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Buch lesen: «Fadette», Seite 12

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Achtundzwanzigstes Kapitel

Landry schien durch die Stimme seines Bruders ein wenig besänftigt; aber die Worte, die dieser geredet hatte, konnte er nicht so hingehen lassen, ohne darauf zu erwidern.

»Bruder,« sagte er, »du verstehst nichts von diesen Dingen. Du bist immer gegen die kleine Fadette eingenommen gewesen, und du kennst sie gar nicht. Ich bekümmere mich wenig um das, was man über mich reden mag; aber, daß man gegen sie etwas sagt, das dulde ich nicht, und mein Vater und meine Mutter sollen zu ihrer Beruhigung jetzt aus meinem Munde erfahren, daß es auf Erden nicht zwei Mädchen giebt, die so ehrenhaft, so verständig, so gut und so uneigennützig wären, wie die Fadette. Wenn sie das Unglück hat eine schlechte Verwandtschaft zu haben, so hat sie ein um so größeres Verdienst, daß sie ist, wie sie ist, und ich würde es nie geglaubt haben, daß christliche Leute ihr aus dem Unglück ihrer Herkunft einen Vorwurf machen könnten.«

»Es sieht so aus, Landry, als ob du mir selbst einen Vorwurf machen wolltest,« sagte der Vater Barbeau, indem auch er aufstand, um seinem Sohn zu zeigen, daß er es nicht gestatten würde, daß die Sache noch weiter zwischen ihnen verhandelt werde. »Ich erkenne übrigens an deinem Verdruß, daß dir an der Fadette mehr gelegen ist, als ich gewünscht hätte. Weil du weder Scham noch Reue darüber hast, so wollen wir nicht weiter davon reden. Ich werde darauf bedacht sein, was ich thun kann, um dich vor einer jugendlichen Thorheit zu bewahren. Jetzt kehre zu deinem Dienstherrn zurück.«

»Ihr werdet doch so nicht voneinander gehen wollen,« sagte Sylvinet, seinen Bruder zurückhaltend, der schon im Begriff war, sich zu entfernen. »Vater, sehen Sie nur, wie sehr es Landry betrübt Ihnen mißfallen zu haben, und daß er nicht ein Wort mehr herausbringen kann. Schließen Sie ihn in Ihre Arme, zum Zeichen, daß Sie ihm verzeihen wollen; gewiß wird er die ganze Nacht hindurch weinen, denn Ihre Unzufriedenheit ist eine gar zu harte Strafe für ihn.«

Sylvinet brach in Thränen aus, die Mutter Barbeau weinte auch, und die älteste Schwester und der Onkel Landriche weinten gleichfalls. Da war niemand, außer dem Vater Barbeau und Landry, der mit trockenen Augen dagestanden hätte; aber das Herz war diesen beiden eben so schwer wie den anderen, und man brachte es dahin, daß sie sich umarmten. Der Vater forderte kein Versprechen, denn er wußte recht gut, daß in Herzensangelegenheiten diese Versprechungen sehr unzuverlässig sind, und so zog er es vor sein väterliches Ansehen lieber nicht aufs Spiel zu setzen. Aber er gab Landry zu verstehen, daß die Sache keineswegs beendet sei, und daß man darauf zurückkommen werde. Trostlos und zugleich voller Entrüstung ging Landry fort. Sylvinet wäre ihm gern nachgegangen, aber er wagte es nicht, denn er vermutete ganz richtig, daß Landry die Fadette aufsuchen würde, um ihr seinen Kummer mitzuteilen. Er ging also zu Bett, aber er war so traurig, daß er die ganze Nacht hindurch seufzte und nur immer von Unglück in der Familie träumte.

Landry ging gerades Weges zu dem Hause der kleinen Fadette und klopfte an die Thür. Die Mutter Fadet war so taub geworden, daß sie durch kein Geräusch wieder aufgeweckt werden konnte, wenn sie einmal eingeschlafen war, und seitdem Landry sein Geheimnis verraten sah, konnte er mit Fränzchen nicht anders plaudern, als abends in dem Zimmer, wo die alte Großmutter und der kleine Jeannot schliefen. Selbst hier war es noch sehr gewagt für ihn, denn die alte Hexe konnte ihn gar nicht leiden, und hätte ihn viel lieber mit dem Besenstiel vertrieben, als daß sie ihn in höflicher Weise zum Gehen nötigte. Landry teilte der kleinen Fadette seinen Kummer über das Vorgefallene mit, und er fand sie voller Ergebung und Mut. Anfangs versuchte sie ihm einzureden, daß er in seinem eignen Interesse wohl daran thun würde, seine Neigung für sie aufzugeben, und nicht mehr an sie zu denken. Als sie aber sah, wie sehr ihn dies betrübte, und wie er immer aufgebrachter wurde, forderte sie ihn auf zur Zeit gehorsam zu sein und seine Hoffnung auf die Zukunft zu setzen.

»Höre, Landry,« sprach sie zu ihm, »ich habe es immer kommen sehen, was uns jetzt betroffen hat, und ich habe oft darüber nachgedacht, was wir in diesem Falle thun sollten. Dein Vater hat gar nicht Unrecht, und ich bin ihm auch nicht böse darüber; es geschieht ja nur aus großer Liebe zu dir, wenn er fürchtet du könntest dich in eine so geringe Person verlieben, wie ich es bin. In Bezug auf mich verzeihe ich ihm also seinen Stolz und seine Ungerechtigkeit; denn es läßt sich ja nicht leugnen, daß ich in meiner Kindheit recht toll gewesen bin; du selbst hast es mir ja vorgeworfen an dem Tage, wo du anfingst mich lieb zu gewinnen. Seit einem Jahre habe ich meine Fehler abgelegt; das ist aber noch nicht lange genug, um, wie er dir heute gesagt hat, schon Vertrauen zu mir fassen zu können. So muß also noch die Zeit darüber hingehen, bis die Vorurteile, die man gegen mich hat, nach und nach verschwunden sind. Die schändlichen Lügen, die man jetzt verbreitet hat, werden in sich selbst zerfallen. Dein Vater und deine Mutter werden schon sehen, daß ich verständig bin, und dich weder in die Wirtshäuser locken, noch Geld aus dir herauspressen will. Es wird so kommen, daß sie der Ehrbarkeit meiner Liebe zu dir Gerechtigkeit widerfahren lassen müssen, und dann können wir uns sehen und miteinander reden, ohne uns vor irgend jemanden verbergen zu müssen. Aber einstweilen mußt du deinem Vater gehorchen, der, wie ich sicherlich weiß, es dir verbieten wird, mich zu besuchen.«

»Nie werde ich das ertragen,« sagte Landry; lieber stürze ich mich gleich in den Fluß!«

»Nun gut! wenn du den Mut nicht hast, mich zu meiden, so werde ich ihn für dich haben,« sagte die kleine Fadette. »Ich, ich werde fortgehen, ich werde für einige Zeit die Gegend verlassen. Es sind schon zwei Monate her, daß man mir in der Stadt eine gute Stelle angeboten hat. Meine Großmutter ist jetzt so taub und so alt geworden, daß sie sich fast nicht mehr damit beschäftigen kann ihre Arzeneien zu verkaufen und ihre Verordnungen zu erteilen. Da hat sie nun eine sehr gute Verwandte, die ihr angeboten hat, daß sie kommen will, um mit ihr zusammen zu wohnen. Diese wird sie auch recht gut pflegen, eben so wie meinen armen Grashüpfer!«

Bei dem Gedanken an dieses Kind, das ihr zusammen mit Landry das Liebste war, was sie auf der Erde besaß, versagte der kleinen Fadette die Stimme. Aber bald hatte sie sich wieder gefaßt und fuhr dann fort:

»Jetzt ist er kräftig genug, um mich entbehren zu können. Bald wird er zur ersten Kommunion zugelassen werden, und das Vergnügen mit den anderen Kindern in die Katechismuslehre zu gehen, wird ihn den Kummer über mein Fortgehen vergessen lassen. Du wirst schon bemerkt haben, daß er verständiger geworden ist, und daß er sich durch die anderen Buben nicht mehr so in Zorn bringen läßt. Du siehst wohl, Landry, daß es so sein muß, damit die Leute mich erst einmal ein wenig vergessen; gerade jetzt sind sie in der ganzen Gegend sehr aufgebracht und eifersüchtig gegen mich. Wenn ich mal ein oder zwei Jahre fort gewesen bin, und dann mit guten Zeugnissen und einem guten Rufe zurückkehre, den ich mir anderswo leichter erwerben kann, als hier, dann wird man uns nicht mehr quälen und wir lieben uns noch viel mehr, als je zuvor.«

Landry wollte nichts von diesen Vorschlägen wissen; er geriet immer wieder in Verzweiflung, und schließlich kehrte er in einem Zustande nach la Priche zurück, der das schlechteste Herz zum Erbarmen bewegt haben würde.

Zwei Tage später, als er die Butte zur Weinlese fuhr, redete der junge Caillaud in folgender Weise zu ihm:

»Ich sehe, Landry, daß du mir böse bist, und schon seit einiger Zeit sprichst du nicht mehr mit mir. Du glaubst gewiß, daß ich es sei, der deine Liebschaft mit der kleinen Fadette unter die Leute gebracht hat; es ärgert mich wirklich, wenn du mir eine solche Schlechtigkeit zutrauen könntest. So wahr es einen Gott im Himmel giebt, ich habe nie, auch nur das Geringste davon gesagt, und es bekümmert mich sogar, daß man dir diese Verdrießlichkeiten angezettelt hat. Ich habe immer viel auf dich gehalten, und auch der kleinen Fadette habe ich nie eine Beleidigung angethan. Ich kann sogar sagen, daß ich Achtung vor diesem Mädchen habe, seit unserem Erlebnis, worüber sie ihrerseits hätte schwatzen können. Aber kein Mensch hat etwas davon erfahren, so verschwiegen ist sie gewesen. Sie hätte diesen Vorfall benutzen können, um sich an der Madelon zu rächen, welche, wie sie recht gut weiß, die Urheberin von alle diesen Klatschereien ist. Trotzdem hat sie es nicht gethan, und ich sehe ein, Landry, daß man sich auf den äußeren Schein und den Ruf durchaus nicht verlassen kann. Die Fadette, die für böse galt, ist gut gewesen, und die Madelon, die für gut galt, ist nicht allein gegen die Fadette und gegen dich hinterlistig gewesen, sondern auch gegen mich; denn gerade jetzt habe ich allen Grund mich über ihre Treulosigkeit zu beklagen.«

Landry nahm die Erklärungen des jungen Caillaud freudigen Herzens entgegen, und dieser bot alles auf, ihn nach besten Kräften wegen seines Kummers zu trösten.

»Man hat dir vielen Verdruß bereitet, mein armer Landry,« sagte er zum Schluß; »aber du mußt dich darüber hinwegsetzen in dem Gedanken an das gute Benehmen der kleinen Fadette. Sie thut recht daran, fortzugehen, damit's ein Ende nimmt mit den Verdrießlichkeiten in deiner Familie; ich habe ihr das auch selbst gesagt, als ich ihr eben auf dem Wege begegnete und Abschied von ihr genommen habe.«

»Was sagst du mir da!« rief Landry außer sich; »sie geht? Sie ist schon fort?«

»Wußtest du das denn nicht?« fragte der junge Caillaud. »Ich dachte, das wäre eine unter euch verabredete Sache gewesen, und du hättest ihr nur das Geleite nicht gegeben, um nicht wieder neuen Verdruß anzuregen. Aber ganz gewiß, sie geht fort; vor höchstens einer Viertelstunde ist sie rechts von unserem Anwesen vorübergegangen, und sie trug ihr kleines Bündel unter dem Arme. Sie ging nach Chateau-Meillant, und jetzt wird sie nicht weiter sein als Vieille-Ville, oder höchstens bis zur Anhöhe d'Urmont.«

Landry steckte seinen Leitstachel an die Stirnriemen seiner Ochsen, und lief ohne Unterlaß auf dem bezeichneten Wege dahin, bis er die kleine Fadette auf dem Sandpfade erreicht hatte, der zwischen den Weinbergen von Urmont nach Fremelaine hinabführt.

Dort fiel er, vom Kummer und von der großen Hast, mit der er gelaufen war ganz erschöpft, quer über den Weg hin, unfähig auch nur ein Wort herauszubringen. Nur durch Zeichen konnte er der Geliebten begreiflich machen, daß sie erst über seinen Körper hinschreiten müsse, wenn sie ihn verlassen wolle. Als er sich wieder ein wenig erholt hatte, sprach die Fadette zu ihm: »Ich wollte dir diesen Schmerz ersparen, mein lieber Landry, und da thust du nun alles, was du nur kannst, um mir den Mut zu nehmen. Sei doch ein Mann und mache es mir nicht so schwer die Kraft zu bewahren; es gehört mehr dazu, als du meinst, und wenn ich daran denke, daß mein armer, kleiner Jeannot mich jetzt suchen und nach mir jammern wird, dann fühle ich wie mir der Mut vergehen will, und es fehlt nicht viel daran, daß ich mir den Kopf hier an diesen Steinen zerschmettern möchte. Ach! ich bitte dich, lieber Landry, hilf mir doch lieber das zu thun, was ich thun muß, als daß du mich davon abzubringen suchst; wenn ich heute nicht gehe, werde ich niemals fortkommen, und dann sind wir verloren.«

»Ach! Fränzchen, Fränzchen, es kostet dich nicht vielen Mut,« antwortete Landry. »Du bedauerst nur ein Kind, das sich bald trösten wird, weil es eben nur ein Kind ist. Meine Verzweiflung kümmert dich nicht; du weißt nicht, was Liebe ist. Du empfindest sie gewiß nicht für mich; du wirst mich rasch vergessen haben, und dann wirst du vielleicht auch gar nicht wiederkommen.«

»Ich komme wieder, Landry; ich nehme Gott zum Zeugen, daß ich in einem, oder spätestens in zwei Jahren zurückkehren werde, und daß ich dich nie vergessen will, so wenig wie ich je einen anderen Freund oder Geliebten haben werde, als dich.«

»Keinen anderen Freund, Fränzchen, das ist möglich, weil du niemals einen finden wirst, der dir so ergeben wäre, wie ich es bin; aber, ob du keinen anderen Liebhaber haben wirst, das weiß ich nicht. Wer könnte dafür einstehen?«

»Ich, ich bürge dir dafür!«

»Das kannst du selbst nicht wissen, Fadette; du hast noch nie geliebt, und wenn die Liebe bei dir einkehrt, wirst du an deinen armen Landry kaum mehr denken. Ach! wenn du mich so geliebt hättest, wie ich dich liebe, dann könntest du gar nicht so von mir gehen.«

»Meinst du das, Landry?« sagte die kleine Fadette, ihn mit trauriger und sehr ernster Miene betrachtend. Du weißt wohl gar nicht, was du da sagst. Ich glaube, daß die Liebe mich noch mehr als die Freundschaft zu dem treiben würde, was ich jetzt thue.«

»Nun, ja, wenn es Liebe wäre, was dich treibt, dann würde mein Kummer nicht mehr so groß sein. Ach, Fränzchen, wenn es Liebe wäre, dann glaube ich beinah, daß ich trotz meines Mißgeschicks glücklich sein könnte. Ich würde deinem Wort vertrauend, meine Hoffnung auf die Zukunft setzen, wahrlich! ich würde denselben Mut haben wie du. – Aber, du weißt ja nicht, was Liebe ist, du hast es mir oft genug gesagt, und ich habe es auch erkannt an der großen Ruhe, die du mir gegenüber bewahrtest.«

»Du glaubst also, daß es nicht Liebe ist, was mich treibt?« fragte die kleine Fadette; »bist du davon überzeugt?«

Und, während sie nicht aufhörte ihn zu betrachten, füllten sich ihre Augen mit Thränen, die ihr allmählich über die Wangen rannen, und dabei lächelte sie in seltsamer Weise.

»Ach, Gott, mein Gott!« rief Landry, und schloß sie in seine Arme, »wenn ich mich dennoch getäuscht hätte?«

»Ich, ich glaube es wirklich, daß du dich getäuscht hast,« erwiderte die kleine Fadette, noch immer unter Thränen lächelnd. »Ich glaube wirklich, daß die arme Grille schon seit ihrem dreizehnten Jahre ein Auge auf Landry hatte, und daß sie niemals nach einem anderen geschaut hat. Ich glaube auch, wenn sie ihm über die Felder und auf den Wegen folgte, thörichte Reden und Neckereien hinter ihm herrufend, dann wollte sie ihn nur zwingen, daß er sich mit ihr beschäftigen sollte, sie wußte selbst noch nicht, was sie eigentlich that, und was sie so zu ihm hindrängte. Ich glaube auch, als sie an jenem Tage, da sie Landry in so großer Not sah, diesem behilflich war, Sylvinet aufzusuchen, und als sie ihn am Ufer des Flusses fand mit einem kleinen Lamm auf dem Schoße, da hat sie Landry gegenüber ein wenig Zauberei getrieben, damit er gezwungen werden sollte, ihr erkenntlich zu sein. Ich glaube auch wohl, als sie ihn in der Strudelfurt beleidigte, daß dies aus Zorn und Verdruß darüber geschah, weil er sie seither nicht wieder angeredet hatte. Ich glaube auch, als sie mit ihm tanzen wollte, daß dies nur geschah, weil sie in ihn vernarrt war, und weil sie ihm durch ihr zierliches Tanzen zu gefallen hoffte. Ich glaube auch, als sie im Steinbruch von Chaumois weinte, daß dies aus Reue und Schmerz geschah, ihm mißfällig gewesen zu sein. Ebenso glaube ich, als er sie küssen wollte und sie sich weigerte, und als er ihr von Liebe sprach und sie ihm dagegen von Freundschaft redete, da that sie dies in der Furcht, durch zu rasche Erwiderung, seine Liebe wieder zu verlieren. Und schließlich glaube ich, wenn sie jetzt mit zerrissenem Herzen fortgeht, so geschieht dies in der Hoffnung zurückzukehren, und daß sie dann in den Augen der Leute seiner würdig sein wird und seine Frau werden kann, ohne daß dies seine Familie demütigen und zur Verzweiflung bringen könnte.«

Jetzt war es Landry zu Mute, als ob er vor Wonne den Kopf verlieren müßte. Abwechselnd lachte er, schrie laut auf, er weinte und bedeckte seines Fränzchens Hände und ihr Kleid mit tausend Küssen. Er hätte ihr auch die Füße geküßt, wenn sie es nur geduldet hätte; aber sie hob ihn liebevoll auf und gab ihm den echten Kuß der Liebe, und es war ihm, als ob er daran vergehen müsse, denn es war der erste, den er von ihr bekam, und auch noch von keiner anderen hatte er je einen bekommen. Während er vor übergroßer Wonne wie betäubt am Rande des Weges niedertaumelte, raffte sie, ihm verbietend ihr zu folgen und ihm mit einem Schwur beteuernd, daß sie wiederkommen werde, – selbst noch hochgerötet und verwirrt, ihr Bündel von der Erde auf, und eilte davon.

Neunundzwanzigstes Kapitel

Landry fügte sich und kehrte zu der Weinlese zurück. Er war selbst erstaunt, daß er sich nicht mehr so unglücklich fühlte, wie er es sich vorgestellt hatte. Aber das Bewußtsein geliebt zu werden ist ja so süß, und wenn man wirklich eine tiefe Liebe empfindet auch das Vertrauen so groß, daß daraus alles leicht erklärlich wird. Er war selbst sehr erstaunt darüber und es war ihm dabei so wohl zu Mute, daß er es sich nicht versagen konnte mit Cadet Caillaud davon zu reden. Auch dieser war erstaunt darüber und bewunderte die kleine Fadette, die es so gut verstanden hatte, von der Zeit an, daß sie Landry liebte und von ihm wieder geliebt wurde, sich jeder Schwachheit und Unbesonnenheit enthalten zu haben.

»Es freut mich,« sagte der junge Caillaud, »an diesem Mädchen so viele gute Eigenschaften kennen zu lernen; ich für mein Teil habe sie zwar niemals schlecht beurteilt und kann wohl sagen, wenn sie mir Beachtung erwiesen hätte, dann würde sie mir gewiß nicht mißfallen haben. Ihrer schönen Augen wegen ist sie mir oft viel eher schön als häßlich erschienen, und seit einiger Zeit, wo sie mehr Sorgfalt auf sich verwandte, hätte jeder es bemerken müssen, daß sie mit jedem Tage hübscher wurde. Aber sie hatte nur Augen für dich, Landry, und begnügte sich damit den anderen nicht gerade zu mißfallen. Sie trachtete nach keines anderen Wohlgefallen als nach dem deinigen, und du kannst es mir glauben, daß eine Frau von solchem Charakter mir sehr behagen würde. Überdies habe ich sie ja von ihrer frühesten Kindheit an gekannt und bin immer der Meinung gewesen, daß sie ein gutes Herz hat. Wenn man die Leute auf ihr Gewissen hin fragen wollte, was sie von ihr hielten, und was sie denn eigentlich von ihr zu sagen wüßten, so würde jeder genötigt sein ihre Partei zu nehmen. Aber die Leute sind nun einmal so beschaffen, daß wenn zwei oder drei Personen sich daran machen jemanden herunterzusetzen, dann fallen sie gleich alle miteinander darüber her und bringen ihn in einen schlechten Ruf, ohne selbst zu wissen warum, als ob es ein Vergnügen wäre jemanden, der sich nicht verteidigen kann, nur so unter die Füße zu treten.« Es war für Landry eine große Erleichterung den jungen Caillaud in dieser Weise reden zu hören, und von diesem Tage an schloß er eine große Freundschaft mit ihm. Er fand seinen Trost darin, ihm seine Kümmernisse anzuvertrauen, und eines Tages ging er in seiner freundschaftlichen Teilnahme sogar soweit, daß er ihm sagte:

»Mein guter Caillaud, du thätest klug nicht mehr an die Madelon zu denken; sie ist es gar nicht wert, und sie hat uns beiden Verdruß genug angerichtet. Du stehst im gleichen Alter, und es drängt dich nichts dich zu verheiraten. Da ist nun meine kleine Schwester Nanette, die so hübsch ist wie ein Röschen. Sie wird bald sechzehn Jahre alt, ist sanft und freundlich und sehr wohl erzogen. Komm nur manchmal uns zu besuchen; mein Vater hält viel von dir, und wenn du unsere Nanette erst recht kennen gelernt hast, wirst du dich überzeugen, daß du nichts Besseres thun könntest, als mein Schwager zu werden.«

»Wahrhaftig! Da sage ich nicht nein,« erwiderte der junge Caillaud. »Wenn das junge Mädchen nicht anderswo schon zugesagt hat, werde ich jeden Sonntag zu euch kommen.«

Am Abend des Tages, an welchem die kleine Fadette die Gegend verlassen hatte, machte Landry sich auf den Weg zu seinem Vater, um ihm das ehrenhafte Benehmen dieses Mädchens, von welchem er eine so schlechte Meinung gehabt hatte, mitzuteilen. Zugleich wollte er ihm sagen, daß er sich, unter dem Vorbehalt der Zukunft, für die Gegenwart seinem Gebot unterwerfen würde. Als er am Hause der Mutter Fadet vorüberging, wurde ihm das Herz sehr schwer; aber er faßte sich und waffnete sich mit Mut, indem er sich sagte, daß ohne Fränzchens Abreise es noch lange gedauert haben könnte, bis ihm das Glück zuteil geworden wäre, sich von ihr geliebt zu wissen. Er sah nun auch die Mutter Franziska, welche mit Fränzchen verwandt und ihre Patin war. Sie war jetzt gekommen, um an Fränzchens Stelle die alte Großmutter und den Grashüpfer zu verpflegen. Sie saß vor der Thür und hatte den Grashüpfer auf dem Schoße. Der arme Jeanet weinte und wollte durchaus nicht zu Bette gehen, weil seine Fadette noch nicht wieder da sei, und weil er bei ihr seine Gebete hersagen müsse, und daß sie ihn zu Bette bringen solle. Die Mutter Franziska bot alles auf ihn zu trösten, und Landry hörte mit Vergnügen zu, wie sie ihn mit sanften und freundlichen Worten zu beruhigen suchte. Aber sobald der Grashüpfer Landry erblickt hatte, entschlüpfte er den Händen der Fanchette, rannte, auf die Gefahr hin, eins seiner mageren Beinchen dabei einzubüßen, dem Zwilling entgegen, und warf sich ihm zu Füßen. Seine Kniee umklammernd, bestürmte er ihn mit Fragen und beschwor ihn, sein Fränzchen ihm wieder zurückzubringen. Landry schloß den kleinen Krüppel, selbst in Thränen ausbrechend, in seine Arme und tröstete ihn so gut er es vermochte. Er wollte ihm eine von den Trauben mit den schönen großen Beeren geben, welche die Mutter Caillaud ihm in einem Körbchen zurecht gelegt hatte, damit er sie in ihrem Auftrage der Mutter Barbeau mitbringen sollte. Allein Hänschen, der sonst naschhaft genug war, wollte nichts annehmen, wenn Landry ihm dagegen nicht versprechen würde, ihm sein Fränzchen wiederzubringen, was Landry wohl oder übel mit einem Seufzer zu thun versprach, weil Jeanet sich sonst der alten Fanchette nicht wieder gefügt haben würde.

Vater Barbeau hatte von der kleinen Fadette einen so großen Entschluß kaum erwartet. Er war zufrieden damit, aber er war ein zu gerechter und guter Mann, um über ihren Schritt nicht doch ein gewisses Bedauern zu empfinden. – »Es betrübt mich, Landry,« sagte er, »daß du nicht den Mut hattest auf den Umgang mit ihr zu verzichten. Hättest du gehandelt, wie die Pflicht es dir vorschrieb, dann würdest du nicht Schuld an ihrer Entfernung sein. Wolle Gott, daß dieses Kind in seiner neuen Stellung nicht zu leiden hat, und daß seine Abwesenheit seiner Großmutter und seinem kleinen Bruder nicht zum Nachteil gereichen wird. Wenn auch viele Leute böses von ihr reden, so giebt es dagegen auch einige, die sie verteidigen und die mir versichert haben, daß sie ein sehr gutes Herz habe und für ihre Familie eigentlich unentbehrlich sei. Wenn es eine Lüge ist, daß sie, wie man mir sagte, guter Hoffnung sei, dann werden wir es schon erfahren und wir wollen sie verteidigen, wie es sich gehört. Sollte es aber unglücklicherweise doch wahr sein, und du, Landry, es verschuldet haben, dann wollen wir ihr beistehen, und sie nicht ins Elend geraten lassen. Daß du sie nicht heiratest, das ist alles, was ich von dir verlange, Landry.«

»Mein Vater,« sagte dieser, »wir haben über diese Angelegenheit sehr verschiedene Urteile. Wenn ich, wie Sie glauben, schuldig wäre, dann würde ich mir im Gegenteil von Ihnen die Erlaubnis erbitten, sie heiraten zu dürfen. Aber, da die kleine Fadette noch so unschuldig ist, wie meine Schwester Nanette, habe ich mir jetzt noch nichts von Ihnen zu erbitten, als daß Sie mir den Kummer verzeihen mögen, den ich Ihnen verursachte. Später werden wir dann von ihr reden, wie Sie es mir versprochen haben.«

Unter dieser Bedingung mußte der Vater Barbeau sich für jetzt zufrieden geben. Er war zu klug, um die Dinge zu überstürzen und wußte sich mit dem zu begnügen, was er erlangt hatte.

Seit dieser Zeit war im Zwillingshofe von der kleinen Fadette nicht mehr die Rede. Man vermied es sogar ihren Namen zu nennen, denn Landry wurde blaß und rot zugleich, sobald es geschah, daß in seiner Gegenwart irgend einem der Anwesenden ihr Name entschlüpfte, und es war leicht zu bemerken, daß er sie so wenig vergessen hatte, wie am ersten Tage nach ihrer Abreise.