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Buch lesen: «Der Müller von Angibault», Seite 26

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Die Morgendämmerung begann gerade den Horizont zu erhellen, als der Müller und Lemor aus der armseligen Hütte des Bettlers traten. Lemor trug den eisernen Topf und der große Louis führte seine gute Sophie am Zügel, welche ihn beim Ankommen mit äußerst freundschaftlichem Gewieher begrüßt hatte.

»Ich hab’ ‘mal den Don Quixote gelesen«, äußerte der Müller, »und denke mich jetzt in Sanchos Lage, als er seinen Esel wiederfand. Meiner Treu, es fehlt wenig, so machte ich’s wie er, und umarmte mein Tier und plauderte ihm etwas vor.«

»He, großer Louis«, sagte Lemor, »im Falle Sie dieser Versuchung noch einige Augenblicke widerstehen können, würden Sie mir vielleicht den Gefallen tun, nachzusehen, ob in diesem Topfe Goldstücke oder Kieselsteine sich befinden.«

»Ich habe den Deckel bereits gelupft. Es glänzt drinnen, aber ich halte für gut, dass wir uns noch, bevor es Tag wird, davonmachen, damit die Bewohner dieser Wildnis, wenn es nämlich solche gibt, unsere Bewegungen nicht beobachten und uns für Diebe halten. Ich zittere vor Aufregung und Vergnügen, wie ein Mensch, der andern nützlich sein will, bin aber dabei auch so besonnen wie einer, der nicht für sich selber eine Erbschaft antritt. Machen wir vorwärts, Herr Heinrich! Wo haben Sie meinen Karst hingetan? Ich muss da drinnen den Boden noch etwas fester treten… So, nun ist das Loch gut vermacht, man sieht keine Spur mehr davon. Vorwärts! Wir können dann in irgendeinem Gehölz ausruhen, wenn unsere Tiere zu müde werden sollten.«

Das Pferd des Notars, welches drei tödlich lange Meilen bald in scharfem Trab, bald im Galopp auf steinigten und unebenen Wegen zurückgelegt hatte, war auf dem Rückweg wirklich so erschöpft, dass unsere Freunde sich genötigt sahen, das Tier verschnauben zu lassen, sobald sie auf der Höhe von Lys-Saint-George angelangt waren. Sophie, welche sie hinten an dem Cabriolet angebunden hatten, und welche durchaus nicht an so scharfes Laufen gewöhnt war, schwitzte ebenfalls über und über. Dieser Anblick bewegte das Herz des guten Müllers gar sehr.

»Man muss sich gegen die Tiere menschlich erweisen«, sagte er, »und vor allem will ich nicht, dass unser guter Notar zum Dank für sein redliches und kluges Benehmen in dieser Sache in die Gefahr kam, sein treffliches Pferd zu verlieren. Was Sophie angeht, so ist sie mir nun schon gar nicht um so einen eisernen Topf feil. Sehen Sie, da ist eine hübsche Weide und ringsum lässt sich weder Tier noch Mensch blicken. Ruhen wir ein Weilchen hier aus. Ich bin sicher, dass sich in dem Sitzkasten des Cabriolets ein Sack mit Hafer befindet, denn Herr Tailland denkt an alles und ist keineswegs der Mann, ohne Fourage aufs Land zu fahren. Wir wollen hier ein Viertelstündchen verschnauben und werden uns dann samt und sonders zur Weiterreise gestärkter fühlen. Zum Unglück vergaß ich, als ich dem Schwein meines Vetters… erbe es, wer es wolle… den Schlüssel zu dem Gehöft meines Erblassers einhändigte, einige seiner Brotkrusten mitzunehmen, denn mein Magen ist so leer, dass ich mit Sophie ihren Hafer teilen möchte, wenn ich sie nicht zu verkürzen fürchtete. Meiner Treu, es scheint mir, als träte ich meine Rolle als Erbe eines Geizhalses unter sehr günstigen Vorzeichen an, denn ich sterbe fast vor Hunger an der Seite meines Schatzes.«

In dieser Art nach seiner Gewohnheit plaudernd, zäumte er die Pferde aus und gab ihnen ihr Frühstück, demjenigen des Notars in dem Hafersack, Sophien in seiner langen, blauwollenen Zipfelmütze, welche er ihr geschickt um die Nase band.

»Es ist wunderlich, wie leicht und frisch es mir ums Herz ist«, fuhr er fort, sich hinter einem Busche auf die Erde lagernd und den Deckel von dem eisernen Topfe wegnehmend. »Wissen Sie auch, Herr Lemor, dass da drinnen mein Glück steckt, im Falle nicht etwa bloß die Oberfläche des Topfes mit goldenen Louis bedeckt und der übrige Raum nur mit Sousstücken angefüllt ist? Mir ist bange, der Topf ist zu schwer, um bloß Gold zu enthalten. Helfen Sie mir doch einmal alles zählen.«

Dies war bald getan. Die Goldstücke von altem Gepräge waren in Summen von je tausend Francs in Fetzen von schmutzigem Papier gerollt. Als Lemor und der Müller diese Rollen öffneten, nahmen sie sogleich die Zeichen wahr, welche der Bettler angegeben hatte. Das Gold des alten Bricolin unterschied sich durch ein Kreuz auf jedem Stück, das Depositum des Herrn von Blanchemont aber durch einen einfachen Strich. Auf dem Grunde des Topfes lagen etwa dreitausend Francs in Silber, in Münzen von jeder Art, dabei auch eine Handvoll Sousstücke, offenbar das Letzte, was der Bettler zurückgelegt hatte.

»Der Überschuss da«, bemerkte der große Louis, indem er das Silbergeld wieder unten in den Topf legte, »ist das Vermögen meines Vetters, das Erbteil Ihres gehorsamen Dieners, der Pfennig der Witwe, welchen zu nehmen dieser alte Possenreißer sich nicht scheute, der aber den Witwen und Waisen gewiss zurückerstattet werden soll, dafür garantiere ich. Wer weiß, ob es nicht auch das Resultat eines Diebstahls ist? Wenn ich daran denke, wie mein Vetter, Gott gebe seiner Seele Frieden!.... mir Sophie abgeführt hat, so habe ich eben kein gar großes Vertrauen zu der Unbeflecktheit seiner Vermächtnisse. Wart’ ‘mal, es soll mir eine rechte Lust sein, das Geld zu Almosen zu verwenden, mir, dem dieses Vergnügen so selten zuteilwird! Ich will mir einen fürstlichen Spaß machen. Wissen Sie wohl, dass man hier zu Lande mit dreitausend Francs drei Familien zu einer Existenz verhelfen kann?«

»Aber Sie denken ja gar nicht an den Rest des Depositums, großer Louis. Überlegen Sie es doch einmal, dass Sie vermittelst dieser großen Summe, deren Frau von Blanchemont gewiss nicht gänzlich für sich selbst benötigt ist, dieselbe ebenfalls in den Stand setzen, den Armen Gutes zu tun.«

»O, sie wird das schon recht gut zu machen wissen, sie! Nebenbei gesagt, schmeichelt mir doch etwas in dieser Sache, der Umstand nämlich, dass Herr Bricolin diesen Schatz aus meiner Hand empfangen wird. Er wird da freilich keinem guten Christen gehören, allein es spricht doch zugunsten meiner Angelegenheit, welche gestern Abend noch ziemlich verzweifelt stand.«

»Das heißt, guter Louis, Sie meinen jetzt auf Roses Hand Anspruch machen zu können?«

»O, glauben Sie ja das nicht! Im Falle die fünfzigtausend Francs mir gehörten, ja, dann könnt’ ich freilich anders auftreten. Aber Herr Bricolin ist ein weit besserer Rechner denn ich. Er wird sagen: ›Hier sind fünfzigtausend Francs, welche mir gehören und die ich zwar dem großen Louis verdanke, allein er hat dabei bloß seine Schuldigkeit getan. Was mein ist, ist nicht sein. Folglich bin ich um fünfzigtausend Francs reicher und er bleibt, was er war.‹«

»Und er sollte nicht bewegt und gerührt werden durch eine Ehrlichkeit, deren er ohne Zweifel gar nicht fähig wäre?«

»Bewegt freilich, aber gerührt keineswegs. Er wird indessen zu sich sagen: Der Bursche kann mir nützlich sein. Ehrliche Leute sind den Unehrlichen von Nöten.... Er wird mir mein Vergehen verzeihen, wird mir seine Kundschaft lassen, worauf ich ein großes Gewicht lege, denn es wird mir dadurch möglich, Rose oft zu sehen und zu sprechen. Sie sehen also, dass ich, ohne mir irgendetwas vorzumachen, guten Grund habe, zufrieden zu sein. Als ich gestern Abend mit Rose tanzte, als es den Anschein hatte, sie liebe mich, wie fühlt’ ich mich da so stolz, so glücklich! Nun wohl, ich finde jetzt mein Glück vom gestrigen Abend wieder, ohne mich um des kommenden Tages willen beunruhigen zu müssen. Das ist schon viel. Wackerer Vetter Cadoche, du warst überzeugt, es müsse für mich ein süßer Trost in diesem Topf stecken, du glaubtest nur, mich mit Reichtum zu überhäufen, aber du machst mich weit glücklicher!«

»Aber, lieber Louis, da Sie Marcelle die nämliche Summe, welche sie zu Ihren Gunsten hat zum Opfer bringen wollen, darbringen, so dürfen Sie jetzt umso ruhiger den Bedingungen beistimmen, welche sie Herrn Bricolin angeboten hat.«

»Ich? Niemals! Lassen wir das gut sein. Es tut mir weh. Ich werde nicht mehr von dem Pachthof verbannt sein und das genügt mir. Sehen Sie, wie schön dieser Schatz ist, wie er schimmert, als ob er alle Sorgen tilgen, alle Unruhe beschwichtigen könnte. ‘S ist bei alldem was Schönes ums Geld, Herr Lemor. Sehen Sie ‘mal, hier der Inhalt dieser hohlen Hand kann fünf oder sechs armen Kindern zu leben geben!«

»Mein Freund, ich sehe nur, was wirklich an diesem Golde klebt: die Tränen, die Klagen, die Qualen des alten Bricolin, den Geiz des Bettlers, sein schmachvolles, tierisches Leben … und das alles in dem erschütternden Anblick seines Raubes vereinigt!«

»Hm, Sie haben Recht«, versetzte der Müller, mit einer Art von Schrecken die Handvoll Gold in den Topf zurückwerfend. »Was für Verbrechen, Schändlichkeiten, Sorgen, Lügen, Ängste und Schmerzen liegen nicht da drinnen! Sie haben Recht, es ist etwas Abscheuliches um das Geld27! Wir selbst, die wir es hier insgeheim ansehen und zählen, gleichen wir nicht zwei mit Pistolen bewaffneten Räubern, welche besorgen, von andern Räubern überfallen oder von Gendarmen beim Kragen gefasst zu werden? Weg, verbirg’ dich, verfluchtes Gold!« setzte er hinzu, den Deckel wieder auf dem Topf befestigend.

»Und jetzt, Freund, wollen wir weiter! Hurra, lustig, es gehört nicht uns!«

Fünfter Tag

35. Kapitel.
Der Bruch

Als unsere beiden Freunde dem Tal der Vauvre näher kamen, bemerkten sie in der Richtung von Blanchemont eine ungeheure Rauchwolke, welcher die aufgehende Sonne einen weißlichen Schein gab.

»Sehen Sie doch«, sagte der Müller, »was diesen Morgen die Vauvre für einen Dunst aushaucht, besonders dort, wohin wir beide so gerne blicken! Das beunruhigt mich fast, ich kann die spitzen Giebeldächer meines lieben alten Schlosses nicht gewahr werden, welches mir auf allen Wegen und Stegen zur Zielscheibe meiner Gedanken dient.«

Zehn Minuten nachher, als die feuchten Morgendünste durch ihre Schwere den Brandrauch talwärts drückten, hielt der große Louis plötzlich das Pferd des Notars an und sagte:

»Das ist seltsam, Herr Lemor; ich weiß nicht, sind diesen Morgen meine Augen geblendet oder nicht, aber ich mag so scharf hingucken als ich will, ich sehe dennoch nirgends das rote Dach des neuen Schlosses am Fuß der Türme des alten. Ich weiß doch ganz bestimmt, man muss es von hier aus erblicken; habe ich doch mehr denn hundertmal an dieser Stelle angehalten und vermag ich doch sogar die einzelnen Bäume zu unterscheiden. Aber schauen Sie doch! Das alte Schloss hat sich ja ganz verändert, die Türme sind wie abgeplattet. Wo zum Teufel ist denn das Dach? Der Donner erschlage mich, es ist weg! Halt, halt! Was ist denn das für eine Röte auf der Seite des Pachthofes? Das ist Feuer! Feuer! und alle die schwarzen Dinger dort? Sagte ich Ihnen nicht, Herr Lemor, als wir im Jeu-les-Wald angekommen waren, dass der Himmel ganz gerötet sei und dass irgendwo eine Feuersbrunst ausgebrochen sein müsse. Sie meinten, das sei der Widerschein von angezündetem Heidekraut, aber ich wusste wohl, dass nach der Seite hin keines angezündet wird. Schauen Sie doch! Ich träume wahrhaftig nicht!… Das Schloss, der Pachthof, alles steht in Flammen! Aber Rose, Rose? O mein Gott!… Und die gnädige Frau Marcelle! Und mein kleiner Eduard! Und die alte Bricolin!… O Gott, o Gott!«

Und so sprechend peitschte der Müller wütend auf das Pferd los und fuhr im Galopp auf Blanchemont zu, ohne sich weiter darum zu kümmern, ob Sophie nachkommen könne oder nicht.

In dem Grade ihres Näherkommens traten auch die Anzeichen des Unheils deutlicher und bestimmter hervor. Bald hörten sie auch von Vorübergehenden Berichte darüber, und obwohl man sie versicherte, es sei niemand in dem Brande umgekommen, beflügelten sie dennoch, bleich und angstvoll, den Schritt des Pferdes, welches ihnen noch immer zu langsam ging.

Als sie am Fuß der Gemeindewiese angekommen waren, hielten sie, da das arme Tier, fast atemlos und über und über mit Schaum bedeckt, den Weg bergan doch nur im Schritt hätte zurücklegen können, vor der Hütte Piaulettes an und sprangen aus dem Cabriolet, um schneller vorwärts zu kommen. In diesem Augenblick trat Marcelle aus der Hütte. Sie war blass, aber gefasst, ihr Anzug zeigte nirgends eine Spur von Brandschaden, denn da sie die ganze Nacht mit der Sorge um Menschen beschäftigt gewesen, so hatte sie sich nicht unnützerweise angestrengt, um das Feuer löschen zu helfen. Als Lemor sie erblickte, brachte ihn die Freude fast außer sich. Er ergriff ihre Hand, ohne ein Wort hervorbringen zu können.

»Mein Sohn ist hier und Rose im Pfarrhaus«, sagte Marcelle. »Es ist ihr durchaus kein Unfall begegnet, sie ist beinahe gar nicht angegriffen, sondern vielmehr glücklich, ungeachtet der Bestürzung ihrer Eltern. Es ist ja nur Geld, was zugrunde gegangen, und das ist nichts, verglichen mit dem Glück, welches sie erwartet....«

»Welches denn?« fragte der Müller; »ich verstehe nichts davon....«

»Gehen Sie nur zu ihr, mein Freund; Sie dürfen es ungescheut tun, und lassen Sie sich von ihr selbst mitteilen, was ich Ihnen nicht zuerst sagen möchte.«

Der große Louis stutzte, machte sich aber dessen ungeachtet alsbald auf die Beine. Lemor trat mit Marcelle in die Hütte und während Piaulette und ihr Mann sich mit den Pferden beschäftigte, ging er auf das Bett zu, wo Eduard schlief. Der Letzte der Blanchemont lag ruhig auf einem Schragen in der Hütte des ärmsten seiner Bauern. Er selbst besaß nicht einmal mehr eine Lagerstelle, und die Gastfreundschaft der Armut war alles, was er noch anzusprechen hatte.

»Er befand sich also nicht in Gefahr?« fragte Heinrich, die Hände des Knaben küssend, welche von einer sanften Wärme befeuchtet waren.

»Der kleine Mann ist von einer guten Art«, versetzte Marcelle nicht ohne einen gewissen Stolz. »Es wurde ihm nicht übel und er erwachte in einem erstickenden Qualm, ohne Furcht blicken zu lassen. Er verbrachte mit mir die Nacht, indem er trotz seiner Schwäche und seiner Unkenntnisse eines solchen Unglücks alle seine Trost- und Schmeichelworte hervorsuchte, um mich und andere zu beruhigen. Und ich fürchtete infolge der Erkältung und des Schreckens für seine Gesundheit! Diese frische Natur verrät eine heroische Seele. Lemor, das ist ein gesegnetes Kind! Gott hat es bei seiner Geburt zu einem edeln Armen bestimmt!«

Das Kind erwachte an den Liebkosungen Lemors, und da es ihn auf der Stelle mehr noch an seiner Zärtlichkeit, als an seinen Zügen erkannte, sagte es:

»Ach, Heinrich, warum wolltest du denn nicht mit mir sprechen, als du den Antoine machtest?«

Marcelle fing eben an, ihrem Geliebten umständlich und mit Gefasstheit zu erzählen, wie unheilvoll die Feuersbrunst dem Rest ihres Vermögens geworden sei, als Herr Bricolin mit verstörtem Gesicht, zerrissenen Kleidern und über und über verbrannten Händen in die Hütte trat.

Sobald sich der Pächter von dem ersten Schrecken erholt hatte, hatte er mit einer Energie und einer Kühnheit, zu welcher ihn die Verzweiflung spornte, sich bemüht, wenigstens sein Vieh und seine Erntevorräte zu retten. Hundertmal hätte er das Opfer seiner Verwegenheit werden können und dann erst gab er seine vergeblichen Hoffnungen auf, als er sich mitten in einem Aschenhaufen sah. Nun bemächtigten sich Mutlosigkeit, Verzweiflung und eine Art von Wut seines Kopfes; er war wie toll geworden und jetzt stürmte er wie ein Besessener mit verworrenen Gedanken und stotternder Stimme auf Marcelle los.

»Ah«, sagte er, »da sind Sie endlich, gnädige Frau! Ich habe Sie im ganzen Dorfe gesucht, wusste gar nicht, was aus Ihnen geworden sei. Hören Sie, hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe, ist von großer Wichtigkeit! Ei, sind Sie denn so ruhig bei der Sache? … Das ganze Unglück fällt auf Sie zurück, aller Schaden ist der Ihrige!…«

»Das weiß ich, Herr Bricolin«, entgegnete Marcelle etwas ungeduldig. Die Gegenwart dieses habsüchtigen Menschen gereichte ihr in diesem Augenblick nicht eben zum Troste.

»Sie wissen es?« fuhr Bricolin mit einer Art von Zorn fort, »ei, und ich, ich weiß es auch. Es ist Ihre Sache, den Pachthof wieder aufzubauen und den Viehstand wiederherzustellen!«

»Und womit, wenn es Ihnen gefällig ist, Herr Bricolin?«

»Mit Ihrem Gelde! Haben Sie denn kein Geld? Habe ich Ihnen nicht genug gegeben?«

»Ich habe nichts mehr davon, Herr Bricolin. Das Taschenbuch ist verbrannt!«

»Sie haben mein Taschenbuch verbrennen lassen? Das Taschenbuch, das ich Ihnen anvertraute?« schrie Bricolin außer sich und schlug sich mit den Fäusten vor die Stirne. »Wie konnten Sie so verrückt, so dumm sein, das Taschenbuch nicht zu retten, da Sie doch hinlänglich Zeit fanden, Ihr Kind zu retten?«

»Ich habe auch Rose gerettet, Herr Bricolin. Ich habe sie auf meinen Armen aus dem Feuer getragen. Unterdessen ist das Taschenbuch verbrannt. Ich bedaure es nicht.«

»Das ist nicht wahr. Sie haben es gewiss?«

»Ich schwöre Ihnen vor Gott: ich habe es nicht! Der Schrank, worin es sich befand, und alles Mobiliar des Zimmers waren bereits in Flammen geraten, während man die Bewohner des Hauses rettete. Sie wissen es ja, ich sagte es Ihnen, als Sie mich darüber fragten. Entweder haben Sie mich nicht verstanden oder Sie erinnern sich nicht mehr daran.«

»Ach ja, ich erinnere mich«, sagte der Pächter verdutzt, »allein ich glaubte, Sie wollten mich täuschen.«

»Und warum sollte ich Sie täuschen? Gehörte das Geld nicht mir?«

»Ihnen? Sie leugnen demnach nicht, dass ich Ihnen gestern Abend Ihr Gut abkaufte, dass ich es Ihnen bezahlte, dass es mein Eigentum ist?«

»Wie können Sie sich einfallen lassen, ich wäre fähig, das zu leugnen?«

»Ach, verzeihen Sie mir, gnädige Frau! Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht!« antwortete der Pächter niedergeschlagen und beruhigter.

»Das sehe ich!« sagte Marcelle mit verächtlicher Betonung, die er aber nicht beachtete.

»Das ist aber einerlei«, begann er wieder, nachdem er sich etwas gesammelt hatte, »die Wiederherstellung der Gebäude und des Viehstandes fallen Ihnen zur Last.«

»Von zwei Sachen kann bloß die eine gültig sein«, entgegnete Marcelle achselzuckend. »Entweder haben Sie das Gut nicht gekauft und dann ist es meine Sache, ob ich den Schaden wiederherstellen lasse oder nicht, oder aber ich habe das Gut an Sie verkauft und dann geht es mich nichts mehr an. Jetzt wählen Sie!«

»Das ist wahr«, sagte Bricolin, in eine abermalige Stumpfheit verfallend. Hierauf meinte er hastig: »O, ich habe es Ihnen gut abgekauft und bar bezahlt, Sie können es nicht leugnen! Ich habe den Vertrag, welcher auch die Empfangsbescheinigung enthält, ich habe ihn nicht verbrennen lassen, ich! Nein, nein! Meine Frau hat ihn in der Tasche.«

»Dann können Sie ruhig sein, wie ich es bin, denn ich trage das Duplikat des Vertrags ebenfalls bei mir.«

»Aber Sie müssen den Schaden leiden!« schrie Bricolin mit kaum bemeisterter Wut. »Ich habe kein Gut ohne Gebäulichkeiten und Viehstand von Ihnen gekauft. Es handelt sich da um einen Schaden von wenigstens fünfzigtausend Francs!«

»Das weiß ich nicht, wohl aber weiß ich, dass sich das Unglück nach abgeschlossenem Verkauf ereignet hat.«

»Sie sind es, welche das Feuer angelegt hat!«

»Das ist wahrscheinlich«, entgegnete Marcelle verachtungsvoll, »und ich habe den Erlös meines Gutes in das Feuer geworfen, um mir einen Spaß zu machen.«

»Verzeihung! Verzeihung! Ich bin krank! In einer Nacht so viel Geld einzubüßen! Doch einerlei.... Sie sind mir eine Entschädigung für mein Unglück schuldig. Ich habe mit Ihrer Familie immer Unglück gehabt. Mein Vater wurde um einer ihm von Ihrem Großvater anvertrauten Geldsumme willen von den Mordbrennern gemartert und verlor noch dazu fünfzigtausend Francs eigenen Geldes.«

»Die Folgen dieses Unglücks sind nicht mehr gutzumachen, weil Ihr Vater dabei seine körperliche und geistige Gesundheit eingebüßt hat. Meine Familie ist jedoch ganz unschuldig an dem Frevel der Räuber und was Ihren Geldverlust betrifft, so wurde derselbe durch meinen Großvater reichlich ersetzt.«

»Das ist wahr, er war ein würdiger Herr. Sie sollten darum auch sein Beispiel nachahmen und mich für meinen Verlust entschädigen.«

»Ihnen liegt das Geld so sehr am Herzen, Herr Bricolin, und mir so wenig, dass ich Sie zufriedenstellen würde, wenn ich es vermöchte. Allein Sie scheinen zu vergessen, dass ich alles verloren habe, die elende Summe von zweitausend Francs, welche mir der Verkauf meines Wagens einbrachte, meine Kleider und meine Wäsche nicht ausgenommen. Mein Sohn kann nicht einmal sagen, dass er in diesem Augenblicke, auch nur die Kleider besitze, welche ihn bedecken, denn ich trug ihn nackt aus Ihrem Hause, und wenn sich die Bewohnerin dieses Hauses nicht mit aufopfernder Herzensgüte seiner angenommen und ihm einige ärmliche Kleidungsstücke ihrer eigenen Kinder umgeworfen hätte, so hätte ich mich genötigt gesehen, Sie zu seinen Gunsten um das Almosen einer Bluse und eines Paar Socken anzugehen.... Lassen Sie mich daher in Frieden, ich bitte. Ich fühle mich stark genug, mein Unglück zu ertragen; aber Ihre Habsucht empört und ermüdet mich.«

»Es ist genug, mein Herr!« sagte jetzt Lemor, unfähig, sich länger zu halten. »Gehen Sie und lassen Sie die gnädige Frau in Frieden!«

Bricolin hörte diese Aufforderung nicht. Er war auf einen Stuhl gesunken und nur mit dem Gedanken an die entschiedene Mittellosigkeit Marcelles beschäftigt, infolge deren er nicht hoffen konnte, eine Schadloshaltung von ihr zu erpressen.

»Also«, schrie er verzweifelnd und mit den Fäusten auf den Tisch schlagend, »ich meinte in dieser Nacht einen guten Handel gemacht zu haben: ich kaufte Blanchemont für zweimalhundert und fünfzigtausend Francs und diesen Morgen habe ich nun einen Verlust von fünfzigtausend Francs an Gebäuden und Vieh. Jetzt kommt mich also«, setzte er, in Schluchzen ausbrechend, hinzu, »das Gut auf dreimalhunderttausend Francs zu stehen, wie Sie anfangs wollten.«

»Ich glaube nicht, dass ich daran schuld sei, noch, dass es mir Vorteil brächte«, erwiderte Marcelle kalt.

Ihr Unwille legte sich in dem Grade, als sie den Lemors sich steigern sah, und sie bemühte sich, den Zorn ihres Geliebten zu beschwichtigen.

»Das ist also ihr ganzes Unglück?« fragte Piaulette, welche sich über das Mitangehörte höchlich verwunderte, naiv den Pächter. »Ei, da würd’ ich mich bald getröstet haben! Diese arme Dame hat alles verloren, Sie aber sind noch reich, noch so reich, wie gestern Abend, und Sie verlangen noch etwas von ihr? Das ist doch recht g’spaßig! Wenn Sie Blanchemont, Ihren Verlust eingerechnet, nicht höher denn dreimalhunderttausend Francs zu stehen kommt, so ist das noch immer ein profitabler Handel. Ich kenne Leute, die mehr darum gegeben hätten.«

»Was schwatzt Ihr da, Ihr?« schnauzte sie Bricolin an. »Haltet das Maul, Ihr Waschweib und Klatschbase!«

»Großen Dank!« machte Piaulette und, sich mit Treuherzigkeit zu Marcelle wendend, sagte sie: »Einerlei, gnädige Frau, da Sie alles verloren haben, bleiben Sie bei mir so lange es Ihnen gefällt, um mein schwarzes Brot mit mir zu teilen. Ich werde es Ihnen gerne geben und keinen Schadenersatz verlangen.«

»Hören Sie, mein Herr«, sagte Lemor, »und erröten Sie!«

»Ei, wer sind denn Sie ins Teufelsnamen?« entgegnete Bricolin wütend. »Niemand kennt Sie und Sie sehen einem Müller gerade so ähnlich, wie ich einem Bischof. Aber Sie werden nicht weit springen, Bursche! Ich werde Sie bei den Gendarmen anzeigen, damit man Ihnen Ihre Papiere abverlange, und haben Sie keine, so nehmen Sie sich wohl in Acht! Das Feuer wurde aus Bosheit bei mir angestiftet, so viel ist klar. Jedermann sieht das ein und der königliche Prokurator ist schon da, um ein Verhör einzuleiten. Sie sind der Kamerad eines Menschen, der eine Pique auf mich hat… das reicht hin… ja, reicht hin.«

»Ah, das ist zu viel!« sagte Lemor unwillig. »Sie sind der elendeste Kerl, der mir jemals vorgekommen, und wenn Sie sich nicht sogleich fortpacken, werfe ich Sie zur Türe hinaus.«

»Halten Sie ein, Lemor«, bat Marcelle, ihren Geliebten am Arme ergreifend. »Bemitleiden Sie diesen Menschen, der den Verstand eingebüßt hat. Seien Sie nachsichtig gegen das Unglück, wenn es auch im Gewande der Gemeinheit auftritt, Folgen Sie meinem Beispiel, Lemor! Meine Geduld überragt mein Unglück.«

Bricolin hörte weder Lemors Drohung noch Marcelles Ermahnung. Das Gesicht zwischen den Händen bergend, seufzte und stöhnte er, wie eine Mutter, die ihr Kind verloren hat. Dann rief er wieder in jämmerlichem Tone:

»Und ich, der ich nie in eine Feuerassekuranz wollte, weil es mich zu viel kostete!.... Und meine Ochsen, meine armen Ochsen, meine schönen, fetten Ochsen!.... Und ein Rudel Schöpse, zweitausend Francs wert… wollte sie auf dem Sankt Christophsmarkt nicht verkaufen!«

Marcelle musste unwillkürlich lächeln, und ihre Ruhe bändigte den Zorn Lemors.

»Einerlei!« schrie jetzt plötzlich der Pächter und sprang auf. »Ihr Müller wird meine Tochter nicht kriegen!«

»Dann werden Sie auch mein Gut nicht bekommen: der Vertrag ist klar und in gehöriger Form abgefasst.«

»Ich werde einen Prozess anfangen.«

»Meinetwegen.«

»O, sie sind nicht imstande, einen Prozess durch zuführen, Sie! Dazu muss man Geld haben und Sie haben keines. Und dann müssten Sie mir auch den Kaufschilling wieder zurückerstatten und wie wollten Sie das anfangen? Zudem ist Ihre saubere Bedingung null und nichtig, und was den Müller angeht, so werde ich ihn vor allen Dingen festnehmen und ins Gefängnis gehen lassen: denn ich weiß es gewiss, er ist der Brandstifter, aus Rache, dass ich ihn gestern davongejagt. Das ganze Dorf wird mir bezeugen, was für Drohungen er gegen mich ausgestoßen hat …. und der Herr da? … schon recht, schon recht! … Her zu mir, Gendarmen, her zu mir!«

Und in einem Anfall wahrer Raserei stürzte er aus der Hütte.

27.Ich kann nicht unterlassen, hier als Note die Worte herzusetzen, welche der edelherzigste Dichter Englands. Percy Bisshe Shelley, dieses »Herz, vom süßen Duft des Himmels trunken«, als unvergängliches Malzeichen auf das Geld gelegt hat. Sie lauten: Der Handel hat die Marke seiner Selbstsucht. Das Siegel seiner allbejochenden Macht auf ein glänzend Erz gedrückt und hat es Geld genannt. Vor seinem Bilde beugt sich die gemeine Größe, wie der eitle Reichtum und der verarmte Stolz, der Pöbel der Bauern, Edeln, Priester und der Könige. Verblendet ehren alle sie die Macht, die sie hinabtritt in den Staub des Elends, und in dem Tempel ihres feilen Herzens thront Gold als ein lebendiger Gott und herrscht mit Hohn ob allem. Verkauft wird alles! Ja selbst des Himmels Licht ist feil; die Gaben, die überreich der Erde Liebe spendet. Die kleinsten und verächtlichsten Geschöpfe, die in der Tiefe hausen: alles, was das Leben fristet, ja das Leben selbst; das winzige Scherflein Freiheit, das dem Menschen noch die Gesetze spenden, die Gemeinschaft mit Menschen, jene Pflichten, die sein Herz, aus Menschenliebe zu verrichten schon ihn treiben sollte, wird zur Ware hier auf einem Markt, wo unverschleierte Selbstsucht auf jedes zeichnet seinen Preis, den Stempel seiner Herrschaft. Selbst die Liebe ist käuflich, sie, der Trost für alles Weh, zerreißt mit Todesjaulen nun das Herz; in der zurückschaudernden Umarmung selbstsüchtiger Schönheit ruht mit fröstelndem Erzittern greises Alter, und der Jugend verderbte Triebe schaffen aus dem Gift des Handels ein entsetzlich Leben, während die Pest, die aus freudloser Sinnenlust entsprosst, das ganze Menschenleben füllt mit, gleich der Hydra, tausendköpfigem Elend … Des Menschen Eintracht und Glückseligkeit fällt als des Völkerreichtums Opfer; das, was ihn erhebt bis zu dem stolzen Himmel, vertauscht er gegen seiner Seele Gift. Und das Gewicht, das zu der Erde nieder das hohe Streben seines Hoffens zieht, lässt ihm nur Sehnsucht nach erborgtem Gold, von allen Leidenschaften sklavische Furcht nur. Vernichtet alles edelmüt’ge Streben nach hohen Taten; selbst den Funken, den die Phantasie im Herzen zündet, dass sein Puls in raschem Laufe sich bewege, zerstört es – hinterlässt nur nied’re Selbstsucht. Die Knauserhoffnung auf Gewinn und Gold, selbst bar des Scheins des Guten und des Schleiers der Heuchelei!« A. d. Ü.