Der unglückliche Canonikus

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Der unglückliche Canonikus
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Der unglückliche Canonikus

Giacomo Casanova

Inhaltsverzeichnis

Über den Autoren:

Inhalt

Impressum

Über den Autoren:

Giacomo Girolamo Casanova war ein venezianischer Schriftsteller und Abenteurer des 18. Jahrhunderts, bekannt durch die Schilderungen zahlreicher Liebschaften. Er gilt bis heute als Inbegriff des Frauenhelden. Sein Pseudonym lautet Chevalier de Seingalt.

Inhalt

Madame Saxe war ganz dazu geschaffen, die Huldigungen eines verliebten Mannes zu gewinnen, und hätte sie nicht einen eifersüchtigen Offizier gehabt, der sie nie aus den Augen verlor und der ganz so aussah, als wollte er jeden durchbohren, der es wagen würde, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem er ihr zu gefallen suchte, so würde es ihr wahrscheinlich nicht an Anbetern gefehlt haben. Dieser Offizier liebte das Piquetspiel, allein Madame Saxe mußte beständig dabei an seiner Seite sitzen, und sie schien dies mit großem Vergnügen zu tun.

Im Laufe des Nachmittags machten wir eine Partie und wir setzten dies fünf oder sechs Tage fort. Dann wurde ich der Sache überdrüssig, weil er aufstand, sobald er zehn oder zwölf Louisdor gewonnen hatte. Dieser Offizier hieß d'Entragues, war ein schöner Mann, obgleich sehr mager, und es fehlte ihm weder an Geist noch an dem Ton der guten Gesellschaft.

Wir hatten seit zwei Tagen nicht gespielt, als er mich nach dem Essen fragte, ob ich wünschte, daß er mir Revanche geben sollte.

»Daran liegt mir nichts,« erwiderte ich ihm, »denn wir spielen nicht auf gleiche Art.«

»Ich spiele zu meinem Vergnügen, weil das Spiel mich unterhält, Sie aber spielen nur, um zu gewinnen.«

»Wie das? Sie beleidigen mich.«

»Das ist nicht meine Absicht; allein so oft wir gespielt haben, hörten Sie schon nach einer Stunde auf.«

»Sie sollten mir das Dank wissen, denn da Sie mir nicht gewachsen sind, würden Sie notwendigerweise verlieren müssen.«

»Das ist möglich, aber ich glaube es nicht.«

»Ich kann es Ihnen beweisen.«

»Ich nehme es an; doch der Erste, der die Partie aufgibt, verliert fünfzig Louisdor.«

»Ich bin es zufrieden; aber bares Geld auf den Tisch.«

»Ich spiele nie anders.«

Ich befahl dein Kellner, Karten zu bringen, und holte fünf oder sechs Rollen mit hundert Louisdor. Wir begannen das Spiel um fünf Louisdor das Hundert, nachdem wir jeder fünfzig Louisdor für die Wette beiseite gelegt hatten.

Es war drei Uhr, als wir zu spielen begannen und um neun Uhr meinte d'Entragues, wir könnten zum Abendessen gehen.

»Ich habe keinen Hunger,« erwiderte ich ihm, »allein Sie können aufstehen, wenn Sie wollen, und ich stecke dann die hundert Louisdor in die Tasche.«

Er lachte und fuhr fort zu spielen; allein die schöne Dame schmollte mit mir, ohne daß ich es zu bemerken schien.

Alle Zuschauer gingen zum Abendessen und kehrten zurück, um uns bis Mitternacht Gesellschaft zu leisten. Von da ab blieben wir allein; d'Entragues, der erkannte, zu was er sich verpflichtet hatte, sagte kein Wort und ich öffnete die Lippen nur, um mein Spiel zu zählen. Wir spielten auf die ruhigste Weise von der Welt.

Um sechs Uhr morgens fingen die Trinker und Trinkerinnen an, sich einzustellen, und alle wünschten uns Glück zu unserer Beständigkeit, zollten uns Beifall; wir aber schienen uns gegenseitig zu grollen.

Die Louisdor lagen in Haufen auf dem Tische; ich verlor etwa hundert, und gleichwohl war das Spiel mir günstig.

Um neun Uhr kam die schöne Saxe und wenige Augenblicke darauf Frau d'Urfé mit Herrn von Schaumburg.

Die Damen rieten uns, wie nach Verabredung, eine Tasse Schokolade zu trinken. d'Entragues willigte zuerst ein, und da er glaubte, ich sei mit meinen Kräften zu Ende, sagte er:

»Bestimmen wir, daß der Erste, der zu essen verlangt, sich auf länger als eine Viertelstunde entfernt oder auf seinem Stuhle einschläft, die Wette verloren hat.«

»Ich nehme Sie beim Wort,« rief ich aus, »und stimme jeder andern erschwerenden Bedingung zu, welche vorzuschlagen Ihnen gefällig sein wird.«

Die Schokolade kam, wir tranken sie und spielten dann weiter.

Zu Mittag rief man uns zum Diner, wir antworteten aber gemeinschaftlich, daß wir keinen Hunger hätten.

Um ein Uhr ließen wir uns überreden, eine Bouillon zu trinken. Als die Stunde zum Abendessen kam, fing alle Welt an, zu finden, daß die Sache ernst würde, und Madame Saxe machte uns den Vorschlag, die Wette zu teilen. d'Entragues, der hundert Louisdor gewonnen, würde in den Vorschlag gewilligt haben; ich aber wies ihn zurück, und der Baron von Schaumburg fand, daß ich nicht unrecht hätte.

Mein Gegner hätte die Wette aufgeben und das Spiel beendigen können; er wäre dann noch im Gewinn gewesen, aber der Geiz hielt ihn noch mehr zurück, als die Eigenliebe.

Ich war zwar empfindlich über den Verlust, aber vergleichsweise wenig gegen den Punkt der Ehre. Ich sah frisch aus, während er einer umgegrabenen Leiche glich: seine Magerkeit trug viel dazu bei.

Da Madame Saxe auf dem Vorschlag zu beharren schien, entgegnete ich ihr, ich wäre in Verzweiflung, mich den Bitten einer reizenden Frau, die alle Rücksichten und die größten Opfer verdiente, nicht fügen zu können, allein in dem vorliegenden Falle handelte es sich um eine Art von Eigensinn und ich wäre daher fest entschlossen, zu siegen oder meinem Gegner den Sieg nur in dem Augenblicke zu überlassen, in welchem ich tot niedersänke.

Dabei hatte ich zwei Ziele im Auge: d'Entragues durch meine Entschlossenheit einzuschüchtern und ihn zu gleicher Zeit zu erbittern, indem ich ihm Eifersucht einflößte.

Überzeugt, daß ein Eifersüchtiger alles doppelt sieht, hoffte ich, daß sein Spiel darunter leiden würde und daß ich dann, wenn ich die fünfzig Louisdor der Wette gewönne, nicht den Verdruß hätte, durch die Überlegenheit seines Spielens mehr als hundert Louisdor zu verlieren.

Die schöne Madame Saxe warf mir einen Blick der Geringschätzung zu und ging. Frau d'Urfé aber, die mich für unfehlbar hielt, rächte mich, indem sie zu Herrn d'Entragues mit dem Tone der Überzeugung sagte:

»Mein Gott, wie ich Sie beklage, mein Herr!«

Die Gesellschaft, welche zu Abend gespeist hatte, kehrte nicht zurück.

Man ließ uns unsere Angelegenheit zu Ende bringen.

Wir spielten die ganze Nacht hindurch und ich achtete ebenso auf das Gesicht meines Gegners, als auf mein Spiel. Nach dem Grade, wie ich ihn sich entstellen sah, richtete ich mein Spiel ein; er verwirrte sich, zählte schlecht und legte oft falsch weg.

Ich war kaum weniger erschöpft, als er; ich fühlte, daß ich schwach wurde, und hoffte jeden Augenblick, ihn niedersinken zu sehen, weil ich fürchtete, ungeachtet meiner kräftigen Konstitution unterliegen zu müssen. Ich hatte mein Geld wiedergewonnen, als d'Entragues mit Tagesanbruch einige Zeit hinausging und ich ihm dann Vorwürfe darüber machte, länger als eine Viertelstunde abwesend geblieben zu sein.

Dieser Zwist mattete ihn ab und machte mich munter, eine natürliche Wirkung der Verschiedenheit des Temperaments, eine Taktik des Spielers und ein Anlaß zum Studium für den Moralisten und den Psychologen.

Meine List gelang, denn sie war nicht studiert und konnte daher auch nicht vorausgesehen werden. Nicht anders ist es bei den Feldherren: eine Kriegslist muß in dem Kopfe eines Befehlshabers aus den Umständen entstehen, aus dem Zufall und der Gewohnheit, mit Schnelligkeit alle Verbindungen und Gegensätze der Menschen und der Dinge zu erfassen.

Um neun Uhr kam Madame Saxe; ihr Geliebter befand sich im Verlust.

»Jetzt, mein Herr,« sagte sie, »ist. es an ihnen, nachzugeben.«

»Madame,« antwortete ich ihr, »in der Hoffnung, Ihnen zu gefallen, bin ich bereit, meine Wette zurückzuziehen und von meinem Rechte abzustehen.«

Diese Worte, welche mit dem Tone anspruchsvoller Galanterie gesprochen wurden, erregten d'Entragues Zorn und er bemerkte voll Bitterkeit, er würde seinerseits die Partie nicht eher aufgeben, als bis einer von uns tot niedersänke.

»Sie sehen, liebenswürdigste der Damen,« sagte ich, indem ich verliebte Blicke machte, die in meinem Zustande nicht sehr eindringend sein konnten, »Sie sehen, daß ich nicht der Unfügsamste von uns beiden bin.«

Man brachte uns eine Bouillon, allein d'Entragues, der den höchsten Grad der Schwäche erreicht hatte, befand sich so unwohl, daß er, nachdem er sie kaum getrunken hatte, auf seinem Stuhle wankte und mit Schweiß bedeckt in Ohnmacht fiel. Man beeilte sich, ihn fortzutragen.

Ich gab dem Marqueur, der zweiundvierzig Stunden gewacht hatte, sechs Louisdor, steckte mein Geld in die Tasche, und statt mich schlafen zu legen, begab ich mich zu einem Apotheker, bei welchem ich ein leichtes Brechmittel nahm. Dann legte ich mich nieder, genoß eines guten Schlafes von einigen Stunden und gegen drei Uhr speiste ich mit dem besten Appetit zu Mittag.

d'Entragues ging erst am nächsten Tage aus. Ich war auf irgend einen Zwist gefaßt, aber guter Rat kommt über Nacht und ich täuschte mich. Sobald er mich erblickte, kam er auf mich zu und umarmte mich.

»Ich habe eine wahnsinnige Wette angenommen; Sie gaben mir indes eine Lehre, an die ich mich Zeit meines Lebens erinnern werde und ich bin Ihnen dafür sehr dankbar.«

 

»Das freut mich, vorausgesetzt, daß diese Anstrengung Ihrer Gesundheit nicht nachteilig ist.«

»Nein, ich befinde mich ganz wohl, aber wir werden nie wieder miteinander spielen.«

»Ich wünsche wenigstens nicht, daß es gegeneinander geschehen möge.«

Acht oder zehn Tage später machte ich der Frau d'Urfé das Vergnügen, sie mit der falschen Lascaris nach Basel zu bringen.

Wir kehrten bei dem berüchtigten Imhoff ein, der uns die Haut über die Ohren zog; aber die »Drei Könige« waren das beste Gasthaus der Stadt.

Eine von den Sonderbarkeiten der Stadt Basel ist, daß es hier um elf Uhr Mittag ist, eine Dummheit, die von einer historischen Tatsache herrührt, welche mir der Prinz von Porentruy erklärte, die ich aber vergessen habe.

Die Baseler gelten dafür, einer Art von Wahnsinn unterworfen zu sein, von dem die Bäder in Sulzbach sie befreien, der aber nach einiger Zeit sich abermals einstellt, wenn sie wieder zu Hause sind.

Wir wären einige Zeit in Basel geblieben, hätte sich nicht ein Ereignis zugetragen, das mich verdroß und mich veranlaßte, unsere Abreise zu beschleunigen.

Das Bedürfnis hatte mich gezwungen, der Corticelli ein wenig zu verzeihen, und wenn ich frühzeitig nach Hause kam, brachte ich die Nacht bei ihr zu, nachdem ich mit der ausgelassenen Person und Frau d'Urfé zu Abend gespeist hatte. — Kam ich später, was ziemlich oft geschah, so schlief ich allein in meinem Zimmer.

Die Schelmin schlief ebenfalls allein in einem Kabinett, welches an das Zimmer ihrer Mutter stieß, und durch dieses mußte man gehen, um zu der Tochter zu kommen.

Ich kam um ein Uhr nach Mitternacht nach Hause, hatte noch nicht Lust, zu schlafen, und nachdem ich meinen Schlafrock angezogen hatte, nahm ich eine Kerze und ging, meine Schöne aufzusuchen.

Ich war ein wenig überrascht, die Tür zu dem Zimmer der Signora Laura nur angelehnt zu finden. In dem Augenblick, als ich weiter gehen wollte, streckte die Alte den Arm nach mir aus, ergriff meinen Schlafrock und flehte mich an, nicht bei ihrer Tochter einzutreten.

»Weshalb nicht ?« sagte ich.

»Sie ist den ganzen Abend sehr krank gewesen und bedarf der Ruhe und des Schlafes.«

»Nun gut, so werde ich auch schlafen.«

Bei diesen Worten stieß ich die Alte zurück, trat bei der Tochter ein und fand sie an der Seite eines Menschen, der sich unter die Decke versteckte.

Nachdem ich einen Augenblick das Bild betrachtet hatte, lachte ich, setzte mich auf das Bett und fragte sie, wer der glückliche Sterbliche sei, den ich zum Fenster hinauswerfen würde. Ich sah auf dem Stuhle neben mir den Rock, die Beinkleider, den Hut und den Stock des Individuums, allein da ich gute Pistolen in der Tasche hatte, wußte ich, daß ich nichts zu fürchten brauchte; ich wollte indes keinen Lärm erregen.

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