Erinnerungen aus galanter Zeit

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Erinnerungen aus galanter Zeit

Erotische Bibliothek

Band 21

Giacomo Casanova

Erinnerungen aus galanter Zeit

Aus dem Italienischen von Christian Kraus 1912

© Lunata Berlin 2019

Inhalt

Vorwort

Zum Geleit

1. Bettina

2. Lucia

3. Annita und Marietta

4. Lukrezia

5. Bellino

6. In Konstantinopel und auf Corfu

7. Christine

8. Fräulein Vesian

9. C. C. und M. M

10. Henrietta

11. Intermezzo

12. Die Frau des Bürgermeisters

13. Meine Tochter

14. Die Theologin

15. Spanien

Über den Autor

Die erotische Bibliothek

Vorwort

Ich habe diese Memoiren nicht für den Teil der Jugend geschrieben, welcher in Unwissenheit erhalten werden muß, um ihn vor dem Falle zu bewahren, sondern für diejenigen, welche viel gelebt haben und dadurch unempfindlich geworden sind, für diejenigen, welche sich viel im Feuer aufgehalten haben und dadurch Salamander geworden sind. Da die wahren Tugenden nur Gewohnheiten sind, so wage ich zu sagen, daß die wahren Tugendhaften diejenigen sind, welche die Tugend ohne die geringste Mühe üben. Diese Leute haben keine Idee von Intoleranz, und für sie habe ich geschrieben.

Giacomo Casanova

Zum Geleit

Drei Mythen gebar das christkatholische Europa, in drei grundverschiedenen Formen schwebte ihm das Bild des Mannes vor: in dem germanischen Faust, dem romanischen Don Juan und dem jüdischen Ahasver. Und es ist seltsam genug, daß der Mann, der der letzte große Lebenskünstler der alten Zeit war, alle drei Typen in sich vereinte: Casanova.

Rastlos war er, wie der ewige Jude. Trieb sich am Bosporus herum wie am Lido, war bei Kaiser Joseph zu Gast wie bei dem großen Friedrich und bei Katharina ›dem‹ Großen, fühlte sich ebenso zu Hause in Holland wie in der Schweiz, in Frankreich wie in Italien und Spanien. Überall hochwillkommen und hochgeehrt und überall zuletzt in irgendeinen Skandal verwickelt und weggejagt: wie Benvenuto Cellini, wie Austin de Bordeaux. Aber von des Florentiners Wirken zeugt sein Perseus, zeugt manches andere intime Kunstwerk; und des genialen Gascogners wildes Leben krönte die Tadj-Mahal, der wundervollste Traum in dem Wunderlande Indien und das herrlichste Werk, das je eines Künstlers Hirn entsprang. Casanova hinterließ kein Werk, das ihm in alle Zukunft bezeugen konnte: dieser Mann hatte ein Recht, anders zu Leben wie die Menge. Hinterließ nichts als – – eben die Geschichte dieses Lebens selbst. Und die Mucker, die immer wieder und in allen Ländern diese Geschichte auf den Index ihrer kleinen Moral setzten, würden recht haben, wenn eben nicht dies Leben in sich ein so vollendetes Kunstwerk gewesen wäre, und dazu eines, in dem sich eine ganze Zeit spiegelte.

Nur der Casanova, der ein Ahasver war, der ruhelos durch die Welt seiner Zeit zog und am letzten Ende nur rastete, um – am Schreibtische – noch einmal die verschlungenen Wege seines wilden Lebens zu durchwandern, konnte ein solcher Brennspiegel werden. Aber auch nur der Casanova, der zu gleicher Zeit ein Faust war und ein Don Juan.

Ein Faust war er. War ein Mensch, dem nichts entging, was dem menschlichen Geist von Interesse sein kann. Theologie, Juristerei und Medizin hatte er ebenso studiert wie Philosophie, und wenn man auch das ›heiße Bemühen‹ ihm dabei gewiß nicht recht glauben will, so bleibt doch bestehen, daß er sich um alle diese und sehr viele andere Dinge, wenn nicht als ein großer Gelehrter, so doch als ein grundgescheiter Dilettant und oft als ein Fachmann eifrig kümmerte. Er war Offizier und Diplomat, Theologe und Jurist, dann wieder Schauspieler und Violinvirtuose. Er war Dichter und Wunderdoktor, Politiker und Bibliophile, Kunstkenner und Altertumsforscher. Er sprach alle europäischen Sprachen, kannte die Systeme aller Philosophen und hat sich selbst sein eigenes zurechtgemacht. Er war Mathematiker, dazu Alchimist und Chemiker und natürlich auch Astrolog, Schatzgräber, Goldmacher und Schwindeldoktor. Und in allem und überall suchte er auf den Ursprung der Dinge zu kommen.

Freilich schürfte er nirgends sehr tief, nahm wenig oder nichts ernst. Ging heran an alles mit heißem Blute und klarem Blicke – warf es dann weg, wenn sich irgendein größerer Widerstand ihm in den Weg stellte oder wenn ein schönes Frauenauge ihn ablockte.

Denn er war auch – und mehr als alles andere – Don Juan Tenorio, war es als Kind seiner Zeit sowohl wie als Kind seiner eigenen Natur.

Das Mittelalter hatte aus der Liebe eine Religion gemacht, das Rokoko machte ein Spiel daraus. Und dieses oft frivole, oft genug tragische Spiel der Liebe hat nie wieder ein anderer Mensch zu solcher Kunst erhoben wie Giacomo Casanova. Was noch roh ist und ungeschliffen bei Benvenuto, dem ungestümen Kraftmenschen der Renaissance, wird bei ihm geistvoll, durchdacht. Jedes kleine Liebesabenteuer Casanovas ist in sich eine Probe seiner Lebenskunst. Wenn man Casanovas Erinnerungen liest und dann die Briefe der Pfalzgräfin Liselotte, so glaubt man, in zwei Welten zu blicken, die durch unendliche Zeit voneinander getrennt sind – und doch sind die beiden kaum zwei Menschenalter voneinander entfernt. Liselotte, die Schwägerin des vierzehnten und die Mutter des fünfzehnten Ludwig, lebte am ersten Hofe der Welt, galt dazu als eine der gescheitesten und mutterwitzigsten Frauen ihrer Zeit. Casanova aber war der Sohn einer verachteten Schauspielerin und der Enkel eines Schusters, begann in den niedrigsten Tiefen des Lebens. Und dennoch ist er der große Weltmann, ist die berühmte Fürstin eine manchmal amüsante, aber doch recht plumpe und brutale Bäuerin neben ihm. Bei beiden spürt man, daß das, was sie erzählen, durchaus der Wahrheit entspricht und nicht, wie bei dem manchmal etwas färbenden Cellini, der hier ein bißchen mehr, dort etwas weniger berichtet als gerade stimmt, geschrieben wurde: ad majorem autoris gloriam. Die Herzogin von Orleans erlebt alles – und was konnte man nicht erleben am Hofe des Sonnenkönigs! – wie eine kräftige Landdirne, die keine Nerven, die Eisendrähte im Leibe hat; erlebt fast wie ein Tier oder ein Phonograph. Unglaublich naiv, selbstverständlich und derb, mißt sie, was auch um sie her geschieht, nach ihrem Maße: zieht es hinab auf ihr Niveau, manchmal ins Lustige und Komische, stets aber ins sehr Bürgerliche und Kleinliche. Casanova dagegen erlebt Novellen und Geschichten, erlebt ein Kapitel und eine Episode nach der andern: schon in seinem Erleben selbst liegt die Kunst. Darum sind seine Memoiren so ungeheuer anziehend, darum wurden sie, selbst ehe noch Brockhaus vor bald einem Jahrhundert das Manuskript herausgab, ein Leckerbissen für die wenigen Künstler und Weltleute, denen das berühmte Leipziger Haus Einsicht darin gestattete. Vom Fürsten von Ligne, dem großen Mäzen aller abenteuernden Lebemänner seiner Zeit, angefangen, bis zu dem pedantischen Hebbel mit seinem allzu bürgerlichen Horizont, erkannte jeder Intellektuelle die überragende Bedeutung dieser Lebenserinnerungen an, tat das um so offener und kräftiger, je mehr immer wieder pfäffische Einflüsse die Bände zu unterdrücken suchten.

In dem ersten Kapitel seiner Erinnerungen erzählt Casanova lang und breit von dem Stammbaum seiner Familie, die aus Spanien stamme und dann nach Venedig kam. Er kennt eine ganze Reihe seiner Vorfahren genau, und sie sind alle gut katholisch, spanische und italienische Christen. Ich aber glaube kein Wort davon. Ich meine vielmehr: in den Adern dieses Mannes rollte in guter Mischung alles Blut, das die Kultur Europas schuf, germanisches, romanisches und jüdisches. Und so ward in ihm der große ›Europäer‹, der Weltmann, der ein rastloser Ahasver war, ein wahrheitssuchender Faust und – vor allem – ein Leben und Liebe schenkender und trinkender Don Juan. Don Juan freilich ist die stärkste Seite in des großen Abenteurers Wesen. Und darum mußte diese gekürzte Ausgabe seiner Erinnerungen sich hauptsächlich mit diesem Casanova beschäftigen. Eine literarisch-amüsante, künstlerisch geschmückte Auslese von Casanovas galanten Abenteuern besteht bis jetzt in deutscher Sprache noch nicht; alle bisherigen Ausgaben der ›Erinnerungen‹, die Anspruch auf literarische Bedeutung haben – so vor allem die vierzehn, bändige ausgezeichnete des Georg Müllerschen Verlags in München –, sind »vollständig«, aber für viele Tausende unerschwinglich. Von dem überflüssigen Ballast historischer Details ist die vorliegende Ausgabe befreit worden, die genußreicher Unterhaltung dienen soll. Dabei ist aber nicht etwa beabsichtigt, Casanova als reinen Erotiker hinzustellen: er zeigt sich hier als der wahrheitsliebende und schönheitsdurstige Sittenschilderer eines Zeitalters, dessen Esprit in ihm seinen glänzendsten Interpreten fanden.

 

Die Bilder des Marquis von Bayros scheinen mir am besten geeignet, dem Geiste des lebensfrohen Venetianers gerecht zu werden.

Miramar, im Juni 1911

Hanns Heinz Ewers

1
Bettina

Weiß Gott, was die Menschen oft zusammenführt. Hätte ich als Kind nicht an starkem Nasenbluten gelitten, nimmermehr hätte mein Auge Bettina erblickt, Bettina, die dem Knaben die ersten Äußerungen der Liebe entlockte. Dieses Nasenbluten schwächte meinen noch unentwickelten Körper überaus, so daß ich unfähig war, mich mit irgend etwas zu beschäftigen, und ganz blödsinnig aussah. Da auch der Hokuspokus einer Hexe von Murano, zu der mich meine gute Großmutter brachte, nicht imstande war, mich davon zu heilen, hörte endlich meine Mutter und mein Vormund, der Herr Grimani, auf den Rat eines Arztes, welcher eine Heilung meines Übels nur bei Luftveränderung hoffen ließ, und brachten mich nach Padua in Pension. Meine Pensionsmutter war eine alte Slavonierin, deren ganzes Wesen mich, der ich von Schönheit und Höflichkeit doch noch gar keine Ahnung hatte, anwiderte. Aber das wäre noch das wenigste gewesen: nachts fraß mich das Ungeziefer fast lebendigen Leibes, und da sich in der paduanischen Luft mit meiner Gesundheit auch ein derber Hunger einstellte, den die Kost der Slawonierin niemals stillen konnte, magerte ich entsetzlich ab. Wohl wußte ich mir manchmal Eßbares zur Genüge zu verschaffen: durch Beutezüge im Hause meiner Wirtin, die verzweifeln wollte, weil sie den Dieb nicht entdecken konnte. Auch nutzte ich mein Amt als Dekurio der Schule aus, die ich besuchte. Ich war durch Fleiß und Kenntnisse zu diesem Amte gelangt, wobei mir oblag, die Aufgaben meiner dreißig Mitschüler zu prüfen, zu korrigieren und mit der gebührenden Zensur zu übergeben. Nichts lag näher, als daß sich meine Freßlust mit allem Eßbaren von den Faulen bestechen ließ, und auch, daß ich bald mein Amt mit aller Ungerechtigkeit ausübte, was die besseren Schüler bald nicht mehr ertrugen und dem Lehrer anzeigten. Bei der Untersuchung erkannte mein Lehrer den jämmerlichen Zustand meines Unterhalts. Da er mir außerordentlich wohlwollte, setzte er es bei meiner Mutter durch, daß ich der Slawonierin genommen und in sein Haus gegeben wurde. Ach, der gute freundliche Priester Doktor Gozzi! Er liebte mich über alle Maßen und schenkte mir seine ganze Zuneigung, so daß ihn nach einem halben Jahre alle seine Schüler verließen. Er beschloß dann, ein kleines Kollegium zu errichten und junge Schüler in Pension zu nehmen. Aber erst in zwei Jahren brachte er es darin zu etwas, in der Zwischenzeit widmete er sich ganz mir, lehrte mich alles, was er wußte; auch das Violinspiel lernte ich bei ihm, welches mich später einmal in größter Not über Wasser halten sollte. Als ich nach zwei Jahren etwa, es war in der Fastenzeit des Jahres Siebzehnhundertsechsunddreißig, mit meinem Lehrer der Mutter einen Besuch abstattete, erregte ich, den alle vorher für blödsinnig gehalten hatten, durch meine Kenntnisse und Fertigkeiten, darunter nicht zuletzt meine poetischen Leistungen, die Bewunderung des ganzen Kreises meiner Angehörigen und ihrer Freunde, und der Doktor freute sich kindisch, als er sah, daß ihm das Verdienst dieser Umwandlung zugesprochen wurde. Unangenehm aber fiel meiner Mutter meine helle, blonde Perücke auf, welche in krassem Widerspruch stand mit meinem braunen Gesicht, den schwarzen Augen und Brauen. Sie fragte den Doktor, warum er mich nicht frisieren lasse? Als er antwortete, die Perücke erleichtere seiner Schwester meine Reinhaltung, erregte diese naive Ansicht allgemeines Gelächter, welches sich noch verdoppelte, als ich auf die Frage, ob seine Schwester verheiratet sei, statt seiner antwortete, Bettina sei das schönste Mädchen des ganzen Viertels und erst vierzehn Jahre alt. Da versprach meine Mutter dem Mädchen ein schönes Geschenk, wenn es mich in meinem wirklichen Haar gehen lasse, worauf der gute Doktor beteuerte, dies solle von jetzt ab geschehen. Ja, Bettina war reizend, heiter und eine große Romanleserin. Vater und Mutter waren unzufrieden mit ihr, weil sie sich zu viel am Fenster sehen ließ, und der Doktor wegen ihrer Neigung zum Lesen. Das Mädchen gefiel mir von Anfang an, ohne daß ich wußte weshalb, und sie war es, welche in mein Herz die ersten Funken einer Leidenschaft schleuderte, die später jede andere überwog. Die fünf Ellen Seidenzeug und das Dutzend Handschuhe, das Geschenk, welches meine Mutter der Kleinen sandte, weckten in ihr eine außerordentliche Zuneigung für mich, und sie nahm sich so sehr meiner Haare an, daß ich in noch nicht einem halben Jahre meine Perücke ablegen konnte. Sie kämmte mich alle Tage, und oft sogar im Bette, da sie, wie sie sagte, nicht Zeit hatte, abzuwarten, bis ich aufgestanden wäre. Sie wusch mir das Gesicht, den Hals, die Brust und erwies mir kindliche Liebkosungen, die ich für unschuldig hielt, und die mich gegen mich selbst aufbrachten, weil sie mich reizten. Ich war drei Jahre jünger als sie, so schien es mir, daß sie mich nicht ernsthaft lieben könne, und das verstimmte mich. Saß sie auf meinem Bette und sagte zu mir, ich würde fetter, wobei sie sich mit ihren Händen davon überzeugte, so versetzte sie mich in die höchste Aufregung, aber ich ließ sie ruhig machen, damit sie meine Gefühlserregung nicht gewahr würde, und wenn sie mir sagte, ich hätte eine sanfte Haut, so nötigte mich ihr Kitzeln, mich zurückzuziehen; ich war dann ärgerlich, daß ich nicht dasselbe gegen sie zu tun wagte, aber doch erfreut, daß sie nicht ahne, wie große Lust ich dazu habe. War ich angekleidet, gab sie mir die süßesten Küsse und nannte mich ihr liebes Kind; aber wie gern ich auch ihrem Beispiel folgen mochte, ich war doch noch nicht kühn genug dazu. Als später freilich meine Schüchternheit mich lächerlich machte, faßte ich Mut und gab ihr kräftigere zurück, als sie mir gegeben; aber doch hielt ich immer an, sobald ich die Lust verspürte, weiter zu gehn; ich wendete den Kopf um, indem ich tat, als ob ich etwas suchte, und sie entfernte sich. Dann aber geriet ich in Verzweiflung, daß ich nicht dem Zuge meiner Natur gefolgt war; und verwundert, daß Bettina mit mir ohne weitere Folgen machen konnte, was sie wollte, während ich mich nur mit der größten Mühe enthalten konnte, weiter zu gehen, gelobte ich mir jedesmal, mich anders zu benehmen. Da bekam im Anfange des Herbstes der Doktor drei neue Pensionäre, von denen sich der eine, ein Junge von fünfzehn Jahren, in noch nicht einem Monate sehr gut mit Bettina zu stehen schien. Diese Beobachtung brachte in mir eine Empfindung hervor, von welcher ich bis dahin keine Idee gehabt und die ich erst einige Jahre später zu analysieren vermochte. Es war weder Eifersucht noch Unwille, sondern eine edle Verachtung, welche ich nicht unterdrücken zu dürfen glaubte, denn Cordiani, der unwissend, geistlos, ohne gesellschaftliche Erziehung der Sohn eines einfachen Pächters und ganz unfähig war, sich mit mir zu messen, und der keinen andern Vorzug hatte, als den des reiferen Alters, schien mir nicht geeignet, mir vorgezogen zu werden. Eine Empfindung des Stolzes, gemischt mit Verachtung, überkam mich gegen Bettina, die ich liebte, ohne es zu wissen. An der Art, wie ich ihre Liebkosungen aufnahm, als sie mich in meinem Bette kämmen wollte, wurde sie dies gewahr: ich stieß ihre Hände zurück und erwiderte ihre Küsse nicht. Gereizt, weil ich ihr auf Befragen keinen Grund ihres Benehmens angab, sagte sie zu mir mit mitleidiger Miene, ich sei eifersüchtig auf Cordiani. Ich sagte zu ihr, ich hielte Cordiani ihrer würdig, wenn sie es seiner wäre. Sie entfernte sich lachend. Sie sann auf einen Plan, der sie allein rächen konnte, dazu sah sie sich genötigt, mich eifersüchtig zu machen. Da sie aber ihren Zweck nicht erreichen konnte, ohne mich verliebt zu machen, so ging sie dabei auf folgende Weise vor: eines Morgens kam sie an mein Bett mit einem Paar weißer Strümpfe, die sie mir gestrickt hatte. Nachdem sie mir die Haare gekämmt, sagte sie, sie müsse mir die Strümpfe selbst anprobieren, um zu sehen, ob sie Fehler gemacht, damit sie sich künftig danach richten könne. Der Doktor war zur Messe gegangen. Als sie dabei war, mir die Strümpfe anzuziehen, sagte sie, meine Beine seien schmutzig, und ohne mich um Erlaubnis zu fragen, schickte sie sich an, sie mir zu waschen. Ich würde mich geschämt haben, Verlegenheit zu zeigen; ich ließ sie also machen, ohne zu ahnen, was dabei herauskommen mußte. Bettina, die auf meinem Bette saß, trieb den Eifer für die Reinlichkeit zu weit, und ihre Neugierde verschaffte mir ein so lebhaftes Vergnügen, daß diese nicht eher aufhörte, als bis sie nicht weiter getrieben werden konnte. Als ich wieder ruhig geworden war, hielt ich mich für schuldig und für verpflichtet, sie um Verzeihung zu bitten. Sie hatte dies schwerlich erwartet, dachte einen Augenblick nach, und sagte dann mit dem Tone der Nachsicht, sie sei die Schuldige, aber so etwas soll ihr nicht wieder begegnen. Hieraus entfernte sie sich und überließ mich meinen Betrachtungen. Sie waren grausam. Es kam mir vor, als ob ich sie entehrt, das Vertrauen der Familie gemißbraucht, daß ich ein schreckliches Verbrechen begangen, welches ich nur durch eine Heirat wieder gutmachen könne. Eine Schwermut kam über mich, die immer größer wurde, da Bettina nicht mehr an mein Bett kam, und sie wäre allmählich zur vollkommensten Liebe geworden, wenn nicht ihr Benehmen Cordiani gegenüber das Gift der Eifersucht in meine Seele geträufelt hätte, obwohl ich weit entfernt war, zu glauben, sie habe mit diesem dasselbe Verbrechen begangen wie mit mir. Da ich mir sagte, sie habe doch aus freien Stücken gehandelt, und nur die Reue halte sie ab, wiederzukommen, so schmeichelte sich meine Eigenliebe: sie sei verliebt, und in meiner Einfalt beschloß ich, sie schriftlich zu ermuntern. Ich schrieb einen kurzen Brief, der sie aber hinreichend beruhigen konnte. Mein Brief schien mir ein Meisterwerk und durchaus geeignet, mir ihre höchste Liebe zu erringen und mir den Vorzug vor Cordiani zu verschaffen, dessen Persönlichkeit mir nicht so beschaffen schien, daß sie zwischen ihm und mir hätte schwanken können. Eine halbe Stunde, nachdem sie meinen Brief empfangen, antwortete sie mir mündlich, sie werde übermorgen wieder, wie vor unserer Szene, auf mein Zimmer kommen; aber ich erwartete sie vergeblich, worüber ich sehr aufgebracht war. Aber mein Erstaunen, als sie mich bei Tische fragte, ob ich wolle, daß sie mich zu dem Balle, den einer unserer Nachbarn fünf oder sechs Tage später gab, als Mädchen ankleiden solle! Da alle diesem Vorschlag Beifall gaben, so willigte ich ein. Mir schien dies eine gute Gelegenheit, uns zu erklären, uns gegenseitig zu rechtfertigen, und um geschützt gegen alle Überraschungen der Sinne wieder als gute Freunde zu leben. Ein Ereignis jedoch verhinderte die Ausführung und führte eine wahre Tragikomödie herbei. Ein alter und wohlhabender Pate des Doktor Gozzi, welcher auf dem Lande wohnte, schickte diesem, als er sich nach einer langen Krankheit seinem Ende nahe glaubte, einen Wagen und ließ ihn bitten, ohne Zaudern nebst seinem Vater zu ihm zu kommen, um bei seinem Tode zugegen zu sein und seine Seele Gott anzuempfehlen. Der alte Schuhmacher, der Vater Gozzis, welcher nur nach einigen Gläsern Wein Sprache und Vernunft fand, leerte eine Flasche, zog seinen Sonntagsanzug an und machte sich mit seinem Sohne auf den Weg. Da ich die Gelegenheit für günstig hielt und sie benutzen wollte, da überdies die Ballnacht für meine Ungeduld zu entfernt war, so sagte ich Bettina, ich würde meine nach dem Flur hinausgehende Tür offen lassen und sie, sobald alles im Hause sich zu Bett gelegt hätte, erwarten. Sie versprach mir zu kommen. Sie schlief zu ebener Erde in einem Kabinett, welches nur durch eine dünne Wand vom Schlafzimmer ihres Vaters getrennt war. Da der Doktor abwesend, schlief ich allein in dem großen Gemach. Die drei Pensionäre wohnten in einem abseits liegenden Raume, ich hatte also keine Störung zu fürchten. Ich war entzückt, daß der ersehnte Augenblick herannahte. Kaum war ich in mein Zimmer zurückgekehrt, als ich auch die Tür verriegelte und die nach dem Flur hinausgehende aufschloß, so daß Bettina sie bloß aufzumachen brauchte; dann löschte ich mein Licht, blieb jedoch angekleidet. In einem Roman scheinen solche Situationen übertrieben; sie sind es nicht, und was Ariost von Ruggiero sagt, der auf Alcina wartet, ist ein gutes naturgetreues Bild. Ich wartete bis Mitternacht, ohne mich zu beunruhigen; als aber die zweite, dritte, vierte Stunde vorüberging und sie noch nicht erschien, entflammte sich mein Blut und ich wurde wütend. Es fiel starker Schnee, aber ich litt noch mehr vor Wut als vor Kälte. Eine Stunde vor Tagesanbruch, als ich meine Ungeduld nicht mehr beherrschen konnte, beschloß ich, auf den Strümpfen, um den Hund nicht zu wecken, ins untere Stockwerk zu schleichen und mich unten an der Treppe, vier Schritte von Bettinas Tür, zu postieren, die hätte offen sein müssen, wenn sie hinausgegangen wäre. Als ich hinkam, fand ich sie verschlossen, und da sie nur von innen abgeschlossen werden konnte, dachte ich, Bettina sei eingeschlafen. Ich wollte klopfen, aber die Furcht, der Hund werde bellen, hielt mich ab, Lärm zu machen. Von dieser Tür bis zu der ihres Kabinetts waren es noch zehn bis zwölf Schritte. Gänzlich niedergeschlagen und unfähig, einen Entschluß zu fassen, setzte ich mich auf die unterste Stufe; aber gegen Tagesanbruch, erkältet, erstarrt vor Frost klappernd, und fürchtend, die Magd könnte mich finden und für toll halten, entschloß ich mich, wieder auf mein Zimmer zu gehen. Ich stehe auf, aber in demselben Augenblicke höre ich Lärm in Bettinas Zimmer. Überzeugt, daß sie kommen werde, und neugestärkt durch die Hoffnung, nähere ich mich der Tür: sie öffnet sich; aber statt Bettinas erscheint Cordiani, der mich mit einem furchtbaren Fußstoße vor den Bauch weit weg in den Schnee schleudert. Ohne zu verweilen begibt sich Cordiani in den Raum, wo er mit den beiden Feltrinis, seinen Kameraden, schlief. Ich stehe rasch auf, um mich an Bettina zu rächen, welche in diesem Augenblicke meiner Wut nicht entgangen wäre. Ich finde ihre Türe geschlossen und bearbeite sie mit kräftigen Fußtritten; der Hund fängt an zu bellen, und ich eile auf mein Zimmer, wo ich mich einschließe, um mich seelisch und körperlich zu erholen, denn ich war mehr als tot. Betrogen, gedemütigt, mißhandelt, ein Gegenstand der Verachtung für den glücklichen und triumphierenden Cordiani, beschäftigte ich mich drei Stunden lang mit den schwärzesten Racheplänen. In diesem schrecklichen und unglückseligen Augenblick schien es mir noch zu wenig, sie alle zu vergiften. Von diesem Plane ging ich zu dem ebenso unsinnigen wie niederträchtigen über, mich augenblicklich zu ihrem Bruder zu begeben und ihm alles zu erzählen. In dieser Verfassung war ich, als die rauhe Stimme von Bettinas Mutter mich rief, ich möchte doch herunterkommen, ihre Tochter liege im Sterben. Ärgerlich, ihr Tod möchte sie meiner Rache entziehen, begebe ich mich in ihr Zimmer, wo ich die ganze Familie um ihr Bett fand. Sie lag in schrecklichen Krämpfen. Ihr halbbekleideter Körper krümmte sich bald rechts, bald links, blindlings stieß sie mit Händen und Füßen um sich, daß niemand sie halten konnte. Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Ich kannte weder die Natur noch die List des Weibes, und ich wunderte mich, daß ich kalter Zuschauer bleiben und in Gegenwart zweier Personen, von denen ich die eine töten, die andere entehren wollte, die Gewalt über mich behaupten konnte. Nach Verlauf einer Stunde schlief Bettina ein. Hebamme und Doktor, welche gerufen wurden, konnten sich über die Krankheit nicht einigen. Meinerseits lachte ich innerlich über beide, denn ich wußte oder glaubte zu wissen, daß die Krankheit des Mädchens mit ihren nächtlichen Beschäftigungen oder mit ihrer Angst wegen meiner Begegnung mit Cordiani zusammenhing. Aber ich beschloß, meine Rache bis zur Ankunft ihres Bruders zu vertagen. Da ich, um in mein Zimmer zu gelangen, durch Bettinas Kabinett hindurchgehen mußte und ihre Tasche auf dem Bette liegen sah, kam ich auf die Idee, sie zu durchsuchen. Ich fand ein Billett, und da ich die Handschrift Cordianis erkannte, nahm ich es mit, um es in Ruhe auf meinem Zimmer zu lesen. Ich war erstaunt über die Unbesonnenheit des Mädchens, denn ihre Mutter hätte das Billett finden können, und, des Lesens unkundig, ihrem Sohne, dem Doktor, zeigen können. Ich konnte mir nichts anderes denken, als daß sie den Kopf verloren habe; aber man male sich aus, was ich empfinden mußte, als ich folgende Worte las: ›Da Dein Vater verreist, so brauchst Du nicht, wie sonst, die Türe offen zu lassen. Wenn wir von Tische aufstehen, werde ich mich in Dein Kabinett begeben; dort wirst Du mich finden.‹ Nach einem Augenblicke der Erstarrung und des Nachdenkens überfiel mich die Lust zu lachen, und da ich sah, wie sehr ich angeführt worden war, so hielt ich mich für gänzlich geheilt von meiner Liebe. Ich wünschte mir Glück, daß ich eine so ausgezeichnete Lehre für mein künftiges Leben erhalten hatte. Ich fand nun sogar, daß Bettina recht gehabt, mir den Cordiani vorzuziehen, da dieser fünfzehn Jahre alt und ich nur ein Kind war. Trotz meiner Geneigtheit, zu vergessen, konnte ich Cordianis Fußtritt nicht vergessen und blieb ihm noch böse. Als wir zur Mittagszeit in der Küche bei Tische saßen, fing Bettinas Geschrei von neuem an. Alle eilten zu ihr, ich ausgenommen, der ruhig sein Mittagessen beendete und dann an seine Studien ging. Als ich abends zum Essen kam, sah ich Bettinas Bett neben dem ihrer Mutter stehn; aber ich blieb gleichgültig dagegen, wie gegen den Lärm in der Nacht. Trotzdem sich das Geschrei Bettinas und der Lärm um sie immer wieder erneuerte, blieb ich vollkommen gleichgültig dagegen, ich gab auch meinen Racheplan auf, als der Doktor zurückkehrte, denn die skandalöse Geschichte zu erzählen, konnte mir nur im Augenblick der höchsten Wut einkommen. Am folgenden Tage redete die Mutter dem Doktor ein, Bettina sei behext, und wußte allerlei anzugeben, so daß der Verdacht der Urheberschaft auf die Magd fiel. Sogleich unternahm es Doktor Gozzi selbst, seine Schwester zu exorzisieren; ich sah mir dies Mysterium an: alle schienen mir toll oder schwachköpfig, denn nicht ohne Lachen konnte ich an den Teufel in Bettinas Leib denken. Als hernach der Doktor wieder auf sein Zimmer gegangen war und ich mich mit Bettina allein sah, flüsterte ich ihr ins Ohr: »Fasse Mut, werde gesund und vertraue meiner Verschwiegenheit.«

 

Sie wandte, ohne mir zu antworten, den Kopf auf die andere Seite; aber den Rest des Tages blieb sie ohne Krämpfe. Ich hielt sie für geheilt, aber am folgenden Tage stieg ihr die Krankheit zum Gehirn und ihr Wahnsinn sprach einen solchen Wirrwarr, daß kein Mensch mehr an ihrer Besessenheit zweifelte. Sofort ließ ihre Mutter den berühmtesten Teufelsbanner von Padua kommen, einen häßlichen Kapuziner, dem das Mädchen einen solchen Spuk machte, derartige Beleidigungen an den Kopf warf, daß er sich nicht mehr anders zu helfen wußte, als dadurch, daß er mir die Schuld beimaß, weil ich ungläubig sei. Ich mußte mich entfernen, aber Bettina warf ihm nun gar ein Glas mit schwarzer Medizin an den Kopf, und mit großem Vergnügen vernahm ich, daß auch Cordiani sein Teil abbekam. Da gab's der Pater auf. Am Abend überraschte uns Bettina, als sie ruhig und gesittet bei Tisch erschien; sie wandte sich im Laufe des Gesprächs an mich, sie werde mich zu dem Balle morgen als Mädchen ankleiden. Ich dankte und riet ihr, sie möchte sich doch noch schonen. Sie begab sich darauf bald wieder zu Bett. Später fand ich in meiner Nachtmütze ein Billett: ›Du kommst als Mädchen verkleidet mit mir auf den Ball oder ich führe ein Schauspiel auf, über welches Du weinen wirst.‹ Als der Doktor eingeschlafen war, schrieb ich ihr als Antwort, ich wollte jede Gelegenheit mit ihr allein zu sein vermeiden, ich bäte sie, mein Herz zu schonen, das ihr wie einer Schwester gehöre. ›Ich habe Dir verziehn, teure Bettina, und will alles vergessen. Hier ist ein Billett, das Du gewiß gern wieder in Händen hättest. Sieh, was Du wagtest, als Du es auf dem Bette liegen ließest, und erkenne meine Freundschaft daran, daß ich es Dir zurückgebe.‹ Um sie also zu beruhigen, daß ich um ihr Geheimnis wußte, übergab ich am Morgen das Billett und meine Antwort. Das Mädchen hatte durch seinen Geist meine Achtung gewonnen; ich sah nur noch ein durch Temperament verführtes Mädchen in ihr. Sie liebte den Mann und war nur der Folgen wegen zu beklagen. So resignierte ich als vernünftiger Mensch und unglücklicher Liebhaber. Während des ganzen Tages spiegelte Bettina Heiterkeit vor, gegen Abend aber mußte sie wieder ihres Befindens wegen das Bett aufsuchen, worüber das ganze Haus in Aufregung geriet. Ich wußte alles, und so machte ich mich auf neue, noch traurigere Szenen gefaßt, denn ihre Eigenliebe konnte die Überlegenheit nicht dulden, die ich über sie erlangt hatte. Ach, ich bekenne trotz der guten Schule, die ich schon vor meiner Jünglingszeit durchgemacht, die mir als Schutz für die Zukunft hätte dienen können, bin ich mein ganzes Leben lang von Frauen betrogen worden. Ohne meinen Schutzgeist hätte ich vor zwölf Jahren in Wien noch ein leichtsinniges junges Mädchen geheiratet. Jetzt, wo ich zweiundsiebzig Jahre alt bin, glaube ich mich gegen solche Torheiten gewaffnet; aber leider betrübt mich das sehr. Am nächsten Tage tobte Bettina so, daß auch der Doktor meinte, sie müsse besessen sein, weshalb er beschloß, sie dem Pater Mancia anzuvertrauen. Als dieser an das Bett Bettinas geführt wurde, war ich ganz außer mir, nicht ohne Grund: sein Wuchs war groß und majestätisch, sein Alter etwa dreißig Jahre. Er hatte blonde Haare und blaue Augen. Seine Gesichtszüge glichen denen des Apollo von Belvedere, nur daß in ihnen weder Triumph noch Anmaßung zu finden war. Er war von blendender Weiße und bleich, aber diese Blässe schien nur dazu bestimmt zu sein, um seine korallenroten Lippen, die beim Öffnen zwei Reihen Perlen sehen ließen, desto schärfer hervortreten zu lassen. Die Traurigkeit seiner Züge verstärkte den sanften Ausdruck des Gesichts. Bettina stellte sich schlafend. Als er sie aber mit geweihtem Wasser benetzte, öffnete sie die Augen, sah sich den Exorzisten genauer an, legte sich dann auf den Rücken, ließ die Arme sinken, und, den Kopf graziös geneigt, überließ sie sich einem Schlafe, der den süßesten Anblick bot. Der Pater machte seine Zeremonien, und als nichts damit erreicht wurde, versprach er, andern Tags wiederzukommen. Entzückend erschien am nächsten Morgen Bettina. Sie begann mit den ausschweifendsten Reden, die ein Dichter nur ersinnen kann, und unterbrach diese auch nicht, als der schöne Exorzist kam; er ließ sie sich eine Viertelstunde lang gefallen, worauf er sich mit seinem ganzen Apparate wappnete und uns bat, uns zu entfernen. Wir gehorchten augenblicklich, und die Tür blieb offen; aber was tat dies, da niemand gewagt hätte, einzutreten. Während dreier langer Stunden herrschte das tiefste Schweigen. Gegen Mittag rief uns der Mönch und wir traten ein. Bettina lag traurig und ruhig da, während der Mönch sich zum Fortgang rüstete. Er entfernte sich mit der Versicherung, daß er gute Hoffnung habe, und bat den Doktor, ihm Nachricht zukommen zu lassen. Bettina speiste zu Mittag in ihrem Bette, kam abends an unseren Tisch und war am folgenden Tage vernünftig; aber folgender Umstand bestärkte mich in dem Glauben, daß sie weder toll noch besessen sei. Der Doktor bestimmte, daß wir unsere nächste Beichte bei Pater Mancia ablegen sollten. Cordiani und die Feltrinis waren bereit, ich aber wollte den Plan hintertreiben, denn ich glaubte an die Heiligkeit der Beichte und wollte nimmermehr dem Pater Mancia mein Erlebnis mit einem Mädchen anvertrauen, da er sofort Bettina erkannt hätte. Am folgenden Morgen gab mir Bettina ein Billett: ›Hasse mein Leben, aber schone meine Ehre. Keiner von euch darf morgen beim Pater Mancia beichten. Du allein kannst den Plan verhindern. Ich werde daran sehen, ob Du wirklich Freundschaft für mich fühlst.‹ Ich antwortete, daß ich wohl selbst entschlossen sei, ihrer Bitte zu genügen, aber über Cordiani vermöchte ich nichts, sie müßte sich selbst an ihren Liebhaber wenden. Sofort schrieb sie mir: ›Mit Cordiani habe ich seit jener unseligen Nacht, die mich unglücklich gemacht, nicht mehr gesprochen, und ich werde nicht mehr mit ihm sprechen. Dir allein will ich mein Leben und meine Ehre schuldig sein.‹ Sie trieb ein freches Spiel mit mir, das fühlte ich. Sie wußte sich des Erfolges sicher; aber in welcher Schule hatte sie wohl das menschliche Herz studiert? In Romanen? Es ist möglich. – Ich war entschlossen, ihrer Bitte nachzukommen. Beim Zubettgehen sagte ich meinem Lehrer, mein Gewissen nötige mich, nicht bei Pater Mancia zu beichten. Und da der gute Doktor meine Gründe ehrte, versprach er, uns alle nach einer andren Kirche zur Beichte zu führen. Als dies geschah, mußte ich einer Fußverletzung wegen das Bett hüten und war so mit Bettina allein zu Hause. Unter irgendeinem Vorwand kam sie auf mein Zimmer; da ich dies erwartet hatte und endlich den Augenblick einer Erklärung gekommen sah, empfing ich sie sehr erfreut. Sie setzte sich auf mein Bett, und nachdem ich ihr meine augenblicklichen Gefühle gegen sie auseinandergesetzt, daß meine Liebe in jener Nacht in Haß umgeschlagen, daß ich aber jetzt wegen des Geistes, den sie gezeigt, alle Achtung, ja Freundschaft für sie hege, bat ich sie, mir mit gleicher Aufrichtigkeit entgegenzukommen, alle Liebe beiseite zu lassen, meinetwegen nicht mit Cordiani zu brechen, den sie vielleicht mit denselben Mitteln eingefangen wie mich und der nun unglücklich sei. Sie antwortete: meine Ansichten beruhten auf einem falschen Schein, und erzählte mir nun eine lange Geschichte von Cordiani, der sie durch die Drohung, alles ihrem Bruder zu verraten, was sie mit mir getrieben, das er durch ein Loch in der Decke meines Zimmers, über welchem er schlief, hätte beobachten können. Sie habe ihn wohl in gebührenden Schranken halten können, aber doch sei sie gezwungen gewesen, ihm zuliebe nicht mehr an mein Bett zu kommen, ihn selbst aber öfters in ihrem Kabinett zu empfangen. So sei es auch in jener Nacht gewesen, als sie auf mein Zimmer hätte kommen wollen. Sie habe immer gehofft, Cordiani werde sie bald verlassen, und nach Mitternacht könne sie ihrem mir gegebenen Versprechen doch noch nachkommen. Aber Cordiani habe sie aufgehalten mit einem Plane, wonach er in der Karwoche mit ihr zu einem Onkel nach Ferrara fliehen wollte, wo sie sich so lange aufhalten könnten, bis sein Vater Vernunft annehme und ihr Lebensglück billige.