Seewölfe - Piraten der Weltmeere 510

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 510
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-918-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Feuer frei für della Rocca

Sie hatten das Logbuch der Perlen – die Jagd nach dem Schatz begann …

Eine Hölle aus Feuer und Rauch schob sich unaufhaltsam näher heran und bedrohte die Hütten der Schnapphähne auf der Insel Cozumel an der Ostküste von Yucatan.

Die höllische Feuerwalze wurde vom Ostwind langsam und unaufhaltsam westwärts getrieben. Explosionsartig hochstiebender dunkler Qualm wallte immer wieder auf. Funken knisterten, die der Wind vor sich hertrieb, und wieder entstanden neue kleine Brandherde. Es sah so aus, als würde sich der Buschbrand zu einem Inferno der Hölle entwickeln.

Das Feuer hatte zuerst die in Koben gehaltenen Schweine auf der Insel beunruhigt. Zwei brachen voller Angst und Panik aus ihren Koben und rannten ziellos davon, mitten zwischen die wie erstarrt dastehenden Piraten. Jetzt griff die Panik weiter um sich. Eine Katastrophe schien sich anzubahnen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Della Rocca – Der Korse stellt fest, daß ihn jemand beklaut hat, und da reagiert er wie ein Amokläufer.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf hat sich mit Selbstvorwürfen geplagt, aber er hatte die richtigen Männer für den Coup ausgesucht.

Der Kutscher – Bekannt für logisches Denken, zeigt er wieder einmal, daß er auch Rätsel lösen kann.

Dan O’Flynn – Er hilft dem Kutscher beim Enträtseln und beweist dabei ein kluges Köpfchen.

Zardo – Der Ankerwächter der „Bonifacio“ kann sagen, was er will, man glaubt ihm nicht, und damit hat seine letzte Stunde geschlagen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Der Mann mit dem sichelförmigen Schnauzbart, den schwarzen Kniehosen, blauen Strümpfen, schwarzer Jacke mit Goldknöpfen und dem roten Umhang über der Jacke, starrte aus schmalen Augen in das lodernde Feuer. Er hatte nicht die geringste Erklärung, wie der Brand ausgebrochen oder überhaupt so plötzlich entstanden war.

Der Mann war della Rocca, der Perlen-Wolf, wie er heimlich von seinen Schnapphähnen genannt wurde. Perlen-Hai traf allerdings eher zu. Diesen Namen hatten ihm die Seewölfe gegeben.

Della Rocca war Korse, dementsprechend temperamentvoll, aufbrausend, aber auch jähzornig und brutal. Außerdem hatte er den „Perlen-Tick“.

Zwei der ausgebrochenen Schweine rannten immer noch quiekend und grunzend hin und her und sorgten gleichzeitig für weitere Verwirrung und Angst.

Der Schein des Feuers wurde greller, wilder und explosiver. Die Nacht war jetzt taghell erleuchtet, und so sah der Korse deutlich die Angst, die sich im Widerschein des Feuers in den Gesichtern seiner Schlagetots spiegelte. Ja, sie hatten Angst, die Kerle, und mit den Huren, die sich in ihrer Gesellschaft auf der Insel Cozumel befanden, stand es noch schlimmer. Einige der Frauenzimmer wollten in ihrer Angst flüchten und kreischten in den hellsten Tönen. Doch es gab keinen Fluchtweg. Das Meer hielt sie auf.

In der kleinen Ankerbucht lagen jedoch zwei Schiffe. Eine Zweimastschaluppe und die „Bonifacio“, mit der della Rocca seine Beutezüge und Raids unternahm, wenn er die Spanier um Perlen erleichterte.

Diese beiden Schiffe waren das Ziel einiger nun ebenfalls in Panik geratener Kerle, die ihr Heil nur noch in einer schnellen Flucht sahen. Einer rannte brüllend los, zwei weitere, die das sahen, folgten ihm augenblicklich. Etliche andere standen noch unschlüssig herum, doch die Panik überfiel auch sie. Sie hatten Angst, bei lebendigem Leib geröstet zu werden.

Das Fauchen der Feuerwalze war bereits zu hören. Es war ein hohl klingendes unheilverkündendes Fauchen wie von einer gereizten Großkatze. Und mit jeder Minute wurde das Geräusch lauter und unheimlicher.

Ein paar Frauenzimmer waren kreischend bis zum Wasser gelaufen. Dort standen sie jetzt und starrten angstvoll zu den immer größer werdenden Flammen.

Für della Rocca hatte es den Anschein, als würde dieses Höllenfeuer die ganze Insel versengen.

Er gab sich einen Ruck, löste den Blick von dem schaurig-schönen Schauspiel und schnappte sich einen Kerl, der gerade wie ein Irrer an ihm vorbeitobte. Sein Ziel war der Strand in der Ankerbucht und damit eins der beiden Schiefe.

„Hiergeblieben!“ brüllte della Rocca. „Bleib stehen, verdammt!“

Der Mann, ein geiergesichtiger übler Schnapphahn, hörte ihn nicht. Seine Angst vor dem Feuer war größer als die vor della Rocca. Wie besessen rannte er weiter, keuchend, mit weitaufgerissenen Augen und flackernden Blicken.

Als er mit dem Korsen auf gleicher Höhe war, stellte der ihm ein Bein und lachte roh.

Der Geiergesichtige stoppte abrupt, flog in den Sand und überschlug sich ein paarmal bis er benommen liegenblieb.

Della Rocca hievte ihn am Kragen seines schmierigen Hemdes hoch, drehte es zusammen und hielt den Mann im Würgegriff fest. Die linke Faust landete krachend unter seinem Kinn. Gleichzeitig ließ er los.

Der dünne Kerl trat seine zweite Reise an und landete so im Sand, daß er einen weiteren Mann gleich mitumriß. Mit einem schnellen Satz war der Korse bei den am Boden liegenden Kerlen. Er griff in seinen Gürtel, holte eine zusammengerollte Peitsche hervor und ließ sie hart über die Kerle sausen.

„Wer jetzt abhauen will, den bringe ich um“, sagte er keuchend, wobei er immer wieder auf die brüllenden Kerle einhieb. „Ihr Feiglinge verkriecht euch vor dem Feuer, was? Aber da seid ihr an der falschen Adresse. Hier läuft niemand weg, dafür werde ich sorgen!“

Die beiden schrien sich die Kehlen heiser, denn della Rocca drosch in seiner unberechenbaren Wut immer wieder auf sie ein. Ein paar andere, die das sahen und ebenfalls schon die Beine in die Hand genommen hatten, blieben stehen.

„Keiner geht zu den Schiffen!“ schrie der Korse wild. „Auch die Weiber nicht! Ribas und Moleta – her zu mir!“

Zwei Männer erschienen, die keinerlei Anzeichen von Panik zeigten. Beide waren groß und schwarzhaarig. Moleta wirkte verschlagen und hinterhältig, Manoel Ribas hart und unnachgiebig. Aber beide hatten Galgenvogelvisagen und gingen über Leichen.

Moleta war Bootsmann auf der „Bonifacio“. Manoel Ribas fungierte als Lotse, der sich in den Gewässern der Karibik gut auskannte. Der Korse hielt allerdings nicht viel von Moleta und traute ihm nicht über den Weg. Auf Ribas hingegen konnte er sich verlassen, der ging für ihn durchs Feuer.

„Hört mir genau zu“, sagte der Korse. Er schlug noch einmal mit der Peitsche auf die beiden winselnden Kerle ein und steckte sie dann weg. „Ich weiß nicht, wie das verdammte Feuer so plötzlich entstanden ist, aber das ist noch lange kein Grund, alles stehen- und liegenzulassen und einfach zu verschwinden. Die Kerle spielen verrückt, seit das Feuer ausgebrochen ist. Sie wollen weg und rennen zu den Schiffen, aber daraus wird nichts. Ihr werdet den Halunken zum Tanz aufspielen, wenn sie nicht parieren, verstanden? Haltet jeden auf, der zur Ankerbucht rennt und haut ihm ordentlich was vors Maul.“

„Was sollen wir gegen das Feuer tun?“ fragte Moleta. „Nicht mehr lange, dann sengt es uns den Hintern an. Am besten wäre doch, wir verholen auf die Schiffe und verschwinden.“

„Eben nicht, verdammt! Wir bleiben hier, und wir werden das verfluchte Feuer auch in den Griff kriegen. Das hier ist unser Stützpunkt, und den gebe ich nicht einfach auf.“

„Verstehe“, sagte Ribas. Er fuhr blitzschnell herum und schnappte sich einen Kerl, der an ihnen vorbeirannte. Ein Faustschlag beförderte den Flüchtenden brutal in den Sand.

„Sehr gut“, lobte der Korse grimmig. „Wenn einer trotzdem nicht pariert, dann knallt ihn einfach ab. Ich dulde nicht, daß hier eine Panik ausbricht und jeder verrückt spielt. Dazu steht für uns zuviel auf dem Spiel.“

Ribas grinste dünn, als er della Rocca ansah. Dann warf er einen schnellen Blick zu dem Feuer. Es hatte sich verändert. Das Brausen war hohler und lauter geworden, der Qualm, der es begleitete, stieg in einer riesigen dunklen Wolke zum mitternächtlichen Himmel. Es war so hell wie am Tag, allerdings eine gespenstische Helligkeit, die alles unheimlich und blutrot erleuchtete. Im Widerschein der Flammen wurden die erschreckten Gesichter zu verzerrten Fratzen und unmenschlich wirkenden Grimassen voller Angst und Grauen.

 

„Wie wollen wir es aufhalten?“ fragte Ribas.

Der Korse deutete mit der linken Hand zu einem langgestreckten Dünenkamm.

„Noch vor der Düne. Die Hütten liegen so an der Bucht, daß sie auf ihrer Ostseite von der Düne abgeschirmt sind. Vorläufig kann also gar nichts passieren, wenn wir ruhig bleiben.“

„Und die Funken?“ fragte Moleta, „die fliegen gleich bis zum Wasser hinunter, und dann verbrennen die Schiffe oder fangen Feuer.“

Der Korse war jedoch nicht aus der Ruhe zu bringen. Er war zwar wütend und erbost über das Feuer, ärgerte sich aber noch mehr über seine Kerle, die immer noch brüllend durcheinanderrannten und nicht wußten, was sie tun sollten.

„Wir kriegen das schon in den Griff“, murmelte er. „Wir werden in Höhe der Dünen alles ausreißen, was brennbar ist. Gleichzeitig errichten wir einen Wall aus Sand. Aber dazu muß jeder mitanpacken. Sorgt dafür, daß die Kerle Arbeit kriegen und scheucht die verrückt gewordenen Weiber in die Hütten oder laßt sie mitarbeiten.“

Er selbst zog wieder seine Peitsche aus dem Gürtel, um selbst mit harter Hand durchzugreifen.

Nur ein paar Minuten später war erneut die Hölle los. Della Rocca und seine beiden Vollstrecker hieben wild auf alles ein, was unschlüssig herumstand oder Anzeichen von Panik zeigte.

„Hinauf auf die Düne, ihr Höllenhunde!“ brüllte der Korse peitschenschwingend. „Holt euch Schaufeln oder buddelt mit den Händen! Reißt alles Zeug aus, das Feuer fangen kann! Und beeilt euch! Wen ich rumstehen sehe, den hänge ich persönlich an die Rah!“

Einer nach dem anderen fügte sich widerwillig. Die Kerle waren das harte Arbeiten nicht gewohnt. Sie hatten immer nur vom Abstauben oder gelegentlichen Überfällen gelebt. Jetzt mußten sie hart ran und schuften, bis ihnen die Knochen weh taten.

Etliche von ihnen rupften Strandgras oder Wurzelwerk aus und trugen es zum nahen Strand hinunter. Dabei saß ihnen das Feuer buchstäblich im Genick und wurde immer bedrohlicher.

Etliche andere waren damit beschäftigt, auf des Korsen Anweisung hin Sand zu Wällen zusammenzuschaufeln, damit das Feuer nicht überspringen konnte und keine neue Nahrung mehr fand.

Auch die Huren hatten Moleta und Ribas eingespannt. Die Frauen, die sie hier zum Zeitvertreib hatten, waren harte Arbeit ebenfalls nicht gewohnt. Hinzu kam die Angst vor dem immer weiter vorrückenden Feuer, dessen Ausmaße immer bedrohlicher wurden. Aber sie mußten helfen, ob sie wollten oder nicht.

Ein Weib mit langen pechschwarzen Haaren und feurigen Augen, die sich Juanita nannte, weigerte sich jedoch. Mit flammenden Blicken starrte sie den hochgewachsenen Korsen an.

„Ich denke nicht daran, Wurzeln und Gras auszureißen!“ schrie sie wild. „Ich will hier weg und nicht geröstet werden. Ihr werdet das Feuer nie aufhalten!“

„Du bleibst hier und hilfst mit“, sagte della Rocca ruhig. „Und wenn du nicht parierst, ziehe ich dir die Peitsche durchs Gesicht, daß du für den Rest deines Lebens gezeichnet bist. Es geht schließlich auch um dein Leben.“

„Laß uns verschwinden“, hauchte sie mit schmachtenden Blicken. „Ich werde dir den Himmel auf Erden bereiten.“

Der Korse lachte geringschätzig. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Männer, die jetzt voller Angst schufteten, Wurzelwerk ausrissen oder Sanddämme errichteten. Ribas und Moleta trieben die Kerle immer wieder zur Eile an.

„Den Himmel auf Erden?“ Der Korse lachte. „Zuerst müssen wir durchs Fegefeuer, bis unsere Seelen geläutert sind. Das hier ist die Hölle, damit du einen Vorgeschmack davon erhältst.“

„Und du bist der Oberteufel!“ schrie Juanita wild. Angstvoll blickte sie zu der heranfauchenden Feuerwalze. Es sah ganz so aus, als würde diese gewaltige knisternde und fauchende Lohe die ganze Insel Cozumel verschlingen. Ein paar weiter landeinwärts stehende Palmen und Bäume standen wie riesige Fackeln in dem tosenden Inferno. Ihre feurigen Wedel schickten Funken und brennende Holzteile in alle Richtungen.

„Ja, ich bin der Oberteufel“, sagte della Rocca, „und wenn du nicht augenblicklich an die Arbeit gehst, dann wirst du im Vorhof zur Hölle braten, mein Täubchen.“

Betont lässig griff er nach seiner Peitsche, die er langsam durch die Finger zog.

„Der Satan soll dich holen!“ zischte die Schwarze haßerfüllt. Dann wandte sie sich ab und lief zu der Düne, wo die anderen wie die Kesselflicker schufteten.

Die Kerle hatten alle rußgeschwärzte Gesichter und angesengte Hände. Immer wieder sahen sie sich gehetzt um und starrten zu den beiden Schiffen, die Rettung vor den Flammen versprachen. Aber sie hatten auch hündische Angst vor della Rocca, Ribas und Moleta, die unbarmherzig auf sie einschlugen, wenn die Arbeit zu langsam voranging.

Dabei schien es sich um eine Sisyphusarbeit zu handeln, die nie ans eigentliche Ziel führte. Für die Kerle war es ein Akt der Verzweiflung. Kaum hatten sie Busch- und Wurzelwerk ausgerissen oder einen Wall aus Sand errichtet, bildeten sich durch Funkenflug hinter oder neben ihnen neue Brandnester, die wie aus dem Nichts entstanden.

Jedesmal gab es Gebrüll, wenn Funken heranstoben, den Kerlen in die Gesichter fuhren oder ihre Kleidung versengten.

Della Rocca kannte jedoch kein Erbarmen. Immer wieder trieb er die fluchenden Kerle an, fuhr mit der Peitsche dazwischen oder drohte ihnen mit dem Aufknüpfen.

Die Kerle selbst sahen nach kurzer Zeit aus wie die Feuerteufel. Sie schufteten und schufteten, aber schließlich sahen sie doch ein, daß es auch ums eigene Überleben ging.

Ein Erfolg war allerdings noch nicht abzusehen. Der Feuersturm verstärkte sich, die rotglutende Walze wurde größer und mächtiger, und da es Nacht war, wirkte alles nur noch bedrohlicher.

2.

Gegen zwei Uhr nachts – es war der 19. Juli 1595 – sichtete Blacky auf der „Isabella“ die kleine Jolle, die die Ankerbucht ansteuerte. Diese Ankerbucht, wo „Isabella“ und „Empress“ lagen, befand sich südlich der Ankerbucht des Korsen auf der Insel Cozumel.

Die Besatzungen beider Schiffe waren noch wach. Hasard wartete bereits ungeduldig auf das Auftauchen der Jolle, in der sich Ferris Tucker und Dan O’Flynn befanden.

Schon seit Stunden hatte er sich gefragt, ob das Unternehmen der beiden Männer nicht doch zu riskant war. Sie hatten den Auftrag gehabt, dem Korsen jenes Buch zu entwenden, in welchem er nach Aussage eines seiner Kerle die Positionen seiner zahlreichen Perlenverstecke eingetragen hatte. Der Mann, der das verraten hatte, war infolge einer Schußverletzung gestorben, hatte aber noch mitteilen können, daß della Rocca über seine Perlenverstecke genau Buch zu führen pflegte.

„Die Jolle hält auf uns zu!“ rief Blacky.

Sofort reckten sich Köpfe nach vorn. Die Jolle war nur ein kaum sichtbarer Schatten, der langsam näher glitt.

„Na endlich“, sagte Ben Brighton erleichtert, der neben dem Seewolf auf der Kuhl stand. „Offenbar haben sie es doch geschafft.“

„Das bleibt noch abzuwarten“, sagte Hasard. „Gewißheit haben wir erst, wenn sie da sind. Trotzdem bin ich erleichtert, denn die beiden sind heil und gesund, wie es den Anschein hat.“

Jetzt waren auch die beiden Gestalten in der Jolle zu sehen.

Smoky und der Profos reckten ebenfalls die Köpfe vor. Edwin Carberry grinste über sein narbiges Gesicht.

„Ist doch immer wieder eine Freude, wenn die alten Rübenschweine wohlbehalten aufkreuzen, was, wie?“ meinte er. „Dan schwenkt etwas in den Händen“, fügte er hinzu.

„Klar, womit soll er sonst schwenken“, brummte Smoky und starrte ebenfalls angestrengt in die Dunkelheit, wo die Gestalten jetzt immer deutlicher zu erkennen waren.

Der Profos, der sich durch Smokys Worte veralbert fühlte, wollte erst zu einer geharnischten Antwort ansetzen, aber dann winkte er ab, denn neben ihnen tauchte nun auch noch Mac Pellew auf, und dessen Gesicht sah im schwachen Licht der Sterne mehr als grämlich aus. Es war so leidvoll verzogen, als kehrten die beiden Männer gerade von einer Seebestattung zurück.

„Sie sind es“, murmelte Mac, aber das klang keinesfalls fröhlich. Es klang dumpf, traurig und hohl.

„Klar sind sie es“, erwiderte Carberry ungehalten. „Aber das ist noch lange kein Grund, so sauertöpfisch in die Gegend zu plieren. Freu dich lieber, daß sie wieder zurück sind.“

„Ich freu mich ja auch, aber alles zu seiner Zeit. Wenn man sich vorher schon freut, kann man sich nachher nicht mehr so freuen.“

„Mann, hat der wieder Ansichten“, sagte Smoky erschüttert. „Eines Tages verwandelt er sich noch in ein Faß Essig oder in eine riesige Trauergurke.“

„Eine dürre Trauergurke“, verbesserte Carberry grinsend. „Sagen wir mal, eine sehr dürre grämliche Seetrauergurke, wenn’s das gibt.“

Immer deutlicher waren die beiden Männer in der Jolle zu erkennen. Dan schwenkte erneut triumphierend den Gegenstand, bis ihn auch die anderen erkannten.

Grinsen erschien in den Gesichtern, denn jedem war klar, um was es sich bei dem Gegenstand handelte.

„Die Kanonensöhne haben es also geschafft und dem Korsen das Buch geklaut“, sagte Ben Brighton erleichtert. „Das Feuer muß sie so abgelenkt haben, daß sie nichts bemerkten.“

Auf der Kuhl der „Isabella“ hatten sich mittlerweile alle Seewölfe versammelt. Auch Old O’Flynn mit den Zwillingen, Martin Correa und den beiden Dänen Sven und Nils waren dabei. Jeder wartete sehnsüchtig auf die Neuigkeiten.

Dan O’Flynn und Ferris Tucker enterten auf und wurden sofort von den anderen umringt.

„Alles glattgegangen“, berichtete Dan, während er das „Logbuch der Perlen“ dem Seewolf übergab. „Wir hatten nicht die geringsten Schwierigkeiten, das Buch zu mausen.“

„Hat euch niemand bemerkt?“ fragte Hasard erstaunt.

„Nein. Auf der Back der ‚Bonifacio‘ befand sich nur ein Ankerposten, und der hatte nur Augen für das ausgebrochene Feuer. Inzwischen stürzten aus den Hütten Männlein und Weiblein, die mächtig aufgeregt waren. Wir konnten mit der Jolle direkt und ungesehen am Heck des Schiffes anlegen und dann aufentern. Wir nahmen uns gleich gezielt die Kapitänskammer vor, und nach einer Weile wurde Ferris fündig.“

„Und wo befand sich das Buch?“ fragte Hasard, während er es in der Hand hielt und musterte.

Der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker grinste breit.

„Hinter der Kopfvertäfelung der eingebauten Koje. Die Vertäfelung sieht wie ein Kassettenmuster aus, die sich durch Leisten voneinander abheben. Nun, eine Leiste war etwas dunkler als die anderen infolge häufiger Benutzung. Ich brauchte nur noch in ein kleines Fach hinter einem aufspringenden Türchen zu greifen, und damit war das Problem auch schon gelöst.“

„Ihr seid sicher, daß es das richtige Buch ist?“ fragte Hasard.

„Ganz sicher. Wir haben beim Licht einer kleinen Kerze einen kurzen Blick hineingeworfen. Es ist das Buch mit den Angaben der Perlenverstecke.“

Hasard betrachtete es lächelnd. Das Buch war in Schweinsleder gebunden und sah kostbar aus. Er nickte zufrieden und setzte sich auf die Kuhlgräting.

„Das habt ihr prächtig hingekriegt“, lobte er. „Im nachhinein erschien mir das Unternehmen fast etwas zu riskant, aber ihr habt es geschafft. Jetzt wollen wir mal einen Blick hineinwerfen. Schirmt die Lampe ein wenig ab, damit wir nicht meilenweit zu sehen sind.“

Die Lampe wurde abgeschirmt, bis ihr Lichtschein nur noch die unmittelbare Umgebung erhellte. Wieder standen alle herum, um einen Blick in das geheimnisvolle Buch zu werfen.

„Jetzt brauchen wir nur noch zu den vorgegebenen Stellen zu segeln und ein bißchen buddeln“, sagte Paddy Rogers. „Noch einfacher hätte der Korse es wirklich nicht machen können.“

Als Hasard die erste Seite aufschlug, fielen ihm die Zwillinge Hasard und Philip fast über die Schulter, so neugierig waren sie.

Der Seewolf stieß einen leisen bewundernden Pfiff aus und blickte aufmerksam auf das, was della Rocca pedantisch genau aufgezeichnet hatte.

„Donnerwetter“, sagte er anerkennend. „Der Korse scheint ein hervorragender Kartograph zu sein. Von dem können wir fast noch etwas lernen.“

Er zeigte die Seite kurz herum und sah, daß die anderen ebenfalls anerkennend nickten. Selbst Dan O’Flynn, der sich aufs Kartographieren verstand, schloß sich davon nicht aus.

„Der Mann ist schon fast ein Genie“, sagte er. „Offenbar ist er sogar in der Lage, aus der Sicht eines Vogels seine Zeichnungen anzufertigen. Wahrhaftig, sehr erstaunlich.“

 

Die Zeichnungen waren kunstvoll mit Tusche und spitzem Federkiel angefertigt worden. Della Rocca hatte offenbar sehr viel Zeit damit verbracht, die Karten zu zeichnen. Aber er war wirklich ein Könner, das ließ sich nicht bestreiten.

Schon auf den ersten Blick wurde Hasard jedoch sehr schnell klar, daß es gar nicht so einfach war, die Aufzeichnungen zu entziffern.

„So einfach ist das nicht“, sagte er zu Paddy Rogers und den anderen, die gebannt auf die erste Seite blickten. „Mit dem Hinsegeln und Buddeln ist es nicht getan. Vorher muß erst noch der Grips ein wenig angestrengt werden.“

Der Kutscher war ebenfalls interessiert näher getreten und warf einen Blick über Hasards Schulter. Er hatte schon einmal eine geheimnisvolle Schatzkarte enträtselt und damit bewiesen, daß er logisch denken konnte.

Auf den ersten Blick schaute alles relativ einfach aus, so sahen es die meisten.

Auf dem Blatt war der Verlauf einer Küstenlinie mit einigen Buchten ausgezeichnet. Das Wasser war schraffiert und hob sich somit vom Land deutlich ab, das der Korse weiß gehalten hatte. Es war von einem Kreuz durchbrochen, auf das zwei gestrichelte Linien in einem Winkel von fünfundvierzig Grad zuliefen, die sich im Kreuz trafen. Der jeweilige Anfang der beiden Linien war markiert. Bei der einen stand die Zeichnung eines Baumes, bei der anderen war die exakte Darstellung einer Felsspitze zu sehen. Die letztere Linie war allerdings etwas länger gehalten als die andere.

Hasard blickte stirnrunzelnd darauf. Dann wanderte sein Blick langsam weiter nach oben auf den linken Rand des Blattes. Hier war kunstvoll eine Kompaßrose eingezeichnet.

Dann stutzte der Seewolf, als sich sein Blick auf die rechte obere Seite konzentrierte.

„Eine Zahlenreihe“, sagte er. „Aber keine weiteren Angaben. Im Augenblick werde ich daraus noch nicht schlau. Sehen wir uns einmal die weiteren Seiten an.“

Er blätterte um und stellte fest, daß sich die gleiche Anordnung auch auf der nächsten Seite befand. Wieder befand sich links oben die Kompaßrose, während rechts oben die rätselhafte Zahlenreihe stand.

„Das sind wieder andere Zahlen“, sagte Dan O’Flynn. Er blickte auf die Zeichnung darunter. Es war wieder ein Ort mit einem Kreuz, drei gestrichelten Linien und einem Anfangspunkt, der die gestrichelten Linien markierte.

Die Neugier der Seewölfe wurde immer größer. Hasard war so dicht umlagert, daß er sich kaum noch bewegen konnte.

„Hier bedeuten die Anfangspunkte ein Inselchen vor der Küstenlinie“, sagte der Kutscher. „Das ist klar zu erkennen. Dann befindet sich eine Kerbe zwischen zwei Felsen, und hier hat der Korse eine Kokospalme aufgezeichnet. Das ist ganz eindeutig.“

„Das sind Peilungen, die er mit großer Akribie durchgeführt und aufgezeichnet hat“, meinte Hasard. „Leider geben sie uns noch keinen genaueren Aufschluß. Die Insel kann sich an jeder beliebigen Stelle der Karibik befinden.“

Der Kutscher nickte bekräftigend.

„Wir werden das schon noch herausfinden“, murmelte er. „Wie sieht es denn auf den anderen Seiten aus?“

Der Seewolf blätterte weiter und zählte leise mit.

Das in Schweinsleder gebundene Buch hatte achtundzwanzig beschriebene Seiten. Die Seiten dahinter waren leer, und würden von nun auch leer bleiben. Dabei stellte sich heraus, daß alle weiteren Positionen nach dem gleichen Schema abgefaßt waren. Zeichnung, Kompaßrose und rätselhafte Zahlenreihe. Jede der Zeichnungen war mit sehr großer Sorgfalt ausgeführt worden. Der Korse war ein Meister darin und mußte sehr viel Zeit und Geduld aufgebracht haben.

„Auf jeder dieser Zeichnungen befindet sich eine Truhe mit Perlen“, sagte Hasard in die entstandene Stille. „Das können wir als sicher voraussetzen. Aber dieser Korse ist auch ein ganz gerissener und durchtriebener Hundesohn. Er hat die Zeichnungen bewußt so angelegt, daß niemand etwas damit anfangen kann – auch wir nicht jedenfalls vorerst nicht. Die Zeichnungen taugen einfach nichts, solange wir nicht wissen, um welche Küste es sich handelt.“

Die gespannten Gesichter wurden länger. Einige blickten enttäuscht auf das Buch.

„Soll dann das ganze Unternehmen umsonst gewesen sein?“ fragte Ferris Tucker. „Wir können ja schlecht sämtliche Küsten absegeln und sie mit den Karten vergleichen. Viele ähneln sich ja auch und sind kaum zu unterscheiden. Palmen und Felsspitzen finden wir ebenfalls auf den meisten Inseln.“

„Umsonst war das Unternehmen nicht“, meinte Hasard nachdenklich. „Wir müssen nur versuchen, die Systematik zu durchschauen. Der Korse hat das so aufgezeichnet, daß es ihm selbst keine Mühe bereitet, die Stellen wiederzufinden, sonst hätte er sich die ganze Zeichnerei ersparen können. Folglich muß es einen Hinweis geben, wie die Zeichnungen zu enträtseln sind.“

Unbewußt blieb sein Blick wieder an der Zahlenreihe hängen, doch er brachte sie vorerst in keinen Zusammenhang mit den Zeichnungen, weil sie einfach keinen Sinn ergaben.

„So’n Scheiß“, sagte der Profos enttäuscht. „Da klaut man diesem Rübenschwein das Buch, und dann können wir nichts damit anfangen, weil dieser Kerl alles verschlüsselt hat.“

„Schatzkarten sind überhaupt so ’ne Sache“, nörgelte Mac Pellew herum. „Da zerbricht man sich den Schädel, jagt einem Phantom nach und findet doch nichts. Ich habe überhaupt nichts dafür übrig, wenn man sie nicht gleich enträtseln kann.“

„Klar, dir muß ja immer alles gleich in den Schoß fallen“, sagte Carberry, „weil du zu faul zum Denken bist. Für dich ist so eine Schatzkarte nur etwas wert, wenn alles haarklein verzeichnet ist und genau drinsteht, daß unter Palme elf von links eine Truhe vergraben ist, die Perlen oder Goldstücke enthält. Und selbst dabei würdest du dich noch verzählen.“

„Dann grübel du doch darüber nach“, sagte Mac sauer. „Aber bei deinen paar trockenen Bröseln da oben kommt erst recht nichts raus.“

Der Profos sah den Zweitkoch der „Isabella“ gallig an.

„Bei dir schwimmen die Brösel doch in Essigbrühe, du aufgedockter und achtmal kalfaterter Plattfisch. So ein quergebraßter Seesack wie du kann mich doch gar nicht beleidigen.“

„Gebt mal Ruhe, ihr beiden!“ rief Ben Brighton. „Euren Disput könnt ihr später unter Deck fortsetzen.“

„Das hat man nun davon“, knurrte Mac, „kaum ist so’ne Mistkarte an Bord, schon gibt es Ärger.“

Hasard und Dan O’Flynn störten sich nicht an dem Stunk zwischen dem Profos und Mac Pellew. Der Kutscher winkte nur ärgerlich ab und beugte sich wieder über die Seiten des Buches.

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