Final Shutdown - Teil 2: Verfolgt

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Final Shutdown - Teil 2: Verfolgt
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Fred Kruse

Final Shutdown - Teil 2: Verfolgt

Ein Cyberthriller in drei Teilen

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Autors

Untersuchungsergebnisse

Vermisst

Fahrerflucht

Überfall

Die Informatikerin

Die ehemalige Polizistin

In eigener Sache

Danksagung

Impressum neobooks

Vorwort des Autors

Liebe Leserinnen und Leser, die Handlungen und Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig und von mir nicht beabsichtigt.

Auch der Hintergrund der Geschichte beruht allein auf meiner Fantasie. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass mir keine Angriffe der Art, wie sie als Auslöser der Handlung in diesem Roman beschrieben werden, bekannt sind.

Die führenden Betriebssystemhersteller in diesem Buch sind rein fiktiv. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich bemerken, dass mir keine konkreten Hintertüren und Sicherheitslöcher, wie sie die Protagonisten in dieser Geschichte aufdecken, in realen Systemen bekannt sind.

Allerdings handelt es sich bei den in Kapitel »Aufklärung« genannten Zahlen sowie der beschriebenen Schad-Software, den Viren und Würmern, nicht um Fiktionen, sondern um Realität. Die Fakten und deren Bewertung habe ich aus freizugänglichen Quellen recherchiert (siehe »Zum Nachlesen« am Ende des Buchs). Wobei ich an dieser Stelle der Leserin bzw. dem Leser überlasse, Parallelen zwischen fiktiven und realen Software-Unternehmen zu ziehen.

Zum Schluss bleibt zu sagen, dass ich zwar bis zum Erscheinen dieses Romans keine konkreten Anhaltspunkte für das Auftreten der beschriebenen Szenarien in der Realität kenne, sie für technisch aber durchaus machbar halte. Die Bewertung, wie realistisch eine Umsetzung unter den derzeitigen politischen Randbedingungen sein mag, überlasse ich Ihnen werte Leserin bzw. werter Leser.

Bei diesem eBook handelt es sich um den zweiten von drei Teilen.

Viel Spaß beim Lesen

Fred Kruse

Untersuchungsergebnisse

Jana Brand musste wieder einmal ihren ganzen Willen zusammennehmen, um ihre Wut nicht zu zeigen. Es wäre auch ungerecht gewesen. Sie wusste schließlich, dass der Kommissar, ihr ehemaliger Chef, es nur gut meinte. Einerseits ging es ihr auf die Nerven, dass sie sich ständig wiederholen musste. Sie hatte ihm nun schon oft genug zu verstehen gegeben, dass sie nicht ins Kommissariat zurückkehren würde.

Es half auch nichts, dass er ihr immer wieder versicherte, dass ein großer Teil der Kollegen nicht mehr in der Abteilung arbeitete und die verbliebenen auf ihrer Seite standen, fast alle zumindest. Dieses Thema hatte sie abgehakt, und zwar für immer. Andererseits ärgerte sie sich darüber, dass er diesen Fall nicht ernst nahm. Sie musste zugeben, auch sie hatte anfangs diese beiden schrägen Vögel für Spinner gehalten. Aber die Indizien häuften sich. Für sie gab es keinen Zweifel, dass etwas an diesen Unfällen stank, und zwar ganz gewaltig.

Bereitwillig hatte sie Kommissar Werner all ihre Erkenntnisse erzählt, natürlich ohne die nicht ganz legalen Methoden zu erwähnen, mithilfe derer sie an sie gekommen war. Der Kommissar hatte aber nicht richtig zugehört. Immer wieder kam er auf seine Sichtweise der Dinge zurück. Für ihn handelte es sich um ein zufälliges Zusammentreffen von Einzelfällen, wobei er die Unfälle der beiden Kollegen Ollis noch nicht einmal als polizeiliche Fälle ansah. Er hatte die Akten bereits geschlossen.

Mit schnellen Schritten eilte Jana den Flur vom Büro ihres ehemaligen Chefs entlang in Richtung des Aufzugs. Der Kommissar hatte sie noch einmal einbestellt, um das Protokoll mit der Aussage vom Abend vorher zu unterschreiben, zumindest hatte er das als Vorwand genutzt. Wahrscheinlich wollte er nur in der üblichen Weise auf sie einreden, auch wenn er mittlerweile wissen müsste, dass er sie nicht überzeugen konnte.

Die Wut über das Gespräch und die ständige Einmischung in ihre Angelegenheiten stellte aber nur einen Grund dar, warum sie das starke Bedürfnis verspürte, diesen Flur so schnell wie möglich zu verlassen. Der Kommissar hatte ihr erzählt, dass er auch ihre beiden Mitstreiter vorbestellt hätte, um das Protokoll zu unterschreiben. Sie verspürte absolut keine Lust, die beiden an diesem späten Vormittag schon wieder zu treffen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie insbesondere keine Lust Marko zu begegnen.

Für ihre Verhältnisse handelte es sich bei dieser Recherche um einen lukrativen Auftrag, der sich zudem noch als recht spannend entpuppte. Auf jeden Fall interessierte sie die Aufgabe wesentlich mehr, als untreuen Ehegatten hinterher zu spionieren oder sich als Kaufhausdetektivin zu verdingen. Soweit lief alles, wie es sollte.

Zu einem Problem entwickelte sich Marko. Er verhielt sich nicht gerade so professionell, wie es ein Auftraggeber tun sollte. Ganz offensichtlich meinte er, dass sich jede Frau für ihn interessieren müsse. Sie spürte eindeutig, dass er sie nicht nur als Geschäftspartnerin, sondern auch als Frau wahrnahm. Wenn sie etwas verabscheute, dann war es fehlende Professionalität und Marko verhielt sich mehr als unprofessionell.

Zudem hasste sie diese eingebildeten Typen, die meinten, die ganze Welt müsste ihnen zu Füßen liegen. Womöglich konnte Marko noch nicht einmal etwas dafür. Er war vom Leben bevorteilt. Tatsächlich hatte er etwas Charmantes und sah dazu noch überdurchschnittlich gut aus, von seinem beruflichen Erfolg ganz zu schweigen. Es gab sicher genug Frauen, die ihn anhimmelten.

Sollte er sich doch eine von denen suchen, die so einen Mann an ihrer Seite brauchten. Sie geriet allein schon bei dem Gedanken in Panik, ihr ganzes Leben von dem Verhältnis zu einem oder auch mehreren Männern abhängig zu machen. Eine neue Wut schwappte über sie hinweg. Was tat sie hier eigentlich? Wie hatte sie es zulassen können, dass ihr neuer Auftraggeber derart ihre Gedanken beherrschte? Sie erledigte einen Auftrag und damit Schluss! Alles andere hatte sie nicht zu interessieren und sie würde darüber auch nicht weiter nachdenken.

Mittlerweile erreichte sie den Fahrstuhl. Er befand sich gerade auf ihrer Etage. Die Tür öffnete sich sofort, nachdem sie den Knopf gedrückt hatte. Sie betrat die Kabine und wählte das Stockwerk, in das sie wollte. In der Enge, die sie einschloss, konnte sie ihre Wut nicht länger durch Bewegung kompensieren. Sie bemühte sich, ruhig zu atmen und ihren Ärger herunterzuschlucken. Die letzten Meter bis zur Fahrstuhltür war sie fast gerannt.

Gut, sie mochte diese Frauen nicht, die auf Männer wie Marko standen, nahm sie ihren Gedankengang wieder auf. Aber durfte gerade sie über das Leben anderer urteilen? Sie gehörte doch zu denjenigen, die genau das am besten kannten. Man war verblendet. Man setzte sich etwas in den Kopf. Man war gewarnt und tat es trotzdem. Und dann musste man mit den Folgen leben, egal wie diese auch aussehen mochten. Immerhin trug sie die Konsequenzen ihrer Entscheidungen, zumindest soweit es in ihrer Macht stand.

Der Fahrstuhl kam auf der Zieletage zum Stehen. Auf diesem Flur lagen die Labors der Spurensicherung. Wenn sie schon im Präsidium erscheinen musste, wollte sie wenigstens dort noch vorbeigehen. Mit Michael, dem leitenden Kriminaltechniker, war sie immer gut ausgekommen. Er würde ihr sicher erzählen können, was die Spurensicherung in den drei Fällen, für die sie sich interessierte, gefunden hatte. Sie klopfte an die Labortür und trat ein.

»Hallo Michael, wie geht es denn so?«, begrüßte sie den ehemaligen Kollegen.

Michael Bär überragte ihre gut ein Meter siebzig um etwa zehn Zentimeter. Die ersten grauen Strähnen durchzogen seine ursprünglich dunklen Haare. Seine vollen dunklen Augenbrauen gaben seinem Gesicht einen markanten Ausdruck. Sein Körper wirkte so durchtrainiert wie bei ihrer letzten Zusammenkunft. Er strahlte noch immer die Attraktivität auf sie aus wie zu dem Zeitpunkt, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sie wusste, dass er um die vierzig war, ein gut erhaltener Vierziger.

»Hallo Jana, lässt du dich auch mal blicken?«, fragte er freudig überrascht zurück. »Sag nicht, du hast in diesem Laden wieder angefangen.«

Er saß an einem Rechner und sah sie strahlend und erwartungsfroh an.

»Nein, nein, ich war nur an eurem letzten Fall beteiligt, als Zeugin sozusagen«, erwiderte Jana. »Da dachte ich, schau mal vorbei.«

»Da muss ich mich wohl geehrt fühlen, wenn du ausgerechnet zu mir in mein abgelegenes Reich kommst. Oder klapperst du jetzt alle alten Kollegen ab?«, fragte er grinsend zurück.

 

»Du kannst dich tatsächlich geehrt fühlen. Du bist der Erste und ich habe nicht vor, irgendjemand anderen hier zu besuchen«, sagte Jana müde lächelnd.

»Und wie geht es so?«, fragte Michael.

»Muss ja.« Jana lächelte gequält.

»Ich hätte mich gerne noch mal mit dir getroffen, aber du hast dich auf keinen meiner Anrufe oder sonstige Nachrichten zurückgemeldet.« Michael lächelte zwar, es klang aber vorwurfsvoll.

»Wie geht es deiner Frau?«, antwortete Jana bissig.

»Wie immer schlecht. Wie immer ohne Grund«, erwiderte Michael spontan, sah Jana aber dann doch irritiert an. »Das habe ich nicht gemeint. Ich hätte einfach gerne mit dir ein Bier getrunken und ein wenig gequatscht.«

»Ist schon gut. Ich bin etwas überarbeitet«, wiegelte Jana ab.

»Hör mal, das ist doch kein Job für dich. Hier hättest du jede Menge Vorteile als Beamtin und so.« Bevor Jana etwas sagen konnte, redete Michael weiter. »Niemand hier kennt die Geschichte so gut wie ich. Es gab schließlich Zeiten, da hast du jemanden zum Ausheulen gebraucht. Glaub mir, die meisten sind weg, und die, die noch da sind, stehen auf deiner Seite. Es gibt absolut keinen Grund, warum du dir das weiterhin antust.«

»Wenn du mir damals zugehört hast, dann weißt du, dass das alles nicht so einfach ist. Lass uns über etwas anderes reden, du bist heute schon der Zweite, der versucht, mich zu bequatschen.«

»Werner?«

Jana nickte, dann wechselte sie das Thema: »Kannst du mir ein paar Fragen zu euren letzten Fällen beantworten?«

»Was meinst du, den Zuhälter und die Hure? Da gibt es nicht viel zu erzählen. Die sind eindeutig erschossen worden. Willst du das Kaliber der Waffen wissen oder den Typ?«

»Warum seid ihr so sicher, dass es sich um organisierte Kriminalität handelte?«

»Na ja, es geht um Prostitution, die verwendeten Waffen passen auch ins Bild. Mit so was ballern verschiedene Mafiagruppen rum. Was soll es sonst sein?« Michael sah sie fragend an. Jana zuckte mit den Schultern.

»Was ist mit der Explosion in dem Mietshaus?«, fragte sie.

»Also, wenn du schon alle möglichen Interna aus mir herausquetschen willst, musst du wenigstens einmal mit mir essen gehen!« Michael grinste sie frech an.

»Mach ich ja. Sobald ich ein bisschen mehr Ruhe habe. Ich zahle dann aber selbst«, stellte Jana klar. Sie hielt es für klüger, dass Michael sich von vornherein keiner falschen Hoffnung hingab.

»Ja, ja und ich verspreche, dass ich einem wehrlosen Mädchen wie dir nichts antue«, ergänzte Michael mit gespielter Entrüstung.

Jana verzog das Gesicht zu einem kurzen Grinsen, hakte dann aber ernst nach: »Also nun erzähl schon: Was habt ihr gefunden?«

»Nichts! Das war eine ganz normale Gasexplosion, ein bedauerlicher Unfall, kein Hinweis auf Fremdverschulden.«

»Habt ihr den Rechner des Opfers sichergestellt?«

»Was für einen Rechner?«

»Na, so einen Laptop oder so ‘nen Kasten, wie du ihn unterm Schreibtisch stehen hast.«

»In der Wohnung befand sich definitiv kein Rechner. Die Explosion war zwar stark und einige Dinge konnten wir kaum noch identifizieren, aber die Überreste eines Laptops oder eines Desktops hätten wir schon rekonstruieren können. Da war nichts.«

»Findest du es nicht komisch, dass dort kein Rechner in der Wohnung stand? Das Opfer galt als Computer-Fachmann.«

Michael verdrehte die Augen.

»Oh Mann, Jana! Nur weil einer beruflich mit so etwas beschäftigt ist, muss er doch nicht auch noch seine Freizeit damit verbringen. Ich arbeite auch den ganzen Tag an irgendwelchen Kriminalfällen, deshalb lese ich noch lange keine Krimis oder sehe mir diesen Schwachsinn im Fernsehen an.«

»Du weißt, dass es da aber auch andere Kollegen gibt. Einige sind richtige Fans von Krimiserien.«

Michael schüttelte missbilligend den Kopf.

»Wie dem auch sei«, sagte er. »Dein Opfer gehörte jedenfalls nicht zu denjenigen, die sich nach ihrem Job noch mit diesen Dingen beschäftigen. Da gab es definitiv keinen Rechner in der Wohnung. Den hätten wir gefunden oder zumindest das, was davon übrig geblieben wäre.«

Jana legte ihre Stirn nachdenklich in Falten. »Das passt nicht. Sein Kollege erzählt ganz andere Dinge über die Gewohnheiten des Typen. Habt ihr auch keinen Bildschirm oder Drucker gefunden?«

»Also hältst du uns jetzt auch für total verblödet?«, fragte Michael und das erste Mal während des Gesprächs sah er ehrlich verärgert aus. »Du fragst schon genauso überheblich wie diese Arschlöcher vom LKA. Wenn wir Computer-Equipment ohne einen Rechner gefunden hätten, hätten wir uns natürlich auch die Frage gestellt, wo das Gerät geblieben ist. Obwohl es auch für das Verschwinden eines PCs jede Menge Gründe geben kann. Er könnte ihn mit ins Büro genommen und dort stehen lassen haben. Vielleicht war das Gerät kaputt und das Opfer hat es zu Reparatur gebracht. Da gibt es tausend Möglichkeiten. Aber wie dem auch sei: In diesem Fall gab es keine Anzeichen dafür, dass jemals ein Rechner in der Wohnung gestanden hat.«

»Warum interessiert sich das LKA für den Fall, wenn es sich doch nur um einen Unfall handelte?«

»Die haben was von Amtshilfe genuschelt, aber nicht erklärt für wen. Wenn du mich fragst, wollten die unsere Arbeit überprüfen. Die trauen uns nicht übern Weg.«

Jana sah ihn mit gerunzelter Stirn an. In ihren Gesichtszügen konnte man deutlich lesen, dass sie nicht seine Einschätzung teilte.

»Ich weiß, das hört sich blöde an, aber weißt du, was die noch gebracht haben? Da gab’s so ’nen Autounfall in Süddeutschland. Auch so eine Sache, bei der es sich eindeutig um ein tragisches Unglück handelte. So etwas kommt eben vor im richtigen Leben. Als Einziges haben sie einen total verschmurgelten USB-Stick in dem ausgebrannten Wrack gefunden. Das Ding war so hin, wie irgendetwas nur hin sein kann.«

Michael kam jetzt richtig in Fahrt. Vor Wut färbte sich sein Gesicht etwas rötlich. Das passierte ihm normalerweise nicht so leicht.

»Das Ding konntest du vielleicht gerade noch in eine Buchse stecken, aber die ganze Elektronik dahinter war total zusammenschmolzen. Meinst du, die haben mir geglaubt. Ich soll das Ding zu denen ins Labor schicken. Kannst du dir das vorstellen? Ich habe das Ding noch da. Ich kann es dir ja mal zeigen. Man muss wirklich kein Spezialist sein, um zu sehen, dass da nichts mehr zu machen ist.«

Michael kramte in einer Schublade und zog einen kleinen durchsichtigen Plastikbeutel heraus, in dem sich ein völlig zusammengeschmolzener und verkohlter USB-Stick befand.

»Geht es dabei um den Autounfall von dem Kollegen des Opfers der Gasexplosion?«, fragte Jana vorsichtig.

»Ach ja, ich hatte ganz vergessen, dass ihr es seid, die einen Zusammenhang zwischen diesen Unfällen konstruieren wollen«, antwortete Michael zerknirscht.

»Und aus dem Stick da kann man wirklich nichts mehr herauslesen?«, fragte Jana und sah zweifelnd auf die Überreste in der Plastiktüte.

»Sieh dir den doch mal an. Der ist hin.« Michael hielt Jana die Plastiktüte direkt vor die Nase. Das zusammengeschmolzene Zeug sah tatsächlich nicht gerade funktionstüchtig aus.

»Könnte ich mir den für ein paar Stunden ausleihen?«, fragte sie. »Ich kenne da so einen Spezialisten.«

»Spinnst du jetzt auch noch? Meinst du nicht, ich bin Spezialist genug?« Michael sah jetzt richtiggehend beleidigt aus.

»Ich wollte doch nicht deine Fähigkeiten anzweifeln«, wiegelte Jana schnell ab. »Aber wenn es das ist, was ich denke, ist es für mich extrem wichtig. Dann ist es der Schlüssel zu der ganzen Geschichte. Ich wollte doch nur noch mal einen zweiten Experten draufsehen lassen.«

»Wie stellst du dir das vor? Ich kann dir doch nicht ein Beweisstück mitgeben. Du bist schließlich keine Kollegin mehr. Ich fliege raus, wenn das rauskommt.«

Immerhin klang Michael nicht mehr beleidigt. Jana zog ihre letzte Waffe. Sie sah ihn mit bittenden Augen an und zog einen Schmollmund. Es handelte sich nicht gerade um ihre Lieblingswaffe, aber wenn es nicht anders ging, musste man mit allem kämpfen, was man hatte.

»Na gut, dann sag deinem Spezialisten Bescheid, er soll hierher kommen, aber unauffällig. Wenn das einer der Kollegen mitbekommt, bin ich dran. Und ich habe etwas gut bei dir. Wenigstens auf ein Bier könntest du dich mit mir verabreden.«

»Mach ich, sobald ich ein bisschen Luft habe, das ist versprochen«, versicherte Jana. Das Strahlen in ihren Augen rührte aber eher von der unerwarteten Möglichkeit eine Spur zu finden, als von der Aussicht mit Michael einen Kneipenabend zu verbringen.

Sie telefonierte mit Marko, Ollis Handynummer hatte sie nicht. Olli hörte sich völlig aufgedreht an, als er erfuhr, dass ein USB-Stick aufgetaucht war, den Thomas bei seinem Unfall dabei hatte. Eine knappe halbe Stunde später tauchte er auf, einen Rucksack mit seinem Laptop auf dem Rücken.

»Macht schnell die Tür zu. Die Kollegen müssen ja nicht sehen, was wir hier treiben«, sagte Michael. Er konnte nicht verhehlen, wie unwohl er sich in dieser Situation fühlte.

Olli saß dann auch gerade an dem Laptop, in dem die Überreste des USB-Sticks steckten, als es kurz klopfte und ein Kollege von Michael herein kam. Mir fragendem Blick sah er erst zu Olli und dann zu Jana.

»Das ist Oliver Vogt. Ich dachte, ich frage doch noch mal einen Computer-Spezialisten, bevor wir das Ding ans LKA geben. Nicht dass wir hinterher wie die Deppen dastehen«, erklärte Michael schnell. Der Kollege nickte.

»Ich bin Jana Brand, eine ehemalige Kollegin. Ich war gerade im Haus und wollte den alten Kollegen kurz besuchen«, stellte sich Jana vor.

Michaels Kollege nickte wieder geistesabwesend und befragte den Kriminaltechniker dann nach der Untersuchung eines anderen Falls. Diskutierend verschwanden die beiden im Nebenraum.

»Ich fürchte, die ganze Aktion war umsonst«, erklärte Olli nach ein paar Minuten. »Ich habe es mit einem speziellen Programm versucht, mit dem habe ich bisher noch jeden Stick zum Laufen gebracht, der auch nur einen Funken Leben in sich hatte. Das Ding ist wirklich im Eimer, und zwar vollständig.«

Olli zog das zerstörte Gerät aus dem Rechner und ließ es zurück in die durchsichtige Plastiktüte fallen. Laut Untersuchung befanden sich zwar keine Fingerabdrücke an dem Stick, vorsichtshalber trug er aber dennoch dünne Plastikhandschuhe. Mit enttäuschtem Gesichtsausdruck streifte er sie ab und packte seinen Laptop ein.

»Den können Sie dem LKA oder sonst wem schicken. Da ist absolut nichts mehr drauf. Kaputter geht’s einfach nicht!« Olli schüttelte dem mittlerweile zurückgekehrten Michael zum Abschied die Hand.

Jana gab ihrem ehemaligen Kollegen das Versprechen, ihn in den nächsten Tagen anzurufen. Zusammen mit Olli verließ sie das Gebäude.

Vermisst

Marko gefiel es nicht gerade, dass er von dem Besuch im Präsidium ausgeschlossen wurde. Allerdings sah er ein, dass es Jana schon schwer genug fiel, ihren ehemaligen Kollegen zu überreden, wenigstens Olli das Beweisstück noch einmal untersuchen zu lassen. Seit dem Einbruch in Ollis Büro befand sich Marko in einer merkwürdigen Stimmung. Er hatte das Gefühl einem Geheimnis auf der Spur zu sein. Ungewöhnlich nervös erwartete er die Rückkehr seiner zwei Mitstreiter.

Als es an der Tür klingelte, öffnete er den beiden voller undefinierbarer Vorfreude. Als die beiden ihm ihre Ergebnisse berichteten, wich sie allerdings einer herben Enttäuschung. Sie saßen zu dritt bei einer Tasse Kaffee an seinem Wohnzimmertisch.

»Das kannst du alles vergessen, die haben sämtliche Daten plattgemacht. Wir werden nie aufklären, was die beiden herausgefunden haben«, beendete Olli mutlos seinen Bericht. Es folgte trübsinniges Schweigen.

»Könnten deine beiden Kollegen noch irgendjemand anderen ins Vertrauen gezogen haben«, fragte Jana nachdenklich.

»Die haben doch nicht einmal mir etwas verraten«, jammerte Olli.

»Vielleicht irgendwelche Leute, die sie privat kannten?«

»Also, bei dem Frank kann ich mir das nicht vorstellen. Der hatte überhaupt keine Freunde mehr, glaube ich.«

»Und Thomas Krüger? Der hatte doch eine Freundin.«

»Mit der wird er bestimmt nicht über berufliche Dinge gesprochen haben«, meinte Olli, überlegte es sich dann aber doch anders. »Allerdings hat er erzählt, dass er sie auf einem Seminar kennengelernt hat. Falls es noch die ist, die ich meine. Meistens hielten diese Freundschaften bei ihm nicht lange. Ständig hat er von anderen Frauen erzählt. An seine letzte Freundin erinnere ich mich nur, weil es für seine Verhältnisse schon ziemlich lange ging und ich dachte, die passt nicht in sein übliches Schema.«

 

Jana kramte den Zettel mit der Adresse hervor.

»Ist das diese Svenja Fischer?«, fragte sie.

»Ja genau, Svenja«, bestätigt Olli.

»Mach mal den Rechner an und gib die Adresse ein«, forderte Jana Marko auf.

Der holte seinen Laptop, setzte sich mit ihm auf den Schoss aufs Sofa und schaltete ihn ein. Jana buchstabierte ihm die Adresse, nachdem das Gerät hochgefahren war. Sie ließen sich die Route von Bonn bis zu Svenja Fischers Adresse ausgeben.

Jana schlug ihr kleines Notizbuch auf und blätterte darin zu einer weiteren Adresse. Sie suchten auch diese auf der Karte.

»Bingo«, rief Jana aus. »Das ist der Ort, an dem Thomas Krüger verunglückt ist.« Sie zeigte mit dem Finger auf einen Punkt auf der Karte. »Seht ihr, er liegt auf der Route zu Svenja Fischer.« Jana fuhr mit dem Finger ein Stück der Autostraße auf der Karte entlang. »Es war Freitagabend. Thomas Krüger wollte seine Freundin besuchen. Er fährt mit seinem Auto von Bonn in das Kaff, in dem Svenja Fischer wohnt und hier an dieser Brücke kommt er von der Straße ab und stürzt den Abhang hinunter.«

»Und jetzt?«, fragte Marko und blickte ihr dabei in die vor Begeisterung leuchtenden blaugrauen Augen.

»Jetzt telefoniere ich mit der guten Frau und melde uns bei ihr an. Wir fahren zu ihr nach Hause und reden mit ihr. Auf dem Weg können wir uns dann gleich vor Ort die Unfallstelle ansehen.«

Jana kramte ihr Handy aus ihrer Handtasche. Sie tippte die Telefonnummer ein, die auf dem Zettel stand. Während es klingelte, stand sie auf und ging ein paar Schritte, bis sie vor Markos Wohnzimmerfenster stand. Sie sah hinaus, während sie den Ruftönen lauschte, die in gleichmäßigen Abständen aus dem Lautsprecher tönten.

»Mein Name ist Jana Brand. Ich ermittle im Fall ihres verunglückten Freundes Thomas Krüger. Würden Sie mich bitte umgehend zurückrufen. Vielen Dank!« Jana drückte den Ausknopf ihres Mobiltelefons.

»Die Mobilbox?«, fragte Marko.

»Ja, sie muss ihr Handy ausgeschaltet haben«, antwortete Jana nachdenklich. Marko und Olli sahen sie fragend an.

»Egal, wir fahren da auf jeden Fall hin. Vielleicht meldet sie sich ja auch noch.« Jana sah auf ihre Uhr. »Ich muss noch etwas organisieren. In einer guten Stunde bin ich wieder hier. Wenn ihr mitwollt, solltet ihr bis dahin fertig sein.«

Schwungvoll schmiss sie sich ihre Handtasche über die Schulter und ging zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um.

»Ach ja, packt vorsichtshalber eine Zahnbürste ein, falls wir dort übernachten müssen. Bis nachher.« Damit verschwand sie aus der Tür.

»Tolle Frau«, kommentierte Marko und starrte verträumt auf die geschlossene Tür.

»Die ist nicht dein Typ«, bemerkte Olli trocken. »Hast du mal ‘nen Bier?«

»Nee, jetzt wird nicht gesoffen. Mein Gefühl sagt mir, dass wir heute noch all unsere Sinne brauchen«, antwortete Marko.

***

»Es ist komisch, dass die Frau ihr Handy nicht einschaltet«, sagte Jana. »Ich mache mir langsam Sorgen. Wenn unsere Theorie richtig ist und jemand versucht, alle Spuren zu verwischen, könnte Svenja Fischer wirklich in Gefahr sein.«

Die drei saßen in Markos Wagen und fuhren die A5 Richtung Süden. Eigentlich hatte Jana fahren wollen, aber Marko hatte darauf bestanden, seinen Wagen zu nehmen. Das stellte sich während der Fahrt auch als sinnvoll heraus, weil Jana in immer kürzeren Abständen versuchte, die Freundin von Thomas Krüger zu erreichen.

Jana saß auf dem Beifahrersitz neben Marko. Olli, der auf der Rückbank hockte, redete kaum, diesmal spielten allerdings keine Äußerungen der anderen beiden eine Rolle, durch die er sich gekränkt fühlte. Vielmehr schien er sich den Kopf zu zerbrechen, was sich auf dem zerstörten USB-Stick befunden haben könnte.

Als sie endlich von der Autobahn abbogen, war das Handy von Svenja Fischer noch immer ausgeschaltet. Marko fuhr die zunehmend kurvenreichere Straße entlang.

»Viel los ist hier ja nicht«, bemerkte Jana.

»Nein, ich glaube, wir sind auf dem direkten Weg nach nirgendwo«, gab Marko zurück.

Er war guter Laune. Nicht nur, dass ihn der Jagdinstinkt gepackt hatte. Er genoss auch die Gegenwart der jungen Detektivin. Die gab mittlerweile die Versuche auf, die Freundin des Opfers zu erreichen. Stattdessen sah sie auf eine Karte, auf der sie sich die Unfallstelle markiert hatte.

»Da vorn muss gleich eine kleine Brücke kommen, dort ist es passiert«, erklärte sie, nachdem die drei mehr als eine Stunde auf der enger werdenden Straße gefahren waren.

Tatsächlich erkannte man nach der nächsten Kurve eine schmale Flussüberführung. Diese Stelle stellte sicher ein Hindernis dar, wenn man es eilig hatte, aber sie war auch nicht so eng, dass sich nicht auf ihr zwei Autos begegnen konnten. Für einen erfahrenen Autofahrer sollte so eine Brücke kein Grund sein, um von der Straße abzukommen.

Marko parkte den Wagen am Seitenstreifen. Die drei stiegen aus und gingen den Rest zu Fuß. Ein niedriges, etwa vierzig Zentimeter hohes Geländer aus Stein fasste die Brücke ein. Jana besah es sich aus der Nähe.

»Das sieht aus, als wäre der Wagen dort rüber gerutscht«, sagte sie. Auf den Steinen befanden sich Spuren von Unterbodenschutz. An anderen Stellen sah es aus, als wäre Metall über den Stein geschabt.

»Da muss der Wagen runtergeknallt sein«, meinte Olli und zeigte auf den Hang an der anderen Seite der Brücke. Dort standen zerdrückte und angekohlte Sträucher. Selbst zwei junge, dünne Bäume waren umgeknickt. Überall zeichneten sich noch Brandspuren ab.

»Der muss schon vor der Brücke von der Fahrbahn abgekommen sein und ist dann mit dem Unterboden über das Geländer geschrappt«, nahm Jana ihren Gedankengang wieder auf. »Vielleicht ist er eingeschlafen.«

»Das glaube ich nicht. Wenn Thomas irgendwas begeistern konnte, dann hing es mit Auto fahren zusammen, um so länger die Strecke, um so besser«, kommentierte Olli.

»Na ja, er könnte sich allerdings auch verschätzt haben. Vielleicht war die Fahrt anstrengender, als er gedacht hat, und er ist eingeschlafen, weil er sich nicht zugeben mochte, dass er es nicht mehr schafft«, gab Jana zurück.

»Man müsste an den Bericht der Spurensicherung kommen und herausbekommen, ob an dem Wagen irgendetwas faul war«, hakte Marko ein.

Er kam Olli zuvor, der ein weiteres Mal beteuern wollte, dass er sich nicht vorstellen könnte, dass sein ehemaliger Kollege am Steuer eingeschlafen sei.

»Den habe ich gelesen«, antwortete Jana. Marko zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

»Ja, man hat so seine Quellen«, sagte Jana grinsend. »An dem Wagen ist nichts Aufregendes festgestellt worden. Soweit man das bei dem Zustand, in dem sich das Wrack befand, noch feststellen konnte, war das Fahrzeug technisch in einwandfreiem Zustand.«

»Ich hätte mir von Thomas auch nichts anderes vorstellen können«, murmelte Olli.

»Es hat da nur ein paar Kratzer an der Seite gegeben, die könnten aber auch von einem älteren Unfall herrühren«, berichtete Jana weiter.

»Niemals«, rief Olli aus. »Ihr kanntet Thomas nicht! Der hat nichts mehr geliebt als sein Auto. Wenn da ein Kratzer im Lack gewesen wäre, hätte er das erst reparieren lassen. Vorher wäre der nicht losgefahren. Das muss auf der Fahrt passiert sein.«

Jana wollte protestieren, aber Marko fragte schnell: »Weißt du, auf welcher Seite sie diese Kratzer gefunden haben?«

»Die waren links«, antwortete Jana nachdenklich.

»Nehmen wir mal an, Olli hat recht und diese Kratzer sind wirklich auf der letzten Fahrt des Kollegen entstanden. Was folgt dann daraus?«, dachte Marko laut. »Dann heißt das doch, dass irgendjemand hier auf der Brücke Thomas Krüger von der Fahrbahn abgedrängt hat.«

»Eigentlich schon vor der Brücke«, stieg jetzt auch Jana in das Gedankenspiel ein. »Jemand hat ihn so weit abgedrängt, dass er auf das Steingeländer gerutscht ist. Entweder ist er dann von selbst zur anderen Seite heruntergekippt oder auch dort hat der fremde Wagen nachgeholfen. Auf jeden Fall ist das Fahrzeug kurz vorm Ende der Brücke nach rechts runter in die Schlucht gestürzt.«

»Passiert das häufig, dass ein Wagen in Flammen aufgeht«, fragte Marko nach.

»Nicht unbedingt häufig, aber es kommt vor«, antwortete Jana.

»Oder jemand hat nachgeholfen«, warf Olli ein.

»Wenn der Wagen in Brand gesteckt worden wäre, hätte die Spurensicherung das herausbekommen. Das glaube ich zumindest. Ist jetzt auch egal. Vielleicht hatte der Täter einfach Glück oder er hat sein Eingreifen wirklich gut kaschiert«, meinte Jana.

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