Seewölfe - Piraten der Weltmeere 281

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 281
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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-678-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Als Stimmung oder Idylle konnte man das Treiben an Bord der „Pride of Galway“ an diesem Julimorgen nicht bezeichnen.

Die Seewölfe waren zwar alle wieder glücklich zurückgekehrt und hatten sich unbeschadet wiedergetroffen, doch an der guten Laune fehlte etwas.

Der Grund dieser gedrückten Stimmung war der auf recht mysteriöse Art und Weise verschwundene Schiffbaumeister Hesekiel Ramsgate, einer der besten Schiffbauer Englands.

Bei ihm hatten die Arwenacks ihre neue „Isabella IX.“ in Auftrag gegeben, und Ramsgate hatte sie wunschgemäß auf der Werft in Rame Head aufgelegt.

Jetzt war der alte Ramsgate über Nacht verschwunden, vermutlich war er das Opfer einer Entführung geworden. Darauf deuteten auch die Brandanschläge auf den angefangenen Neubau.

Philip Hasard Killigrew hatte eine Belohnung von fünfzig Golddublonen für Hinweise auf den mutmaßlich Entführten ausgesetzt – vergebens, wie sich herausgestellt hatte. Selbst der geldgierige Wirt der „Bloody Mary“, Nathaniel Plymson, einschließlich seiner zahlreichen Spitzel, hatte nichts in Erfahrung bringen können.

So hockte man jetzt auf dem neuen Domizil herum und zermarterte sich das Gehirn, was wohl mit Ramsgate geschehen sein mochte, denn solange er nicht wieder auftauchte, ruhte auch der Weiterbau, und die Arbeit ging nicht voran.

Auf dieser irischen Galeone kochte jetzt wieder der Kutscher wie in alten Zeiten. Lange genug hatten sie seine Küche vermißt, ebenso wie seine ärztlichen Kenntnisse. Aber statt sich auf das bevorstehende Mittagessen zu freuen, dachten sie an ganz was anderes, nämlich an Ramsgate.

So war es kein Wunder, wenn sie sich über Kleinigkeiten aufregten oder ärgerten wie beispielsweise jetzt.

Auf der „Pride of Galway“ gab es Kakerlaken, irische Kakerlaken, versteht sich, denn die Galeone war ein irisches Schiff, mit dem die Gruppe unter Hasard nach Plymouth gesegelt war.

Diese Kakerlaken nun waren gut und gern so lang wie ein Daumen, häßlich und schnellfüßig, und sie glotzten „triefäugig und mit einer gewissen Bosheit“, wie Matt Davies es nannte. Mit der allergrößten Selbstverständlichkeit hatten sie schon seit langem von der „Pride of Galway“ Besitz ergriffen, und ihr boshafter Blick verhieß nichts anderes, als daß die Mannschaft sich doch, verflucht noch mal, zum Teufel scheren möge, denn das Schiff gehöre ihnen ganz allein, einschließlich seiner Vorräte.

Sie konnten gegen diese Brut nichts ausrichten, da halfen auch keine Räucherkräuter oder Schwefelstäbchen. Sobald auch nur eins entzündet wurde, verschwand die Armee spurlos, tauchte danach aber wie selbstverständlich wieder auf, ohne nennenswerte Verluste erlitten zu haben.

Eins dieser boshaften Viecher hatte sich jetzt an Deck verirrt und hockte auf den Planken, wo die Seewölfe es angewidert betrachteten.

„Ein paar von diesen Triefaugen sind ja ganz gut zu ertragen“, sagte Sam Roskill, „aber das sind entschieden zu viele. Ich glaube, die vermehren sich absichtlich so schnell, um uns zu ärgern. Langsam ekele ich mich vor diesem Mistzeug.“

Im Halbkreis saßen sie da und starrten auf das Biest, das sich wie selbstverständlich die englische Sonne aufs Kreuz scheinen ließ, obwohl die Kakerlaken eher die Dunkelheit und das Feuchtwarme liebten. Diese hier bildete offensichtlich eine Ausnahme.

„Und wie biestig sie uns anglotzt“, sagte Matt Davies. „Habe ich ja vorhin schon gesagt: frech, boshaft und triefäugig. Die meint wohl, wir hätten hier nichts zu melden.“

„Das werden wir ihr gleich zeigen“, sagte Bill, außer den Zwillingen der jüngste Mann an Bord, eben der Rustabout, weil es keine andere Rangbezeichnung für ihn gab.

Er kniete sich auf die Planken, krümmte den Zeigefinger am Daumen und holte zum Schnippen aus.

Das triefäugige Biest blieb herausfordernd sitzen. Der Zeigefinger schnellte vor, und die Kakerlake sauste, wie von einer Treibladung getrieben, über das Deck. Sie flog durch das Speigatt, segelte durch die Luft und landete im Wasser. Dort ersoff sie nach kurzer Zeit.

„Wenigstens können sie nicht schwimmen“, meinte der Profos, der den Vorgang interessiert beobachtet hatte. „Vielleicht sollten wir diesen lausigen Kakerlakenkahn einmal kräftig fluten.“

Er spuckte mißmutig ins Wasser und schüttelte sich, als er kurz darauf eine zweite Kakerlake entdeckte. Auch sie hockte so selbstverständlich da, als halte sie Ausschau nach der ertrunkenen.

„Verflucht noch mal!“ brüllte er angeekelt. „Eines Tages setzen diese verdammten Wanzen noch heimlich die Segel und geigen uns nach Irland zurück.“

Die zweite Kakerlake ging ebenfalls über Bord und soff ab. Danach waren an Deck keine weiteren mehr zu finden.

Anders jedoch in der Kombüse, wo der Kutscher am Werk war. Weiß der Teufel, aber sobald er einen Sack Mehl zur Seite schob oder nur etwas anhob, da rannten sie aufgescheucht davon, verschwanden in den Ritzen oder flitzten die Wände hoch, um dort ein Versteck zu erreichen. Eine elende Plage war das! Jedesmal mußte er peinlichst genau in den Vorräten nachsehen, ob sich da nicht eins dieser Biester verborgen hielt und später in das zubereitete Essen wanderte. Es war wirklich nicht seine Schuld, wenn das einmal geschah, denn der Kutscher war ein sehr auf Reinlichkeit bedachter Mann. Gegen die irische Kakerlakeninvasion war jedoch auch er machtlos.

So passierte schließlich das, was die Gemüter an Bord erhitzte und den Profos Edwin Carberry zur Raserei trieb, denn in der dick aufgekochten Suppe platschte es leicht. Dieses Platschen konnte natürlich von den aufplatzenden Kochblasen stammen, die in dem Kessel gluckerten. Aber trotzdem sah der Kutscher vorsichtshalber noch einmal nach, und er fischte auch mit der großen Kelle im Kessel erfolglos herum. Anschließend deckte er den Topf zu und ließ die Suppe weiterkochen.

Durch das angelehnte Schott drangen die Geräusche der Männer, die sich auf der kleinen Kuhl der Galeone aufhielten.

Natürlich sprachen sie von Ramsgate und zermarterten sich das Gehirn, was ihm wohl zugestoßen sein mochte.

Auch den Kutscher beschäftigte diese merkwürdige Geschichte besonders intensiv. Ramsgate war bei den Arwenacks ein beliebter und geschätzter Mann, und so dachten sie in erster Linie an ihn und dann erst an ihre neue „Isabella“.

Solange Ramsgate nicht da war, lief nichts. Die Pläne für den Neubau waren ebenfalls verschwunden, und der Schiffszimmermann Ferris Tukker konnte sie verständlicherweise nicht auswendig im Schädel haben, mochte er auch noch so ein erstklassiger Mann sein.

Etwas später schleppte der Kutscher den Kessel an Deck und verteilte das Eßgeschirr. Es gab dicke Linsensuppe mit Schinkenstücken darin.

Jeder packte sich die Kumme randvoll und gab – je nach Geschmack – mehr oder weniger Essig dazu.

Die meisten hatten nach einer Kumme genug, nur Paddy Rogers und der Profos nicht. Paddy war ohnehin leicht verfressen, der Profos nicht minder.

Bei der zweiten Kumme passierte das Mißgeschick, und es passierte ausgerechnet dem Profos. Rogers hätte es vielleicht gar nicht einmal gemerkt, denn der stopfte mit halbgeschlossenen Augen die Linsen pausenlos in sich hinein.

Carberry dagegen aß mit sichtlichem Wohlbehagen, den Blick immer auf die Kumme gerichtet.

Er fischte den faustgroßen Brokken Schinken heraus und wollte hineinbeißen, als sein Blick plötzlich starr wurde. Sekundenlang sah es aus, als leide er unter heftigen Zahnschmerzen.

Auf dem Schinkenstück hockte eine Kakerlake, kein Zweifel. Ein wenig zermatscht und unkenntlich schon, aber mit Sicherheit eins dieser triefäugigen, boshaft blickenden Biester, vor denen sich alle so ekelten, ganz besonders aber der Profos.

Das Ding ähnelte jetzt allerdings auch einer großen zerdrückten Spinne mit ganz kurzen Beinen.

Den Profos würgte es. Sein Gesicht lief grünlich an, und aus seinem Brustkasten drang ein Gluckern, das sich so anhörte, als wollten die Linsen mit aller Gewalt wieder nach oben.

Der Kutscher sah es und wurde bleich. Diese Peinlichkeit ließ ihm fast das Herz in die Hosen rutschen, und als er dann Carberrys Gesicht sah, da wußte er, wo die Glocken hingen. Verdammt, er konnte nichts dafür, aber wie sollte er das dem aufgebraßten Profos beibringen! Dessen Ekel hatte jetzt den obersten Grenzwert erreicht, und seinem Gesicht sah der Kutscher unzweifelhaft an, daß es jetzt – bei aller Freundschaft – eine Tracht Prügel setzen würde, denn in dieser Beziehung war mit dem Profos absolut nicht zu spaßen.

 

Was tun?

Der Kutscher verzweifelte fast vor diesem Blick, obwohl Ed noch kein einziges Wort gesagt hatte. Ja, er begann sogar leicht zu zittern, denn jetzt schien die Welt unterzugehen.

Wenn der Profos diesen wilden Blick drauf hatte, dann versteckte sogar des Satans Großmutter ihr haariges Gesicht vor Scheu und Angst in der Schürze.

„Du Mistbock, du verdammter!“ brüllte Ed den Kutscher an, und dabei rollte er sogar mit den Augen vor Wut. „Zum Teufel, du wagst es, mir eine Kakerlake ins Essen zu panschen, du Kombüsenwanze!“

Er hob das matschige Ding mit spitzen Fingern hoch und schleuderte es nach dem Kutscher, der immer bleicher wurde.

Die anderen lauschten entsetzt dem wilden Zornausbruch Carberrys, der immer wilder wurde. Sie verstanden ihn ja nur zu gut, aber sie verstanden auch den Kutscher, denn dem war kein Fehler unterlaufen, den hatte einfach das Mißgeschick heimtückisch überrollt, und dafür konnte er nichts.

„Das ist …“, setzte der Kutscher an.

„Halt dein Maul!“ schrie Ed. „Was das ist, sehe ich selber! Und das ist, verdammt und kalfatert, eine matschige Kakerlake. Du hast am Herd gepennt, statt aufzupassen, du mickriger Seewurm. Aber diesmal frißt du das Ding, verlaß dich drauf!“

„Ich habe …“, rief der Kutscher verzweifelt, der jetzt sah, daß es verdammt ernst wurde. Ed ließ ihn gar nicht erst aussprechen.

Erst hatte er die Kakerlake als Wurfgeschoß verwendet, jetzt folgte der Schinken, auf dem das Ding gesessen hatte, und als der ebenfalls sein Ziel verfehlte, stürzte der Profos wutentbrannt auf den Kutscher zu, um ihn am Schlafittchen zu packen.

Er war so erbost, wie ihn die Arwenacks seit langem nicht mehr erlebt hatten, und er ließ auch nicht mit sich reden.

Mit einem blitzschnellen Griff hatte er den Kutscher am Hals.

„Das passiert nicht noch einmal!“ röhrte er. „Das wird dir eine verdammte Lehre sein. Deck gefälligst deinen lausigen Topf beim Kochen zu, du Stint. Diese Kakerlake …“

Der Kutscher glaubte schon die mächtige Faust zu spüren, die ihn erbarmungslos durch die Planken bis ins Kielschwein donnern würde, da kam ihm die heldenhafte rettende Idee, geboren in einem Anflug verzweifelter Angst. Er wuchs über sich selbst hinaus, und bevor Ed zuschlagen und seine Wut ablassen konnte, begann der Kutscher schallend zu lachen.

Das wiederum verblüffte Ed dermaßen, daß er die Faust sinken ließ.

„Du lachst noch, du geteerte Kanalratte?“ fragte er ungläubig. „Du hast mir eine Kakerlake …“

„Eine Kakerlake?“ wiederholte der Kutscher eiskalt und völlig ruhig. „Daß ich nicht lache, Mister Carberry. Du solltest deine Augen lieber ein wenig genauer aufsperren.“

Seine Stimme hatte einen überlegenen Tonfall angenommen, als wüßte er es wieder einmal besser.

„Verflucht, das ist eine Kakerlake!“ schrie Ed. „Eine verdammte tiefäugige irische Kakerlake.“

„Was du da eben so verachtungsvoll von dir geschleudert hast“, sagte der Kutscher hoheitsvoll und überlegen, „das sah zwar so ähnlich aus, Mister Carberry. Es beweist mir lediglich, daß du wieder einmal keine Ahnung hast und auch auf der ‚Mercure‘ nicht ein einziges Mal in die Kombüse geblickt hast, sonst würdest du es nämlich wissen.“

„Was würde ich wissen?“ fauchte Ed. „Rede dich nur nicht heraus!“

„Dieses zerquetschte Etwas“, sagte der Kutscher ruhig, „hat nichts, aber absolut nichts mit einer Kakerlake zu tun. Ich muß doch sehr bitten, Mister Carberry, mir nicht solche Dinge zu unterstellen. Das war nämlich eine orientalische Gewürzspinne.“

„Eine – waaas?“ fragte Ed.

„Eine orientalische Gewürzspinne“, wiederholte der Kutscher geduldig. „Lateinisch Spinnus orientalis gewürzikus“, log er eiskalt. Und diese Sprache der Gelehrten, die natürlich vorn und hinten nicht stimmte, ließ den Profos etwas neugierig blicken, und die bedrohliche Faust verschwand. Sie schlug den Kutscher jedenfalls nicht in Grund und Boden.

Ed sah nicht das hinterhältige Grinsen in den Gesichtern der anderen, denen des Kutschers Verteidigungsrede jetzt diabolischen Spaß bereitete. Der nahm den Profos wieder mal auf seine eigene Art gehörig auseinander. Aber sie alle hatten Verständnis dafür, und so grinsten sie mehr oder minder verstohlen.

Selbst der Seewolf konnte nicht ernst bleiben. Der Kutscher ist schon ein geriebenes Schlitzohr, dachte er.

Doch Carberrys Mißtrauen war noch lange nicht aus der Welt, und auch seine Wut war noch nicht verraucht. Jetzt wollte er es genau wissen, und jeder war gespannt, wie sich der Kutscher aus der Affäre ziehen würde.

„Was heißt hier Spinnus Dingsbums?“ forschte er. „Und wozu soll das überhaupt gut sein? Diesmal entwischst du mir nicht so leicht, Kutscher.“

„Damit werden im Orient die Speisen gewürzt, Ed. Bei Linsen werden orientalische Gewürzspinnen immer verwendet – wie heute. Sie geben der Suppe den würzigen und prächtigen Geschmack. Die Tiere sind natürlich tot, wenn man sie dem Essen beigibt, aber sie sind ganz harmlos. Sie ersetzen Pfeffer, Salz, Knoblauch und Paprika.“

„Sie sehen aber verdammt wie Kakerlaken aus“, beharrte Ed.

„Richtig, Ed“, pflichtete der Kutscher höflich bei, „sie sehen so ähnlich aus, aber man verwendet sie in der ganzen Welt.“

„Eine Sauerei ist das, Spinnen in die Suppe zu tun“, motzte der Profos. „Richtig eklig, verflucht noch mal. Aber ich glaube dir nicht“, sagte er lauernd. „Vielleicht willst du dich bloß herausreden.“

„Keine Spur.“ Der Kutscher blieb kühl bis in die Knochen. Auch sein Zittern hörte langsam auf.

„Ich habe noch mehr von den Gewürzspinnen. Ich habe sie mitgenommen und im Gürtel versteckt.“

Das Gesicht des Profos’ verzog sich angewidert.

„Eine Sauerei ist das trotzdem, das mit den Spinnen. Und, verdammt noch mal, ich glaube dir immer noch nicht. Zeig mir die Dinger, aber dalli!“

„Wie du wünschst, Mister Carberry. Du beleidigst mich zwar ständig, aber das bin ich ja bei dir gewohnt. Warte hier, ich hole sie.“

Weg war er, der Kutscher, und verschwand in der Kombüse, während die anderen mit todernsten Gesichtern herumhockten.

Jetzt geriet der Kutscher allerdings ein wenig in Verlegenheit. Bisher hatte er sich ja ganz gut durchgemogelt, doch er hatte wiederum eine rettende Idee.

Blitzschnell sah er sich um, ob der Profos gefolgt war. Aber der stand an Deck und motzte über die angeblichen Gewürzspinnen.

In eine kleine Kruke füllte er etwas Rum und Essig, stellte sie vorsichtig auf die Back und näherte sich dann dem Mehlsack. Mit einem Ruck lüftete er ihn an und stellte ihn schnell zur Seite.

Acht oder zehn „irische Triefaugen“ wollten davonflitzen, doch der Kutscher war schneller, und diesmal war er den verhaßten Kakerlaken sogar ein wenig dankbar. Er griff zu, sammelte eine halbe Handvoll und packte sie in die Kruke.

In der scharfen Brühe soffen die Kakerlaken blitzschnell ab, krümmten sich zusammen und zogen die Beine an den Leib. Auch ihre mißgebildeten, stummelähnlichen Flügel legten sie an den Körper, und so hatten sie nicht mehr viel Ähnlichkeit mit rennenden Schaben.

Der Kutscher schüttelte die Kruke heftig und ging dann auf die Kuhl zurück, wo ihm alle erwartungsvoll entgegenblickten.

„Damit du nicht glaubst, du mußt hier ständig Kakerlaken essen“, sagte er pikiert. „Hier sind die Dinger.“

Er drehte die Kruke um, der durch das Essig-Rum-Gemisch ein lieblicher Duft entströmte, und hielt zwei der zusammengekrümmten und fast unkenntlichen Biester in der Handfläche.

Der Profos beugte sich vor und starrte sie an. Nein, Kakerlaken waren das ganz gewiß nicht, entschied er, denn die sahen ganz anders aus. Dann stieg ihm der Geruch verführerisch in die Nase.

„Riecht nicht schlecht“, gab er widerwillig zu. „Trotzdem sieht das Zeug widerlich aus.“

„Das will ich nicht abstreiten, Mister Carberry. Gar manches sieht widerlich aus, was man ißt. Krebse oder Langusten auch, und trotzdem munden sie vorzüglich. Diese orientalischen Gewürzspinnen werden getrocknet, damit sie ihr Aroma behalten, und später in Wasser gelegt. Dann geben sie das Aroma wieder ab, und hier ist der Erfolg. Du willst mir ja wohl nun nicht auch noch abstreiten, daß ich ein ganz klein wenig von der allgemeinen Kochkunst verstehe.“

„Nein, das nicht“, sagte der Profos etwas hilflos. Wieder starrte er die gekrümmten Dinger an und schnupperte.

„Riechen bißchen nach Rum und Wein“, meinte er lahm.

„Stimmt. Ich sehe, du beginnst etwas davon zu verstehen. Nun lag ausgerechnet diese Gewürzspinne auf deinem Schinken, was für dich ein Anlaß war, mich körperlich zu bedrohen, ganz abgesehen von den Beleidigungen, die ich ja noch hinnehmen will. Na ja“, sagte der Kutscher entsagungsvoll, „lassen wir das, seien wir generös. Deinem Gesicht sehe ich jedenfalls an, daß du das Zeug in Zukunft auch nicht magst. Oder hast du deine Meinung geändert?“

„Die – die sehen so eklig aus im Essen“, meinte Ed kleinlaut. „Und ausgerechnet ich erwische die Dinger immer.“

Er schnupperte wieder, denn der Geruch der „orientalischen Gewürzspinne“ war tatsächlich nicht übel, und er hätte nie geglaubt, daß solche erbärmlichen Mistviecher ein solches Aroma von sich geben konnten. Aber sie sahen matschig aus, und es ekelte ihn davor. Gewürzspinne hin, Gewürzspinne her, er konnte sich damit nicht anfreunden.

„Bitte“, sagte der Kutscher mit einer großzügigen Handbewegung, „du bist der Profos und für das Deck zuständig sowie für die Ordnung. Ich glaube, ich gehe nicht fehl in der Annahme, daß du auch künftig auf Spinnus orientalis gewürzikus verzichten willst. Und nichts liegt mir näher am Herzen als dein leibliches Wohl, Mister Carberry.“

Bei diesen Worten drehte er lächelnd die Kruke um, die er über die Bordwand hielt, und ließ den Inhalt herausgluckern. Acht oder neun echte irische Kakerlaken, getarnt als orientalische Gewürzspinnen, platschten in den Hafen von Plymouth und sanken auf den Grund.

Damit war der Kutscher aus dem Schneider, und Carberry sah ziemlich betreten drein. In den Gesichtern seiner Kameraden las er nicht gerade Begeisterung. Verdammt, er hatte sich um diese Art von Gewürzen noch nie gekümmert. Vielleicht nahmen die anderen ihm jetzt krumm, daß sie keine mehr hatten.

Sie nahmen es ihm krumm. Am selben Tag noch, gegen Abend, denn der Kutscher wollte jetzt vor Ed nicht sein Gesicht verlieren.

Es gab Kohl mit Fleisch, aber dieser Kohl schmeckte fade, da fehlten die Gewürze, dachte Ed. Er sah auch, daß die anderen mit geradezu verbissenen Gesichtern kräftig nachsalzten oder Pfeffer an den Kohl gaben. Aber er traute sich nicht so recht, ebenfalls nachzuwürzen.

„Schmeckt es dir nicht?“ fragte der Kutscher besorgt. „Du kaust ja mit richtig langen Zähnen. Man sagt immer: ‚Wenn die Maus satt ist, schmeckt das Korn bitter.‘ Bist du schon satt?“

„Äh – nein, aber ein wenig lau schmeckt es. Da fehlen Gewürze.“

Eds Stimme klang fast kläglich und entschuldigend.

„Tjaa, Gewürze“, murmelte der Kutscher. „Werden wir wohl besorgen müssen, obwohl das hier schwerfällt. Deshalb nahm ich ja auch die Gewürzspinnen mit. Schade drum, aber nicht zu ändern. Aber du wirst dich schon daran gewöhnen, mein Lieber. Ich will nicht als der Mann gelten, der anderen Kakerlaken ins Essen schmuggelt, denn die Dinger sahen wirklich so aus, da muß ich dir recht geben.“

Der Profos räusperte sich verlegen und mampfte weiter.

„Eigentlich bist du ein feiner Kerl, Kutscher“, sagte er dann, was man wohl als so eine Art Entschuldigung auffassen konnte.

Der Kutscher seufzte tief.

„Eigentlich“, sagte er, „bin ich manchmal ein richtiger Sauhund. Aber ich muß das mit Köpfchen wieder ausgleichen, was die anderen mit roher Kraft tun, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Ja, ich verstehe“, sagte Ed spontan, obwohl er gar nichts verstand, denn er wußte nicht genau, was der Kutscher überhaupt meinte.

„Äh – entschuldige, wenn ich dich vorhin so angebrüllt habe, Kutscher.“ „Mistbock hast du mich genannt“, sagte der Kutscher schwer. „Entschuldige, alter Junge.“

„Und Kombüsenwanze.“

„War nicht so gemeint, Kutscher.“

„Und mickriger Seewurm.“

„Das sind so meine Ausdrücke“, murmelte Ed.

„Und geteerte Kanalratte.“

„Geteerte Kanalratten gibt’s gar nicht“, sagte Ed. „Das brauchst du nicht auf dich zu beziehen.“

„Jedenfalls war ich ziemlich traurig, als ich das hörte. Dabei habe ich es doch nur gut gemeint“, sagte der Kutscher leicht schluchzend.

 

Das wiederum rührte den Profos, und sein weiches Herz kam zum Vorschein. Er legte dem Kutscher den Arm um die Schultern und nickte ihm beruhigend zu.

„Nun kotz mal hier keine Knochen“, sagte er burschikos. „Ein Kerl wie du, der nimmt doch mir nichts übel.“

„Dann nimmst du mir auch nichts übel?“

„Kein bißchen“, versicherte Ed. „Und von nun an hast du jede Woche eine Kakerlake bei mir gut. Sollte dir also mal eine ins Essen fallen, dann werde ich nicht einmal husten. Und wirklich, Kutscher: Es ist schade, daß wir diese ägyptischen Gewürzkaker …, äh, -spinnen über Bord gekippt haben.“

Der Kutscher zwinkerte dem Profos zu.

„Ich habe noch ein paar“, sagte er vertraulich. „In der Kombüse sieht noch eine andere Kruke.“

„Dann ist ja alles in Ordnung, du verdammtes Schlitzohr.“

Das mit dem Schlitzohr hörte der Kutscher gern, es ging ihm runter wie Honig mit Milch. Aber ein schlechtes Gewissen hatte er doch, wenn auch nur ein ganz klein wenig.

Aber hätte er sich wegen dieser lausigen, tiefäugigen irischen Kakerlake vom Profos verprügeln lassen sollen? No, Sir! Da mußte man schon ein wenig mit kühler Intelligenz nachhelfen, damit man nicht zu Schaden kam.

Der Profos fragte sich nur beklommen, warum die Kerle alle so merkwürdig starre Gesichter hatten. Bestimmt hatten sie die orientalische Gewürzspinne im Essen vermißt.

Ja, so war das wohl. Zum Glück satte der Kutscher ja noch welche.

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