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Buch lesen: «Inselwelt. Erster Band. Indische Skizzen», Seite 12

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Aus der Schaar der Eingeborenen war indessen auf des Gusti Wink ein Einzelner, der sich sonst in nichts von den Übrigen unterschied, heraus und vor den Verurtheilten getreten. Hier zog er langsam sein Messer, den balinesischen Radotan, aus dem Gürtel und wartete der weiteren Befehle seines Oberen.

„Unsere Gesetze,“ sagte der Gusti ernst, „verlangen für solchen Diebstahl den Tod des Missethäters. Aber das Verbrechen ist an einem Fremden verübt, und wenn er selbst auf Milderung besteht, giebt es einen Ausweg.“

„Gott sei Dank!“ rief der Capitain, als er die Worte vernahm. „Nennt mir die Summe. Ich will lieber einen großen Verlust leiden, als Blut – dies Blut auf meiner Seele wissen.“

„Die Summe ist nicht so groß,“ erwiderte der Gusti, „und ebenfalls durch unsere Gesetze vorgeschrieben. Wenn der Fremde zwei Säcke Kupfer (der Sack etwa dreißig Gulden) zahlt und sich verbindlich macht, den Verurtheilten, der von da an sein Sklave ist, mit fortzuführen und nie wieder an diese Küste zurück zu bringen, von der er verbannt ist für immerdar, so ist sein Leben gerettet.“

„Verbannt – ich von Bali, von meinem Vaterland?“ rief da Glentek, wild emporfahrend und die Waffe, die er in seinen Händen trug, fester fassend – „nie, nie im Leben! Ihr mögt mich tödten – ich habe den Tod verdient und mag nicht länger leben, aber verbannen könnt und dürft ihr mich nicht. Ein Sklavenleben für Glentek, fern von der Heimath, fern von meiner Palmen Wehen? – Nie – nie und nimmer!“

„Ich zahle die zwei Säcke Kupfer!“ rief aber rasch der Capitain. – „Gebt mir einen eurer Leute mit an Bord, Gusti, der mag sie zurückbringen, und mein Freund dort bürgt euch indessen dafür. – Laßt den Verklagten hier und seiner Wege gehen. Er hat Strafe genug durch die Angst ausgestanden.“

„Sein Urtheilsspruch ist gefällt,“ entgegnete finster der Gusti. „Ließen wir um geringe Geldstrafe den Diebstahl frei, ihr Weißen selber wäret die Ersten, die Klage auf Klage häuften und uns am Ende zwängen, unsere Gesetze zu ändern. Aber nicht allein das Verbrechen,“ setzte er mit einem ernsten Blick auf den jungen Mann hinzu, „nein auch der Wille der Menschen mag seine Geltung finden. Er, dessen Adern noch junges, rasches Blut durchströmt, wollte den Tod, und seines Vaters wegen freut es mich, daß ich die Strafe in Verbannung mildern darf. Wer sich aber einmal eines solchen Verbrechens selbst geziehen, kann nicht in unserer Gemeinschaft lebend bleiben. Er hat sich selbst gerichtet.“

„Gusti!“ rief der Gefangene, sich stolz, ja selbst drohend gegen den Richter wendend.

Der alte Mann aber, ohne die Bewegung weiter zu beachten, schüttelte nur langsam mit dem Kopf und sagte wieder finster:

„Sendet das Geld an Land und nehmt dafür den Gefangenen hier mit in See. Vielleicht macht ihr noch einmal einen tüchtigen Matrosen aus ihm. – Kein Wort weiter,“ setzte er rasch und fast ängstlich hinzu, als sich der Verurtheilte noch einmal an ihn wenden wollte; – „ich habe den Urtheilsspruch gefällt; an meinen Leuten hier liegt es jetzt, ihn ausgeführt zu sehen.“

Und mit den Worten verließ er rasch das Haus.

Gegen den Spruch des Gusti gab es keine Appellation. Wenn aber ein Wesen in dem weiten dichtgedrängten Raum in steigendem Interesse, in erwachender Hoffnung und endlich in jubelnder Lust der Wendung gefolgt war, die das Todesurtheil nahm, so war das Kassiar, die Angeklagte. Nur so lange des Gusti Gegenwart ihr Herz mit Scheu und Angst erfüllte, wagte sie nicht zu sprechen, wagte sie nicht, ihren Gefühlen Worte zu geben. Jetzt aber, als er den Rücken gewandt und in der zusammendrängenden Masse der Übrigen verschwunden war, hob sie sich vom Boden auf, flog auf Glentek zu und bedeckte seine Hände und Knie mit Küssen. Aber Glenteks Geist war weit von da, in seinen Bergen, die er von nun an nie wieder betreten sollte. – Sein Auge blickte stier in die Leere und krampfhaft hielt indeß die Rechte das treue Rohr, die Linke seinen Radotan gefaßt.

„Glentek, Glentek,“ bat da Kassiar, noch immer zu seinen Füßen hingeschmiegt, – „o sage, daß du mir nicht zürnst, sage, daß du mich nicht hassest und ich dir folgen darf, wohin dein Schritt sich wendet – weit über das Meer, an ferne, wüste Küsten, in nebelbedeckte Länder, in öde Steppen, wohin es ist, wenn nur dein Blick mir dort wieder freundlich lächelt, wenn nur dein Liebeslaut wie früher zu meinem Herzen dringt.“

Glentek hörte sie nicht. – Still und regungslos stand er da und vor seinen Augen wehten die Farnpalmen seiner Berge, vor seinen Ohren rauschten die wilden plätschernden Quellen und tönte der schrille Ruf des wilden Huhns, der gellende Schrei des Tigers.

Da berührte eine Hand leicht seine Schulter, und als ob ihn ein elektrischer Schlag getroffen hätte, zuckte er empor und sah wild um sich her.

„Es wird Zeit, Glentek,“ sagte da die freundliche Stimme des Holländers, der gut genug mit den Sitten der Eingeborenen bekannt war, um zu wissen, daß den Meisten Verbannung viel fürchterlicher ist als der Tod, und der Mitleid mit dem jungen Burschen fühlte. – „Der Capitain will segeln, und du weißt, daß dir die Gesetze deines eigenen Landes nicht gestatten, länger – lebendig – auf diesem Boden zu weilen.“

„Es ist gut,“ entgegnete Glentek, der sich rasch sammelte und jetzt wohl fühlte, daß er sich dem Unvermeidlichen auch wie ein Mann fügen müsse. „Es ist gut – ich bin bereit.“

„Und darf ich mit dir gehen, mein Glentek – darf ich dir folgen, wohin dein Fuß sich wendet?“ bat das Mädchen, noch immer an seine Knie geschmiegt.

Der junge Bursche schüttelte langsam mit dem Kopf.

„Fahre wohl, Kassiar,“ sagte er ernst aber ohne Bitterkeit im Ton, indem er leise mit seiner Hand ihr Haupt berührte. „Unsere Wege trennen sich hier. Ich träumte einst von einem Glück an deiner Seite – das ist vorbei.“

„Glentek!“ klagte in herzzerreißendem Tone das arme Kind.

„Lebewohl!“ sprach der Jüngling und schob leise die Hand, die sein Gewand noch immer fest gefaßt hielt, zurück. Kassiar gehorchte der Bewegung und ließ ihn los, während sie flehend die Arme zu ihm ausstreckte, aber er wandte sich langsam von ihr ab und schritt, dem Winken des Europäers folgend, ohne auch nur noch einmal den Blick zurückzuwerfen, dem Strande zu.

5

Fünf Jahre waren nach den im vorigen Kapitel beschriebenen Vorgängen verflossen, und manches hatte sich indessen auf Bali verändert. Den Holländern war der kriegerische Geist des Nachbarvolkes, der auch oft in übermüthigen, seeräuberischen Thaten ausbrach, schon lange lästig geworden, und sie hatten gesucht die Rajahs von Bali für sich zu gewinnen, daß sie wenigstens ihre Oberherrschaft anerkannten, wenn sie auch jetzt keine anderen Schritte weiter thaten. Dem entgegen stand aber stets der einflußreichste Mann von Bali, der alte Dewa Argo, der Oberpriester der Insel. Dieser trat mit allen Kräften für die Unabhängigkeit der Insel in die Schranken, wollte von keinen Verträgen mit den Fremden wissen und behauptete, daß sie selbst noch so viel Gewalt wie Fähigkeit hätten, ihre Insel zu regieren und in Ordnung zu halten. Allen versuchten Bestechungen blieb er ebenfalls unzugänglich, bis ihn ein plötzlicher Tod jählings hinwegraffte. Die allgemeine Stimmung sagte, er sei durch Gift gestorben.

Schon vorher hatten die Holländer versucht, sich die Insel durch die Gewalt der Waffen zu unterwerfen. In offener Schlacht und im niedern Küstenland waren die Insulaner, obgleich sie sich mit wilder Tapferkeit den überlegenen Waffen der Feinde entgegenwarfen, auch besiegt worden, in ihren Bergen hätten sie sich aber noch lange und für immer halten können. Die Holländer sahen das auch recht gut ein. Um das Leben ihrer eigenen Leute zu schonen, die bei einem fortgesetzten Kampf mit den zähen Bergvölkern den Gefahren des Klimas nicht allein, sondern auch den furchtbaren Strapazen und Entbehrungen ausgesetzt bleiben mußten, begannen sie nach des Dewa Argo Tode friedliche Verhandlungen mit den Rajahs, die ihnen jetzt nicht mehr so feindlich entgegen standen. Diese wußten sie größtentheils für sich zu gewinnen, brachen dadurch die Einigkeit derselben und rückten ihrem Ziele, das sie mit ihren Geschützen und Bajonetten vielleicht im Leben nicht, oder doch nur mit furchtbaren und unverhältnißmäßigen Opfern erreicht hätten, durch Geduld und Schlauheit näher und näher.

Der Gusti von Kota, einer der den Holländern am meisten geneigten Balinesen und der intime Freund des jetzt dort installirten holländischen Consuls, saß in dieser Zeit Morgens nach dem Frühstück, und eben aus einer langen europäischen Pfeife rauchend, in seinem Hause, als ein Eingeborener in schmutzigen, zerrissenen Kammen, den Oberleib nothdürftig durch den ebenfalls zerfetzten Sappot bedeckt, selbst ohne Kopftuch, die wilden langen Haare nur durch Bast auf seinem Scheitel zusammengebunden, die Veranda betrat, und ohne sich vorher bei dem Richter anmelden zu lassen, ja ohne, wie es die Sitte gebot, auf der Erde knieend seinen Befehl zu erwarten, rasch an den Wachen vorüber in das Zimmer schritt, in dem der Gusti sonst die kleineren Verhöre abzuhalten und Bittende zu empfangen pflegte.

Der junge Eingeborene glich aber keinem Bittenden. Den Radotan ausgenommen, der im Kammen stak, war er allerdings völlig unbewaffnet, doch seine ganze Haltung war trotz der zerrissenen Kleidung so kühn und edel, daß selbst die Gerichtsdiener, die das Haus umlagerten und den Hofstaat des Gustis bildeten, nicht wagten, ihn zurück zu halten. Nur an die Thür drängten sie sich, um dem leisesten Ruf ihres Gebieters rasche Folge leisten zu können, wenn der Fremde, den Niemand von ihnen kannte, etwa gar Unehrerbietiges oder Böses im Schilde führen sollte. Daß er ein Recht hatte, aufgerichtet zu ihrem Gusti hineinzutreten, konnten sie nicht bezweifeln, er hätte es sonst nicht gewagt, da ihm die Strafe gleich auf dem Fuße folgen müßte.

Der Gusti lehnte auf seinem mit weichen Kissen der Dapatwolle belegten Bambussopha und hob sich allerdings überrascht empor, als er die wilde Gestalt so kühn und trotzig zu sich eintreten sah.

„Ist das Landessitte?“ sagte er strafend, indem er den Fremden dabei mit forschendem Blick musterte, „in solcher Art den Gusti aufzusuchen? – Waren keine Diener an der Thür, die dich melden konnten? Bist du hier zu Hause, auf deiner eigenen Schwelle, daß du die schuldige Ehrfurcht vergissest, die dem Obern gebührt?“

„Verzeih den raschen Eintritt, Gusti!“ rief mit tiefbewegter aber unterdrückter Stimme, vielleicht um nicht von den außenstehenden Dienern gehört zu werden, der Fremde. „Aber der Zweck, um den ich komme, mag mich entschuldigen, mein Name dir bürgen, daß ich als Gleicher dir nahen darf. Kennst du mich noch?“

Der Gusti musterte die edlen, aber wild verstörten Züge des Fremden, die fahlen Wangen und eingefallenen Augen, dann sagte er kopfschüttelnd:

„Nein. Zu viele Gestalten ziehen an meinem Blick vorüber. Dein Antlitz ist mir bekannt, und doch weiß ich nicht, wo ich zum letzten Mal dich sah. Dein Name?“

„Glentek von Benoi.“

„Glentek?“ rief der Richter, erschreckt von seinem Sitz emporspringend. „Unglücklicher, was treibt dich wieder her zu uns? – Weißt du nicht, daß dein Leben in dem Augenblick verfallen ist, wo du des Landes Küste wieder betrittst, das dich verbannte und von sich stieß?“

„Ich weiß es,“ sagte Glentek ruhig, „mein Leben aber wäre von geringem Werth für das, was jetzt mich herführt.“

„Kassiar?“ rief der Richter, und ein Zug des Mitleidens zuckte über das sonst so starre strenge Antlitz des Mannes. „Sie ist todt, Glentek. Der Gram um dich vielleicht, vielleicht die Reue hat sie das erste Jahr hinweggerafft. Die kühle Erde deckt ihr gebrochenes Herz.“

„Arme Kassiar!“ seufzte Glentek leise. – „Doch ihr ist wohl – wohler als mir, der ich fünf Jahre der Verzweiflung fern von meinem Vaterland gelebt. Nein, Gusti, nicht die Liebe zu dem Mädchen führt mich an diesen Strand zurück, – seit jenem Tag schon war sie für mich begraben, und was ich seitdem erlebt, hat mir bewiesen, daß Kassiar Glenteks von Benoi doch nicht würdig war. Sie ruhe sanft; ich habe ihr verziehen.“

„Und was trieb sonst dich her?“ fragte erstaunt der Gusti.

„Mein Vaterland!“ rief der Balinese mit vor innerer Bewegung fast erstickter Stimme. „Ich habe ertragen,“ fuhr er nach einer kleinen Pause, in der er sich gewaltsam sammelte, ruhiger aber immer noch in großer Aufregung fort, – „ertragen die langen Jahre hindurch, was nur ein Mensch ertragen kann. Die Feinde – denn unsere Feinde sind jene Männer, deren Flaggen jetzt von vielen Schiffen im Hafen draußen wehen, wenn sie auch freundlich und mit gleißnerischer Zunge zu uns kommen – die Feinde halten uns nun einmal für eine untergeordnete Raçe bestimmt zu gehorchen und ihnen Schätze anzusammeln, die sie weit überm Meere drüben dann verprassen. Ich bin dort gewesen, ich habe ihre Macht und Größe gesehen, ihre zahlreichen Schiffe, ihre zahllosen Mannschaften, ihre künstlichen mörderischen Waffen, die Wagen, die mit Blitzesschnelle das Land durchfliegen, ihre Häuser, in denen sie tausende von Menschen zu einem Zweck beschäftigen. – Aber ich habe auch ihre Waarenplätze gesehen, in denen sie die Produkte einer Welt aufhäufen, und dort begriffen, wie ein Volk, das erst so weit gegangen, das solche Bedürfnisse für sein Leben hat, nicht stehen bleiben kann und wird, mehr und mehr zu gewinnen, mehr und mehr an sich zu reißen. Die Holländer haben das Geld und die Macht in Händen, und Freundschaft zwischen einem solchen Staat und uns ist nicht mehr denkbar. Der Schwache wird und muß des Stärkeren Beute werden.“

„Aber was hat das alles mit dir zu thun?“ sprach der Gusti, erstaunt den Beredten anschauend. „Ich weiß das alles,“ fügte er mit Stolz hinzu, „es ist ein mächtiges Volk und unser Freund, – und um mir das zu sagen, brauchtest du dein Leben nicht zu wagen.“

„Mein Leben!“ rief der Balinese wieder, verächtlich mit dem Fuße den Boden stampfend. „Was gilt mein Leben hier, wo Balis Heil das Losungswort sein muß? Höre mich weiter. – Ich wanderte, lebte fünf lange Jahre zwischen ihnen und lernte ihre Sprache, lernte lesen und schreiben mit ihren Zeichen und Worten und eine neue Welt eröffnete sich mir. Nicht mehr auf Andere brauchte ich mich zu verlassen, um Nachricht aus der Heimath zu vernehmen. – Mit eigenen Augen konnte ich in all den Blättern, die täglich dort im Volk verbreitet werden, selber lesen, wie sich mein Volk hier wacker allen Eingriffen in seine Rechte, die jene Fremden wagten, widersetzt. O wie mir das Herz pochte, als ich die Kunde mit eigenen Augen sah, daß meine Landsleute mit Lanze, Bogen und Blasrohr herab ins flache Land gestiegen waren, dem Feind die nackte Brust entgegenzuwerfen und ihn zurück ins Meer zu treiben! O wie das da im Herzen stach und brannte, daß ich nicht Theil nehmen durfte an ihren Kämpfen, an ihren Siegen, daß ich verbannt von Bali war, ein Ausgestoßener von meiner Mutter Erde, und doch für sie die heiße, brennende Liebe im Innern tragend! So war mir zu Muth, als ich von Balis Siegen las. Wie aber, als ich von unserer Niederlage hörte, von Vortheilen, die die Holländer über uns gewonnen, von Bedingungen, die uns vorgelegt wären, ihren Frieden anzunehmen und ihre Oberherrschaft anzuerkennen!“

„Mich litt es nicht mehr in Europa. – Längst schon hatt' ich die Summe, die jener Weiße für mich gezahlt, abverdient – mehr noch vielleicht, als er mir dankte. Ich rettete sein Weib bei einer Landung mit dem Boot in einer Stadt im brittischen Indien, und wenn ich das Verhältniß recht begreife, in dem die beiden Gatten mit einander leben, so glaub' ich, hab' ich mich für vergangenes Leid gerächt. So, frei von ihm, schiffte ich mich auf einem andern Fahrzeug ein, das mich nach Soerabaja an der Javanischen Küste brachte, und hier – Brachma versenge mich, wenn mich die Nachricht nicht wie ein Todesstoß im Herzen traf – hörte ich, daß das einzige Herz von Bali, das voll Kraft und Vaterlandsliebe im Stande war, die feindlichen und eifersüchtigen Rajahs mit starker Hand zusammenzuhalten, daß das einzige Herz in Bali, das, von reiner Liebe für die Heimath beseelt, auch die Gefahr begriff, in der wir schwebten, daß der Dewa Argo von feiger, verrätherischer Hand vergiftet und der Fremde im Begriff sei, mit vorgeschützter Freundschaft mein Vaterland zu unterwerfen. Wohl hörte ich von tapferen Schaaren, die aus den Bergen mit Radotan und Speer hernieder stiegen, dem Feinde zu begegnen. Aber die Seele fehlt, die jetzt die Massen im Zügel halten könnte. Mein Vater selber ist alt; viele der anderen Rajahs standen schon früher im Verdacht, mit fremdem Gelde, wenn nicht gekauft, doch arg geblendet zu sein. Dumpfe Gerüchte gingen dabei umher, daß Bali Priester nach Indien abgesandt habe, die Lehre des Islam zu prüfen und zu bestimmen, ob wir selber den alten Göttern treulos werden sollten. Da litt es mich nicht mehr in Feindes Land; die Gefahr, die meinem Leben drohte, durfte mich nicht schrecken. Mein Leben gehört ja Bali, mein Arm, mein Herz. – Für das ersparte Geld erhandelte ich mir ein kleines Boot, setzte meine Segel und steuerte, selig in dem Gedanken, welchem Ziel ich entgegenflog, der vaterländischen Küste wieder zu. In Tabannar wollt' ich landen und von dort meine Heimat erreichen, als mich der Sturm erfaßte, der vor wenigen Tagen diese Küste peitschte, und mich herunter in die Bai warf. Mein Kahn füllte sich und sank unfern von Sersek, und mit Schwimmen rettete ich mich wieder an die Küste, die mich vor so viel Jahren einst als Verbrecher von sich stieß.“

„Und was suchst du hier, Verblendeter?“ fragte der Gusti, der der leidenschaftlichen Erzählung des Flüchtlings ernst und kopfschüttelnd gelauscht hatte.

„Was ich suche?“ rief aber Glentek staunend aus. „Ein Heer, dem Feind zu begegnen! – Die Schaaren der Unseren suche ich, die sich um die wehenden Lanzen ihrer Rajahs gesammelt haben, die Pässe unserer Berge zu besetzen und Tod und Verderben in die Reihen der Feinde zu schleudern, wenn sie es wagen sollten, uns da anzugreifen. – Dich hab' ich aufgesucht vor allen anderen, weil ich wohl wußte, Gusti, du würdest den Sohn deines Freundes, wenn du ihn einst auch zum Tode verurtheilen mußtest, nicht verrathen, und dich bitte ich jetzt, mir die Pässe zu nennen, in denen die Unseren stehen, daß ich im Stande bin, mich ihnen anzuschließen. Gram und Leid haben mir so tiefe Furchen in die Haut gegraben, daß ich nicht fürchte, dort erkannt zu werden, – nur meinen Vater will ich sehen, und dann ja gern das Leben, das doch dem Vaterland gehört, für dieses opfern.“

„Du träumst, Glentek,“ entgegnete ihm da ruhig der Gusti. – „Was sprichst du von gerüsteten Schaaren, von Feinden und Gefahren, die dem Lande drohen? Bali hat sich seit langer Zeit keines so ungetrübten Friedens erfreut als gerade jetzt. Nicht geschlagen, wenn auch in kleinen Gefechten besiegt, haben unsere Rajahs doch eingesehen, daß es für das Volk besser sei, sich die Freundschaft des mächtigen Nachbars zu erhalten. Dessen Truppen sind jetzt nach Java zurückgezogen, die wenigen ausgenommen, die er zum Schutz seines Handels hier zurückgelassen. Kein Blut wird mehr auf Bali vergossen werden, eingebildeter, thörichter Rechte oder Vorurtheile wegen.“

„Kein Blut auf Bali vergossen?“ rief Glentek, einen Schritt entsetzt zurücktretend, „und ist der Mord des Dewa Argo denn gerächt?“

„Der Mord des Dewa Argo? Wer sagt dir, daß ein Mord geschehen sei? Der Dewa Argo starb natürlichen Tod.“

„Und Bali ist nicht in Aufruhr?“ rief Glentek, kaum seinen Sinnen trauend; „die Krieger ziehen nicht in Schaaren, um endlich den letzten Feind von unserem Boden zu vertreiben?“

„Du träumst, sag' ich dir!“ sprach kopfschüttelnd der Gusti. „Bali ist ruhig, und wenn du hier herüber kamst, die Hoffnung auf blutige Kämpfe im Herzen tragend, so hast du dich zu unserem Heil getäuscht. Es wäre dir besser gewesen, du hättest Bali nie wieder gesehen.“

„Friede und Freundschaft mit den Mördern des Hohenpriesters!“ schrie da Glentek, sich mit blitzenden Augen emporrichtend. „Ha, Gusti, da kennst du nicht die Stimme der Gebirge und ihren Geist! Hier im flachen Lande, unter Malayen und Chinesen magst du, an sklavische Sitten gewöhnt, dich auch dem Willen fremder Eroberer haben fügen lernen, aber besser kenne ich dort mein Volk. Mein Ruf soll durch die Berge schallen, mein wohlbekanntes Flammenzeichen die Brüder zusammenrufen und wenn sie in jubelnden Schwärmen aus den Klüften und Schluchten unserer bergigen Heimath niederbrechen –“

„Wahnsinniger, halt ein!“ rief der Gusti, von seinem Lager emporspringend und den Arm in Zorn und Abscheu gegen ihn ausstreckend. „Krieg und Verderben willst du aufs Neue in diese Thäler bringen, in denen der Schlachtenschrei kaum erstorben, das Blut kaum ausgetrocknet und verdampft ist? Das Messer des Richters hängt über dir, und du wagst es, uns mit Meuterei zu drohen! – Weißt du, daß ein Wort von mir dich den draußen nur darauf harrenden Dienern in die Hände wirft?“

„Glaubst du, den Glentek fingen sie lebendig?“ lachte da der junge Balinese wild auf, „wenn er sich nicht geben will? Denkst du, dieser Radotan wäre nicht im Stande, sich die Bahn zu brechen? Und zehn Fuß Vorsprung dann, mit all deinem Schwarm von Dienern auf den Fersen, brächte mich nicht in wenigen Minuten in die Dickichte dieser Wälder und unerreichbar frei von euren Sclaven? Hältst du es mit den, dann schlimm für dich, wenn wir als rächendes Gericht wieder von den Bergen und über dich hereinbrechen! Kein Erbarmen hast du dann von uns zu hoffen. Und nun thue dein Schlimmstes, denn in wenigen Minuten bin ich frei.“

„Verblendeter!“ sagte aber der Gusti, ohne seine Stellung auch nur um eines Zolles Breite zu verändern. „Zum Glück für Bali kommt dein wilder Schlachtenschrei zu spät. Schon vor zwei Monaten ist der Handels- und Schutz- und Trutz-Vertrag mit Holland abgeschlossen, und während wir die Oberherrschaft der Fremden, die uns nun doch einmal in den Waffen und an Macht überlegen sind, anerkennen mußten, haben wir uns heilig verpflichtet, die Waffen nicht mehr gegen sie zu ergreifen.“

„Die Oberherrschaft der Fremden anerkannt? – verpflichtet die Waffen nicht mehr aufzugreifen gegen den Feind des Vaterlands?“ rief Glentek entsetzt und seinen Ohren kaum trauend – „das ist Landesverrath!“

„Ein Friedensbündniß ist geschlossen;“ erwiderte der Gusti, „und wer eine Waffe hebt, das zu brechen, den trifft nach unserem Gesetze der Tod.“

„Der Tod!“ wiederholte Glentek in hohlem geisterhaftem Ton, und sein Schultertuch um das Haupt ziehend, blieb er viele Minuten lang zerknirscht, vernichtet stehen. Alles war verloren, worauf er noch seine Hoffnung gesetzt – ihre Schwerter in die Scheiden zurückgestoßen, ihre Hände selber durch das Friedensbündniß gekettet.

Der Gusti fühlte Mitleid mit dem Jüngling, und das eigene Mißtrauen vielleicht, ob jenes Bündniß für Bali so segensreich wirken könne, wie er es einst gehofft, mochte ihn mit antreiben, die junge Kraft dem Vaterlande zu erhalten, sie nicht muthwillig zu zerstören.

„Du warst im Irrthum, Glentek,“ sagte er, aufstehend und freundlich seine Schulter berührend, „als du das Land in Waffen wähntest. Es ist tiefer Friede, und wir können und wollen uns nicht länger mit dem mächtigen Gegner messen, dessen Geschütze unsere jungen Leute zu Hunderten niedermähten. Die alten Gesetze dieses Landes sind aber noch in Kraft geblieben und denen wärst du verfallen, entdeckte außer mir auch noch ein anderer deinen Namen – deine Schuld. Tritt hier hinein und erfrische deinen Körper erst mit den Speisen, die hier stehen, und dann geh' hinunter zum Strand. – Gerade dem Wrack gegenüber, das an der Küste liegt, findest du ein kleines grün gemaltes Boot. Es ist mein Eigenthum. Nimm es und kehre damit nach Java zurück.“

Glentek schwieg, und ohne seine Stellung zu verändern, barg er noch immer das Antlitz in dem Sappot. Als er die Arme endlich sinken ließ, war sein Gesicht fahl und todtenähnlich geworden, und er sagte mit leiser, aber fest entschlossener Stimme: „Ich bleibe hier!“

„Unglücklicher!“ schrie aber der Gusti, „willst du denn muthwillig in dein Verderben rennen? Täusche dich nicht, ich selber, wenn ich es wollte, könnte dich nicht schützen.“

„Das sollst du auch nicht, Gusti!“ sagte da der Jüngling plötzlich, und ein eigenes wildes Feuer glühte aus den rastlos umherblitzenden Augen. „Ich sehe, wie es ist; mein Vaterland ist verrathen und verkauft, unsere Tempel werden zerstört, unsere Priester und Rajahs vertrieben, unser freier Boden selbst wird unter das Joch gedrückt, und ehe ein Jahrzehnt vergeht, weht von diesen Bergen die verhaßte dreifarbige Fahne. Stirb Glentek, stirb, du nicht allein bist Sclave, dein ganzes Volk hat sich verkauft – verrathen!“

„Wahnsinniger!“ rief der Gusti, seinen Arm ergreifend. „Du wirst dich selbst den Häschern überliefern, die deinen Namen draußen vor der Thür gehört.“

„Zurück von mir!“ schrie aber Glentek, aus dessen Augen ein rothes wildes Feuer zu glühen schien. – „Zurück! – Den Häschern überliefern? – Hahaha, sie sollen's wagen, den Tiger zu halten, wenn er im Ansprung ist! Uhi!“ schrie er da plötzlich mit wildgellendem Ton, indem er mit der Rechten den Radotan aus der Scheide riß, während die Linke den Bast aus seinem Haar warf, daß die langen rabenschwarzen Locken ihm wild die Schultern und Stirn umflatterten. – „Uhi! Glentek ist frei, aus den Bergen stürzt sich der Strom ins flache Land, von Stein zu Stein den Abgrund niederspringend, aus dem Dickicht schnellt sich der Tiger seiner Beute zu. Die Anaconda liegt im Palmenwipfel und schießt, dem Pfeil gleich, von der Höhe nieder auf ihren Raub, und so bricht Glentek jetzt hinaus in's Freie – uhi! Dewa Argo, wo sind deine Mörder, wo die feigen Schurken, die dich verrathen haben? – Ich komme, ich komme dich zu rächen!“

Entsetzt war der Gusti zurückgesprungen und hatte die eigene Waffe von der Seite gerissen, um sich zu vertheidigen. Aber ihm galt der Angriff nicht, und mitten hinein zwischen die Häscher, die jetzt die Thür aufgerissen, den Rasenden zu fassen, sprang Glentek, den geflammten Radotan in der Faust. – „Da und da!“ schrie er, nach links und rechts hinüberstoßend, „habt ihr Stahl – theilt euch drein, uhi!“ Und wie die beiden zum Tod getroffen zusammenbrachen, flog der Rasende mit einem Satz über sie fort dem Ausgang zu und auf die Straße hinaus.

Wunderbarer Weise kommt dieser Zustand, der in seinem ganzen Wesen die vollkommenste Ähnlichkeit mit der beschriebenen Berserkerwuth unserer Vorfahren hat und im Norden jetzt ganz verschwunden scheint, sehr häufig auf den Inseln des indischen Archipels vor. Das Volk schreit dann Amok, Amok (ein Wahnsinniger), und alles, was nicht bewaffnet ist, flieht scheu zur Seite, während die Bewaffneten den Wüthenden so rasch wie möglich zu tödten suchen – wie man bei uns einen tollen Hund unschädlich machen würde. Dieser Zustand von Raserei endet jedesmal mit dem Tode des Unglücklichen, den er erfaßt hat.

„Amok, Amok!“ schrie das Volk draußen und stob auseinander. Die Fruchtverkäufer ließen ihre Körbe fallen und flohen in die Seitenstraßen hinein, die Reisträger ließen ihre zusammengedrehten Bündel im Stich, die Frauen rafften ihre Kinder auf und flohen in die nächsten Häuser, deren Thüren zugeschlossen wurden; einzelne junge Burschen flüchteten sogar vor der furchtbaren, den Weg niederrasenden Gestalt in Areka- und Cocospalmen hinauf, um dem unmittelbaren Anprall zu entgehen.

Vom Hause des Gusti sprang der Unglückliche aber, unbekümmert um das ihm folgende Geschrei, quer über den Marktplatz fort, mitten zwischen die Chinesen hinein, die hier feil hielten und Tische und Stände überstürzend zur Seite stoben. Fünf oder sechs von ihnen verwundete oder tödtete der Rasende, wild und rücksichtslos nur nach allem stoßend, was ihm in den Weg kam, gerade wie ein toller Hund schnappt und um sich beißt, und übersprang jetzt, ohne Achtung auf Weg und Steg, einzelne der Butju und giftigen Buntajahecken, deren stachliche Zweige ihn blutig rissen.

Der Schrei Amok zuckte indessen wie ein Blitz durch die Stadt, auch den Entferntesten Warnung gebend, und von allen Seiten stürmten Bewaffnete herbei, den Rasenden unschädlich zu machen und sich selbst, wie Frauen und Kinder von der Gefahr zu befreien.

Glentek hatte unter der Zeit die einzelnen Hecken übersprungen. – Er fühlte es nicht, daß ihm die Glieder brannten von dem Gift, und mit gezücktem Messer floh er jetzt gerade über den nächsten offenen Zaun, in dem sich die Netzlegereien und Webereien befanden. „Amok, Amok!“ tönte der Schrei hinter ihm her, und die Weber und Netzstricker flohen entsetzt zur Seite. Nur ein junger Bursche, ein Knabe von kaum mehr als zehn oder zwölf Jahren, faßte keck und rasch ein quer über den Platz liegendes Seil von Cocosbast, das an der andern Seite an einem Pflock befestigt war, und hob es in die Höhe. Der Rasende stürmte heran, die Haare hingen ihm wild über das Gesicht nieder, und mit der blanken Waffe stieß er blind in die Luft. Da blieb sein Fuß in dem ausgespannten Seile hängen, und während er der Länge nach zu Boden schlug, entfiel seiner Hand die Waffe. Zwar raffte er sich im Augenblick wieder empor, aber ehe er den Radotan wieder ergreifen konnte, fielen die Weber und Netzstricker mit ihren Bäumen und eigenen Messern über ihn her. – „Amok, Amok!“ schrie die Schaar. Glentek griff des einen Arm, brach ihn mit Gewalt ab im Gelenk und warf sich dann auf einen andern, um ihn mit den Zähnen zu fassen und zu zerfleischen. Aber ein furchtbarer Schlag, der ihn über die Stirn traf, warf ihn bewußtlos zurück und zu Boden, und im nächsten Augenblick suchten die Waffen Aller seinen Körper – wühlten in seiner Leiche.

Unten am Strand, zwischen diesem, dem Fahrweg, der von Kota nach dem Banksal führt, und den beiden malayischen Begräbnißplätzen, steht eine einzelne, vom Wetter zerrissene, von unzähligen Orchideen überwachsene und von Pandanus und wilden Strandgewächsen dicht umgebene Cocospalme. Unter der ruht der Körper Glenteks von Benoi. Sein Land ist allerdings in Frieden mit den Fremden, die Waffen sind begraben und Friedenstraktate unterzeichnet worden. Aber die Macht und der Einfluß der Holländer wachsen dort von Tag zu Tag, ihre Flagge weht schon am Strand, und nicht lange wird es dauern, so flattert sie auch von den Bergen des einst freien Volkes.

Altersbeschränkung:
12+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
28 September 2017
Umfang:
300 S. 1 Illustration
Rechteinhaber:
Public Domain

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