Buch lesen: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 321»
Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-718-1
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
1.
„Verdammte Milchsuppe!“ stieß Edwin Carberry mit einem leisen Knurren in der Stimme hervor. „Bei diesem Nebel findet man ja seinen eigenen Hinterkopf nicht mehr, wenn man sich mal kratzen muß!“
Damit übertrieb der bullige Profos der „Isabella IX.“ zwar gewaltig, dennoch herrschte an jenem frühen Morgen des 31. März 1593 ziemlich schlechte Sicht, weil dichte Nebelschwaden die Ostsee überlagerten und sich träge auf die Küstengebiete zwischen Kurland und Ostpreußen zuschoben.
Die große, ranke Galeone aus dem fernen England wurde von Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, befehligt. Die „Wappen von Kolberg“, ein ehemaliges polnisches Flaggschiff, fuhr unter dem Kommando seines Vetters, Arne von Manteuffel.
Beide Schiffe segelten Kurs Südsüdwest, der auf Brüsterort, die nördliche Landspitze der Bernsteinküste im ostpreußischen Samland, zuführte.
Jetzt, in der ersten Morgendämmerung, lagen die Galeonen auf der Höhe von Windau. Der Wind wehte mäßig aus Westen, die „Isabella“ segelte vor der „Wappen von Kolberg“, die ihr wegen des Nebels dichtauf folgte.
Die beiden Kapitäne, unter deren Führung am Vorabend ein polnischer Viererverband versenkt worden war, hatten beschlossen, in Küstennähe zu bleiben, weil sie davon ausgingen, daß sich etwaige Verfolger weiter draußen auf See befanden.
Edwin Carberry sollte jedoch bald noch mehr Grund zum Fluchen haben, denn das, was jetzt plötzlich und völlig überraschend geschah, purrte selbst jene Seewölfe hoch, die sich während ihrer Freiwache in die Kojen gehauen hatten. Ja, das Ganze wirkte wie ein böser Spuk im Morgengrauen.
Blacky, der wegen der schlechten Sicht auf der Back der „Isabella“ nach voraus Ausguck ging, brüllte plötzlich laut los und deutete auf die graue Nebelwand.
„Wahrschau! Da ist etwas Längliches Backbord voraus!“
„Was heißt da, was Längliches, was, wie?“ fragte der Profos mit Donnerstimme. „Schielst du vielleicht und siehst deine eigene Nasenspitze, he?“
Blacky ging nicht darauf ein. Er begann vielmehr, heftig mit den Armen zu fuchteln.
„Das ist eine Galeere!“ brüllte er erregt. „Jetzt sehe ich ganz deutlich die beiden Pfahlmasten! Und sie hält direkt auf uns zu. Mein Gott, wenn das nur gutgeht!“
Jetzt sahen auch die anderen Männer, einschließlich des Seewolfs, der sich auf dem Achterdeck der „Isabella“ befand, die Galeere aus den Dunstschwaden auftauchen. Ihre Segel waren nicht gesetzt, sie wurde durch kräftige Riemenschläge vorangetrieben. Ihr weit hervorragender Rammsporn zeigte genau in die Richtung, in der sich die Backbordseite der „Isabella“ in wenigen Augenblicken befinden mußte.
Ein durch den Nebel bedingtes Aufeinanderprallen der beiden Schiffe schien unvermeidbar zu sein.
„Rasch, Pete! Ruder hart Steuerbord!“ brüllte Philip Hasard Killigrew zu dem kleinen, stämmigen Rudergänger hinüber.
Pete Ballie ließ das fortschrittliche Steuerrad, das Hesekiel Ramsgate auch auf der neuen „Isabella“ anstelle des herkömmlichen Kolderstocks eingebaut hatte, in rascher Reaktion durch die Fäuste wirbeln.
Der Rumpf der großen Galeone fiel etwas nach Steuerbord ab, aber für ein erfolgreiches Ausweichmanöver war es bereits zu spät.
Auch auf der Galeere mußte man inzwischen das aus dem Nebel auftauchende englische Schiff gesichtet haben. Zunächst waren laute Rufe zu hören, dann drangen schrille Entsetzensschreie zu den Seewölfen herüber.
Doch das fürchterliche Krachen und Splittern, das Sekunden später über die Wasserfläche dröhnte, erstickte für kurze Zeit alle menschlichen Laute.
Als die „Isabella“ mit ihrem Steven den gefährlichen Rammsporn erwischte und ihn vom Bug der Galeere wegfetzte, ging ein heftiger Ruck durch den Schiffsrumpf, dem ein häßliches Knirschen und Knacken folgte.
Der Aufprall riß die Galeere, die fast rechtwinklig auf das Schiff der Seewölfe zugelaufen war, ein Stück herum, dann donnerte sie mit Wucht gegen die Backbordseite der „Isabella“ und schurrte an ihr entlang nach achtern.
Das Splittern und Bersten hielt an, weil die Steuerbordriemen der Galeere durch die Kollision der beiden Schiffsrümpfe zerbrochen wurden. Überall barst Holz, Teile der Riemen klatschten ins Wasser, begleitet von erschreckten Schreien und dem Gebrüll verletzter Rudergasten, die durch die eigenen Riemen von den Bänken gefegt wurden.
„Himmel, Arsch und Sonnenschein!“ fluchte Edwin Carberry lauthals und hielt sich gleichzeitig an der Nagelbank des Großmastes fest, um nicht durch die Schlingerbewegungen des Schiffes über die Kuhl gefegt zu werden. „Können die Affenärsche ihre Klüsen denn nicht besser aufreißen, was, wie? Man meint, die hätten nicht genug Platz auf diesem Ententeich! Es ist, verdammt noch mal, eine Unverschämtheit, anständige Christenmenschen, die sich auf einer Pilgerreise befinden, einfach über den Haufen rennen zu wollen!“
Der Profos hatte sein klotziges Rammkinn vorgeschoben. Zusammen mit dem zernarbten Gesicht und der prächtigen Glatze, die er seit seiner Wette mit Luke Morgan zur Schau trug, verlieh es ihm das Aussehen eines Monsters aus grauer Vorzeit. Nur diejenigen, die Edwin Carberry kannten, wußten, daß er trotz seines furchterregenden Aussehens und seines kernigen Wortschatzes das Herz auf dem rechten Fleck hatte.
Doch jetzt blieb ihm nicht die Zeit, einige freundliche Worte auf die Galeere hinüberzubrüllen. Das Zusammenprallen der beiden Schiffe hatte sich in einer sehr kurzen Zeitspanne abgespielt, und das fremde Schiff verschwand, nachdem es sämtliche Steuerbordriemen verloren hatte, wie ein Geisterschiff achteraus.
Aber damit begann das Unglück erst richtig.
Die „Wappen von Kolberg“, die im Kielwasser der „Isabella“ segelte, schloß ebenfalls Bekanntschaft mit der Galeere. Auch Arne von Manteuffel schaffte es nicht mehr rechtzeitig, dem angeschlagenen Schiff auszuweichen. Er hatte zwar trotz des dichten Nebels mitgekriegt, wie die Galeere mit der „Isabella“ kollidierte, aber in der kurzen Zeit hatte er nicht mehr abwägen können, wie sich die Sache weiterentwickeln würde.
Und nun war es bereits zu spät dafür, einen Aufprall auf die fremde Galeere zu vermeiden.
Arne brüllte zwar noch einen entsprechenden Befehl zu seinem Rudergänger hinüber, aber bevor dieser darauf reagieren konnte, geschah es.
Die „Wappen von Kolberg“ nahm die Galeere voll auf die Hörner. Mit ihrem Steven rannte sie Steuerbord achtern voll in die Plattform der Galeere. Das Krachen und Bersten, das gerade erst verstummt war, begann erneut. Von der Masse und dem „Schwung“ der Galeone, die Arne von Manteuffel dem polnischen Generalkapitän Witold Woyda als Ersatz für sein versenktes Schiff abgejagt hatte, wurde die Galeere noch ein ganzes Stück weitergeschoben, bis sich die Verklammerung löste und das vom Unheil verfolgte Schiff mit seinem Heck herumgedrückt wurde. Das allerdings hatte zur Folge, daß es nun mit seiner Steuerbordseite gegen die Steuerbordseite der neuen „Wappen von Kolberg“ krachte.
Auf beiden Schiffen herrschte im Handumdrehen Zustand, hauptsächlich jedoch auf der Galeere, die achtern Wasser zog. Der Steven von Arnes Beutegaleone hatte riesige Lecks hinterlassen, durch die das Wasser mit beängstigender Geschwindigkeit in den Schiffsraum strömte. Die Achterlastigkeit der Galeere war bereits jetzt schon deutlich sichtbar.
An Bord der sinkenden Galeere verstärkte sich das Gebrüll. Flüche, Verwünschungen, Schreckensschreie und Kommandos dröhnten durch den wallenden Nebel.
„Das sind Polen“, sagte Arne von Manteuffel. Der große, breitschultrige Mann mit den eisblauen Augen glich dem Seewolf auf eine verblüffende Weise. Nur seine Haare waren im Gegensatz zur schwarzen Mähne des Seewolfs blond. „Die Galeerenbesatzung braucht jetzt unsere Hilfe“, fuhr er fort, „auch wenn die Polen nicht gerade zu unseren Freunden zählen. Der Kahn geht unverkennbar auf Tiefe.“
Renke Eggens, der Erste Offizier der „Wappen von Kolberg“, nickte.
„Bisher haben wir Schiffbrüchigen immer geholfen, gleich auf welcher Seite sie standen.“
Beide Männer eilten zum Steuerbordschanzkleid des Achterkastells hinüber, um das Ausmaß des Unglücks besser beurteilen zu können.
Doch was sie sahen, verwandelte ihre Hilfsbereitschaft in jähen Zorn.
Die Polen, einschließlich der Ruderknechte, die nicht angekettet waren, griffen zu den Waffen. Dabei rafften sie in der Eile alles zusammen, was ihnen in die Finger geriet: Musketen und Pistolen, hauptsächlich jedoch Blankwaffen aller Art. Dann drängten sie mit lautem Gebrüll zum Schanzkleid.
„Die wollen entern“, sagte Arne kurz. Da er die polnische Sprache verstand, wußte er auch die Kommandos, die auf der Galeere gebrüllt wurden, richtig zu deuten. „Gewissermaßen wollen die aus der Not eine Tugend machen“, fügte er grimmig hinzu.
„Dann sollten wir ihnen was auf die Köpfe geben“, sagte der schlanke und drahtige Renke Eggens. „Ich sehe ja ein, daß die Burschen ein neues Schiff brauchen, aber auf eine so einfache Tour geht das nicht.“
„Ganz gewiß nicht“, erwiderte Arne von Manteuffel. „Wir werden uns zu wehren wissen.“
Die Kommandos des Kapitäns der „Wappen von Kolberg“ waren kurz und präzise. Seine Männer eilten, ohne in Panik zu geraten, an die Waffen. Und in dieser Hinsicht war tatsächlich Eile geboten, denn die ersten Enterhaken der Polen verkrallten sich bereits im Schanzkleid der Galeone.
„Kappt die Taue!“ befahl Arne, der die Gefahr, die von den Enterhaken und ihren Wurfleinen ausging, sofort erkannte. Schließlich war die Galeere am Sinken und konnte sein Schiff erheblich in Gefahr bringen, wenn man es nicht schnell von seinem „Anhängsel“ befreite.
Einige seiner Männer gingen sofort daran, seinen Befehl auszuführen. Doch das erwies sich als ein hartes und gefährliches Stück Arbeit, zumal sich die ersten Polen bereits mit lautem Geschrei über das Schanzkleid schwangen.
Auf beiden Seiten wurden Pistolen und Musketen abgefeuert, dann klirrte das Metall der Blankwaffen – der Säbel, Degen, Messer und Cutlasse – gegeneinander. Innerhalb von wenigen Augenblicken tobte ein erbitterter Enterkampf.
Die Polen wollten aus der gegebenen Situation ganz offensichtlich Kapital schlagen, aber da stießen sie bei Arne und seinen Mannen auf erbitterten Widerstand. Wegen der Vorkommnisse der vergangenen Tage hegten diese gegenüber den Soldaten des polnischen Königs Sigismund III. ohnehin keine besonders freundschaftlichen Gefühle. Und der Verlust ihrer alten „Wappen von Kolberg“ saß den Deutschen noch immer ziemlich in den Knochen. Dennoch würden sie sich ihrer Haut zu wehren wissen, auch wenn die Polen in der Überzahl waren.
Arne von Manteuffel stand mit gespreizten Beinen auf dem Achterdeck seiner Galeone und riß die Radschloßpistole hoch. Ein polnischer Soldat, der gerade an Bord geentert war, hatte seine Muskete auf ihn in Anschlag gebracht und gefeuert. Die Kugel war haarscharf an seiner linken Schulter vorbeigepfiffen.
Jetzt krachte Arnes Pistole, eine grelle Mündungsflamme stach aus dem Lauf hervor, und der Soldat ließ seine leergeschossene Muskete fallen. Dann griff er sich mit beiden Händen an die Brust und kippte mit einem Aufstöhnen zur Seite.
Die Polen kämpften zäh und verbissen, und immer mehr von ihnen drängten auf die Galeone herüber. Da ihnen das Schiff unter den Füßen absoff, standen sie gewissermaßen unter Erfolgszwang. Sie hatten nur die Möglichkeit, diese Galeone in ihren Besitz zu bringen oder aber im kalten Wasser der Ostsee zu ertrinken. Die Chance, als Schiffbrüchige gerettet zu werden, hatten sie durch ihren heimtückischen Angriff vertan.
Außerdem war da noch die Galeone der Engländer, mit der sie zuerst zusammengeprallt waren. Der große Segler war durch die überraschende Kollision aus dem Kurs gelaufen und gleich darauf im dichten Nebel verschwunden. Die Polen hofften deshalb inbrünstig, daß die Engländer die Orientierung verloren hatten. Wenn nicht, dann würden sie sich auch diesem Schiff zum Kampf stellen, sobald sie das ehemalige Flaggschiff ihres Generalkapitäns in ihre Gewalt gebracht hatten.
Arne von Manteuffel und seine kleine Mannschaft erwiesen sich als harte Kämpfer. Viele der Polen schafften es gar nicht erst, die Planken der „Wappen von Kolberg“ zu betreten. Entweder wurden sie durch gezielte Schüsse daran gehindert oder aber im Kampf Mann gegen Mann zurückgedrängt. Eine ganze Reihe der Angreifer schwamm bereits im Wasser, einigen drohte das furchtbare Schicksal, von den beiden Schiffsleibern zermalmt zu werden.
Arne hatte zum Degen gegriffen und trieb damit einen polnischen Offizier, der zum Achterdeck auf entern wollte, die Stufen des Niedergangs hinunter. Dabei erwies er sich als äußerst geschickter Degenkämpfer, der es verstand, die plötzlichen Ausfälle seines Gegners mit ungeheurer Schnelligkeit zu parieren.
Auch Renke Eggens kämpfte wie ein Berserker. Es gelang ihm nach mehreren Versuchen, auch noch die letzte Wurfleine zu kappen, die die „Wappen von Kolberg“ mit der polnischen Galeere verband. Zwei Soldaten, die sich daran hochhangeln wollten, stürzten mit wilden Schreien in die Galeere zurück.
Während sich Renke zwei weiteren Kerlen zuwandte, die sich einige Schritte rechts von ihm über das Schanzkleid schwingen wollten, tönte eine laute Stimme von der Galeere herüber.
„Im Namen des polnischen Königs! Gebt auf, ihr Bastarde, sonst verarbeiten wir euch zu Fischfutter!“
Die Stimme kam von einem untersetzten Mann in Offiziersuniform, der sich ebenfalls anschickte, das Schiff der Deutschen zu entern. Er hatte polnisch gesprochen, aber der dunkelblonde Renke hatte ihn gut verstanden.
„Du verwechselst die Tatsachen, Freundchen!“ brüllte er zornig zurück. „Ganz davon abgesehen, daß euren habgierigen König nicht mal die Heringe fressen würden, wird sich ja bald zeigen, wer als erster nasse Füße kriegt!“
Mit wuchtigen Hieben trieb Renke Eggens die beiden Kerle, die auf die Planken der Kuhl gesprungen waren, auf die Back zu. Dort nahm sie Hein Ropers, der flachsblonde Bootsmann, in Empfang.
„Vielen Dank für das nette Geschenk!“ rief er Renke zu und lachte dabei, daß seine weißen Zähne blitzten. Dann packten seine eisernen Fäuste erbarmungslos zu.
Nachdem er dem ersten Polen die Waffe aus der Hand geschlagen hatte, wuchtete er ihn seinem nachfolgenden Kumpan entgegen. Und da dieser gerade mit seinem Degen zu einem voreiligen Stoß ausgeholt hatte, fuhr die Klinge seinem Landsmann voll in die Brust.
Verblüfft und entsetzt registrierte der Soldat sein eigenes Werk. Hein Ropers hingegen nutzte die Schrecksekunde, packte ihn am Kragen und Hosenboden und hievte ihn schwungvoll über Bord.
Es wurde auch höchste Zeit, daß der Bootsmann seine Fäuste wieder frei kriegte, denn ein kleiner, dürrer Bursche mit spitzem Rattengesicht, hatte sich von hinten an ihn herangepirscht, um ihm das Messer in den Rücken zu stoßen.
„Vorsicht, Hein!“ rief ein Mann aus der eigenen Crew, der selber alle Hände voll zu tun hatte.
Der Bootsmann wirbelte geistesgegenwärtig herum, blockte den heimtükkischen Stoß ab und schlug dem Polen das Messer aus der Hand. Dann riß er ihn herum und verpaßte ihm einen so fürchterlichen Tritt gegen den Achtersteven, daß der Bursche mit ausgebreiteten Armen Renke Eggens entgegensegelte.
„Das ist mein Gegengeschenk!“ brüllt Hein Ropers.
„Danke!“ rief Renke zurück und setzte dem rattengesichtigen Kerl die Faust aufs Haupt. Dieser verdrehte die Augen und ging mit einem schicksalsergebenen Seufzer auf die Planken.
Duckmäuser waren Arne und seine Mannen noch nie gewesen. Auch jetzt schlugen sie sich so, daß den Polen die Augen übergingen. Dennoch war die Übermacht der Angreifer ständig größer geworden, denn auch die Ruderknechte mischten kräftig mit.
Arne und seine dreizehn Männer, die ihm von der alten „Wappen von Kolberg“ geblieben waren, würden die Stellung nicht auf Dauer halten können. Obwohl sie wie die Teufel kämpften, wurde die Lage immer bedrohlicher für sie.
Außerdem waren einige Männer bereits verletzt worden. Die Blessuren waren zwar nicht ernster Art, aber sie reichten aus, die Kampfkraft des einen oder anderen zu schwächen.
Schließlich sah sich Arne von Manteuffel genötigt, den Rückzug zum Achterkastell zu befehlen, das auch gegen eine Übermacht durchaus verteidigt werden konnte.
„Jetzt könnten wir deinen Vetter gut gebrauchen!“ rief Renke Eggens, der gerade mit einem Belegnagel zugeschlagen hatte.
Arne nickte, ohne dabei seinen Gegner, einen mindestens sechs Fuß großen, bulligen Soldaten, aus den Augen zu lassen.
„Ich kann nur hoffen, daß Hasard den Lärm hört“, stieß er hervor, „und daß er uns in diesem verdammten Nebel wiederfindet!“ Sein Degen zuckte hoch, um einen Ausfall seines Gegners abzuwehren. Dann entdeckte er eine winzige Blöße bei dem grobschlächtigen Kerl, der seine Waffe wie einen Zahnstocher handhabte, und stieß blitzschnell zu.
Der Pole sank auf die Planken.
2.
Die Seewölfe hatten längst begriffen, was sich auf der „Wappen von Kolberg“ abspielte. Obwohl sie das Schiff nicht sehen konnten, sagte ihnen das laute Gebrüll genug. Auch waren sie sich darüber im klaren, daß es sich bei der Galeerenbesatzung um Polen handeln mußte. Nils Larsen und Stenmark hatten das schon mitgekriegt, als die Galeere an der Bordwand der „Isabella“ entlanggeschrammt war.
Die dichten Nebelschwaden begannen sich stellenweise aufzulösen, wodurch die Sicht langsam etwas besser wurde. Dennoch konnten weder der Seewolf noch Ben Brighton etwas durch ihre Spektive erkennen. Selbst Dan O’Flynn, der die schärfsten Augen an Bord hatte, mußte kapitulieren.
„Hast wohl heute nicht deinen Adlerblick drauf, was, wie?“ fragte der Profos grinsend. „Aber tröste dich, wir haben ja immer noch Paddy mit seiner prächtigen Knollennase. Wenn er mit diesem Zinken hoch genug an den Wind geht, wird er die Rübenschweine sofort riechen!“
Bevor Dan O’Flynn eine geharnischte Antwort vom Stapel lassen konnte, mischte sich der Seewolf ein.
„Zum Glück sind wir jetzt weder auf Adleraugen noch auf Knollennasen angewiesen“, sagte er. „Allein der Lärm wird alle Schiffe im Umkreis auf den richtigen Kurs lotsen. Außerdem können wir nicht weit vom Schauplatz entfernt sein.“
Das Gebrüll, das von der „Wappen von Kolberg“ herüberdröhnte, war in der Tat nicht zu überhören.
Edwin Carberry rieb sich in Erwartung der bevorstehenden Ereignisse tatendurstig die Pranken.
„Man hört’s ganz deutlich“, sagte er, obwohl durch den Lärm kein einziges Wort zu verstehen war, „das sind die Lümmel des Königs Siegermund …“
„Sigismund!“ unterbrach ihn Dan.
„Ach was“, fuhr Ed fort, „ist mir egal, wie sich diese beutelüsterne Majestät nennt! Hört ihr nicht, daß das Geschrei dieser plattfüßigen Strolche so richtig gierig klingt, he? Ich sage euch, die wollen die hübschen Klunkerchen unter sich aufteilen, die Arne an Bord hat, jawohl!“
„Du hast es erfaßt“, pflichtete ihm Old Donegal Daniel O’Flynn bei, der trotz seines Holzbeins und der Krükke gewandt zum Achterdeck aufgeentert war. „Die wissen bestimmt, daß sich noch die vierzehn Kisten mit Bernsteinen und Halbedelsteinen an Bord befinden, die Witold Woyda in Hopsal geklaut hat. Da wird Arne aber gut auf das Zeug aufpassen müssen!“
Edwin Carberry nickte mit grimmigem Gesicht.
„Wir hätten die Kisten zu uns an Bord nehmen sollen“, meinte er.
„Hä? Warum das denn?“ fragte Old Donegal.
„Ich hätte sie zusammen mit dem Mister Generalkapitän in der Vorpiek eingeschlossen“, fuhr Ed fort. „Dann hätte ich dem habgierigen Rübenschwein einen alten Lumpen in die Hände gedrückt und ihn beauftragt, jedes einzelne Steinchen schön zu polieren. Was glaubt ihr, was dieser Räucherhering für einen Spaß an dieser Arbeit gehabt hätte! So aber sitzt der Kerl da unten in unserer Piek und ruht sich aus. Vielleicht freut er sich sogar über den Lärm und wartet schon darauf, daß ihm seine Befreier das Schott öffnen. Ich wette, daß dieser Affenarsch …“
„Ha!“ entfuhr es dem alten O’Flynn. „Hör bloß auf zu wetten! Aus dem letzten Reinfall müßtest du eigentlich was gelernt haben. Wenn ich mir so deinen vierkantigen Glatzkopf ansehe, dann muß ich an eine verbeulte Kokosnuß denken.“
„Mach bloß die Luke dicht, du Holzgerippe!“ stieß der Profos hervor. „Und kümmere dich gefälligst nicht um meinen Charakterkopf! Vielleicht sprießen dort schon in wenigen Tagen hübsche Löckchen, wer weiß.“
Die Männer wollten in lautes Gelächter ausbrechen, aber da schaltete sich der Seewolf ein, der gerade einige Worte mit Ben Brighton gewechselt hatte.
„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, sagte Hasard. „Was immer die Polen auch für Motive haben, über Arne und seine Männer herzufallen, sie spielen im Moment eine untergeordnete Rolle. Arne braucht unsere Hilfe, und zwar dringend. Mit seinen wenigen Leuten kann er das Schiff nicht auf Dauer gegen die Übermacht der Polen halten. Also mischen wir ein bißchen mit, und zwar so rasch es geht. Andererseits müssen wir natürlich damit rechnen, daß die Galeere zu einem polnischen Verband gehört, vielleicht sogar zu jenen Gruppen, die nach illegalen Bernsteinladungen fahnden. Somit besteht die Möglichkeit, daß jederzeit weitere Schiffe hier auftauchen.“
Die Seewölfe setzten sich in Bewegung.
Noch während die „Isabella“ vor den Wind ging, wurde die Gefechtsbereitschaft überprüft. Hasard ließ halsen, und schon wenig später lief die Galeone über Steuerbordbug auf die „Wappen von Kolberg“ zu. Das ständig lauter werdende Gebrüll sowie die Konturen des Schiffes, die sich jetzt deutlich im Nebel abzeichneten, zeigten an, daß man die richtige Richtung eingeschlagen hatten.
Alles Weitere lief rasch.
Hasard ließ die Segel ins Gei hängen, dann manövrierte Pete Ballie die „Isabella“ so an das Schiff der Deutschen heran, daß sich die Backbordseiten der beiden Schiffe berührten.
Und dann hielt die Seewölfe nichts mehr zurück.
„Auf ins Getümmel, ihr frommen Pilgerscharen!“ brüllte Edwin Carberry. „Jetzt wollen wir diesen triefäugigen Nebelböcken mal das Tanzen beibringen, was, wie?“
Mit einem donnernden „Ar-we-nack!“, dem Kampfruf der Seewölfe, stürmten die Männer auf die „Wappen von Kolberg“ hinüber, auf der noch immer ein heftiger Kampf tobte. Sie hatten rasch bemerkt, daß sich Arne mit seinen Leuten zum Achterkastell zurückgezogen hatte. Demnach war es höchste Zeit, daß die Deutschen etwas Unterstützung kriegten.
Philip Hasard Killigrew war schlau genug, nicht alle seine Männer auf Arnes Galeone überentern zu lassen. Wie richtig diese Entscheidung war, sollte sich schon wenig später herausstellen.
Der Seewolf blieb zusammen mit seinen zwölfjährigen Zwillingssöhnchen, Philip und Hasard, sowie mit Old O’Flynn, Al Conroy, Will Thorne und Gary Andrews an Bord der „Isabella“. Die beiden „Rübenschweinchen“, wie der Profos die Zwillinge meist nannte, hatten die Aufgabe, scharf Ausguck zu halten, zumal niemand wußte, welche Überraschungen der Nebel an diesem Morgen noch bereithielt.
Die restliche Crew begann auf der „Wappen von Kolberg“ mit dem großen Aufräumen.
Die Polen, die sich seit dem Rückzug der Deutschen aufs Achterkastell ihrem Sieg schon ziemlich nahe glaubten, hatten mit Entsetzen festgestellt, daß die große englische Galeone längsseits gegangen war. Daß dies keine Stärkung ihrer eigenen Reihen bedeutete, war ihnen klar.
So blieb ihnen nichts weiter übrig, als eine neue Front zur Backbordseite des Schiffes hin zu bilden. Doch bevor das gelang, befanden sich die meisten Seewölfe schon an Bord.
„Jetzt wird Reinschiff gemacht, Leute!“ rief der sonst so ruhige und besonnene Ben Brighton. „Und daß ihr mir ja das Deck schön sauber aufwischt!“ Er donnerte dem ersten Soldaten, der ihm in die Quere geriet, mit solcher Wucht die Faust unter das Kinn, daß dieser fast aus den Stiefeln gehoben wurde.
Auch die anderen Seewölfe hatten keine „Kontaktschwierigkeiten“, und im Handumdrehen war auf der „Wappen von Kolberg“ erst richtig der Teufel los. Der Kampf wurde teils mit Blankwaffen, teils mit nackten Fäusten oder Schlaginstrumenten geführt.
Arne von Manteuffel und seinen dreizehn Männern gelang es vom Achterdeck aus, die Polen zurückzudrängen, so daß sich das Getümmel mehr und mehr zur Kuhl hin verlagerte, wo die Seewölfe für Ordnung sorgten.
Sie alle kämpften wie die Löwen – Bill, Jeff Bowie, Matt Davies, Big Old Shane, Bob Grey, Batuti und all die anderen. Und die Polen begriffen sehr rasch, daß sie es mit eisenharten Männern zu tun hatten, die sich nicht einschüchtern ließen, am allerwenigsten durch lautes Gebrüll oder wüste Drohungen.
Big Old Shane, der schon als Schmied von Arwenack Castle in Falmouth gelernt hatte, kräftig zuzupacken, hielt eine Radschloßpistole am Lauf, und wer mit dem harten Kolben der Waffe Bekanntschaft schloß, brauchte sich hernach über mangelnde Beulen nicht zu beklagen.
Batuti, der schwarze Riese aus Gambia, ließ seinen gefürchteten Morgenstern kreisen, und Dan O’Flynn war in ein hartes Degenduell mit einem Soldaten verwickelt. Bill hieb mit einem Belegnagel drein und Ferris Tucker, dessen Kreuz so breit wie ein Rahsegel war, ließ das stumpfe Ende seiner gefürchteten Zimmermannsaxt durch die Luft zischen.
Edwin Carberry schien seinen entdeckungsreichen Tag zu haben. Irgendwo in der Nähe der Nagelbank des Großmastes stieß er auf die herumliegenden Utensilien, mit denen für gewöhnlich Reinschiff gemacht wurde. Dazu gehörte eine Pütz, die halb mit Sand gefüllt war, außerdem ein sogenannter „Holystone“ – ein weißer Sandstein, mit dem sich auch grobe Verunreinigungen der Planken wegscheuern ließen –, und einen Dweil, bei dem es sich um ein schrubberartiges Gebilde mit langem Stiel handelte.
„Ho!“ rief Ed, sichtlich erfreut über seinen Fund. „Kommt nur herbei, ihr Läuseknacker! Ich werde euch hübsch aufpolieren, damit eure Affenärsche glänzen wie Speckschwarten!“
Da er gerade mit einigen Ruderknechten beschäftigt gewesen war, schüttelte er mit Schwung den Sand in die Menge, was ein lautes Aufheulen derer zur Folge hatte, die die Sandkörner in die Augen kriegten.
Dem Kerl, der ihm am nächsten war, stülpte er die leere Pütz über den Schädel und setzte dann eine Faust obendrauf. Das hohle Geräusch, das er damit erzeugte, erinnerte an eine Trommel, mit der man auf Galeeren den Takt für die Ruderknechte vorgab.
Einem vierschrötigen Burschen, der mit einer Spake auf ihn losgehen wollte, schleuderte der Profos den „Holystone“ entgegen. Der kantige Sandstein traf den Polen voll am linken Fuß und verfehlte trotz der festen Lederstiefel seine Wirkung nicht.
Der Kerl stimmte ein markerschütterndes Geschrei an und hüpfte auf dem heilgebliebenen rechten Fuß im Kreis herum, wie einer jener tanzenden Derwische des Ibrahim Salih, die die Seewölfe einst an der türkischen Südküste kennengelernt hatten.
Um dem Geheule ein Ende zu bereiten, hieb Ed noch mit dem Dweil zu. Da dieses Putzwerkzeug, an dem noch einige Scheuertücher befestigt waren, naß war, gab es ein klatschendes Geräusch, dann krachte der Ruderknecht mit verdrehten Augen gegen die Nagelbank.
„Merk dir das, du Rübenschwein“, stieß Ed hervor, „am frühen Morgen wird noch nicht gesungen und getanzt, so was gehört sich nicht!“
„Recht so!“ rief der bullige Paddy Rogers. „Außerdem gehören Kanalratten ins Wasser!“ Er sammelte die Kerle auf, die ihm vor die Füße gepurzelt waren und beförderte sie – schön einen nach dem anderen – über Bord.
Edwin Carberry trennte sich vorerst nicht von dem Dweil, mit dem man so richtig schön zulangen konnte. Und so mußte sich noch so mancher Pole die nassen Lumpen mit lauten Klatschen um die Ohren hauen lassen.
Auch die beiden „Hakenmänner“ unter den Seewölfen waren voll in ihrem Element. Matt Davies räumte vor der Back auf, und Jeff Bowie, der stämmige Liverpooler, fegte gerade wie ein Wirbelwind über die Kuhlgräting hinweg. Sein linker Arm, dessen Hand durch eine Hakenprothese ersetzt worden war, weil er einst unliebsame Bekanntschaft mit Piranhas geschlossen hatte, zuckte vor – direkt auf einen polnischen Offizier zu. Sekunden später hing die Uniform des Mannes in Fetzen. Nachdem Jeff ein weiteres Mal zugelangt hatte, stand der Kerl fast nackt auf den Planken. Er vergaß vor Entsetzen, seinen Degen zu gebrauchen, deshalb prellte ihm Jeff Bowie mit einem dritten Hieb die Waffe aus der Hand.
Der Profos, der das gesehen hatte, grinste von einem Ohr zum anderen.
„Mach langsam, Jeff!“ brüllte er. „Sonst kämpfen wir am Ende nur noch mit einer Horde nackter Affen!“
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