Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze

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Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze
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Volkswagen

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Umschlagabbildung mit freundlicher Genehmigung der Volkswagen Aktiengesellschaft

© Volkswagen Aktiengesellschaft

Volkswagen – Auf dem Weg zur Weltspitze

Frank O. Hrachowy

Copyright: © 2015 Frank O. Hrachowy

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-4298-2

Lektorat

Redaktion ScripTec, Sylvia Lorey

Über den Autor:


Frank O. Hrachowy, Jahrgang 1966, ist als gelernter Kfz-Meister und promovierter Technikhistoriker seit vielen Jahren Ansprechpartner für Medienprojekte im Automobil- und Motorradsektor. Dabei spannt sich der Bogen von technikhistorischen Monografien über Fachartikel zur Fahrzeugtechnik bis hin zu verkehrshistorischen Beiträgen und Lehrfilmen für die Automobilindustrie.

Vorwort

1960–1969: Vorgeschichte: Der Käfer im Mittelpunkt

Der VW Käfer und das Wirtschaftswunder

Kooperation mit Porsche

1970–1979: Existenzkrise und Wandel

VW am Abgrund

Die neue Modellgeneration

Das Ende der Ölkrise

Verkaufsboom und neue Märkte

V.A.G als Dachmarke

Der Wettbewerb wird härter

1980–1989: VW wächst in Europa

Dieselmotoren und Formel E

Kampf gegen die japanische Bedrohung

Dringend erwartet – der Golf II

Umweltschutz und Strukturwandel

Ärger in Amerika

»Wolfsburger Verhältnisse«

1990–1999: Markenvielfalt und neue Geschäftsfelder

Licht und Schatten: VW weltweit

Beginn einer neuen Ära

Kosten senken, Produktivität erhöhen

»Superlópez« in der Kritik

Die Schmiergeldaffäre

Neue Marken und große Pläne

2000–2009: Im Reigen der Global Player

Ferdinand Piëch will mehr

Führungswechsel in Wolfsburg

Schlechte Zahlen, schwierige Zeiten

Betriebsräte auf Reisen

Pischetsrieder geht, Winterkorn kommt

Porsche und VW

2010–2015: Auf dem Weg zur Weltspitze

Die »Strategie 2018« wird bekräftigt

Mit dem MQB zur Weltspitze

Weltweites Wachstum

Automobilindustrie am Scheideweg

Piëch distanziert sich von Winterkorn

Quellenverzeichnis

Personenverzeichnis

Vorwort

Der von Prof. Dr. Ferdinand Porsche entwickelte VW Käfer eilte in den fünfziger und sechziger Jahren von einem Verkaufsrekord zum nächsten. So wurde der kleine Hecktriebler im Laufe der Jahre zum meistgebauten Automobil der Welt. Doch spätestens zu Anfang der siebziger Jahre zeigte sich, dass der VW Käfer nicht mehr dem Stand der Technik entsprach. Damit geriet der VW-Konzern in eine ernste, durchaus existenzbedrohende Krise. Erst mit neuen, technisch und optisch modernen Fahrzeugkonzepten konnte diese Krise überwunden werden.

Das ist lange her und aus der Marke VW ist seither ein großer Konzern geworden, der erfolgreich als Global Player agiert. Ungeachtet dessen hat der Konzernvorstand höhere Ziele, denn bis zum Jahr 2018 soll die Volkswagen AG zum größten Automobilhersteller der Welt wachsen und dabei GM sowie Toyota hinter sich lassen. Zweifellos ist das ein ambitioniertes Ziel. Doch: Ein Blick auf die Gestaltung, die stetige Neuausrichtung und die enorme Entwicklung des Konzerns seit den neunziger Jahren lassen den Anspruch auf die Weltspitze durchaus realistisch werden.

In diesem Buch werden vorrangig die wichtigsten Ereignisse der Fahrzeugmarke Volkswagen seit dem Jahr 1970 nachgezeichnet. Natürlich ist es dabei kaum möglich, über die fahrzeugproduzierende Wolfsburger Kernmarke Volkswagen zu berichten, ohne dabei die Belange des damit verknüpften Volkswagen-Konzerns oder der übergeordneten Volkswagen AG zu berühren. Dementsprechend fließen die Entwicklungen der weiteren VW-Konzernmarken in diese Darstellung am Rande mit ein. Weiterhin werden die historischen Ereignisse nicht isoliert dargestellt, vielmehr werden sie in Relation zu den politischen und sozialen Veränderungen in Europa sowie den technischen Entwicklungen der Wettbewerber gesetzt.

Als Technikhistoriker habe ich hierbei der Chronistenpflicht zu folgen und möglichst faktenorientiert und objektiv über die Geschehnisse der letzten rund 50 Jahre zu berichten. Dies geschieht durch eine neutrale chronologische Beschreibung der Ereignisse – eine Kommentierung oder Bewertung der Zusammenhänge überlasse ich dem Leser. Demgemäß werden Personen, die Enthüllungsjournalismus oder ein Schwarzbuch zu VW erwarten, in dem investigativ gewonnene Daten und Fakten reißerisch kolportiert werden, nicht bedient.

Dabei gilt, dass Geschichtsschreibung ihrem Wesen nach immer komplementär ist. Eine absolute Wahrheit kann es in der Geschichtsschreibung nicht geben, weil niemals alle Beweggründe der handelnden Personen und alle Ursachen der beschriebenen Ereignisse in der Retrospektive erfassbar sind. Meine hier vorliegende Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse kann somit keinesfalls Absolutheit beanspruchen oder sich gar die Deutungshoheit über die vergangenen Geschehnisse anmaßen.

Als Quellen meiner Recherchen dienten mir Pressemitteilungen, Berichte und Fotos aus den Medienarchiven der Hersteller. Wobei festzuhalten ist: Der Umfang und die Ernsthaftigkeit, mit der der VW-Konzern seine Historie pflegt, darf im Vergleich zu anderen Automobilherstellern als musterhaft gelten. Ausgewertet und in das vorliegende Buch eingearbeitet wurden auch die Autobiographien wichtiger Persönlichkeiten der Volkswagen-Historie, darüber hinaus Artikel renommierter Wirtschafts-, Nachrichten- und Fachmagazine sowie Tages- und Wochenzeitungen.

Gewidmet ist dieses Buch den Mitarbeitern von Volkswagen, ebenso den Personen, die sich mit der Marke VW verbunden fühlen. Darüber hinaus widme ich dieses Buch Carl Hahn, Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn, ohne deren Leistung die Volkswagen AG beziehungsweise der Volkswagen-Konzern in der heutigen Form und Stärke niemals hätte entstehen können.

 

Dr. Frank O. Hrachowy

Mai 2015

1960–1969: Vorgeschichte: Der Käfer im Mittelpunkt

Der VW Käfer (Typ 1) und der VW Transporter »Bulli« (Typ 2) gelten bis heute als Symbole des deutschen Wirtschaftswunders, die den Aufbau des vom Krieg zerstörten Landes begleiteten. Neben dem Eigenheim war der VW Käfer für viele Deutsche ein Lebenstraum, dessen Erfüllung nach dem Krieg im Zentrum der Lebensplanung stand. Die Erfüllung dieses Lebenstraums blieb jedoch bis zum Ende der fünfziger Jahre für die meisten Familien in weiter Ferne.

Bis dahin boten Motorräder, die neue Klasse der Kleinkrafträder und die in Mode kommenden Motorroller Möglichkeiten zur individuellen Mobilität. Als Alternative standen bald Rollermobile wie beispielsweise das Glas Goggomobil hoch im Kurs, denn sie boten nicht nur Wetterschutz, sondern waren auch ohne Autoführerschein zu fahren.

Zu Anfang der sechziger Jahre stand das Wirtschaftswunder in Westdeutschland in voller Blüte, weshalb zahlreiche Arbeitskräfte aus der Ostzone bzw. der DDR nach Westdeutschland übersiedelten. Diese »Abstimmung mit den Füßen« wurde durch den Mauerbau in Berlin im Sommer 1961 abrupt beendet und damit der Zustrom aus den im Osten liegenden Gebieten abgeschnitten. In Folge wurden Arbeitskräfte aus dem südeuropäischen Ausland angeworben. Diese »Gastarbeiter« sollten einige Jahre in Deutschland bleiben und danach wieder in ihre Heimatländer zurückkehren.

Mittlerweile konnten sich bereits Angestellte und sogar einfache Arbeiter ein gebrauchtes Automobil leisten. Die Auswirkungen bekamen vor allem die deutschen Motorradhersteller deutlich zu spüren, von denen seit Mitte der fünfziger Jahre viele aus Mangel an Nachfrage in Konkurs gegangen waren. Konkreter ausgedrückt: Der Niedergang der deutschen Zweiradindustrie hatte bereits dutzende Firmen in den Ruin gerissen und selbst Marktriesen wie NSU verabschiedeten sich vom Motorradbau, um sich dem Automobilbau zuzuwenden.

Die »Volkswagenwerk GmbH« wuchs immer stärker und wurde dem folgend im Jahr 1960 zur »Volkswagenwerk AG« umfirmiert. Wie stark der VW-Konzern zu dieser Zeit war, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass sich die Volkswagenwerk AG am 1. Januar 1965 zu 50,28 Prozent an der Auto Union GmbH, die sich seit dem Jahr 1958 im alleinigen Besitz von Daimler-Benz befand, beteiligte. Durch diese Zusammenarbeit mit Daimler-Benz konnte die Volkswagenwerk AG nicht nur ihre Fertigungskapazitäten deutlich ausweiten, sie hatte damit auch Zugriff auf die bereits von Daimler-Benz neu entwickelte Motorengeneration, die für eine kleinere Modellreihe konzipiert worden war.

Bekannt wurde diese neue Motorengeneration unter dem Begriff »Mitteldruckmotor«. Durch ein vergleichsweise hohes Verdichtungsverhältnis und hohe Arbeitsdrücke sollte dieser Motor besonders sparsam sein. Das erste Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen den Ingenieuren war der Audi 72, der im September 1965 auf den Markt kam und den Grundstein des Erfolgs für die Marke aus Ingolstadt legte. Auf die Weiterverwendung des Markennamens DKW wurde verzichtet, weil nach Meinung des Marketings DKW vorrangig mit Zweitaktmotoren in Verbindung gebracht wurde. Das Markenzeichen der Auto Union, die vier Ringe für die Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer, wurde jedoch beibehalten.

Schon im Jahr 1965 hatte VW-Konzernchef Heinrich Nordhoff weitere 24,97 Prozent der Aktien der Auto Union GmbH erworben, im Laufe des Jahres 1966 kamen nochmals 24,75 Prozent hinzu. Insgesamt hatte VW damit 297 Millionen Mark (ca. 150 Millionen Euro) für das finanziell angeschlagene Unternehmen Auto Union GmbH an Daimler-Benz bezahlt. Die Fertigungskapazitäten sollten als zusätzliche Produktionsstätte für den VW Käfer dienen, doch der Bau des Audi 72 zwang zum Umdenken. Historisch betrachtet war der kurzfristig aus dem DKW F 102 entwickelte Audi 72 kein überragender Markterfolg, er bildete jedoch den Ausgangspunkt für die Eigenständigkeit der Marke Audi innerhalb des VW-Konzerns.

Zur Übernahme der Auto Union GmbH fasst das Historische Notat 7 der Historischen Kommunikation der Volkswagen Aktiengesellschaft zusammen: »Als Aktivposten konnten die Fabrik mit einer Jahreskapazität von 100.000 Fahrzeugen, 11.000 Mitarbeiter, ein Vertriebssystem mit 1.200 Händlern und eine neue Motorengeneration verbucht werden. Diesem Potenzial standen auf der Passivseite ein hoher Lagerbestand und eine handfeste Finanzkrise gegenüber, denn die Auto Union baute auf vergleichsweise niedrigem Produktivitätsniveau ein zu teures und deshalb schwer verkäufliches Fahrzeug.«1

Der VW Käfer und das Wirtschaftswunder

Statt Motorrad oder Rollermobil fuhren mittlerweile viele Deutsche einen gebrauchten Käfer. Viele weitere sparten, um möglichst bald ebenfalls auf ein Auto umsteigen zu können. Der Bedarf der westdeutschen Bevölkerung an einfachen, kostengünstigen Automobilen schien unbegrenzt, ebenso wie das Wachstum der westdeutschen Wirtschaft unbegrenzt schien. Die vom ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard 1957 in seinem Buch Wohlstand für Alle beschriebene Vision schien sich zu erfüllen, rückten doch immer mehr Deutsche dank eines gut bezahlten, sicheren Arbeitsplatzes in die Mittelschicht auf.

Doch so groß der Erfolg des VW Käfer in der Vergangenheit war, so wurde doch von Jahr zu Jahr offensichtlicher, dass der luftgekühlte Hecktriebler nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entsprach. Zwar hatten die Wolfsburger Ingenieure den Käfer ständig weiterentwickelt, so dass nahezu jedes Bauteil im Laufe der Jahre verändert worden war, doch das Grundkonzept war unangetastet geblieben. Mit anderen Worten: Der VW Käfer war ein ausgereiftes Automobil, doch seine kritische Straßenlage, die unzureichende Heizleistung des luftgekühlten Motors und der im Verhältnis zu den Fahrleistungen hohe Benzinverbrauch waren nicht wegzudiskutieren.

Gleiches galt für den VW Typ 3, der bereits 1961 als größeres Modell dem Käfer zur Seite gestellt worden war. Dieses VW 1500 genannte Stufenheckmodell basierte auf der Technik des Typ 1, es war jedoch von seinem Maßen her länger und breiter als der Käfer. Der bewährte Boxermotor besaß knapp 1.500 cm3 Hubraum und war leistungsstärker geworden. Er leistete jetzt 45 PS. Wichtiger aber war, dass der Ölkühler und das Radialgebläse zur Motorkühlung umgesetzt worden waren, so dass der Motor nun sehr flach baute.

Wie beim Käfer war die Karosserie mit einem Plattformrahmen verschraubt. Optisch wirkte der Typ 3 deutlich erwachsener, vor allem aber besaß er viel mehr Stauraum als der VW Käfer. Vorne standen 200 Liter für Gepäck zur Verfügung; hinten, direkt über dem flach im Heck liegenden Motor, nochmals 180 Liter. Das wirkte wohl auf den ersten Blick recht überzeugend, doch in der Praxis boten beide Kofferräume nur Platz für flaches Stückgut. Auch von seinen Platzverhältnissen her überzeugte der Typ 3 nicht, denn der Radstand war mit dem des Typ 1 identisch. Fakt war: Obwohl der Typ 3 von seiner äußeren Erscheinung deutlich größer aussah als der VW Käfer, war er innen genauso eng.

Den Typ 3 gab es in drei Karosserieversionen zu kaufen, namentlich als Limousine, als Kombi sowie unter dem Label »Karmann-Ghia« als Coupé (Typ 14). Auf ein geplantes Cabriolet wurde für den Serienbau aus Kostengründen verzichtet. Bereits im Herbst 1963 erschien der VW 1500 S mit einer Leistung von 54 PS. Der VW 1500 S wurde im August 1965 vom VW 1600 TL (»Touren-Limousine«) mit Fließheck abgelöst, der zwar nicht stärker, dafür aber etwas breiter war.

Wie wenig dieses Modell den Erwartungen der Käufer entsprach, zeigte sich bei der Verballhornung des Kürzels »TL«, das bald als »Traurige Lösung« die Runde machte. Für kaum mehr Begeisterung sorgte der neue, vorrangig für die Deutsche Post entwickelte VW Kleintransporter Typ 147 »Fridolin«, der kostensparend aus Komponenten der bereits vorhandenen VW-Modelle entwickelt worden war.

Zum VW Typ 3 schrieb Buchautor Jerry Sloniger: » [...] die Hälfte der Wagen mußten außerplanmäßig die Werkstatt aufsuchen – für VW-Verhältnisse etwas völlig Absurdes. Nicht genug, daß dieses Auto so viel kostete wie andere, die mehr boten und schneller waren – auch sein Durst war infolge eines leicht veralteten Motorkonzeptes nicht gerade gering. Doch viel schlimmer war, wie Käuferbefragungen inzwischen ergaben, dass es sowohl hinter heimischen wie ausländischen Konkurrenten in puncto Zuverlässigkeit und Qualität zurückfiel.«2

Das Ziel war klar, VW wollte den Typ 3 in die nächsthöhere Klasse hieven, wo mit ertragreicheren Preisen und Margen kalkuliert werden konnte. Die deutsche Bevölkerung war anspruchsvoller geworden – und die neuen Ansprüche galt es nun zu bedienen. Zur zeitgenössischen Marktsituation schrieb das Nachrichtenmagazin FOCUS: »Die Mittelklasse war Mitte der 1960er Jahre zum wichtigsten Umsatzbringer fast aller deutscher Automobilhersteller geworden. Audi, BMW, Ford, Glas, Mercedes, Volkswagen und bald auch NSU, alle wollten ihren Anteil am lukrativsten Marktsegment, das sich Opel anfangs fast nur mit Borgward teilen musste.«3

Das Jahr 1967 markierte in Deutschland einen Umbruch, denn das Wirtschaftswunder stockte und die Wirtschaft schrumpfte. Die Steuereinnahmen waren niedriger ausgefallen als erwartet, während die Staatsausgaben stark gestiegen waren. Nach den Boomjahren des Aufbaus mit Wachstumsraten von teilweise über 10 Prozent rutschte die deutsche Wirtschaft plötzlich in eine Rezession. Dabei stiegen die Arbeitslosenzahlen von 0,7 Prozent 1966 auf 2,1 Prozent im Jahr 1967. Gleichzeitig stieg die Inflation, weshalb die Bundesbank die Zinsen erhöhte. Der Effekt war, dass Investitionen verschoben oder nicht getätigt wurden. Nach dem stetigen Wachstum der vergangenen Jahre musste die Volkswagenwerk AG so 1967 erstmals einen Absatzrückgang gegenüber dem Vorjahr hinnehmen.

Trotz der wirtschaftlich schwierigen Zeiten wurde mit dem Bau einer der weltweit größten Test- und Prüfanlagen der Automobilindustrie begonnen. In der Nähe des kleinen Dorfes Ehra-Lessin, das rund 25 Kilometer nördlich von Wolfsburg im Landkreis Gifhorn liegt, sollte die gewaltige Anlage entstehen. Mitten in den Wald wurden über 100 Kilometer Versuchsstraßen und eine Hochgeschwindigkeitsstrecke (»Schnellbahn«) mit einer Länge von rund 21 Kilometern sowie zwei Steilkurven gebaut. Durch die Überhöhung der Steilkurven in einem Winkel von bis zu 42 Grad sollten hier zukünftig Fahrzeuge bis zu einem Tempo von 350 km/h getestet werden.

Konkurrenz für Volkswagen kam mittlerweile auch aus dem europäischen Ausland. Schon 1966 war jedes siebte in der Bundesrepublik zugelassene Auto nicht mehr deutschen Ursprungs. Aus Japan schickte sich Honda als erster asiatischer Hersteller an, seinen Kleinwagen N 360 nach Deutschland zu verschiffen. Die Bemühungen der fernöstlichen Anbieter wurden gemeinhin belächelt, zu denken gab allenfalls die Dominanz dieser meist aus dem Zweiradbau kommenden Hersteller bei den Motorradweltmeisterschaften. Ausreichend technisches Know-how schienen die japanischen Ingenieure wohl zu besitzen – wer aber sollte ein asiatisches Auto kaufen?

Doch Wettbewerb drohte nicht nur aus dem Ausland, sondern auch von Opel und Ford. Besonders Opel war in den letzten Jahren beeindruckend gewachsen, weshalb bereits 1962 ein großes neues Werk in Bochum errichtet worden war. Hier baute der Rüsselsheimer Traditionshersteller den Kompaktwagen Kadett A, der technisch in jeder Hinsicht moderner war als der VW Käfer.

Der Kadett A war ein kompakter Wagen mit klassischer Pontonform (Stufenheck), einem geräumigen Kofferraum, einem in der Fahrzeugfront montierten Motor mit Wasserkühlung und einem modernen Fahrwerk, der schneller, sparsamer und komfortabler war als der mittlerweile betagte Wolfsburger VW Käfer mit seinem luftgekühlten Boxermotor. Der heckgetriebene Kadett A lag mit seinem Preis von 5.075 Mark (ca. 2.550 Euro) zwar um 875 Mark (ca. 440 Euro) über dem VW Käfer – doch dafür gab es einen entsprechenden Mehrwert. Auch wenn es in Wolfsburg nicht gern gehört wurde: Der Kadett A war zweifellos ein moderneres Automobil als der VW Käfer.

Der offensichtliche technische Abstand zwischen den beiden Kontrahenten war Anlass für eine zum Teil recht provokative Werbekampagne von Opel, die potenziellen Kunden deutlich vor Augen führte, dass der Käfer nicht mehr den aktuellen Stand der Technik repräsentierte. Diesem Urteil schlossen sich zahlreiche Autofahrer durch einen Kauf an, so dass bis zum Jahr 1965 bereits eine halbe Million Kadett A produziert wurden. Im September 1965 rollte dann mit dem Kadett B bereits das Nachfolgemodell von den Bändern in Bochum. Der Werbeslogan für den Kadett lautete: »Opel Kadett. Das Auto«.

 

1968 stimmten die Zahlen bei VW wieder, die kurzzeitige Rezession war überstanden. Doch so richtig zufrieden konnte die Konzernleitung nicht sein: Der Käfer hatte zweifellos seine beste Zeit hinter sich und die Verkaufszahlen des Typ 3 lagen weit hinter denen des Typ 1. Das Ende des im Gegensatz zu seinem Vorgänger völlig glücklosen neuen Karmann Ghia 1600 (Typ 34) wurde bereits im Sommer 1968 beschlossen und die Fertigung eingestellt. Lediglich 42.505 Fahrzeuge waren gebaut worden. Kurios dabei: Der alte Karmann Ghia (Typ 14), der bereits seit 1955 im Programm war, sollte weitergebaut und sogar modellgepflegt werden.

Einen weiteren Grund für die verhaltene Stimmung lieferte das neue Mittelklassemodell VW 411, das 1968 auf den Markt gekommen war. Der ebenfalls mit luftgekühltem Boxermotor und Heckantrieb gebaute VW 411 (Typ 4) wurde seiner Rolle als Limousine der gehobenen Mittelklasse in keiner Weise gerecht, was sich in den schlechten Verkaufszahlen widerspiegelte. Bei einem Vergleichstest des Fachmagazins AUTO MOTOR UND SPORT belegte das neue Modell gar den letzten Platz aller sechs getesteten Fahrzeuge.4

Ein Fachautor brachte es auf den Punkt: »Verglich man den 411 mit allen Konkurrenten seiner Klasse, so fiel auf, daß er der einzige mit Luftkühlung und Heckmotor war; der teuerste und größte aller VWs. [...] Ansonsten war er einfach nicht auf dem Niveau der betrachteten Hubraumklasse, vor allem nicht in seinen Fahrleistungen. Und in Deutschland begann man sich laut zu fragen, ob VW weiterhin als Zentralfigur des wirtschaftlichen Aufschwungs bewertet werden könne.«5

»Der Große aus Wolfsburg« (VW-Werbeslogan) verfügte immerhin über eine moderne selbsttragende Karosserie, allerdings war er sogar teurer als der jüngst präsentierte Audi 75. Hinzu kam: Wer sich als Interessent einen VW 411 in den Ausstellungsräumen von VW ansah, ging nicht selten als Käufer eines neuen, deutlich moderner konzipierten Audi 100 wieder hinaus. Dass viele VW-Betriebe auch Fahrzeuge von Audi verkauften, machte sich in einem direkten und für die Schwestermarke VW teuren Kannibalisierungseffekt bemerkbar.

Ein Grund zur Trauer war für viele Wolfsburger der Tod von Ex-Konzernlenker Heinrich Nordhoff, der seit 1948 als Generaldirektor der Volkswagenwerk GmbH und seit dem Jahr 1960 als Vorstandsvorsitzender der Volkswagenwerk AG fungiert hatte. »Mister Volkswagen«, wie er anerkennend genannt wurde, hatte VW nach dem Krieg zur jetzigen Größe geführt. Neuer VW-Chef wurde Dr. Kurt Lotz, der am 1. Mai 1968 den Posten des Vorstandsvorsitzenden der Volkswagenwerk AG übernahm.