Leiche 21

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Und Du trägst wohl des Kaisers neue Badehose, hhm? Ist ja so gar nichts zu sehen.”

Jan schaut prüfend auf Christians Lenden, die Mädchen sehen sich an und brechen erneut in Gelächter aus. Auf Christians ungehaltenen Blick suchen sie schnell das Weite und verschwinden im Haus.

„Was war denn los?” Jan sieht Christian forschend an. „Erzähl.”

Christian will nicht. “Laß’, nicht so wichtig.“

„Stell’ Dich nicht so an, Alter. Und überhaupt, seit wann sonnst Du Dich auch hier ohne?”

„Wieso ohne? Alles am Mann!” Die Freunde lachen, begrüßen sich mit an den rechten Hals gelegten Händen und gehen vom Gartentor weg.

Damit ist die auch optisch angenehme Unterhaltung für Christiana beendet und sie wendet sich wieder ihrer Gartenarbeit zu. Hätte Christian nur mal ihren Seufzer gehört …

Am Liegestuhl reicht Christian seinem Freund das große Handtuch. Jan trocknet sich ab. Er hat bemerkt, daß Christian dicke weiße Creme auf dem Bauch verschmiert hat und beginnt, sie mit der rechten Hand zu verreiben.

„Oh!” Christian sieht an sich herab.

„Die Mädels?”

„Ja. - Blöde Ziegen.”

Jan grient in sich hinein, während Christian das Verschmieren übernimmt und Jan seine Hand an Christians Schulter abwischt.

Christian sieht nun Jan an, befühlt dessen Kleidung. „Komm’, Du bist ja naß bis auf die Haut. Ich geb’ Dir oben trockene Sachen; wozu haben wir eine Größe.”

Jan wirft das nasse Handtuch auf die Liege; die beiden Freunde gehen ins Haus. Christian dreht sich nochmals um. Er bemerkt, daß Christiana im Garten arbeitet, aber gerade nicht herübersieht. „Ob sie mich wohl gesehen hat?” Er sieht nochmals genau hin. „Na und wenn schon, was soll’s.” Christian zuckt mit den Achseln und eilt Jan nach.

*

Die alte Frau Johannson von nebenan macht beim Fensterputzen weiter. „So schön war mein Johann auch mal - ach ja.” Sie seufzt ein wenig und schmunzelt. Über 70 Jahre ist das her. Das war noch vor dem Krieg.

Sie war 17 und ihr Johann ein wenig über 19; er hatte gerade den Reichsarbeitsdienst hinter sich und genügte seiner Militärpflicht in der Wehrmacht. Aber was waren das für herrliche Tage, damals im Sommer, als er auf Urlaub nach Hause kam. Und wie gern hat sie sich von ihm am Lensterstrand nach dem Schwimmen verführen lassen. Sie waren so jung, und er war ein so guter Liebhaber, ein Naturtalent, denn sie wußte, daß sie sein erstes Mädchen war, wie er ihr erster Mann. Und wie leidenschaftlich hatten sie sich geliebt. Ihre Mutter hatte sehr geschimpft, als sie erst spät am Abend nach Hause kam. Nur ihr Vater hatte Verständnis. „Lot de Deern tofreden, de hett ’n Leefsten. Du büst suustein wes as wi tom eersten Mal. --- Hest dat vergeten?” Von da an war ihre Mutter still und freute sich sehr, als sie übers Jahr zum ersten Mal Großmutter wurde. Beide waren sie noch nicht volljährig und brauchten die Erlaubnis zum von beiden Eltern, aber das ging nach ein wenig Schimpfen in Ordnung. Und als dann ihr erster Sohn zur Welt kam, da strahlte die ganze liebe Verwandtschaft. Ein Stammhalter löschte alle Bedenken aus. Und gerade als Johanns Dienstzeit beendet gewesen wäre und er auf den Hof kommen sollte, da ging 1939 der Polenfeldzug los. Sie sah ihn nach dem Sieg, von allen für sein EK Zwo bewundert, wenige Tage zu Weihnachten; er ließ ihr ein Andenken da, das bald nach dem Frankreichfeldzug krähend in der Wiege lag. Er kam noch einmal Weihnachten 1940 nach Hause, sein Andenken blieb da, und dann hatte er Glück, kam 1943 aus Rußland weg auf eine der Kanalinseln, konnte nach einer schweren Verwundung nicht mehr an die Front und wurde auf Jersey vom Engländer gefangengenommen. 1946 kam er mit seiner leichten Gehbehinderung bereits nach Hause. Der Tommy hatte ihn nicht mehr für gefährlich gehalten, den Feldwebel Johann Johannson. Aber die Schmach, ihm sein EK Eins und seinen Portepeedolch weggenommen zu hatten, verzieh er ihnen sein Leben lang nicht. Seine Jungs hatten erst etwas gefremdelt, aber da ihr Johann so große Freude an seinen Söhnen hatte, machte sie noch einen mit ihm. Er war immer noch ein guter Liebhaber gewesen, aber nach dem Krieg sehr nachdenklich geworden und hatte es gar nicht gern gesehen, daß sein Erstgeborener 1958 freiwillig zur Bundeswehr gegangen war. Jan war dann auch als Hauptbootsmann ausgerechnet an Land, bei einem Autounfall nahe Kappeln, ums Leben gekommen, gerade als er die richtige Frau fürs Leben gefunden hatte und die Beförderung zum Stabsbootsmann bevorstand. Friedrich hatte in Bayern, weit weg in Ingolstadt, in der Autoindustrie eine gute Arbeit gefunden, autoverrückt, wie er war, eine Einheimische geheiratet, die kein Platt verstand, und die beiden Enkelinnen hat sie kaum je gesehen. Ernst wurde Handelsschiffskapitän und fand keine Zeit zum Heiraten, hatte einen unehelichen Sohn in Amerika gemacht, von dem sie gerade mal ein einziges Photo zu sehen bekam und ihr “Kleiner”, Onno, hatte sich bei einem Urlaub in Schweden in Anna verliebt, drei hübsche blonde Söhne in die Welt gesetzt, aber die sah sie bestenfalls einmal im Jahr. Tja, und ihr Johann hatte sie vor 10 Jahren für immer verlassen.

Ihre danach beginnende beschauliche Einsamkeit, vom Dorfkaffeekränzchen abgesehen, wurde so angenehm unterbrochen, als die Malvoisins nebenan einzogen. Die lütte Tessa durfte bald zum Rasenmähen kommen, Karin ging immer mal für sie einholen und Christian kam zum Heckeschneiden. Und dabei sah sie ihm gern zu. Sie war nun mal eine alte Oma geworden, aber einen seuten, staatschen Jung’ antokieken, dafür fühlt sie sich nach wie vor nicht zu alt. Dann denkt sie an ihren schönen Johann, damals vor dem Krieg, und träumt von den wild-zärtlichen Stunden am Lensterstrand, wenn sie beide alles um sich herum vergaßen, und nur jung und schön und lieb zueinander waren. Und dann spürt sie wieder seine zärtlichen Hände, die so kräftig von der Feld- und Hofarbeit waren, aber durch seine feine Seele so liebevoll gemacht wurden. Dann vergaßen sie sogar den österreichischen Postkartenmaler mit dem schrecklichen kleinen Schnurrbart. Der Pastor hatte sie im Stillen gewarnt, der würde sie noch alle ins Unglück führen. Und die dafür bezahlt haben, kann man am Kriegerdenkmal nachlesen.

Es macht ihr Freude, Christian anzusehen. Daneben kann man ja auch Fensterputzen. Frauen können mehrere Dinge gleichzeitig tun. Da ist Frieda Johannson keine Ausnahme. Auch mit fast 90 nicht. Und den dummen alten Weibern, wie sie sie nennt, die sich aufregen, wenn jemand nackt herumläuft, „Huch, der hat ja nix an!”, stellt sie immer wieder die Frage „Ward Ihr nie jung? Ward Ihr nie am Lensterstrand? Hebbt ji joon Kinners mit‘e Plünnen an mookt?”

Die alte Hermine, mit ihren 91, nickt dann immer schmunzelnd, und Frieda Johannson weiß, warum. Hermine Jaspers, die nie viel sagt, das macht sie alles mit ihren lustigen Augen und einem immer wiederkehrenden verschmitzten Zwinkern, hat mit 18 einem Berliner Bildhauer Modell gestanden, als “Brunnenmädchen”, und vor dem Problem der Kleiderwahl stand sie damals ganz sicher nicht. In einem Museum kann man das immer noch betrachten, aber sie sagt nicht wo. Hermine lächelt nur. Wat geit dat de Lüüd an?

*

Christian öffnet seinen Schrank. „Kurze Jeans oder lange? - Übrigens, was sollte das vorhin ‚Ist ja so gar nichts zu sehen’. Kann man das übersehen?” Christian dreht sich zu Jan um, der sich bereits entkleidet und im Hose-fallen-lassen feststellt: „Ganz sicher nicht. Wie Du schon ganz richtig festgestellt hast: Wir haben eine Größe.”

Für ein paar Minuten gefallen sie sich in gegenseitiger Bewunderung. Dann erinnert Christian etwas, als er gerade nach den passenden Stücken für Jan suchen will.

„Sag’ mal, wann war der Termin für die Kalenderphotos bei meinem Großonkel Florian?” „Übermorgen, schon vergessen?” Jan streift seinen ebenfalls naßgewordenes Slip ab und legt ihn zu seinen übrigen Sachen.

Da schlägt er sich mit der flachen Hand vor die eigene Stirn. „Mann, jetzt hätte ich beinahe vergessen, warum ich gekommen bin.”

„Na, dann spuck’s aus.” Christian lehnt sich entspannt gegen den Schrank.

„Ich habe vor ein paar Tagen in Lenste eine Wahnsinnsfrau kennengelernt, an dem Tag, an dem Du keine Zeit hattest.”

„Ja, und?”

„Sie hat mir ohne Umschweife erklärt, sie sei Bildhauerin und würde mich als Modell für einen David haben wollen, stell’ Dir vor.”

„So richtig als Statue auf einem Sockel in Marmor?” „Marmor, Granit, Sandstein, Gips, was weiß ich, Hauptsache Modell - und dann gleich als David. Ist das nicht geil?”

„Wie alt ist sie denn, diese Bildhauerin?”

Jan überlegt kurz. „Na, so 26, 27 wird sie schon sein.”

„Und was zahlt sie?”

Jan sieht Christian ein wenig entrüstet an. „Denk’ doch nicht gleich ans Geld, Mann. Vielleicht geht ja ‘was bei ihr. Geld gebe ich nur aus, ein Fick bleibt mir.”

„Wenn Du das so siehst.” Christian zuckt mit den Achseln. „Und was soll ich dabei?”

Jan geht auf Christian zu, nimmt ihn bei der Hand, zieht ihn vor den Spiegel, stellt sich hinter ihn und dreht Christian in Position.

„Hast Du Dich in letzter Zeit mal angesehen, hm?” Christian muß grienen. Er hat schon mal seine selbstverliebten “fünf Minuten“.

„Siehst Du. Du bist ein schöner Kerl, denk an den ersten erfolgreichen Kalender, und das wird sie auch bemerken. Wenn sie aus mir einen David machen will, dann wird sie Dich als Apoll gleich daneben stellen.”

Christians Miene wechselt zu Ungläubigkeit. „Meinst Du wirklich?”

„Wenn sie nicht blind ist, im übertragenen Sinne, meine ich.”

„Und wann sollst Du zu ihr kommen?”

„Heute mittag, so 12, 12 Uhr 30 zur ersten Stehprobe.”

 

„Und wo ist das?”

„Kennst Du den großen reetgedeckten Hof bei Oldenburg? Riesengrundstück, stand letztes Jahr zum Verkauf.”

„Ich weiß welchen Du meinst. Den hat sie gekauft?” Gekauft oder erst einmal gepachtet, keine Ahnung. Aber Platz für ein großes Atelier ist da allemal.” Christian dreht sich zu Jan herum.

„Hast Du Dein Auto dabei?”

„Jou.”

„Na, dann laß’ uns mal los. Bis dahin brauchen wir eine knappe Stunde, Trecker eingerechnet, aber vorher essen wir noch‘n Happen. Papa hat Matjes angesetzt.”

Jan klopft Christian auf die Schulter und strahlt. „Das ist mein Krischan. Und nu’ gib mir Hemd und Hose, Slip brauche ich keinen.”

„Wenn Du meinst.” Christian reicht Jan eine kurze beige Hose und ein weißes, kurzärmeliges Hemd aus dem Schrank und nimmt sich selber frische Sachen. Instinktiv greift er Klamotten, die seinen Körper betonen, ein knappes, weißes Muscle-Shirt, das seinen Bauchnabel und die Haarnaht freiläßt und knallenge weiße Jeans. Die Freunde kleiden sich an. Christian betrachtet sich im knappen hellblauen Slip, zeigt eine zufriedene Miene, sieht zu Jan, der schweigend-lächelnd Zeigefinger- und Daumenspitze zum Handzeichen “Spitze” formt, und steigt in die Jeans.

„Übrigens, wie heißt sie eigentlich?”

„Kristin Holmdóttir.”

„Eine Isländerin?”

„Ich glaub’ schon, bei dem Namen. Aber sie spricht akzentfrei hochdeutsch, vielleicht ein wenig hamburgisch eingefärbt.”

„Na, wir werden es sicher erfahren.”

Christian versucht, die Jeans hochzuziehen. „Schuhlöffel?”

„Quatschkopf.”

„Nee, aber Dein Arsch ist wohl dicker.” Christian zieht weiter, hüpft dabei mehrfach auf und ab. „Verdammt, zuviel trainiert.”

Jan lacht. „Drei Monate kein Sex und schon paßt die Hose nicht mehr.”

„Blödmann. Ich war doch gestern noch drin.” „Komm’, ich helf’ Dir.” Jan stellt sich hinter Christian und greift links und rechts den Bund. Christian hüpft erneut.

„Jetzt bleib’ doch mal steh’n, damit ich richtig greifen und heben kann.”

Jan faßt noch einmal zu und hebt Christian mitsamt der Hose an. Jan sieht Christian rechts über die Schulter und bemerkt, daß alles klemmt.

„Dein Schwanz ist zu groß, Alter.”

„Das sagt der Richtige.” Jan hebt Christian nochmals an.

„Du, das wird nichts. Vielleicht, wenn Du den Slip ausziehst.”

„Meinetwegen. Schotte sollte man sein. Die bringen auch die größte Zukunft immer unter.”

„Na, Du im Röckchen, Alter, und dann ’n Windstoß!“ Beide lachen fröhlich auf, aber es klemmt immer noch. Christian versucht, ohne umzufallen, aus den Jeans herauszukommen. Jan tritt zur Seite und betrachtet die Bemühungen kopfschüttelnd.

„Komm’, leg Dich aufs Bett, das geht so nicht, sonst hat Kristin einen anderen David im Atelier.”

Christian läßt sich rücklings auf sein Bett fallen und streckt Jan beide Beine entgegen. Der zieht an beiden Hosenbeinen - mit mäßigem Erfolg. Einzig, daß Christian polings auf dem Fußboden zu sitzen kommt. Erst schreit er auf, dann kriegen beide das Lachen, während Jan ihm die Hand reicht und hochzieht.

„Jetzt bleib mal stehen. Ich versuch’s anders.” Jan kniet nieder, faßt mit beiden Händen links und rechts den Hosenbund an - und zieht mit einem gewaltigen Ruck die Hose samt Slip herunter.

*

In der Lübecker Gerichtsmedizin. Professor Anderson steht am Seziertisch Nr. 1, vor ihm die Leiche des Waldtoten. Er klappt seine Lupenbrille herunter, beugt sich vor und betrachtet das Geschlecht des Toten. Bei der dichten Schambehaarung fällt ihm etwas auf. Die auf der gegenüberliegenden Seite stehende Assistentin Liliane Kronborg hört nur ein gemurmeltes „Seltsam.” Dann nimmt Anderson den Penis des Toten hoch, sieht genau hin, legt ihn ab, schaut auf, läßt sich das stumm Verlangte geben. Seine aufmerksame Assistentin reicht ihm ein Abstrichstäbchen und einen Objektträger. Nun hebt Lili den Penis hoch und Anderson nimmt die Probe. Wortlos reicht er seiner Assistentin Stäbchen und Objektträger, die mit beidem zum Mikroskop geht und den Abstrich betrachtet.

Als sie zurückkommt, staunt sie nicht schlecht, was ihr Chef in der Hand hält.

*

„Bist Du fertig?” Jan nickt, erhebt sich und verschließt seine Sandalen. Christian schlüpft in seine blauen Leinenschuhe, ordnet sich nochmals und kommandiert: „Dann laß’ uns fahren.”

„Nee, noch essen, vergessen?“ Jan reibt sich den Magen. „Modellstehen ist anstrengend.“

„Dann müssen wir aber nochmal Zähneputzen, sonst fliegen wir bei Deiner Bildhauerin gleich ‘raus.“ Sie verlassen Christians Zimmer und gehen nach unten in die Küche.

Der Matjes ist großartig, wie immer, schmeckt den beiden auch mit kalten Pulchen von gestern. Für frische haben sie keine Zeit.

Als sie aus dem Bad kommen und gehen wollen, treffen sie auf Karin und Tessa, die sich inzwischen trockene Bikinis angezogen haben.

„Jetzt weiß ich, warum es auf der Promenade gerade keine Bikinis mehr zu kaufen gibt - die habt Ihr alle. Sehen Deine Schwestern nicht umwerfend aus?” Jan dreht sich zu Christian um. Der verzieht nur das Gesicht.

„Hast Du einen Bikini gesehen, kennst Du alle.”

„Was hätte von Dir auch anderes kommen können, Du ungalanter Knopf.” Tessa zieht ihrem Bruder eine mißbilligende Schnute. Karin kartet nach: „Kauf’ Du Dir mal lieber ‘ne neue Kronjuwelenverpackung, am besten mit Hitzeschutz, sonst …”

Jan fällt ihr ins Wort: „Sag’ mal, sind die Schleifchen da echte Schleifchen”, er deutet auf die Schalenverbindung und auf das Höschen, „oder sind die nur Verzierung?” Danach sieht er Christian vielsagend an.

Karin fühlt sich ob des Interesses geschmeichelt und antwortet arglos: „Die Schleifen sind echt und können als Farbkontrast ausgewechselt werden, weißt Du. Ich hab’ für diesen hellblauen noch gelbe, rote und weiße Schleifchenbänder.”

Während sie auf Jans vermeintliches Interesse antwortete, ist Christian langsam um sie herumgegangen. Tessa bleibt ahnungslos.

„Und was passiert, wenn man das macht?” Jan zieht am Oberteilschleifchen, in blitzschnellem Teamwork zieht Christian an beiden Seiten die Höschenschleifen auf - und Karin steht im Freien.

Nun geht alles ineinander über. Karin schreit auf, Jan und Christian rennen zur Tür, an der Tür dreht Jan sich um: „Schwarz find’ ich geil”, die Haustür geht auf, Maren von Malvoisin kommt herein, Christian ruft seiner Mutter zu: „Hallo, Mama, keine Zeit, wir müssen weg.”

„Den Eindruck habe ich auch”, Maren von Malvoisin verfolgt erstaunt die Szene.

Jan ruft ein schnelles „Hi!” und rennt weiter. Tessa steht im Hintergrund und hält sich vor Lachen den Bauch. Karin verdeckt mit der rechten Hand ihren Schoß, mit dem linken Arm bedeckt sie ihre Brüste und ringt vor Zorn nach Luft. Frau von Malvoisin sieht Jan und Christian nach, wendet sich um, stellt ihre Tasche ab und fragt leicht erstaunt:

„Äh, muß ich das jetzt verstehen oder kommt da noch ’was?”

Tessa preßt im Lachen heraus: „Nein, Mama, bemüh’ Dich nicht. Das dauert zu lange” und wischt sich die Lachtränen ab.

Karin wirft nun auch ihr Oberteil zu Boden, stampft wütend mit dem rechten Fuß auf, trampelt ein heftiges Tremolo, läßt ein zorniges, in höhere Tonlagen gezogenes „Uuuhh!” hören und stürmt ins Obergeschoß. Eine Tür knallt, vermutlich die von Karinhall.

Maren hat keine Zeit sich zu wundern. Ihre Zwillinge vor der Tür haben noch nichts für die seltsamen Verhaltensweisen ihrer Schwestern übrig. Sie müssen nach dem Spaziergang einfach nur gestillt und zu Bett gebracht werden.

*

Kommissar von Malvoisin sitzt in seinem Büro im Lübecker Polizeipräsidium und studiert seine Niederschrift zur “Leiche 21”. Ihm gegenüber sieht sein Kollege Frederik Langeland Fallberichte am Bildschirm durch. Malvoisin legt die Blätter hin.

„Ich kann mir die ‘21’ auf dem Bauch des Toten nicht erklären. Was soll das? Das Alter des Getöteten ist es sicher nicht. Ein Code? Leiche Nummer 21?

Langeland überlegt und kommt zu dem Ergebnis „Solch eine Mordserie hatten wir hier noch nicht. Die Datenbanken spucken nichts aus was passen könnte.”

Malvoisin kratzt sich am Kopf. „Oder ein neuer Fritz Haarmann?” Er runzelt die Stirn. „Das fehlte uns gerade noch.”

Langeland sieht auf. „Wer ist das denn?”

„Ach, das ist lange her. Das kannst Du als Däne nicht wissen.“

Langeland reagiert etwas pikiert: „Danke für den Hinweis.“

Malvoisin schmunzelt. „Krieg’ Dich ein, die meisten deutschen Kollegen wissen das nicht mehr. Das war damals im Reich. Haarmann stand auf junge Burschen, hat seit 1918 mindestens 24 umgebracht und Wurst aus ihnen gemacht.” Langeland schüttelt es sichtbar. „1925 wurde er mit dem Schwert hingerichtet. In Hannover, ich glaube am 15. April.”

Langeland staunt über Malvoisins Detailwissen. „Das weißt Du so genau? Und ich dachte, das Schwert war nur für vornehme Delinquenten, hm?”

„In England und Frankreich vielleicht, früher, Königin Anne Boleyn zum Beispiel - da mußte der Henker das zarte Hälschen noch perfekt treffen können.“ Er zielt mit seiner rechten Handkante in der Luft gegen ein unsichtbares Hälschen. „Das waren noch Meister ihres Fachs, hochbezahlt, Guillotine kann doch jeder …“. Malvoisin schaut geringschätzig. Langeland verzieht sein Gesicht. Malvoisin merkt selber, daß er gerade etwas makaber geworden ist und räuspert sich durch. „Na ja, Geschichte eben, mein Hobby, Du weißt doch. Und ich lese Bücher. Auf’s Internet verlasse ich mich nicht. Am Ende noch dieses überschätzte Wiki-Dingsda.”

Langeland ergänzt „-pedia.”

„Wie? Ach so. Ja, genau das. Unwissenschaftlicher Krampf. Aber die Jungen …”

Es klingelt das Telephon. Er nimmt ab.

„K 1, Malvoisin. - Ah, Klinge, hast Du schon ‘was? - Sollen wir ‘rüberkommen? - Gut, bis gleich.”

Malvoisin erhebt sich im Auflegen. „Fritz, komm’. Wir haben ein Rendez-vous mit einer Leiche. Und mach‘ den Computer aus. Auch Strom kostet Steuergelder.”

Langeland in maulig gedehntem Ton: „Jawohl, Euer Majestät.”

Malvoisin ist schon auf dem Weg zur Tür und dreht sich um. „Wie bitte?”

Langeland sieht auf den Bildschirm: „Tatsächlich. 15. April 1925.” Er fährt den Computer herunter, schaltet alles aus und geht auf Malvoisin zu. Der sieht in verwundert an. „Majestät? Ist Dir zu heiß?”

„Martin, Du bist mein Chef, und ich liebe Dich trotzdem, und Du bist mein Freund, weil Du ein feiner Kerl bist, aber manchmal benimmst Du Dich wie meine Königin, und ‚Durchlaucht’ darf ich ja nicht sagen. Keine Lust, wieder schwule Pornos anzusehen. Brrr.” Langeland friert es, trotz der Hitze.

Malvoisin sieht seinen Kollegen kopfschüttelnd an. „Dir ist wirklich zu heiß, ha?”

Langeland ist zwar nur halber Däne, aber die Königin ist auch seine Königin. Er liebt sie auf Abstand, trotz ihrer Eigenarten.

„Nein, wieso? Die zweite Margarethe geht jeden Abend persönlich durchs Schloß und schaltet alle Lampen aus. Wußtest Du das nicht? Für Zigaretten gibt sie viel Geld aus, man hört von 70 am Tag, aber am Licht spart sie.”

Malvoisin wußte das nicht. „Oh, ist das so? Hhm. Und weißt Du, was aus diesem Marko geworden ist?”

„Nö. Wieso?”

„Nur so.”

Malvoisin weiß selbst, nicht warum seine Erinnerung gerade diesen Namen aufgerufen hat. Vorahnungen.

*

Marko Reddemann hatte tags zuvor einen interessanten gemischten Dreier. Ein Kommilitone war mit seiner Freundin zu Besuch nach Plön gekommen. Britto und Ariane. Sie hatten einen schönen Abend und eine noch heißere Nacht miteinander verbracht.

Kurz vor 10 Uhr war Marko aufgestanden, denn er mußte zu einem Vorstellungsgespräch um Zwölf pünktlich in Kiel sein. Britto und Ariane schliefen noch. Er hatte sich leise hinausgeschlichen, geduscht, ein schnelles Frühstück für sich und für die beiden ein reichhaltiges gemacht, einen Zettel geschrieben, sie sollten sich Zeit lassen und dann einfach die Tür zuziehen.

Abends erfuhr er, nachdem er nach anfänglichen Schwierigkeiten den Weg nach Hause gefunden hatte, daß sie seine Gastfreundschaft tatsächlich “etwas” ausgedehnt und die Nacht mit großem Vergnügen fortgesetzt hatten. Er fand seine Wohnung dennoch piekfein aufgeräumt vor.

Aber noch mehr gefiel ihm, daß er wieder einen Job hatte - und das mit sehr angenehmen Begleitumständen.

 

Marko hatte in Kiel erst ein wenig suchen müssen, er war fast schon in Altenholz gelandet. In der Nähe der Ahornallee fand er sein Ziel. Eine anständige Adresse. Von außen sagte es ihm zu. Four Starfish Film GmbH stand da in neonblauer Schrift.

Etwa zweieinhalb Stunden später würde Marko vorübergehend vergessen haben, wo er wohnte.

*

Jan und Christian kommen am Anwesen der Bildhauerin an. Jan stellt seinen Polo am Tor ab. Dort steht schon ein anderer, froschgrüner, mit Ostholsteiner Kennzeichen. Sieht gebraucht aus.

„Aufgeregt?” Christian sieht Jan an. „Warum? Das ist doch nicht viel anders als für Großonkel Flo Photos zu machen.” „Na, dann los.”

Die Freunde steigen aus. Christian sieht sich um. Kein Mensch zu sehen. Eine ruhige, fast einsame Ecke, aber Künstler brauchen das wohl, denkt er sich.

„Ob noch andere Models gekommen sind?” Christian deutet auf den kleinen “Frosch”. Jan zuckt mit den Achseln. „Keine Ahnung. Gesagt hat sie nichts. Aus dem Kreis ist er jedenfalls. OH-SS 1990. Schon mal gesehen?”

„Nö, der Grünling wär’ mir aufgefallen. Wer fährt denn mit so ‘ner Farbe?” Christian schüttelt verständnislos über solch eine Geschmacksverirrung den Kopf. Er wirft einen kurzen Blick ins Innere. „Mädchenauto, hm.”

Jan schließt ab, wirft Christian einen aufmunternden Blick zu und sie nähern sich dem hölzernen, zweiflügeligen Tor. Es könnte einen Anstrich gebrauchen. Im Hintergrund ist das große reetgedeckte Haupthaus zu sehen, daneben einige kleinere Wirtschaftsgebäude.

Jan hebt den Verschlußbügel hoch, schiebt einen Flügel nur so weit auf, daß beide hindurchpassen. Sie treten ein, Jan schiebt den leicht schwingenden Torflügel wieder zu und legt den Verschluß über. Kurzes Rütteln - hält.

Während sie auf den Hof zugehen, verläßt ein junges Mädchen ein Nebengebäude, nimmt ein Fahrrad und kommt auf die Freunde zu. Sie sehen sich vielsagend lächelnd an, als sie bemerken, daß sich ihnen eine Schönheit nähert. Sie hat rückenlange goldblonde Haare, die offen im Wind wehen und im Sonnenschein glänzen. Bald haben sie sich erreicht und bleiben voreinander stehen. Das Mädchen ist in ein bauchfreies gelbes T-Shirt und blaue Jeans gekleidet, ihre nackten Füße stecken in hellen Leinenschuhen.

„Moin.”

„Moin.”

„Heißt einer von Euch Jan?”

„Woher …?” Die Freunde sehen erst sich und dann die optisch etwa 18jährige fragend an.

„Ich bin Jan.”

„Kristin wartet schon auf Dich.” Mit lächelndem Blick mustert die Schöne Christian. „Die Zugabe wird sie freuen. Bist Du sein Bruder?”

„Das ist mein Freund Christian. Und wer bist Du?”

„Ich heiße Sigrun.”

Während Christian stumm bleibt und mit leuchtenden Augen Sigrun betrachtet, fragt Jan nach.

„Und weiter?”

„Das wird sich finden.”

„Wo?”

„Hier oder …” Sigrun überlegt kurz. „Kennt Ihr Lensterstrand?”

„Ob wir Lensterstrand kennen? Wir sind hier geboren”, trumpfen sie auf. Die Freunde sehen sich grinsend an.

„Ach so, ich bin noch nicht so lange in der Gegend. Man sieht sich.”

Sigrun verabschiedet sich mit einem feinen Lächeln und geht. Die Freunde sehen ihr fasziniert nach. Sigrun dreht sich hinter dem Tor noch einmal um und winkt ihnen zu. Jan winkt zurück. Sigrun schließt das Tor, besteigt das Rad und fährt los. Jan faßt sich als erster.

„Mann, Alter, den Körper sollte man Klavier spielen können.”

„Hast Du dieses Lächeln gesehen? Überirdisch.” Christian ist ganz weg.

„Schau mein Lächeln an, Alter.” Christian reagiert nicht.

„Hej, Erde an Christian. Hörst Du mich?” Jan schüttelt Christian an der Schulter.

„Was?”

„Mein Lächeln.”

„Was ist mit Deinem Lächeln?”

„Ansehen.”

„Warum? Kenne ich doch schon.”

„Weißt Du noch, warum wir hier sind?”

„Warum?”

„Ach, du meine Güte.”

„Wieso, ach, du meine Güte‘?”

„Blitzverliebt.”

„Wer?”

„Na Du.”

„Ich?”

„Ja.”

„In wen?”

„Blitz, totaler Blitz.”

„Wie, kommt ein Gewitter?” Christian dreht sich um, sieht gen Himmel. „Was hast Du denn mit Blitz? Blauer Himmel, keine Wolke. Wo soll denn da ein Blitz herkommen? Bist Du duun?”

„Nee, jemand anders.”

„Wer?”

„Du.”

„Ich?”

„Ja.”

„Wieso?”

Jan seufzt vernehmlich. „Ich geb’s auf.”

„Was?”

„Deinen Verstand zu finden.”

„Warum?”

„Weil Du ihn gerade verloren hast.”

„Wo?”

„Hier.”

„Bist Du blöd?”

„Nein, aber Du, Blitzverblödung.”

„Sag’ mal, ist Dir zu heiß?”

„Mir nicht, aber Dir.”

„Warum?”

„Weil bei Dir der Blitz eingeschlagen hat.”

„Welcher Blitz?”

„Der Dich gleich trifft, wenn Du weiter so blöd fragst.”

„Wer fragt blöd?”

„Du.”

„Ich?”

„Ja.”

„Warum?”

„Weil ich Dich auch liebe.”

„Das weiß ich doch, was redest Du denn so komisch?”

„Ach, ich wollte nur wissen, ob Du noch weißt, was wir hier machen.”

„Was machen wir denn hier?”

„Na rate mal.”

„Warum soll ich raten?”

„Wen wir gerade getroffen haben.”

„Wir haben jemanden getroffen?”

„Deine zukünftige Ehefrau.”

Christian lacht auf. „Bist Du blöd? Hier ist doch keine Ehefrau, und Dich werde ich sicher nicht heiraten, Du Affe.”

„Das käme auf einen Versuch an.”

„Ist Dir zu heiß?” Christian faßt Jan an die Stirn, als sie von einer weiblichen Stimme angesprochen werden.

„Wollt Ihr nicht lieber hereinkommen? Dann könnt Ihr Eure Diskussion bei einem kalten Tee fortsetzen.” Die Freunde drehen sich um.

Vor ihnen steht eine schöne junge Frau, wohl 25 bis 27 Jahre alt, etwa 1,75 m groß, lange blonde Haare, grüne Augen, bekleidet mit einem offensichtlich vielbenutzten, im Grundton hellgrauen, vorn offenen Arbeitskittel, darunter ein unter der Brust geknotetes rotes Hemd, wodurch ein atemberaubend schöner, flacher Bauch zu sehen ist. Sie trägt blaue Jeans und die nackten Füße stecken in braunen Sandalen, die manch einen Farbklecks abbekommen haben.

„Moin Kristin. Ich hoffe, wir sind nicht unpünktlich.”

„Nein, seid Ihr nicht. Aber was war denn, und wen hast Du da mitgebracht?”

„Das ist mein sonst ganz normaler Freund Christian aus Kellenhusen, aber er hatte gerade eine Erscheinung …”

„Was hatte ich?”

„Fang’ nicht schon wieder an.”

„Womit?”

„Vergiß es.”

„Was?”

„Ach, Ihr habt Sigrun getroffen?”

„Richtig.”

„Dann verstehe ich.”

„Was versteht sie?” Christian sieht Jan fragend an.

„Warum Du blitzverblödet bist.”

„Wer ist hier blöde?”

„Du.”

„Ich?”

„Ja.”

Christian sieht wechselnd Jan und Kristin an, die sich eines breiten Schmunzelns nicht erwehren kann. „Sigrun hat solch eine verwirrende Wirkung.” Christian hält inne. „Sigrun?” Er sieht Kristin an. „Hast Du Sigrun gesagt?”

„Ja, habe ich.”

„Ich habe vorhin einen Engel gesehen. Hab’ ich vorhin einen Engel gesehen?”

„Vermutlich, aber …”

Christian unterbricht Jan. „Wo ist er? Ich muß mit ihm, äh, ihr sprechen. Tut mir leid, ich muß weg, sie finden.” Christian macht Anstalten, zu gehen. Jan hält ihn fest.

„Hiergeblieben. Jetzt haben wir eine Verabredung mit Kristin und später kannst Du Sigrun wiedersehen.”

„Ja, aber …”

Jan duldet keinen weiteren Widerspruch und schiebt Christian an Kristin vorbei zum Haus. Kristin folgt ihnen schmunzelnd und schüttelt mit dem Kopf.

*

In der Gerichtsmedizin Lübeck betreten Malvoisin und Langeland den Obduktionssaal. Auf zwei Tischen liegen abgedeckte Leichen. Zwischen ihnen steht Professor Anderson.

„Und vier Kopien, wie immer.” Er legt das Diktaphon weg, bemerkt Malvoisin und Fritz und wendet sich ihnen zu.

„Da seid Ihr ja schon.”

„Was gibt’s, Klinge? Etwas Besonderes?”

„Das kann man wohl sagen. Ich bin jetzt schon 23 Jahre im Geschäft und habe einiges gesehen. Malte Kröger im letzten Sommer war ja schon außergewöhnlich, aber es kommt doch immer wieder ‘was Neues.” Er schlägt das grüne Abdecktuch zurück. Vor ihnen liegt der gewaschene Tote aus dem Eutiner Staatsforst - mit “Kreuz-Reißverschluß“. Langeland tritt näher und beugt sich über ihn.