Games | Game Design | Game Studies

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Games | Game Design | Game Studies
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Gundolf S. Freyermuth

Games, Game Design, Game Studies

Eine Einführung

– Deutschsprachige Ausgabe –

FUEGO

Über das Buch

Wie stiegen Games zur zentralen audiovisuellen Ausdrucks- und Erzählform der digitalen Kultur auf? Wie entstanden die Verfahren ihrer künstlerischen Produktion? Und wie formierte sich die wissenschaftliche Analyse der sozialen Wirkung und kulturellen Bedeutung des neuen Mediums?

Diese grundlegenden Fragen und Aspekte digitaler Spielkultur nimmt die Einführung erstmals ganzheitlich in den Blick. Gundolf S. Freyermuth skizziert die mediengeschichtlichen Entwicklungsphasen analoger und digitaler Spiele, die Geschichte und künstlerischen Praktiken des Game Designs sowie die Geschichte, wissenschaftlichen Ansätze und wichtigsten Forschungsfragen der Game Studies.

Der Autor

Gundolf S. Freyermuth (Prof. Dr. phil.) ist Gründungsdirektor des Cologne Game Lab der TH Köln. Er lehrt dort Media and Game Studies sowie an der internationalen filmschule köln Comparative Media Studies. Seine Forschungsschwerpunkte sind Audiovisualität, Digitale Spiele, Transmedialität und Netzwerkkultur.

Homepage: http://www.freyermuth.com

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung von Fuego oder den Autoren in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2015 Gundolf S. Freyermuth

www.freyermuth.com

Die Druckausgabe ist erschienen im

transcript Verlag

ISBN 978-3-8376-2982-8

Für die vorliegende ePub-Edition

© 2016 FUEGO

www.fuego.de eISBN 978-3-86287-176-6 v_1.0

Inhalt

PROLOG

SPIELE(N), SPIELE MACHEN, SPIELE DENKEN

Spiele(n) – Games

Spiele machen – Game Design

Spiele denken – Game Studies

I GAMES

EINLEITUNG

1 WAS IST EIN SPIEL? SYSTEMATISCHE VS. HISTORISCHE ANSÄTZE

Versuche systematischer Definition

Scheitern systematischer Definition

Historische Definition: Die Alterität digitaler Spiele

2 SPIELE IN DER NEUZEIT. EINE KURZE MEDIENGESCHICHTE

Spiele

Primäre, sekundäre und tertiäre Medialität

Beispiel Fußball: Der Weg eines Spiels durch die Medialitäten

Quartäre Medialität: Vom Zuschauer zum Spieler

3 PROZEDURALE WENDE (SEIT DEN 1950ER JAHREN)

Vierfacher Ursprung digitaler Spiele

Digitale Technik

Künstliche Intelligenz

Flugsimulation

Virtualisierung analoger Spiele

Spielerische Nutzung digitaler Technologie

Prozeduralität

4 HYPEREPISCHE WENDE (SEIT DEN 1970ER JAHREN)

Von Mainframe- und Arkaden- zu Konsolen- und PC-Spielen

Das innovative Genre der Text-Adventures

Die Evolution audiovisuellen Erzählens

Hyperepik

5 HYPERREALISTISCHE WENDE (SEIT DEN 1990ER JAHREN)

Digitale Technik

Vom Vorbild des Romans zum Vorbild des Spielfilms

Hyperrealismus

Authentizität und Operativität

Das innovative Genre der First-Person Shooter

6 DIE DOPPELTE ALTERITÄT DIGITALER SPIELE

Die Evolution des Spiels zum audiovisuellen Medium

Digitale Spiele vs. analoge Spiele und lineare Audiovisionen

Leitmedium digitaler Kultur

7 AUSBLICK: HYPERIMMERSIVE WENDE

Zur Entwicklung digitaler Spiele

Alltagsähnliches Handeln in Spielen

Utopie Holodeck

Spieleähnliches Handeln im Alltag

Potential zur hyperimmersiven Wende

INTERMEZZO: SPIEL // FILM

EINLEITUNG

1 DAS VERHÄLTNIS VON SPIEL UND FILM

Konkurrenz

Kollaboration

Konvergenz

2 AUDIOVISUELLE RIVALITÄTEN

Mediengeschichte

Medientheorie

3 MODI AUDIOVISUELLEN ERZÄHLENS

Erzählen in Raum und Zeit

Vorindustrielle Audiovisionen: Theater

Industrielle Audiovisionen: Kino und Fernsehen

Digitale Audiovisionen: Spiele

Komplementarität

Resümee: Die vier ›K‹s

II GAME DESIGN

EINLEITUNG

1 ANALOGES DESIGN

Die Evolution der industriellen Designpraxis

Die Evolution des industriellen Designdenkens

2 DIGITALES DESIGN

Die Digitalisierung der Designpraxis

Die Digitalisierung des Designdenkens

3 KURZE GESCHICHTE DES GAME DESIGNS

Die ersten 40 Jahre

Gegenwart und Zukunft

4 ARBEITSFELDER DES GAME DESIGNS

Die Rolle des Game Designers

Triade, Tetrade und die Funktion der Narration

5 PRAKTIKEN DES GAME DESIGNS

Ablauf der Spieleentwicklung

Prinzip Weltenbau

III GAME STUDIES

EINLEITUNG

1 VON DEN THEORIEN ANALOGER ZU DEN THEORIEN DIGITALER SPIELE

Vorindustrielle Theorien des Spiels und des Spielens

Industrielle Theorien des Spiels und des Spielens

2 DIE SCHISMEN DER GAME STUDIES

Sedimentative Ansätze: Game-Design-Theorien

Exaptative Ansätze 1: Sozialwissenschaftliche Theorien

Exaptative Ansätze 2: Geisteswissenschaftliche Theorien

3 DESIDERAT: DIE ÜBERWINDUNG DER SCHISMEN

Sehnsucht nach Synthese

Adaptative Ansätze

4 FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN 1: DIGITALE SPIELE

Mechanics

Story

Aesthetics

Technology

Transmedia

5 FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN 2: SERIOUS GAMES

Mechanics, Story, Aesthetics, Technology, Transmedia

Gamifikation

Opposition zum Industrialismus

EPILOG

AKADEMISIERUNG UND ÄSTHETISCHE PRODUKTION

Games-Ausbildung in Deutschland

Struktur einer grundständigen Ausbildung

Konsequenzen der Akademisierung

QUELLEN

Prolog

Spiele(n), Spiele machen, Spiele denken

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erleben wir – als Zeitzeugen wie als Protagonisten – die ästhetische Ausbildung und den kulturellen Aufstieg digitaler Spiele. Wie die früheren audiovisuellen Leitmedien Theater, Film und Fernsehen prägen sie nun als zentrale audiovisuelle Ausdrucks- und Erzählform digitaler Kultur unsere Welt- und Selbstwahrnehmung. Parallel zu diesem Wandel und in direktem Zusammenhang mit digitalen Spielen bilden sich zwei weitere neue Bereiche und Praktiken aus:

In der Produktion von Software entwickeln sich neue teils handwerkliche, teils künstlerische Verfahren. Sie werden unter den Begriffen Mediendesign und speziell Game Design gefasst. Wie sich digitale Spiele von Spielfilmen durch Dramaturgien und Darstellungsweisen unterscheiden, die der Tendenz nach nonlinear und iterativ sind, so unterscheiden sich ebenfalls die Design-Praktiken der Spieleproduktion von den linearen Abläufen zumindest der analogen Filmproduktion.

Gleichzeitig entsteht eine neue akademische Disziplin, die analytisch-kriti­sche Auseinandersetzung mit digitalen Spielen. In Anlehnung an die englischsprachigen Termini für die Wissenschaften von Medien und Künsten – etwa Literary Studies, Film Studies, Design Studies – sprechen wir von Game Studies.

 

Der vorliegende Band versucht daher eine sowohl historische wie theoretische Einführung in Dreierlei: in die Entstehung und Geschichte des neuen Mediums digitaler Spiele, in die innovativen Verfahren ihrer Produktion sowie in die sich ausbildende Disziplin ihrer wissenschaftlichen Erforschung. Im Zentrum stehen die grundlegenden Fragen:

 Wie entstanden digitale Spiele und wie stiegen sie zur zentralen audiovisuellen Ausdrucks- und Erzählform digitaler Kultur auf?

 Wie entwickelten sich die Verfahren der handwerklich-künstlerischen Produktion und wie sieht die gegenwärtige Praxis des Game Designs aus?

 Wie formierte sich die wissenschaftliche Analyse der sozialen Wirkung und kulturellen Bedeutung digitaler Spiele, wo stehen die Game Studies heute und in welche Richtungen entwickeln sie sich?

Skizzieren werde ich in drei Hauptkapiteln die mediengeschichtlichen Entwicklungsphasen analoger und digitaler Spiele (I Games), die Geschichte und künstlerischen Praktiken ihrer Herstellung im Kontext analogen und digitalen Designs (II Game Design) sowie die wichtigsten Ansätze und Forschungsfragen ihrer Analyse aus den unterschiedlichen Perspektiven der Game-Design-Theorie, der Sozial- und der Geisteswissenschaften (III Game Studies). Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem wechselseitigen Verhältnis von Game Design und Game Studies in der künstlerisch-wissen­schaft­li­chen Aus­bildung und Forschung.

Vorweg sind zwei Begriffe zu klären, die dieser Band bereits in seinem Titel trägt: Games und Game Design. In den Game Studies gibt es einige Diskussionen, welcher Terminus ihren Gegenstand am besten beschreibe – Computerspiel, Videogame, Game, digitales Spiel. Dabei konnotiert Computerspiel im Deutschen primär PC-Spiele und kaum solche, die auf Konsolen, Tablets oder Smartphones gespielt werden. Videogame konnotiert alle Spiele, die mit bewegten Bildern arbeiten, also auch vordigitale Spiele wie TENNIS FOR TWO (1958) oder analoge Arkadenspiele der sechziger und siebziger Jahre. Entsprechende Überlegungen finden sich z.B. bei Jesper Juul und Tristan Donovan.1 Beide Autoren haben sich aus unterschiedlichen Gründen für den im Englischen eingeführten Begriff Vi­deogame entschieden. Ich werde dagegen, um die Konzentration auf Spiele zu betonen, die auf digitaler Technologie basieren, primär von digitalen Spielen sprechen und parallel dazu den Begriff Game synonym benutzen, da er sich im Deutschen (anders als im Englischen) nur auf digitale Spiele bezieht.

Nicht minder ungeklärt ist der Gebrauch des Terminus Game Design. Eine wesentliche Ursache dafür ist der Umstand, dass es zu einer gänzlichen Kodifizierung der arbeitsteiligen Rollen, wie sie in Theater, Film und Fernsehen existieren, in der Herstellung von Games noch nicht gekommen ist. Game Design wird daher doppeldeutig verwendet: als Bezeichnung für den gesamten Produktionsprozess im Sinne von Spieleentwicklung, oft aber auch als Bezeichnung für das spezifische Arbeitsfeld der Spielekonzeption neben anderen Gebieten, etwa der Game Arts oder der Informatik.2

Der Titel dieser Einführung verwendet den Begriff deutlich im ersten, dem synekdochischen Sinne: Es geht um digitale Spiele, ihre Produktion und ihre Analyse. Ein zentraler Aspekt dieser Herstellung ist freilich Game Design im engeren zweiten Sinne. Von ihm wird auch wesentlich im Kapitel II Game Design die Rede sein.

SPIELE(N) – GAMES

In seinem »Manifesto for a Ludic Century« stellt der Game Designer und Game-Design-Theoretiker Eric Zimmerman die These auf, zwischen den fundamentalen Eigenschaften digitaler Technologie und den fundamentalen Eigenschaften analoger wie digitaler Spiele bestehe eine strukturelle Affinität: »Games like Chess, Go, and Parcheesi are much like digital computers, machines for creating and storing numerical states. In this sense, computers didn't create games; games created computers.«3 Darüber hinaus befördere digitale Vernetzung die Etablierung immer komplexerer Informationssysteme. Für eine solcher­maßen von Systemen geprägte digitale Kultur seien Spiele daher das ideale, weil ebenfalls systemische Medium:

»[G]ames are dynamic systems […] While every poem or every song is certainly a system, games are dynamic systems in a much more literal sense. From Poker to Pac-Man to Warcraft, games are machines of inputs and outputs that are inhabited, manipulated, and explored.«4

Film und Fernsehen, die Leitmedien des 20. Jahrhunderts, schreibt Zimmerman, entsprachen in der Linearität ihrer passiv zu rezipierenden Audiovisionen den Informations- und Unterhaltungsbedürfnissen industrieller Arbeit und Kultur. Mit der Digitalisierung sei es jedoch zu einer kategorialen Wandlung ge­kom­men: »In the last few decades, information has taken a playful turn. […] When information is put at play, game-like experiences replace linear media.«5 Games würden daher zum wichtigsten Medium des 21., des ludischen Jahrhunderts: »In­creasingly, the ways that people spend their leisure time and consume art, design, and entertainment will be games – or experiences very much like games.«6

Verstehen lässt sich Zimmermans »ludisches Manifest« als konzise Darstellung von Perspektiven und Ansichten, die in der Gegenwartskultur kursieren. Denn in der Tat vollzieht sich vor unseren Augen ein nachhaltiger medialer Umbruch, der insbesondere die audiovisuellen Ausdrucks- und Darstellungsformen betrifft. Deren Wandel resultiert – und wie schon zweimal zuvor in der Neuzeit – aus technologischem Fortschritt:

Die Mechanisierung brachte zwischen Renaissance und Aufklärung das Illusionstheater und am Ende die moderne Guckkastenbühne hervor, auf- und ausgerüstet mit den jeweils modernsten technischen Mitteln. Beispielsweise kamen Apparaturen und Verfahren, die im Schiffsbau entwickelt wurden, um schwerere Gegenstände schnell zu bewegen, binnen kurzem im Theater zum Transport von Kulissen wie Schauspielern zum Einsatz. Dank seiner mechanischen Mittel, Raum und Zeit zu manipulieren, wurden das Illusionstheater – die Bretter, die die Welt bedeuteten7 – und seine vorrangige Form, das Drama, zur genuinen audiovisuellen Erzählform der vorindustriellen Epoche.

Mit dem nächsten technologischen Schub, dem industriellen, entstanden zwischen Aufklärung und Postmoderne erst die Fotografie, dann das auf ihr technisch basierende Kino und schließlich das Fernsehen. Mittels gespeicherter, montierter und zum Laufen gebrachter Bilder und Töne ließen sich Raum und Zeit wie nie zuvor manipulieren und damit audiovisuell gänzlich andere Geschichten erzählen. Diese kategoriale Leistungssteigerung gegenüber dem Theater – das Potential zu einer sukzessiven Episierung audiovisueller Darstellung – verdankten Kino und Fernsehen fortgeschrittenen industriellen Aufzeichnungs-, Speicherungs-, Bearbeitungs-, Distributions- und Übertragungstechniken. Im Medium linearer Audiovisualität formten sich denn auch mit dem Spielfilm und der Fernsehserie die genuinen und dominierenden Erzählformen industrieller Kultur. Seit dem frühen 20. Jahrhunderts prägten so erst der stumme, dann der tönende Film und schließlich das Fernsehen die audiovisuelle Konstruktion von Realität und deren Wahrnehmung.

Vor diesem medienhistorischen Hintergrund kann es nicht überraschen, dass sich auch mit dem aktuellen technologischen Schub, der Digitalisierung, unmittelbare mediale und ästhetische Konsequenzen verbinden. Digitale Software erlaubt, Texte wie Töne, stehende wie laufende Bilder zu generieren und aufzuzeichnen, zu speichern und zu bearbeiten, zu distribuieren und interaktiv zu nutzen. Dabei unterscheidet sich Software als Produktionsmittel und Speichermedium durch zwei einzigartige Eigenschaften von allen analogen Medien. Zum einen ist Software transmedial. In ihr unifiziert sich die analoge Vielfalt spezifischer Medien und Werkzeuge – Papier und Schreibmaschine, Zelluloid, Kamera und Schneideraum, Vinyl, Magnetband, Mikrofon und Mischpult etc. – im Universalmedium gespeicherter Bits und der Softwareprogramme, mit denen sie sich bearbeiten lassen. Zum zweiten verfügt das digitale Transmedium über eine ›Flüssigkeit‹, die in Verbindung mit Feedback-Systemen weitgehend den Zeitpfeil aufhebt, der analoge Medialität charakterisiert.8 In dieser Qualität liegt die prinzipielle Interaktivität des Transmediums Software beschlossen.

Ästhetisch realisiert wird dieses Potential zu Transmedialität und Fluidität vor allem in digitalen Spielen. Einst gestaltete der Film die Erfahrungen industrieller Kultur und übte zugleich in sie ein – nicht zuletzt in die industrielle Arbeitswelt hierarchischer und linearer Prozesse. Kaum anders drücken sich heute in Games die Erfahrungen digitaler Kultur aus und kaum anders üben sie nun in eine postindustrielle Arbeitswelt ein, die von Wissensarbeit, d.h. vernetzter Manipulation digitaler Symbole geprägt wird. An die Stelle der Maschine als dominierender Metapher industrieller Kultur tritt das Spiel als Metapher digitaler Kultur.9 Die Gesellschaft, meinte Niklas Luhmann, schaffe sich Medien zur Selbstbeobachtung.10 Games sind das jüngste Mittel – Medium – solcher Realitätskonstruktion und damit Weltwahrnehmung und Selbsterkenntnis. Besser als lineare Audiovisionen erlauben sie, wie Noah Wardrop-Fruin schreibt, »to understand our evolving society, in which (often hidden) software models structure much of how we live now.«11

Im interaktiven Spiegel digitaler Spiele erfahren wir uns und suchen zu verstehen, was lebensweltlich im Begriff ist zu entstehen – eine digitale Gesellschaft und Kultur, die von den Gesellschaften und der industriellen Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts so verschieden sein dürfte, wie es diese einst von denen der vorindustriellen Epoche waren.

Der erste Teil dieser Einführung (I Games) beschreibt, wie digitale Spiele aus ihren audiovisuell wie narrativ beschränkten Anfängen um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu dem gleichermaßen narrativen wie hyperrealistischen Medium wurden, das heute mit Film und Fernsehen zu konkurrieren vermag. Den Ausgangspunkt bildet eine Analyse der vielfältigen Versuche, analoge wie digitale Spiele zu definieren (I-1 Was ist ein Spiel? Systematische vs. historische Ansätze). Der Überblick mündet in die Einsicht, dass sich wie alle Medien und Künste auch digitale Spiele nur in ihrer historischen Entwicklung treffend begreifen lassen. Das zweite Kapitel skizziert daher die Geschichte des Spiels im Kontext der neuzeitlichen Entwicklung der Medien und Künste (I-2 Spiele in der Neuzeit: Eine kurze Mediengeschichte). Der weitere Fokus liegt dann auf den drei künstlerisch-technischen Schüben, in denen sich seit der Mitte des 20. Jahrhunderts digitale Spiele entwickelten (I-3 Prozedurale Wende, seit den 1950er Jahren; I-4 Hyperepische Wende, seit den 1970er Jahren; I-5 Hyperrealistische Wende, seit den 1990er Jahren). Am vorläufigen Ende dieser Entwicklung charakterisiert digitale Spiele ihre Andersheit sowohl im Verhältnis zu analogen Spielen wie zu linearen Audiovisionen. Sie suche ich im sechsten Kapitel zu bestimmen (I-6 Die doppelte Alterität digitaler Spiele). Eine weitere Wende, die sich seit einigen Jahren abzeichnet, führt zur Durchsetzung von Natural User In­terfaces (NUIs) und ›natürlichen‹ Interaktionsweisen mit virtuellen Welten und Non-Player-Charakteren (NPCs). Dieser Wandel dürfte die kategoriale Andersheit digitaler Spiele noch verstärken (I-7 Ausblick: Hyperimmersive Wende?).

In ihrer Entwicklung fiel dem Verhältnis zum Spielfilm seit den 1980er Jahren eine besondere Bedeutung zu. Seitdem stehen beide audiovisuellen Medien in einem engen technischen, ökonomischen und ästhetischen Austausch und zu­gleich auch in Konkurrenz um Käufer wie Talente. Nicht wenige Künstler und Theoretiker haben gar ein Verschmelzen beider audiovisuellen Medien ins Auge gefasst. Das Intermezzo: Spiel // Film zieht zunächst eine Bilanz (Intermezzo-1 Das Verhältnis von Spiel und Film), um dann im Rückblick auf die früheren audiovisuellen Rivalitäten zwischen Theater und Film sowie Film und Fernsehen zu einer Einschätzung zu kommen, nach welchem der beiden historischen Modelle sich das Verhältnis von Spiel und Film zueinander stabilisieren könnte (In­termezzo-2 Audiovisuelle Rivalitäten). Grundlegend für die ästhetische Beziehung zwischen den audiovisuellen Medien generell und zwischen Spielen und Filmen im besonderen erweist sich dabei ihre höchst unterschiedliche Befähigung, in der Darstellung narrativer Verläufe Raum und Zeit zu manipulieren (Intermezzo-3 Modi audiovisuellen Erzählens).

 

SPIELE MACHEN – GAME DESIGN

Wer heute digitale Spiele entwickelt, ist historisch privilegiert: Ihr und ihm bieten sich wie nur wenigen Generationen zuvor die Gelegenheit, in der Frühzeit dieses radikal neuen Mediums entscheidende Weichen zu stellen und wichtige Anfänge aktiv mitzugestalten. Zu diesen Chancen trägt wesentlich bei, dass kein anderes Medium seit der Wende zum 21. Jahrhundert eine vergleichbar rasante Entwicklung durchmachte – sowohl in ökonomischer wie in technisch-ästhetischer Hinsicht.

2013 betrugen die weltweiten Umsatzzahlen digitaler Spiele rund 75 Milliarden Dollar.12 Davon entfielen allein auf die USA knapp 22 Milliarden Dollar.13 In der Bundesrepublik wurden im gleichen Jahr rund 2,66 Milliarden Euro mit digitalen Spielen umgesetzt.14 »Deutschland ist somit größter Einzelmarkt innerhalb Europas und mit einem Anteil von 5,5% am Weltmarkt einer der wichtigsten Märkte überhaupt.«15 Allerdings werden 75% des inländischen Umsatzes von ausländischen Firmen erzielt. Umgekehrt liegt der Anteil deutscher Spiele auf dem Weltmarkt bei drei Prozent.16 Deutschland, als fünfgrößte Wirtschaftsnation und in anderen Branchen immer wieder ›Exportweltmeister‹, konsumiert zwar Spiele, produziert und exportiert sie aber bislang kaum.

Das weltweit erfolgreichste Spiel war 2013 GRAND THEFT AUTO V. Allein am ersten Verkaufstag spielte es 800 Millionen Dollar ein:

»In 24 hours, GTA V took in more money than any movie – TITANIC or AVATAR or THE AVENGERS – has made in its entire run in North American theaters. And given the game's $270 million budget, it may also have cost more than any movie.«17

AAA-Games – also Spiele, die mit hohem Budget produziert und mit viel Werbung auf den Markt gebracht werden – sind mehr noch als literarische Bestseller und filmische Blockbuster globale Phänomene. Kulturelle Differenzen unter den meistverkauften Spielen lassen sich primär im Bereich der jeweils beliebten Sportarten feststellen. In den USA gehörte zum Beispiel 2013 MADDEN NFL 25 mit 2,7 Millionen verkauften Exemplaren zu den fünf Top-Sellern.18 An die Stelle des Footballsimulators trat in Deutschland der Fußballsimulator FIFA 14 mit rund 870 000 verkauften Exemplaren.19 Gewisse Unterschiede zeigen sich auch in der Beliebtheit von Plattformen und Genres: In den USA machen Spiele, die am Computer gespielt werden, nur einen Bruchteil des Gesamtumsatzes aus – 220 Millionen der 15,4 Milliarden Dollar, die Spielesoftware 2013 insgesamt einspielte.20 In Deutschland dagegen sitzen 76% aller Spieler regelmäßig am PC.21 Gleichermaßen beliebt als Spieleplattform sind derweil aber Smartphones (USA wie Deutsch­land 44%).22

Auch die demographischen Daten gleichen sich im langjährigen Vergleich zunehmend an. 2013 nutzten 59% aller Amerikaner digitale Spiele, von ihnen waren 52% Männer, 48% Frauen.23 29% waren unter 18 Jahre alt, 39% über 36 Jahre. In Deutschland spielte immerhin bereits fast jeder zweite regelmäßig – die Zahlen schwanken zwischen 34,2 Millionen24 und 39,8 Millionen deutschen Spielern.25 Der Anteil der Frauen liegt bei 44%. Unter 18 Jahren sind 29% der Spieler, über 50 Jahre 20%.26

Das stete Wachstum – mehr Spieler, mehr Spiele, höhere Umsätze –, von dem die kulturelle Durchsetzung digitaler Spiele seit den 1970er Jahren gekennzeichnet ist, geschah im Kontext konstanter Veränderung der Bedingungen von Produktion, Distribution und Nutzung. Das Fundament für den gegenwärtigen Umbruch legte die Durchsetzung stationärer und dann auch mobiler Breitbandvernetzung. Mit ihr virtualisierte sich seit Ende der 1990er Jahre einerseits die Distribution und Nutzung von AAA-Konsolen- und PC-Titeln, andererseits führte sie seit der Mitte der Nullerjahre zum Entstehen gänzlich neuer Distributionsplattformen (u.a. Valves Steam, AppStores von Apple und Android). In den USA stieg der Anteil digitaler Distribution zuletzt zwischen 2010 und 2013 von 29% auf 53%.27 In Deutschland betrug er 2013 zwar erst 19%, die ersten Zahlen, die für 2014 vorliegen, deuten jedoch eine Verdopplung auf 38% an.28 Die Einführung von Smartphones, beginnend 2007 mit Apples iPhone, und von Touch-Tablets, beginnend 2010 mit Apples iPad, popularisierte zudem die neuen Genres der Mobile und Casual Games.

Dieser Umwälzung der Distributionswege für digitale Spiele korrelierten im vergangenen Jahrzehnt ebenso starke Veränderungen im Bereich ihrer Finanzierung. Befördert gleichfalls durch ubiquitäre digitale Vernetzung kamen eine Vielzahl alternativer wirtschaftlicher Ansätze, Handlungsweisen und Finanzierungsmodelle auf. Disruptiv wirkten zum einen Free-to-Play- (F2P) und Freemium-Modelle, basierend auf Micropayments in zunächst gratis angebotenen Spielen, zum anderen die Vorfinanzierung durch so genanntes Crowdfunding, d.h. das Einsammeln einer Vielzahl kleinerer Beträge von zukünftigen Nutzern für technische oder mediale Produkte, die allererst hergestellt werden sollen.

Zu den gegenwärtig erfolgreichsten F2P-Online-Spielen zählen LEAGUE OF LEGENDS, das allein 2014 weltweit knapp eine Milliarde Dollar einspielte, sowie CROSSFIRE und DUNGEON FIGHTER ONLINE (beide knapp 900 Millionen Dollar).29 Im Bereich der F2P-Casual Games setzten vor allem drei Spiele Maßstäbe: FARMVILLE (2009), das nach seinem Launch auf Facebook mit zeitweise über 80 Millionen Usern pro Monat30 für zwei Jahre dort das populärste Spiel blieb und, allen kritischen Attacken zum Trotz,31 bis Anfang 2013 für über eine Milliarde Dollar Umsatz sorgte;32 ANGRY BIRDS (seit 2009), das bis Anfang 2014 in der Vielzahl seiner Varianten über zwei Milliarden mal heruntergeladen wurde;33 sowie CANDY CRUSH SAGA (2012), das 2013 täglich von 93 Millionen Menschen über eine Milliarde mal gespielt wurde, wobei rund 4% der Spieler auch In-Game-Käufe tätigten:34

»Free-to-play works because it eliminates any barrier for entry, and allows developers to penetrate markets that otherwise might be unable to play traditional console video games. […] By having millions upon millions of players, even a small percentage of players paying money regularly can add up big time.«35

Nicht minder einflussreich für die Games-Entwicklung war die Etablierung virtualisierter und globalisierter Subskriptionsmodelle, wie sie ähnlich in der frühen Neuzeit schon am Anfang der Herstellung gedruckter Bücher standen. Auf Plattformen wie Indiegogo (gegründet 2008), Kickstarter (2009) oder in Deutschland Startnext (2010) können Games finanziert werden, die auf den tradierten Kanälen keine Geldgeber finden. Kickstarter allein hat nach eigenen Angaben bis Ende 2014 für 75 000 Projekte knapp 1,5 Milliarden Dollar aus über 220 Ländern eingesammelt, darunter eine Viertelmilliarde Dollar für mehr als 4000 digitale Spiele.36 Zu den erfolgreichsten Spieleprojekten auf Kickstarter gehören bis­lang TORMENT: TIDES OF NUMENERA, das 2013 knapp 4,2 Millionen Dollar erhielt, PROJECT ETERNITY (späterer Titel: PILLARS OF ETERNITY), das 2012 auf knapp 4 Millionen kam, sowie MIGHT NO. 9, das 2013 3,8 Millionen einzog.37 Dem »space trading and combat simulator« STAR CITIZEN, des Game-Design-Veteranen Chris Roberts (WING COMMANDER, seit 1990) 38 gelang es gar, in der Kombination von üblicher Kickstarter-Kampagne und eigener Dauer-Crowd­funding-Website zwischen 2012 und 2014 über 63 Millionen Dollar zu akkumulieren.39

Wie in den älteren audiovisuellen Medien Theater, Film und Fernsehen basieren nun aber auch die ökonomischen Potentiale digitaler Spiele darauf, dass mediale Produkte von einiger technischer und vor allem künstlerischer Qualität entstehen. Eine zentrale Rahmenbedingung dafür stellte sich erst im vergangenen Jahrzehnt durch die Steigerung der technischen Optionen her: Insbesondere verfügen nunmehr kleine Gruppen und sogar Individuen über Produktionsmittel, wie sie vor zwei Jahrzehnten noch das Privileg großer Firmen und Konzerne und in ihnen wiederum hochspezialisierter Experten waren.

Freilich verbindet sich mit diesen neuen technischen Mitteln die Herausforderung, ihnen in der künstlerischen Arbeit auf angemessene und kreative Weise Rechnung zu tragen. Das Game Design beeinflussten im vergangenen Jahrzehnt denn auch viererlei Entwicklungen:

 eine schwelende Stagnation und ästhetische Krise der hochgradig arbeitsteilig gefertigten AAA-Titel;

 der Aufstieg einer so genannten Indie-Szene, deren eher ›kleine‹ Spiele jenseits des kommerziellen Mainstreams angesiedelt sind und zum Ausbruch aus tradierten Schemata und zu künstlerisch-experimenteller Erprobung neigen;

 eine wuchernde Ausdifferenzierung in immer spezifischere Sub-Genres bei einem starken Zuwachs der Zahl produzierter Titel;

 das Eindringen von Praktiken und Mechanismen der Spieleentwicklung in andere Produktions-und Dienstleistungsbereiche.40

Letzteres beweist die herausragende Stellung, die digitale Spiele im sich herausbildenden digitalen Mediendispositiv einnehmen. Einst beeinflusste der aufstrebende Film die anderen, älteren Künste: Theater und Roman, Malerei und Musik entwickelten ›filmische‹ Qualitäten. Nicht anders prägen heute digitale Spiele – ihre ästhetischen Qualitäten wie die massenhafte Erfahrung ihrer interaktiven Rezeption – Medienproduktion und Medienkonsum, insbesondere im Bereich der audiovisuellen Konkurrenzmedien Film und Fernsehen. Parallel dazu werden auch die Verfahren des Game Designs als neue Produktionsweise für audiovisuelle Medien zu einer zentralen Praktik digitaler Kultur – von der Übernahme des ›Weltenbaus‹41, wie es im Game Design ein übliches Verfahren ist, in die avancierte Filmproduktion oder in die vielfältigen Visualisierungsanstrengungen in Wissenschaft und Wirtschaft bis zur ›gamifizierenden‹ Anwendung von Game-Design-Prinzipien in Marketing oder Wissensvermittlung.42 Als Grundtendenz lässt sich somit eine ›Demokratisierung des Game Designs‹ erkennen: eine stete Verbilligung und Vereinfachung der Finanzierung, der Konzeption und Herstellung, des globalen Vertriebs und der Nutzung digitaler Spiele.43