Diez Hermanas

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Diez Hermanas
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DIEZ HERMANAS

Das Jetzt ist nicht genug!

Ein Roman von Georg Vetten

_________________________

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Originalausgabe: 2014

Georg Vetten: ‚Diez Hermanas - Das Jetzt ist nicht genug‘©

2014 Edition Octupus im Verlagshaus

Monsenstein Vannerdat OHG Münster. www.edition-octupus.de

Druck: MV-Verlag

© Georg Vetten

Überarbeitete Ausgaben: Juli 2019 epubli

Layout und Satz: Georg Vetten

Umschlaggestaltung: Marc van der Ploeg, www.vdp-design.de

© Shutterstock

Autorenfoto: Elke Vetten

Autor und Verlag haben dieses Buch sorgfältig geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Autor schriftlich genehmigt werden!

Dieser Roman ist rein fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht gewollt!

Diez Hermanas und die Gejagten

Sibel (24) Krankenschwester im Royal Nurse Hospital (London) ist Verschwörungs-Theoretikerin. Seit vielen Jahren klopft sie weltweite Nachrichten nach Ungereimtheiten und auf Manipulation ab. Einschneidende Erlebnisse in ihrer Vergangenheit haben sie in diesen fast krankhaften Wahn getrieben. Als es in der Klinik zu krimineller Gehirnmanipulation mithilfe von Lobotomie kommt, stellt Sibel Zusammenhänge mit einem Matriarchat her. Kommt Sibel der Wahrheit eine Spur zu nahe?

Adriana, eine vermögende 28-Jährige Griechin, die es aufgrund ihrer entführten Zwillinge nach London verschlägt, lernt dort die beiden 22-Jährigen Musiker Mikel und Steve kennen. Adrianas Onkel Sirius (Chef des griechischen National Intelligence Service) liefert schließlich den entscheidenden Tipp: Die Opfer wurden nach Südamerika verschleppt. Gemeinsam besteigen Adriana, Mikel und Steve die nächste Maschine nach Bolivien …

„Diez Hermanas“ fußt auf dem Roman

„Vici – Auf der Flucht“

„Vici – Auf der Flucht“, Roman Georg Vetten, epubli 2016

INHALT

Seiten 1 - 4 .……..…….......Prolog

Seiten 5 - 150 .…………..Erster Teil

Entführung

Seiten 151 - 394 …………Zweiter Teil

Entlarvung

Seiten 395 - 536 ……..……Dritter Teil

Kampf

Seiten 537 - 547 ……..…….….Epilog

Seiten 548 - 562 ….Veröffentlichungen

Georg Vetten

Hauptrollen

Sibel (24), Krankenpflegerin aus London

Adriana (34), Mutter von Damian und Penelope (5) aus Thessaloniki/Griechenland

Mikel (22), Musiker aus London

Steve (22), Musiker aus London

Liz (25), Krankenpflegerin aus London/Durán

Aira (21), Zustras Tochter und Anführerin Diez Hermanas*

Nebenrollen

Sondre (30), Norweger, Assistenzarzt aus Durán

Tamira (27), IT-Expertin aus Osomo (Diez Hermanas)

Bobby Wood (42), Pressesprecher des US-Präsidenten

*Die Spitzen der Diez Hermanas

Katla (Rumänin), Airas rechte Hand

Hassan (Türke), einer von Airas Bodyguards

P-DH (Amerikanerin), organisierte Kriminalität weltpolitische- und Drogengeschäfte

S-DH (Spanierin), Satellitentechnik, Spionage und

Raumfahrt

F-DH (Französin), Finanzgeschäfte (Banken, Börsen)

PR-DH (Engländerin), Kommunikation

PM-DH (Deutsche), Pharma, Medizin

O-DH (Chinesin), Medizin

Army-DH (Russin), Militär

Weitere Rollen

Paul (58), Krankenpfleger aus London

Löwenherz (54), Patient im B.R. Hospital, London

Vici (44), Sibels Mutter, Lebenskünstlerin aus Köln

Winni (53), Dachdecker aus Köln

Onkel Sirius (54), Grieche, Chef des I.S.N. (N.I.S.)

Dimitrie (38), Bodenpersonal Flughafen Farnborough

Fabrice, (29), Kolumbien, Bogotá, Flughafenpersonal

Dr. Arguedas (38), Bolivien/La Paz, Klinikum Arci Iris

Pinar (34), Besitzerin des Hotel Tucán, Guayaquil

Benita (23), Angestellte im Hotel Tucán, Guayaquil

Der Pockennarbige (50), Waffenhändler, Guayaquil

Urcu (49), Maskenbildner, Ecuador/Bambahoyo

Raphael Namba (45), Passfälscher, Ecuador/Quito

Manuel (48) und Maria (44), Plantagenverwalter aus Piojo

Jefferey (55), Kanadier, Sibels Vater und Lebenskünstler

Fernanda (4), Vicis Tochter, Sibels Schwester

Täglich geschehen Dinge zwischen Himmel und Erde, für die wir keine Erklärung haben!

Wir wissen längst nicht alles, was in unserer globalen Welt vor sich geht!

VORBLENDE

21.5.2011, Ecuador, Guayaquil,

Avenida Victor, Hotel Tucán:

Sein Herz pocht.

Ihm ist übel.

Sein Kopf liegt in ihrem Schoß.

PROLOG

2010 - 17.Mai, 14:30

Barentsee bei Spitzbergen,

Pechenga, Insel Edgeöya,

Szene 1

Innenaufnahme: Das Zimmer ist abgedunkelt. Die deckenhohen Fenster sind mit schweren Samtvorhängen zugezogen. Inmitten des Raumes thront ein in die Jahre gekommenes Himmelbett, flankiert von zwei Kerzenleuchtern. Das Licht im Raum ist diffus.

Zustra stöhnte auf. Ihr Atem war in den letzten Stunden zu einem leisen, pfeifenden Rascheln geworden. Der Tod pochte nun laut und anhaltend gegen das Tor.

Ihre Augen lagen trüb und milchig in eingefallenen Augenhöhlen, tiefen, verfaulten Löchern gleich. Ihre Gesichtszüge waren auf groteske Art entstellt – ausgemergelt, ausgelaugt und hohlwangig, Zeichen des Kampfes gegen den Schmerz. Ihre Haut glich verblichenem Pergament. Mit ihren aufgeplatzten Lippen, die sich in die ausgetrocknete Mundhöhle über ihr zahnloses Zahnfleisch stülpten, glich sie einer Mumie. Sie wog 70 Pfund. Ein stechender Geruch nach innerer Verwesung - dem Gestank eines vergessenen Eimers Muscheln gleich - hing in der Luft des abgedunkelten Schlafgemachs. Die einst mächtigste Frau der Welt war zu einer Erscheinung aus verdörrter Haut, klapprigen Knochen und verfaultem Fleisch verkommen.

 

Dabei verkörperte sie noch vor wenigen Jahren die Inkarnation der Femme fatale:

Rassig und wohl proportioniert. Wallendes, feuerrotes Haar, hoch angesetzte Wangenknochen und perlende Lippen voller Sinnlichkeit, betörten und weckten Fleischeslust. Das Grün ihrer Augen glich dem eines kristallklaren Bergsees.

Ihre Widersacher gingen reihenweise vor ihr in die Knie. Ihr Matriarchat führte sie mit aller Brutalität. Sie bediente sich eines gut ausgebauten Netzwerks. Ihr Einfluss auf große Teile der geistigen Führer, auf Politik und Finanzwelt war gewichtig. Stündlich wurden irgendwo auf dem Erdball die Riten und geheimen Zusammenkünfte des verbotenen Matriarchats zelebriert. Täglich beklagte die Welt unschuldige Opfer. Stündlich vergrößerte die Sekte Yzuhawa ihre Macht.

Zustras Atem ging röchelnd und ihre vertrocknete, knorrige Hand schien zu rascheln, als sie eine gebieterische Geste andeutete.

Obwohl sie weltweit unzählige Güter, Ranches, Prachtvillen und Tempel besaß, hatte sie sich inmitten der Barentsee bei Spitzbergen in ihren alten Palast auf der Insel Edgeöya zurückgezogen.

Die Stadt Pechenga war ihre Wagenburg, ihr geheimes Zentrum.

Der Geheimbund: In Lappland hatte damals alles begonnen. Ihre ersten Schülerinnen scharte Zustras Großmutter 1870 auf norwegischem, schwedischem und russischem Gebiet um sich. Zustras Mutter zweckentfremdete Anfang des 20. Jahrhunderts die ursprüngliche Ausrichtung des Matriarchats und legte den Boden für Yzuhawa. Anfang der 50er Jahre übertrug man der damals erst 17-Jährigen Zustra die Macht. Mithilfe ihrer brutalen Anhänger stieg die Hexe, wie sie manche nannten, schnell zur mächtigsten Frau der Welt auf.

Aira schaute auf. Ihre Mutter machte die letzten Atemzüge. Die Zwanzigjährige, einem blonden Engel gleichend, hielt ein mit Lavendel getränktes Tuch vor Mund und Nase, als sie sich zu Zustra hinab beugte. Aira versprühte die gleiche weibliche Aura, die ihre Mutter jahrzehntelang verkörperte. Doch im Unterschied zu Zustra, glänzte Airas hüftlanges Haar blond, hellblond, fast weiß. Ihren weichen, ebenmäßigen Gesichtszügen fehlte der slawische Einschlag der Mutter. Lediglich der Glanz ihrer grünen Augen und der sinnliche Schwung ihrer Lippen erinnerten daran, dass es sich bei beiden um Mutter und Tochter handeln musste.

»Du wirst mein Werk fortsetzen«, hauchte Zustra mit allerletzter Kraft.

Aus der Ferne drang das Herannahen eines Hubschraubers an Airas Ohren. Die schweren Vorhänge bewegten sich sanft im aufkommenden Wind. Ein nervöser Sonnenstrahl blitzte unruhig durch den Schlitz des grünen Samtvorhangs und reflektierte sich in Airas silbernen Ohrringen.

»Du weißt, was zu tun ist.«

Aira nickte. Tränen traten ihr in Augen.

»Ja, Mutter«, antwortete sie jedoch mit klarer, fester Stimme und drückte dabei ihre Hand.

Einen Wimpernschlag später röchelte Zustra ihren letzten Atemzug.

»Jetzt beherrsche ich die Welt«, murmelte Aira und steckte das Schlafgemach in Brand. Sie warf einen letzten Blick auf die brennende Leiche ihrer Mutter und verließ mit dem wartenden Apache-Hubschrauber wenige Minuten später die Insel Edgeöya.

ERSTER TEIL

ENTFÜHRUNG

London - Boston - Istanbul - Köln

Ecuador/Guayaquil

2005 - 10.2., 13:30

Neuseeland,

Coromandel/Peninsula,

Mercuray Bay

Szene 2 - Rückblende

Außenaufnahme: Supermarktparkplatz. Spärlich besucht. Flirrende Mittagshitze. Gleißendes Licht. Weder Bäume, noch Schatten. Dosenmüll und die Scherben zerborstener Glasflaschen reflektieren eine nervös zuckende Sonne. Drei verwilderte Hunde streunen um einen Abfallcontainer. Eine junge Frau in Shorts und T-Shirt bekleidet (langes, schwarzes Haar) schleppt schwere Plastiktüten. Ein etwa 40-Jähriger Mann, in Latzhosen (ungepflegtes Äußeres) mustert sie und grinst verschlagen, während er umständlich die Fahrertür seines Dodge Dakota Pickups öffnet. Eine Kassiererin mit ungesunder Hautfarbe tritt durch die Tür des Supermarktes auf den Hof und zündet sich eine Zigarette an. Sie winkt dem Mann zu und schüttelt verächtlich den Kopf, als die junge Frau unweit des Pickups den Kofferraum ihres roten Toyota Corolla öffnet.

Die Explosion war ohrenbetäubend. Sibel schaute sich Hilfe suchend um. Ihr Herz schlug schnell. Irgendwo hinter den Dünen, dort wo sich ihre Forschungsstation befand, musste sich die Detonation ereignet haben.

Sibel hetzte um den Wagen und verließ wenige Augenblicke später mit quietschenden Reifen den Parkplatz des Supermarktes.

Was verdammt noch mal ist passiert?, fragte sie sich besorgt. Hoffentlich hat diese Explosion nichts mit der Klinik zu tun, murmelte sie. Sibel strich die verschwitzten Strähnen ihres langen, schwarzen Haares hinter die Ohren. Hoffentlich ist mit Jan alles okay!

Sibel biss nervös auf ihre Unterlippe. Sie liebte ihn – noch immer und trotz allem! Doch dann fiel ihr ein, dass Jan bereits am frühen Morgen mit dem Rettungsboot aufs Meer hinaus gefahren war. Alles okay, lächelte sie und schaltete den jaulenden Toyota einen Gang höher.

2010 - 25.6., 21:00

Türkei

Istanbul, Beşiktaş

Yeniyol Straße

Szene 3 – fünf Jahre später

Die Zerschlagung der Macht!

Innenaufnahme: Neonlicht-Atmosphäre. Steriler Tagungsraum einer 5-Sterne plus Hotelkette. Blank geputzte Mahagonitischplatten. Technische Einrichtung: Beamer, Soundsystem, Klimaanlage. Drei Palmen, der geografischen Lage entsprechend drapiert, verlieren sich im 500 Quadratmeter großen Saal. Die boden- und deckenhohen Fenster sind durch blaue Rollos abgedunkelt. Deckenstrahler werfen ein diffuses Licht. Auf den Tischen sind Obst, Wasser und Kanapees eingedeckt.

Aira hatte es sich nicht leicht gemacht. Ihre eiskalten Gedankengänge hatten schlaflose Nächte zur Folge. Doch die Entscheidung, die es zu treffen galt, lag auf der Hand.

Heute hatte sie die Spitze, die Henker, Mörder und Helfershelfer ihrer Mutter zusammengetrommelt.

Es galt, sich neu zu positionieren und die Rollen zu festigen. Schließlich war das Matriarchat Yzuhawa unter ihrer Mutter Zustra zu einer wirtschaftlichen Macht herangewachsen, die es zu schützen galt – so dachten jedenfalls die meisten, der hier anwesenden Sektenmitglieder. Doch Aira hegte andere Pläne. Sie wollte mehr. Die Weltherrschaft ist das erklärte Ziel. Mit diesen Worten hatte sie sich in den letzten Wochen immer wieder gepusht. Aira wusste, dass sie nicht nur Befürworter in den eigenen Reihen hatte. Ja, nach dem Tod ihrer Mutter war es nicht auszuschließen, dass sich gefährliche Strömungen innerhalb des Matriarchats gegen sie formierten. Ihr war zu Ohren gekommen, dass so manche sie für ein verwöhntes, dummes Blondchen hielten, das bei nächstbester Gelegenheit abserviert werden solle. Doch all dem hatte Aira vorgebaut und mit der planerischen Sicherheit ihrer Mutter einen eigenen Stab zusammengestellt. Das weltweite Netzwerk steht, flüsterte sie leise. Hab keine Angst. Tu es!

Sie begrüßte die Teilnehmerinnen und erläuterte die wichtigsten Tagungspunkte.

Es war einfach gewesen, fast zu simpel: Airas rechte Hand Katla hatte den Saal betreten und unter dem Vorwand, ein wichtiges Telefonat gebiete keinen Aufschub, Aira für einen kurzen Moment entschuldigt.

Sekunden später wurden sämtliche Saaltüren verriegelt. Massive Rollläden senkten sich vor die Fensterfront.

Szene 4

Außenaufnahme: Schwarze Nacht. Vorder- und Hintergrund werden durch grelle Flutlichtmasten ausgeleuchtet. 21:35 Uhr: Aira bändigt ihr wehendes, blondes Haar und steckt es unter eine schwarze Wollmütze. Ihre Kleider flattern unter den Propellern des Hubschraubers. Sie spricht in ein Walkie-Talkie: „Jetzt!“

Szene 5

Innenaufnahme: 21:36 Uhr! Kellerraum des Hotels. Steril. Die Neonbeleuchtung wirft ein kaltes Licht auf die Szenerie. Katla (kurz geschorenes schwarzes Haar, Nazischeitel, 1,95 Meter groß, bleich, muskelbepackt und mit weit auseinanderstehenden, grauen Augen) betätigt mit einem Knopfdruck die Umleitung der Gasdruckbehälter in die Klimaanlage des Hotels. Sie grinst zufrieden, als sie wenige Augenblicke später die Tür hinter sich zuschmeißt. Schnellen Schrittes ergreift sie die Flucht.

Szene 6

Innenaufnahme: 21:40 Uhr! Tagungsraum. Verzweifelte Menschen versuchen dem Saal, der den sicheren Tod für sie bedeutet, zu entfliehen. Der Erstickungstod ist grausam. Blut und Schaum treten den Sterbenden aus Mund-, Nasen- und Augenhöhlen.

Mit dem Abheben des Hubschraubers bricht eine neue Zeitrechnung an. Aira betätigt den Fernzünder. Sekunden später explodiert der Hotelkomplex in einem infernalischen Feuerball.

2011 - 15. 3., 10:25

Neun Monate später

Großbritannien

London, Kensington

Stratford Road

Szene 7

Innenaufnahme: Spärlich eingerichtetes Wohnzimmer. Durch verstaubte Jalousien dringen kalte Sonnenstrahlen. Auf einem chinesisch anmutenden Sideboard thront ein großer Flachbildschirm. Auf dem Boden und an den Wänden stapeln sich Bücher, Landkarten und in willkürlichen Farben beschriftete Aktenordner. Mittendrin eine weiße Schlafcouch mit bunten Kissen drapiert. Ein schwarzer Haarschopf schaut unter einer karamellfarbenen Wolldecke hervor. Die zweiflügeligen Türen des alten Kleiderschrankes stehen offen. Davor befinden sich wahllos verstreut T-Shirts, Hosen und Röcke. Die winzige Küchenzeile hingegen wirkt aufgeräumt. Lediglich drei schmutzige Weingläser und eine zur Neige getrunkene Rotweinflasche stören das Bild der Ordnung. Die Appartementtür ist mit sieben Ketten verriegelt.

Schweißgebadet war Sibel auf ihrer Schlafcouch erwacht. Der Straßenlärm drang an ihre Ohren. Zum wiederholten Male war sie nun von diesem Albtraum aus dem Schlaf gerissen worden.

Sie schaute auf den Wecker: 10:25 Uhr. Sie schloss noch einmal für einen kurzen Moment die Lider. Doch Augenblicke später erschienen sie wieder, die Bilder der Explosion!

Als sie das Schildkrötenhospital erreichte, die damals größte Einrichtung Neuseelands zur Rettung verletzter Meeresschildkröten, brannten die Nebengebäude bereits lichterloh.

Etwa zweihundert Meter vom Strand entfernt kreuzte das Rettungsboot. Von weitem glaubte Sibel Jan, zu erkennen. Hatte er ihr zugewunken? Wollte er ihr etwas mitteilen?

Zu spät! Augenblicke später explodierte das Boot mit ohrenbetäubendem Getöse. Zerfetzte Bootsteile und menschliche Gliedmaßen flogen in hohem Bogen auf den heißen Sandstrand. Als Sibel über Jans Turnschuh stolperte, in dem dessen abgerissener Unterschenkel steckte, war sie ohnmächtig zusammengebrochen.

Die Tragödie hatte die Behörden in den kommenden Wochen und Monaten in Atem gehalten. Doch zu einer Aufklärung kam es nie. Nur eine Person schien davon überzeugt zu sein, die Hintermänner des feigen Anschlags zu kennen: Sibels Mutter Vici. Niemand schenkte ihr Gehör, als sie das Matriarchat Zustras für den feigen Anschlag verantwortlich machte. Doch Vici weihte ihre Tochter in die Machenschaften der Sekte Yzuhawa ein. Sie erzählte ihr von ihrer eigenen Jugend und ihrer Flucht vor dem Matriarchat im Alter von 15 Jahren*. „Vici – Auf der Flucht“, Roman Georg Vetten, epubli 2016

 

Dieser spezielle Geheimbund ist in Frauenhand. Ich war damals eine Schülerin Zustras und bin geflohen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie nach wie vor auf der Suche nach mir sind, hatte sie geflüstert.

Sie sprach von Geheimbünden – die der Katholiken, der Moslems, der Mafia, IRA, RAF, Klu Klux Klan und Al-Quida. Ihre Worte klangen Sibel noch immer im Ohr: Es gibt Hunderte von Organisationen, die im Untergrund arbeiten, um die Macht für ihre Ziele zu missbrauchen. Doch das Matriarchat Zustras, Yzuhawa, ist das Schlimmste und Brutalste!!!

Was sind schon ein paar Umweltaktivisten, wenn es um die Ausbeutung von Ölvorkommen vor unseren Küsten geht, hatte ihre Mutter damals die Ermittler mit verächtlicher Miene provoziert. Sie hatte die Aufklärungsarbeit der Institutionen offen kritisiert und sich damit keine Freunde gemacht.

Eines Abends hatte sie schließlich beschlossen: Wir verschwinden! Die stecken hier alle unter einer Decke!

Sibel war dem Ratschlag ihrer Mutter gefolgt. Beide verließen Neuseeland mit Ziel Europa. Sibel, damals 18 Jahre alt, verlor von heute auf morgen ihre Heimat. Zunächst kamen sie bei Bekannten in London unter. Ein Jahr später zog es ihre rastlose Ma schließlich nach Deutschland. Du stehst schon lange auf dem Nestrand und flatterst mit den Flügeln, hatte sie gemurmelt. Du kommst alleine klar, Sibel!

Ab und an telefonierten sie, und wenn es die finanziellen Möglichkeiten erlaubten, besuchte Vici ihre Tochter zwei Mal pro Jahr. Vor vier Jahren dann die unglaubliche Nachricht: Ihre Mutter hatte sich noch einmal verliebt und brachte wenig später die kleine Fernanda zur Welt. Mit einmal hatte Sibel eine Schwester. Bei dem Gedanken an die Kleine, die ihrer Mutter und damit auch ihr so ähnelte, huschte ein Lächeln über ihre Lippen.

Sibel erhob sich. Sie fühlte sich gerädert, öffnete die schwere Tür des roten Kühlschranks und nahm einen ausgiebigen Schluck aus der Milchtüte, bevor sie sich mit schweren Schritten ins Bad des Einzimmer-Appartements schleppte. Ein Blick in den Spiegel genügte: Wer mit Jungs feiert, darf sich am nächsten Morgen nicht beschweren! Sie grinste ihrem Spiegelbild bemitleidend zu: Hmmm und was will dieser Steve von dir? Papperlapapp, ich finde nie mehr einen Mann, brummte sie halblaut. Doch ich kann auch nicht bis zu meinem Lebensende trauern, flüsterte sie, während sie die Wimpern tuschte. Mikel jedoch, der hat was. Sibels Laune hob sich beim bloßen Gedanken an den dunkelblond gelockten Sänger. Er hat ein nettes Lächeln, dachte sie.

Vor fünf Wochen war sie mit ihrer Freundin Liz durch die angesagtesten Live-Klubs in Londons East End gezogen. Schließlich waren sie im 'Drop Club' gelandet. Die Band auf der Bühne spielte eine Mischung aus Trash, Ska und Rock'n'Roll-Punk.

Sie haben ein Auge auf uns geworfen, hatte ihr Liz nach einer Weile ins Ohr geflüstert. Die Jungs hatten die Stimmung aufgeheizt und verließen erst nach einem zweistündigen Programm die Bühne.

Sibel und Liz hatten sich anschließend noch auf einen Drink an der Bar niedergelassen. Und siehe da, Liz hatte den richtigen Riecher. Denn keine fünf Minuten später ließ sich der Drummer mit einem vernehmlichen Grunzen auf dem freien Barhocker nieder. Was folgte, war die übliche Anmache:

Hi, ich bin Steve. Und ich wette, ihr vertragt noch einen Gin Tonic und seid ganz heiß darauf, uns kennenzulernen. Das da ist übrigens Mikel. Habt ihr schon mal solch einen verrückten Sänger und Gitarristen gesehen? Wir sind übrigens keine Brüder, auch wenn es den Anschein machen sollte.

Sibel lächelte unwillkürlich, als sie an die Situation zurückdachte: Brüder? Unmöglich! Beide wiesen mit ihren 1,85 Metern Größe zwar Gardemaß aus, doch optisch unterschieden sie sich wie Ying und Yang. Steve, der Drummer, trug sein pechschwarzes Haar im Johnny-Rotton-Stil. Seine Gesichtszüge waren scharf gezeichnet: kantiges Kinn, drei Tage Bart. Die Hakennase war ein wenig zu groß geraten, die Lippen schmal, die Augen braun und ausdrucksstark. Alles in allem wirkte er ein wenig abgerockt. Dass er jedoch durchaus eitel war, verrieten seine blank geputzten ´Sacho´-Stiefeletten ´Oregon´. Er trug eine abgewetzte, schwarze Röhre von `True Religion´ – und die dazu passende Motorradlederjacke, in Schwarz.

Mikel, der Sänger, wirkte hingegen wie ein großer Junge. Der Bartwuchs auf den Wangen erinnerte an feinen Flaum. Seine naturblonden Locken bändigte er mit einem kleinen Zopf. Unmittelbar ins Auge fiel sein Grübchen im Kinn und das Muttermal, das darüber zu wachen schien. Seine graublauen Augen strahlten ausdrucksstark. Und auch sein Schlabberlook verriet Geschmack, wenn auch einen ganz anderen, als der von Steve. Er trug ´Doc Martens´, Baggy Jeans von ´Cipo & Baxx´ und dazu ein einfaches, weißes T-Shirt – unbedruckt!

Was soll's, hatte Liz an besagtem Abend geflüstert. Sind doch ganz süß, diese kleinen Machos. Schätze sie auf Anfang zwanzig. Liz hatte atemberaubend ausgesehen. Hey du siehst aus wie Sharon Stone in 'Basic Instincts', hatte Steve gelacht und ihr dabei zugeprostet.

Ohne Scheiß, fast ne 1:1-Kopie! Merkwürdigerweise ließ er Liz dann recht bald, links liegen.

Der hat nur noch Augen für dich, hatte Liz geflüstert.

Sie waren zum Fridge weitergezogen. Die Stimmung war ausgelassen. Sie ließen sich anstecken und schmissen sich in die Arme der Nacht: Cooler Klub, heiße Klubsounds, cooles Publikum und coole Drinks – es schneite, mitten im April.

Steve:

Die beiden auf der Tanzfläche! Wow! Ich konnte meine Augen kaum von Sibel losreißen. Ich hatte schon immer eine Schwäche für braun gebrannte, mediterrane Schönheiten. Ihr bauchfreies Top enthüllte einen definierten flachen Bauch. Sie ließ die Hüften kreisen und warf ihre Arme in die Luft. Ihr Bautanz brachte mein Blut in Wallung. Auf ihrem rechten Oberarm trug sie ein Tribal. Ein auffallender Leberfleck zeichnete sich unter ihrem linken Auge ab. Ich ahnte damals schon, dass ihre Anmut nicht rein mediterranen Ursprungs sein konnte. Ihr Teint war einen Tick zu dunkel für eine Griechin, Türkin, Spanier- oder Italienerin. Später sollte ich erfahren, dass die Roma-Wurzeln tief saßen.

Ihre Brüste hüpften im Takt des Sounds und ich stellte mir vor, wie sie sich unter mir bewegen würde. Perfekt, dachte ich. Da muss doch was gehen! Die legt es doch drauf an. Ließen sich ihre Blicke anders deuten?

Mikel:

Wer hätte das für möglich gehalten? Da zogen wir mit den heißesten Mädels der Stadt los. Liz tanzte Sibel von hinten an, legte eine Hand auf ihre Hüften und presste ihre Brüste an Sibels Rücken. Sie tanzten wie Schlangen – synchron. Steve hatte Recht. Liz wirkte wie eine Sharon Stone Kopie und war damit exakt der Typ Frau, der mich noch nie geflasht hatte. Sibel hingegen nahm meine Aufmerksamkeit gefangen. Eine geheimnisvolle Aura umgab sie. In unbeobachtet geglaubten Augenblicken, sah ich hin und wieder den Blues in ihren Augen aufflackern.

Oberflächlich betrachtet gab sie die Partymaus.

Liz:

Ich sah, dass die Jungs Bauklötze staunten, als wir uns auf der Tanzfläche amüsierten. Keine Ahnung, aber wir führten uns auf wie Lesben. Wir hatten unseren Spaß. Mikel erweckte den Eindruck eines großen, unbeholfenen Teddybären. Die Sorte Typ, der ewig braucht, bevor er zur Sache kommt. Genau der Typ Mann, mit dem ich wenig anfangen kann. Dieser Steve hingegen weckte meine Neugier. Ja, er hatte das gewisse Etwas: verwegen, draufgängerisch! Scharfe Gesichtszüge. Endlich mal einer, der die richtige Größe hat, dachte ich. Endlich mal einer auf Augenhöhe. Als Frau mit 1,82 Metern Größe hat man es nämlich nicht leicht. Er rieb seine Hakennase, lachte anzüglich und fuhr mit seiner kräftigen Hand über die harten Stoppeln seines Dreitagebartes. Ich konnte meine Finger kaum bei mir halten. Doch all mein Gegrapsche (ich kniff ihm sogar in den Hintern) hinterließ keinerlei Wirkung. Irgendwann schien er nur noch Augen für Sibel zu haben.

Sibel:

Ich spürte ihre Blicke auf meinem Körper. Doch alles in allem schienen die Jungs harmlos zu sein. Zumindest Mikel hätte niemals ohne ein Okay, eine Hand um meine Hüfte gelegt. Doch seine schüchterne Art gefiel mir. Er drehte das Glas unbeholfen zwischen seinen Händen und warf mir verstohlene Blicke zu. Steve schien der offensivere Typ zu sein. Ein wenig Macho. Weshalb also nicht ein bisschen Spaß haben, dachte ich bei mir. Der Klub war gut gefüllt und der DJ übertraf sich selbst. Habe selten so viel Spaß auf der Tanzfläche gehabt. Erst im Morgengrauen verabschiedeten wir uns voneinander.

Es gibt solche Begegnungen, hatte Liz gelallt. Bei uns Vieren stimmt einfach die Chemie. Okay, die Jungs sind zwei, drei, vier Jährchen jünger als wir, doch was soll das schon heißen? Mit Männern von solch stattlicher Größe können wir uns sehen lassen. Liz hatte Sibel kumpelhaft in die Seite gepufft und dabei verschwörerisch gelächelt.

Als Sibel gegen Morgen die Augen schloss, breitete sich ein breites Grinsen über ihre Lippen. Dieser Mikel, so cool er auf der Bühne auch performen mochte, so tollpatschig schien er im wahren Leben zu sein. Sibel hatte mitgezählt: Insgesamt hatte er sich zwei Mal den Kopf gestoßen, drei Mal Getränke vom Tresen gefegt und zwei Mal die Kippe verkehrt herum angezündet. Irgendwie süß murmelte sie, bevor sie einschlief.

Nach dieser Nacht hatten sie sich mehrere Male zu viert getroffen, einfach so. Tatsächlich hatten es die Jungs sogar fertiggebracht sie zum FC Arsenal mitzuschleppen. Mit denen macht selbst Fußball Spaß, hatte Liz vielsagend gelächelt.

Sibel vermisste ihre Freundin. Seit zwei Wochen war sie nun schon in Ecuador. 18 Monate wollte sie dort in unmittelbarer Nähe von Guayaquil verbringen, um medizinisch-pflegerische Hilfe beim Aufbau einer Großklinik zu leisten.

Sibels Kontakt zu Steve und Mikel war dennoch nicht abgerissen. Nach wie vor trafen sie sich zwei bis drei Mal pro Woche. Irgendwie schon verrückt, murmelte Sibel und warf einen kritischen Blick in den Spiegel. Sie hatte sich zwei Proben der Band in Brixton reingezogen, obwohl sie alles andere als ein Groupie war. Doch die Jungs mit ihrer kindlich naiven Power taten ihr zunehmend gut. „Du musst unter Leute“, hatte Liz nicht lockergelassen. „Dieser Job in der Klapse und deine fast krankhaften Recherchen nach der großen Verschwörung, machen dich am Ende noch ganz kirre!“ Sibel wusste, dass Liz Recht hatte. Und so ließ sie sich auf diese, für sie komplett neue Welt, mit einem Lächeln auf den Lippen ein.