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Final Shutdown - Teil 1: Mysteriöse Todesfälle

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Meinungsänderung

»Siehst du, das Haus steht noch«, sagte Marko grinsend, als die beiden Männer in die Straße einbogen, in der Ollis Wohnung lag.

Ein paar Minuten später standen sie vor der Eingangstür des Mietshauses.

»Ich drück mal auf die Klingel, dann sehen wir ja, was passiert.« Marko grinste fies und legte schon seinen Finger auf den Knopf. Olli riss ihm die Hand weg, bevor er ihn drücken konnte.

»Bist du wahnsinnig! Wahrscheinlich ist oben alles voll Gas und das ganze Haus fliegt in die Luft, wenn du klingelst«, flüsterte er aufgeregt.

»Wie du meinst!« Marko konnte seinen Ärger kaum verbergen. Er merkte jetzt, wie müde er sich fühlte. »Komm, schließ endlich auf. Ich will nach Hause und ins Bett.«

»Du kommst doch aber noch mit bis zur Wohnungstür?« Olli sah so ängstlich aus, dass Marko nur mit den Schultern zuckte.

Er würde ihn noch nach oben begleiten und dann gehen. Er verspürte keine Lust auf Diskussionen und wusste, dass er am schnellsten nach Hause kam, wenn er Olli oben wohlbehalten ablieferte.

Müde stieg er hinter Olli die Treppen zum zweiten Stock hinauf. Auf der letzten Stufe vor seiner Wohnung blieb Olli abrupt stehen. Mit angstgeweiteten Augen zeigte er auf die Wohnungstür. Sie stand einen winzigen Spalt offen. Die Einbruchsspuren konnte man selbst in übermüdetem Zustand nicht übersehen.

Adrenalin schoss Marko in die Venen, von einer Sekunde auf die andere fühlte er sich hellwach. Das war nun wirklich ein Zufall zu viel, befand er. Sein Herz begann zu pochen.

»Ruf die Polizei! Du hast doch ein Handy, oder?«, fragte er und drängte sich schon an Olli vorbei, der ängstlich nickend sein Mobiltelefon aus der Tasche kramte.

Marko schritt zur Wohnungstür, klopfte an und rief energischer, als er sich fühlte: »Ist da wer? Die Polizei ist unterwegs!«

Niemand antwortete. Vorsichtig und mit klopfendem Herzen schlich Marko in die Wohnung. Er schnupperte. Es roch irgendwie muffig, aber nicht nach Gas. Die Luft schien in Ordnung, wenn man von diesem leichten Geruch nach ungewaschenen Socken absah.

Die Wohnung lag im Dunkeln. Marko tastete nach dem Lichtschalter für die Flurbeleuchtung. Nach einigem Suchen fand er ihn. Er drückte ihn herunter. Nichts passierte. Entweder die Birne war kaputt oder die Sicherung herausgeflogen. Markos Herz schlug noch schneller. Auf alles Böse gefasst, schlich er vorwärts durch den Flur. Glas knirschte unter seinen Schuhen.

»Das könnten die Überreste der Birne im Flur sein«, dachte er.

Die Tür am anderen Ende des Flurs stand einen Spalt offen. Dort musste es ins Wohnzimmer gehen. Marko hatte zwar nur wenige Male Olli in seiner Wohnung besucht, aber er meinte, sich in etwa an die Aufteilung der Zimmer zu erinnern. Ein sehr matter Lichtschein fiel durch den Spalt in den engen Flur. Er war zu schwach, um wirklich etwas erkennen zu können. Marko nahm nur dunkelgraue Schatten wahr. Er erkannte eine niedrige Kommode im Flur. Immerhin verhinderte das wenige Licht, dass er sich an ihr das Knie stieß.

An der Tür angekommen, öffnete Marko sie vorsichtig. Wie schon gedacht, befand sich dahinter das Wohnzimmer. Das Licht der Straßenbeleuchtung schien nur matt durch die vorgezogenen Vorhänge. Die Schemen der Sessel, des Sofas und des niedrigen Couchtisches konnte Marko eher erahnen, als er sie sah. Viel verpasste er durch den fehlenden Anblick nicht, wie er sich erinnerte, es sei denn, Olli hätte die Wohnzimmereinrichtung in der Zeit, seit sie sich nicht mehr gesehen hatten, erneuert.

Wieder tastete Marko nach dem Lichtschalter. Dabei roch er in den Raum hinein. Auch hier fiel ihm, abgesehen von dem stärker werdenden Miefgeruch, nichts Verdächtiges auf. Gerade meinte er, den Schalter ertastet zu haben, da sah er es. Genauer gesagt, erahnte er mehr eine Bewegung in der Dunkelheit.

Ein Schatten sprang auf ihn zu. Im nächsten Moment durchfuhr ein stechender Schmerz seinen rechten Arm, dessen Hand schon auf dem Schalter lag. Viel zu langsam registrierte sein Hirn, dass der Angreifer mit einer Art Stange zugeschlagen hatte. Er schrie auf vor Schmerz. Wieder ahnte er mehr als er sah, dass der Angreifer erneut auf ihn einschlug. Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte er, den Arm des Angreifers festzuhalten. Er bekam ihn unsicher zu fassen. Es klang wie Metall auf Zement, als die Stange neben seinem Kopf an die Wand schlug.

Im nächsten Moment blieb Marko die Luft weg. Noch bevor er den Schmerz spürte, hatte sein Hirn registriert, dass der Angreifer ihm die linke Faust in den Magen gerammt hatte. Der Arm mit der Stange entglitt seinen Fingern. Vor seinen Augen schien es kurz aufzublitzen. Ein Feuerball explodierte an seiner Stirn. Dann breitete sich undurchdringliche Dunkelheit um ihn herum aus.

***

Engel hatte er sich anders vorgestellt, Teufel allerdings auch.

»Können Sie mich hören?«, fragte das Gesicht, das er direkt vor sich sah. Es gehörte einer älteren Frau, die ihn sehr besorgt ansah. Aus dicken Brillengläsern blickte sie auf ihre altmodisch wirkende Armbanduhr, während sie seinen Puls maß.

»Können sie mich verstehen?«, fragte sie noch einmal.

Marko nickte mit dem Kopf, was sich als keine gute Idee herausstellte. Sein Schädel schien vor Schmerz zu explodieren, alles drehte sich und ihm wurde übel.

»Oh!«, stöhnte er.

Der helle Strahl einer kleinen Stabtaschenlampe leuchtete ihm direkt in die Augen. Er versuchte die Augenlider zusammenzupressen, aber die Frau drückte sie entschlossen auseinander. Endlich ließ sie ihn los. Marko blinzelte.

»Wie viele Finger sehen Sie«, fragte die Frau, die Marko mittlerweile eindeutig als Ärztin identifiziert hatte.

»Vier«, krächzte Marko, seine Stimmbänder gehorchten ihm nicht. »Was soll das? Wo bin ich?«

»Sie sind niedergeschlagen worden«, sagte eine andere Stimme. Marko blinzelte nach oben. Bei dem Mann, der vor ihm stand, handelte es sich um den jungen Beamten, den er in der Nacht schon einmal gesehen hatte und der von seinem Erscheinen nicht gerade begeistert gewesen war. Er gehörte zu Kommissar Werners Team. Auch jetzt machte er nicht gerade einen erfreuten Eindruck über Markos Anwesenheit.

»Die potenzielle Tatwaffe, ein Metallrohr, haben wir im Treppenflur gefunden. Der Täter hat sie fallen lassen«, ergänzte der junge Polizist.

Langsam kam die Erinnerung zurück.

»Was ist mit Olli?«, fragte Marko. Er versuchte sich aufzurichten, gab aber sofort wieder auf, als sich ein stechender Schmerz erneut in seinem Kopf ausbreitete. Die Ärztin schüttelte den Kopf.

»Bleiben Sie erst mal liegen. Ich lasse Sie ins Krankenhaus bringen, zur Beobachtung. Sie haben eine Gehirnerschütterung.« Ihre Stimme verriet, dass jeder Protest sinnlos sein würde. Den Polizisten wies sie an: »Passen Sie auf, dass er liegen bleibt. Ich muss mich um den Rest kümmern.«

»Ja, ja«, antwortete der junge Beamte leicht gereizt und wandte sich dann wieder Marko zu. »Also bleiben Sie schön liegen! Meinten Sie mit ihrer Frage Herrn Vogt, den Mieter dieser Wohnung?«

»Ja, natürlich! Er befand sich hinter mir. Was ist mit ihm?«, fragte Marko jetzt ebenfalls gereizt.

»Herr Vogt hat unglaubliches Glück gehabt. Er ist mit ein paar Prellungen davon gekommen. Wir haben den Tathergang so rekonstruiert: Der Einbrecher, wahrscheinlich ein Junkie, wurde durch Sie beide überrascht. Er hat sich hier im Wohnzimmer versteckt. Als Sie den Raum betraten, schlug er Sie mit dem Metallrohr nieder, das wir im Flur gefunden haben. Herr Vogt, der sich noch im Treppenhaus befand, weil er gerade die Polizei per Mobiltelefon gerufen hatte, wollte den Täter stellen, wurde aber von diesem niedergeschlagen. Der Einbrecher schlug mehrfach mit dem Rohr auf ihn ein. Glücklicherweise war der Nachbar noch wach und sah, durch die Hilfeschreie angelockt, aus der Tür. Daraufhin ergriff der Täter die Flucht.«

»Das hörte sich ja alles schön protokollfertig formuliert an«, dachte Marko.

Er musste sich zusammenreißen und sein typisch zynisches Grinsen unterdrücken. Jede Anspannung seiner Gesichtsmuskeln verstärkte den Schmerz auf seiner Stirn. Der Tatverlauf hörte sich gut an. Es gab nur einen klitzekleinen Fehler in der Schilderung und er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sich dieser eingeschlichen hatte. Olli hätte nie und nimmer den Mut aufgebracht, den Versuch zu unternehmen, einen Täter mit einem Metallrohr in der Hand zu stellen.

»Hat Herr Vogt Ihnen erzählt, dass er sich auf den Täter gestürzt hat?«, fragte Marko. Er bemühte sich erneut, sich aufzusetzen, und musste diesen Versuch wieder mit einem Stöhnen abbrechen.

»Ja, natürlich«, antwortete der Polizist und sah Marko fragend an.

»Das wäre ja das erste Mal, dass der Kerl einen solchen Mut aufbringt«, knurrte Marko. »Wahrscheinlicher ist, dass er versucht hat, seine Haut zu retten.«

»Sie kennen Ihren Freund da sicher besser als ich«, räumte der junge Polizist ungeduldig ein. »Aber, ob er nun eingegriffen hat oder versucht, sich in Sicherheit zu bringen, ist doch erst mal für den Ablauf der Tat egal.«

Beim dritten Anlauf schaffte Marko es endlich, sich aufzusetzen. Er sah den jungen, müde aussehenden Polizisten an. Mit einem kurzen Kopfnicken begrüßte er Kommissar Werner, der jetzt auch hinzutrat. Das Lächeln, das er seinem alten Bekannten als Begrüßung hatte zukommen lassen wollen, verzerrte sich allerdings. Das Nicken löste eine erneute Welle des Schmerzes in seinem Kopf aus.

»Es gibt da schon einen Unterschied«, erwiderte Marko, der sich wunderte, dass er selbst in seinem jetzigen Zustand solche Schlussfolgerungen zustande brachte, während die Kommissare diese offensichtlich nicht sahen.

 

»Warum hat der Täter Olli Vogt angegriffen, wenn der schon auf der Flucht war? So würde sich doch kein normaler Einbrecher verhalten!«

»Mein lieber Herr Becker, was meinen Sie, was ich schon alles erlebt habe. Alle gehen immer davon aus, dass so ein Verbrecher ein rational denkender Mensch ist. Aber auch für solche Leute ist ein Einbruch eine Extremsituation, insbesondere, wenn sie überrascht werden«, antwortete der alte Kommissar auf seine väterliche Art. »Jetzt gehen Sie erst mal ins Krankenhaus und sehen zu, dass man Sie wieder zusammenflickt. Wir unterhalten uns dann auf dem Präsidium.«

Marko sah ein, dass er nichts weiter machen konnte. Erschöpft ließ er sich wieder auf die Decke sinken, auf der er saß. Selbst das gestaltete sich schwierig und löste weitere Schmerzen aus.

Er hatte nur wenige Minuten mit geschlossenen Augen auf dem Boden gelegen, als die Sanitäter eintrafen. Sie halfen ihm auf die Beine und die Treppe hinunter in den Sanitätswagen. Tapfer hielt er sich aufrecht, obwohl ihm schlecht war.

***

Am nächsten Morgen fühlte sich Marko nicht besser. Das lag sicher zu einem guten Teil an dem Schlag auf den Schädel. Mehr dürfte allerdings der Schlafmangel zu seinem Zustand beigetragen haben. In der Nacht hatte man ihn noch einmal untersucht. Er war vorsichtshalber sogar noch geröntgt worden.

»Direkt kaputt ist nichts«, sagte der Arzt, ohne die forschenden Augen von dem Röntgenbild zu nehmen. Dann sah er Marko doch an. »Sie sollten sich aber noch schonen. Sie haben eine Gehirnerschütterung. Damit ist nicht zu spaßen. Die Beule geht von allein zurück. Immer schön kühlen!«

Lächelnd schüttelte der Arzt Marko die Hand und verschwand schon aus dem Untersuchungszimmer. Die Beobachtung und Behandlung war damit offensichtlich abgeschlossen. Die Schwester schickte ihn zu einer geschäftigen Dame mittleren Alters, bei der er die Formalitäten erledigen musste. Dort traf er Olli. Er schien auf ihn gewartet zu haben.

»Da bist du ja endlich. Glaubst du mir jetzt? Die wollen mich umbringen!«, begrüßte er Marko.

»Hallo Olli! Was machst du denn hier?« Marko warf der, aufgrund von Ollis Vermutungen, recht erschrocken wirkenden Dame ein gezwungenes Lächeln zu.

»Was meinst du? Ich habe mich zusammenflicken lassen. Die haben mich fast totgeschlagen«, rief Olli empört.

»Die? Waren da mehrere? Ich habe nur einen gesehen!« Marko füllte ungerührt das Formular aus, während Olli ungeduldig von einem Fuß auf den anderen wippte.

»Ja, in der Wohnung war nur einer«, gab Olli zerknirscht zu, aber nur, um umso vehementer weiter zu reden. »Aber natürlich waren das mehrere! Meinst du, das macht einer alleine? Da steckt Planung dahinter! Wahrscheinlich die ganze kolumbianische Mafia oder die russische!«

»Was hat denn das mit der Mafia zu tun? Ich denke, es geht um eure Computer und nicht um Drogen?« Marko drückte der freundlichen Dame sein Formular in die Hand und verabschiedete sich höflich. Dann schritt er in Richtung Ausgang. Olli hetzte hinterher.

»Mensch, heute mischen da alle mit. Das sind heute keine Kids mehr, die die Netze knacken, das ist organisierte Kriminalität«, redete er gehetzt auf Marko ein.

»Ich wusste ja gar nicht, in was für einem gefährlichen Job du in deinem verschlafenen Amt arbeitest.« Marko grinste höhnisch. Olli setzte ein beleidigtes Gesicht auf.

»Nun hör mal zu«, lenkte Marko dann doch versöhnlicher ein. »Mir sind das auch ein paar Zufälle zu viel. Aber bitte höre auf, hier so einen Mist zu reden. So glaubt uns keiner!«

»Aber ich sage dir, du unterschätzt das!«

»Weißt du was? Wir gehen jetzt schön jeder für sich nach Hause und schlafen uns erst mal aus. Dann treffen wir uns heute Nachmittag und gehen gemeinsam aufs Polizeirevier und reden mit Kommissar Werner. In Ordnung?«

»Kommt gar nicht infrage, ich komme mit zu dir!«

Olli stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Marko blieb stehen und sah ihn böse an. Aber bevor er etwas erwidern konnte, redete Olli aufgeregt weiter.

»Du verstehst überhaupt nichts. Die wollten mich umbringen. Ich lebe nur noch, weil du dabei warst! Ich gehe keinen Schritt mehr allein und schon gar nicht in meine Wohnung. Die warten da doch auf mich!«

Wütend sah Marko Olli in die Augen. Das konnte ja heiter werden. Sie standen auf dem Vorplatz vor dem Eingang des Krankenhauses. Einige Patienten, die draußen spazieren gingen oder außerhalb der Klinik eine Zigarette rauchten, sahen schon neugierig zu ihnen herüber.

»In Ordnung, du kommst jetzt mit. Aber glaube ja nicht, dass du dich bei mir einnisten und dich durchfuttern kannst«, stellte Marko wütend klar.

Er hatte beschlossen, dass es einfacher wäre, den Kerl mit nach Hause zu nehmen, als vor den neugierig gaffenden Leuten weiter mit ihm zu diskutieren. Er brauchte dringend Ruhe.

Mit Müh und Not konnte er Olli so weit beruhigen, dass er sich bereit erklärte, bis zum Nachmittag zu warten. Letztendlich gelang das nur durch die Androhung, ihn einfach aus der Wohnung zu schmeißen. So kam Marko wenigstens noch zu zwei Stunden unruhigen Schlafs.

Er mochte es sich noch nicht zugeben, aber langsam begann er, Ollis Geschichten nicht mehr für reine Spinnerei zu halten. Er konnte sich zwar beim besten Willen keinen Reim darauf machen, was dort tatsächlich gespielt wurde, aber drei Zufälle in so kurzer Zeit hintereinander passten nicht in sein Weltbild.

Nach dem Aufwachen verabredete er telefonisch einen Termin für den Nachmittag bei Kommissar Werner. Der zeigte sich hocherfreut, schließlich musste er sein Protokoll für den Einbruch mit Körperverletzung abschließen.

***

»Die Wahrscheinlichkeit, dass wir den Täter kriegen, ist nicht sonderlich groß«, eröffnete der Kommissar das Gespräch, nachdem Olli und Marko sich nach einem kurzen Händeschütteln setzten.

»Diese Junkies brechen alle naselang irgendwo ein. Es ist wahrscheinlicher, dass sie sich mit dem geklauten Geld eine Überdosis verpassen, als dass wir sie erwischen«, murrte der alte Kommissar weiter, bevor Olli den Mund aufmachen konnte.

»Aber das war ein Mordversuch!«, rief Olli empört. Der junge Kommissar, der an der Zeugenvernehmung ebenfalls teilnahm, sah so aus, als richte er sich schon darauf ein, seinen Chef verteidigen zu müssen. Zugegebenermaßen machte Olli nicht gerade einen sehr verlässlichen Eindruck. Man konnte den beiden Kommissaren nicht verdenken, dass sie ihn für etwas paranoid hielten.

»Wenn ich es richtig verstanden habe, sagten Sie doch, dass der Einbrecher mit diesem Metallrohr auf sie losgegangen ist, weil sie sich ihm in den Weg gestellt haben?«, fragte Kommissar Werner und beäugte Olli abschätzend. Er sah nicht so aus, als würde er ihm diese Heldentat zutrauen.

»Die Menschenkenntnis muss man ihm lassen«, dachte Marko bitter.

»Na ja, eigentlich war er schon aus der Wohnung heraus«, gab Olli kleinlaut zu. »Er hat sich dann noch mal umgedreht und ist auf mich los. Er hat auf mich mit dem Rohr eingeschlagen wie ein Verrückter. Sie müssen sich meinen Arm mal ansehen! Es ist ein Wunder, dass der überhaupt noch zu gebrauchen ist. Wenn der Nachbar nicht gekommen wäre, hätte der mich erschlagen!«

Ollis Zurückhaltung währte nicht sonderlich lange. Beim letzten Satz gestikulierte er schon wieder mit den Armen.

»Ja, ja, ich weiß, man will Sie umbringen, weil Ihr Rechner hin und wieder abstürzt«, antwortete Kommissar Werner säuerlich.

»Herr Werner, ist es nicht tatsächlich ein eigenartiger Zufall, dass in Herrn Vogts Wohnung eingebrochen wird, so kurz nach dem Tod seiner Kollegen?«, mischte Marko sich ein. Er bemühte sich um einen sachlichen Ton. Mit einer unwirschen Handbewegung brachte er Olli zum Schweigen, der schon wieder ansetzte, dazwischen zu reden.

»Wir haben leider ständig Einbrüche in der Stadt und entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, Herr Vogt wohnt nicht gerade in einer vornehmen Gegend.«

»Gibt es denn einen konkreten Hinweis auf Beschaffungskriminalität?«, fragte Marko nach.

»Herr Vogt sagte gestern Nacht noch, dass nichts entwendet worden sei. Sicher wäre es gut, wenn Sie das heute noch einmal in Ruhe überprüfen, oder haben Sie das schon getan?«

»Sind Sie wahnsinnig? Ich gehe doch nicht in diese Wohnung«, rief Olli entsetzt.

»Die Spurensicherung ist fertig. Die Wohnung ist freigegeben. Sie können sie gerne wieder benutzen.« Kommissar Werner sah Olli stirnrunzelnd an. Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. Er schien zu einer Erkenntnis gelangt zu sein.

»Sie bestehen also darauf, dass es einen Zusammenhang zwischen der Gasexplosion bei ihrem Kollegen und dem Überfall auf Sie gibt?«, fragte er und sah Olli dabei ernst und durchdringend an.

»Ja natürlich! Und zwischen dem Autounfall von Thomas Krüger auch!«, rief Olli aufgeregt. Endlich glaubte ihm der Kommissar. »Die haben …«

»Gut, lassen wir mal den Unsinn mit den Computern«, unterbrach ihn der Kommissar. Er sah plötzlich nicht mehr gemütlich, sondern schon fast gefährlich aus. »Wenn Sie so gut mit Herrn Becker befreundet waren, dann können Sie mir doch sicher erzählen, was er mit Drogen zu tun hatte.«

»Was? Frank? Niemals!«

»Glauben Sie wirklich, dass Sie mich hier veräppeln können, oder kannten Sie Ihren Kollegen tatsächlich nicht«, schnauzte der Kommissar.

»Aber hören Sie! Sie kannten Frank nicht. Der hat sich nur für seine Rechner interessiert. Der hat nur an den Kisten gesessen. Selbst in seiner Freizeit hat er nur Internet-Spiele gespielt. Der hatte nichts mit Drogen zu tun!«

»Und was ist mit diesen kleinen Wachmachern? Ecstasy soll doch wach machen. Andere Leute tanzen dann die ganze Nacht durch, bis zum Umfallen.«

»Aber doch nicht Frank! Der hat zwar literweise Kaffee getrunken, aber alles andere hat der abgelehnt. In den letzten zwei Jahren hat er kaum noch Alkohol getrunken, weil er meinte, dass beinträchtige seine Reaktion. Der hätte niemals so ein chemisches Zeug genommen!«

»Und wie erklären Sie sich dann, dass wir Hydroxybuttersäure in seinem Blut gefunden haben, und zwar in nicht unerheblicher Menge?«

»Was haben Sie gefunden?«, fragte Olli verwirrt. Irritiert wanderten seine Augen zwischen Marko und den beiden Polizisten hin und her.

»Hydroxybuttersäure ist besser bekannt als Liquid Ecstasy«, klärte Marko ihn schließlich auf. »Die wird häufig auch als KO-Tropfen verwendet.«

»Was? Diese Vergewaltigungsdroge, die irgendwelchen Mädchen heimlich ins Getränk gekippt wird?«, rief Olli aus. »Da haben Sie es! Die hat ihm garantiert jemand heimlich ins Bier geschüttet.«

»Apropos Bier: Hatten Sie nicht gerade gesagt, dass Herr Becker keinen Alkohol trank? Wir haben einen erheblichen Promillewert in seinem Blut festgestellt.« Der Kommissar sah Olli streng an. Es war nicht zu übersehen, dass er ihm kein Wort glaubte.

»Also er hat schon manchmal ein Bier getrunken, aber nur noch ganz selten, nicht mehr wie früher«, stotterte Olli, dem langsam klar wurde, dass er sich gerade verdächtig machte.

»Jetzt werde ich Ihnen mal sagen, wie es gewesen ist«, sagte der Kommissar schneidend. »Herr Becker und Sie haben sich gedacht, Sie machen ein kleines Nebengeschäft und verkaufen so ganz nebenbei ein paar Drogen. Dabei sind Sie der örtlichen Drogenmafia in die Quere gekommen. Ihr Freund hat Pech gehabt und ist über die Klinge gesprungen. Jetzt kommen Sie hierher, weil Sie Angst haben, dass Sie auch dran sein könnten, wollen mir aber nicht die wahre Geschichte erzählen und kommen mir deswegen mit diesem Computer-Unsinn!«

Olli saß einen Moment still auf seinem Stuhl und starrte den Kommissar mit halb geöffnetem Mund an. So sprachlos hatte Marko ihn noch nicht erlebt.

»Aber das ist nicht wahr«, antwortete er schließlich lahm.

Die weitere Befragung brachte nichts Neues, außer dass deutlich wurde, dass, falls man tatsächlich einen Zusammenhang zwischen den beiden Vorfällen konstruieren würde, Olli in den Verdacht geriet, am Drogenhandel beteiligt zu sein.

Nach der Befragung redete Olli noch einmal aufgeregt auf Marko ein. Er beschwor ihn, dass nicht nur er selbst, sondern auch sein verstorbener Kollege auf keinen Fall in den Drogenhandel verwickelt gewesen sei. Marko glaubte zwar nicht, dass Olli wirklich Hemmungen hätte oder nicht dumm genug wäre, sich auf solche Geschäfte einzulassen, er wusste aber mit Sicherheit, dass sein alter Freund einfach zu viel Angst hatte, um sich mit Leuten aus dieser Szene einzulassen.

 

***

Marko wartete neben Olli auf dem Flur darauf, dass der junge Kommissar ihnen das Protokoll zum Unterschreiben brachte. Auch Olli schwieg und starrte gedankenverloren auf den grauen Linoleumboden des Präsidiums.

»Oh je, wie sehen Sie denn aus? Was ist mit Ihnen passiert?« Die Stimme der jungen Privatdetektivin klang aufrichtig besorgt. Sie lächelte Marko an, während sie aufmerksam seine Beule betrachtete. Damit riss sie Marko aus seinen trüben Gedanken.

»Das sollten Sie kühlen!«, gab sie Marko als Rat noch mit auf den Weg. Dann marschierte sie schon zu Kommissar Werner ins Büro.

»Die hat mir gerade noch gefehlt«, maulte Olli.

»Wieso? Die ist doch ganz nett«, stellte Marko fest und sah auf die Bürotür, die sich hinter ihr schloss.

»Seit wann stehst du denn auf solche Frauen?«

»Was soll denn das heißen?«

»Na ja, sie ist nicht gerade der Typ wie deine letzten Eroberungen.«

»Also, erstens habe ich nicht so einen eingeschränkten Geschmack und zweitens ist das einfach eine Privatdetektivin, die sich rein zufällig für den gleichen Fall interessiert wie wir.«

Marko fühlte sich gereizt, ohne zu wissen warum. Aus einem ihm unbekannten Grund hatte Olli einen wunden Punkt getroffen. Seine letzten Liebesbeziehungen hatten sich reinweg zu Katastrophen entwickelt. Ehrlicherweise musste er zugeben, dass sein Scheitern vor allem daran lag, dass er sich immer zu den falschen Frauen hingezogen fühlte.

Er hielt sich für einen sensiblen Mann, der Frauen nicht nur nach ihrem Äußeren beurteilte. Olli sah das offensichtlich anders. Es fiel ihm schwer sich selbst gegenüber zuzugeben, dass sein alter Freund mit seiner Einschätzung nicht weit daneben lag.

In den letzten Jahren hatte die äußere Erscheinung einer Frau ihn tatsächlich am Stärksten angezogen. War er einer solchen Frau dann nähergekommen, hatte er sich darüber geärgert, wie viel Zeit sie in die Pflege ihrer Erscheinung steckte. In der Regel kamen dadurch andere Dinge zu kurz, zum Beispiel die Bewältigung des praktischen Alltagslebens oder auch nur gemeinsame Interessen, über die man hätte reden können.

Es hatte natürlich auch andere Fälle gegeben. Über diese Seite des Themas mochte Marko aber noch weniger nachdenken. Er hatte auch Frauen getroffen, die tatsächlich beide Eigenschaften besaßen. Allerdings zeigten die meisten von ihnen kein Interesse an ihm. In den wenigen Ausnahmen, in denen es anders lief, hielten die Frauen es nicht lange bei ihm aus. Wahrscheinlich hatte in diesen Fällen er ihren Ansprüchen nicht genügt.

Sie warteten weiter. Olli wurde langsam nervös, weil der junge Polizist sie noch immer nicht zum Unterschreiben des Protokolls ins Büro gerufen hatte. Da öffnete sich Kommissar Werners Bürotür. Jana Brand trat in den Flur. Ihr ehemaliger Chef, der hinter ihr ging, blieb an der Tür stehen. Die beiden gaben sich zum Abschied die Hand.

»Du warst damals die Beste in meinem Team. Überleg dir noch mal, was ich dir gesagt habe. Du musst dir das doch nicht antun und irgendwann muss man auch mal einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen«, sagte er.

»Du weißt, dass das nicht geht«, erwiderte die junge Frau, lächelte den Kommissar aber freundlich an und schüttelte ihm die Hand.

Ihr Weg führte wieder an Marko und Olli vorbei und so kam sie mit einem professionellen Lächeln auf sie zu. Marko sprang automatisch von dem etwas veraltet wirkenden Stuhl auf.

»Hat sich schon etwas Neues ergeben?«, fragte er, ohne weiter nachzudenken. Jana Brand blieb stehen.

»Nein, leider nicht«, erwiderte sie spöttisch grinsend. »Selbst wenn die Theorien der Kollegen richtig sind und Herr Becker zum Zeitpunkt seines Todes unter Alkohol und anderen Drogen stand, handelte es sich nicht um Fremdverschulden und mein Auftraggeber muss zahlen. Tja, und ich werde mir wohl einen neuen Klienten suchen müssen.«

Olli saß resigniert auf seinem Stuhl und schüttelte seinen Kopf. Die Privatdetektivin zuckte die Schulter, nickte zum Abschied und wandte sich zum Gehen.

»Sagen Sie, interessieren Sie sich noch für den Fall?«, fragte Marko schnell. »Mein Kumpel und ich glauben nämlich nicht an die Version der Polizei.«

Die Detektivin wandte sich zu ihm zurück und grinste ihn spöttisch an.

»Wenn ich noch Polizistin wäre und Ihnen glauben würde, wäre dass sicher der spannendste Fall, der hier in den letzten Jahren passiert ist. Aber leider zahlt mir niemand mehr meine Rechnung für solche Ermittlungen. Ich werde mich wieder mit Kaufhausdieben herumschlagen müssen.« Sie lächelte bedauernd.

»Was ist, wenn ich Sie engagieren würde? Sagen Sie, darf ich Sie zum Essen einladen?«, fragte Marko schnell. »Dann können wir die Sache in Ruhe besprechen.«

»So etwas bespreche ich grundsätzlich nicht beim Abendessen«, antwortete die junge Frau bestimmt, sah Marko aber schon ein wenig freundlicher an. Mit geübtem Griff zog sie eine Visitenkarte aus der Tasche. »Da stehen meine Büroadresse und meine Telefonnummer drauf. Am besten Sie rufen vorher an und vereinbaren einen Termin. Ich bin viel unterwegs.«

»Das werde ich machen.« Markos Lächeln hätte einen Eisberg zum Schmelzen bringen können. Als Belohnung wurde es erwidert, allerdings auf diese unverbindlich professionelle Weise, die er von der jungen Frau schon kannte.

»Na Klasse, erst glaubst du mir nicht und jetzt willst du auch noch diese Tussi engagieren«, maulte Olli, nachdem die Privatdetektivin außer Hörweite war. »Hättest du dir nicht etwas anderes einfallen lassen können, um die anzubaggern.«

»Was soll das denn heißen? Wer baggert hier wen an? Du hast doch selbst festgestellt, dass diese Frau Brand nicht mein Typ ist. Außerdem geht dich mein Liebesleben nun wirklich nichts an!« Marko war wütend. »Erst machst du hier so einen Aufstand, ich lasse mir für dich ein Eisenrohr an den Schädel hauen und kaum glaube ich dir, ist dir das auch wieder nicht recht. Wenn dich der Fall nicht mehr interessiert, dann lassen wir es eben. Am besten gehst du jetzt brav nach Hause und lässt mich in Frieden.«

»So war das doch nicht gemeint, aber muss das unbedingt die sein. Die hält mich doch für einen Verrückten!«

»Sie ist eine gute Ermittlerin. ›Die Beste‹ hat Kommissar Werner gerade eben gesagt. Sie ist so gut, dass er sie unbedingt überreden will, zurück zur Polizei zu kommen. Hast du das nicht gehört?«

Olli wollte gerade etwas erwidern, aber in dem Moment kam der junge Kommissar. Die beiden konnten endlich das Protokoll unterschreiben.

»Ach ja, Herr Vogt, es wäre besser, Sie würden die Stadt in den nächsten Tagen nicht verlassen«, sagte er zum Abschied. »Es kann sein, dass wir noch ein paar Fragen haben. Und sehen Sie noch einmal in Ihrer Wohnung nach, ob nicht doch etwas gestohlen wurde.«

***

Nachdem sie endlich aus dem Präsidium entlassen waren, gingen die beiden zu Ollis Wohnung. Olli kochte derart vor Wut, dass er kein Wort sagte. Er schien allerdings auch seine Angst vergessen zu haben.

In der Wohnung herrschte ein einziges Chaos. Die Regale hatte man abgeräumt, Schubladen entleert und auch aus dem Rest der Schränke hatte man alles herausgerissen. Praktisch lag Ollis gesamte Habe auf dem Boden verstreut.

»Na Klasse, wie soll ich denn hier erkennen, ob etwas gestohlen worden ist«, jammerte er.

»Besonders aufgeräumt sah es bei dir ja noch nie aus, aber das hier übersteigt wirklich alles, was ich bei dir bisher gesehen habe«, antwortete Marko grinsend. Er konnte seine Schadenfreude kaum verbergen.

Olli warf Marko einen bitterbösen Blick zu. Im nächsten Moment schrie er auf: »Oh nein!«

Er stürzte zu seinem Schreibtisch. Auch der befand sich im gleichen Zustand des Chaos wie der Rest der Wohnung. Auf ihm stand Ollis wertvollster Besitz, wie Marko vermutete. Es handelte sich um einen Laptop, der sicher zur Spitzenklasse gehörte, wie er seinen alten Freund kannte.