Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 23

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Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 23
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Impressum

Drei Musketiere

Eine verlorene Jugend im Krieg

Band 23

1945

Copyright: © 2021 Frank Hille

Published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

Fred Beyer, 21. Februar 1945, Görlitz

Günther Weber, 23. Februar 1945, Leipzig

Martin Haberkorn, 24. Februar 1945, Hamburg

Fred Beyer, 28. Februar 1945, Müncheberg

Günther Weber, 28. Februar 1945, Leipzig

Martin Haberkorn, 28. Februar 1945, Hamburg

Fred Beyer, 22. März 1945, Cottbus

Günther Weber, 24. März 1945, Oderbruch

Fred Beyer, 27. März 1945, bei Frankfurt (Oder)

Martin Haberkorn, 3. April 1945, Hamburg

Günther Weber, 15. April 1945, Friedersdorf, Gebiet Seelow

Fred Beyer, 16. April 1945, Lindendorf bei Seelow

Martin Haberkorn, 17. April 1945, Kiel

Günther Weber, 16. April 1945, Friedersdorf, Gebiet Seelow

Fred Beyer, 16. April 1945, Lindendorf bei Seelow

Fred Beyer, 21. Februar 1945, Görlitz

An die Ereignisse nach dem Abschuss seines Panzers hatte Fred Beyer nahezu keine Erinnerungen mehr gehabt. Die den deutschen Kampfwagen nachfolgende Infanterie hatte einen eigenen Panzersoldaten ein paar Meter hinter einem auf dem Gefechtsfeld stehenden „Panther“ auf dem Boden sitzend vorgefunden. Der Mann schien unverwundet zu sein, und der Panzer war äußerlich gesehen nicht beschädigt, aber der Motor lief nicht. Zwei Grenadiere hatten sich um den Soldaten gekümmert, aber dieser hatte auf ihre Ansprache überhaupt nicht reagiert. Bis auf die blutgetränkte Uniformhose am rechten Unterschenkel konnten sie auch keine Verletzungen erkennen. Die Kameraden der beiden Grenadiere hatten den Panzer V passiert und ihnen war dann klar geworden, dass der Panzer getroffen worden war, ohne dass das sofort sichtbar gewesen wäre. Auf der schrägstehenden Bugpanzerplatte konnte man einen breitgespritzten großen Blutfleck sehen, der sich bis auf die Turmstirnwand hochzog. Teile eines Körpers klebten auf dem Panzerstahl, vor dem Fahrzeug lag ein Toter in schwarzer Panzeruniform. An der Turmstirnwand war ein größerer Explosionskrater in Höhe der Sichtmittel des Richtschützen zu erkennen, der Turm an sich und das gesamte Fahrzeug aber schauten stabil aus. Die Männer hatten diese Szenerie ziemlich ungerührt wahrgenommen und waren dann weiter über das schlammige Gelände vorgerückt. Tote sahen sie jeden Tag, und sie waren nur bestrebt nicht zu den Gefallenen oder Verwundeten der immer mehr an Verbissenheit gewinnenden Kämpfe zu werden. Als die deutsche Heeresmaschine noch wie geschmiert funktioniert hatte, war das Sanitätswesen gut organisiert gewesen und die Soldaten konnten davon ausgehen, dass sie so schnell als möglich versorgt werden würden. Anfangs hatten die deutschen Verbände sogar alles darangesetzt, selbst ihre Gefallenen unter großen Risiken zu bergen. Diese Zeiten waren längst vorbei. Wer heute verwundet auf dem Gefechtsfeld liegen blieb musste bei einem Rückzug der eigenen Truppen damit rechnen, von den Sowjets kurzerhand liquidiert zu werden. Allerdings gingen die Russen mittlerweile recht pragmatisch in der Entscheidung über Leben und Tod vor. Ohne dass es in Befehlen explizit erwähnt worden wäre war das einzige Kriterium die Arbeitsfähigkeit der Gefangenen. Leichter Verwundete wurden verschont, diejenigen, die man zwar am Leben hätte halten können, aber mit einer aufwendigen Behandlung ohne Garantie der Aufrechterhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit, wurden getötet. Im voraussichtlich letzten Jahr des Krieges hatte sich auf beiden Seiten so ein verbissener Hass aufgestaut, der fast jede menschliche Regung erstickte. Jeder tote Gegner schwächte die Kräfte der Kontrahenten, allerdings bei den Deutschen erheblich stärker als bei den Sowjets. Diese konnten immer noch auf ein großes Reservoir an Rekruten zurückgreifen. Diese jungen Männer kamen vielfach aus Familien, denen die Deutschen großes Leid zugefügt hatten. Entsprechend brutal fiel deren persönliche Abrechnung mit dem Gegner aus.

Fred Beyers Verwundung war eigentlich recht unerheblich gewesen, aber er war offensichtlich in einer Handlungs- und Sprachbarriere gefangen, denn er äußerte sich nicht und ließ alles willenlos mit sich geschehen. Anhand seiner Papiere war schnell klar geworden, dass es sich bei ihm um einen hochdekorierten und sehr erfahrenen Panzersoldaten handelte, den man an der Front dringend benötigen würde. Die Ärzte hatten aber dringend davon abgeraten ihn baldmöglichst wieder einzusetzen, da sein Schockzustand erst behoben werden müsste. Außerdem wäre er momentan mit starken Beruhigungsmitteln medikamentiert. In dieser Verfassung wäre er nicht in der Lage, einen Panzer oder gar eine Abteilung zu kommandieren. So war Beyer mehr aus Zufall in die Garnisonsstadt Görlitz in die Sanitätsabteilung der dortigen Jägerkaserne verlegt worden, weil dort noch Betten frei waren. Die Kaserne war ein Bau aus den 1850iger Jahren, der anstelle der alten Stadtbefestigung von Görlitz errichtet worden war, und bot 600 Soldaten Quartier. Der Sanitätsbereich war in einem Seitenflügel des alten Gemäuers untergebracht und nur auf die Behandlung leichter Verletzter ausgelegt. Beyers Sedierung war über einige Tage ausschleichend behandelt worden, und dann war er auch wieder bewusst ins Leben zurückgekommen. Aus seinen Beinen waren etliche Metallsplitter entfernt worden, aber das war ein Routineeingriff gewesen. Seine anderen Beschwerden und Funktionsstörungen wären nach Meinung der Ärzte auf einen Ausbruch lange unterdrückter Gefühle und unverarbeiteter Ereignisse zurückzuführen, aber mit der Manifestation des Schockzustandes und dessen Bewältigung nunmehr wieder im Abklingen begriffen. Wenn es Beyer trösten würde sollte er davon ausgehen, dass er dieses Trauma durch eigenes aktives Angehen überwinden könnte, also logischerweise dadurch, dass er sich wieder den auslösenden Situationen stellen würde. Mit anderen Worten: er müsste zurück in den Kampf, der vermutlich sein Wesen in den letzten Jahren geprägt und dominiert hätte. In dieser existenziellen Auseinandersetzung und im Soldatentum würde er wohl zunehmend den Sinn seines Lebens gefunden haben und sich sein Streben nach Erfolgen und Anerkennung dokumentieren. Beyer war das eine viel zu akademische Beschreibung seines Zustandes gewesen, aber im Grunde konnte er dieser zustimmen. Tatsächlich hatte sich bei ihm seit 1939 alles um den Krieg gedreht und sein Leben bestimmt.

In der Kaserne waren Soldaten des Panzergrenadier-Regiment Nr. 30 stationiert, denen Beyer vom Fenster seines Zimmers beim Exerzieren auf dem Hof zusehen konnte. Er lag die meiste Zeit auf dem Bett und registrierte, dass die dämpfende Wirkung der Medikamente aufgrund der abnehmenden Dosierung den Schleier immer mehr von seinen Gedanken nahm. Das große Schlafdefizit hatte er in den vergangenen Tagen etwas abgebaut, und körperlich fühlte er sich gut. Die Ärzte hatten ihm vorsichtiges Gehen im Gebäude verordnet, und so streifte er langsam durch die langen und blankgebohnerten Gänge. Er nahm wahr, wie aufwendig die Kaserne damals errichtet worden war. Die tonnenartigen Gewölbe waren mit Stuck verziert, an der Außenfassade verschiedenste Formen in den Sandstein eingearbeitet worden. Die Stuben der Soldaten waren naturgemäß schlicht, aber einige Räume im Gebäude durchaus mit einiger Pracht ausgestattet. Über allen Örtlichkeiten im Haus hing aber der typische Kasernengeruch: Bohnerwachs und Krautsuppe. Beyer erinnerte sich an die Wochen der Grundausbildung. So wie er es damals empfunden hatte ging es vor allem darum den Rekruten einzubläuen, dass sie als Individuum gar nichts zählten, sondern nur in der Unterordnung in der Gemeinschaft einen Wert haben würden. Folgerichtig wurde zwar der Einzelne für Nichtigkeiten wie ein schlecht gebautes Bett oder Unordnung im Spind bestraft, aber mit ihm zusammen auch immer die gesamte Gruppe. Das Wort dafür hieß Selbsterziehung. Dieses Prinzip zeigte hervorragende Wirkung, denn die jungen Männer trieben sich gegenseitig an, die teils schikanösen Anforderungen zu erfüllen. Die übertriebene Pingeligkeit der Ausbilder führte zu regelrechten Exzessen in Bezug auf die Ordnung und Sauberkeit, und dazu gehörte auch das Bohnern. Beyer konnte noch heute das lange und stupide Schwingen der Bohnerkeule fast körperlich nachfühlen. Aufgrund der simplen Gestaltung dieses Gerätes, ein schwerer meist rechteckiger Metallblock, der an einem mit einem Kugelgelenk verbundenen Stil befestigt war und an der Unterseite Bürsten besaß, war es nahezu unmöglich, die Ecken der Räume oder Gänge bis in den letzten Winkel zu erreichen. Und genau dort suchten die Ausbilder nach Schmutz und ungebohnerten Stellen. Natürlich wurden sie fündig, und dann ergoss sich über die eingeschüchterten Soldaten ein ganzer Schwall übelster Beschimpfungen. Der Einfallsreichtum der Vorgesetzten in Bezug auf Wortschöpfungen und Satzbau war in dieser Hinsicht beachtlich. Sehr beliebt waren zum Beispiel „den Arsch so weit aufreißen, dass ich Ihnen wieder zum Hals rauskucken kann“, „Dreck wie bei den Hottentotten“, „lahmarschige Bande warmer Brüder“ und vieles andere mehr. Die Rekruten gewöhnten sich aber schnell an diese Wutausbrüche und nahmen sie bald nicht mehr so ernst. Beyer hatte in dieser belastenden Zeit aber auch festgestellt, dass sich viele der jungen Männer diesem Ton schnell angepasst, und sich auch ihr Verhalten geändert hatte. Vor nicht allzu langer Zeit hätten sie sich dafür geschämt in der Öffentlichkeit zu furzen oder zu rülpsen, jetzt galt es als Beweis von Männlichkeit. Unter der Decke dieser Ruppigkeiten verbargen sich aber viele Unsicherheiten, die aus einem Mischmasch von Abenteuerlust, Angst vor dem Kommenden und persönlicher Unreife resultierten. Die Schikanen erreichten bei den Rekruten aber eins: sie wurden widerstandsfähiger gegen Belastungen, richteten ihr Verhalten auf die Erfüllung der Befehle aus, und verloren zu einem gewissen Teil ihrer Individualität, weil sie sich als Mitglied einer bestimmten Personengruppe fühlten. In der Wehrmacht wurde viel dafür getan Stolz auf seine Waffengattung zu entwickeln, und sich stets im Vergleich mit anderen Einheiten zu befinden. Das stachelte die jungen Männer an, besser als andere abschneiden zu wollen.

 

Fred Beyer war anfangs mit seiner Kommandierung zur Panzertruppe nicht richtig glücklich gewesen, aber jetzt war er mit ihr regelrecht verwachsen. Nicht umsonst hatte sich auch sein Wunsch entwickelt, nach dem Krieg weiter bei den Streitkräften zu bleiben. Dass es dazu nicht kommen sollte war ihm schon seit einiger Zeit klar geworden, Deutschland würde den Krieg verlieren und danach keine Armee mehr haben. Dass die Ärzte ihm einen Schockzustand als Diagnose nach dem letzten Gefecht attestiert hatten konnte er aus der eigenen Sicht auf sich selbst bestätigen. Die Mediziner wussten aber nicht, dass es weder die Grausamkeit des Erlebten noch Todesangst gewesen war, die Dinge lagen ganz anders. Beyer hatte neben Anton Häber mit Fritz Kwasnik noch einen Kameraden verloren, der ihm außerordentlich viel bedeutet hatte. Die beiden Männer waren zwar grundverschieden gewesen, aber eine Eigenschaft hatte Beyer an ihnen besonders geschätzt: sie waren so sehr pflichtbewusst gewesen, dass sie ihre Aufgaben mit höchster Perfektion erledigen wollten. Ganz ähnlich war Beyers Anspruch an sich selbst, und er hatte ihn bislang gut erfüllt. Das war die eine Seite, die zweite wollte er sich immer noch nicht richtig und auch wirklich eingestehen.

Durch seinen kleinen Wuchs war Fred Beyer in der Schule zum Außenseiter gestempelt worden, aber er hatte mit dem Boxsport dagegengehalten. Nach seinen ersten Erfolgen hätte er sich aus den Mädchen seines Alters eine aussuchen können, aber er tat es nicht, und begründete es mit der ganzen Konzentration auf seinen Sport. Dass das nicht der Wahrheit entsprach wusste er. Es war die Angst vor dem anderen Geschlecht, seine trotz allem Getöse im Sport immer noch vorhandenen Minderwertigkeitsgefühle, und: er fühlte sich zu Frauen nicht wirklich hingezogen. Da er von seiner Art her recht unterkühlt war, konnte er mit der Redseligkeit der Frauen nicht viel anfangen, zumal es meist um recht belanglose Themen ging, die seiner Meinung nach eigentlich keiner größeren Diskussionen bedurften. Dieses Umständliche, das nicht auf den Punkt-kommen, um alles Banale trotzdem irgendein Gewese zu machen, das war ihm suspekt. Als er nach seiner ersten Verwundung im Lazarett von einer Krankenschwester entjungfert worden war hatte er das als einmal notwendig empfunden, um zu wissen wie es ist, aber eben auch nicht mehr. Später war er schon allein zur Triebabfuhr mit seinen Kameraden in den Puff gegangen, aber es war Schauspielerei gewesen, er wollte nicht auffällig werden. Zu dieser Zeit spürte er schon recht deutlich, dass er lieber mit Männern zusammen war. Noch nicht vordergründig im sexuellen Sinn, sondern in der Gemeinschaft. Fred Beyer war klug genug seinen versteckten Neigungen nicht nachzugeben, sie würden ihn ins Gefängnis bringen. Dennoch sah er sich die Männer um ihn herum jetzt genauer an. Anton Häber hatte er für den Inbegriff von Männlichkeit gehalten: stark, pflichtbewusst, ehrlich, schweigsam. Fritz Kwasnik war ein ganz anderer Typ gewesen. Femininer im Gestus, wortgewandt, klug, aber ebenso tüchtig in seiner Funktion wie der ehemalige Dorfschmied Häber. Beyer hatte sich beiden gegenüber diszipliniert und selbst an die Kandare genommen, es sollte rein gar nichts von seiner Orientierung ruchbar werden.

Dass gerade diese beiden Männer getötet worden waren hatte ihn zutiefst getroffen. Nach Häbers Tod hatte er insgeheim heftig getrauert, als Kwasnik gestorben war, war etwas in ihm zerbrochen. Der junge Zirkusmann liebte nach Beyers Überzeugung auch Männer, und er wäre für ihn vermutlich ein guter Partner gewesen. Das war der eigentliche Schock für Beyer gewesen, nicht die Begleitumstände um dieses Ereignis der Tötung herum. Er fühlte sich auch keineswegs in seiner Eignung als Panzerkommandant eingeschränkt und würde unbedingt dem Rat der Ärzte folgen, nämlich schnell wieder in den Kampf zu gehen. Das wäre die richtige Therapie für ihn, denn er wollte auch Vergeltung üben. Ein weiteres eigentliches Ziel seines Kampfes sah er nicht mehr, er würde es um des Kampfes Willen und aus Prinzip tun. Ob er dabei selbst auf der Strecke bleiben würde war ihm fast schon egal.

Vielleicht könnte es auch eine Erlösung sein, denn eigentlich war es unvorstellbar, dass ein schwuler Panzerkommandant mit dem Ritterkreuz um den Hals dem Heldenbild der aktuellen Zeit entsprach.

Günther Weber, 23. Februar 1945, Leipzig

Der Kasernenkomplex in der Nähe der sächsischen Großstadt lag einigermaßen versteckt in einem vorwiegend mit Kiefern bewachsenen Waldgebiet. Diese Nutzbäume waren vor einigen Jahren als Plantage angelegt worden und nicht von selbst aus der Natur heraus entstanden. So war bereits bei der Pflanzung der Setzlinge darauf geachtet worden, das damals noch in der Planung befindliche militärische Gelände so zu gestalten, dass Flächen für Verkehrswege und Gebäude freigehalten wurden. Ende der zwanziger Jahre waren dann die Bauarbeiten begonnen worden und in relativ kurzer Zeit hatte sich dort ein ziemlich ausgedehnter Bereich für die Nutzung durch die Reichswehr entwickelt. Zu dieser Zeit war den deutschen Militärs schon klar gewesen, dass zukünftige Kriege eine viel stärkere Motorisierung als die vergangenen Auseinandersetzungen erfordern würden, und dass vor allem eine Waffengattung eine wichtige Rolle spielen sollte: die Panzerwaffe. Nicht von ungefähr und fast zeitgleich mit dem Baubeginn dieses Komplexes in Sachsen hatte es eine geheime Übereinkunft zwischen der Sowjetunion und Deutschland gegeben, um bei Kasan in einer Kaserne und dem nahegelegenen Übungsgelände eine gemeinsame Panzerschule in Betrieb zu nehmen. Deutsche und sowjetische Soldaten wurden zusammen in der Theorie und der Praxis des Panzerkampfes geschult. Zum Einsatz kamen die ersten Modelle zukünftiger deutscher Kampfwagen, deren wahre Zweckbestimmung hinter Begriffen wie „Landwirtschaftlicher Schlepper“ versteckt wurden. In diesem Kontext war in Deutschland viel Wert darauf gelegt worden, ähnliche Übungsgelände im eigenen Land zur Verfügung zu haben. Der Bereich um Leipzig war für Braunkohlevorkommen bekannt. Die Deckschichten des Bodens bestanden an vielen Orten aus sandigem Material und die Gelände waren ohne größere Erhebungen fast eben. Blickte man von der Mitte Deutschlands aus über die Grenzen auf die Landmassen im Westen und Osten in die zukünftigen Kampfgebiete, fand man ähnliche geologische Bedingungen vor. So gesehen konnte man im Übungsgelände ähnliche Bedingungen wie vor allem im Osten antreffen.

Günther Weber war mit den fünf überlebenden Grenadieren seines Bataillons nach dem Erreichen der eigenen Frontlinie in Ungarn sofort in die Etappe kommandiert worden. Den Stabsoffizieren war vermutlich klar gewesen, welches Martyrium die Soldaten auf sich genommen hatten. Alle sollten für sieben Tage in den Heimaturlaub gehen und sich dann in der Kaserne bei Leipzig melden. Weber hatte die Tage bei seinen Eltern verbracht und deren große Sorge um ihn verspürt. Deswegen war sein Auftreten gespielt optimistisch gewesen und er meinte sie in dem Glauben zurückgelassen zu haben, dass sich alles irgendwie noch zum Guten wenden würde. Als er sich in der Kaserne gemeldet hatte war er direkt in die Standortkommandantur zu einem Brigadeführer befohlen worden. Dort angekommen wurde ihm mitgeteilt, dass er aufgrund seiner Verdienste um Deutschland im Kampf gegen die Feinde des Reiches vom Führer mit der Verleihung des Ritterkreuzes ausgezeichnet worden wäre. Darüber hinaus würde ihm die Ehre zuteil, ein Panzerjagdbataillon aufzustellen, dessen Führung er übernehmen sollte. Das Bataillon würde logischerweise ausschließlich aus SS-Soldaten bestehen, die aus verschiedenen Splitterverbänden und Abgängern von Junkerschulen zu einer schlagkräftigen Truppe geformt werden sollten. Insgesamt würde der Verband um die 320 Soldaten haben, 17 Offiziere und 103 Unteroffiziere. Die drei Panzerjägerkompanien hätten jeweils drei Züge, und diesen sollten wiederum jeweils vier Kampfwagen zugeteilt werden. Zwei Panzer würden der Führungsgruppe der Einheit zugewiesen werden. Insgesamt käme man rein rechnerisch auf 38 Panzerkampfwagen. Leider wäre es so, dass man hier von der Sollausstattung reden würde, aber die momentane Situation in Bezug auf die Zuführung von Material und Menschen würde wohl eher erwarten lassen, dass man real deutlich weniger Fahrzeuge und Soldaten erhalten werde. Etwas tröstlich sei in diesem Zusammenhang die zugesagte Zuführung von acht Jagdpanzern IV und 13 Jagdpanzern 38, die man sinnigerweise als „Hetzer“ bezeichnen würde, sowie von zwei „Jagdpanthern“. Der Stab sollte zwei Panzer IV Ausführung J erhalten. Die Jagdpanzer hätten sich ja bereits vielfach im Abwehrkampf bewährt und wären eine brachiale Waffe, mit denen man den Horden der roten Panzer garantiert Herr werden würde. Insbesondere die „Jagdpanther“ würden gewaltig hinlangen und wo sie auftraten dann kein Gras mehr wachsen. Einige der Kampfwagen wären schon zugeführt worden, und die Besatzungen bereits in der Ausbildung. Die Infanteristen könnten auf die Panzerfaust und den „Panzerschreck“ zurückgreifen, diese Nahkampfwaffen würde es jetzt wie Sand am Meer geben. Während die Panzerfaust ja ein Einwegmodell wäre, könnte der „Panzerschreck“ mehrfach verwendet werden, und wäre wegen des Raketenantriebs erheblich wirksamer und der potentielle Panzerknacker. Für die Bedienung müsste man aber Spezialisten ausbilden. Der Februar wäre nun fast schon vorbei und so wie die Dinge stünden, würde der Iwan sicher demnächst wieder antreten, um Berlin einzunehmen. Er wolle weiß Gott nicht unken, hatte der Brigadeführer zu Weber relativ offen gesagt, aber es würde in den kommenden Wochen sicher um Sein oder Nicht-Sein des Reiches gehen. Weber könnte jetzt Fragen zu seiner neuen Verwendung stellen.

Günther Weber hatte zwar mit der Übertragung des Kommandos über eine Einheit gerechnet, aber keineswegs mit der Befehlsgewalt über so einen speziellen Verband. Da er wusste, dass die Würfel sowie so schon gefallen waren, hätte eine Ablehnung ohnehin keine Erfolgsaussicht mehr gehabt. Dennoch wollte er klarstellen, dass er zwar mit seinen Grenadieren schon immer zusammen mit schweren Waffen im Gefecht gestanden hatte, aber eben noch nie als Kommandeur so einer Waffengattung. Der Brigadeführer hatte sich Webers Einlassung angehört aber dann ärgerlich abgewunken. In dieser Schicksalsstunde des Landes müsse jeder seinen ihm zugewiesenen Platz einnehmen, und er, Weber, wäre ein dermaßen erfahrener und fronterprobter Offizier, dass er diese Aufgabe sicher ohne Tadel ausführen könne. Jetzt würde es darum gehen, den Verband möglichst schnell einsatzfähig zu machen. Der Stab wäre schon formiert worden, und er solle sich für den Anfang an Obersturmführer Langhagen wenden. Diesen Offizier traf Weber im Anschluss an das Gespräch mit dem Brigadeführer ein paar Zimmer weiter entfernt.

„Ja, die Fahrzeuge laufen gerade zu“ hatte der Offizier Weber berichtet „alles fabrikneue Ware. Riecht zum Teil noch nach Farbe. Tolle Dinger. Damit werden wir dem Iwan Moses lehren.“

„Mores“ berichtigte Weber.

Eine Erinnerung an den Lateinunterricht in der Schule blitzte auf. Sein phantastisches Gedächtnis sagte Weber, dass „mores“ so viel wie Sitte oder Anstand bedeutete. Wenn er auf die Schulzeit zurückblickte dachte er sich, dass Lehrer und Schüler gemeinsam viel Zeit und Kraft investiert hatten, um Wissen zu vermitteln, und zu erlangen. Alles hatte das Ziel gehabt die jungen Menschen darauf vorzubereiten einen Beruf erlernen zu können oder gar zu studieren. Auf dieser Basis hätten sie sich einen Partner suchen und eine Familie gründen können. Weber hatte sich noch nie in Grübeleien über den Sinn des Lebens verloren. Für ihn sah es so aus, dass er vielleicht einen winzigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Mathematik hätte leisten können. Stattdessen war er über die Zeit des Krieges hin zu einem kaltblütigen Krieger mutiert, der seine Fähigkeiten dahingehend perfektioniert hatte, andere Menschen möglichst effektiv zu töten. Das belastete ihn kaum, schließlich dachten und handelten seine feindlichen Gegenüber genauso. Gefühlsduseleien waren Weber schon immer fremd gewesen, und deswegen kamen irgendwelche moralischen Bedenken nicht an ihn heran. Er hatte einen neuen Auftrag, und er würde ihn gut erfüllen.

 

Weber hatte seine in der Aufstellung befindliche Einheit bei einem Apell inspiziert. Die Kampfwagen waren tatsächlich neu und für den Apell extra gereinigt worden. Die Besatzungen hatten daneben Aufstellung genommen, die Grenadierzüge standen perfekt in Reih und Glied. Alles machte auf Weber einen hervorragenden Eindruck. Er war in einer Ansprache an die Truppe kurz auf deren Auftrag und die Wichtigkeit eines Erfolges eingegangen. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass die überwiegende Anzahl der Infanteristen blutjunge Männer waren. Sicher brachten sie die notwendige Motivation für den Kampf mit, aber das konnte die fehlende Erfahrung nicht ersetzen. Viele von ihnen würden in den nächsten Wochen sterben. Möglicherweise ahnten sie das selbst, aber sie waren fast ihre gesamte bisherige Lebenszeit im Geiste des Nationalsozialismus erzogen worden. Deswegen war es für sie selbstverständlich für ihr Vaterland zu kämpfen, und wenn es nicht anders ging, auch ihr Leben zu opfern. Vorher würden sie aber mit wilder Entschlossenheit gegen den Feind vorgehen, so wie es viele andere junge SS-Männer schon an der Invasionsfront in Frankreich oder anderswo getan hatten. Der Widerstand dieser fanatischen Kämpfer würde den Gegner große Verluste kosten.

Weber beobachtete die Übung des Bataillons von einer etwas erhöhten Stelle des Geländes aus. Ziel war es, das Zusammenwirken der Panzerjäger und der Grenadiere zu trainieren. Egal ob es sich bei den Panzerfahrzeugen um Angriffspanzer oder Panzerjäger handelte, sie mussten im Nahbereich durch die Infanterie geschützt werden. Gerade schob sich einer der beiden „Jagdpanther“ in Webers Blickfeld und blieb ungefähr 30 Meter vor ihm und den anderen Beobachtern sanft federnd stehen. Günther Weber würde sich selbst nicht als Ästhet bezeichnen, dazu war er zu rational veranlagt. Aber er hatte ein natürlich gegebenes Gefühl für die Stimmigkeit von Formen und Proportionen. Der in seiner Sichtachse stehende Panzer war ein Koloss. Mit der weit über das geneigte Bugblech herausragenden Kanone war er knapp 10 Meter lang, 2 Meter 70 hoch, fast 3 Meter 50 breit, 45 Tonnen schwer. In der Seitenansicht kam die ballistisch hervorragende Formgebung gut zur Geltung. Die gesamte Fahrzeugfront von der Wanne bis zur Oberkante des Aufbaus verlief in einer 35 Grad geneigten Frontplatte. Auch die Seitenwände und das Heckblech waren abgeschrägt. An diesem Fahrzeug gab es keine einzige senkrecht stehende sichtbare Fläche. Rein mathematisch musste Weber nicht groß über den Vorteil geneigter Panzerplatten nachdenken, deren effektive Panzerungsstärke infolge der Geometrie größer als die physikalische Dicke der Panzerung ist. Weiterhin konnten mit schrägliegenden Panzerungen bessere Ablenkungseffekte der Geschosse erreicht werden. Abgesehen von diesen Überlegungen erschien Weber das Fahrzeug wie ein konstruktiv gut gelungener Körper, dessen Proportionen Stärke und Widerstandskraft ausdrückten. Weiter hinten erkannte Weber vergleichsweise kleine Panzer, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem „Jagdpanther“ aufwiesen. Es waren „Jagdpanzer 38 (t)“, „Hetzer“ genannt. Offensichtlich hatten der Entwicklung dieses Fahrzeuges die gleichen Konstruktionsprinzipien wie bei dem größeren Fahrzeug zugrunde gelegen. Sofort fielen allerdings die Größenunterschiede ins Auge, die auch bei der Waffe deutlich wurden. Der „Jagdpanther“ wirkte wie ein ausgewachsener Elefantenbulle, der „Hetzer“ wie sein Kind. Dennoch waren beide Fahrzeuge für die Gegner höchst gefährlich, auch das kleinere. Bei aller Begeisterung über diese Fahrzeuge sagte sich Weber aber auch, dass die Konzentration auf solche Typen das Eingeständnis eines Scheiterns war. Mit den Jagdpanzern wurde ein defensiver Ansatz verfolgt, es ging nur noch um das möglichst lange Standhalten. Eventuell würden sich die Sowjets an diesen Panzern die Zähne ausbeißen, aber besonders realistisch war das nicht. Dazu waren die Kräfteverhältnisse mittlerweile viel zu ungünstig für die Deutschen, und mit jedem weiteren Tag wurden sie noch schlechter. Weber würde den Soldaten aber dennoch unerschütterlichen Optimismus vermitteln denn er war selbst nicht bereit, sich jetzt schon geschlagen zu geben. Obwohl die Zeitgeschichte einige unerwartete Wendungen bereitgehalten hatte glaubte er nicht mehr an einen Umschwung, aber er hielt es mit dem Motto auf seinem Koppelschloss:

„Meine Ehre heißt Treue.“

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