Leiche 21

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1. Tag:

Der Himmel war strahlendblau, keine einzige Wolke bot auch nur für Sekunden Schatten. Aber gerade das war ihm recht. Magnus war vor einer Woche nach Grömitz gekommen. Er hatte das zweite Staatsexamen bestanden und sollte nach den Ferien in der Berliner Kanzlei seines Vaters als Rechtsanwalt anfangen. Sein alter Herr hatte ihm den Urlaub bezahlt - vier herrliche Wochen wollte er entspannen, aber auch nicht zu sehr; mindestens ein schönes Mädchen wollte Magnus erobern. Seine Freundin war ihm während der Prüfungen davongelaufen. Sie war von Hause aus arg verwöhnt und reichlich zickig, 20 Jahre alt, Figur wie ein Model, im Bett ein Knaller, aber eben zickig. Als Mann hatte er sie genossen, eine dauerhafte Beziehung war ihm aber immer unwahrscheinlicher geworden, und so trauerte er nicht sehr. Drei Jahre erschienen ihm genug, und sie war einem Kollegen von ihm zugelaufen, den er nicht ausstehen konnte. Er gönnte sie ihm.

Magnus kannte Grömitz seit seiner Kindheit. Gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder verbrachte er dort in jedem Sommer mehrere Wochen. Als Teenager hatte er sich hin und wieder nach Lenste geschlichen, wenn es seine Familie nicht bemerkte, am dortigen FKK-Strand die ersten nackten Mädchen gesehen und seine ersten sexuellen Erfahrungen als mal mehr mal weniger angenehme Folgen erlebt.

In diesem Jahr hatte er für schlechteres Wetter einen Korb am Strand von Grömitz gemietet, doch er wollte es unbedingt einmal schaffen, ohne “weiße Hose” aus dem Sommer zu kommen; immerhin lief eine Tausend-€uro-Wette mit seinen Saunafreunden, die alle in einem FKK-Dorf an der Biskaya ihre Ferien verbrachten und sich über seine Ostsee-Vorliebe lustig gemacht hatten.

Nun lag er am Strand und genoß mit geschlossenen Augen die Sonne und die leichte Seebrise auf seiner Haut. Magnus bemerkte nicht, daß sich ihm eine weibliche Schönheit näherte, bis sie ihm die Sonne verstellte. Er öffnete die Augen und sah im Gegenlicht zunächst nur weibliche Formen. Erst als er sich halb aufrichtete konnte Magnus genau erkennen, was da vor ihm stand.

Magnus protestierte. „Sie stehen mir im Licht.”

„Oh, habe ich gar nicht bemerkt.” Ihr Ton war etwas spitz, mit einer Prise Verschmitztheit.

„Jetzt wissen Sie es.” Sein Ton war leicht pampig, aber doch so, daß durchzuhören war, sie solle ruhig bleiben, denn es könnte ein interessanter Streit werden. So ganz bewußt war ihm das aber noch nicht.

Die junge Schönheit machte keine Anstalten, zur Seite zu treten. Magnus überlegte, ob er sich über solche Sturheit ärgern oder über die Gegenwart einer schönen jungen Frau freuen sollte. Er machte eine genervte Handbewegung.

„Würde es Ihnen etwas ausmachen …?”

„Oh, Sie befürchten, Sie könnten nicht schnell genug braun werden? Verzeihen Sie bitte.” Spitz, sehr spitz klang das.

Die Schöne trat zwei kleine Schritte zur Seite, blieb erneut stehen und betrachte die männliche Ausstellung. Nun erst sah Magnus, was er vor sich hatte. Er machte ein so überraschtes Gesicht, daß die Schöne leise auflachte.

„Was ist so komisch?”

„Ihr Gesichtsausdruck. Man könnte meinen, Sie hätten noch nie eine nackte Frau gesehen.”

„Selten eine so schöne.” Magnus zeigte ein zufriedenes, ein sehr anziehendes Lächeln.

„Oh, wie galant. Dankeschön. Und wenn Sie jetzt noch aufstehen würden …”

„Warum?”

Die Schöne öffnete eine Plastikflasche Sonnenmilch und drückte eine Ladung heraus - direkt auf Magnus’ Waschbrett.

„He, was soll das? Ich bin bereits eingecremt.” Das war ihm doch ein wenig zu direkt, immerhin eine neue Variante aus dem Arsenal weiblicher Annäherungstaktik.

„Aber ich noch nicht.”

„Das hätten Sie doch gleich sagen können.”

„Aber nur auf Augenhöhe.”

Nun sprang Magnus auf, die Sonnenmilch lief langsam an seinem Körper herab. Die Schöne legte ohne viel Federlesens ihre rechte Hand auf Magnus’ Bauch und rieb die Sonnenmilch bis zu seiner wohldefinierten Brust hinauf, während er sie erstaunt ansah. Es kam ihm vor, als wäre solch ein direkter Hautkontakt bei einem völlig fremden Mann für sein Gegenüber das normalste der Welt. Er fühlte, daß das Ganze interessant werden könnte.

„Wie heißen Sie?”

„Magnus.”

„Oh, und das in des Wortes bester Bedeutung.” Ihre Stimme hatte eine anregend laszive Melodie angenommen. Der Blick der Schönen wanderte einmal an Magnus auf und ab, was ihm sichtlich gefiel.

„Und Sie?”

Die Schöne hielt ihm die Sonnenmilchflasche hin und drehte sich um. So konnte Magnus ihr triumphierendes Lächeln nicht sehen.

*

2. Tag:

Der Förster des Eutiner Staatsforstes, Hinnerk Haagböök, und sein Waldarbeiter Fritz Möller sind im Revier unterwegs, um fällreife Bäume zu markieren. Sie kommen gerade an der Wasserstandseiche vorbei, als ihnen ein aufgeregter Mann entgegengelaufen kommt.

„Herr Haagböök, Herr Haagböök, kommen Sie schnell, da hinten.”

Der Aufgeregte zeigt, sich immer wieder umdrehend, in die entgegengesetzte Richtung, und bleibt schließlich vor Haagböök und Möller stehen.

„Was ist denn los? Kommen Sie zu erstmal zu Atem, Herr Hinrichsen”, versucht Haagböök den aufgeregten Mittfünfziger zu beruhigen. „Hat sich Ihr Sohn beim Fällen verletzt?”

„Kommen Sie, es ist entsetzlich.”

Hinrichsen zieht Haagböök mit sich, der mit fragendem Kopfschütteln Möller ansieht; beide folgen dem aufgeregten Mann, der sie in ein etwas

vom Weg entferntes Waldstück führt. Nach etwa 100 Metern sehen sie den Grund für Hinrichsens Aufregung:

An dem starken Ast einer Eiche hängt kopfüber die nackte Leiche eines jungen Mannes. Am Boden unterhalb des Kopfes, an dem eine Halswunde zu erkennen ist, hat sich eine große rotschwarze Blutlache gebildet. Die rechte Kopfhälfte ist von angetrocknetem Blut dunkel gefärbt. Es sieht aus wie die Kriegsbemalung eines nordamerikanischen Prärie-Indianers. Auf dem Bauch des Toten ist in Blut geschrieben die Zahl ‘21’ zu sehen - mit einem X aus Blut durchgestrichen.

Hinrichsens Sohn Jens hockt wenige Meter entfernt an einem Baumstamm angelehnt und starrt stammelnd die Leiche an:

„Wer macht denn so ’was, wer macht denn so ’was?”

Haagböök faßt sich als erster, zieht sein Handy aus der Tasche, wählt eine eingespeicherte Nummer und wartet.

Möller besieht sich die Leiche und meint trocken: „Wie erlegtes Wild.” Er kratzt sich am Kopf. „Nur, das hier holt kein Restaurant ab.”

„Sabbel nich’ ‘rum, hol lieber den Pastor”, stößt ihn Haagböök an und deutet auf den völlig apathischen jungen Hinrichsen, den sein Vater zu beruhigen versucht.

„Hallo, Polizeistation Grube? - Ist Arne Weber da? Gib ihn mir mal.”

*

„Was soll denn die ‘21’ auf dem Bauch des Toten?” Malvoisin schüttelt den Kopf. Er wendet sich an Professor Anderson. “Sag’ mal, Klinge, wie alt könnte der Mann gewesen sein? Über 20?”

Der Gefragte sieht den Toten an, dann Malvoisin: „Über 20? Ganz sicher, mindestens 25, würde ich sagen.”

„Das erklärt die ‘21’ nicht.”

Malvoisin sieht sich die Leiche nochmals an, geht näher und betrachtet die Halspartie.

„Warum ist denn hier ein hellerer Strich durch das Blut?” Anderson sieht ebenfalls genau hin.

„Vermutlich Abspülung durch heruntergelaufenen Urin. Angstpinkeln oder Loslassen im Erschlaffen des Todes. Wir prüfen das auf dem Tisch.” Anderson nickt. Er ist sich ziemlich sicher. „Hm, Kot liegt keiner am Boden. Seltsam.”

„Habe ich Deinen Bericht morgen früh?” Malvoisin wendet sich wieder der Leiche zu, nimmt seinen Rembrandt ab und kratzt sich am Kopf. „Warum ist die 21 ausgekreuzt? Zeichen für ‘erledigt’?” Professor Anderson unterbricht Malvoisins Gedanken.

„Malle, weil Du’s bist, vielleicht sogar schon heute abend, aber jetzt nehme ich ihn erst einmal mit, lasse den jungen Mann zu mir sprechen und denn vertell ik Di wat he mi vertellt hett. Goot?”

„Mok dat as jümmers, Klinge.” Malvoisin wendet sich dem Hauptmeister Weber zu. „Weber, holen Sie den Toten jetzt herunter und ab nach Lübeck.”

Während Weber die Leiche mit zwei Kollegen langsam auf ein ausgebreitetes Tuch herabläßt und einsargt, geht Malvoisin zu den Spurensicherern, die sorgfältig ihre Sachen einpacken. Hans Nielsen zieht gerade seine Einweghandschuhe aus und steckt sie ein.

„Habt Ihr alles? Könnt Ihr schon ’was sagen?”

„Es sind auf jeden Fall zwei Personen gewesen, die das hier bewerkstelligt haben. Einer allein hätte ihn kaum hinaufziehen und gleichzeitig am Baum befestigen können. Und vorher müssen sie ihn hergeschleppt haben.”

„Woraus schließt Du das?”

„Es besteht keine Möglichkeit, mit einem Auto selbst kleinster Bauart bis hierher zu fahren, und wenn, dann wären Fahrspuren zu sehen. Knutschkugeln und Messerschmitt-Kabinenroller habe ich hier schon seit Jahren nicht mehr gesehen, und wenn - es fehlte dann der Platz für den dritten Mann.”

„Du gehst von Männern als Tätern aus?”

„Bei dem Kraftaufwand? Das hätten schon russische Gewichtheberinnen gewesen sein müssen.” Der Mann vom Erkennungsdienst grinst.

„Irgendwelche Blutspuren, von der Blutlache abgesehen?”

„Nein, nichts. Die Halswunde ist ihm vermutlich erst beigebracht worden, als er bereits kopfüber hing.”

„War er bei Bewußtsein?”

„Schlecht zu sagen. Das wird Klinge, äh, ich meine Professor Anderson Dir nach der Obduktion sicher sagen können. Aber sieh hier.” Der Spusi-Mann, was Nielsen, im Gegensatz zu anderen Kollegen, ganz gern hört, klinge irgendwie niedlich, deutet auf Rötungen an beiden Mundwinkeln. „Das könnte ein Anzeichen für eine Knebelung sein. Vermutlich hat man ihm am Schreien hindern wollen.”

 

„Gib mir doch mal die Prüflampe.” Nielsen reicht sie ihm und Malvoisin beginnt, in halb gebückter Stellung den Waldboden um die Blutlache herum abzuleuchten. Im Schein des blauen Lichtes erkennt er, was er vermutet hatte.

„Sieh hier. Einzelne Blutstropfen, mal fast runde Kleckse, mal einige Zentimeter lang, als würde man sich Ketchup auf den Hotdog ziehen.”

Malvoisin richtet sich auf und reicht Nielsen die Lampe zurück.

„Was schließen wir daraus?”

„Der Mann hat sich bewegt.”

„Richtig. Hat er noch gelebt oder bewegte ihn die Brise von See her? Wir hatten gestern starken anlandigen Wind.”

„Oder die Täterschaft hat ihn angestoßen.”

„Warum sollte sie das tun”, bohrt Malvoisin nach.

„Um den Eindruck eines gehängten Verbrechers am Galgen zu erzeugen?” Langeland tritt näher. Er hatte abseits bei den Bestattern gestanden und sich die Leiche nochmals genau angesehen.

„So eine Art Triumph beim Verlassen der Leiche, in der Art ‚Hätte nicht sein müssen, wenn du nicht das getan hättest, was du getan hast’?”

„Vielleicht. Aber noch mal zurück zur Frage, ob er noch gelebt hat. Kommt mal mit.”

Malvoisin, Langeland und Nielsen gehen zum Sarg, der gerade angehoben werden soll. Malvoisin kommandiert:

„Stellt noch mal ab.” Mürrische Gesichter.

„Macht noch mal auf.” Die mürrischen Gesichter werden nicht besser. „Mann, ich hatte schon zwei Leichen heute nacht. Ich will nach Hause.”

Malvoisin sieht den Mauligen in einer Mischung aus Ach-was-tust-du-mir-leid und strafendem Blick an.

„Rate mal, wobei man mich heute morgen gestört hat? Und gegen das maulige Gesicht meiner Frau bist Du jetzt geradezu eine Schönheit. Und unsere Zwillinge wurden auch wach. Gegen meine zwei Krähhälse …”. Er schluckt die Erinnerung an das lebhafte Geschrei der beiden herunter

Verhaltenes Lachen der Umstehenden. „Junger Vater!” „Kann einem leid tun.”

Malvoisin sieht ungnädig in die Richtung der spöttischen Kommentare. „Wie bitte?”

„Nichts!” Eifriges Kopfschütteln.

„Also, aufmachen.” Der Deckel wird abgehoben. Langeland fordert den Bestatter auf, den rechten Arm des Toten anzuheben und die rechte Handfläche zu zeigen.

„Blutig.” Malvoisin sieht Langeland fragend an.

„Richtig. Und warum?”

„Weil aus der Halswunde das Blut auch am Arm entlanggelaufen ist.”

„Und sich schön gleichmäßig von selbst auf der Innenfläche verrieben hat.” Langeland verzieht kritisch-spöttisch sein Gesicht. „Der Tote hat, als er noch nicht ohnmächtig war, offenbar bemerkt, was mit ihm passiert und hat instinktiv versucht, mit der rechten Hand an der rechten Halsseite die Wunde zuzuhalten.”

„Und woher kommt der blaue lange Striemen über dem rechten Bizeps?”

Langeland geht weg. Malvoisin und die anderen sehen ihm mit Achselzucken nach. Langeland sucht den Boden südlich der Blutlache ab, bückt sich plötzlich, hebt ein etwa einen Meter langes Aststück auf. Dann kommt er zurück.

„Daher.” Er hält das Fundstück Malvoisin und dem Nielsen unter die Nasen.

Im oberen Drittel ist ein längliches Stück angetrockneten Blutes zu sehen.

„Also hat er versucht, sich zu wehren und wurde auf den Arm geschlagen. Vorsichtig ins Labor. Das Blut dürfte vom Toten sein, aber vielleicht findet Ihr noch mindestens eine weitere DNA, wenn das Stück ohne Handschuhe angefaßt wurde.” Malvoisin bedeutet den Bestattern, den Sarg nun zu schließen.

„Na endlich”, murmelt einer, der Sarg rutscht ins Wageninnere und beide Männer beeilen sich, abzufahren.

„Und Deine Leute, Hans, durchkämmen mir jetzt genauestens den Boden, notfalls tragt ihr ihn ab. Irgendwas wird die Täterschaft verloren haben, Haare, einen Knopf, Wollflusen, egal. Finden!” Malvoisin klingt sehr bestimmt.

„Du weißt doch, wir kriegen sogar ‘raus, ob des Teufels Großmutter hier vorbeigelaufen ist.”

Hans Nielsen grient Malvoisin an, der ihm wortlos, mit einem Anflug von Lächeln, gegen die linke Schulter klopft. Er ist immer noch stinkig, am Morgen mit Maren gestört worden zu sein und für den unnötigen “Gesang“ der Zwillinge. Am liebsten würde er den Störern die beiden Alarmsirenen einmal “ausleihen”, aber seine Löwin machte dabei sicher nicht mit. Ruhe hin oder her.

*

In einem mit kunsthandwerklichen Kacheln ausgeschmückten Bad sitzt eine schöne junge Frau unter dem prasselnden Strahl eines großen englischen Brausekopfes auf dem Boden des Duschbeckens. Die milchige Kabinentür wird zugeschoben und gleich darauf die Badezimmertür von außen geschlossen. Die Schöne zieht die Knie an, schließt die Augen und senkt den Kopf. Die Sonne des noch jungen Tages hüllt sie, eindringend durch das gegenüberliegende Fenster, plötzlich in eine gleißende Lichtdusche. Sie richtet sich auf und sieht in die Sonnenflut. Ihre blauen Augen scheinen zu brennen.

*

Malvoisin und Langeland biegen am Strandkasino auf die Promenade von Kellenhusen ein und gehen auf die Fischstube von Ueli Bäni und Lisa zu. Malles Schweizer Freund sitzt draußen. Lisa bedient drinnen einen der letzten Frühstücksgäste.

Ueli steht auf und begrüßt fröhlich die beiden, denen man nun die Abgespanntheit anmerkt.

„Hallo, gruezi miteinand. Schön, Euch auch mal etwas früher zu sehen.

„Moin, Fischbändiger.” Malvoisin und Fritz geben ihm die Hand.

„Nur, der Grund ist nicht so schön.” Malvoisin nimm mit einem verpustenden Seufzer auf der Bank Platz, Langeland spreizt die Beine und setzt sich quer hin.

„Ich hab’ schon gehört. Der Dorffunk ist schnell. Möchtet Ihr ‘was essen, und vielleicht ein Flensburger? Geht auf‘s Haus.”

„Du weißt doch, wir dürfen nichts umsonst nehmen. Wir können uns noch ‘rausreden, aber wenn ein profilierungssüchtiger junger Staatsanwalt seine moralisch-ethischen fünf Minuten hat, bist Du dran, Deine Konzession ist weg und Du gehst Alphornblasen. Wie oft soll ich Dir das noch sagen? Aber danke fürs Angebot. Gib mir bitte ein Fischbrötchen …”, er dreht sich um „… Du auch, Fritz?” Langeland nickt wortlos. „Also zwei Fischbrötchen und zwei Mineralwasser.”

„Lisa, hasch g’hört?”

„Kommt gleich!” schallt es aus der Küche zurück.

„Schlimme Sache das. Wir sind ein schönes Ostseebad. Bi ois sollet Gäschte sich erhole und nüt an de Füaß in de Bäume g’hängt werre, oder?” Ueli schüttelt nachdenklich den Kopf. Da kommt Lisa mit einem kleinen Tablett heraus.

„Guten Morgen, schöne Männer. Da, laßt es Euch schmecken.” Sie klopft Langeland auf die Schulter und geht wieder hinein.

Der beißt herzhaft in sein Fischbrötchen, Malvoisin setzt auch dazu an, als ihn eine ihm wohlbekannte, markant aufgeregte Stimme unterbricht und er im Zubeißenwollen wieder absetzt und das Gesicht verzieht.

„Herr Hauptkommissar! Was ist hier los? In meinem Wald hängen nackte Männer kopfüber in den Bäumen?”

Malvoisin legt sein Fischbrötchen wieder weg und steht auf.

„Guten Morgen, Frau Bürgermeisterin”, wobei er das jeweils sehr betont. Erst beim Orgasmus unterbrochen, Morgenkrähen und jetzt beim Fischbrötchen - es wird ihm langsam zuviel.

„Erstens ist es bislang Gottseidank lediglich eine Leiche, männlich in der Tat, und mehr kann ich Ihnen im Moment nicht sagen. Laufende Ermittlungen, Sie verstehen, und zweitens hat mein Staatsanwalt die ihm eigene Art daran festzuhalten, daß er zuerst über unsere Feststellungen informiert zu werden wünscht, und nicht irgendwelche Zivilisten, die zu lange Nasen haben.”

Die Bürgermeisterin pluustert sich auf, ringt nach Luft.

„Irgendwelche Zivilisten? Wer ist hier irgendwer? Als Gemeindeoberhaupt …”

„… haben Sie sicher sehr viel zu tun, und dem sollten Sie sich jetzt widmen, Verehrteste.”

Malvoisin klingt sehr bestimmt, die Bürgermeisterin ist wohltuend sprachlos, und er nutzt diesen raren Zustand.

„Fritz, zahl’ mal.”

„Immer ich.” Langeland mault.” „Steck’ Dir endlich selber eine Börse ein. Du schuldest mir noch drei Frühstücke.”

„Schick’ mir ‘nen Mahnbescheid.”

„Så jeg vil med Maren indlæg, det er hurtigere end med de fogeder.”

[„Da werde ich mit Maren reden, das geht schneller als mit dem Gerichtsvollzieher.“]

„Dänischer Gemütsmensch.”

„Moin, Frau Bürgermeisterin.” Die Gegrüßte sieht Malvoisin und Langeland entgeistert nach. Malvoisin dreht sich nach drei Schritten um und wendet sich der Stehengelassenen nochmals zu.

Ihr Wald?”, fragt er sie betont. „Der neue Seesteg war doch schon so teuer. Und dann noch der letzte schwere Sturm. Strand weg, neu aufschieben, Lady-Prom unterspült … diese bösen, bösen Extrakosten …! Woher hat die Gemeinde das Geld, den Eutiner Staatsforst zu kaufen? …”

Die Bürgermeisterin bringt kein Wort heraus, macht stumme Mundbewegungen wie ein Fisch auf dem Trockenen.

„Also nicht. Dachte ich mir’s doch. Na ja, die Kurtaxe auf 3,50 € zu erhöhen wäre auch nicht so gut. Da bleiben zu viele Gäste weg. Moin!”

Malvoisin dreht sich im Weggehen noch einmal um.

„Übrigens, hätten Sie den Seesteg von Brückenpionieren bauen lassen, wäre es bedeutend billiger geworden, und schneller wäre es auch gegangen. Sie erinnern sich an das Theater mit den genervten Gästen? Rammen in der Hauptsaison! Schlimmer Fehler.“

Er genießt einen Augenblick lang das verblüffte Gesicht der Bürgermeisterin.

„Äh ja, Moin!”

Malvoisin schließt zu Langeland auf. Der grinst.

„Wir hätten sie zur Leiche rufen sollen.”

„Warum?”

„Weißt Du noch, bei Malte Kröger, wie sie da mit aufgepluusterten Backen ankam und dann in Ohnmacht fiel?”

„Jou, Schweigen im Sand. Guter Zustand.”

Beide gehen grienend zurück zum Auto.

*

In einer Jugendstilvilla in Dahlem. Ein junger Mann, 26 Jahre alt, durchtrainiert, blendend aussehend, schwarze Haare, dunkelbraune Augen, glattrasiert, kommt, sich abtrocknend, aus dem Bad neben seinem Zimmer. Er hat eine große Zukunft vor sich, gekrönt von einem dichten schwarzen Pelz. Sein Blick schweift im Zimmer umher.

„Wo habe ich es denn nur wieder hingelegt?”

„Führst Du Selbstgespräche?”

Der Angesprochene wendet sich um, hält kurz inne, trocknet sich weiter ab.

„Hallo, Paps. Habe Dich gar nicht kommen hören.”

Der Blick eines grauhaarigen Mittfünfzigers ruht mit wohlgefälligem Lächeln auf dem jungen Mann.

„Jetzt kenne ich Euch schon 26 Jahre, und ich staune immer wieder, was für schöne Söhne ich habe.”

Der junge Mann wirft das Handtuch über einen Stuhl, geht zu seinem Vater und umarmt ihn lachend.

„Paps, Du bist ja eitel!”

„Nein, mein Junge. Ich bin einfach nur stolz auf Euch. Wenn nur Eure Mutter Euch noch so sehen könnte!” Der Grauhaarige strahlt.

Der junge Mann geht drei Schritte zurück und breitet die Arme aus.

„So nackt?”

„Sie hat Euch nackt geboren, Cornelius, wir haben Euch keine falsche Scham anerzogen - warum nicht?”

Cornelius schmunzelt, geht zu einem Kleiderschrank, holt sich frische Unterwäsche, ein weißes T-Shirt und eine kurze blaue Hose heraus und zieht sich an.

„Und was ist mit unserer schönen Schwester? Vergessen?” Cornelius zupft seinen Slip zurecht.

„Wie könnte ich meine Prinzessin vergessen, aber Du weißt doch, daß sie in Eutin wohnt, kommt ja nicht zurück, seit äh ...” Der Grauhaarige hat plötzlich einen traurigen Ausdruck in seinen Augen. Er will sich an den Grund nicht erinnern, räuspert sich, und sein ferner Blick ist wieder im Raum.

„Hat sich Dein Bruder aus Grömitz schon gemeldet?”

„Paps! Er ist doch gerade erst vor ein paar Tagen gefahren. Warum sollte er sich melden? Vielleicht hat er am Strand schon eine Schönheit im Schlepptau, da vergißt er doch alles.”

Sein Vater schaut nachdenklich, dann aber auch amüsiert. Magnus hat schon mit 15 als schnellster seiner Jungs am Strand oder wo auch immer neue Mädels kennengelernt und für sich eingenommen. „Vielleicht hast Du Recht, aber rufe ihn bitte trotzdem an und frage, ob er nicht eine Woche früher zurückkommen kann. Richter Rosslowski hat den Prozeß in Sachen Hartmann & Co. um eine Woche vorverlegt, weiß der Kuckuck warum, die Änderungsladung haben wir schon. Sei so gut. Vielleicht hat Dein Bruder sein Handy nicht abgeschaltet.”

 

„In Ordnung Paps, ich versuch’s gleich.”

„Ich bin dann in der Kanzlei.”

„Okay, bis nachher.”

Während sein Vater ihn verläßt, sucht der junge Mann weiter nach seinem Handy, das er schließlich unter einer Tageszeitung findet. Er tippt die Nummer seines Bruders ein und wartet.

Im Hotel „See-Deich” in Grömitz klingelt in einer Suite ein Handy. Niemand nimmt ab.

„Wenn er gescheit ist”, murmelt der junge Mann in der Villa in Dahlem, steckt sein Handy in die Tasche, zieht seine Sandalen an und geht.

*

Hanne von Bauwitz sitzt immer noch bass erstaunt vor der eidgenössischen Fischstube auf “ihrer” Promenade. Ueli wartet leise schmunzelnd auf die Detonation “seiner” Bürgermeisterin. Sie kocht.

„Brückenpioniere? Warum Brückenpioniere? Wir sind doch keine Militäranlage! Was denkt der sich eigentlich? Dieser vorlaute Mensch.”

Ueli lächelt, beugt sich zu ihr vor: „Wissen Sie, daß er als Kommandeur eines Brückenbaukommandos bei einem Wettkampf einen Trupp Schweizer Brückenbaupioniere geschlagen hat?”

Die Bürgermeisterin sieht ihn ungläubig an. Im Weggehen setzt Ueli nach: „Der Mann ist maximal!” Das maximal kommt dabei so heraus, als hätte er Halsschmerzen, aber das haben die Schweizer von Natur aus - sprachtechnisch, oder?

*

Im großen Garten des Privathauses des Kommissars von Malvoisin bahnt sich ein Streich an.

Karin und Tessa, seine Töchter, kommen aus der Terrassentür, bleiben stehen und sehen sich an. Die Mädels jetzt mittlerweile 16 und 17 Jahre alt. Sie tragen beide knappe Bikinis, die optisch nichts zu wünschen übrig lassen; sie haben unübersehbar die Schönheit ihrer Mutter geerbt. Tessas Körbchen haben sich sehr vorteilhaft gefüllt. Karin ist eine Sensation geworden.

„Sieh mal, unser hübscher Bruder will tatsächlich ganzkörperbraun werden”, stößt Karin ihre Schwester an.

„Ob wir ihn mal fragen, ob er eine neue Flamme hat”, meint Tessa daraufhin.

„Dann darf er sich aber keinen Sonnenbrand zulegen, schon gar nicht am Männerstolz!” Beide Mädchen lachen leise hinter vorgehaltener Hand.

„Hast Du die Sonnenmilch?” flüstert Tessa und sieht ihre Schwester an. „Ich habe mich schon vor einer halben Stunde eingecremt, Du nicht auch?”

„Doch, sicher, aber Christian braucht bestimmt noch etwas davon. Geh und hol mir mal die Flasche.”

Tessa geht ins Haus zurück, ist nach wenigen Augenblicken wieder da und reicht Karin das hellblaue Behältnis. „Was hast Du vor?”

„Das wirst Du gleich sehen. Komm, aber leise.”

Karin und Tessa lassen ihre Flipflops auf der Terrasse stehen und gehen barfuß über den Rasen. Christian liegt ausgestreckt, mit den Armen unter dem Kopf verschränkt auf einem der Liegestühle. Er hat die Augen geschlossen und zeigt ein feines Lächeln, als würde er an etwas besonders Schönes denken. Sein Stolz liegt ruhend auf seinem flachen Bauch, reicht fast bis zum Nabel.

Tessa bleibt hinter dem Liegestuhl stehen, Karin tritt so von der Seite heran, damit sie keinen Schatten wirft. Christian bemerkt nichts. Karin öffnet den Verschluß der Flasche beugt sich vor, sieht grienend zu Tessa hin, nimmt mit einem Blick auf den Schoß ihres Bruders Maß - und drückt über Christians gesamte Penislänge eine dicke Linie kühle Sonnenmilch heraus. Als er die Augen öffnet erschrickt sie und drückt fest zu: Ein Schwall weißer Creme klatscht auf ihres Bruders Besten.

„Was? Was ist?” Christian öffnet die Augen, sieht sich um, bemerkt die lachende Karin, sieht an sich herab und schimpft los:

„Was soll das denn? Karin, Du dumme Henne, was fällt Dir denn ein?” Er springt auf, die Sonnenmilch folgt der Schwerkraft und tropft herab.

Beide Mädchen können sich nicht mehr halten und brechen in eine Mischung aus Kreischen und Lachen aus, während Christian sich wutschnaubend abwischt, die Creme auf seinen Bauch schmiert und seinen Schwestern böse Blicke zuwirft.

„Wir dachten, Deine Neue steht vielleicht nicht auf Bratwurst.” Karin kann gar nicht glauben, daß sie das gesagt hat und sieht Tessa an. Die Mädchen biegen sich vor Lachen, daß ihnen die Tränen kommen.

„Ihr blöden Weiber.”

Während seine Schwestern sich über den gelungenen Streich weiter schier ausschütten, entdeckt Christian eine Möglichkeit, es ihnen heimzuzahlen. Karin und Tessa sind vom eigenen Gelächter so abgelenkt, daß sie nicht bemerken, was Christian vorhat. Er nimmt den Gartenschlauch in die Hand, dreht den Wasserhahn auf, hebt erst kurz vor ihnen den Schlauch an - Volltreffer. Die Mädchen kreischen auf, versuchen, dem Wasserstrahl zu entkommen, der ihnen gnadenlos folgt, und mit ihm Christian; das Lachen ist nun an ihm. Am geschlossenen Gartentor machen sie kurz halt, bleiben kreischend stehen, drehen Christian ihre Rücken zu, während sie das Törchen öffnen und auf die Straße flüchten, er aber immer weiter draufhält. Christian denkt im Eifer seiner nassen Revanche nicht daran, daß er nur Haut trägt und von der Nachbarschaft gesehen werden kann.

Und er wird gesehen. Die achtzehnjährige Christiana von gegenüber hört das Gekreische und sieht von ihrer Gartenarbeit auf.

„Hhm, Christian wird auch immer hübscher.” Ihre Augen glänzen. Auf ihre Hacke aufgestützt verfolgt sie die Szene. Sie seufzt leise vor sich hin. „Er sieht ja so scharf aus.” Daß er seine Schwestern abduscht, amüsiert sie - und sie lächelt. Bei Malvoisins ist immer etwas los.

Sie hat keine Geschwister und beneidet Karin und Tessa um ihren Bruder, aber schwesterliches Interesse hat sie an ihm nicht. Seit sie ihn einmal morgens beim Nacktschwimmen sah, was er nicht bemerkt hatte, träumt sie von ihm. Vor den Ferien hat sie ihren fremdgehenden Freund “abgeschossen” und wäre frei für ihn, aber er sieht sie nicht. Mehr als „Hi!” oder „Moin, Chris” kommt von ihm nicht, aber sein Lächeln dabei verschafft ihr stets einen Kloß im Hals. So sieht sie ihn meist nur wortlos an. Was sie nicht weiß, ist, daß Christian sie ganz nett findet, sich aber über ihre Wortlosigkeit wundert und für etwas eigenbrötlerisch hält. Dabei ist sie sehr hübsch und wird sicher einmal eine schöne Frau sein. Sie ist seiner unwillkürlichen Schätzung nach um die 1,70 m groß, hat eine schöne, schlanke Figur, was ihm im Lensahner Waldschwimmbad bei der Aufsicht durchaus aufgefallen war, und ihre etwa 56 Kilogramm kamen in dem süßen Bikini sehr wohl zur Geltung, aber was Christian nicht bemerkt hatte: er stand auf der Leitung. Na ja, Biene war noch da und Christianas Freund Sven kannte er vom Gymnasium.

So waren alle Schalter von Aufmerksamkeit auf Desinteresse umgelegt. Hätte man ihn nach ihrer Augenfarbe gefragt, er hätte es nicht gewußt. Sie hingegen konnte seine braunen Augen nicht vergessen.

„Heute Blumengießen mal anders?”

Christian dreht sich der ihm wohlbekannten Stimme zu - und mit ihm der Wasserstrahl.

„Hej, ich hab’ schon geduscht.” Jan springt zur Seite. Jetzt erst hält Christian den Schlauch gegen den Rasen, als er sieht, daß sein Freund Jan gewässert vor ihm steht.

„Oh, Tschuldigung“, lacht er auf, „Du warst nicht gemeint. Das galt diesen vorlauten Kreischliesen.” Er zeigt mit dem Schlauch auf die Mädchen, die, auf der Straßenmitte stehend, sich dem Besucher gerade nähern - und wieder “gelöscht” werden.

„Christian, es reicht” schreit Karin ihn an. Es genügt ihr. „So schlimm waren wir auch nicht”, mault Tessa und streicht sich das Wasser vom Körper.

„Schlimm? Wobei?” Jan sieht die Drei fragend an. „Nicht so wichtig”, wehrt Christian ab, der ungeschickterweise mit dem Schlauch wieder auf Jan deutet, der zu spät zur Seite springt und nun vollends naß ist.

„Eh, Du, ich bin groß genug. Mich mußt Du nicht mehr gießen.” Jetzt erst wirft Christian den Schlauch hinter sich, der sich auf dem Rasen wie eine Schlange hin und her windet.

Jan sieht die Schwestern an, die nun wieder den Garten betreten und das Törchen schließen, und kann sich ein breites Schmunzeln nicht verkneifen. „Hhmm, schön, neue Bikinis. War wohl die Einweihung?”

„Immerhin, Jan bemerkt es wenigstens”, sagt Karin, während sie ihre nassen Haare ausdrückt. „Unser Brüderchen hat bei uns für so etwas keinen Blick”, schickt Tessa spitz hinterher und schüttelt ihre Haare aus.