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Buch lesen: «Fadette», Seite 6

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Dreizehntes Kapitel

Es konnte sein, daß auch die Mutter Fadet derartige Kenntnisse besaß, und daß sie ihre Enkelin darüber belehrt hatte, nichts von diesen nächtlichen Wanderlichtern zu befürchten. Vielleicht aber auch, weil diese in der Nähe der Furt sehr häufig waren, hatte sich bei der kleinen Fadette, die also daran gewöhnt war sie zu sehen, die Vorstellung gebildet, daß der Geist, der sie entzünde durchaus kein böser sei und nur eine gute Absicht habe. Als sie fühlte, daß Landry in dem Maße, wie ihnen das Irrlicht näher kam, am ganzen Körper zu zittern begann, sagte sie:

»Wie du thöricht bist! Das Feuer dort brennt ja nicht, und wenn du geschickt genug wärst, es mit der Hand zu erhaschen, würdest du sehen, daß es nicht einmal eine Spur hinterläßt.«

»Das ist noch schlimmer,« dachte Landry; ein Feuer, das nicht brennt, da weiß man, was das zu bedeuten hat. Das kann nicht von Gott kommen; denn das Feuer, was der liebe Gott giebt, ist geschaffen, um zu erwärmen und zu brennen.«

Aber er ließ die kleine Fadette nichts von seinen Gedanken merken, und als er sich wohlbehalten und sicher am anderen Ufer befand, verspürte er große Lust seine Führerin im Stiche zu lassen und sich nach dem Zwillingshofe davon zu machen. Da er aber doch kein undankbares Herz hatte, wollte er sie nicht verlassen, ohne ihr gedankt zu haben.

»Dies ist nun schon das zweite Mal, Fränzchen Fadet,« sprach er zu ihr, »daß du mir einen Dienst geleistet hast, und ich würde ein schlechter Bursche sein, wenn ich dir nicht sagte, daß ich es mein Leben lang nicht vergessen werde! Als du heran kamst, stand ich da, wie ein Narr; das Licht hatte mich behext und ganz toll gemacht. Nie wäre ich durch den Fluß gegangen; wenigstens nie wieder herausgekommen.«

»Vielleicht wärst du ohne Mühe und Gefahr hindurch gekommen, wenn du nur nicht so albern wärst;« antwortete die Fadette. »Ich hätte nie geglaubt, daß ein so großer Bursche, wie du, der in sein siebenzehntes Jahr geht, und der bald seinen Bart am Kinn haben wird, so leicht in Angst geraten könnte, und es freut mich dich so zu sehen.«

»Und warum freut dich das, Fränzchen Fadett?«

»Weil ich dich nicht leiden kann,« sagte sie in verächtlichem Tone.

»Und weshalb kannst du mich denn nicht leiden?«

»Weil ich keine Achtung vor dir habe,« sagte sie; »so wenig vor dir, als vor deinem Zwillingsbruder und vor deinen Eltern, die voller Hochmut sind, weil sie Geld haben, und die glauben, daß man nur seine Pflicht thut, wenn man ihnen einen Dienst leistet. Sie haben dich gelehrt undankbar zu sein, und das ist nächst der Furchtsamkeit, der häßlichste Fehler den der Mensch haben kann.«

Landry fühlte sich sehr gedemütigt durch diese Vorwürfe des kleinen Mädchens, denn er sah ein, daß sie nicht ganz unbegründet waren. Er antwortete ihr darauf:

»Wenn ich gefehlt habe, Fadette, so gieb mir allein die Schuld. Mein Bruder so wenig wie mein Vater, noch meine Mutter, oder sonst irgend jemand in unserem Hause, hat etwas davon erfahren, daß du mir schon einmal zu Hilfe gekommen bist. Aber dieses Mal sollen sie es alle erfahren, und du sollst eine Belohnung haben, wie du sie wünschen wirst.«

»Ah! da seht einmal, wie stolz du bist!« hob die kleine Fadette wieder an. »Du bildest dir wohl ein, du könntest dich mir gegenüber mit Geschenken abfinden. Du glaubst also, ich sei wie meine Großmutter, welche sich die Grobheiten und die Unverschämtheiten der Leute gefallen läßt, wenn ihr nur etwas Geld hingeworfen wird. Mit mir ist es anders, ich brauche eure Gaben nicht, und habe auch kein Verlangen darnach, ich verachte alles, was du mir geben kannst, denn es ist nun beinah ein Jahr, daß ich dich aus einer so großen Qual erlöst habe; und in alle dieser Zeit hast du nicht einmal so viel Gefühl bewiesen, daß du auch nur ein einziges Wort des Dankes und der Freundschaft an mich gerichtet hättest.« »Ich habe gefehlt, Fadette, ich gestehe es,« sagte Landry, der sich des Erstaunens nicht erwehren konnte über die Art, in der er sie hier zum erstenmale reden hörte. »Aber du selbst bist auch ein wenig Schuld daran. Daß du mir halfest meinen Bruder wiederzufinden, das war grade keine besondere Hexerei. Du hattest ihn wahrscheinlich schon gesehen, während ich mit deiner Großmutter verhandelte. Wenn du wirklich ein gutes Herz hättest, du, die du mir den Vorwurf machtest keins zu haben, dann würdest du damals, statt mich warten zu lassen und mich noch länger meinem Schmerz zu überlassen, mir gleich die richtige Auskunft gegeben und mir gesagt haben: »Geh die Wiese hinunter; am Ufer des Flusses wirst du ihn finden.« Das hättest du ohne weitere Mühe leicht thun können, aber du hast mit meinem Schmerz ein boshaftes Spiel getrieben, und das ist es auch, weshalb der Dienst, den du mir geleistet hast, weniger Wert hat.«

Die kleine Fadette, die doch sonst flink mit den Antworten bei der Hand war, blieb einen Augenblick nachdenklich stehen, dann sagte sie:

»Ich sehe wohl, daß du dein Möglichstes gethan hast, um dir die Dankbarkeit vom Halse zu schaffen, und um dir selbst weiß zu machen, daß du mir keine schuldig seist. Das alles geschieht wegen der Belohnung, die ich mir hatte versprechen lassen. Aber, noch einmal, dein Herz ist hart und schlecht, denn du hast gar nicht einmal darauf geachtet, daß ich nichts von dir verlangte, und daß ich dir aus deiner Undankbarkeit nicht einmal einen Vorwurf gemacht habe.«

»Das ist alles Wohl wahr, Fränzchen,« sagte Landry, der die Treuherzigkeit selbst war. »Ich fühle es, daß ich im Unrecht bin, und ich bin sehr beschämt darüber. Gewiß, ich hätte mit dir reden sollen, und es war auch meine Absicht dies zu thun; aber du selbst machtest mir immer ein so zorniges Gesicht, daß ich gar nicht wußte, wie ich es anfangen sollte.«

»Wenn du am folgenden Morgen, nachdem es geschehen war, gekommen wärst und hättest nur ein freundliches Wort gesagt, dann würdest du mich gewiß nicht zornig gefunden haben. Du hättest dann gleich erfahren, daß ich gar keine Bezahlung verlange, und wir wären gute Freunde geblieben, statt daß ich jetzt eine schlechte Meinung von dir habe. Ich hätte dir bei dem Irrlicht gar nicht zu Hilfe kommen sollen, damit du einmal gesehen hättest, wie du damit fertig werden konntest. Und nun, guten Abend, Landry vom Zwillingshofe; geh, trockne deine Kleider und sage deinen Eltern: »Ohne die kleine Lumpendirn, die Grille, hätte ich heute Abend wahrhaftig einen tüchtigen Schluck aus dem Flusse thun müssen.«

Nach diesen Worten wandte sie ihm den Rücken, und entfernte sich singend in der Richtung ihres Hauses:

 
»Jetzt, Landry, Zwilling, sind wir quitt:
Nimm dir die Lehr und dein Bündel mit!«
 

Dieses Mal regte sich etwas in Landrys Seele wie lebhafte Reue; nicht etwa, daß er zu irgend einer Art von Freundschaft für ein Mädchen geneigt gewesen wäre, das mehr Verstand als Herzensgüte zu haben schien, und deren schlechte Manieren gewiß nicht gefallen konnten, nicht einmal solchen, die sich dadurch belustigen ließen. Aber er hatte ein biederes Herz und wollte nicht, daß sein Gewissen mit einem Vorwurf belastet bleiben sollte. Er lief also hinter ihr her, und sie bei ihrem Mantel erhaschend, sprach er:

»Höre, Fränzchen Fadet, höre einmal! Diese Angelegenheit muß zwischen uns in Ordnung gebracht und ein für allemal abgemacht werden. Du bist unzufrieden mit mir, und ich selbst bin auch nicht grade mit mir zufrieden. Du mußt mir sagen, was du wünschest, und gleich morgen werde ich es dir bringen.«

»Ich wünsche dich nie mehr zu sehen,« antwortete die Fadette sehr trocken und hart; »und was du mir auch bringen magst, du kannst dich darauf verlassen, daß ich es dir an den Kopf werfe!«

»Das sind gar zu grobe Worte für jemanden, der dir eine Entschädigung anbietet. Wenn du durchaus kein Geschenk annehmen willst, so könnte man dir vielleicht durch irgend etwas anderes einen Dienst leisten, oder dir zeigen, daß man es gut mit dir meint und nicht böse. Komm, sage mir, was ich thun kann, um dich zufrieden zu stellen.«

»Du verstehst also nicht einmal mich um Verzeihung zu bitten und meine Freundschaft zu begehren?« sagte die Fadette, indem sie stehen blieb.

»Um Verzeihung soll ich bitten? Das ist viel verlangt!« erwiderte Landry, der seinen Stolz nicht überwinden konnte einem Mädchen gegenüber, welches im Verhältnis zu dem Alter, in das es zu treten begann, durchaus nicht geachtet wurde, und dessen Benehmen auch keineswegs immer so beschaffen war, wie es sich geziemt hätte. »Was deine Freundschaft betrifft, Fadette,« fuhr er fort, »so hast du ein so sonderbares Gemüt, daß ich kein rechtes Vertrauen dazu haben könnte. Fordere also von mir irgend etwas, das ohne weiteres gewährt werden kann, und das ich nicht genötigt sein könnte, dir wieder zu entziehen.«

»Nun, es sei! Zwilling Landry,« sagte die Fadette in klarem und trocknem Tone, »es soll geschehen, wie du wünschest. Ich habe dir Verzeihung angeboten, und du willst nichts davon wissen. Jetzt fordere ich von dir, was du mir versprochen hast. Höre also, was es ist: du sollst meinem Befehle gehorchen, an dem Tage, wo du dazu aufgefordert wirst. Dieser Tag wird kein anderer sein, als morgen der Festtag des heiligen Andoche, und nun höre, was ich von dir verlange: du wirst nach der Messe drei Kontretänze mit mir tanzen, nach der Vesper wieder zwei Kontretänze, und nach dem Angelus nochmals zwei Kontretänze, das macht zusammen sieben Kontretänze. Und den ganzen Tag über, von der Zeit an, daß du aufgestanden bist, bis du dich wieder niederlegst, wirst du keinen anderen Kontretanz tanzen, einerlei mit wem es auch sein möchte, so wenig mit einem Mädchen, wie mit einer Frau. Wenn du dies nicht thust, dann weiß ich, daß du drei sehr häßliche Fehler an dir hast: die Undankbarkeit, die Furchtsamkeit und die Wortbrüchigkeit. Ich wünsche dir jetzt einen guten Abend! Morgen erwarte ich dich an der Kirchenthür, um den Tanz mit dir zu eröffnen.«

Nach diesen Erklärungen drückte die kleine Fadette, der Landry bis zu ihrem Hause gefolgt war, auf die Thürklinke und trat so rasch ein, daß die Thür schon wieder ins Schloß geworfen war, bevor der Zwilling auch nur ein Wort zur Antwort geben konnte.

Vierzehntes Kapitel

Zuerst fand Landry die Idee der Fadette so komisch, daß er eher hätte darüber lachen mögen, als daß er sich geärgert hätte.

»Das ist ein Mädchen,« sagte er zu sich selbst, »das noch viel närrischer zu sein scheint, als sie böse ist, und dabei viel uneigennütziger, als man denken sollte, denn die von ihr geforderte Belohnung wird meine Familie nicht zu Grunde richten.« – - Indessen, als er weiter darüber nachdachte, fand er die Einlösung seiner Schuld viel schwerer, als es den Anschein hatte. Die kleine Fadette tanzte sehr gut; er hatte sie ja oft auf den Feldern und am Rande der Wege mit den Hirtenbuben herumspringen sehen, und sie war dabei so flink und gewandt gewesen, wie ein wahres Teufelskind, so daß man Mühe hatte, ihren Bewegungen zu folgen. Aber sie war so unschön, und selbst an den Sonntagen so schlecht gekleidet, daß kein Bursche von Landrys Alter sie zum Tanze geführt haben würde, besonders nicht an Orten, wo viele Leute versammelt waren. Höchstens die Schweinehirten und die Buben, die noch nicht zur ersten Kommunion gegangen waren, nahmen keinen Anstand daran sie zum Tanze aufzufordern; aber die ländlichen Schönen sahen sie sehr ungern mit in ihrer Reihe stehen. Landry mußte es also als eine große Demütigung empfinden, an eine solche Tänzerin gebunden zu sein. Vollends wurde ihm beklommen zu Mute, wenn er daran dachte, daß er sich von der schönen Madelon wenigstens drei Kontretänze hatte zusagen lassen. Wie würde diese eine Beleidigung aufnehmen, die er ihr gezwungenerweise zufügen mußte, wenn er sie nicht zum Tanze holte!

Endlich, da er Frost und Hunger empfand, und noch beständig in der Angst war, das Irrlicht ziehe hinter ihm her, beschleunigte er seine Schritte, ohne viel zu denken, und ohne sich umzusehen. Als er zu Hause angekommen war, trocknete er seine Kleider und erzählte, daß er in der Stockfinsternis die Furt gar nicht habe finden können, und daß es ihm Mühe gekostet habe, aus dem Wasser wieder herauszukommen. Aber von dem Irrlicht, oder von der kleinen Fadette sagte er nichts, denn er schämte sich zu gestehen, daß er sich gefürchtet habe. Er ging zu Bett und tröstete sich mit dem Gedanken, daß es morgen noch früh genug sein würde, sich über die Folgen dieser unangenehmen Begegnung zu ärgern. Aber, wie er es auch anstellen mochte, er schlief sehr schlecht, und hatte wohl mehr als fünfzig Träume, in denen ihm stets die kleine Fadette erschien. Bald sah er sie auf dem Irrlicht reiten, das in Gestalt eines großen roten Hahnes erschien, der in einer seiner Krallen eine Hornlaterne mit einem Licht darin trug, dessen Strahlen einen hellen Schein über die ganze Wiese verbreiteten. Und dann wieder erschien die kleine Fadette in eine Grille verwandelt, von der Größe einer Ziege, und sie sang ihm mit ihrer Grillenstimme ein Lied vor, das er nicht verstehen konnte; aber die Worte desselben gingen immer auf denselben Reim hinaus, und er unterschied in ihnen auch den Namen seines Bruders Sylvinet. Zuletzt wirbelte ihm der Kopf davon, und der Schein des Irrlichtes zuckte so deutlich und grell vor ihm auf, daß er darüber erwachte, und noch die kleinen schwarzen, roten oder blauen Punkte zu sehen glaubte, die man vor den Augen herumtanzen sieht, wenn man zu lange unverwandt in die Sonne oder in den Mond geblickt hat.

Landry war nach dieser unruhigen Nacht so ermüdet, daß er während der ganzen Messe immer wieder einschlief, und auch nicht ein Wort von der Predigt des Herrn Pfarrers vernahm, der doch sein Möglichstes that, die Tugenden und die guten Eigenschaften des heiligen Andoche in einer Art zu loben und zu preisen, daß es gar nicht besser hätte geschehen können. Beim Hinausgehen aus der Kirche fühlte sich Landry noch so ermattet, daß er die Fadette ganz vergessen hatte. Sie aber stand an der Kirchenthür, ganz in der Nähe der schönen Madelon, die sich hier aufhielt in der festen Überzeugung, daß sie es sei, der die erste Aufforderung zum Tanze gebühre. Aber als Landry auf sie zuging, um mit ihr zu reden, war es unvermeidlich, daß er auch mit der Grille in Berührung kam, die ihm einen Schritt entgegentrat und mit einer Keckheit ohne Gleichen laut zurief:

»Komm, Landry, du hast mich gestern Abend für den ersten Tanz aufgefordert; ich rechne darauf, daß wir nicht dabei fehlen werden!«

Landry wurde dunkelrot, und als er auch die Madelon vor Staunen und Verdruß über solch einen Zwischenfall rot werden sah, faßte er sich ein Herz und antwortete der kleinen Fadette:

»Es kann wohl sein, Grille, daß ich versprochen habe mit dir zu tanzen; aber ich hatte schon früher eine andere dazu aufgefordert, und wenn ich mein erstes Versprechen erfüllt habe, kommt die Reihe an dich.«

»Nein, das geht nicht,« erwiderte die Fadette mit voller Entschiedenheit. »Deine Erinnerung täuscht dich, Landry; du hast keiner anderen früher als mir ein Versprechen gegeben, weil du mir dein Wort schon im vorigen Jahre gegeben hast, und gestern Abend hast du es nur erneuert. Wenn die Madelon Lust haben sollte heut mit dir zu tanzen, so ist ja dein Zwillingsbruder da; er ist dir vollkommen ähnlich, und kann statt deiner mit ihr tanzen; ihr seid der eine wie der andere gleich viel wert.«

»Die Grille hat recht,« gab die Madelon stolz zur Antwort, indem sie Sylvinets Hand ergriff, »da es schon vor so langer Zeit geschehen ist, daß du ein Versprechen gegeben hast, Landry, muß es natürlich auch gehalten werden, und ich tanze ebenso gern mit deinem Bruder.«

»Ja, ja! Das ist ja ganz einerlei,« sagte Sylvinet in unbefangener Weise. »Wir werden nun alle vier tanzen.«

Es war wohl geraten die Sache hiermit zu beschließen, wenn man nicht die Aufmerksamkeit der Leute auf sich ziehen wollte. Die Grille begann jetzt so stolz und mit solcher Gewandtheit ihre Füße in Bewegung zu setzen, daß noch nie ein Kontretanz besser geleitet und durchgeführt worden war. Wäre sie geputzt und hübsch gewesen, dann hätte man ihr mit Vergnügen zusehen müssen, denn sie tanzte ganz vortrefflich, und unter alle den Schönen war nicht eine einzige, die sie nicht um ihre Gewandtheit und um ihren zierlichen Anstand hätte beneiden können. Aber der Aufputz der armen Grille war so häßlich, daß sie dadurch noch zehnmal häßlicher erschien als sonst. Landry, der gar nicht mehr wagte die Madelon auch nur anzusehen, so verdrießlich war er und so gedemütigt fühlte er sich ihr gegenüber, fand seine Tänzerin, als er sie betrachtete, noch unsäglich viel garstiger als in den Lumpen, die sie alle Tage trug. Sie hatte geglaubt sich recht schön gemacht zu haben, aber ihre Ausstaffierung konnte nur zum Lachen reizen.

Sie trug eine Haube, die vom langen Liegen ganz vergilbt war, und anstatt klein und zierlich nach hinten zurückgerafft zu sein, wie die neueste Mode in der Gegend es vorschrieb, zu beiden Seiten des Kopfes zwei große, breite und sehr flache Schleifen bildete. Die Enden derselben fielen vom Hinterkopf bis auf die Schultern herab, wodurch die arme Fadette ein Aussehen erhielt, als ob sie ihre Großmutter gewesen wäre. So erschien der Kopf auf dem kleinen mageren Halse so groß, daß es aussah, als ob man einen Scheffel auf einen dünnen Stock gestellt hätte. Ihr Rock, den sie aus einem halbwollenen Stoff gefertigt hatte, war um zwei Handbreit zu kurz; und da sie überhaupt in diesem Jahre sehr gewachsen war, kamen ihre mageren, von der Sonne ganz verbrannten Arme wie zwei Spinnebeine aus den Ärmeln hervor. Zur Vollendung dieser Toilette hatte sie eine hochrote Schürze vorgebunden, auf die sie sehr eitel war. Die Schürze stammte indessen von ihrer Mutter her, und sie hatte ganz vergessen die Franzen davon abzutrennen, welche schon seit mehr als zehn Jahren von den jungen Mädchen nicht mehr getragen wurden. Das arme Kind war keine von denen, die gefallsüchtig genannt werden können, ja sie war viel zu wenig eitel, und hielt viel zu wenig auf sich selbst. Nur zu Spiel und Scherz geneigt, lebte sie wie ein Knabe, unbekümmert um ihr Aussehen. Unter den festlich Geputzten nahm sie sich aus wie eine Alte im Sonntagsstaat, und man verachtete sie wegen ihres schlechten Anzuges, der keineswegs durch die Armut geboten wurde, sondern nur dem Geiz der Großmutter und dem mangelhaften Geschmack der Enkelin zuzuschreiben war.

Fünfzehntes Kapitel

Sylvinet war sehr erstaunt, daß sein Zwillingsbruder Geschmack an der Fadette gefunden hatte, die er, für seinen Teil, noch weniger leiden konnte als Landry. Dieser wußte selbst nicht mehr wie ihm zu Mute war, und er hätte sich gern unter der Erde verkriechen mögen. Die Madelon war sehr ungehalten, und trotzdem die am Tanz Beteiligten durch die kleine Fadette gezwungen waren ihre Beine in flinker Schwingung zu erhalten, machten sie alle so traurige Gesichter, als ob sie den Teufel zu Grabe trügen.

Sobald der erste Tanz beendet war, machte sich Landry aus dem Staube, und versteckte sich im Baumgarten des Zwillingshofes. Aber, es dauerte nicht lange, so erschien die kleine Fadette, um ihn wieder herbeizuholen. Den Grashüpfer hatte sie zur Seite, der heute noch viel unbändiger war, weil seine Mütze mit einer Pfauenfeder und einer Eichel von falschem Golde verziert war. Gleich hinter diesen beiden kam eine ganze Schar von Buben und Mädchen, alle viel jünger als die Grille, denn ihre Altersgenossen suchten sie nicht auf. Als Landry sie mit diesem ganzen Schwarm herankommen sah, der ihr, im Falle er sich weigern würde, als Zeuge dienen sollte, fügte er sich und führte sie unter die Nußbäume zurück, wo er gern einen Winkel ausfindig gemacht hätte, um ohne von jemanden gesehen zu werden, mit ihr zu tanzen. Glücklicherweise waren hier weder Madelon und Sylvinet, noch die Leute aus dem Orte zu sehen. Landry wollte die Gelegenheit benutzen, um seine Aufgabe zu lösen, und hier gleich den dritten Kontretanz mit der Fadette tanzen. Sie hatten hier nur Fremde um sich herum, die nicht viel auf sie achteten.

Sobald der Tanz beendet war, eilte er Madelon zu suchen, um sie einzuladen, mit ihm in der Laube Weizenkuchen zu essen. Aber sie hatte mit anderen getanzt, die ihr das Versprechen abgenommen hatten, sich von ihnen bewirten zu lassen, und sie gab nun etwas stolz eine abschlägliche Antwort. Landry zog sich darauf in eine Ecke zurück, und die Augen füllten sich ihm mit Thränen, denn der Verdruß und der Stolz machten die Madelon noch viel schöner, als sie ihm je erschienen war, und es war auch, als ob alle Leute dieselbe Bemerkung gemacht hätten. Als sie ihn so traurig sah, beeilte sie sich mit dem Essen fertig zu werden, stand vom Tische auf und sagte ganz laut: »Da wird schon zur Vesper geläutet; mit wem werde ich nun gleich tanzen?« Sie hatte sich zu Landry hingewandt und rechnete darauf, daß er rasch sagen würde: »Mit mir!« Aber bevor er nur die Zähne voneinander bringen konnte, hatten sich schon andere angeboten, und die Madelon, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, ging mit ihren neuen Verehrern in die Vesper.

Sobald die Vesper gesungen war, entfernte sie sich sogleich mit Pierre Aubardeau; Jean Aladonise und Etienne Alaphilippe gingen hinter ihr her, und alle drei führten sie einer nach dem anderen zum Tanze. Da sie ein schönes Mädchen war und auch etwas hatte, konnte es ihr an Verehrer nicht fehlen. Landry blickte ihr verstohlenerweise nach, die kleine Fadette war noch in der Kirche geblieben und verrichtete ein langes Gebet nach dem andern. Sie that dies jeden Sonntag so, wie die einen sagten aus großer Frömmigkeit, und wie die anderen wissen wollten, um ihr Einverständnis mit dem Teufel besser verborgen zu halten.

Landry schmerzte es sehr, als er sah, wie die schöne Madelon so ganz unbekümmert zu sein schien, und daß sie vor Vergnügen gerötet, leuchtete wie eine reife Erdbeere. So leicht wußte sie sich also zu trösten über die Vernachlässigung, die er gezwungen war, sich ihr gegenüber zu schulden kommen zu lassen. Dies alles brachte ihn auf einen Gedanken, der ihm bis dahin noch nie in den Sinn gekommen war, nämlich: ob sie nicht wohl etwas gefallsüchtig sein möchte, und daß sie jedenfalls keine große Anhänglichkeit an ihn haben könne, da sie sich ohne ihn so gut zu vergnügen wisse.

Er fühlte allerdings, daß er, wenigstens dem Anscheine nach, im Unrecht war; aber in der Laube hatte sie doch wohl sehen können, wie sehr er sich kränkte, und es wäre für sie doch gewiß nicht schwer gewesen, zu erraten, daß etwas dabei im Spiele sein mußte, das er ihr gern hätte erklären mögen. Sie aber kümmerte sich nicht einen Pfifferling darum, und war so ausgelassen wie ein junges Zicklein, während ihm das Herz vor Kummer vergehen wollte.

Als sie mit den drei anderen Burschen getanzt hatte, näherte sich Landry ihr, und wünschte mit ihr allein zu sprechen, um sich so gut es möglich war, vor ihr zu rechtfertigen. Er wußte nicht recht, wie er es anfangen sollte, um sie beiseite zu führen, denn er stand noch in dem Alter, wo man den Frauen gegenüber noch nicht den richtigen Mut hat. Da er auch nicht ein einziges passendes Wort zu finden wußte, nahm er sie bei der Hand und wollte sie mit sich fort führen. Sie aber sagte in halb verdrießlichem und halb versöhnlichem Tone:

»So, Landry, da kommst du noch zum Schlusse, um mich zum Tanze zu führen?«

»Nein, nicht zum Tanze,« antwortete er, denn er wußte sich nicht zu verstellen und dachte nicht mehr daran, das der Fadette gegebene Versprechen nicht halten zu wollen. »Ich hätte dir nur etwas zu sagen, das du mir nicht verweigern kannst anzuhören.«

»O, wenn es ein Geheimnis ist, das du mir mitteilen willst, dann geschieht es besser zu einer anderen Zeit,« erwiderte die Madelon und entzog ihm ihre Hand. »Heute ist's ein Tag zum Tanz und zum Vergnügen. Ich bin noch flink auf den Füßen, und wenn die Grille dir die deinigen ermüdet hat, so geh zu Haus und leg dich ins Bett, wenn du magst; ich bleibe noch hier.«

Darauf reichte sie ihre Hand Germain Audoux, der gekommen war, um sie zum Tanz zu führen. Als das Paar Landry den Rücken gewandt hatte, hörte dieser, wie Germain Audoux in Bezug auf ihn sagte:

»Es scheint, daß der Bursche da meint, dieser Tanz komme ihm zu.«

»Das kann möglich sein,« sagte Madelon, mit der Achsel zuckend; »aber es geht eben nicht alles nach seinem Sinn!«

Landry war ganz empört über diese Worte, und hielt sich in der Nähe des Tanzes, um das Benehmen der Madelon weiter zu beobachten, das zwar durchaus nicht unschicklich war, aber so hochmütig und trotzig, daß er sich darüber ärgern mußte. Als sie wieder in seine Nähe kam, und er sie mit etwas spöttischen Blicken betrachtete, sagte sie zu ihm in herausfordernder Art:

»Nun, Landry, du kannst heute wohl keine Tänzerin finden? Du wirst wohl wieder zur Grille gehen müssen.«

»Und das werde ich mit Vergnügen thun,« gab Landry zur Antwort. »Wenn sie auch nicht die Schönste beim Feste ist, so bleibt sie doch immer die beste Tänzerin.«

Damit verschwand er in der nächsten Umgebung der Kirche, um die kleine Fadette zu suchen, und er führte sie in die Reihe der Tanzenden zurück, grade der Madelon gegenüber, und er tanzte gleich ohne Unterbrechung zwei Kontretänze nacheinander. Es war eine Lust zu sehen, wie stolz und befriedigt die Grille dahinschwebte. Sie machte gar kein Hehl aus ihrem Behagen, und trug ihren kleinen Kopf mit der großen Haube so hoch empor, wie eine beschopfte Henne.

Aber unglücklicherweise erregte ihr Triumph den Verdruß von fünf oder sechs Buben, die gewohnt waren mit ihr zu tanzen, und die jetzt nicht an sie heran konnten; die auch niemals stolz gegen sie gewesen waren, und die sie ihres Tanzens wegen sehr schätzten. Jetzt fühlten sie sich dazu aufgestachelt sie zu bekritteln, ihren Stolz ihr vorzuwerfen und in böser Absicht zischelten sie um sie herum: »Seht einmal die Grille, wie sie sich einbildet den Landry Barbeau zu bezaubern! Grillchen! Grashüpfer! Verbrannte Katze! Hexe!« und dergleichen Schimpfereien mehr, wie sie in der Gegend gebräuchlich waren.