Uhrwerk Pandora

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Uhrwerk Pandora
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Gerhard Kunit

Uhrwerk Pandora

Ein Spiel um Zeit, Macht und Geld

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Prolog

SaXem

Die Zeitmaschine

Schöne neue Welt

Bingo

Ein verhängnisvoller Auftrag

Die Büchse der Pandora ist geöffnet

Das Rad der Zeit

Endspiel

Epilog

Leseprobe: Schatten und Licht – Töchter der Göttin

Leseprobe: Maeve, die Legende der irischen Wolfskönigin

Der Weg der Kriegerin

Impressum neobooks

Vorwort

Liebe Leserin, liebe Leser,

die vorliegende Kurzgeschichte ist eine reine Fiktion. Nichts davon ist real. Ähnlichkeiten zu echten Personen oder Gesellschaften sind rein zufällig und jedenfalls unbeabsichtigt. Das Gleiche gilt selbstverständlich für das Vorgehen einzelner Staaten und die willkürlich gesetzten wirtschaftspolitischen Allianzen.

Doch was wäre, wenn die Fiktion real ist, wenn wir schon ein Teil davon sind? Niemand wäre sich der Eingriffe in die Vergangenheit bewusst, da sie die Gegenwart – und alle gegenwärtigen Erinnerungen – sofort und vollständig anpassen. Wäre die Geschichte also wahr, wüssten wir es nicht.

In diesem Sinn: Viel Spaß beim Lesen

Gerhard Kunit

Ergänzungen zur zweiten Ausgabe:

Die Geschichte habe ich ursprünglich erstmals 2013 veröffentlicht. Die wesentlichen Handlungsfäden lagen in der nahen Zukunft und die fiktive Koalition zwischen USA und Russland erschien zu dieser Zeit völlig abwegig. Falls wir Glück haben, bleibt dies der einzige Aspekt, der sich rascher realisiert, als uns lieb sein kann.

Prolog

Jedes Geschäft ist gut, wenn dabei für mich etwas herausspringt.“

Andreas Karmenik, Anwalt

Von meinem Büro im dritten Stock der Patentverwertungsagentur warf ich einen letzten Blick auf die Lichter der Rheinpromenade hinab. Es war spät, ich war müde, aber ich war zufrieden. Nach einem letzten Blick auf den Vertrag, steckte ich ihn in die Aktentasche. 23. Februar 2017: Drei Jahre hatte ich auf diese Chance gewartet. Drei Jahre hatte ich in dieser zweitklassigen Agentur unter einem drittklassigen Chef geschuftet – für ein viertklassiges Gehalt, möchte ich anmerken.

Heute hatte ich das Geschäft meines Lebens abgeschlossen. Die Rechte für das revolutionäre Flüssigglas gehörten mir. Der Spinner, der das Zeug entwickelt hatte, schwafelte von flexiblen Lampenschirmen und ähnlichem Deko-Schnick-Schnack. Er war mit seinen zweihunderttausend Euro mehr als zufrieden. Er hatte nicht die geringste Vorstellung davon, was seine Erfindung tatsächlich wert war. Ich hielt die Basis für biegsame Displays und Touch-Screens in meinen Händen. Das war der Schlüssel zu einem Milliardenmarkt.

Niemand in meiner Firma ahnte etwas von diesem Geschäft. Der Kopf der unterfertigten Seite war eine Abziehfolie und die übrigen Blätter konnte ich neu ausdrucken. Schon morgen würde ich die Rechte für vierzig Millionen Dollar an die Amerikaner verkaufen. Übermorgen würde ich meinem Chef sagen, was ich von ihm und seiner armseligen Bude hielt.

Gerade als ich meinen Mantel aus dem Schrank holte, fiel die Türe ins Schloss. Die Reinigungsfrau?

„Hallo Andreas.“

Ich fuhr herum. „Wie kommen Sie hier herein!“, herrschte ich die Unbekannte an.

Sie wies auf die Tür.

Sehr witzig. Was will die Verrückte? Sie war hübsch, aber das rote Lederkostüm wirkte lächerlich – als wäre sie einer Comic-Convention entsprungen. Selbst die Dolche in den Armscheiden sahen mit ihren weit vorgebogenen Parierstangen nach einem teuren Spielzeug aus.

„Der Sicherheitsdienst wird gleich hier sein“, sagte ich so gelassen wie möglich. „Falls Sie vernünftig sind und jetzt gehen, können wir das ohne Polizei regeln.“

Die Frau war Mitte Zwanzig, bestenfalls Dreißig. Sie hatte ein schmales, leicht herzförmiges Gesicht mit hohen Wangenknochen. Das mittelbraune Haar fiel glatt auf ihren Rücken. Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen, das von den graugrünen Augen aufgenommen wurde. Meine Hoffnung, sie hätte sich zufällig in mein Büro verirrt, zerstob. „Was wollen Sie?“

„Den Vertrag. Wir werden Max Reining ein faires Angebot machen. Zwei Millionen, vielleicht drei.“

Shit. Niemand weiß davon.

Zielsicher ging sie zu meiner Tasche und fischte den Vertrag heraus. Dabei hatten meine Augen nur kurz in die Richtung gezuckt. Die Unbekannte war ein Profi. Wer ist sie? Für wen arbeitet sie?

In der rechten oberen Schreibtischlade liegt eine geladene Pistole. Glaubt sie wirklich, ich lasse mir die vierzig Millionen entgehen. Ich muss sie nur überraschen. Niemand kann mir vorwerfen, wenn ich in meinem Büro eine Verrückte erschieße.

„Damit kommen Sie nicht durch“, knurrte ich, während ich mich unauffällig Richtung Schreibtisch bewegte. „Das Gebäude ist lückenlos überwacht. Schon jetzt haben wir dutzende Bilder von Ihnen.“

Sie griff hinter sich und warf mir einen Sack vor die Füße. Etliche Kamera-Köpfe kullerten auf den Teppichboden. „Irgendwer wird der Störung sicher nachgehen. Aber das kann eine Weile dauern. Ist es ok, wenn ich es mir bis dahin gemütlich mache?“

Die Frau setzte sich auf den Schreibtisch und schlug die Beine übereinander. Ihre Unterschenkel baumelten vor der Lade mit der Pistole. Wenn ich sie vom Tisch stoße, komme ich an die Waffe, ehe sie sich aufrappelt. Ich wog meine Chancen ab und spannte die Muskeln an.

Fast beiläufig zog sie einen der Dolche blank. Unwillkürlich fixierte ich die Lichtreflexe an der schmalen, fast ellenlangen Klinge. Wieder huschte ein Lächeln über ihre Lippen. „Weißt Du, dass man die Löcher kaum sieht? Trotzdem hinterlassen die Dinger eine unglaubliche Sauerei.“

Ich gab auf.

„So ist’s besser“, sagte sie. „Du kannst Dir gerne einen Cognac einschenken“, gestand sie mir mit einem Seitenblick auf meinen Aktenschrank zu. „Ich nehme auch einen.“

Woher weiß sie das? Und wo bleibt der blöde Sicherheitsdienst?

Gehorsam stand ich auf und ging zum Schrank. So kam ich näher an die Türe. Ich könnte sie sogar in meinem Büro einschließen.

„Schau noch mal hin“, forderte sie mich auf. Ein blaues und ein oranges Kabel führten zu einem schwarzen Kästchen, das an der Türschnalle befestigt war. Eine rote Diode blinkte im Takt meines Herzschlags. Erschrocken drehte ich mich zu ihr um. Ihre Lippen formten ein lautloses „Bumm“. Resignierend griff ich zur Flasche, füllte zwei Gläser und schlich zum Schreibtisch zurück.

„Worauf warten wir?“, knurrte ich, während wir uns anstarrten.

„Auf den Sicherheitsdienst. Und auf 23:07 Uhr.“

* * *

„Herr Karmenik?“, rief jemand vor der Tür. „Sind Sie da drinnen?“ Ich zuckte zusammen. Die Unbekannte legte einen Finger an ihre Lippen.

„Herr Karmenik! Geht es Ihnen gut?“ Der Wachmann klang jetzt aufgeregt. Er musste die Bombe entdeckt haben. In Kürze würde es da draußen von Polizisten wimmeln. Sie saß in der Falle und ich mit ihr. Ich hatte keine Lust, als tote Geisel zu enden.

Sie stand auf und steckte ihr Glas ein.

Keine DNA. Dafür komme ich jetzt an die Waffe.

„Danke für den Vertrag“, flüsterte sie. „Überleg Dir gut, welche Geschichte Du denen auftischst. Ich verschwinde dann mal.“

Während ich noch nachdachte, wie sie das bewerkstelligen wollte, verschwand sie. Sie war einfach weg, wie vom Erdboden verschluckt. Ich blinzelte, rieb mir die Augen und sah noch mal hin: Ich war alleine. Langsam wurde mir klar, dass ich tatsächlich eine gute Geschichte benötigen würde, um das hier zu erklären.

* * *

SaXem

Der Kapitalismus sieht Macht nur als einen Weg zu mehr Geld“

Margot Wise, Vorstandsmitglied

Auf dem Weg in das achtzigste Stockwerk des SaXem Towers überprüfte ich den Sitz meiner Frisur. Die Haare fielen glatt bis über die Schulterblätter. Die vorderen Strähnen liefen zu einem kleinen Zopf nach hinten. Ich mochte mein Gesicht und sah keinen Grund, es zu verstecken.

 

Ich richtete die Jacke des dunkelblauen Business-Kostüms und dachte meine Präsentation durch. Es handelte sich um eine Zusammenfassung – eine Summary, wie wir Unternehmensberater sagen – eines vierhundert Seiten starken Konzepts zur Reorganisation des SaXem Konzerns. Die professionellen PowerPoint Folien enthielten eine Menge Unfug, den ich überzeugend präsentieren musste.

Wir treffen willkürliche Annahmen über zwanzig verschiedene Variable und errechnen daraus die Entwicklung der Energiepreise für die nächsten vierzig Jahre. Dasselbe machen wir mit der Kapazität der Rechner, der Bevölkerungsentwicklung, den Rohstoffpreisen und der Kaufkraft. Das Ganze gießen wir in animierte Grafiken und bunte Balkendiagramme: Schon haben wir eine Prognose über unsere Zukunft, die so überzeugend wirkt, dass wir plötzlich selbst daran glauben – und unsere Strategie danach ausrichten.

Die Aufzugtür gab den Weg in die Vorstandsetage frei. Clark Kent begrüßte mich mit seinem typischen, unsicheren Lächeln und reichte mir seine verschwitzte Hand. Er war Vorstandsassistent bei SaXem. Eigentlich hieß er Mag. Clark Kensington, aber sein Aussehen und seine unbeholfene Art erinnerten mich zu sehr an das Alter Ego von Superman.

„Frau Anna Schmid“, kündigte er mich an, während er die Türe zum Sitzungssaal öffnete.

Heute sind alle Vorstände anwesend: Ti Bian „The Brain“, ein lächelnder Asiate mit kalten Augen, Margot Wise, eine ältere Britin, Alexander van Hool, der Niederländer, Anna Maria Morales aus Buenos Aires und Rahmel Jaid aus Indien.

Die fünf bilden den inneren Zirkel des SaXem-Konzerns, der 2015 aus der Fusion namhafter Unternehmen aus Europa, Indien und Südostasien entstanden ist. Zeitgleich wurde auf politischer Ebene die Eurasische Freizone gegründet.

Heute – sechs Jahre später – ist SaXem der drittgrößte Konzern der Welt. Er beherrscht die Sparten Elektronik, Information, Verkehr und Energie und bildet damit den einzigen Gegenpol gegenüber den Konzernen der amerikanisch-russischen Föderation und den Chinesen, die sich mittlerweile die Vormachtstellung in Afrika erkämpft haben. Viele unserer Produktionsstätten und Forschungseinrichtungen sind bewusst in strukturschwachen Regionen Eurasiens und neuerdings auch Südamerikas angesiedelt worden. Die Zentrale steht in Wien, einer Stadt mit historischer Bedeutung als Zentrum Europas.

* * *

Eine knappe Stunde später war die Sitzung zu Ende. Ein Dutzend nichtssagender Spartenleiter verabschiedete sich. Keiner hatte meine Inhalte hinterfragt oder gar angezweifelt. Endlich waren wir unter uns und konnten uns den eigentlichen Themen des heutigen Treffens zuwenden.

„Sie haben Derringers Abteilung ganz schön durch den Kakao gezogen“, merkte Alexander van Hool noch an. „Ich war überrascht, dass sie Ihren irrwitzigen Zahlen und Plänen …“, er grinste mich entschuldigend an, „…nicht widersprochen hat.“

Ti Bian lächelte freundlich. „Falls sie in den nächsten drei Tagen keine fundierte Entgegnung einbringt, werfen Sie sie hinaus. Ich dulde keine Ja-Sager in Führungspositionen. Margot, Ihr Bericht bitte.“

„Der Widerstand hat seine Aktivitäten deutlich erhöht“, begann die Britin. „Die Hackerangriffe auf unsere Server haben sich im letzten Monat mehr als verdoppelt. In unserem Büro Singapur gab es eine Geiselnahme. Ein Bombenanschlag auf unser Satellitenzentrum in Lyon konnte im letzten Augenblick vereitelt werden. Der wirtschaftliche Schaden ….“

Verdammter Widerstand. Es handelt sich um eine lose Gruppierung von Hackern, Bombenlegern und Saboteuren. Eine gesichtslose Masse von anarchistischen Idioten und selbsternannten Weltverbesserern. Sie kämpfen gegen die vermeintliche Überwachung und Bevormundung durch SaXem. Nach ihren veralteten Idealen sind unsere Datenerhebungen und die darauf aufbauenden Verhaltensanalysen von hunderten Millionen Menschen inakzeptabel. Sie schrecken nicht einmal vor Mord zurück, um uns das spüren zu lassen. Von den wahren Hintergründen ahnen sie nichts: Weder von unseren Aktivitäten, noch von unseren Erfolgen. Sie begreifen die Zusammenhänge nicht, selbst nachdem wir Beweise vorgelegt haben, dass ihre sogenannten Non-Gouvernement-Organisationen vom chinesischen Geheimdienst oder von amerikanischen Konzernen finanziert werden. Am meisten wurmt sie aber, dass sie nie mehr sein werden, als eine Randerscheinung auf der großen Bühne der Weltwirtschaft.

Wir diskutierten Margots Bericht. Viel gab es dazu ohnehin nicht zu sagen. Anschließend erschien Clark Kent und servierte Kaffee und Tee.

Manche Dinge ändern sich nie. Kaffee gehört zu Wien, wie Donuts zu New York. Der Tee ist Beiwerk, ein Zugeständnis an die Britin und den Inder. Clark Kent sucht nach meinem Blick und lächelt schief. Ärgerlich wende ich mich ab. Der Kerl ist nicht mein Ding, weigert sich aber hartnäckig das zu kapieren.

„Zeitreise von Anna Schmid nach Juli 2015 ist ausgewertet“, begann Rahmel Jaid. „Sehen Bilder aus Blackbox von alte Jahr 2021.“

Ich vermeide es, mich über seinen harten Akzent und seine Grammatik lustig zu machen. Sobald ich halb so gut Hindi kann, wie er Deutsch, werde ich das nachholen.

Ein Fernsehbericht flimmerte über die Leinwand. Er zeigte Soldaten, die gezielt auf Demonstranten schossen. Der Sprecher berichtete mit nüchterner Stimme von Dutzenden Toten, die dem Gewaltregime des südamerikanischen Landes zum Opfer gefallen waren.

„Jetzt sehen Zeitungsbericht von Juli 2015.“, fuhr der Inder fort.

Das Foto zeigte eine ausgebrannte Limousine. Autobombe in Caraconnes: Zwei hochrangige Offiziere bei Terroranschlag getötet, lautete der Bildtext.

„Jetzt dort demokratisch Regierung. Das viel gut“, grinste Rahmel. „Mission von Anna war große Erfolg. Wer stirbt 2015, kann nicht machen Putsch 2017 und kann nicht schießen auf eigene Leute in 2021. Aber wird noch besser.“

Das nächste Bild zeigte vergleichende Balkengrafiken. „Sehen Investitionen von Amerika und von Eurasien in Jahr 2021 aus Blackbox. Bitte vergleichen Jahr 2021 heute: SaXem jetzt größte Firma dort. Gut Beziehung zu demokratisch Regierung: Viel Arbeitsplätze, viel Kunden, viel Gewinn.“

Anschließend präsentierte der Inder die Auswertung meiner Sekundärmission. Die Informationen über erfolgreiche Start-Ups, junge Patente, Kursentwicklungen und Rohstoffengpässe der Jahre 2016 bis 2018 hatten SaXem um vier Milliarden Euro reicher gemacht. Besonders die hochriskanten Derivatgeschäfte lagen noch deutlich über den in der Blackbox hinterlegten Erwartungen.

Es ist leicht, auf die richtige Zahl zu setzen, wenn man weiß, wo die Kugel landet.

„Natürlich wir Geld haben investiert“, fuhr der Inder fort. „Bitte beachte 2016 gebaute Produktion in Chile mit dreitausend Arbeitsplätze und 2017 eröffnetes Forschungszentrum in Delhi mit vierzehnhundert Arbeitsplätze: Vor vierzehn Tagen noch nicht existiert, obwohl seit vier Jahre gut läuft.“

„Vielen Dank“, bemerkte Ti Bian. „Das war eine außerordentliche Leistung. Sehen Sie das als kleinen Bonus.“

Ein Fahrzeug-Chip schlitterte über den Tisch. Ich nickte höflich, aber zurückhaltend.

Jeder hier weiß, dass ich nur seine Anweisungen umsetze. Er ist das Gehirn hinter unseren Operationen – ich bin die ausführende Hand.

„Gönnen Sie sich eine Auszeit“, fuhr der Asiate fort. „Die Vorbereitung Ihres nächsten Auftrags wird zumindest zwei Wochen dauern.“

* * *

Ich stehe vor dem Aufzug. Clark Kent starrt auf meinen Hintern. Oder auf meine Beine. Ich muss mich nicht umdrehen, um das zu wissen.

In der Garage wartet eine italienische Schönheit: Die dunkelgrüne Pearlshine-Lackierung des Cabriolets passt zu meiner Haarfarbe. Unter der Haube steckt eine Zehnzylindermaschine mit 450kW, zuzüglich zweier Elektromotoren mit nochmals 150kW. Ein bisschen übermotorisiert für eine Stadt mit flächendeckender 30kmh-Zone, aber was soll’s. Ich weiß die Aufmerksamkeit meines Arbeitgebers zu schätzen. Die offizielle Auslieferung des Lamborghini Diabolo startet erst in zwei Monaten und die Erlaubnis für eine private Fahrzeugnutzung bekommt man heutzutage auch nicht mehr – außer, man arbeitet für SaXem.

Lautlos rollt der Wagen aus der Garage. Ein Radfahrer verrenkt sich den Kopf, verreißt den Lenker und kippt um. Ich verzichte auf die Analyse, ob ich dafür verantwortlich bin oder das Auto. Der Weg von der Innenstadt bis zu meinem Penthouse im Danube-Ressort ist nicht weit. Seit in der Stadt nur mehr Taxis und gewerbliche Fahrzeuge mit Erdgas-Hybridantrieb fahren dürfen, gehören die Staus ebenso der Vergangenheit an, wie die Dieselabgase.

Wer ist mein Auftraggeber? SaXem ist nur vordergründig auf Profit aus. Der Konzern ist eine Waffe in einem gnadenlosen Wirtschaftskrieg. Ich bin ein Teil davon. Wir wollen die wirtschaftliche Hegemonie der USA und ihres Satellitenstaates Russland brechen, und wir wollen die weltpolitische Bedeutung Europas und Südostasiens wieder herstellen. Wir sind auf einem guten Weg dieses Ziel zu erreichen. Seit Beginn unserer Aktivitäten haben sich die Wirtschaftsdaten deutlich verbessert. Dynamisches Wachstum, geringe Arbeitslosigkeit und Wohlstand sind selbstverständlich – zumindest in der eurasischen Freizone. Man muss nicht Gott sein um die Welt zu verbessern – es reicht, ihm gelegentlich in die Karten zu sehen.

In meiner Welt gibt es die Lehmann-Brothers noch: Die US-Amerikaner mussten für die Folgen ihrer Immobilienkrise selbst geradestehen. Alleine dafür habe ich sieben Spitzenpolitiker erpresst ohne aufzufliegen. Darauf bin ich wirklich stolz.

Natürlich bin ich keine Unternehmensberaterin. Für SaXem ist es dennoch vertretbar, mir sechs Millionen Euro für wertlose Konzepte zu zahlen. Das sieht in den Büchern besser aus, als eine Ex-Agentin mit Wirtschaftsspionage, Erpressung und Sabotage zu beauftragen. Ich heiße auch nicht Anna Schmidt. Mein Name ist bedeutungslos. Soweit ich es mir aussuchen kann, bin ich Electra. Eine Studienkollegin hat einmal angedeutet, ich sähe aus, wie Jennifer Garner im gleichnamigen Hollywoodstreifen. Hinzu kommt meine Schwäche für griechische Tragödien: Ich bin dabei geblieben.

* * *

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