Seewölfe - Piraten der Weltmeere 568

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 568
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-975-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Die Insel der Dämonen

Die Insel wirkt verlassen, doch dann tauchen die Dämonen auf

Das Meer grollte, kochte und schäumte. Salziges Wasser stieg donnernd zum Himmel und brach unter urweltlichem Getöse über der Galeone zusammen.

Es gab ein entsetzliches Krachen, und dann folgte ein gewaltiger Hieb, der das Schiff erzittern und taumeln ließ.

Eine brüllende Woge hob die Galeone hoch, ließ sie jäh in finstere Tiefen stürzen und setzte sie dann hart ab. Die „Golden Arrow“ krachte in einem Wellental so hart auf, als wollte sie sich mit aller Gewalt in den Meeresgrund bohren.

Sie befanden sich irgendwo in der Ägäis, im Gewirr vieler kleiner und tückischer Inseln. Aber wo sie genau waren, das wußte an Bord längst keiner mehr, denn der orkanartige Sturm hatte die Galeone um viele Meilen versetzt.

Wieder rollte ein gewaltiger Brecher heran und donnerte wie ein urweltliches Ungeheuer schaumumgeben auf das Schiff zu. Kochen und Brodeln, ein gähnender Abgrund tat sich auf. Die Galeone raste in den Schlund der Hölle …

Die Hauptpersonen des Romans:

Pankraz Bulla – der englische Schiffszimmermann ist auch ein Erfinder, stößt aber auf keine Bewunderung.

Hump – der Bucklige entpuppt sich als wahrer Giftzwerg und ist der bestgehaßte Mann an Bord der „Golden Arrow“.

Jeremias – der Koch an Bord ist gleichzeitig der Schiffsgeistliche und ständig am Salbadern.

Hasard und Philip junior – die Söhne des Seewolfs verlieren sich im Nebel und entdecken eine merkwürdige Insel.

Old Donegal O’Flynn – stößt auf Dämonen der Hölle und einen Knochenmann und ergreift die Flucht.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Eine liebevoll-besorgte Mutter hatte ihn auf die sinnigen Namen Pankratius Hippolytos Xerxes taufen lassen. Mit Nachnamen hieß er schlicht und einfach Bulla.

Pankratius oder Pankraz stand für einen römischen Märtyrer, der nach der Legende schon als vierzehnjähriger Knabe enthauptet worden war. Hippolytos war ein römischer Heiliger, der sich als Gegenpapst gegen Calixtus den Ersten aufstellen ließ, weil ihm dessen maßvolle Bußpraxis nicht paßte, und Xerxes schließlich war der Name altpersischer Könige aus dem Geschlecht der Achämeniden.

Das alles traf auf Pankraz Bulla nicht zu. Bestenfalls paßte noch der Name Xerxes zu ihm, denn dessen Vater, Artaxerxes der Erste, war der Ahasverus der Bibel.

Das hatte offenbar auf Pankraz ein bißchen abgefärbt, denn auch ihn trieb es ruhelos durch die Welt.

Er selbst bezeichnete sich gern als „Erfinder“, doch die anderen nannten ihn schlicht und einfach einen alten Spinner, der nur Flausen im Kopf hätte. Nachdem er in England eine Menge unnützes Zeug erfunden hatte – unter anderem hatte er mit einer „Erfindung“ eine Kornmühle in die Luft geblasen –, fuhr er wieder zur See, wo er nicht soviel Schaden anrichten konnte.

Man schrieb das Jahr 1594, und die Dreimastgaleone „Golden Arrow“ befand sich auf der Rückfahrt von Istanbul. Ihr Ziel war London, doch das sollte sie nie erreichen.

Vor ein paar Tagen hatten sie ein Wrack in den Klippen vor einer Insel gesichtet und nach Überlebenden Ausschau gehalten. Aber sie hatten keinen einzigen Schiffbrüchigen gefunden, dafür jedoch an Bord Goldbarren in Kisten, zwei Truhen voll Diamanten, ein Fäßchen mit erlesenen Edelsteinen und schließlich noch etliche Silberbarren.

Das alles ruhte jetzt in den Laderäumen der Galeone.

Pankraz Bulla war an diesem sonnigen Tag in guter Stimmung, und sein Ideenreichtum war unerschöpflich. Er arbeitete an einem automatischen Wasserheber, der das lästige Heraufholen von Wasser ersetzen sollte. Der Wasserheber bestand aus einem Schaufelrad, das über die Bordwand gehängt wurde. Daß das Ding nicht funktionierte, war außer Pankraz Bulla allen klar. Verbissen nagelte und hämmerte er zum Segen der Mannschaft, bis ein Schatten auf ihn fiel.

Es war Hump, der Bucklige, ein übler Giftzwerg, der mißtrauisch auf das Gebilde starrte. Der Bucklige mit dem Spitznamen Hump war nicht viel größer als ein zwölfjähriges Kind. Aber in seinem mißgestalteten Körper steckte alle Bosheit der Welt.

Pankraz konnte den verdammten Zwerg nicht ausstehen, der ihn schiefmäulig ansah.

„Was soll das denn werden?“ fragte er.

„Eine Wasserhebemaschine“, entgegnete Pankraz unwillig.

„Und wie funktioniert die?“ Der Zwerg lachte bösartig.

„Sie wird an der Bordwand befestigt und dreht sich. Dann läuft soviel Wasser an Deck, wie für das Reinschiff gebraucht wird.“

Der Bucklige dachte angestrengt über die Konstruktion nach, konnte sich aber nicht vorstellen, daß sie funktionierte.

„Das wird genauso ein Mist wie deine anderen Erfindungen auch“, sagte er abwertend und gehässig.

„Verschwinde und laß mich in Ruhe“, knurrte Pankraz.

Der Bucklige verschwand, aber nicht ohne der hölzernen Konstruktion einen Fußtritt zu geben, wobei er hämisch lachte.

Dann ging er zum Ersten Offizier und haute Pankraz Bulla in die Pfanne.

„Sir“, sagte er verschwörerisch. „Mister Bulla will das Schiff beschädigen. Er will Löcher in die Bordwand schlagen.“

„Wie bitte?“ Der Erste glaubte, sich verhört zu haben.

„Ja, Sir, er hat es mir selbst gesagt. Der Kerl ist gemeingefährlich. Er baut eine Wassermaschine.“

Der Erste war von Pankraz Bulla einiges gewohnt und wunderte sich kaum noch. Unter einer Wassermaschine konnte er sich allerdings kaum etwas vorstellen. Er wollte die Meldung an den Kapitän weitergeben, doch der winkte sofort uninteressiert ab, weil er von den Erfindungen längst die Nase voll hatte.

Die letzte Erfindung reichte ihm noch. Da hatte Pankraz Bulla einen „Abtritt“ erfunden, damit die Männer bei schlechtem Wetter und rauher See nicht immer auf die Galion mußten. Leider hatte Pankraz dabei auch das Schiff angebohrt, und zwar so, daß es ganz beträchtlich leckte. Seitdem war der Abtritt vergessen, und Pankraz hatte sich eine Menge Ärger eingehandelt in seiner Funktion als Schiffszimmermann.

„Er wird uns noch alle umbringen“, sagte der Bucklige gehässig, als der Erste das Achterdeck verließ und zur Kuhl ging.

Dort hockte Bulla noch immer auf den Planken und legte letzte Hand an seine Konstruktion.

Der Erste blieb stehen und sah auf das merkwürdige Ding. Es ähnelte ein wenig dem Schaufelrad einer Mühle, nur war es wesentlich kleiner.

„Na, wieder am Erfinden?“ fragte der Erste spöttisch. Er sah auf Bullas Halbglatze und den traurig wirken den Schnurrbart, der einer herabhängenden Bürste glich.

„Hat der Zwerg mich wieder verpetzt, Sir?“ fragte Pankraz.

„Ja, Sie würden eine Wassermaschine, oder was immer das sein mag, herstellen und wollten Löcher in die Bordwand schlagen.“

„Kein Wort wahr, Sir“, versicherte Pankraz. „Das ist eine Wasserhebemaschine, aber Löcher brauche ich nicht in die Bordwand zu schlagen. Das ist unnötig.“

„Ich rate Ihnen auch dringend davon ab. Wie Sie wissen, hat der Kapitän in dieser Hinsicht keinen Humor – ich übrigens auch nicht. Wie soll das Ding denn funktionieren?“

Pankraz Bulla hörte den feinen Spott nicht, der in den Worten des Ersten mitschwang. Er war von seiner eigenen Idee restlos fasziniert.

„Oh, das ist ganz einfach, aber genial, Sir. Kein Mann muß mehr mit der Hand Wasser hochholen, wenn die Maschine läuft. Sie nimmt das Wasser automatisch auf, sozusagen im Vorbeisegeln, Sir. Niemanden wird mehr die Pütz aus der Hand gerissen. Das spart einerseits eine Menge Pützen, andererseits erleichtert es die Arbeit. Die Maschine wird je nach Bedarf über die Bordwand gehoben. Das geschieht mit Hilfe zweier Stangen, die man an der Nagelbank verankern kann. Oder ein paar Männer können sie halten.“

„Ist das nicht ein bißchen aufwendig?“

„Keineswegs, Sir. Ich bin Sicher, daß in absehbarer Zeit alle Schiffe eine solche Maschine an Bord haben werden.“

Der Erste Offizier war aber doch ein Mann mit Humor, auch wenn Pankraz Bulla ihm mitunter mächtig auf die Nerven fiel.

„Dann probieren wir es doch einmal aus“, schlug er vor. „Wir wollen ja nicht an den Wundern der Technik achtlos vorbeigehen.“

Der Koch erschien an Deck. Er war lang und dürr mit wirren Haaren und einem weltentrückten Blick. Da sie keinen Bordgeistlichen hatten, übernahm Jeremias, wie der Koch hieß, freiwillig diese Funktion. Er war ein ebensolcher Spinner wie Pankraz Bulla Und salbaderte ständig herum.

 

„Das ist Teufelswerk!“ rief er entsetzt. „In der Heiligen Schrift steht nicht geschrieben, daß man solch Teufelswerk bauen darf. Du bringst den Herrn in Versuchung, Pankraz.“

„Quatsch kein dummes Zeug“, sagte Pankraz, „es ist so was Ähnliches wie eine Mühle, nur daß man damit Wasser schöpft. Und der Herr hat ganz bestimmt keine Hilfsmittel verboten.“

Die anderen Kerle grinsten sich schon eins, zumal auch noch der Bucklige mitgiftete und verkündete, daß sie alle untergehen und elend ersaufen würden, wenn an Bord Maschinen liefen.

Dem Koch war das nur recht, und er nickte beifällig, als Hump der Maschine wieder einen Tritt gab.

„Noch einmal“, sagte der Erste ruhig, „und ich laß dir ein Dutzend Streiche auf deinen verdammten Buckel zählen.“

Hump zog sich beleidigt zurück und sah die anderen mit hinterhältigen und tückischen Blicken an. An irgendeinem würde sich der Zwerg wieder mal rächen, wie er das immer tat, wenn ihn die Offiziere abkanzelten. Seinen Groll ließ er dann hinterhältig an seinen Kameraden aus.

Inzwischen wurde die Wasserhebemaschine ausprobiert, wobei der Koch wieder den Weltuntergang prophezeite und die Hände rang.

Pankraz half eifrig mit, als das Ding an zwei Stangen über die Bordwand gewuchtet wurde.

„Sobald es im Wasser ist“, verkündete er, „werden Unmengen Seewasser nach oben geschleudert. Jeder Kasten enthält ungefähr eine halbe Pütz voll. Wir brauchen nur noch eine Rinne über das Schanzkleid zu legen, und schon plätschert es los. Ihr werdet staunen!“

Die Kerle staunten wieder einmal gründlich.

Die Maschine berührte gerade das Wasser und fing wie wild an zu schaufeln, als sie den Männern auch schon aus den Händen gerissen wurde. Es gab einen lauten Knall, bei dem sogar der Kapitän auf dem Achterdeck verstört zusammenzuckte. Dann zerplatzte Pankraz Bullas neueste Erfindung in hundert Einzelteile, die auf dem Wasser davontriebeh. Die anderen Kerle hielten noch die Stangen fest und stierten irritiert ins Kielwasser, in dem die Holzreste schäumend davonbrausten.

„War wohl nichts“, sagte der Erste trocken. Er hatte den Spaß nur mitgemacht, um zu beweisen, daß es nicht funktionierte.

Pankraz Bulla zupfte an seinem traurig herabhängenden Schnurrbart und stierte ebenfalls ins Wasser. Seine Maschine war beim Teufel, die hatte nicht lange gehalten.

Auf dem Vordeck hüpfte der Bucklige vor Schadenfreude von einem Bein auf das andere und wollte sich kranklachen. Er konnte sich kaum noch beruhigen und krümmte sich. Er sah aus wie ein heimtückischer Dämon.

Der dürre Koch bekreuzigte sich.

„Der Teufel hat seine eigene Maschine geholt. Ein Wunder ist geschehen. Amen.“

„Jaja, du Spinner“, sagte Pankraz, verärgert darüber, daß sich seine neue Errungenschaft so schnell in ihre Bestandteile aufgelöst hatte. „Du kannst nur salbadern und Quatsch reden. Aber beinahe hätte es geklappt.“

„Was ich nicht glaube“, sagte der Erste sehr bestimmt. „Ihre Erfindungen, mein lieber Bulla, sind bis jetzt alle in die Hose gegangen. Oder etwa nicht?“

„Eine Verkettung unglücklicher Umstände“, murmelte Pankraz. „Da war viel Pech dabei, Sir.“

„In Istanbul haben Sie eine Kakerlakenfalle erfunden“, zählte der Erste grinsend auf. „Da ist nicht einmal ein Floh hineingegangen, aber auf dem Kram rutschte der Moses aus und brach sich den Arm. Vorher erfanden Sie eine Maschine zum Deckschrubben aus durchbohrten und aneinandergereihten Holystones. Das war für die Katz, weil nun einmal auf einem Schiff Masten, Nagelbänke und alles mögliche stehen, und es keine Weiträumigen Flächen gibt. Na schön, dann erfanden Sie eine Segelaufwickelmaschine, wenn ich mich recht entsinne. Das Ding lief über hölzerne Zahnräder, und als es in Betrieb gesetzt wurde, brachen ein paar Spieren, wobei auch noch ein Segel zerfetzte. Dann hatten sie die überaus grandiose Idee, auf dem Achterdeck ein sogenanntes Windrad zu installieren, um dem Schiff mehr Antrieb zu geben. Als der Zweite Offizier in das Ding geriet, hätte der Kapitän Sie fast erschossen, Sie Unglücksrabe. Anschließend erfanden Sie eine Toilette, wie Sie das Ding nannten, und bohrten dabei das Schiff an, daß wir vier Tage lang lenzen mußten. Einmal behaupteten Sie, daß bei einer Flaute die Galionsfigur die Galeone ziehen würde, wenn man es nur geschickt anfinge. Sie manipulierten solange an ihr herum, bis ihr der rechte Arm abbrach.“

„Und einmal hat er in einem großen Kasten Wind gespeichert!“ rief der Bucklige. „Er hat ihn zusammengepreßt, aber als wir in der Flaute lagen, war der Kasten plötzlich leer.“

„Ja, das auch noch“, sagte der Erste seufzend. „Zum Glück ist bei ihrer heutigen Erfindung nichts weiter passiert, und hoffentlich erfinden Sie nicht noch mehr, sonst grämt sich der Kapitän noch zu Tode.“

„Aber die Kokosnußbomben habe ich auch erfunden“, sagte Pankraz stolz, „und die haben einwandfrei funktioniert.“

„Ja, aber leider auf dem eigenen Schiff, weil sie alle vorzeitig explodierten und uns um die Ohren flogen. Und Ihre Idee, Schmierseife aus einem Kanonenrohr zu verschießen, damit die Gegner ausrutschen, war auch nicht gerade genial, denn die Kanone erfüllte danach ihren Zweck leider nicht mehr. Hören Sie bloß auf, noch mehr zu erfinden, mein Guter.“

Der Bucklige stieß wieder sein abstoßendes meckerndes Gelächter aus und rieb sich hinterhältig die Hände.

„Geh in dich, mein Sohn“, riet der Koch, „befiehl dem Herrn deine Wege und halte dich fern von den Verlockungen des Teufels.“

„Ach, leck mich doch, du scheinheiliger Salbaderer!“ rief Pankraz wütend. „Du bist nur neidisch, weil dir nichts einfällt. Dir fällt ja nicht mal ein, was Vernünftiges zu kochen.“

„Ha, ich bin einer der besten Köche, und darauf bin ich stolz.“

Weiter vorn stieß der Bucklige wieder sein „Hähähähä“ aus und hüpfte auf den Planken wie ein Kobold herum.

Der Erste ging wieder kopfschüttelnd aufs Achterdeck zurück, und als er dem Kapitän Bericht erstatten wollte, hielt der sich ganz spontan die Ohren zu. Er konnte den Namen Pankraz Bulla nicht mehr hören und beschloß insgeheim, den verrückten Spinner beim nächsten Mal in Eisen zu legen, wenn wieder etwas passierte.

Und doch hatte Pankraz Bulla sogar das Salz „erfunden“, jedenfalls behauptete er das. Er hatte einmal bei einem seiner verrückten Experimente einen Topf voll Seewasser auf dem Kombüsenherd verdampfen lassen. Danach fand sich auf dem Boden eine fast fingerdicke Salzschicht. Seitdem herrschte an dem Gewürz kein Mangel mehr auf der Galeone.

2.

Am Abend hatte der Bucklige in der Kombüse eine ziemlich große Cockroach gefangen, eine Kakerlake, die sich aus irgendeiner Ritze zu weit hervorgewagt hatte. Er blies ihr das Lebenslicht aus und steckte sie in seine Hosentasche. Dabei grinste er schmierig.

Später aßen sie im Forecastle, dem kleinen Raum mit den vielen Eichenbalken und der bedrückenden Enge.

Der Bucklige holte die Kummen und verteilte sie. In die eine Kumme steckte er die Kakerlake in die Suppe und schob sie mit dem Finger tiefer unter die Brühe.

Die Kumme stellte er mit unbeteiligtem Gesicht vor Pankraz Bulla hin und hockte sich auf seinen Platz.

Er aß grinsend wie immer mit boshaften und musternden Blicken und lauerte auf eine Reaktion.

Die ließ auch nicht lange auf sich warten. Pankraz hatte ein paarmal gelöffelt und hielt den Löffel wieder hoch. Er war so in Gedanken versunken, daß er die Kakerlake fast übersehen hätte, denn er grübelte über eine neue Erfindung nach.

Der Zwerg begann dämonisch zu grinsen. Sein Kopf wirkte wie auf den Brustkorb gesetzt. Einen Hals hatte er nicht, dafür begann vom Genick aus der riesige Buckel.

Im allerletzten Augenblick blickte Pankraz doch noch auf den Löffel. Er kniff die Augen zusammen, starrte das Ding an und betrachtete es dann von allen Seiten. Dann schluckte er heftig, legte den Löffel auf die Back und nahm das Ding mit Zeigefinger und Daumen vom Löffel.

Kein Zweifel, es war eine Cockroach, nicht ganz so lang wie sein Daumen, und Fühler hatte sie auch noch.

Hump tat so, als bemerke er nichts, aber er blickte aus den Augenwinkeln und beobachtete alles.

Sein widerliches Grinsen ging seinem Nebenmann auf die Nerven, der von der Kakerlake auch noch nichts bemerkt hatte. Der Kerl war rothaarig und ein Grobian, dem alle gern aus dem Weg gingen.

„Hör mit deinem scheißdämlichen Grinsen auf“, knurrte er. „Du hinterhältige Ratte grinst den ganzen Tag. Mich wundert nur, daß dir beim Grinsen nicht das Essen aus dem Maul fällt.“

„Auf armen Krüppeln rumhacken, das kannst du“, tönte der Bucklige erbost. „Ich bin ein friedlicher Mensch, aber alle ärgern mich oder rempeln mich an. Ich tue niemandem etwas.“

„Halt dein Maul und verzieh dich zur anderen Seite“, sagte der Rothaarige, „sonst rücke ich dir deinen Tornister zurecht, bis dir die Beule vorn am Hals rauswächst.“

Der Stunk mit dem Buckligen, wie er ständig an der Tagesordnung war, wäre noch weitergegangen, doch jetzt sah der Rothaarige die Kakerlake und verschluckte sich. Er spie eine Gischtwolke Suppe aus, von der Hump noch einen Teil abkriegte.

„Verflucht noch mal!“ brüllte er. „Was ist das denn?“

„Eine Kakerlake“, sagte Pankraz ruhig, aber angeekelt, „und die war in meiner Suppe drin.“

Der Koch hockte etwas abseits auf seiner Koje. Das war sein „Verbannungsort“, weil sie seine frommen Sprüche nicht mehr hören konnten, die er beim Essen an der Back immer abließ. Wenn er von der Koje aus salbaderte, warfen sie meist mit leerem Kummen nach ihm, aber daran hatte er sich im Lauf der Zeit gewöhnt.

Jetzt trat er mißtrauisch näher und stierte auf das Tierchen. Blicke, die nichts Gutes verhießen, begleiteten ihn. Der Rothaarige legte Löffel und Kumme weg und stand ebenfalls auf.

„Du verdammter Schmierlappen!“ schrie der Rothaarige. In drohender Haltung blieb er vor dem Koch stehen.

Im Hintergrund grinste Hump mit der Boshaftigkeit eines Teufels, der die anderen überlistet hat.

„In meiner Suppe sind keine Kakerlaken“, keifte der Koch, der schon wußte, was nun folgen würde. „Mein Wort darauf.“

„Ich habe auch schon mal eine im Essen gehabt!“ rief der Bucklige aus dem Hintergrund. „Aber man ist ja bescheiden und sagt nichts, um Ärger zu vermeiden.“

Der Koch hing plötzlich zappelnd im Griff des Rothaarigen, der ganz überraschend zugelangt hatte.

„Verdammt, und den Dreck habe ich gegessen. Du Halunke hast vor lauter Faulheit keinen Deckel auf den Kessel getan.“

„Nein, das stimmt nicht!“ schrie Jeremias. „Ich tue immer den Deckel auf die Töpfe!“

„Die Kakerlake ist jedenfalls nicht mitgekocht worden“, sagte Pankraz Bulla sachlich. „Sie ist noch taufrisch. Also muß sie einer vor kurzer Zeit hineingetan haben.“

„Empörend, so mit den Kameraden umzugehen!“ rief der Bucklige. „Das ist ja richtig eklig.“

Der Koch wurde losgelassen und schluckte seine Angst hinunter. Die Blicke aller richteten sich auf Hump, der seinen Kopf noch tiefer zwischen die Schultern zog.

„Es war schon einmal eine tote Ratte in unserem Wasserfaß“, sagte der Rothaarige. „Aber sie ist nicht in das Faß hineingefallen, denn man hat ihr vorher den Hals umgedreht und sie dann hineingeschmissen. Jetzt fällt mir das wieder ein. Damals hat unser Buckelmännchen das Faß aus der Piek geholt, aber keiner hat sich was dabei gedacht. Ich kann mir gut vorstellen, daß er sich heimlich an uns rächen will. Vielleicht hat er ein bißchen mit der Kakerlake gespielt.“

Der Bucklige kriegte große runde Augen. Er zog die Unterlippe ein und zeigte die Zähne. Dabei sah er aus wie eine Ratte, die gerade am Nagen war.

„Ich war’s nicht!“ rief er schrill. „Da sei Gott vor. Ich würde so was niemals tun. Woher sollte ich auch Kakerlaken nehmen?“

Der Koch hatte inzwischen wieder Oberwasser und war erleichtert, daß sie ihn in Ruhe ließen.

„Wer war denn heute alles bei dir in deiner schmierigen Kombüse?“ wollte der Rothaarige wissen.

„Pankraz war einmal da“, sagte der Koch überlegend.

„Der packt sich selbst keine Kakerlaken ins Essen. Er ist zwar ein alter Spinner, aber das können wir vergessen.“

„Hump war auch einmal da“, sagte der Koch.

 

„Ach nein, Hump war auch einmal da!“ rief der Rotschopf und grinste den Buckligen tückisch an. „Unser lieber Hyram war in der Kombüse. Was hast du denn da getan? Kakerlaken gefangen?“

„Ich war nicht in der Kombüse!“ schrie Hump, der eigentlich Hyram hieß und wegen seines Buckels nur Hump genannt wurde.

„War er nun, oder war er nicht?“ fragte der Rothaarige drohend.

„Ich weiß genau, daß er in der Kombüse war. Pankraz und Jonny haben ihn auch gesehen.“

Die beiden bestätigten, daß sie Hump dort für ein paar Augenblicke gesehen hatten.

Der Rothaarige langte nach hinten, kriegte Hump am Hemd zu fassen und zog ihn mit einem Ruck heran. Der Zwerg begann zu toben und zu keifen. Wie ein giftiger Kobold setzte er sich zur Wehr, bis ihm der Rotschopf eine Ohrfeige verpaßte.

„Zum letzten Mal – was hast du in der Kombüse getan?“

„Ich – ich war einmal da“, stammelte Hump, „jetzt fällt es mir wieder ein. Aber ich wollte nur von dem Dörrobst was klauen.“

Die anderen grinsten. Für sie alle stand fest, daß Hump der Übeltäter war. Er war tückisch, boshaft und hinterhältig, und er agierte aus dem Hintergrund, weil er sich an keinen herantraute.

„Paßt auf ihn auf“, sagte der Rothaarige, „ich bin gleich wieder zurück. Laßt ihn nicht an Deck, diesen Giftzwerg.“

Ein paar Minuten später kehrte er zurück. In der Hand hielt er eine mit Mehl gefüllte Muck, über die er die andere Hand gestülpt hatte. Die Muck drehte er auf der Back wortlos um. Dann sah er Hump an.

„Du wirst jetzt die Suppe fressen, die du den anderen zugedacht hast“, sagte er. „Und jetzt wollen wir einmal sehen, ob du Glück hast. Vielleicht sind ja keine drin, aber dann kriegst du die Cockroach von Pankraz.“

Der Verwachsene wurde abwechselnd rot und blaß. Hektische Flecken erschienen auf seinem häßlichen Gesicht. Voller Angst kauerte er sich noch mehr zusammen.

Der Rotschopf hob ganz langsam die Muck hoch und starrte auf das Häufchen Mehl, in dem es sich sofort zu regen begann. Sie hatten schon immer Kakerlaken im Mehl und anderswo gehabt. Aber es war einfach unmöglich, die Biester auszurotten. Dem frömmelnden Koch blieb nichts anderes übrig, als alles vorher immer durchzusieben, was er auch gewissenhaft tat.

Aus dem grauen Mehl schob sich der Kopf einer Cockroach hervor. Dann erschien eine zweite, und ihr folgte eine dritte, die etwas kleiner als die anderen war.

Sie verharrten reglos, als sie Bewegungen um sich herum wahrnahmen.

Der Rothaarige schnappte sich die Kumme von Pankraz Bulla, wischte über die Back und fegte die drei Kakerlaken mit etwas Mehl in die noch immer gefüllte Kumme. Dann nahm er den Löffel und tunkte die Viecher in die Brühe.

Hump sah mit steigendem Entsetzen zu. Er hatte sich ganz nach hinten unter einen Eichenbalken verzogen und verwuchs fast mit ihm.

Ungerührt wartete der Rothaarige ab, bis die Cockroachs nicht mehr zappelten.

„Für dich, Hump“, sagte er ruhig und schob die Kumme samt Löffel über den Tisch. „Ich rate dir, die Suppe bis auf den Grund auszulöffeln, sonst gehst du reihum. Du weißt ja, was das heißt. Oder nicht? Jeder nimmt dich dann einmal in die Mangel, aber danach siehst du gar nicht mehr gut aus.“

Der Bucklige rülpste laut und kriegte hervorquellende Augen.

„Das – das werdet ihr mir doch nicht antun“, jammerte er. „Ich werde es dem Kapitän melden, wenn ihr mich dazu zwingt.“

„Ah, er will die anderen wieder mal verpetzen“, sagte Pankraz. „Das tut er ohnehin jeden Tag.“

„Setz dich jetzt hin und friß!“ rief der Rotschopf. „Oder ich ziehe dich an den Ohren herbei.“

Hump hatte vor dem Rotschopf grenzenlose Angst, denn der war keiner von der zimperlichen Sorte und langte sofort hin. Mit einem Gesicht, das alle Leiden dieser Welt ausdrückte, schlich er näher und starrte immer wieder auf die Kumme. In der Suppe regte sich nichts mehr, nur ein Fühler war zu sehen.

Ein schneller Ruck beförderte Hump an die Back. Die anderen Kerle rückten beiseite und schafften Platz. Alle grinsten schadenfroh, auch Pankraz Bulla und der dürre Koch. Jeremias war heilfroh, noch einmal einer Tracht Prügel entgangen zu sein.

Hump erhielt vom Rothaarigen eine deftige Kopfnuß. Sein unförmiger Schädel wackelte hin und her.

„Willst du noch eine, oder fängst du jetzt endlich an?“

Der Löffel wurde ihm in die Hand gedrückt. Der Zwerg zitterte am ganzen Körper. Haßerfüllt blickte er in die Runde. Aber er war nicht fähig, den Löffel in die Suppe zu tunken, aus der einsam ein kleiner Fühler ragte.

Die derben Kerle fackelten nicht länger, als Hump sich nicht entschließen konnte. Zwei packten seinen Schädel, legten ihn zurück, und ein dritter hebelte ihm den Mund auf.

Der Zwerg tobte und schrie. Er trat mit den Füßen nach allen Seiten und ruderte mit den Armen. Dann ging sein Schrei unter, als der Rothaarige ihm die Suppe in den Hals schüttete.

Nach ein paar Augenblicken war das ganze Zeug unten, und der Zwerg schien unter dem höhnischen Gelächter der anderen zu explodieren.

Er hatte die Wangen aufgeblasen und würgte. Die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen, und in seinem Bauch gluckerte es.

Mit einem unterdrückten Schrei sprang er auf und raste die paar Stufen des Niederganges hinauf an Deck.

Hinter ihm erklang hämisches und schadenfrohes Gelächter, doch das hörte der Bucklige nicht mehr. Er stürzte ans Schanzkleid, klammerte sich daran fest und opferte dem Meeresgott, bis er ganz käsig im Gesicht war und kaum noch Luft kriegte.

„Diesen verdammten Bastard werfe ich eines Tages eigenhändig über Bord“, versprach der Rotschopf, der ein Ire war und O’Toole hieß. „Ich weiß genau, daß er es war. Der Erste hat ihm mit der Peitsche gedroht, weil er Pankraz’ Erfindung einen Fußtritt gegeben hat. Daraufhin war Pankraz natürlich schuld, und so schob er ihm die Kakerlake in die Suppe.“

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