Final Shutdown - Teil 3: Ein tödliches Geheimnis

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Final Shutdown - Teil 3: Ein tödliches Geheimnis
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Fred Kruse

Final Shutdown - Teil 3: Ein tödliches Geheimnis

Ein Cyberthriller in drei Teilen

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Autors

Flucht

Ein verhängnisvoller Fehler

Verzweiflung

Aufklärung

Verfolgt

Veröffentlichung

Epilog

In eigener Sache

Zum Nachlesen

Danksagung

Impressum neobooks

Vorwort des Autors

Liebe Leserinnen und Leser, die Handlungen und Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig und von mir nicht beabsichtigt.

Auch der Hintergrund der Geschichte beruht allein auf meiner Fantasie. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass mir keine Angriffe der Art, wie sie als Auslöser der Handlung in diesem Roman beschrieben werden, bekannt sind.

Die führenden Betriebssystemhersteller in diesem Buch sind rein fiktiv. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich bemerken, dass mir keine konkreten Hintertüren und Sicherheitslöcher, wie sie die Protagonisten in dieser Geschichte aufdecken, in realen Systemen bekannt sind.

Allerdings handelt es sich bei den in Kapitel »Aufklärung« genannten Zahlen sowie der beschriebenen Schad-Software, den Viren und Würmern, nicht um Fiktionen, sondern um Realität. Die Fakten und deren Bewertung habe ich aus freizugänglichen Quellen recherchiert (siehe »Zum Nachlesen« am Ende des Buchs). Wobei ich an dieser Stelle der Leserin bzw. dem Leser überlasse, Parallelen zwischen fiktiven und realen Software-Unternehmen zu ziehen.

Zum Schluss bleibt zu sagen, dass ich zwar bis zum Erscheinen dieses Romans keine konkreten Anhaltspunkte für das Auftreten der beschriebenen Szenarien in der Realität kenne, sie für technisch aber durchaus machbar halte. Die Bewertung, wie realistisch eine Umsetzung unter den derzeitigen politischen Randbedingungen sein mag, überlasse ich Ihnen werte Leserin bzw. werter Leser.

Bei diesem eBook handelt es sich um den dritten von drei Teilen.

Viel Spaß beim Lesen

Fred Kruse

Flucht

Nur ganz langsam löste Marko sich aus süßen Träumen, die eng mit dem vergangenen Abend zusammenhingen. Er war mit einem lustvollen Liebesakt beendet worden, dem kein sonderlich langes Vorspiel vorausging. Marko empfand dennoch als das Schönste an der vergangenen Nacht, dass Jana in seinem Arm liegend eingeschlafen war. An diesem Morgen sehnte er sich am stärksten danach, sie zärtlich an sich zu drücken.

Als er die Augen öffnete, wartete eine herbe Enttäuschung auf ihn. Im Bett neben ihm lag niemand mehr. Hektisch sah er sich im Zimmer um. Ihre Kleidungsstücke, die am Abend vorher auf dem Boden zwischen seinen eigenen verstreut gelegen hatten, konnte er nirgends entdecken.

Fluchend sprang Marko aus dem Bett, suchte seine Sachen zusammen und zog sich notdürftig an. Mit nur halb geknöpftem Hemd und nicht geschlossenem Gürtel hastete er in Janas Zimmer, aber auch dort fand er sie nicht. Einen weiteren Fluch ausstoßend, rannte er die enge Treppe herunter.

In der Küche lag eine Zeitschrift aufgeschlagen auf dem Tisch. Schon bevor er einen genauen Blick hineingeworfen hatte, wusste er, dass es eine dieser bunten Frauenzeitschriften war. Konkret handelte es sich um ein schon Monate altes Exemplar, dass ein anderer, wahrscheinlich weiblicher Feriengast zurückgelassen haben musste.

Die Seite zeigte einen Artikel über ihn. Marko stöhnte auf. Er verfluchte innerlich seinen Agenten und sich selbst, dass er sich auf diesen Vertrag eingelassen hatte.

Durch das Fenster sah er Jana auf der Terrasse stehen. Zwischen beiden Händen hielt sie eine dampfende Tasse. Sie pustete hinein, um den Inhalt abzukühlen. Draußen musste es kühl sein, Jana hatte ihre Strickjacke bis zum Hals geschlossen und schien dennoch zu frösteln. Vorsichtig nippte sie an ihrem Getränk. Dabei traf ihr Blick Markos. Entschlossen ging sie in Richtung Terrassentür. Wenige Sekunden später stand sie in der Küche.

»Na, auch schon wach?«, fragte sie.

»Warum hast du mich nicht geweckt, bevor du aufgestanden bist?«, fragte Marko.

»Marko, hör zu! Es tut mir leid wegen gestern Abend. Das hätte nicht passieren dürfen. Das war hochgradig unprofessionell.«

»Verdammt, hör mit dieser Professionalitätsscheiße auf!«, unterbrach Marko sie. »Ja, ich bin dein Auftraggeber. Du machst für mich einen Job und ich werde dich genauso dafür bezahlen, wie wir es vertraglich vereinbart haben. Das ist völlig unabhängig von uns beiden. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wenn du mit mir nichts zu tun haben willst – ich meine als Mann, nicht als Auftraggeber – dann sag das doch wenigsten ehrlich und rede dich nicht immer mit dem Auftrag heraus!«

Marko sprach lauter, als er es beabsichtigt hatte. Aber nach der Nacht tat ihm Janas Verhalten einfach weh.

»Gut dann eben anders«, erwiderte Jana kalt. »Wir sind beide erwachsene Menschen und wissen, dass eine gemeinsam verbrachte Nacht kein Eheversprechen bedeutet. Du hast erreicht, was du wolltest und deinen Spaß gehabt. Damit lass uns die Sache vergessen.«

»Ich hatte das Gefühl, dass auch du dabei auf deine Kosten gekommen bist«, entgegnete Marko wütend.

»Gut, wir beide hatten unseren Spaß, wenn dir das lieber ist.«

»Ist das alles, was du von einem Mann erwartest, mit dem du ins Bett gehst, ein bisschen Spaß und das war’s dann?«, fragte Marko bitter. Jetzt funkelte auch Jana ihn wütend an.

»Nicht immer«, sagte sie kalt. »Ich lebe ohne Partner. Ich bin niemandem verpflichtet. Wenn mir ein Mann gefällt, ist es völlig legitim, mit ihm die Nacht zu verbringen. Aber ich teile diese Männer in diejenigen ein, mit denen man einmal kurz Spaß haben kann und die, bei denen es sich lohnt abzuwarten, was aus der Sache wird.«

»Und ich falle in die Kategorie ›nur für den kurzen Spaß‹. Was sind denn deine Kriterien? An welcher Stelle bin ich durchgefallen?«, fragte Marko bitter.

Janas Gesichtszüge entspannten sich etwas.

»Ich wollte dich nicht verletzen. Es tut mir wirklich leid. Es ist alles mein Fehler. Du bist nicht durchgefallen. Du siehst gut aus. Du bist charmant. Darum habe ich mich ja für dich interessiert. Aber wir passen nicht zusammen. Wir leben ein vollkommen unterschiedliches Leben.« Jana zeigte auf das aufgeschlagene Magazin.

»Jana, was soll das? Wie oft soll ich dir noch erklären, dass ich mit diesem Mädel auf dem Foto nichts hatte«, rief Marko aufgebracht.

»Darum geht es doch nicht.« Jana ließ sich müde auf einen Stuhl am Küchentisch sinken. »Es geht nicht darum, mit wem du im Bett warst oder nicht. Lies dir den Artikel durch. Du willst mir doch nicht erzählen, dass du nicht auf diesen Empfängen warst und dass du nicht diese Promis getroffen und mit ihnen geplaudert hast. Das ist ein ganz anderes Leben als meins. Warum soll ich Gedanken an eine längerfristige Beziehung zu einem Mann verschwenden, wenn ich von vornherein weiß, dass wir nie ein gemeinsames Leben aufbauen können.«

»Aber das ist doch Quatsch«, rief Marko aufgebracht. »Solche Termine sind doch alle arrangiert. Wenn du willst, kannst du doch zu solchen Veranstaltungen mitkommen.«

»Du meinst, so als tolle Detektivfreundin des bekannten Kriminalautors. Hör doch auf! Sieh dir doch diese Fotos an. Hast du mich schon mal angesehen? Meinst du wirklich, ich fühle mich wohl als hässliches Entchen unter lauter Schwänen.«

»Das ist doch völliger Blödsinn. Diese Nachwuchsschauspielerinnen waren auch alle nur zurechtgemacht. Von denen ist garantiert keine hübscher als du.«

»Vielen Dank für die Blumen. Dein Leben ist nichts für mich und ich will es auch nicht. Lass uns wie erwachsene Menschen benehmen, und mach kein Drama daraus. Wir hatten eine nette Nacht. Lass sie uns so in Erinnerung behalten.«

»Aber für mich war das mehr«, beharrte Marko.

»Aber für mich nicht. Kapier das endlich!«, entfuhr es Jana in einer Lautstärke, die sie wahrscheinlich nicht beabsichtigt hatte.

Marko wollte gerade zurückschreien, als die Tür aufging. Olli kam mit einer Tüte Brötchen herein.

»Oh, ein freundlicher, kleiner Meinungsaustausch zwischen Ehepartnern?«, fragte er gut gelaunt.

Einen kurzen Moment sah Jana ihn an, als wolle sie ihm an die Kehle springen. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging hinaus auf die Terrasse. Sie knallte dabei die Tür so wütend zu, dass die Scheiben im Rahmen schepperten.

 

»Das hört sich aber nicht gerade nach guter Laune an. Nach dem Spektakel, das ihr gestern Abend veranstaltet habt, hätte ich etwas anderes erwartet«, bemerkte Olli grinsend.

»Wie siehst du denn aus?«, wechselte Marko das Thema.

»Wieso? Als ich vom Bäcker kam, öffnete gerade der Friseursalon. Die gute Frau hat mich noch schnell vor ihrer ersten angemeldeten Kundin drangenommen.«

Stumm grinsend sah Marko seinen alten Freund an.

»Was grinst du so blöd. Ich kann ja wohl auch mal zum Friseur gehen«, rief Olli wütend.

»Natürlich! Das habe ich dir schon vor … Wie lange kennen wir uns schon?« Markos Grinsen wurde noch breiter. »Seit ich dich kenne, ist es das erste Mal, dass ich dich mit einem vernünftigen Haarschnitt sehe.«

»Du übertreibst!«

»Svenja muss ja einen gewaltigen Eindruck auf dich gemacht haben.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Na ja, so wie du dich die letzten Tage benommen hast, kann es Jana jedenfalls nicht gewesen sein.«

»Quatsch! Hilf mir lieber den Tisch decken«, beendete Olli das Thema.

»Hab ich verschlafen?« Svenja steckte ihren Kopf zur Tür herein. Sie sah verschlafen aus.

»Nein, nein, du kannst helfen, den Tisch decken«, antwortete Olli schnell. »Danach setzen wir uns gleich wieder zusammen. Mir ist da so eine Idee gekommen.«

Gegen Mittag überraschten die beiden IT-Spezialisten Jana und Marko mit der Botschaft, dass sie Thomas Krügers Passwortsystem entschlüsselt hatten und die Dateien auf dem USB-Stick lesen konnten. Olli gab eine lange Erklärung ab, was für ein kompliziertes Verschlüsselungsverfahren verwendet worden war und mit welch genialen Ideen sie die Entschlüsselung zustande gebracht hatten. Marko verstand den größten Teil der Beschreibungen nicht. Dafür fiel ihm auf, dass er seinen alten Freund noch nie so begeistert gesehen hatte, seit er ihn kannte. Ein altes Feuer schien neu erwacht zu sein. Allerdings bremste Svenjas Verhalten die Begeisterung. Sie wurde nicht müde, die Genialität ihres verstorbenen Freundes bei der Verschlüsselung seiner Daten zu loben.

Zwei Stunden später hatten die beiden Informatiker zwar alle Dateien gesichtet, mussten aber zugeben, dass sie nicht verstanden, worum es ging und wie die einzelnen Informationen zusammenhingen.

»Das sind Protokolle von verschiedenen Maschinen, Firewalls und so weiter. Selbst eine Datei über Hardware-Beschaffungen in den letzten anderthalb Jahren ist dabei. Ich weiß wirklich nicht, wie das zusammenhängt«, gab Svenja zu. »Es fehlt die Datei, in der beschrieben wird, was eigentlich passiert ist und wofür diese ganzen Dateien Beweise sein sollen. Thomas wollte an der Zusammenfassung an dem Freitag noch arbeiten, bevor er zu mir gefahren und verunglückt ist. Das hier muss er vorher abgeschickt haben. Eine Erklärung und Zusammenfassung fehlt jedenfalls.«

»Wenn Thomas aus diesem ganzen Chaos eine Schlussfolgerung ziehen konnte, schaffen wir das auch«, antwortete Olli leicht beleidigt.

Die beiden Spezialisten beschlossen, dass sie einen Drucker brauchten, um die Daten auszudrucken. Sie hofften, dass ihnen die Zusammenhänge ins Auge fallen würden, wenn erst alles auf Papier nebeneinanderlag. Jana entschied, diesmal im Haus zu bleiben und auf die anderen beiden aufzupassen. Man merkte ihr an, dass ihr das Erlebnis des Vortags noch in den Knochen steckte.

Am Nachmittag fuhr Marko in die nächstgelegene Kleinstadt und kaufte einen Drucker. Ihm passte es gut, diese Aufgabe allein zu erledigen. Nach der Ernüchterung am Morgen konnte er ein wenig Abstand zu Jana gebrauchen.

Der Einkauf ließ sich recht schnell bewerkstelligen. In der Kleinstadt gab es nur ein Geschäft, das infrage kam. Zudem hatten die Spezialisten Marko sehr genau instruiert, welche Eigenschaften und Funktionen der Drucker vorweisen sollte. Sicher hätte man das Modell samt Zubehör um einiges günstiger woanders bekommen, aber Marko wollte so schnell wie möglich zurück sein. So erreichte er schon nach einer Stunde bepackt nicht nur mit dem Gerät, sondern auch mit mehreren Tausend Blatt Papier und Ersatzpatronen das Ferienhaus.

In Windeseile wurde der Drucker an den Laptop angeschlossen und Mengen von Papier ausgedruckt. Nach und nach verwandelte sich das Wohnzimmer in ein Chaos aus bedruckten Seiten. Auf Stühlen und Tischen stapelten sich schon nach der ersten Stunde ganze Haufen von Ausdrucken. Minute um Minute verringerte sich die noch freie Bodenfläche.

Svenja und Olli wandelten durch die verstreut liegenden Papiere und machten sich gegenseitig auf verschiedene Dinge aufmerksam. Auch wenn die beiden eine Mischung aus deutschen und englischen Begriffen austauschten, kam es Marko vor, als redeten sie in einer fremden Sprache miteinander. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, worum es bei dieser Konversation ging.

Draußen brach mittlerweile die Dämmerung herein.

»Ich fürchte, hier können wir nicht helfen. Kommst du mit auf einen Spaziergang um den See?«, fragte Jana Marko.

Er stimmte betont locker zu. Dabei fühlte er sich keineswegs so gleichgültig, wie er sich gab. Auch wenn er den ganzen Tag versucht hatte, sich selbst vom Gegenteil zu überzeugen, hatte ihn Janas abweisende Haltung hart getroffen.

Vom Ferienhaus aus gab es einen direkten Weg durch den Wald zum See. Jana und Marko bogen auf einen unbefestigten Fußweg ein, über den man den See umrunden konnte.

»Können wir Freunde bleiben?«, fragte Jana unvermittelt. »Es war tatsächlich eine blöde Idee gemeinsam ins Bett zu steigen. So etwas macht mehr kaputt, als es bringt.«

»Wir sind erwachsene, aufgeklärte Menschen. Natürlich können wir Freunde bleiben. Falls du es dir anders überlegst, kannst du mir ja Bescheid sagen«, antwortete Marko. Er versuchte es, so locker wie möglich dahin zu sagen, aber seine Stimme klang belegt.

»Schön, dann hätten wir das geklärt. Was hältst du eigentlich von Svenja?«, wechselte Jana das Thema.

»Sie ist eine typische Informatikerin«, antwortete Marko. »Was allerdings Olli an ihr findet, kann ich nicht richtig nachvollziehen.«

»Er versteht dein Gefühlsleben sicher auch nicht«, entgegnete Jana kühl. »Vielleicht lässt du jetzt einfach mal deine männliche Betrachtungsweise beiseite. Ich meinte etwas anderes. Wir wissen nichts von ihr und sie kennt jetzt unsere ganzen Geheimnisse.«

»Ich glaube, sie ist froh, dass wir da sind und sie jemanden hat, mit dem sie an ihrer Trauer arbeiten kann.«

»Eine merkwürdige Art zu trauern, sich mit Computerproblemen herumzuschlagen. Sie hat kaum eine Träne um ihren Freund vergossen.«

»Sie ist Informatikerin!«

»Irgendetwas stimmt an der Geschichte nicht. Wenn deine Wohnung durchsucht worden wäre, würdest du sie dann als Erstes aufräumen und erst danach flüchten?«

»Keine Ahnung, wie ich mich in so einer Extremsituation verhalten würde.«

»Auf mich hat die Wohnung auch keinen frisch aufgeräumten Eindruck gemacht. Warum lässt sie verwelkte Blumen stehen, wenn sie alles andere wieder in Ordnung bringt?«

»Ich glaube, Svenja tickt anders als du oder ich. Wahrscheinlich hat sie die Blumen überhaupt nicht wahrgenommen. Die ist mehr eine Technikerin.«

Jana schüttelte entschieden den Kopf.

»Denk mal an die Postkarte. Warum finden wir die und jemand der vor uns da ist und die ganze Wohnung auf den Kopf stellt, übersieht die?«

»Vielleicht haben wir einfach mehr Glück gehabt. Wir haben diese Karte doch auch nur durch Zufall gefunden.«

»Bei einer systematischen Durchsuchung hätte ich die Karte auf jeden Fall gefunden«, behauptete Jana selbstbewusst. »Da ist noch etwas, das mir nicht aus dem Kopf geht: Bevor der ganze Zauber losging und ich noch halbwegs vernünftig recherchieren konnte, habe ich versucht, etwas über sie herauszufinden. Aber sie scheint plötzlich aus dem Nichts heraus bei dieser Firma aufgetaucht zu sein.«

»Und was bedeutet das?«

»Das kann bedeuten, dass sie kaum Spuren im Netz hinterlassen hat. Vielleicht weiß sie als Informatikerin, wie öffentlich man im Netz ist und wie man möglichst wenig Spuren legt. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit.«

»Und welche?«

»Vielleicht ist ihre Identität nur eine Legende?«

Marko sah Jana fragend an.

»Ich meine, vielleicht ist ihre Identität von irgendeinem Geheimdienst erfunden worden.«

»Du meinst, sie steht auf der anderen Seite und trauert nicht um Thomas, sondern hat ihn in Wirklichkeit selbst verraten?«

»Ich meine gar nichts! Ich wollte nur sagen, wir wissen fast nichts von ihr. Auf jeden Fall habe ich ein komisches Gefühl. Ich wollte keine Gerüchte verbreiten und die anderen nicht nervös machen. Ich dachte, ich rede erst mal mit dir. Das Gefühl ist so stark, dass schon mein Körper reagiert. Sieh mal!«

Jana schob den Ärmel ihrer Jacke hoch. Die feinen Härchen ihrer Haut stellten sich auf.

»Vielleicht ist dir einfach kalt. Das Angebot, dich zu wärmen, darf ich sicher nicht machen«, witzelte Marko.

»Du darfst alle Angebote der Welt machen, solange du nicht beleidigt bist, wenn ich sie ausschlage«, ging Jana auf den Scherz ein. »Im Ernst, bisher hat mich mein Gefühl noch nie betrogen. So ein intensives Gefühl von unsichtbarer Gefahr habe ich noch nie gehabt. Ich habe richtig Angst.«

Es musste ihr wirklich nicht gut gehen. Sie ließ es sogar zu, dass Marko sie kurz tröstend an sich drückte, bevor sie wieder auf Abstand ging. Schweigend wanderten sie weiter. Marko sah besorgt über den See zum Ferienhaus hinüber. Die beiden befanden sich auf der anderen Seite des Gewässers. Jetzt beschlich auch Marko ein ungutes Gefühl. Er beschleunigte automatisch seine Schritte.

»Lass uns schnell wieder zurückgehen. Ich glaube, ich fühle mich erst besser, wenn wir wieder ein Auge auf die beiden haben«, meinte er zu Jana.

Die Dunkelheit brach rascher über die Landschaft herein, als Marko vermutet hatte. Als sie ihren Spaziergang angetreten hatten, war es zwar dämmrig, aber noch recht hell. Jetzt konnte man kaum noch erkennen, wo man hintreten musste. Die Fenster des Hauses verwandelten sich mit jeder Minute mehr zur einzigen Lichtquelle rund um den See. Der gelbliche Schein, der noch vor wenigen Minuten gemütlich gewirkt hatte, schien plötzlich Gefahr auszustrahlen. Marko beschleunigte seine Schritte. Jana schien es ähnlich zu gehen. Auch sie ging immer schneller. Es gab nichts, das Marko hätte benennen können. Er ahnte mehr, als dass er bewusst erkannte, dass sich irgendetwas am Anblick des Hauses geändert hatte und auf eine unbekannte Bedrohung hinwies.

Grober Kies knirschte unter ihren Füßen. Sie befanden sich bereits auf dem kleinen Weg vom Seeufer zu dem Feriengrundstück wenige Meter vor dem Haus. Es klirrte und das Glas der Scheibe eines der Wohnzimmerfenster zerbrach und fiel in den verwilderten Garten. Im nächsten Moment schepperte es erneut und eine zweite Fensterscheibe zerbarst.

Marko sprang automatisch in Deckung, während sein Bewusstsein wahrnahm, dass es sich um Schüsse handelte, die das Fenster zerstörten. Da er keinen Knall hörte, mussten der oder die Angreifer mit Schalldämpfern arbeiten. Jetzt klirrte es mehrmals kurz hintereinander. Scherben flogen in den Garten. Im nächsten Moment lag das gesamte Haus im Dunkeln.

»Mist, verdammter«, hauchte Jana in Markos Ohr. Er hatte nicht bemerkt, dass sie sich an ihn herangepirscht hatte. »Was machen wir? Wir müssen da rein und die beiden rausholen!«

Wieder splitterte Glas und man hörte die Einschüsse von Kugeln in Holz. Jana zog ihre Waffe. Hastig schraubte sie den Schalldämpfer auf.

»Die müssen nicht wissen, wo wir uns verstecken«, erklärte sie. »Wo ist deine Waffe?«

»Ähm, ich habe sie im Haus gelassen«, gestand Marko.

»Erinnere mich dran, dass ich nie wieder mit Amateuren arbeite«, fauchte Jana. Sie klang ehrlich verärgert. »Versteck dich hier. Ich mache das allein!«

»Du kannst da doch jetzt nicht hineingehen!«, flüsterte Marko ängstlich.

Jana schüttelte nur ungläubig den Kopf. Sie kam aber nicht mehr dazu, ins Haus zu schleichen. Holz splitterte, Glas zerbarst, die Terrassentür krachte auf und schlug mit Gewalt gegen die Hauswand. Ein Schatten schlüpfte in die Dunkelheit.

Der Rest eines Wohnzimmerfensters wurde von innen eingeschlagen. Ein Schemen tauchte im Rahmen auf. In der Hand hielt sie eine Waffe. Sie gab durch den Schalldämpfer gedämpfte Geräusche ab, die Marko irgendwie an die Knallkorkenpistolen seiner Kindheit erinnerten.

 

Neben ihm saß Jana in der Dunkelheit. Sie zielte, es gab direkt neben ihm einen kurzen Plopp. Am Fenster hörte man einen erstickten Aufschrei, dann verschwand die Silhouette. Marko meinte, einen zweiten Schatten durch die Terrassentür schleichen zu sehen, aber Wolken zogen auf. Die Nacht war jetzt so dunkel, dass er nicht sicher sagen konnte, was er tatsächlich sah.

Im nächsten Moment tauchte ein Schemen in der Tür auf. Wieder wurde geschossen. Pfeifend prallte neben Marko eine Kugel an einem Stein ab. Eine zweite schlug in den Baumstamm ein, vor dem Marko eben noch gesessen hatte. Den Bruchteil einer Sekunde vorher hatte Jana sich auf ihn geworfen und ihn dabei zu Boden gerissen. Das rettete ihm das Leben.

Plötzlich hörten sie schallgedämpfte Schüsse aus dem Garten, etwa dreißig Meter von ihnen entfernt. Heulend prallten Querschläger von der Wand des Hauses ab. Glas splitterte. Im Gegensatz zu vorher fielen die Scherben nach innen. Der Schütze an der Terrassentür verzog sich ins Haus.

»Wer schießt da? Ich dachte, dahinten sind unsere zwei«, flüsterte Marko Jana ins Ohr.

»Los, weg hier!«, keuchte Jana.

Vorsichtig, möglichst alle Geräusche vermeidend zogen sie sich weiter in den Wald zurück. Sie hockten sich in den Schutz des Stammes eines umgefallenen Baums. Jana presste einen Finger auf die Lippen und bedeutete Marko, ruhig zu sein. Leise knackten kleine Zweige. Jemand schlich auf sie zu. Jana verkroch sich ganz hinter einen Baumstamm. Die leisen Schritte kamen näher. Eine gebückte Gestalt tauchte als Silhouette auf. In der rechten Hand trug sie eine Schusswaffe. Der große klobige Lauf machte deutlich, dass ein Schalldämpfer aufgeschraubt war.

Mit einer raschen, fast katzenhaften Bewegung schnellte Jana vor und hielt der Person ihre Pistole an den Kopf. Mit der anderen Hand nahm sie ihr blitzschnell die Waffe ab.

»Vorsicht Jana, du erschießt ja gleich Olli«, flüsterte eine Stimme eindringlich aus dem Dunkeln. Sie gehörte Svenja.

»Verdammt noch mal, was schleicht ihr hier so herum? Beinahe hätte ich euch erschossen«, antwortete Jana leise, aber ärgerlich.

»Hätte ich rumtrampeln sollen, dass die anderen gleich wissen, wo wir sind?«, gab Olli beleidigt zurück.

»Seit wann kannst du mit so einem Ding umgehen?«, fragte Marko.

»Ich war bei der Bundeswehr, habe ich dir das nie erzählt? Bei den Schießübungen gehörte ich sogar zu den Besseren«, erwiderte Olli stolz.

Jana gab ihm die Pistole zurück.

»Wenigstens einer, der zu gebrauchen ist«, bemerkte sie spitz und warf Marko einen geringschätzigen Blick zu.

In diesem Moment wurde der Wald vor ihnen in ein rot und gelb flackerndes Licht getaucht. Es rauschte und knackte.

»Die brennen das ganze Haus ab«, rief Svenja.

»Ruhig, runter mit euch«, flüsterte Jana eindringlich. »In dem Feuerschein kann man uns sehen.«

Eine zweite Flamme loderte auf.

»Die zünden den Wagen an, verdammt«, kommentierte Olli, ebenfalls im Flüsterton.

»Wir müssen hier weg. Die werden uns gleich suchen. Schnell! Die haben nur Zeit, bis die Feuerwehr kommt, und die werden sie nutzen«, drängelte Jana.

In gebückter Haltung rannten die vier los. Weiter in den dunklen Wald hinein, weg von dem Feuerschein, der alles erleuchtete. Vor den Flammen sahen sie drei Gestalten, die in ihre Richtung liefen.

»Sie kommen! Schneller! Wir müssen uns verstecken«, raunte Jana.

Zu dritt kauerten sie hinter einem recht großen umgestürzten Baum. Jana hatte sich von den Dreien etwas abgesetzt und sich hinter einem großen Findling versteckt. Sie hörten Äste knacken. Es wurde geflucht.

»Das ist nicht deutsch. Das ist englisch«, flüsterte Olli.

»Vom Akzent könnten das Amerikaner sein«, mutmaßte Svenja.

Die schien sich ja gut mit sprachlichen Feinheiten auszukennen, dachte Marko. Zu weiteren Überlegungen blieb keine Zeit mehr. Es gab wieder diesen ganz leisen dumpfen Knall und dicht vor Markos Kopf schlug eine Kugel ins Holz der umgefallenen Kiefer.

Wütend hob Olli seine Waffe und schoss zurück. Jetzt wurde noch mehr in amerikanischem Englisch geflucht. Olli hatte zwar niemanden getroffen, aber einer der drei Angreifer musste vor Schreck gestürzt sein und sich verletzt haben. Olli feuerte noch einmal zwei Schüsse ab. Die Angreifer feuerten zurück.

In gebückter Haltung liefen zwei der drei Angreifer in unterschiedliche Richtungen. Jetzt schoss Jana. Einer schrie auf. Sie hatte ihn getroffen. Dem Jammern nach zu urteilen, musste die Verletzung schmerzhaft, aber nicht schwer sein.

Jana gestikulierte wild. Alle vier sollten in unterschiedliche Richtungen auseinander laufen. Svenja und Olli rannten los. Wieder schlugen ein paar Kugeln ein, aber es wurde niemand getroffen. Marko wusste nicht, was er machen sollte. Er wollte Jana nicht allein lassen. Die ehemalige Polizistin hielt allerdings nichts davon. Sie sah ihn so böse an und machte dabei eine so wilde Geste, dass er sich entschloss, doch allein loszulaufen. Gebückt rannte er in den Wald. Hinter sich hörte er diese gedämpften Schüsse. Jedem Moment rechnete er damit, in den Rücken getroffen zu werden. Aber es schlug nicht mal eine Kugel in einen Baum in seiner Nähe ein.

So schlich er, so schnell er konnte, gebückt durch das Unterholz, bis sein Fuß sich in einer Wurzel verfing und er auf den Waldboden schlug. Sein Knöchel schmerzte. Er kroch hinter einen mittelgroßen Stamm, an den er sich anlehnte, und versuchte, sein hämmerndes Herz zu beruhigen.

Wieder hörte er zwei dieser gedämpften Schüsse. Es raschelte fast neben ihm im Gebüsch. Eine Gestalt kam in einem Hechtsprung auf ihn zu geschossen. Sie rollte sich ab und im nächsten Moment lag Jana quasi in seinen Armen. Normalerweise hätte er die Situation genossen, aber daran war in diesem Moment nicht zu denken. Mindestens zwei der Angreifer verfolgten sie. Mit schussbereiten Waffen kamen sie suchend näher.

»Meine Pistole ist leer und ich habe keine Munition dabei«, flüsterte Jana ihm ins Ohr.

Beide drückten sich, so eng es ging, an den Baumstamm. Das Knacken von Zweigen kam immer näher. Markos Herz schlug ihm bis zum Hals. Er spürte Janas Körper ganz dicht an seinem. Auch ihr Herz schien schneller zu schlagen. Sie hörten die Stimmen der Angreifer. Sie mussten kurz vor dem Baum stehen. Sie unterhielten sich auf Englisch, schimpften über ihre verloren gegangene Beute. Einer der beiden meinte, eine Kugel sei noch zu schade für die Schlampe, die ihn angeschossen hatte. In diesem Moment wünschte Marko, dass Jana den Kerl schwerer getroffen hätte.

Was sollten sie machen? Die Stimmen wurden lauter, obwohl die beiden Männer flüsterten. Unter den Schuhen ihrer Verfolger zerbrachen Äste, die Geräusche entstanden direkt vor ihnen. Gleich würden sie an ihrem Versteck ankommen und es gab keinen Weg heraus. Die beiden hielten tödliche Pistolen in ihren Händen und sie selbst besaßen keine Waffe.

Marko griff blind nach einem Knüppel, der hinter dem Stamm lag. Es war lachhaft, mit so einem morschen Ast gegen eine Schusswaffe kämpfen zu wollen, aber er wollte sich nicht einfach erschießen lassen. Etwas Ähnliches musste Jana ebenfalls gedacht haben. Marko spürte, wie jeder Muskel und jede Sehne sich in ihrem Körper anspannte, bereit anzugreifen.

Die Mündung des schweren Schalldämpfers einer Pistole wurde neben dem Baum sichtbar. Marko spürte, wie Jana sich bereit machte, um sich auf die Waffe zu stürzen. Das war Wahnsinn. Jana hatte keine Chance. Marko wollte schreien, um sie von dem Unsinn abzuhalten, aber er brachte keinen Ton heraus. Auch wenn sein Hirn etwas anderes wollte, so wusste sein Körper, dass jeder Laut tödliche Folgen haben würde. Stattdessen spannte auch er jede Faser seines Körpers an. Auch wenn die Chance noch so klein sein mochte. Sie mussten kämpfen, alle beide. Es war so weit. Marko wartete nur noch auf Janas Angriff.

In diesem Moment flackerte der Schein von Blaulicht durch das Gehölz. Es war noch in weiter Ferne, kam aber beständig näher. Die beiden Angreifer stießen einen wilden amerikanischen Fluch aus. Einen Moment wirkten sie unsicher. Einer der beiden wollte unter allen Umständen weiter nach seinen geflohenen Opfern suchen. Er behauptete, er könne spüren, dass die Bewohner des Ferienhauses ganz in der Nähe seien. Der andere wollte schnell weg. Er meinte, sie könnten erwischt werden, wenn sie nicht rechtzeitig aus dem Waldweg verschwänden. Das war sicher die vernünftigere Einstellung. Sie diskutierten wild und gehetzt.

Vor Wut schäumend schlug einer der beiden Verfolger vor, allein weiter zu suchen, während der andere mit dem Wagen verschwinden sollte. Markos Hoffnung, die gerade aufgeflammt war, verflüchtigte sich wieder, als die beiden ernsthaft über diese Möglichkeit berieten.

Plötzlich spürte Marko eine beruhigende Hand auf seinem Arm. Jana sah ihm beschwörend in die Augen. Erst jetzt merkte er, dass er vor Anstrengung zitterte. Er versuchte, sich zu beruhigen. Wenn er jetzt durchdrehte oder einfach nur schlappmachte, war alles vorbei.