Seewölfe - Piraten der Weltmeere 681

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 681
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-095-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Der Schatzräuber

Er stiehlt ein Heiligtum – und das kostet ihn fast das Leben

Ein schwaches Licht brannte in dem Tempel, das die düstere Stimmung nur noch stärker hervorhob. Alles war in dieses rötliche Dämmerlicht gehüllt, auch die Gestalt des Priesters, der reglos in einer Nische stand. Jetzt löste sich die Gestalt mit dem Totenkopfschädel und vertrat Malindi Rama den Weg.

„Frevler!“ donnerte eine Stimme, die hundertfach von den Wänden als Echo zurückkehrte. „Du wagst es, dich an dem Heiligtum von Candy zu vergreifen? Du willst den Weisheitszahn des großen Buddha stehlen und den Tempel entweihen?“

Malindi Rama zuckte zusammen. Sollten alle Strapazen umsonst gewesen sein, alles, was er auf sich genommen hatte?

Seine Hand zuckte vor und brachte ein dünnes, scharf geschliffenes Messer zum Vorschein. Mit aller Kraft stieß er zu …

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Die Hauptpersonen des Romans:

Nasir ud-daula – ein weiser Mann, aber Fanatiker, der einen bösen Plan ausgeheckt hat.

Malindi Rama – stiehlt aus dem Tempel von Kandy den Weisheitszahn Buddhas, der ihm unheimliche Kräfte verleihen soll.

Chandra Muzaffar – begleitet Malindi zu der Tempelanlage auf Ceylon, doch es wird seine letzte Reise sein.

Smoky – fischt aus der See eine versiegelte Tonkruke, von der Old Donegal glaubt, daß sie einen Flaschenteufel enthalte.

Der Kutscher – entdeckt im Haar des Schiffbrüchigen, den die Arwenacks an Bord genommen haben, Kopfläuse.

Edwin Carberry – entscheidet sich für einen „Kahlschlag“, um nicht selbst mit Läusen „herumzulatschen“.

1.

Eine Gruppe religiöser Eiferer hatte den Plan ausgeheckt. Ihr Anführer war Nasir ud-daula und ihre ausführenden Organe sollten Malindi Rama und Chandra Muzaffar sein. Die beiden waren Fanatiker, die bedenkenlos über Leichen gingen, um an ihr Ziel zu gelangen.

Sie hockten in einer schäbigen Hütte in der Nähe von Tuticorin an dem übelriechenden und moskitoverseuchten Nebenarm eines kleinen Flusses, der in den Golf von Mannar mündete.

An diesem Morgen war es unerträglich heiß und schwül. Über dem kleinen Fluß stand die Luft wie eine Mauer. Myriaden winziger Stechmücken schwebten über dem braunen Wasser.

Nasir ud-daula war ein graubärtiger Inder, der sich auf die Kunst des Tätowierens verstand. Vor ein paar Tagen hatte er Malindi Ramas Schädel kahlgeschoren und eine Karte darauf tätowiert, die die Tempelanlage von Kandy zeigte.

„Laß sehen“, sagte Nasir und beugte sich über Malindi. Er betrachtete die Karte und nickte zufrieden vor sich hin. Die winzigen Wunden waren verheilt, und auf der Tätowierung sprossen wieder dunkle Haare.

Schon in ein paar Tagen würde die Zeichnung nicht mehr zu sehen sein, die Haare bedeckten sie dann vollständig.

„Ja, das sieht gut aus“, sagte er. „Natürlich wirst du mit Chandra noch ein paar Tage hierbleiben müssen, aber wir haben Zeit, außerdem muß alles sorgfältig geplant sein. Es wird eine lange und sehr beschwerliche Reise, die mit allerlei Gefahren verbunden ist. Aber ihr seid ja zu zweit und werdet es schon schaffen.“

Die anderen Inder, die sich noch in der Hütte aufhielten, blickten auch noch einmal auf die Karte.

Sie war ein kompliziertes Werk und sehr sorgfältig und genau gearbeitet. Es gab nicht viele, die den genauen Ort des Tempels kannten. Nur wenige Eingeweihte wußten, wo er lag.

Die Fanatiker hatten es auf den größten Schatz der Singhalesen abgesehen, eine heilige Reliquie. Es war der Weisheitszahn Buddhas, das einmalige Heiligtum, das im Tempel des Zahns, dem Dalada Maligawa, aufbewahrt und von Priestern und anderen heiligen Männern scharf bewacht wurde.

Fiel diese Reliquie in die Hände der Fanatiker, dann bedeutete das Krieg und blutige Fehden, denn die Singhalesen würden diese Schmach nicht auf sich sitzen lassen.

Bei dem Gedanken an ein blutiges Gemetzel grinste der alte Inder jedoch nur. Sein ganzes Leben lang hatte er daran geplant und gearbeitet, um diesen Weisheitszahn sein eigen nennen zu können, und es hatte viele Jahre gedauert, bis er das Versteck kannte.

Aber er selbst war den Strapazen nicht mehr gewachsen, er war zu alt, um den langen und gefährlichen Marsch ins Landesinnere von Ceylon antreten zu können.

„Anhand dieser Karte werdet ihr euch zurechtfinden“, sagte er. „Niemand wird das Geheimnis erfahren, nur ihr kennt es und ein paar Eingeweihte. Ihr kennt jetzt auch den Weg, und wenn ihr ihn verfehlt, dann könnt ihr euch an der Karte orientieren. Solltest du, Chandra, durch ein unergründliches Geschick dein Leben verlieren, dann wird Malindi allein weitergehen. Du brauchst nur in die stillen Wasser eines Sees zu blicken, und schon hast du die Orientierung wieder, denn die Karte wird sich im Wasser spiegeln. Sie ist dann seitenverkehrt, aber das weißt du ja.“

Malindi nickte ergeben. „Es sei, wie du sagst, großer Subedar.“

Nasir ud-daula ließ die respektvolle Anrede widerspruchslos über sich ergehen und lächelte unergründlich. Er war schon seit undenklichen Zeiten kein großer Subedar mehr, seit ihn die Singhalesen von diesem Verwalterposten entfernt hatten. Aber die Anrede gefiel ihm, und seine Anhänger hatten sie beibehalten, denn sie hatten alle großen Respekt vor seinem Wissen.

„Du weißt auch, mein Sohn, was geschieht, wenn dich unterwegs das unergründliche Schicksal ereilt.“

Malindi wußte das, es war ihm oft genug erklärt worden, und es störte ihn nicht im geringsten.

„Dann wird mir Chandra die Kopfhaut abschneiden, sie in der Sonne trocknen lassen und sie auf eine kleine Trommel spannen, wenn sie dünn wie Papyrus geworden ist.“

„Du wirst davon nichts mehr spüren, mein Sohn. Denke immer daran, daß die Reliquie wichtiger ist als euer Leben, das ihr aber trotzdem nicht leichtfertig aufs Spiel setzen dürft. Einer von euch muß mit dem Weisheitszahn des Erleuchteten wieder zurückkehren.“

„Wir versprechen es, großer Subedar“, sagten die beiden feierlich.

„Wir bringen das Heiligtum zurück, es ist unser größter Schatz.“

„Noch ist es der größte Schatz der Singhalesen“, berichtigte der bärtige Mann nachsichtig lächelnd. „Ich habe viele Jahre damit verbracht, herauszufinden, wo man ihn verwahrt. Sie hüten das Geheimnis und geben es nicht preis, auch um ihr Leben nicht. Und noch etwas: Ihr werdet auf den heiligen Kandy-See stoßen, aber meidet seine Fluten. In ihnen lauern die gefräßigen Räuber, die die Priester dort ausgesetzt haben. Widersteht der Versuchung auf ein kühles Bad. Die Krokodile würden euch zerfleischen.“

Sie wußten alles, der große Subedar hatte es ihnen unzählige Male erklärt, aber er erinnerte sie immer wieder daran.

Nasir ud-daula vertraute ihnen seit Jahren, und nie wäre er auf die Idee verfallen, daß einer abtrünnig werden könnte.

Doch so war es, ohne daß er es ahnte. In Malindi Rama hatte sich der Gedanke festgesetzt, diese Reliquie für sich allein zu stehlen, ohne sie dem großen Subedar zu bringen. Wer den Weisheitszahn Buddhas besaß, der würde ins Nirwana eingehen und der glücklichste Mensch auf dieser Erde werden.

Der Gedanke daran war so überwältigend, daß Malindi von einem Schauer überrieselt wurde, der ihn zittern ließ und der durch alle Fasern seines Körpers drang.

Unbewußt schlugen seine Zähne wie im Fieber aufeinander. Es war wie ein wilder Rausch, der ihn erfaßte.

Dem großen Subedar entging die Veränderung nicht, aber er legte sie falsch aus und zweifelte nicht an der Ehrlichkeit Malindis.

„Was fehlt dir, mein Sohn?“ fragte er besorgt. „Dich wird doch nicht das tückische Fieber befallen haben?“

„Nein, großer Subedar“, antwortete Malindi keuchend. „Es ist der bloße Gedanke an dieses Heiligtum, der mich zittern läßt. Ich kann den Tag kaum erwarten. Es wird viel Aufregung geben.“

„Ja, es wird sehr viel Ärger und Aufregung geben, Malindi. Viel mehr als du ahnst. Die Insel wird in Aufruhr geraten, und der Aufruhr wird auch das Festland erschüttern. Man wird in Anuradhapuraya den heiligen Bo-Baum befragen, unter dem Buddha seine Erleuchtung fand, und die heiligen Männer werden ausschwärmen, um den Frevel zu sühnen. Wahrscheinlich wird es ein furchtbares Blutbad geben, Aufstände, Krieg und Leid. Aber das alles ist nichts, um in den Besitz dieser einmaligen Kostbarkeit zu gelangen. Und ihr beide seid dazu ausersehen, ganz Indien zu erschüttern.“

 

„Dieser Gedanke läßt auch mich wohlig erzittern, großer Subedar“, sagte Chandra Muzaffar.

Er war ein mittelgroßer Mann mit schwarzen, enganliegenden Haaren und wilden, fanatischen Augen, die wie Kohlestückchen glühen konnten.

Malindi war dagegen fast unglaublich dürr. Er hatte vorher lange, schwarze und fettige Haare gehabt. Jetzt ähnelte er einem ausgemergelten, fanatischen Wanderasket, dessen Blicke wie Dolche brannten. Er war etwa zehn Jahre älter als Chandra Muzaffar, aber hinterhältig und tückisch.

„Wir haben die letzten Einzelheiten noch nicht festgelegt, großer Subedar“, sagte Malindi nach einer Weile, in der sie schwiegen und nur das Summen der Mücken zu hören war. „Und das Boot haben wir auch noch nicht gesehen. An welchem Tag soll es losgehen?“

„Das Boot liegt bereit und ist längst besorgt. Ihr werdet Wasser, Reis, Melonen, getrocknete Fische und Bananen als Proviant mitnehmen, und ihr werdet euch immer als Fischer ausgeben. Das wird auch gleichzeitig euren Speiseplan bereichern, denn fischen müßt ihr selbst. Für Fische, Muscheln, Krebse und Garnelen müßt ihr selbst sorgen. Eure Reise beginnt dann, wenn deine Haare so weit nachgewachsen sind, daß man die Karte nicht mehr sieht, Malindi. Das wird bei deinem dichten Haar in etwa einer Woche der Fall sein.“

„Und wie werden wir uns orientieren?“ fragte Chandra. „An den Sternen, wie du es uns gelehrt hast, großer Subedar?“

„Nein“, sagte der alte Mann, zahnlos lächelnd. „Die Sterne können sich hinter Wolken verbergen, oder der Kal-baishakhi kann sie mit seinem Grollen und den Blitzen vertreiben. Dann seid ihr hilflos. Auf dem Meer erreicht ihr das Heiligtum aber schneller und sicherer als durch die Berge und Wildnisse des Landes. Ein großes Stück werdet ihr natürlich durch den Dschungel wandern müssen. Ihr habt es ja gelernt und versteht euch darauf.“

„Dann segeln wir also an der Küste entlang?“

„Ja, an der Küste entlang nach Süden, sobald ihr die Perle Indiens erreicht habt. Ihr könnt sie nicht verfehlen. Ihr werdet in die Nähe von Negombo segeln und euch dort als Fischer ausgeben. Irgendwo in den wilden Mangroven versteckt ihr das Boot und geht von dort aus schnurgerade nach Osten. Wenn ihr den Dschungel hinter euch und die Berge überwunden habt, werdet ihr den Kandy-See erblicken, aber er wird euren Augen wieder entschwinden, und dann müßt ihr die Karte benutzen. Wischnu wird über euch wachen. Ich habe hier noch eine kleine Hilfe für euch. Ihr werdet staunen. Es ist wie Zauberei, wie magische Kräfte.“

Chandra und Malindi sahen gespannt zu, wie der alte Nasir ein dünnes Brettchen hervorholte.

Auf diesem Brettchen befanden sich allerlei Symbole und feine oder gröbere Striche. In der Mitte des Brettchens war ein dünner Nagel angebracht, so dünn und spitz, daß man sich daran verletzen konnte.

Der Alte holte nun mit einem geheimnisvollen Lächeln ein lackiertes Kistchen hervor und entnahm ihm eine zerbrechlich wirkende Nadel, die er auch den anderen zeigte.

„Was ist das?“ fragte Chandra. „Ein Glücksbringer?“

„Eine Zaubernadel, ausgestattet mit magischen Kräften. Die Götter wirken mit ihrem göttlichem Atem auf die Kräfte ein.“

Alle scharten sich jetzt um den Subedar, der die Nadel vorsichtig in die Hand nahm und ebenso vorsichtig auf den Nagel im Brettchen setzte.

Die Nadel begann zu zittern, obwohl niemand sie berührte. Ohne jeden erkennbaren Anlaß begann sie sich zu drehen, bis sie zitternd auf einen Punkt zeigte und auf ihm stehenblieb. Die Spitze dieser wundersamen Nadel war bläulich verfärbt.

Der Alte sagte noch nichts, er lächelte nur sein zahnloses Lächeln und berührte die Nadel wieder. Ganz vorsichtig drehte er sie herum, bis die bläuliche Spitze in entgegengesetzte Richtung wies.

Die anderen sprangen entsetzt zurück, als die Nadel wieder zu zittern begann, sich drehte und schließlich auf demselben Punkt stehenblieb, den sie auch vorher schon eingenommen hatte.

„Ihr könnt sie drehen, wie ihr wollt“, erklärte der Alte. „Die Spitze der Nadel wird immer wieder zu diesem geheimnisvollen Punkt zurückkehren. Dieser Punkt liegt im Norden, wo das blaue Symbol steht. Das ist der Mittelpunkt des Universums, von dem alle geheimnisvollen Kräfte auf dieser Welt ausgehen.“

„Aber wie ist das möglich?“ fragte Malindi verstört. „Sie bewegt sich ja von ganz allein.“

„Die Naturkräfte bewegen sie – Götteratem, Strahlung und die Kraft der Allmacht. Gib mir mal dein Messer, Malindi.“

Die Männer waren anfangs von dieser unsichtbaren Kraft entsetzt, aber jetzt faszinierte sie diese Nadel, die ständig unruhig zitterte, aber trotzdem auf das blaue Symbol zeigte und nicht davon abwich.

Der Subedar nahm das scharfgeschliffene Messer und deutete mit der Spitze auf die Nadel, indem er es dicht davorhielt.

Für die Inder geschah schlicht ein Wunder.

Die Nadelspitze folgte dem Messer, egal in welche Richtung es der Alte bewegte. Sie lief der Messerspitze nach wie ein Hündchen, drehte sich um sich selbst, oder begann schnell zu kreisen, wenn der Subedar das Messer entsprechend schneller bewegte.

„Dann – dann steckt ein Geist in dieser Nadel“, stieß Malindi atemlos hervor. „Ist es so?“

„Eine geistige Kraft, die mir immer anzeigt, wo ihr gerade seid, oder was ihr tut. Ich werde euch diese Zaubernadel mitgeben, denn mit ihrer Hilfe könnt ihr die Himmelsrichtungen feststellen. Ich habe noch eine zweite Nadel. Sie wird mit der anderen in ständiger, unsichtbarer Verbindung stehen. Jetzt werde ich euch erklären, wie ihr mit Hilfe dieser Nadel die Himmelsrichtung feststellen könnt.“

Malindi erschrak heftig, aber er ließ sich nichts anmerken.

Mit Hilfe dieser Zaubernadel konnte der große Subedar also feststellen, wo sie gerade waren oder was sie taten? Unheimlich war das, kaum zu begreifen! Oder war es nur ein Trick des Alten?

Malindi forschte unauffällig in seinem Gesicht. Aber Nasir ud-daula ließ keine Regung erkennen. Seine Gesichtszüge waren so ruhig und ausgeglichen wie immer.

Bei dem Gedanken, daß Nasir sie beobachten konnte, selbst wenn sie noch soweit entfernt waren, fühlte sich Malindi gar nicht wohl. Ob der große Subedar auch bei Nacht sehen konnte? fragte er sich beklommen, oder galt das nur für den hellen Tag?

Chandra Muzaffar schien sich nicht daran zu stören, daß der Subedar sie ständig beobachten konnte. Aber das war kein Wunder, er hatte ja nicht die Absicht, den Alten zu betrügen.

Malindi hatte schließlich die rettende Idee. Wenn sie diese geheimnisvolle Nadel unterwegs durch einen unglückseligen Umstand verloren, dann war der Bann gebrochen, und die Verbindung konnte nicht mehr funktionieren. So einfach war das.

Er beglückwünschte sich zu diesem Gedanken und fühlte sich im Augenblick mindestens genauso schlau wie der Alte. Natürlich würde er auch Chandra nichts davon sagen.

Er wagte jedoch einen kleinen Vorstoß.

„Was passiert, großer Subedar, wenn diese Nadel verlorengeht? Finden wir uns dann nicht mehr zurecht?“

„Warum sollte sie verlorengehen?“

„Wir könnten in ein Unwetter geraten“, meinte Malindi. „Oder böse Geister könnten sie uns rauben.“

„Diese Nadel scheint dich sehr zu interessieren“, sagte der Alte mit einem nachsichtigen Lächeln. „Sie soll aber nicht verlorengehen, der große Geist könnte das übelnehmen und verärgert sein. Wenn dieser Fall jedoch eintritt, dann orientiert ihr euch am Verlauf der Küste bis nach Negombo.“

Mehr sagte der Alte darüber nicht.

Malindi nahm sich vor, irgend etwas zu inszenieren, damit diese Wundernadel möglichst unauffällig verschwand. Der große Geist mußte nur überlistet werden.

Die Erklärung des Alten über die Funktionsweise der Nadel dauerte länger als eine ganze Stunde. Aber jetzt wußten sie wenigstens, wie die Nadel funktionierte. Man konnte mit ihrer Hilfe alle Himmelsrichtungen unterscheiden, und zwar aus dem Grund, weil sie beständig nach Norden zeigte, ohne jemals von diesem Punkt abzuweichen.

Anschließend wurde über die heilige Reliquie gesprochen, und daran erhitzten sich stundenlang die Gemüter.

2.

Nach acht Tagen fanden sich Malindi und Chandra wieder in der baufälligen Hütte ein.

Malindis Haar war zwar noch nicht so lang wie früher, aber es waren schon schwarze Stoppeln, die jetzt seinen Kopf bedeckten. Von der tätowierten Karte war auf den ersten Blick nichts mehr zu sehen.

Über dem Fluß hingen wieder riesige Schwärme von Stechmücken, und die Luft war heiß und stickig.

„Das sieht sehr gut aus“, sagte der große Subedar und betrachtete aufmerksam Malindis Kopf. „Die Haare sind so stark nachgewachsen, daß man nichts mehr erkennen kann. Damit steht eurer Abreise nichts mehr im Weg. Wir werden jetzt die allerletzten Kleinigkeiten besprechen, und dann nehmt ihr das Boot. Bis ihr drüben seid, vergehen nochmals etliche Tage. Niemand wird dann noch etwas auf deinem Kopf bemerken. Sobald ihr nicht mehr weiter über euren Weg im klaren seid, wird Chandra dir den Kopf rasieren, und danach trägst du einen Turban. Ich hoffe aber, daß es nicht nötig sein wird.“

Zuerst brachte er das Kästchen mit der Wundernadel und dem dazugehörigen Brett, in dem der kleine Nagel steckte. Fast feierlich überreichte er es den beiden.

„Ihr wißt ja jetzt, wie es zu handhaben ist. In dem Boot ist eine kleine Vertiefung auf einer der Duchten. Dort stellt ihr es hinein. Habt ihr das verstanden?“

„Ja, großer Subedar.“

Malindi beschlich wieder dieses unangenehme Gefühl von jemandem beobachtet zu werden, den man selbst nicht sehen konnte, der aber doch über alles Bescheid wußte.

Die Anhänger der religiösen und fanatischen Sekte verließen die Hütte und führten die beiden Männer zu dem Boot.

Sie haben wirklich keine Kosten gescheut, dachte Malindi, als er das an einem winzigen Holzsteg vertäute Boot sah.

Es hatte zwei Riemen und einen kleinen Mast mit einem Segel, und es ähnelte einem der üblichen Fischerboote. Es war nur ein wenig größer und geräumiger. Ein Mann konnte in dem Boot bequem schlafen, wenn er müde war, während der andere dann an der Pinne saß. So konnten sie sich gegenseitig abwechseln.

Die beiden staunten über die Vorräte, die sich in dem Boot befanden.

Der Subedar schlug ein Stück Segeltuch zur Seite und deutete stumm mit der Hand unter die vordere Ducht, unter die ein länglicher, hölzerner Kasten eingelassen war. Der Kasten war mehrmals unterteilt und ließ sich zusätzlich mit einem Deckel verschließen. Alles war vor eindringendem Seewasser geschützt.

In dem einen Kasten befand sich als Notproviant getrockneter Fisch, daneben lagen Angelgeräte und ein Netz, wie es die Fischer vor der Küste verwendeten. Ein Kasten war voller Bananen, der andere bis obenhin mit großen Melonen gefüllt. Zwei Fässer mit Trinkwasser befanden sich im nächsten, und im anderen war Reis.

Der Subedar und seine Anhänger hatten auch Holzkohle und die nötigen Utensilien, um ein Feuer zu entfachen, nicht vergessen. Es war wirklich an alles gedacht worden, was für eine längere Reise erforderlich und lebensnotwendig war.

Zum Abschluß erhielt jeder vom großen Subedar noch eine Goldmünze.

„Das ist für den Fall größter Not, oder wenn ihr in eine sehr heikle Situation geraten solltet“, sagte er. „Versteckt es gut, und zeigt es nicht herum. Der große Geist wird über euch wachen. Wir werden euch sehnsüchtig erwarten. Ich bin sicher, daß ihr es schafft, das größte aller Heiligtümer zu uns zu bringen.“

„Wir schaffen es“, sagte Chandra zuversichtlich.

Malindi nickte aufgeregt, er konnte nichts sagen und starrte nur immer bewundernd auf das Boot und seinen Inhalt.

„Dann kann eure Reise jetzt beginnen. Habt ihr auch die Messer?“

Die Messer hatten sie – scharfgeschliffene schmale Dolche, die sie immer bei sich trugen.

Der Subedar und seine fanatischen Anhänger entließen sie mit allen guten Wünschen.

Die beiden nahmen in dem Boot Platz, verneigten sich nach allen Seiten und begannen dann zu pullen. Das Segel konnten sie erst dann setzen, wenn sie aus dem schmalen Nebenarm heraus waren. Hier ging nicht der geringste Lufthauch.

„Bringt die heilige Reliquie!“ rief der Subedar ihnen nach. „Und bringt sie bald! Wir warten auf euch!“

 

„Wir bringen sie!“ rief Malindi heiser. „Und wenn es unser Leben kosten sollte, wir bringen sie!“

Aber seine Worte waren nur ein bloßes Lippenbekenntnis. Wenn er den Weisheitszahn Buddhas erst einmal hatte, dann würden die anderen Männer nie wieder etwas von ihm hören. Dieser Zahn würde ihm Reichtum, Glückseligkeit und ewiges Leben bescheren. Er schauderte bei dem bloßen Gedanken daran und spürte, wie es ihn heiß und kalt überlief.

Hinter ihnen versank die morastige und sumpfige Landschaft mit ihren Mückenschwärmen und dem Geruch nach fauligem Wasser. Im Schlamm stand ein magerer Wasserbüffel, der ihnen nachsah.

Das fanatische Geschrei achteraus verklang langsam. Jetzt hörten sie nur noch das Schwirren der Mücken und Stechfliegen und das gräßliche Summen, wenn sie sich näherten.

Es war so heiß, daß der Sumpf längst hätte ausgetrocknet sein müssen. Gnadenlos brannte die Sonne von einem milchig-blauen Himmel herunter.

Das sumpfige Wasser hatte die Farbe von Gold und Silber, und es reflektierte die Sonnenstrahlen so stark, daß sie nur eine unbestimmte, glitzernde Fläche sahen.

Eine knappe halbe Stunde pullten sie angestrengt und schweigend. Der Schweiß lief ihnen in Bächen über die Gesichter, aber es half nicht, ihn abzuwischen.

Hin und wieder blickte Malindi auf die Ausbuchtung in der einen Ducht, wo die Wundernadel leicht zitterte. Er wandte den Blick wieder ab und pullte verdrossen weiter. Es paßte ihm nicht, daß in dieser Nadel magische Kräfte steckten und ihn jemand beobachten konnte. Aber er ließ sich nichts anmerken.

Der große Subedar sollte nicht mißtrauisch werden.

Nach einer Ewigkeit, wobei ihre Körper nur so trieften, hatten sie es endlich geschafft und den stickigen Flußnebenarm verlassen.

Sie blickten auf den Golf von Mannar und atmeten erleichtert auf.

Hier war alles ganz anders. Die Luft roch frisch nach Salzwasser, und einen laue Brise, schlug ihnen in die Gesichter. Gegen das Brackwasser war es hier im Golf herrlich erfrischend.

Sie zogen die Riemen ein und ließen sich ein paar Augenblicke treiben, bis der Schweiß auf ihren Körpern verdunstete und sie freier atmen konnten.

„Jetzt können wir endlich das Segel setzen“, sagte Malindi, froh drüber, nicht mehr pullen zu müssen und auch die lästigen Stechfliegen hinter sich zu haben. „Ich denke, es wird eine prächtige Überfahrt.“

Chandra Muzaffar reckte sich. Sein Blick fiel auf die Nadel, und er verneigte sich leicht vor ihr.

„Das Auge Subedars wird auch weiter über uns wachen“, sagte er feierlich. „Ohne die geheimnisvollen Kräfte würden wir es allein nicht schaffen.“

„Wie lange werden wir bis zur Küste brauchen?“

„Bei gutem Wind etwa zwei bis drei Tage. Vielleicht werden es auch vier Tage. Die längste Strecke ist der Küstenabschnitt bis Negombo.“

Malindis Blick fiel wieder auf die Nadel. „Ob der große Subedar auch unsere Worte hören kann?“

„Natürlich kann er das“, sagte Chandra überzeugt. „Er kann uns sehen und jedes unserer Worte hören. Manchmal glaube ich, daß er auch unsere Gedanken lesen kann.“

Er sah nicht, wie Malindi heftig schluckte.

Nein, das kann nicht wahr sein, überlegte er. Wenn der große Subedar Gedanken erfassen konnte, dann hätte er ihn wohl nicht auf die Reise geschickt und sich der ganzen Mühen unterzogen. Der Subedar hätte dann ja wissen müssen, daß er, Malindi, für diese Aufgabe unbrauchbar war, weil er den Weisheitszahn für sich behalten wollte.

Zum ersten Male kamen ihm Zweifel an den Fähigkeiten des Subedar. Vielleicht war er gar nicht so groß, wie er immer vorgab? Vielleicht konnte er sie nicht mal sehen und gab das nur vor, um sie einzuschüchtern und zum Gehorsam zu zwingen.

„Warum grinst du so?“ fragte Chandra.

„Ich bin froh, daß das Abenteuer beginnt und wir beweisen können, was in uns steckt, und ich bin froh darüber, daß wir das Meer erreicht haben und eine kühle Brise unsere Körper kühlt.“

„Ja, darüber bin ich auch froh. Wir werden wie Helden gefeiert werden, sobald wir mit dem Zahn des großen Erleuchteten zurückkehren. Jetzt aber sollten wir den Mast aufrichten und das Segel setzen.“

Sie trieben dicht unter der Küste. Die Sonne stand fast im Zenit, und Chandra beugte sich über die Nadel und die geheimnisvollen Zeichen auf dem Brettchen, die jetzt, da er sie kannte, längst nicht mehr so geheimnisvoll waren.

Die zitternde Nadel gab ihm die beruhigende Gewißheit, daß alles in Ordnung war und der Subedar über sie wachte. Sie zeigte mit ihrer bläulichen Spitze nach Norden und blieb immer auf diesen Punkt ausgerichtet, während das Boot sich um die Nadel bewegte. Es war faszinierend und einfach unglaublich. Ständig schien einer der Götter über die Nadel zu wachen.

Der Mast war schnell aufgerichtet und das Segel gesetzt. Es war nur ein kleines Mattensegel, aber der Wind blähte es und schob das Boot ziemlich rasch über das Wasser.

Malindi setzte sich an die Pinne und bewegte das Ruder so, bis sie genau nach Osten segelten. Zitternd zeigte die Nadel nach Norden. Es war ganz einfach, das Boot nach ihr auszurichten, sobald man erst ein wenig Übung darin hatte.

Chandra nahm sein Messer und zerteilte damit eine der großen Wassermelonen. Er schnitt sie in halbe Scheiben und reichte eine davon Malindi.

Das Fruchtfleisch war rosarot und sehr saftig, und es löschte hervorragend den Durst.

Von jetzt an ging alles spielend leicht, und sie hatten nichts weiter zu tun, als sich alle paar Stunden an der Pinne abzulösen.

Schon nach kurzer Zeit versank der Küstenstrich hinter ihnen und wurde zu einem dunstigen Gebilde, das sie nach einer weiteren halben Stunde aus den Augen verloren.

„Bis hierher fahren die Fischer immer hinaus“, sagte Chandra. „Ich glaube, soweit, wie wir jetzt draußen sind, ist noch kein Fischer jemals hinausgefahren.“

„Bestimmt nicht. Ich war auch noch nie soweit draußen, aber das ist ja erst der Anfang. Wir müssen noch viel weiter hinaus.“

Nach einer Weile wurde allen beiden etwas unbehaglich zumute. Nirgendwo war mehr Land zu sehen. Sie bewegten sich fast lautlos auf einer riesigen Fläche, die scheinbar keinen Anfang und kein Ende hatte.

„Keine Angst“, sagte Malindi und gab sich etwas überlegen. „Wir schaffen es schon. Es ist nur etwas ungewohnt, und wir müssen beten, daß kein Sturm losbricht.“

Weil sie alle beide Angst hatten, flehten sie die Götter an, ihnen keinen Sturm zu schicken.

Die Götter erhörten ihre Gebete jedoch nicht, und auch der große Subedar schien die Kontrolle über sie verloren zu haben.

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