Diez Hermanas

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2011

 - 16.3., 19:00



Großbritannien



London, Brixton



Headlam Road





Szene 8







Innenaufnahme: Schwache Lichtverhältnisse. Proberaum. Dunkler Keller. Einzige Lichtquelle ist eine Ampel, die ein Schlagzeug der Marke Pearl anstrahlt. Boden, Decke und Wände sind zum Schallschutz mit alten Teppichen abgehangen. In einer Ecke türmen sich leere Bier- und Weinflaschen. Ein Bass und zwei Gitarren liegen in ihren Koffern. Zwei Mikrofonständer stehen inmitten des Raumes. Das seichte Summen von Gitarren-, Bass- und Gesangsverstärkern erfüllt die rauchgeschwängerte Luft. Der Boden ist bedeckt mit Kabeln und bunten Effektgeräten, Fußpedale für Gitarren und Bass.



Die Probe ist beendet. Ein Joint kreist von Hand zu Hand. Am Wochenende steht ein wichtiger Gig in der ‚Academy‘ an. Steve und Mikel verabschieden die anderen Bandmitglieder mit ‚give me five‘, um in Ruhe die nächsten Promotionmaßnahmen zu bereden.






»

T

reffen wir uns heute mit ihr?« fragte Mikel, während er mit einem Einwegfeuerzeug eine Bierflasche öffnete.



»Mit wem?« Steve schaute verdutzt und fuhr mit beiden Händen durch seine verschwitzte Johnny-Rotton-Frisur.



»Jetzt tu nicht so, als wüsstest du nicht, über wen ich rede!«



»Sibel?« fragte Steve mit einem Griemeln, das von einem Ohr zum anderen reichte. »Ich dachte, ich treffe mich nachher alleine mit ihr. Wolltest du nicht noch an deinen Texten arbeiten?«



»Alleine? Du und Sibel?« fragte Mikel, warf einen betroffenen Blick ins Nichts des Raumes und nestelte dabei an seinem Zopf.



»Ja, Mann! Fahr mal deine Antennen aus. Ich habe das Gefühl, da geht was, zwischen ihr und mir!«



»Hmm ist mir entgangen«, murmelte Mikel, setzte das Bier ab, und begann einen Joint zu drehen.



»Hey könnte ich da die Augen verschließen? Sie ist ein mediterranes Rasseweib. Dieser Augenaufschlag, dieser Hüftschwung, dieser Arsch. Doch ein bisschen irre ist sie schon, oder? Was denkst du? Ich brauche deinen Rat, mein Freund. Soll ich die Finger von ihr lassen oder soll ich mein Glück versuchen?«



»Im Ernst, was willst du mit einer Vegetarierin anfangen, die sich mit Feminismus beschäftigt? Wenn du mich fragst, passt so ein schräger Vogel eher zu mir«, grinste Mikel.



Steve warf ihm einen überraschten Blick zu:



»So’n Quatsch. Feminismus! Wo hast du das denn aufgeschnappt?«



»Sie hat mit mir drüber geredet.«



»So etwas erzählt sie dir?« Steve rieb mit der Rechten nachdenklich über seine Hakennase. Mikel indes schloss die Augen und zog den Rauch tief durch seine Lungen, bevor er ihn ausstieß und weiterredete.



»Ich mag sie als Mensch, verstehst du? Sie ist eine Powerfrau. Doch dann hat sie auch wieder so etwas Zerbrechliches. Und wie sie mich manchmal anschaut. Diese Augen, tief und geheimnisvoll wie die Spiegelung abendlicher Sommersonnenstrahlen auf einem tiefblauen Bergsee.«



Steve hob erstaunt eine Augenbraue:



»Hey, komm runter von deiner Wolke.«



»Ohne Scheiß, wie geputzter Saphir, wie Aquamarin. Aber nicht kalt, sondern voller Wärme und Liebe! Weißt du, was ich meine? Dein Typ ist doch eher diese Liz, oder?«



»Hmmm«, antwortet Steve nachdenklich und zog dabei am Joint.



»Sind dir ihre dominanten Augenbrauen aufgefallen? Kräftig und schwarz wie die Nacht biegen sie sich zur Stirn, den Flügeln eines Schmetterlings gleich! Stolz, edel und erhaben.«



»Aha!« Steve räusperte sich. »Was hast du denn in den Joint gewickelt?«, schmunzelte er erstaunt.



»Sie ist voller Stolz und Schönheit. Klar, dass DU das nicht erkennst«, feixte Mikel. »Du gaffst ihr nur auf die Titten. Doch sind dir ihre ebenmäßigen Zähne, die blutroten Lippen und diese rosa Zungenspitze aufgefallen, die keck hervorschaut, wenn sie lacht. Und dann dieses Lächeln in ihren Mundwinkeln und Grübchen…«



»Alter, bevor deine Ausführungen die südlicheren Gefilde streifen, lass uns lieber über die Gestaltung der Flyer für die nächsten Gigs reden«, antwortet Steve und kratzte dabei nachdenklich seinen Dreitagebart.



»Und ist dir aufgefallen, wie sich ihre linke Oberlippe hochzieht und fast umstülpt, wenn sie ihr breites Grinsen aufsetzt. So etwas habe ich noch nie gesehen. Es wirkt so offen, so verführerisch, so herausfordernd und sexy. Sie ist ein klasse Mädchen. Das Schräge an ihr, rührt von inneren Verletzungen. Sie trägt tiefe Narben, das fühle ich. Sie berührt mich sehr.«



»Halt endlich die Klappe. Hättest du mir nicht von Anfang an sagen können, dass du spitz auf sie bist?«



»Und ist dir etwa entgangen, dass du gar nicht ihr Typ bist?«



»Schön wir haben noch nie ein Problem damit gehabt, wer welche Braut abschleppt«, gähnte Steve. »Und wir werden uns auch diesmal nicht wegen einer Frau in die Haare kriegen. Okay? Lass uns entspannt abwarten, in welche Richtung das Pendel ausschlägt«, grinste Steve und wechselte das Thema:



»Ach übrigens, ich habe Karten für das Spiel der Gunners gegen Manu besorgt.



»Geil, Alter!«





2011

- 5.1., 16:00 Griechenland



Pefka/Nähe Thessaloniki



Szene 9

– zwei Monate zuvor







Außenaufnahme: Schwache Lichtverhältnisse. Eine Frau Ende zwanzig, steigt die Treppenstufen zu einem bunt angemalten Gebäude empor. Es sind Kinderzeichnungen, die die Außenwände des Hauses zieren. In einem Fahrradständer stehen zehn Kinder- und drei Erwachsenfahrräder.







 A

driana hatte ein merkwürdiges Gefühl, als sie die Treppenstufen zum Kindergarten im Eiltempo nahm. Sie wusste, sie war spät dran. Sehr wahrscheinlich würde sie die Erzieherin auf Spätdienst mit einem langen Gesicht empfangen. Als sie die Eingangstür aufstieß, erfasste sie jedoch ein Schock. Ihre Knie wurden weich.

Penelope, Damian

 rief sie aufgeregt und rannte wie blind und Böses ahnend durch sämtliche Räume.

Mein Gott, wo sind sie? Wo sind meine Kinder?

Das fünfjährige Zwillingspaar konnte sich doch nicht so einfach, mir nichts dir nichts, in Luft aufgelöst haben. Hatte heute etwa der Ausflug zum Zoo auf dem Programm gestanden – hatten sie sich lediglich verspätet?



War in den Verkehrsnachrichten nicht die Meldung über einen zehn kilometerlangen Stau durchgesagt worden?

Bestimmt kommen sie gleich hereingestürmt und fallen mir laut lachend in die Arme!



Doch Adriana brauchte sich nur umzuschauen, um festzustellen, dass irgendetwas nicht stimmte. Ein heilloses Chaos aus umgeschmissenen Tischen und Stühlen, von der Wand gerissener Bilder und verstreuter Klamotten, tat sich vor ihr auf. Der Boden war übersät mit Lebensmittelresten des Frühstücks, zerbrochenen Tellern und zersplittertem Glas. Und dann fand sie die Wintermütze von Penelope und wenig später einen Schuh von Damian.

Mein Gott,

 entfuhr es ihr.









Szene 10







Rückblende/Einstellung 1



Außenaufnahme: Schwindendes Tageslicht. Eine verlassene Straße. Zwei Lastwagen der Marke Scania (Dreiachser) parken mit laufendem Motor vor einem Flachbau. Es ist ein Kindergarten.





 D

ie Türen öffnen sich. Eine gemischte Gruppe, Männer und Frauen, zehn an der Zahl und schwarz gekleidet, springen aus den Wagen und stürmen zeitgleich das Gebäude.











Szene 11





Rückblende/Einstellung 2





Innenaufnahme: Der Kindergarten ist erfüllt von lachenden und tobenden Kindern. Vier Erzieherinnen sind damit beschäftigt Kakaotassen, Wassergläser und geschmierte Brote an die niedrigen Tische und Stühle zu bringen.





 D

er Überraschungseffekt ist auf Seiten der Angreifer. Innerhalb von zwei Minuten richten die schreiend durcheinanderlaufenden Opfer ein heilloses Chaos an. Weitere zwei Minuten später haben die Eindringlinge die panische Masse im Griff. Fünf Angreifer halten die schreienden Kinder und Erzieher mit abgesägten Schrotflinten in Schach, während die anderen sich daran machen, ihre Opfer zu chloroformieren.











Szene 12





Rückblende/Einstellung 3



Außenaufnahme: Schwindendes Tageslicht.





 Z

ehn Minuten später ist der ganze Spuk vorüber, als auch die letzten Kinder betäubt in die Dreiachser verfrachtet werden.







Szene 13







Rückblende/Einstellung 4





Innenaufnahme: Das Ende der Erzieherinnen!





 D

ie Injektionen, die sie den Erzieherinnen setzen, sind auf der Stelle tödlich. Bevor sie das Gebäude verlassen, schmeißen die Angreifer ihre Opfer wie nasse Säcke in eine der Toiletten und verriegeln die Tür.













Szene 14





Rückblende/Einstellung 5





Außenaufnahme: Schwindendes Tageslicht. Die Rücklichter der Scania-Trucks entschwinden um eine lang gezogene Kurve.





 E

in Vogel kreischt. In der Ferne heult ein wütendes Hunderudel. Die Türen des Kindergartens schlagen im Wind.






2011

- 5.1., 20:30



Mazedonien



E 75, Aracinovo



auf der Höhe von Skopje





Szene 15







Außenaufnahme: Ein Dreiachser mit der Aufschrift „Südfrüchte Athen“ rollt durch einen sternenlosen Abend in Mazedonien. Die Straße ist in einem miserablen Zustand. Die Räder holpern über die Fahrbahndecke. Das Abblendlicht des LKWs zuckt durch die kalte, feuchte Nacht. Ein Grad plus!







Szene 16



 



Innenaufnahme: LWW-Ladefläche! Ein dunkles Licht zappelt am Dach des LKW. Die Planen schimmern in einem dunklen Grün. Am Boden liegen siebzehn Kinder eng aneinandergeschmiegt.





 P

enelope nahm Damians Hand und drückte sie fest. Ihr Herz raste. Mit einmal empfand sie furchtbare Angst und schrie:



»Mama! Mama!« Und immer wieder:



»MAMA! MAMA!« (nach ihrem Vater hatte sie noch nie geschrien, sie kannte ihn nicht)



Ein fürchterlicher Gestank drang Penelope in die Nase. Im spärlichen Licht erkannte sie die anderen Kinder aus ihrer Gruppe.

Wir sind es, die so stinken!

 Penelope roch, dass sich ausnahmslos alle - im wahrsten Sinne des Wortes - vor Angst, die Hosen voll hatten. Mit einem betroffenen Blick schaute sie an sich hinab und fühlte sich im nächsten Moment bis ins Mark getroffen. Tränen schossen ihr in die Augen.

Was ist passiert

? Ihr Herz raste!



Und dann sah sie sie zum ersten Mal. Sie wollte schreien, doch ihr Mund öffnete sich nicht. Sie wollte wegrennen, bekam dabei aber keinen Fuß vor den anderen gesetzt. Sie rang nach Luft, doch der Schrei blieb aus.

Eine Hexe

, dachte sie.

Eine Hexe!



Die Hexe beugte sich zu ihr herab und drückte ihr ein Tuch auf Mund und Nase. Sekunden später fiel Penelope in sich zusammen.









Szene 17









Innenaufnahme LKW-Führerhaus: Das Führerhaus des Wagens ist technisch hochgerüstet. Der Boden ist übersät mit willkürlich fallen gelassene Verpackungen und leere Plastikflaschen.







»

A

lles klar?«, fragte der schwarze Schatten, dessen Hände das Lenkrad fest umschlossen.



»Alles klar! Eines der Blagen war aufgewacht«, antwortete eine Frau mittleren Alters und zog dabei die Hexenmaske vom Kopf.














2011

 - 5.1., 22:45



Balkanhalbinsel



Serbien



Auf der Höhe von Niš





Szene 18







Innenaufnahme: LKW-Laderaum. Langsam erwachende Kinder. In der Mitte des schaukelnden Wagens steht ein Korb mit Getränken, belegten Broten und Süßigkeiten.





 D

iesmal war es Damian, der vor seiner Schwester Penelope erwachte

.

Er schaute sich neugierig um, und versuchte zu verstehen, was geschehen war.



Er erkannte seine Freunde aus dem Kindergarten. Einige waren bereits erwacht, schauten verstört oder schrien lauthals nach ihren Eltern.



Plötzlich wurde das Licht im LKW erhellt. Musik erklang – seicht und leise und beruhigend. Dann ertönte eine engelsgleiche Stimme:



»Willkommen zu unserem kleinen Ausflug. Damit es euch an nichts mangelt, haben wir Säfte, Cola, Kakao und Wasser eingekauft. Und natürlich Brot und Schokoladenaufstrich und Süßigkeiten und Kirschen. Frische Kirschen! Und beim nächsten Halt gibt es eine warme Dusche und danach Schnitzel, Burger und Pommes – und Eiscreme! Habt keine Angst, Mama und Papa wissen Bescheid! Wir veranstalten eine riesige Schnitzeljagd. Ihr werdet sehen, bald haben wir gewonnen und dann könnt ihr sie auslachen, eure Eltern! Doch ihr müsst euch vor den Hexen in Acht nehmen. Wenn ihr weint, oder schreit, dann verlieren wir das Spiel. Dann kommen die Hexen und bestrafen euch!«



Penelope war zwischenzeitlich erwacht und riss den Mund vor Erstaunen auf. Damian drückte ihre Hand.



»Glaubst du das?«



»Bestimmt«, flüsterte Damian unsicher und unterdrückte ein Schluchzen.



»Ich habe die Hexe gesehen«, antwortete Penelope mechanisch. »Ich habe die Hexe gesehen!«



Fünfzehn Minuten später hatte sich die Lage entspannt. Die Temperatur im Wagen stieg an, ein süßlicher Geruch verbreitete sich. Die Kinder begannen mit den Gameboys zu spielen, die sie im Korb gefunden hatten. Einige lachten.



»Wirst sehen, in zehn Minuten schlafen die wie die Babys«, grinste die Hexe. »Mit der Wirkung unseres Zaubertranks haben wir bis hinter Zagreb Ruhe.«



Sie saßen zu fünft im LKW und wechselten die Fahrerposition in regelmäßigen Zeitabständen. Ein prall gefüllter Kühlschrank und zusätzliche Kühltaschen mit Nahrungsmittel, ermöglichten es ihnen auf Rastpausen zu verzichten und die Fahrt, ohne Unterbrechungen fortzusetzen. Möglichst unauffällig verhalten und rasch vorankommen, war die Devise. Denn Zeit hatten sie wahrhaftig keine.



»Die sind doch nicht ganz dicht. Wie sollen wir das schaffen? Das hier ist schließlich kein Jaguar.« Der vollbärtige Entführer schlug mit einer wegwerfenden Handbewegung die Hexenmaske gegen die Frontscheibe.



Zwei der Rädelsführerinnen, hoben die Finger an die Lippen und geboten ihm Einhalt. Ihre Augen sprachen: Halt die Klappe oder wir machen dich kalt. Beide waren für die medizinische Überwachung des Transports zuständig. Der Vierte, ein schlaksiger Kerl Mitte zwanzig, lehnte mit dem Kopf an der Seitenscheibe. Er schlief. Der Fünfte hatte sich in die Koje zurückgezogen – ein hirnloser Bodybuilder von der Sonnenbank verbrannt. Sie nannten ihn:

das Spatzenhirn.



Erneut setzten plötzliche Regenfälle ein.



»Gebt acht, es könnte Glatteis geben! Ich schau‘ noch mal nach den Kindern.«



Eine der Schwestern zog die Hexenmaske über den Kopf und verschwand im Fond des Lastwagens.

Diejenige, die diesen Trupp zusammengestellt hat, kann sich warm anziehen,

 brummte die abkommandierte Anführerin, als sie den hinteren Teil des Scania-Trucks betrat.



Das nächste Erwachen erfolgte zwischen Zagreb und Leibach auf slowenischem Gebiet. Die Kinder fanden neben weiteren Süßigkeiten, einen Satz Wechselkleider – beschriftet und exakt in jeder passenden Größe und Lieblingsfarbe.





2011

 - 5.1., 23:45



Balkanhalbinsel, Serbien



Auf der Höhe von Niš





Szene 19









Innenaufnahme: Ladefläche LKW. Es ist dunkel. Die Kinder haben sich einem Rudel Hunde gleich, zum Schutz eng aneinandergeschmiegt.







 S

ie hörten Schreie. Damian fühlte, dass die Räder des LWK nicht mehr rollten. Er vernahm das ohrenbetäubende Reifengequitsche anderer Fahrzeuge. Er hörte das Aufheulen ihrer schweren Maschinen. Und er spürte wie der Motor des LKW, auf dem er gefangen war, mit einmal stillstand. Erneut Schreie! Polizeisirenen!









Szene 20







Gegenschnitt





Außenaufnahme: Ein verlassener Parkplatz. Mitternacht. Ausgeleuchtet von einer Armada von Fahrzeugen. Die fünf Entführer stehen mit erhobenen Händen vor ihrem Fahrzeug. Zur Rechten zeichnen sich die Schemen einer Brücke ab, davor ein kahler Wald.





»

W

er seid ihr?!« schrie ein Zöllner und zog seine Dienstmarke. Über Funk fragte er Verstärkung an. Wenige Minuten später erschien die

Policija.

 Kämpfern gleich, sprangen sie aus ihren Einsatzfahrzeugen. Auch sie zogen ihre Waffen. Mit einmal sahen die Entführer in die Läufe von 12 Sturmgewehren, Zastava M21.







Szene 21







Gegenschnitt





Innenaufnahme: Damian hält die Hand seiner erwachenden Schwester Penelope, er drückt sie fest an sich.





»

W

as ist los«, flüsterte Penelope.



Sie bibberte trotz der unerträglich hohen Temperaturen im Wageninneren.



»Das gehört bestimmt mit zum Spiel« raunte Damian. »Wir sehen Mama bestimmt bald wieder.«



»Mama«, schluchzte Penelope.









Szene 22







Gegenschnitt





Außenaufnahme: Starkregen setzt ein. Er trommelt lautstark auf die Fahrzeuge und durchnässt innerhalb von Sekunden Entführer, Zollbeamte und Polizisten gleichermaßen. In den Lichtkegeln der Fahrzeuge wirkt die Szene surreal. Das Wasser läuft schwer in die Kleider. Pfützen bilden sich zu Füßen von Staatsgewalt und Entführern.





»

Ö

ffnet die Klappen!«, befahl der grauhaarige Gendarm den Zöllnern.



Doch dazu sollte es nicht mehr kommen! Im nächsten Moment fielen zwölf einzelne Schüsse!



Die Entführer warfen sich entgeisterte Blicke zu. Zwölf Personen waren unmittelbar vor ihren Augen durch gezielte Kopfschüsse von Scharfschützen hingerichtet worden. Boden und Kleidung wurden innerhalb eines Wimpernschlags mit Blut durchtränkt.



Eine der Entführerinnen wusch sichtlich angewidert, schleimige Klumpen Hirnmasse von ihrer Wange.



»Ihr könnt weiterfahren«, tönte eine fast knabenhafte Stimme.



Die Entführer hörten, dass sich eine größere Gruppe in der Nähe aufhielt, sehen konnten sie jedoch nichts.



»Los! Beeilt euch! Ihr liegt jetzt schon hinter der Zeit. Eure Ware ist wichtig!«





2011

 - 5.1., 00:15



Griechenland



Pefka/Nähe Thessaloniki





Szene 23





Zur gleichen Zeit





Innenaufnahme Einstellung 1: eine mondäne Küche. Offen. In Mahagoni gehalten. Das Wohnzimmer: Weitläufig mit deckenhohen Schiebetüren, die den Blick auf eine weiträumige Terrasse öffnen. Man hört das Rauschen des Meeres. Inmitten des Wohnzimmers hockt Adriana auf einem weißen Berberteppich; sie lehnt gegen eine azurblaue Ledergarnitur.





Innenaufnahme Einstellung 2: Aus der Vogelperspektive verschwindet die Couch in einer riesigen Wohnzimmerlandschaft.





A

driana schien um Jahre gealtert. Ihr Haar war zerzaust. Die Schminke zerlaufen, unter all den bitteren Tränen, die sie vergossen hatte. Sie zitterte. Dann schrie sie herzzerreißend:



»Damian! Penelope! DAMIAN! PENELOPE!« wo seid ihr? »Wo seid ihr?«, flüsterte sie kaum hörbar und brach erneut zusammen.




2011

- 6.1., 00:15



Balkanhalbinsel, Serbien



Auf der Höhe von Niš





Szene 24







Innenaufnahme: Der Laderaum des LKW ist hell erleuchtet. Einige Kinder rennen wild und schreiend mit weit aufgerissenen Augen in Panik umher. Andere sitzen wie paralysiert.





D

ie Plane zum Fahrraum wurde zur Seite geschlagen. Im nächsten Moment erstarrten einige Kinder zur Salzsäule, andere sprangen in Panik gegen die dunkelgrünen LKW-Wände. Vier Hexen!!!



»Die Hexen sind da!« schrie Penelope. »Vier Hexen!«



»RUHE!!! Haben wir euch nicht gewarnt? Haben wir euch nicht versprochen, das spannendste Abenteuerspiel aller Zeiten zu spielen? Und was macht ihr?«



Die Kinder starrten voller Entsetzen in die hässlichen Fratzen der Hexen.



»Ihr seid undankbar! Wir haben Spielzeug besorgt und all die leckeren Sachen. Und was macht ihr? Ihr schreit! Egal, wisst ihr was?! Jetzt gibt‘s Eis, für jeden von euch. Dann geht die Reise weiter! Wir werden uns beeilen. Wir wollen doch schließlich gewinnen, oder?«



Penelope starrte die Hexen entgeistert an und dann schrie sie aus voller Kehle:



»MAMA! MAMA! BITTE HILF UNS!«





2011

 - 6.1., 19:00



Italien



Ponte di Legno





Szene 25







Innenaufnahme: Italien, 17 Stunden später. Heller fensterloser Raum. Eine riesige Halle mit Feldbetten, Spielzeug, Rutsche, Sandkasten und Kuscheltieren. Auf einem Flachbildschirm laufen Donald Duck Comics in Dauerschleife. Die Gruppe ist auf über fünfzig Kinder angewachsen.





»

L

iebe Kinder, Engel und Abenteurer, willkommen auf unserer ersten Station« ertönte eine warme, freundliche Stimme aus den Lautsprechern. Penelope ergriff Damians Hand. Hexen hatten sie hier noch nicht zu Gesicht bekommen.



»Gleich geht die Tür zu eurer Rechten auf, dort gibt es Abendessen – Pommes, Hühnchen, Schnitzel, Salat und Berge von Schokoladeneis. Lasst es euch schmecken. Und denkt daran, wir haben einen Vorsprung! Wir werden gewinnen – und eure Eltern werden staunen! Nach dem Essen erhaltet ihr eure Medizin.«



Am folgenden Morgen rieselten erneut Comics über den Bildschirm. Die Kinder fühlten sich träge. Seltsam benommen. Es gab Kakao und Schokoladenaufstrich.



»Im Laufe der nächsten Stunden werdet ihr vom Onkel Doktor untersucht«, tönte die erste Durchsage des Tages aus den Lautsprechern.



»Warum?« rief Damian.



»Na wir wollen doch wissen, ob ihr das Abenteuer bislang gut überstanden habt«, ertönte die Antwort.



Wenig später wurden die ersten Kinder in den Nachbarraum gerufen. »Ich habe Angst«, flüsterte Damian.



»Ich auch«, antwortete Penelope mit zittriger Stimme. Doch die beiden fühlten sich schwer wie Blei. Und auch den anderen Kindern schien es nicht besser zu ergehen. Sie hockten vor den Flachbildschirmen und nickten immer wieder ein.

 



Kein Zeitgefühl und nicht wissend, der wievielte Cartoon dort in der Wiederholungsschleife lief, schlummerten Penelope und Damian ein, bis sie von der nächsten Ansage geweckt wurden:



»So und jetzt die Zwillinge bitte zu uns. Penelope und Damian.«



Voller Angst nahmen sie sich bei den Händen und schlichen mit schweren Beinen zur Tür. Sie wollten nicht noch einmal die Hexen herbeirufen. Sie sahen, dass es den anderen Kindern, die schon beim Doktor gewesen waren, gut ergangen sein musste.



»So wir wollen doch mal sehen, ob nach der langen Reise mit eurem Bauch alles okay ist«, sprach eine leise, vertrauensvolle Stimme.



»Ich bin euer Onkel Löwenherz.«



Der alte Mann lächelte sie an. Er trug seine weißen Haare halblang. Sein weißer Schnauzbart wirkte penibel gepflegt.



»Wir machen zuerst eine Röntgenaufnahme und danach einen Ultraschall. Das wird ein bisschen kalt und glitschig auf euren Körpern, wenn ich euch mit dem Gerät abtaste, doch dann habt ihr es auch schon geschafft. Dauert alles in allem nicht länger als zwanzig Minuten – und danach gibt es Eiscreme! Ist das ein Leben«, lachte die freundliche Stimme. »Und soll ich euch noch etwas verraten? Na? Na? Ich glaube, wir gewinnen das Spiel gegen die Erwachsenen!«





2010

 - 10.11., 22:00



zehn Monate zuvor



USA, Boston,



Atlantic Avenue





Szene 26









Rückblende: die Geburtsstunde von ‚Diez Hermanas‘







Innenaufnahme: Luxussuite über den Dächern von Boston. Die einzelnen Bereiche der 450 Quadratmeter großen Etage werden durch bis zu fünf Meter hohe Palmen separiert. Boden- und deckenhohe Fenster verleihen der Fläche etwas von einem riesenhaften Ufo. In der Mitte des Raumes befindet sich eine überdimensionale Sitzecke aus weißem Leder. Weiße Berberteppiche bedecken Mahagoni- und Marmorböden.



In drei offenen Kaminen lodert heller Feuerschein. Ein 11 x 5 Meter großes Schwimmbecken mit integriertem Whirlpool säumt die Stirnseite der Suite. Auf der gegenüberliegenden Seite wird ein reichhaltiges Buffet aufgefahren: Speisen aus sämtlichen Erdteilen warten darauf verköstigt zu werden. Draußen tobt ein heftiger Sturm. Starker Regen peitscht gegen die Fensterscheiben. Die anwesenden Personen unterhalten sich in gedämpftem Ton. Sie warten darauf, dass Aira den Raum betritt.





»

W

ir werden die Welt beherrschen! Wir werden ewig leben!«



Unter donnerndem Applaus hatte Aira den Raum gemeinsam mit ihren drei Bodyguards betreten. Ihr martialisches, Angst einflößendes Auftreten, stand im krassen Gegensatz zu ihrer elfenhaften Erscheinung. Ihre grünen Augen funkelten:



»Wir werden die Welt beherrschen! Wir werden ewig leben«, wiederholte sie mit klarer, lauter Stimme.



Aira trug ihre hüftlangen, weizenblonden Haare offen. Ihre Modellfigur zeichnete sich unter einer transparenten, weißen Tunika betont ab. Doch niemand der Anwesenden ließ sich durch ihr unschuldiges Bild blenden. Sie wussten um Airas Brutalität. Ihre sexuellen Obsessionen führten nicht selten zum Tod ihrer Mitspieler.



»Eine neue Ära bricht herein. Das Yzuhawa meiner Mutter ist tot. Es wird auch kein Yzuhawa 2.0 geben! Unsere Gemeinschaft wird die Welt retten und von diesem elenden Pack säubern! Zum Dank Gottes werden wir ewig leben! EWIG! Das Paradies wird unser sein! Bereits jetzt sind die Arbeiten in vollem Gange um die Infrastruktur in unserem eigenen Land hochzuziehen. Wir besitzen eine bislang kaum beachtete Inselgruppe im Pazifik vor der Küste Südamerikas. Nennen wir sie der Einfachheit halber

Osomo.

Doch

 Osomo

wird nur der Beginn sein. Von dort werden wir uns ausbreiten! Weiter und weiter!«



Aira schaute herausfordernd in die Runde. Ihre perlweißen Zähne blitzten wie chemisch gereinigt.



»Wer aussteigen will, der soll die Hand heben. Jeden erwartet ein schneller, schmerzfreier Tod. Mehr kann man nicht erwarten, von diesem Leben.«



Sie schaute provozierend in die Runde. Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig. Ihre harten Brustwarzen drückten durch den weißen Stoff der Tunika.



»Eine Vielzahl an Fachgruppen und Untergruppierungen werden sich nach diesem Treffen konstituieren. Sie alle werden zum Wohl der Gemeinschaft handeln!«



»ZUM WOHL DER GEMEINSCHAFT!«, ertönte es im Chor.



»Ich werde heute das Organigramm und die Strukturen vorstellen. Nichts von dem, was ich jetzt befehle, steht zur Diskussion. Verstanden?«



Ein kurzer Blick in die Augen ihrer Untergebenen sprach Bände. Aira fuhr fort:



»K-DH ist meine rechte Hand. DH, es liegt auf der Hand, ist ab nun unser Kürzel für Diez Hermanas! K-DH ist in meiner Abwesenheit Folge bis zum Tod zu leisten. Ihr unterstehen alle nun folgenden Untergruppierungen unseres Matriarchats!«



K-DH nickte kaum merklich in die Runde und fixierte jeden der Anwesenden. Ihre weit auseinanderstehen, grauen Augen schimmerten kalt. Ihre Erscheinung wirkte Furcht einflößend: Mit einer Größe von 1,95 schaute sie auf die meisten mit brutaler Arroganz herab. Ihr muskelbepackter Körper war, den Narben nach zu urteilen, kampferprobt! Die Haare trug sie kurz, zum Nazischeitel gekämmt. Doch wer konnte schon ahnen, dass dieser Muskelberg seinen Doktor in Physik, Medizin und Biochemie mit Auszeichnungen abgelegt hatte? Aira räusperte sich.



»K-DH unterstehen spezialisierte Diez Hermanas. Du, F-DH, bist zuständig für die weltweiten Finanzgeschäfte. Damit meine ich Banken und Börsen. PM-DH ist verantwortlich für die Bereiche Pharma und Medizin. Ihr angegliedert ist O-DH. Was es damit auf sich hat, dazu kommen wir später. Du (Aira deutete auf eine vollbusige Blondine, die als Marilyn Monroe Double hätte durchgehen können) übernimmst als P-DH die weltpolitischen Geschäfte. Dazu gehören organisierte Kriminalität und Drogenhandel. W-DH kontrolliert die weltweit wissenschaftliche Entwicklung in den Bereichen Bildung und Erziehung. I-DH setzt sich mit der internationalen Großindustrie auseinander. S-DH (eine schwarz gelockte, rassige Spanierin trat vor) befasst sich mit Satellitentechnik, Spionage und Raumfahrt. PR-DH wird die weltweiten Kommunikationskanäle kontrollieren. Zur Army-DH sind wohl keine weiteren Ausführungen notwendig! Nur soweit, die Themen Kernwaffen, Giftgas und biologische Waffen fallen unter anderem in diesen Zuständigkeitsbereich. Ich will alle Ebenen kontrolliert wissen. At least benötigen wir ein soziales Netzwerk, auf dem sich die Menschen jederzeit und weltweit manipulieren lassen. Zu diesem Thema setzen wir uns morgen in kleiner Runde zusammen.«



Aira warf einen prüfenden Blick in die Runde.



»Fragen?«



»Aus wie vielen Gruppenmitgliedern bestehen die einzelnen DH’s – und wie sieht es mit der finanziellen Ausstattung aus?«, fragte die zuständige PR-DH, eine klein gewachsene Engländerin in den Dreißigern mit ausladenden Hüften.



»Jede DH stellt weltweit bis zu 200 Kräfte ein. Sie bilden den inneren Kreis. Jede dieser 200 Schwestern beschäftigt wiederum so viele Helfer und Helfershelfer, wie notwendig sind. Eine Ausnahme bildet die Army-DH. Hier können wir jederzeit aufstocken. Und noch etwas«, Aira schaute bestimmend in die Runde. »Es gibt keine Vor- und Nachnamen mehr. Ich verlange, dass ihr euch mit euren DHs anredet. Ist das klar? Fragen?«



Der Großteil der Mitglieder blickte schweigend. Einige nickten, andere applaudierten.



»Gut! Sehr gut! Ich sagte zu Beginn, dass Yzuhawa mit meiner Mutter gestorben ist! Die Bezeichnung unseres Matriarchats wird ab heute weniger kryptisch klingen. Man wird den Namen fürchten und in Ehrfurcht flüstern: Diez Hermanas! Wir alle werden zum Wohl der Gemeinschaft handeln. Zum Wohl von

Diez Hermanas



»ZUM WOHL VON DIEZ HERMANAS« ertönte die Gemeinschaft im Chor.



»Ab heute sprecht ihr mich mit Aira Divus an. Ist das klar?« Alle nickten. »Gut, dann nur noch eines«, Airas Blick wurde eiskalt. »Das sind meine drei Bodyguards.«



Sie deutete auf zwei Frauen und einen Mann, die versteinerte Blicke in die Runde schmissen. Die stiernackigen Kampfmaschinen mit Oberarmen wie Rinderschenkel und Fäusten so groß wie Bratpfannen, waren deutlich über zwei Meter gewachsen.



»Die Drei sind beweglich wie Schlangen. Sie besitzen Auszeichnungen in sämtlichen asiatischen Kamp