Wohin die Flüsse fliessen

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Francis Parkman: Über den Oregon-Trail

Die folgenden zwei Kapitel stammen aus einem klassischen Werk der Reise- und Abenteuerliteratur über den Wilden Westen. Es trägt den Titel The Oregon Trail. Sein Verfasser, Francis Parkman, war, als er in den Wilden Westen ritt, 23 Jahre alt. Mit ihm reiste sein Studienfreund Quincy Adams Shaw. Parkman, ein junger Mann aus gutem Haus mit angegriffener Gesundheit, war Naturfreund und ein großer Spaziergänger. Den Wilden Westen kannte er, wie Shaw auch, nur vom Hörensagen. Beide jungen Männer waren waghalsig und tapfer, und zwar in einem Maße, dass man sich fragt, ob sie immer tatsächlich voll und ganz begriffen, welche Gefahren sie umgaben. Bei Parkman verbanden sich diese Eigenschaften mit einer eigensinnigen Entschlossenheit, alles nur irgend Mögliche über die Indianer zu lernen. Parkman benutzte bei seiner Reise schon jene Landkarte, die Frémont auf seiner Expedition angefertigt hatte. Zwei andere Personen in der Reisegesellschaft der beiden jungen Männer waren der Scout Henry Chatillon, ein großer kräftiger Mann, der sich rühmen konnte, schon 30 Bären getötet zu haben, und oft zu Fuß Büffel jagen ging, und Deslauriers, ein ausgelassener Maultiertreiber französischer Abstammung, dem die Abenteuer einer solchen Reise gerade recht kamen.

Der Platte-River und die Wüste

Wir waren nun am Ende unserer einsamen Reise über den St.-Joseph-Trail. Am Abend des 23. Mai (1845) lagerten wir nahe der Kreuzung mit dem alten Trail der Auswanderer nach Oregon. Wir waren an diesem Nachmittag lange geritten und hatten vergebens versucht, Holz und Wasser zu finden, bis wir endlich den Himmel bei Sonnenuntergang sich in einem Teich spiegeln sahen, der von Büschen und Felsen umstanden war. Das Gewässer lag am tiefsten Punkt einer Senke, von der die sanfte Prärie in eleganten Erhebungen wie die Wellen im Ozean nach allen Seiten anstieg. Wir schlugen unsere Zelte auf, nicht jedoch ehe Henry Chatilion einen etwas ungewöhnlichen Gegenstand auf einer fernen Bodenerhebung bemerkte. Aber in der feucht-dunstigen Atmosphäre des Abends verschwamm alles. Als wir nach dem Abendessen um das Feuer lagen, drang ein tiefer und ferner Laut, eigenartig genug in der Einsamkeit der Prärie, an unsere Ohren: Gelächter und die schwachen Stimmen von Männern und Frauen. Seit acht Tagen waren wir keinem menschlichen Wesen mehr begegnet, und diese Geräusche in unserer Nachbarschaft hatten eine außerordentlich heftige Wirkung auf uns.

Als es dunkel zu werden begann, kam ein bleichgesichtiger Bursche zu Pferde den Abhang herunter, er platschte durch den Teich und ritt zu unseren Zelten. Er trug einen riesigen Mantel und einen breiten Hut, von dessen Rand die Feuchtigkeit des Abends auf seine Ohren herabtroff. Ein zweiter Mann folgte, gedrungen, kräftig und intelligent aussehend. Er stellte sich als der Anführer eines Auswandererzuges vor, der eine Meile vor uns Lager bezogen hatte. Um die zwanzig Wagen seien es, so berichtete er, der Rest des Zuges befinde sich auf der anderen Seite des Big Blue und warte dort auf eine Frau, die in den Wehen liege. Unter den Leuten war Streit ausgebrochen.

Es waren dies die ersten Auswanderer, die wir überholten, allerdings hatten wir zahlreiche und melancholische Spuren von ihnen im Verlauf unserer Reise gefunden. Manchmal kamen wir an dem Grab von einem vorbei, der unterwegs erkrankt und gestorben war. Die Erde war gewöhnlich aufgewühlt und dicht mit Wolfsspuren bedeckt. Einige waren der Verstümmelung entgangen. Eines Morgens nahm ein Brett unsere Aufmerksamkeit gefangen, das auf der Spitze eines grasbedeckten Hügels aus dem Boden ragte. Wir fanden darauf unbeholfen eingegraben, offensichtlich mit einem glühenden Stück Eisen:

Mary Ellis

Gestorben am 7. Mai 1845

im Alter von zwei Monaten

Solche Grabmäler waren häufig.

Am folgenden Morgen brachen wir spät aus unserem Lager auf. Wir waren knapp eine Meile geritten, da entdeckten wir vor uns auf der Prärie eine gleichmäßige Kette von Gegenständen, die sich auf den Horizont zu bewegte.

Eine Bodenwelle verbarg sie dann gleich wieder vor uns, aber als wir eine Viertelstunde später auf der anderen Seite wieder abwärts ritten, sahen wir schon ganz dicht vor uns den Auswandererzug mit seinen schweren weißen Wagen und dahinter eine große Herde Rinder.

Ein halbes Dutzend gelbgesichtiger Männer zu Pferde fluchte und schimpfte. Ihre unbeholfenen, sperrigen Gliedmaßen steckten in braunem Homespun, zugeschnitten von den Händen eines häuslichen Damenschneiders.

Als wir uns ihnen näherten, riefen sie uns zu:

»Wie geht's euch, Jungen? Reitet ihr nach Oregon oder nach Kalifornien?« Als wir rasch an den Wagen vorbeitrabten, tauchten hinter den Planen Kindergesichter auf. Auch ausgemergelte Matronen oder dralle Mädchen, die mit vorn saßen, ließen ihr Strickzeug sinken und starrten uns neugierig an. Neben einem jeden Wagen lief der Besitzer und trieb die Ochsen an, die langsam gingen und schwer zu ziehen hatten. Es war leicht zu sehen, dass Furcht und Streit noch nicht ausgestanden waren; einige der Männer blickten uns auch so sehnsüchtig an, wie wir da so leicht und rasch vorbeiritten, schauten dann ungeduldig auf ihr schweres Gefährt und den schwerziehenden Ochsen.

Andere wollten nicht weiter, ehe nicht der Trupp, der zurückgeblieben war, zu ihnen aufgeschlossen war.

Viele murrten über ihren Anführer und erklärten, sie würden ihn absetzen. Diese Unzufriedenheit wurde von einigen Ehrgeizlingen genährt, die sich eine Chance ausrechneten, an seine Stelle treten zu können.

Die Frauen waren teils voller Klagen über ihr aufgegebenes Heim, teils voller Ängste über die Wüste und die Wilden, die ihren Weg bedrohten.

Wir ließen den Zug bald weit hinter uns und hofften, ihm nicht wieder zu begegnen.

Doch der Wagen unseres Kameraden blieb zu lange in einem tiefen schlammigen Graben stecken, und ehe er wieder freikam, tauchte die Emigrantenkarawane wieder auf. Wagen nach Wagen glitt in den Schlamm. Da es fast Mittag war und der Platz Wasser und Schatten versprach, sahen wir, wie sie sich anschickten zu kampieren. Bald bildeten die Wagen einen Kreis, die Rinder grasten, und die Männer mit den mürrischen Gesichtern sahen sich nach Holz und Wasser um. Nicht alle schienen dabei erfolgreich. Als wir das Gelände verließen, sah ich einen großen Burschen, der in einen Zinnbecher starrte, den er mit Wasser gefüllt hatte.

»Sehen Sie mal«, sagte er mit dem nasalen Akzent derer aus dem Osten, »es ist voller Tiere!«

Der Becher, den er uns hinhielt, wimmelte in der Tat nur so von Tieren und Pflanzen.

Als wir den kleinen Hügel hinaufritten und auf die Weide zurückschauten, konnten wir leicht erkennen, dass es im Lager der Auswanderer immer noch Ärger gab. Die Männer drängten sich zusammen, und eine heftige Aussprache war im Gange. R. fehlte an seinem angestammten Platz in der Kolonne, und der Captain erzählte uns, dass er zurückgeblieben sei, um sein Pferd von einem Schmied beschlagen zu lassen, der sich mit im Zug befand. Etwas flüsterte uns ins Ohr, dass sich Unheil zusammenbraute. Wir ritten weiter und erreichten bald einen kleinen Bach mit einigermaßen sauberem Wasser. Da hielten wir an und aßen. Immer noch hing der eine Mann zurück. Schließlich tauchten er und sein Pferd in einer Entfernung von einer Meile auf der Spitze eines Hügels auf, und dicht dahinter zeigte sich langsam ein großer weißer Gegenstand.

»Wen bringt der Bursche denn da mit?«

Einen Augenblick später löste sich das Geheimnis. Langsam und feierlich, einer hinter dem anderen, rollten vier Wagen, von Ochsengespannen gezogen, über die Kuppe des Hügels und rumpelten langsam bergab.

Es schien, dass es während des Beschlagens des Pferdes unter den Auswanderern offen zum Bruch gekommen war. Einige bestanden darauf weiterzuziehen oder verlangten, man solle bleiben. Wieder andere forderten sogar dazu auf umzukehren. Kearsley, ihr Kapitän, rief voller Abscheu:

»Und nun, Jungen, wenn jemand weiter will, so komme er mit mir.«

Vier Wagen mit zehn Männern, einer Frau und einem kleinen Kind schlossen sich zu einer Gruppe zusammen, die weiter wollten, und R., wie gewöhnlich zu Schabernack aufgelegt, lud sie ein, sich uns anzuschließen. Die Furcht vor den Indianern – denn ein anderes Motiv sehe ich nicht – muss ihn veranlasst haben, diese beschwerliche Allianz einzugehen. Die Männer, die sich uns anschlossen, waren etwas ungehobelt in ihren Sitten, aber offen, tapfer und vernünftig. Ihnen zu sagen, wir wollten nicht mit ihnen reisen, wäre nicht in Frage gekommen. Ich erinnerte Kearsley lediglich daran, dass, sofern seine Ochsen nicht mit unseren Maultieren Schritt hielten, wir nicht auf ihn warten würden. Wir waren nicht willens, uns bei unserer Reise noch weiter aufhalten zu lassen, aber er antwortete sofort, die Ochsen »werden mitkommen, und wenn nicht, so würde er Anweisung geben, sie anzutreiben.«

Am nächsten Tag geschah es, dass unsere englischen Kameraden einen Unfall hatten. Die Deichsel ihres Wagens brach, und das Gefährt landete in einem Bachbett. Wir hatten einen Tag Arbeit damit. Unterdessen waren die Auswanderer weitergezogen, und so eifrig strebten sie mit ihren kraftvollen Ochsen voran, dass es wegen der gebrochenen Deichsel und anderem Unglück eine volle Woche dauerte, bis wir sie wieder überholten. Als wir sie endlich eines Nachmittags wiederentdeckten, krochen sie ruhig am sandigen Ufer des Platte-Rivers dahin. Aber unterdessen erlebten wir noch so allerlei. Es war auf dieser Etappe der Reise mit Überfällen der Pawnee zu rechnen. Wir gingen deshalb abwechselnd auf Wache. Die Nacht wurde in drei Wachgänge aufgeteilt, jeweils zwei Mann blieben munter. Deslauriers und ich hielten Wache zusammen. Wir marschierten nicht mit militärischer Präzision vor unseren Zelten auf und ab. Unsere Disziplin war keineswegs so strikt. Wir hüllten uns in unsere Decken und setzten uns ans Feuer. Und Deslauriers verband seine Aufgaben als Koch mit seinen Pflichten als Wachtposten und kochte dabei den Kopf einer Antilope fürs Frühstück. Verglichen mit einigen anderen unserer Gesellschaft waren wir immer noch Muster von Wachposten, denn gewöhnlich legte der Wachende sein Gewehr auf den Erdboden, steckte die Nase in die Decke und dachte an seine Geliebte oder an sonst irgend etwas, woran er gern dachte. Dies mag ja noch angehen bei Indianern, die gewöhnlich nichts weiter unternehmen, als den Reisenden ihre Pferde oder Maultiere zu stehlen, obgleich man den Pawnee am besten alles Schlimme zutraut, aber in gewissen Gebieten weiter im Westen muss der Wachende unbedingt darauf achten, dass ihn nicht die Flammen des Feuers beleuchten, weil er sonst einem scharfäugigen Schützen für seine Kugel oder seinen Pfeil ein sicheres Ziel bietet.

 

Unter den verschiedenen Geschichten, die an unserem Lagerfeuer erzählt wurden, ist eine, die Boisverd zum besten gab und die hierher gehört. Er war als Trapper mit mehreren Gefährten am Rand des Blackfoot-Lands unterwegs geesen. Der Wachhabende wusste, dass er sehr vorsichtig sein, sich aus dem Lichtkreis des Feuers heraushalten und nach allen Seiten hin ständig Ausschau halten musste. Schließlich sah er eine dunkle kriechende Gestalt, die sich geräuschlos in den Lichtkreis zu stehlen versuchte. Hastig entsicherte er sein Gewehr, aber das Klicken des Schlosses drang an das Ohr des Indianers, dessen Sinne angespannt waren. Er hob seinen Bogen, auf dem schon ein Pfeil lag und schoss in Richtung des Geräuschs. So zielsicher war er, dass der Pfeil die unglückliche Wache durch den Hals traf. Dann stieß der Indianer einen wilden Kreisgsschrei aus und rannte davon.

Als ich mir meinen Gefährten ansah, der blasend und wedelnd über sein Feuer gebeugt saß, kam es mir in den Sinn, dass ich bei einem Angriff in ihm keinen sehr wirksamen Helfer haben würde.

»Deslauriers«, sagte ich, »würdest du fortlaufen, wenn die Pawnee auf uns schießen sollten?«

»Ah! oui, oui, Monsieur!« erwiderte er sehr entschieden. In diesem Augenblick drang ein Gemisch vieler gedämpfter Laute, Bellen, Geheul, Jaulen und Wimmern an unser Ohr. Es klang von der Prärie her, als ob dort eine Versammlung von Wölfen jeden Alters oder Geschlechts stattfinde. Deslauriers schaute mit einem Lachen von seiner Arbeit auf und begann die Laute mit täuschender Genauigkeit nachzuahmen. Darauf kam das Geräusch mit verdoppelter Kraft, so als sei der Musikant wütend über die erfolgreichen Anstrengungen seines Rivalen. Es war ein kleiner Wolf, nicht größer als ein Spaniel, der ganz allein in einiger Entfernung saß: ein Präriewolf, ein harmloser kleiner Kerl mit einem grimmigen Gesicht, von dem höchstens zu befürchten ist, dass er zwischen den Pferden herumschleicht und die Lederseile durchnagt, mit denen sie festgebunden sind. Es gibt auf der Prärie Tiere, die bei weitem nicht so harmlos sind. Zum Beispiel die weißen und grauen Wölfe, deren tiefes Heulen wir in Abständen von fern und nah hörten.

Zum Schluss verfiel ich in ein Dösen, und als ich daraus erwachte, fand ich Deslauriers fest schlafend. Wütend über eine solche Disziplinlosigkeit, wollte ich gerade seine Wachsamkeit dadurch anstacheln, dass ich ihm mit dem Lauf meines Gewehrs in die Rippen stupste. Aber dann, als meine erste Wut verraucht war, beschloss ich, ihn noch eine Weile schlafen zu lassen und ihm erst später vorzuhalten, wohin eine solche Pflichtvergessenheit führen könne.

Ich ging unter den Pferden umher, um nachzuschauen, ob dort alles in Ordnung sei. Die Nacht war feucht, kalt und stockdunkel. Das Gras bog sich unter eisigen Tautropfen. War man ein, zwei Ruten weit gegangen, konnte man die Zelte nicht mehr sehen, man sah überhaupt nichts mehr außer den undeutlichen Umrissen der Pferde, die tief atmeten oder sich auch noch im Schlaf bewegten.

Weit fort, jenseits der schwarzen Linie der Prärie, gab es eine erste Spur von Licht, die allmählich zunahm wie das Glühen einer Feuersbrunst, bis endlich die breite Scheibe des Mondes, blutrot und riesig vergrößert durch den Dunst, sich langsam aus der Dunkelheit hob, gefleckt von ein oder zwei Wolken. Und als sich das Licht über die düstere Prärie ergoss, schien ein wildes und ernstes Heulen nahebei den unerwünschten Eindringling zu begrüßen. Es war etwas Eindrucksvolles und Unheimliches an diesem Ort und zu dieser Stunde, denn nur ich und die Tiere waren im Umkreis von ein paar Meilen wach und bei Bewusstsein.

Einige Tage verstrichen, und wir näherten uns dem Platte-River. Eines Morgens ritten zwei Männer auf uns zu, wir beobachteten sie mit jener Neugier, die in der Einsamkeit der Ebenen durch eine solche Begegnung hervorgerufen wird. Sie waren offensichtlich Weiße. Das erkannten wir an der Art, in der sie ritten, aber entgegen dem, was sonst in dieser Gegend Brauch ist, trug keiner von ihnen ein Gewehr bei sich.

»Narren!« bemerkte Henry Chatillon, »so durch die Prärie zu reiten. Wenn die Pawnee sie aufspüren, ist es um sie geschehen.«

Die Pawnee hatten sie schon aufgespürt, und sie waren eben dabei, über sie herzufallen. Tatsächlich wurden die beiden nur durch unser Auftauchen gerettet. Shaw und ich kannten einen von ihnen, einen Mann namens Turner, dem wir in Westport begegnet waren. Er und sein Gefährte gehörten zu einem Auswanderertreck, der ein paar Meilen weiter rastete. Sie waren umgekehrt, um nach einem Ochsen Ausschau zu halten, der abhanden gekommen war. Aus Unbedachtsamkeit hatten sie ihre Gewehre zurückgelassen. Das wäre ihnen beinahe teuer zu stehen gekommen.

Noch ehe wir heran waren, tauchte ein halbes Dutzend Indianer auf. Als sie sahen, dass die beiden Männer praktisch wehrlos waren, griffen sie Turners Pferd am Zaumzeug und hießen ihn absteigen. Turner war völlig unbewaffnet, aber der andere holte eine Pistole aus der Tasche, worauf die Pawnee zurückwichen. Gerade in diesem Augenblick erschienen einige von unseren Männern. Die Indianer hieben auf ihre kleinen struppigen Pferde ein und preschten davon. Aber sie waren keineswegs eingeschüchtert. Turner bestand närrischerweise darauf weiterzureiten.

Lange nachdem wir ihn verlassen hatten, spät am Nachmittag, mitten auf der unheimlichen und öden Prärie, stießen wir plötzlich auf eine breite Spur der Pawnee, die von ihren Dörfern am Platte-River zu ihren Kriegs- und Jagdgründen weiter südlich führte.

Hier finden jeden Sommer Wettkämpfe statt. Tausende von Wilden – Männer, Frauen und Kinder, Pferde und Maultiere, beladen mit ihren Waffen und Geräten, und eine Vielzahl ungehorsamer, wölfischer Hunde, die noch nicht so weit zu Haustieren geworden sind, dass sie bellen, sondern viel mehr nur jaulen wie ihre wilden Verwandten der Prärie, – kommen dort zusammen.

Die ständigen Winterdörfer der Pawnee stehen am unteren Platte-River, aber den Sommer über wandert der größere Teil der Einwohnerschaft über die Ebenen – gemeine, feige Banditen, die durch die Tausende von Raubüberfällen und Morden die Bestrafung durch die Regierung mehr als verdient haben. Letztes Jahr soll ein Dakota-Krieger in einem dieser Dörfer eine erstaunliche Tat vollbracht haben. Mitten in der Nacht schlich er sich ganz allein an. Er kletterte an den Zeltstangen eines der großen Zelte hinauf und schaute durch das Rauchloch von oben herab auf die schlafenden Bewohner. Dann ließ er sich herab, schürte mit seinem Messer das Feuer etwas, damit er besser sehen konnte, und wählte kaltblütig seine Opfer. Einen nach dem anderen erstach er dann und skalpierte sie. Plötzlich erwachte ein Kind und schrie. Er sprang aus dem Zelt, stieß den Kriegsruf der Sioux aus, rief seinen Namen triumphierend und schoss dann auf die dunkle Prärie hinaus. Hinter ihm geriet das Dorf in Aufruhr. Die Hunde jaulten. Die Frauen kreischten. Aufgebrachte Krieger stießen wilde Schreie aus.

Unser Freund Kearsley, so stellten wir fest, als wir ihn wieder eingeholt hatten, war ein erfahrener Waldläufer, geübt im Umgang mit der Waffe, aber hier auf der Prärie befand er sich so ganz und gar nicht in seinem Element. Weder er noch einer seiner Männer hatte bisher einen Büffel zu Gesicht bekommen, und sie hatten auch nur sehr vage Vorstellungen von der Art und dem Aussehen dieses Tieres.

An dem Tag, nachdem wir den Platte-River erreicht hatten, sahen wir eine Vielzahl kleiner schwarzer Flecken in der Ferne, die sich bewegten.

»Nehmt eure Gewehre, Männer«, sagte Kearsley, »wir wollen uns frisches Fleisch zum Abendessen holen.«

Diese Aufforderung war völlig hinreichend. Die zehn Männer verließen ihre Wagen und machten sich in wilder Eile, die einen zu Pferde, andere zu Fuß, an die Verfolgung der Büffel.

Unterdessen verstellte eine hohe, grasbewachsene Kette den Blick auf das Wild. Aber als sie nach einer halben Stunde Rennens oder Reitens auf der Höhe ankamen, sahen sie sich plötzlich dort ungefähr dreißig Pawnee zu Pferde gegenüber. Das Erstaunen war gegenseitig. Da sie nichts außer Pfeil und Bogen bei sich hatten, meinten die Indianer, ihr letztes Stündlein habe geschlagen und das Schicksal, von dem sie wussten, dass sie es mehr als reichlich verdient hatten, habe sie ereilt. Also begannen sie plötzlich, die herzlichsten Begrüßungen zu brüllen, und rannten mit übertriebener Freundlichkeit auf die Männer vom Missouri zu, um ihnen die Hände zu schütteln. Diese aber waren ihrerseits recht froh, dass es zu keiner kriegerischen Auseinandersetzung kam.

Eine niedrige, gewellte Kette sandiger Hügel begrenzte vor uns den Horizont. An diesem Tag ritten wir zehn Stunden, und es wurde schon dunkel, als wir die Senken und Schluchten zwischen den unheimlichen kleinen Hügeln erreichten. Endlich kamen wir auf die Höhe, und das langerwartete Tal des Platte-River lag vor uns. Wir hielten an und genossen freudig diese Aussicht.

Meile um Meile dehnte sich vor uns eine Ebene so flach wie ein See aus, und durch sie zog sich der Platte-River mit einem Dutzend von Armen. Manchmal erhob sich auf einer schattigen Insel eine Baumgruppe, aber das war auch die einzige Abwechslung, die sich dem Auge bot. Kein Lebewesen schien sich in der endlosen Landschaft zu rühren, außer den Eidechsen, die über den Sand und durch das Gras und das Holzbirnendickicht zu unseren Füßen huschten.

Jetzt begann die unangenehmste Strecke auf unserer Reise. Noch lagen vierhundert Meilen zwischen uns und Fort Laramie. Um diesen Punkt zu erreichen, würden wir wahrscheinlich mehr als drei Wochen brauchen.

Während der ganzen Zeit befanden wir uns in der Mitte eines langen, sandigen Streifens, der wie ein ausgerollter Gürtel fast bis zu den Rocky Mountains reicht. Zwei Ketten von Sandhügeln, modelliert in den wildesten und phantastischsten Formen, flankierten das Tal in einer Entfernung von ein oder zwei Meilen zur Rechten und Linken, jenseits davon lag nackte, weglose Wildnis, die sich über Hunderte von Meilen auf der einen Seite bis zum Arkansas, auf der anderen Seite bis zum Missouri ausdehnte. Vor und hinter uns war die ebene Monotonie durch nichts unterbrochen, soweit das Auge reichte. Manchmal glühte es unter der Sonne auf. Ein unbewachsener Strich heißen Sandes. An anderen Stellen wuchs langes grobes Gras. Schädel und ausgebleichte Knochen von Büffeln lagen überall verstreut. Tausende von Spuren der Tiere fanden wir im Sand, und von Zeit zu Zeit stießen wir auf diese kreisförmigen Dellen, die davon herrühren, dass sich die Tiere im Sand wälzen. Aus jeder Schlucht, jedem Einschnitt zwischen den Hügeln führten tiefe, ausgetretene Pfade herab, auf denen die Tiere zweimal täglich zum Platte-River zogen, um aus dem Fluss zu trinken. Der Fluss selbst war ein dünnes Tuch raschfließenden, wirbelnden Wassers, eine halbe Meile breit und zwei Fuß tief. Seine niedrigen Ufer sind zumeist ohne Buschwerk und Bäume und bestehen aus jenem losen Sand, den das Wasser mitführt. Es ist damit so angereichert, dass es sich einem zwischen den Zähnen festsetzt, wenn man trinkt. Die nackte Landschaft ist ermüdend und monoton. Doch die wilden Tiere und Stämme, die sich im Tal des Platte-River aufhalten, sorgen dafür, dass es dem Reisenden nicht langweilig wird.

Von denen, die dort durchgekommen sind, gibt es wohl keinen, der nicht irgendwann einmal voller Dankbarkeit sich an sein Pferd und an sein Gewehr erinnerte, ohne die er verloren gewesen wäre.

Zeitig an jenem Morgen, nachdem wir den Platte-River erreicht hatten, näherte sich ein langer Zug schmutziger Wilder unserem Lager. Alle waren zu Fuß. Ihre Pferde führten sie an einer Leine aus Büffelleder hinter sich her. Ihre ganze Kleidung bestand aus einem Gürtel und aus einer alten Büffelhaut, schon ziemlich abgetragen, die sie über die Schulter hängen hatten. Der Kopf war kurz geschoren bis auf ein Haarbüschel, das vom Scheitel bis zur Stirn reichte und sehr an die langen Borsten auf dem Rücken einer Hyäne erinnerte. Sie trugen Pfeil und Bogen in der Hand, und die mageren kleinen Pferde waren beladen mit getrocknetem Büffelfleisch. So sahen die ersten Indianer aus, die wir aus der Nähe sahen. Und sehr gleichgültig wirkten sie – diese echten Wilden der Prärie. Es waren jene Pawnee, die Kearsley am Tag zuvor getroffen hatte, und sie gehörten zu einer großen Jagdgesellschaft, die die Prärie in der Umgebung durchstreifte. Sie ritten rasch vorbei, einen Steinwurf weit von unseren Zelten entfernt, wie es Art der Indianer ist, wenn sie etwas im Schilde führen oder ein schlechtes Gewissen haben.

 

Ich ging hinaus, um sie zu begrüßen, und hatte ein freundliches Gespräch mit dem Häuptling, dem ich ein halbes Pfund Tabak schenkte. Offenbar war er über diese unverhoffte Beute sehr erfreut.

Diese Burschen oder einige ihrer Kameraden hatten einen Überfall auf einen Auswanderertreck, der sich vor uns befand, ausgeführt.

Zwei Männer waren von ihnen abgefangen worden. Aber sie hatten ihre Pferde angetrieben und versucht zu entkommen. Die Pawnee stießen darauf ein furchterregendes Geheul aus und schossen. Einer der Männer wurde von mehreren Pfeilen, die ihn in den Rücken trafen, getötet. Der andere entkam, und es gelang ihm, die Reisegesellschaft zu warnen. Die verängstigten Auswanderer wagten daraufhin mehrere Tage nicht mehr weiterzuziehen noch getrauten sie sich, auch nur die Leiche zu bergen.

Unser Klima in New England ist mild und angenehm, verglichen mit dem am Platte-River. An eben diesem Morgen zum Beispiel war es stickig, und die Sonne ging auf mit betäubender, drückender Hitze. Plötzlich sammelte sich im Westen dunkles Gewölk, und im nächsten Augenblick warf es uns eiskalten Hagel ins Gesicht. Seltsam benahmen sich dabei auch die Pferde, sie zeigten äußerstes Unbehagen, hielten ihre Schweife wie geprügelte Hunde, zitterten und stießen Laute aus, die uns an das Geheul der Wölfe erinnerten. Wrights langer Maultierzug machte kehrt vor dem Sturm wie eine Schar Schneevögel, die ein Wintergewitter vertreibt. Wir hielten für ein paar Minuten an und duckten uns hinter die Hälse unserer Pferde. Wir mochten nichts sagen, obwohl uns der Captain aus dem hochgestellten Mantelkragen hervor ansah, das Gesicht blutrot, die Muskeln um den Mund von der Kälte zusammengezogen zu einem unheimlichen an Agonie erinnernden Grinsen. Er murmelte etwas, das wie ein Fluch klang, der wohl die Unglücksstunde betraf, an der er von daheim aufgebrochen war. Aber der Sturm dauerte nicht lange. Als die Wucht des Windes nachließ, schlugen wir unsere Zelte auf und lagerten für den Rest des unheimlichen und niederdrückenden Tages. Die Auswanderer kampierten auch in der Nähe. Da wir die ersten waren, hatten wir uns alles Holz, das vorhanden war, gesichert, und unser Feuer flackerte lustig. Um das Feuer versammelte sich bald eine ganze Gruppe von wilden Gesellen, die nass geworden waren und nun froren. Am gefährlichsten von allen kamen mir zwei oder drei halbwilde Männer vor, die das verwegene Leben eines Trappers in den Rocky Mountains geführt oder für die Fell-Gesellschaften in den Indianerdörfern Handel getrieben hatten. Sie stammten alle aus Kanada. Ihre harten, vom Wetter gezeichneten Gesichter und buschigen Schnurrbärte schauten unter den Kapuzen weißer Umhänge hervor mit einem bösen, brutalen Ausdruck, als müsse man diesen Burschen jede Schufterei Zutrauen. Und tatsächlich trifft dies für viele von ihnen auch zu.

Am folgenden Tag überholten wir Kearsleys Wagen und von nun an waren wir für eine Woche oder zwei Weggefährten. Einen Vorteil hatte diese Allianz jedenfalls. Da wir nun mehr Männer waren, wurden die mühseligen und anstrengenden Nachtwachen für den einzelnen kürzer.

Der Büffel

Vier Tage am Platte-River und immer noch keinen Büffel! Die aus dem letzten Jahr herrührenden Spuren waren zahlreich und da das Holz äußerst rar war, fanden wir in dem getrockneten Büffeldung, der wie Torf brennt, einen erwünschten Ersatz. Eines Morgens hatten die Wagen das Lager gerade verlassen. Shaw und ich saßen schon im Sattel, nur Henry Chatillon hockte noch mit untergeschlagenen Beinen vor der zusammengesunkenen Glut des Feuers und spielte nachdenklich mit dem Schloss seines Gewehrs, während sein gedrungenes Wyandot-Pony ruhig hinter ihm stand und ihm über die Schulter sah. Schließlich stand er auf, tätschelte den Hals des Tieres, das er in übertriebener Lobpreisung seiner Eigenschaften »Fünfhundert Dollar« getauft hatte, und stieg in melancholischer Stimmung auf.

»Was ist denn, Henry?«

»Ach, ich fühle mich einsam, ich bin nie zuvor hier gewesen, aber ich sehe drüben hinter den Hügeln, dass alles schwarz ist, ... schwarz von Büffeln.«

Am Nachmittag verließ ich die Reisegesellschaft, um eine Antilope aufzuspüren. In einer Entfernung von einer oder zwei Meilen zur Rechten sah ich die großen weißen Wagen und die schwarzen Punkte der Reiter. So langsam bewegten sie sich, dass sie stillzustehen schienen. Und weit auf der Linken erhob sich die zerklüftete Kette einsamer Sandhügel. Die riesige Ebene wogte vor hohem Gras, das die Bäuche unserer Pferde berührte. Näher und ferner bewegten sich Antilopen und Wölfe, die haarigen Rücken der letzteren tauchten immer wieder mal auf und verschwanden wieder, während sie sich scheu herumtrieben. Die Antilopen, mit der ihnen eigenen Neugier, kamen nahe heran, so dass ihre kleinen Hörner und weißen Hälse über den Grasspitzen zu sehen waren, während sie uns mit ihren runden, schwarzen Augen anstarrten.

Ich stieg ab und feuerte spaßeshalber auf die Wölfe. Henry schaute sich aufmerksam in der Landschaft um, schließlich stieß er einen Ruf aus, hieß mich wieder aufsteigen und deutete in die Richtung der Sandhügel. Eine Meile von uns wanderten zwei schwarze Punkte über den unbewachsenen, flimmernden Abhang eines dieser Hügel und verschwanden dann hinter dem Gipfel.

»Los!« rief Henry und bearbeitete die Flanken von »Fünfhundert Dollar«. Ich folgte, und wir ritten rasch durch das Gras bis zum Fuße des Hügels.

Von einer der Öffnungen her verlief eine tiefe Rinne, die sich zur Prärie hin erweiterte. Wir ritten dort hinein und waren im Augenblick von düsteren Sandhügeln umgeben. Die Hälfte ihrer steilen Abhänge war nackt, der Rest mit Grasbüscheln und verschiedenen Unkräutern bewachsen, unter ihnen auch der reptillienhaften Prickly Pear. Der Himmel verdunkelte sich plötzlich, und ein kalter böiger Wind kam auf. Die seltsamen Sträucher und die traurigen Hügel sahen wild und verlassen aus. Aber Henrys Gesicht war ganz angespannt. Er riss etwas Haar von der Büffelhaut unter seinem Sattel ab und warf es hoch, um so die Windrichtung auszumachen. Wir ritten ziemlich genau in Windrichtung und mussten deshalb alles daransetzen, einen großen Bogen um die Tiere zu schlagen.

Wir mühten uns, aus der Rinne über einen Sattel hinunter in eine andere zu gelangen, die sich wie eine Schlange um die Hügelkuppen wand und so tief war, dass sie uns völlig verbarg. Wir ritten auf dem Boden dahin, schauten durch die Büsche, und plötzlich zügelte Henry sein Pferd und glitt aus dem Sattel. Eine Viertelmeile entfernt, auf dem Kamm eines Hügels, bewegte sich eine lange Prozession von Büffeln, einer hinter dem anderen. Sie schienen uns sehr würdig und völlig ungezwungen. Dann kamen noch mehr aus einer Senke herauf. Einer nach dem anderen erklomm den grasbedeckten Abhang des anderen Hügels, dann tauchten ein zottiger Schädel und ein Paar kurze Hörner aus einer Rinne in der Nähe auf, und mit ruhigen, gemessenen Schritt kam einer nach dem anderen von den riesigen Tieren in Sicht. Sie zogen quer durch das Tal, ohne etwas von einem Feind zu ahnen. Im Augenblick lag Henry flach auf dem Bauch und bewegte sich durch das Gras auf diese ahnungslosen Opfer zu. Er hatte sein Gewehr wie auch meines bei sich. Bald sah ich ihn nicht mehr, während die Büffel immer noch in das Tal drängten. Für längere Zeit war es still. Ich saß da, hielt sein Pferd, als plötzlich in rascher Folge zwei Schüsse fielen. Die ganze Kette der Büffel verfiel sofort in einen unbeholfenen Trott und war bald darauf hinter der Kante des Hügels verschwunden. Henry stand auf und sah ihnen nach.

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