausfrauen Statt und seine Stütze.«

»Ihr könnt gar nicht denken, wie gut der Herr Vater gegen mich und alle Welt ist«, versetzte Anna eifrig.

»Gern wüßten wir, ob der Herr Magister auch mit uns zufrieden ist«, fragte der schlaue Georg.

»Er mag wohl manchmal Ursache haben, zu tadeln«, sagte Anna lächelnd.

Das gab Georg bescheiden zu, und sich ein Herz fassend, fuhr er fort: »Ach, liebe Jungfer Anna, mehr noch als die Gesinnung Eures Herrn Vaters kümmert mich die Eure, denn ich besorge, daß Ihr mir in Eurem Herzen abgeneigt seid.«

Anna zog an ihrem Tuche. »Warum denkt Ihr so?«

»Ich merke zuweilen, daß Ihr gegen meine Gesellen freundlicher redet beim Gruß und Abschied; denn den anderen, vorab dem Matz Hutfeld, sagt Ihr ganz fröhlich Dank und auf seine Frage auch einmal freundlichen Bescheid. Wenn ich aber die Treppe heraufkomme, so tretet Ihr in die Küche zurück, und wenn Ihr mir antworten müßt, so sind es nur kurze Worte. Ich weiß es wohl,« fuhr Georg in aufrichtiger Reue fort, »daß ich Euch schwer gekränkt habe, bevor ich Euch kannte, und ich fürchte, daß Ihr das nicht vergessen könnt.«

Da sah sie ihn schweigend an mit so warmem Blick, und ein liebreiches Lachen flog über ihr Antlitz, daß ihm sein Herz vor Wonne hüpfte. Sie waren von den andern durch ein Gebüsch getrennt, das oben in rotem Abendlicht glänzte und unten in bläulicher Dämmerung stand, er fühlte einen warmen Lufthauch an seiner Wange und ein Vogel rief von dem Aste: Flink, flink! Da vergaß er sich ganz und gar, er vergaß, daß er als Wirt neben seinem Gaste ging, er schlang den Arm wieder um sie und neigte sich, um sie zu küssen.

Aber die Hülle sank zwischen ihr und ihm zur Erde, sie entwand sich ihm heftig, er sah zum zweitenmal ein verstörtes Gesicht und den starren Schrecken in ihren Augen, im nächsten Augenblick rannen Tränen auf ihre Wangen. Sie wandte sich ab und ging, ohne ihn noch eines Blickes oder Wortes zu würdigen, eilig den andern nach. Er stand am Wege, hob betäubt den Mantel auf und fühlte sich elend und verworfen. Er hatte schnell erfahren, was er durchaus wissen wollte, daß sie ihn anders achtete, als sein Gastgeschenk, denn sie hatte seinetwegen geweint. Sie aber erkannte, daß er in dem Übermut eines vornehmen Knaben Dreistes gegen sie wagte, und ihr Herz empörte sich gegen ihn.

Obgleich sie kein Wort geredet hatte, behauptete Georg doch vor sich selber: »Sie ist hart und scharf wie Riedgras. Ich möchte Matz Hutfeld Püffe geben, er ist gerade so kalt wie sie. Beide passen ganz gut zueinander, ich merke auch, daß er sogleich gegen sie hübsch tut.« So schritt er finster und grollend hinterdrein und fühlte sich unglücklich wie noch niemals in seinem Leben. Erst im Hofe, als der Magister stehen blieb und ihn wegen der Heimfahrt anredete, gedachte er seiner Pflicht; er lüftete die Mütze und lud, wie alle erwarten mußten, zu einer Abendkollation ein. Wieder betraten sie die Herrenstube, aufs neue war der Tisch gedeckt und reichlich besetzt mit allerlei auserwählter Kost, worunter ein riesiger Schinken war, daneben Pfefferkuchen und sogar die neueste Erfindung, welche die Kaufherren aus Italien eingeführt hatten, heilkräftiger Marzipan, und zwischen den Krügen mit Bier und Met standen jetzt Flaschen mit süßem Sekt. Der Magister konnte einen Ausruf angenehmer Überraschung nicht unterdrücken, als er eine solche Besetzung der Herrentafel sah, und er merkte nicht, daß was ihn mit stolzer Befriedigung erfüllte, sein liebes Kind noch mehr demütigte und ihr aufs neue Tränen in die Augen lockte. Alles war sehr festlich und die meisten freuten sich der Ehre, nur zwei saßen bleich und verstört und das Hündlein lief vergeblich zwischen ihnen. Da war es ein Glück, daß der Magister die Gesellschaft unterhielt von den Pfauenzungen seiner Römer und daß einer von diesen die Fische mit Sklaven gefüttert habe. Nur Frau Lischke antwortete: »Pfui, der Türke.« Als Dobise draußen knallte, stand der Magister auf, gerötet vom Sekt, und hielt die Dankrede an den Hausherrn und den gegenwärtigen Sohn Regulus, wobei er auch den Vogt und die Vogtin ehrenvoll erwähnte; und als sie zu dem Wagen traten, sprach er, an das Schüttern gedenkend, großartig wie ein römischer Feldherr: »Hinter uns liegt die Freude, jetzt kommt die Ehre«, worauf die Gäste zur Vorder- und Hintertür hineinstiegen. Es war eine schweigsame Fahrt, Dobise fuhr maßlos, denn es war spät geworden, und er dachte an die Heckenreiter. Georg trabte finster an der Seite, wo die Ratsbotin saß, und in ihm klang es zum Abendgeläut der Dorfglocke: Es ist vorbei und kann sich nimmer wenden. Als endlich der Wagen an dem Birkengehölz hielt und Frau Lischke der Gesellschaft Trennung gebot, sah er noch einmal in das verblichene Antlitz Annas und auf die niedergeschlagenen Augen, mit denen sie sich gegen den Abschiedsgruß der Schüler neigte, und ritt stumm neben seinen Gesellen, dem Reiter und Fußgänger, einem andern Tore zu.

Am Abend ging der Magister begeistert in seinem Museum auf und ab, während Anna schweigend nach den Trümmern des Schlosses starrte, von denen sich jetzt niemals mehr eine Abendmusik hören ließ. »Es war alles rühmlich und freudenreich,« triumphierte der Magister, »und der ansehnliche Herr Marcus König hat sich königlich gegen uns verhalten.«

»Er selbst war aber nicht da«, warf Anna ein.

»Dafür hat er seinen Sohn gesandt, der uns im Grunde vertraulicher ist,« verbesserte sie der Vater; »und ich habe beschlossen, den günstigen Gönnern meine Dankbarkeit zu erweisen durch Dedizierung und Überreichung eines elegischen Gedichtes zu Weihnachten; habe auch schon dem Hannus Buchführer davon Andeutungen gemacht, welcher sich bereit erklärt, die Kosten für einen Bogen Papier und Druck zu tragen, mir mehrere Exemplare gratis zu verabreichen, den Rest womöglich um drei Kreuzer zu verkaufen. Der Bogen muß in Danzig gedruckt werden, weil man hier in dieser Kunst nichts vermag.«

Als der verstörte Georg mit seinen Gesellen den Marktplatz betrat, standen die Leute in eifrigem Gespräch. Vor dem Rathause hielten polnische Reiter, im Artushofe saßen die Brüder dicht gedrängt, auch er vergaß auf Augenblicke sein Leid, als ihm seine Genossen zuriefen: »Es ist Botschaft gekommen vom polnischen König, der große Reichstag wird zum Winter nach unserer Stadt geladen, es geht gegen den deutschen Hochmeister.«

Und als der Winter kam, als Hannus einen Danziger Ballen auspackte und der Magister seine Bogen, welche er lange mit stillem Behagen betrachtet hatte, den Gönnern der Schule austrug, schritt er durch den Tumult fremder Haufen, er fand in den Häusern seiner Patrone sorgenvolle Gesichter, und ihrem Dank, den sie nicht vorenthielten, fehlte die Herzlichkeit.

4. Der Hochmeister

Die vier Bürgermeister hielten im Artushofe mit den Ältesten der Bruderschaft vertraulichen Rat, wie die polnischen Herren bei den ansehnlichen Bürgern eingelegt werden sollten. Jeder der Anwesenden begehrte solche Gäste, die ihm bekannt waren, oder von denen er Vorteil hoffte. Marcus König war der einzige, welcher geduldig hinter seinem Becher saß, und wenn er einmal das Wort ergriff, nur für Abwesende sprach, damit diese nicht übermäßig beschwert würden. Es geschah wie durch Einverständnis, daß niemand das Haus des Marcus in Vorschlag brachte, entweder aus Achtung vor dem stillen Manne, oder weil es unheimlich geworden war, denn gerade in den letzten Tagen hatten die Nachbarn wieder über nächtlichen Spuk geklagt. Doch nur hinter dem Rücken des frommen Hausherrn wurde dergleichen gemurmelt, denn man wußte, daß er Fragen darnach mit einem finstern Zornesblick beantwortete oder mit kalter Abweisung, welche noch mehr gefürchtet war. Endlich begann der alte Burggraf: »Die Kumpane haben jeder gewählt, nur Ihr, Bruder Marcus, seid noch zurück. Da Ihr nicht frei bleiben werdet, so ersuche ich Euch, das Recht unserer Bruderschaft zu gebrauchen.«

»Ich bin bereit, den Fremden zu nehmen, welchen Euer Wille mir zuteilt«, versetzte Marcus.

Der Bürgermeister nickte und sah in die Liste. »Was würdet Ihr zu dem hochwürdigen Bischof von Plozk sagen?«

»Da er von Euch kommt, will ich ihn und seine Begleiter, soweit das Gelaß reicht, gern beherbergen; doch zürnt nicht, wenn ich Euch sage, nur ungern öffne ich mein Haus den liederlichen Weibern, welche von den geistlichen Herren mitgebracht werden.«

»Der Mißbrauch verleidet vielen die Bischöfe«, gab der Burggraf zu.

»Vielleicht beschwert Euch das weniger als andere,« warf ein Bruder ein, »da in Eurem Hause die wilden Weiber keiner Hausfrau die Ehre kränken.«

»Martha Hutfeld hat in meinem Hause gewohnt,« entgegnete Marcus, »und ich will nicht, daß ihr Sohn ein täglicher Genosse der Unordnung werde.«

»Der Bischof bringt wohl seine Trauten in der Nähe unter,« entschied Hutfeld, »ich finde Gelegenheit, mit seinem Kaplan darüber zu reden.«

Die Stadt füllte sich mit Fremden, durch die Straßen schritten vornehme Prälaten mit ihrem geistlichen Gefolge, und polnische Edle, begleitet von einem langen Troß Bewaffneter; vor den Schenken zankten, fluchten und umarmten sich Schlachtschützen mit großen Bärten und wilden Gesichtern. Die friedliche Stadt war in ein Feldlager verwandelt, auf den Straßen und in den Häusern klang lauter die polnische Rede, als die deutsche. – Der Wintersturm fegte und heulte in den Schornsteinen und Eisschollen trieben auf dem kalten Wasser, als Bürgermeister und Rat über die deutsche Brücke der Weichsel zogen, um an der Stadtgrenze den einziehenden König von Polen zu begrüßen. Unter einem seidenen Baldachin, den zwei Bürgermeister und zwei Herren von der Landschaft trugen, ritt der König in die Stadt, huldvoll nach allen Seiten lächelnd, ihm folgte polnisches Kriegsvolk, das den Thornern unendlich schien, stundenlang dauerte der Einzug. Den Bürgern war es nichts Neues, den König und den polnischen Reichstag in ihren Mauern aufzunehmen, sie hatten auch gelernt die Augen zu schließen gegen fremden Brauch und zuchtloses Benehmen der Gäste, solange diese sorglos ihre Geldtasche öffneten, doch so große kriegerische Pracht und Menge hatte das lebende Geschlecht nimmer gesehen. Die Leute staunten über samtene Pelzröcke, silberne Rüstungen und edle Rosse, deren Reitzeug mit bunten Steinen bedeckt war, und sie schrien einander die Namen der vornehmsten Herren zu. Aber viele empfanden Schadenfreude, als ein kalter Sprühregen auf die Einziehenden niedersank und den Fremden die kostbaren Kleider verdarb, obgleich sie selbst nicht weniger naß wurden. Verständige Männer blickten mit geheimem Schrecken auf den Strom wilden Kriegsvolks, der durch die Tore eindrang, und fühlten sich erst erleichtert, als die Mehrzahl nach kurzer Rast auf der entgegengesetzten Seite der Stadt wieder hinauszog, um sich in den Dörfern der Umgegend zu lagern. Bis zum späten Abend wogte das Gewühl in den Straßen, und die Ratsbeamten verhandelten mit heißen Gesichtern und heiseren Stimmen gegen Haufen unzufriedener Gäste, welche viel mehr von der Stadt begehrten, als diese zu leisten vermochte.

Auch vor dem Hause des Marcus hielt ein stattlicher Zug; der hochwürdige Bischof von Plozk mit seinen Geistlichen und Edelleuten stieg ab und wurde an der Tür von dem Hauswirt empfangen, der sein Knie bis auf den Boden neigte, den Segen des Bischofs erbat und ihm demütig in der Gaststube den Willkommen bot. Unterdes geleitete der Ratsdiener einige vornehm geschminkte Frauen, welche auf Wagen und Rossen vor der Einfahrt hielten, um die Ecke in ein Nebenhaus der Hintergasse, obgleich die Weiber mit hellen Worten gegen die niedrige Herberge fochten. Aber auch die geistlichen Herren im Markthause erfuhren bald, daß ihre Wohnung Gäste ungern ertrug und daß sie widerwärtigen Heimsuchungen nicht entgingen, wenn schon ihr Hauswirt ein frommer und eifriger Christ war.

Am Abend schlich Dobise mit einer Laterne über den Bodenraum des alten Hauses, er sah scheu um sich, bevor er einen Bretterverschlag öffnete, der mit alten Kisten und Fässern gefüllt war. Dort wand er sich zwischen dem Gerät, hob an der Rückwand ein Brett und schlüpfte durch die schmale Öffnung in einen engen lichtlosen Raum, den er sich allmählich hergerichtet hatte und den nur er kannte. Es war darin gerade für einen Schemel Gelaß und für einige Kisten. Dobise hing die Laterne an einen Pflock, richtete sich so hoch auf als er vermochte und sah sich stolz in dem Verschlage um. »Jetzt ist Dobise wieder ein Edelmann und Kaufherr von Thorn.« Er warf seine Jacke ab, hob aus der Kiste einen stattlichen Pelzrock und eine Mütze von Marderfell, tat beides an und setzte sich auf den Schemel, dann holte er aus einem anderen Behältnis einige Stücke schweren Seidenstoffes, die mit Gold durchwirkt waren, breitete sie um sich her und sah entzückt, wie die bunten Muster im Licht der Laterne glänzten. »Dies ist der fürstliche Mantel für mich, und hier ist auch ein Prachtkleid für die Alte im Dorfe, das ich ihr aufhebe.« Er griff wieder in eine Ecke, holte einen Krug hervor, schwenkte ihn und murmelte: »Dies trinke ich zu meinem eigenen Wohl, es ist das beste aus dem Keller des Alten.« So saß er da, ähnlich einem Hauskobold, die kleinen Augen zwinkerten unter den schwarzen Brauen und die schmalen Lippen in dem gelben Gesicht zogen sich in behaglichem Lachen zu beiden Ohren. »Niemand weiß es, daß ich hier sitze als der echte Herr der Stadt und des Landes, auch der Alte bildet sich ein, daß ich an unseren Kisten zimmere; drüben in der Kaufkammer rechnen sie, und der fremde Gast, der unter mir wohnt und aus seinem schwarzen Buch beten sollte, zankt sich mit seinen Dirnen; ich aber trete mit meinem Fuß auf ihre Köpfe und freue mich.« Wieder trank er und murmelte: »Deutsche und Polen sind jetzt darüber her, einander umzubringen. Wenn sie abgewürgt sind, bleiben wir übrig und werden wieder Gebieter des Landes, wie wir einst waren. Vivat Rex, Dobise,« rief er den Becher hebend, »möge allen Fremden scharfes Eisen durch die Hälse fahren.« Er trank und setzte ab. »Meinen Alten nehme ich aus, dem gebe ich ein bis zwei Goldstücke zur Heimfahrt über das gelbe Weichselwasser, den Georg nehme ich aus, und vielleicht noch wenige Städter, darunter Barthel Schneider.« Er lachte über das ganze Gesicht. »Den Schneider soll alle Tage der Teufel zwicken, wenn ich erst Herr von Thorn bin. Dann werfe ich auch dieses goldne Kleid der Jungfer Anna zu und mache sie zur Königin.« Er hielt an und lauschte. »Der Bischof zankt noch immer mit seinen Weibern; es ist ein filziger Pfaffe, den sie in unser Haus gelegt haben, und meinem Alten liegt wenig an ihm, denn der Alte und ich, wir sahen einander an, und mein Alter fragte: »Ob der Pole hier Ruhe findet? Mancher wird furchtsam, wenn die Katzen auf dem Boden springen.« Nach diesen Worten fuhr Dobise in die Höhe und sprang mit beiden Beinen kräftig gegen den Fußboden, saß nieder und fuhr verächtlich fort: »Es ist ein schmutziger Pfaffe, der zu der schwarzen Maruschka von Czenstochau betet, obgleich dies Weib aussieht wie des Teufels Großmutter. Wie will das polnische Weibsstück wagen, sich gegen unsere Maria von Thorn zu brüsten, welche weiß und rot in der Kirche steht mit goldner Krone und blauem Mantel? Ich denke, es wird dem Alten ein Gefallen sein, wenn ich den Bischof aus dem Hause schicke.« Er kniete an der Seite nieder, wo er die Flasche unter dem Fußboden heraufgeholt hatte: »Gepriesen sei mein Kellerloch. Mühsam habe ich den Schutt ausgewühlt bis zu den Deckbrettern über der Gaststube, dafür höre ich die Reden dort unten.« Er neigte das Ohr: »Der Pfaffe zankt noch immer auf polnisch.« Dobise steckte den Kopf in das Loch, stieß ein wildes Gebrüll aus und schrie in polnischer Sprache: »Hoho, der Teufel ist über euch, ihr Satansbrut«, worauf er schnell das seidene Gewebe und den Krug versteckte und aus der Kammer sprang. Er stolperte noch zwischen den Kisten, löschte das Licht aus und fuhr unter dem Dach nach dem Hinterhause.

Am nächsten Morgen waren die geistlichen Herren in geheimnisvoller Unruhe, sie murmelten untereinander und schritten wieder mit Lichtern und Sprengwedel durch den Oberstock, doch wollte der Grund ihrer Bekümmernis nicht laut werden. Bis endlich der hochwürdige Bischof zu den Bürgermeistern sandte und sich eine andere Herberge forderte. So wurde Marcus schnell der Gäste enthoben; nur in seinem Hinterhause blieben einige Geistliche aus dem Hofhalt des Bischofs, welche in der gefährlichen Wohnung bei Tag und Nacht länger beteten, als sonst ihre Gewohnheit war.

Der Reichstag wurde eröffnet. Die Abgeordneten der deutschen Städte waren ebenso eifrig als die Polen, Krieg gegen den widersetzlichen Hochmeister zu fordern, und der König gab ihrem Drängen nach. Zum letztenmal wurde Herr Albrecht gefordert, den Lehnseid zu leisten, und als er nicht erschien, trugen die Fehdeboten des polnischen Adels zahlreiche Absagebriefe über die Grenze.

Der Krieg begann, ein seltsamer Krieg, denn weder der König noch der Hochmeister geboten über ein Heer, um ihren Willen durchzusetzen. Die Thorner hatten vor wenig Wochen eine große polnische Heeresmacht angestaunt; es waren fast nur Banden polnischer Edlen gewesen, und diese hatten zwar feurig nach dem Kriege geschrien, aber sie hatten wenig Lust, selbst Haut und Gut im Kampfe zu wagen; das polnische Heer ritt auseinander und verzog sich nach der Heimat. Der Hochmeister hatte seit Jahren um den bevorstehenden Kampf gesorgt, aber alles Mühen und Verhandeln war fruchtlos gewesen, sein Land war klein, arm, widerwillig, nur wenige der Ordensherren waren feldtüchtige Reiter, die Bürger weigerten sich, im Harnisch zu ziehen, das gedrückte Landvolk saß waffenlos, und es fehlte ohnedies an Händen, das Land zu bebauen; die Fürsten im Reiche hatten zwar Gutes versprochen, aber wenig gehalten. Zuletzt waren beide Herren in der Lage, nach geworbenen Söldnern auszuschauen, und keiner von beiden hatte das Geld, starke Fäuste zu bezahlen. Der Hochmeister fand einigen guten Willen bei der fränkischen Ritterschaft und ließ durch diese im Reiche Landsknechthaufen werben, der König von Polen wandte sich an die Böhmen und sogar an die Tataren, und diese Heiden, welche am schnellsten zur Stelle waren, fielen in das Ordensland ein, brannten, erschlugen und hausten so greulich, daß ein Schrei des Unwillens bis in das Reich drang und daß auch die Bürger von Thorn die Köpfe schüttelten und in den Schenken zur Beunruhigung des Rates gegen die polnische Zügellosigkeit ein Gemurr erhoben. Sie freilich saßen vorderhand in Sicherheit. Immer noch war der König in der Nähe, viele vornehme Herren ritten aus und ein, und gutes Geld wurde lustig ausgegeben und leicht verdient. Doch außerhalb der Mauern merkte man die Verstörung, oft sahen die Bürger den Himmel gerötet, Räuber und loses Gesindel wurden eingebracht, und Hans Buck hatte mehr Arbeit als sonst. Noch in anderer Weise empfand die Stadt den Krieg, die Bürger selbst lebten unruhig und wild, vom Morgen bis Abend waren die Schenken gefüllt, feste Arbeit wollte nicht gedeihen, wer unzufrieden war mit dem Rat, ballte nicht mehr die Faust in der Tasche, sondern schrie laut hinter seinem Kruge; wer zornig wurde, schlug schneller los als sonst, und das Schlichten und Rechtsprechen nahm kein Ende.