Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 17

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Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 17
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Impressum

Drei Musketiere

Eine verlorene Jugend im Krieg

Band 17

1944

Copyright: © 2018 Frank Hille

Published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

Günther Weber, 3. Februar 1944, Korsun

Martin Haberkorn, 4. Februar 1944, vor Grönland

Fred Beyer, 4. Februar 1944, bei Warschau

Günther Weber, 5. Februar 1944, Korsun

Martin Haberkorn, 8. Februar 1944, vor Grönland

Fred Beyer, 8. Februar 1944, bei Warschau

Martin Haberkorn, 10. Februar 1944, vor Grönland

Günther Weber, 10. Februar 1944, Korsun

Fred Beyer, 12. Februar 1944, Besidka

Martin Haberkorn, 13. Februar 1944, vor Grönland

Fred Beyer, 13. Februar 1944, nach Lysjanka

Günther Weber, 13. Februar 1944, Korsun

Martin Haberkorn, 14. Februar 1944, vor Grönland

Günther Weber, 15. Februar 1944, Korsun

Fred Beyer, 15. Februar 1944, vor Lysjanka

Martin Haberkorn, 15. Februar 1944, vor Grönland

Günther Weber, 15. Februar 1944, nach Lysjanka

Fred Beyer, 15. Februar 1944, vor Lysjanka

Günther Weber, 3. Februar 1944, Korsun

Die vergangenen Wochen hatte Günther Weber wie eine nicht abreißende Kette von Schlägen in die Magengrube und auf den Solarplexus, hinterhältige Tritte in die Kniekehlen und den Rücken sowie ständige Nackenschläge empfunden. Er hatte zwar eine energisch vorgehende Rote Armee erwartet, aber welche Angriffswucht die Sowjets an den Tag gelegt hatten war für ihn dennoch überraschend gewesen. Die Russen waren im Oktober von der Ostseite des Dnjepr her angetreten und hatten den Fluss in nahezu selbstmörderischen Operationen und unter grausam hohen Verlusten an einigen Stellen forcieren und Brückenköpfe bilden können. Er selbst war mit seinen Männern in ihrem Verteidigungsabschnitt diesem Ansturm ausgesetzt gewesen und sie hatten weder die Soldaten noch die Waffen gehabt, um dem Gegner erfolgreich Paroli bieten zu können. Im Ergebnis des Angriffs waren die deutschen Truppen immer weiter nach Westen gedrängt worden und durch diese Absetzbewegungen ging auch viel wertvolles Material verloren weil Zugmaschinen fehlten. Weit schwerer wogen aber die Verluste an Männern, die kaum noch durch Ersatz ausgeglichen werden konnten. Im Durcheinander der Kämpfe waren Verwundete zurückgelassen worden, Einheiten zersprengt und eine Abwehrlinie, die diesen Namen gerecht geworden wäre, nicht mehr vorhanden. Vielmehr war es in diesem schlechten Winterwetter zu mehr oder weniger planmäßigen Verschiebungen der deutschen Truppen gekommen, die von den anbrandenden Wellen der T 34 und Rotarmisten nach Westen getrieben worden waren.

Der Oktober und der November 1943 hatten den deutschen Verbänden einen bitteren Vorgeschmack auf die kommenden Ereignisse geliefert. Bis zum 14. Oktober hatte der Brückenkopf bei Saporoshje gegen die 3. Ukrainische Front gehalten werden können, dann waren die Sowjets bei Dnepropetrowsk durchgebrochen. Am 3. November waren die Truppen der 1. Ukrainischen Front zur Kiewer Operation angetreten und schon am 6. November war die Stadt vollständig in russischer Hand gewesen. Die 4. deutsche Panzerarmee stand noch bis Ende Dezember mit ihrem rechten Flügel am Dnjepr, aber am 14. Dezember war Tscherkassy durch das 73. russische Schützenkorps eingenommen worden. Wenn man Kiew und Tscherkassy als Angeln einer Tür betrachtete, klaffte diese jetzt weit nach Westen auf, und wies den Weg auf die Gegend Korsun/Boguslaw. Am 24. Januar 1944 hatte die 2. Ukrainische Front aus dem Osten kommend auf Schapol eingedreht, die 1. Ukrainische Armee war auf Swenigorodka vorgegangen. Obwohl das III. und XXXXVII. Panzerkorps der Deutschen am 27. Januar von Süden her die Flanke der Sowjets angegriffen hatte, konnten sich die russischen Angriffskeile am 28. Januar vereinigen und 6 komplette deutsche Divisionen sowie Teile von weiteren vier Verbänden mit fast 60.000 Mann einschließen. Auch Günther Weber und seine Männer steckten im Kessel.

Eine rudimentäre Versorgung konnte durch einen Feldflugplatz bei Korsun noch aufrechterhalten werden, aber würde niemals eine stabile Ausstattung der Truppe mit Munition, Verpflegung und Betriebsstoff sichern können. So gesehen sah Günther Weber durchaus jetzt schon Parallelen zu den Entwicklungen in Stalingrad vor sich. Zwar waren nicht so viele Einheiten eingeschlossen worden, aber auch für diese würde die verbleibende Kampfkraft entscheidend sein, um ein Eindrücken und Ausräumen des Kessels zu vermeiden. Er ging auch von einem gleichen Szenario aus, welches auf den Aufbruch der Einkreisung durch eigene Truppen von außen setzte. Damit lag er durchaus richtig, denn im Süden des Kessels hatten die 1. Panzerarmee und die 8. Armee eine neue Front gebildet. Zusätzlich waren die 1., die 16. Panzerdivision sowie die 1. SS-Panzerdivision in diesem Gebiet eingetroffen und auch noch vier Panzerbataillone sowie 3 Sturmgeschützbrigaden. Jetzt konnte theoretisch auf die russischen Truppen, die den südlichen Kesselrand bedrohten, aus zwei Richtungen Druck ausgeübt werden: von den Eingeschlossenen, und von den außen noch frei operierenden anderen deutschen Verbänden. Das war aber mehr eine Wunschvorstellung, denn die im Kessel befindlichen deutschen Einheiten waren einerseits beim Rückzug schon geschwächt worden und hatten auch viele schwere Waffen zurücklassen müssen. Sie waren eigentlich nur noch in der Lage, den schlagkräftigen Attacken der Sowjets einigermaßen standhalten. Trotz des verbissenen Widerstandes wurde der Kessel aber täglich immer mehr zusammengedrückt.

Günther Weber und seine Männer lagen diesmal in den schnell ausgehobenen Gräben der zweiten Linie. Ganz vorn waren zusammengewürfelte Einheiten aus versprengten Truppen und Etappensoldaten postiert worden und Weber wusste sehr genau, warum diese wenig erfahrenen und kampfkräftigen Männer in der ersten Linie standen. Sie waren nichts weiter als Menschenmaterial, Wellenbrecher aus Knochen, Fleisch, Blut und Haut gegen die anstürmenden Sowjets. Sie würden der Sturmflut etwas von ihrer Gewalt nehmen, aber sie niemals aufhalten können. Ein Prokurist eines Unternehmens würde ein „können wir schon mal ausbuchen“ murmeln und eine ausbleibende Zahlung in seinen Geschäftsbüchern abschreiben. Wer hier zahlen würde war klar: Familienväter, Söhne, Onkel, Schwäger, Cousins, alles einfache Leute, bis auf die Unteroffiziere und Offiziere, deren Geschäft der Krieg war. Sie hatten sich für diesen Beruf entschieden, und jetzt mussten sie die Konsequenzen tragen. Auch Günther Weber hatte sich freiwillig zur SS gemeldet und für ihn hatte es immer außer Frage gestanden, dass er eventuell im Kampf sterben könnte. Die Sowjets hatten Unmengen von Flugblättern abgeworfen und Weber hatte den Text von einem überflogen. Das was er las glaubte er durchaus. Die Russen forderten die deutschen Einheiten zur Einstellung des Kampfes auf, denn der Kessel wäre in nordwestlicher und südöstlicher Richtung zwar noch gut 40 Kilometer lang und etwa 20 Kilometer breit, aber er würde jeden Tag mehr eingedrückt werden. Das entsprach den Tatsachen, denn der Gegner nutzte seine schlagkräftige Artillerie wie gewohnt aus und beschoss die eingeschlossenen Einheiten heftig. Weber rauchte eine Zigarette und nahm ein Anschwellen der Kanonade wahr. Das war eigentlich immer das Vorzeichen eines Angriffes. Jetzt paukten die Granaten noch vor der ersten Linie in den Boden und dann wanderte die Feuerwalze weiter auf die deutschen Stellungen zu. Weber war wie die anderen Soldaten abgetaucht aber war sich sicher, dass bald Panzer und Infanterie auf dem Gefechtsfeld erscheinen würden. Weiter hinter ihnen standen einige für den Erdkampf vorbereite Acht-Acht-Flak sowie etliche PAK 40 in etwas Deckung gebenden Gruben. Nur die Schutzschilde und die Rohre sowie die Zieleinrichtungen ragten daraus hervor. Es war schon jetzt zu erwarten, dass diese schweren Waffen zurückgelassen werden mussten, denn es gab weder ausreichend viele Zugmaschinen, noch den notwendigen Betriebsstoff für diese Fahrzeuge.

Es war neblig, und das erlaubte es den Russen, relativ ungestört nah an die deutschen Verteidigungsstellungen heranzukommen. Noch vor der ersten Linie lagen die Soldaten des Strafbataillons, sie waren nur mit Panzerfäusten und Karabinern ausgerüstet. Weber hörte das Rasseln von Panzern. Noch waren die Geräusche weiter weg und er vernahm auch zwei mächtige Explosionen, aber bald würden diese Fahrzeuge mit den aufgesessenen Infanteristen sichtbar werden. Es gingen immer weniger Granaten hoch, gleich würde das Gefecht auf geringe Distanz beginnen. Ungefähr 200 Meter vor der ersten deutschen Linie stießen die T 34 aus dem Nebel heraus. Sekunden später peitschten die Panzerabwehrkanonen los. Auf der Bugplatte eines Panzers blitzten Funken auf, aber die Granate prallte ab und stieg jaulend in den Himmel. Das neben ihm vorrückende Fahrzeug erhielt einen Treffer in die Turmseitenwand und explodierte. Die Panzer schossen zurück und Weber sah nach rechts blickend, dass eine PAK 40 einen Volltreffer auf den Schild abbekommen hatte und die Männer von glühenden Splittern durchsiebt worden waren und tot auf dem Boden lagen. Jetzt begannen auch die Schützenwaffen zu klackern und die MG 42 ratterten los. Als die ersten T 34 fast den vordersten Graben erreicht hatten sprangen einige deutsche Infanteristen voller Panik daraus hervor und Weber wusste, dass sie gleich tot sein würden. Er konnte die Angst verstehen, wenn ein aus allen Rohren schießender 31 Tonnen schwerer Stahlkoloss auf einen zurollte. Aber die Deckung zu verlassen und sich nicht überrollen zu lassen war ein Fehler, der das Leben der Männer kosten würde. Die beiden 7,62-Millimeter-MG der Panzer spuckten ihre Geschosse in die Rücken der nach hinten flüchtenden Soldaten. Diejenigen, die noch im Graben geblieben waren, gerieten jetzt in den Nahkampf mit der russischen Infanterie. Aus seiner Deckung konnte Weber sehen, wie ein hünenhafter Russe einen auf der Grabenbrüstung stehenden deutschen Soldaten mit dem langen Bajonett seines Karabiners regelrecht aufspießte und ihn mit aller Kraft auf den Boden nagelte. Voller Hass legte Weber an und schoss dem Mann in die Seite, er fiel auf die Erde. Am gesamten Frontabschnitt gingen die Männer aufeinander los. Panzer kurvten im Gelände umher, wurden von den deutschen PAK beschossen, fingen Feuer, explodierten, blieben mit im Inneren von Splittern der Panzerung und der Geschosse grausam verstümmelt Leichen liegen, hackten MG ihre Kugeln in Körper.

 

Soldat Bernd Lange hatte den Krieg bislang nur in der Etappe verbracht und seinen Posten als Schreiber in einer Nachschubeinheit trotz der oft gähnenden Langeweile immer für ein Glück gehalten. Die Tage waren recht gleichförmig verlaufen und es gab keine Überraschungen, außerdem war die Nähe zum Lager ausgesprochen günstig, da es sich bei den Gütern nicht um Munition oder Treibstoff, sondern um Lebensmittel handelte. So gesehen saß er an der Quelle und er war recht einfallsreich, sich seinen Teil mit ein paar Kniffen zu sichern. Er war immer gut mit Wurst und Schnaps versorgt, und da sein vorgesetzter Feldwebel ein schwerer Alkoholiker war, der schon am Vormittag betrunken war, führte er eigentlich den Laden und hatte keine Mühe, Inventarlisten zu manipulieren. An seine Frau gingen regelmäßig Pakete mit Konserven ab. Irgendwie war er aber zu selbstsicher gewesen und vor drei Tagen war er knapp der Erschießung entgangen, denn bei einer Kontrolle hatten sich doch recht erhebliche und von ihm nicht zu erklärende Differenzen im Lagerbestand ergeben. Er hatte noch versucht dem Feldwebel den schwarzen Peter zuzuschieben aber es lag ziemlich klar auf der Hand, dass er der Verantwortliche für den Schwund gewesen war. Man hatte ihn aber nicht hingerichtet, sondern als „bedingt wehrwürdig“ eingestuft. Das bedeutete seine Eingliederung als „Bewährungsmann“ in ein sogenanntes 500er Bataillon. In diesen Einheiten dienten gut ein Viertel ausgesuchter Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten, die die Straffälligen befehligten und überwachten. Bewährungsdruck und Bewährungswille der Delinquenten sorgten für eine durchaus hohe Kampfkraft dieser Verbände, aber auch für enorm hohe Verluste. Lange war froh noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein, aber er wusste auch, dass er dort eingesetzt werden würde, wo es am Gefährlichsten war.

Zusammen wie die anderen Männer seines Bataillons hatte er gut 100 Meter vor der ersten Linie ein Schützenloch ausheben müssen und ein ihn vor Widerwillen fast anspuckender Unteroffizier hatte ihm zwei Panzerfäuste übergeben. In einem Abstand von knapp 20 Metern hockten die Männer in ihren Deckungen. Lange wusste, dass er in der Falle saß. Nach vorn konnte er nicht türmen, die Russen würden ihn erschießen, hinter ihm lagen seine Aufpasser. Er hatte sich ungesehen ein Flugblatt der Sowjets geschnappt, in den Bund seiner Hose geklemmt und hoffte, damit eine Fahrkarte in ein Gefangenenlager zu besitzen. Vor gut drei Stunden war der Mann rechts neben ihm aus dem Loch gekrochen und an den Boden gepresst auf die russischen Stellungen zu geglitten. Er war nicht weit gekommen, denn unter seinem Körper war eine Mine explodiert. Das Gebrüll des Schwerverwundeten war unerträglich gewesen und nach einer Weile in ein noch gut zu hörendes Röcheln und Wimmern übergegangen. Der Mann war qualvoll gestorben, erst nach 15 Minuten war er still geworden. Lange bezweifelte, dass die Russen im Nahkampf das Flugblatt erkennen und als Zeichen, dass er sich ergeben wollte, ansehen würden. Dann hatte er sich gesagt, dass es wohl das Beste wäre in seinem Bereich einen oder zwei Panzer abzuschießen, und sich dann in der Hoffnung tot zu stellen, dass sie die Linie halten könnten. Wenn er so einen Stahlkoloss vernichten könnte wäre das ja Ausdruck dafür, dass er seine Verfehlung durch Tapferkeit gesühnt hätte. Lange hatte vor dem Krieg als Buchhalter gearbeitet und konnte damit naturgemäß ganz gut mit Zahlen umgehen. Die Panzerfaust 30 wurde seit dem August 1943 bei der Truppe verwendet. Er wusste, dass das etwas über drei Kilogramm schwere Hohlladungsgeschoss 30 Meter in der Sekunde zurücklegte, die wirksame Schussweite 30 Meter betrug, und im Falle eines günstigen Treffers 200 Millimeter Panzerstahl durchschlagen konnte. 30 Meter in der Sekunde entsprachen theoretisch 1.800 Metern in der Minute oder 108 Kilometern in der Stunde. Gut, das schafften moderne PKW auch schon. Aber hier kam es darauf an, die Nerven zu bewahren und aus kurzer Distanz zu treffen. An T 34 hatte er einige zerstörte Exemplare gesehen und rief sich den Aufbau des Panzers vor Augen. So wie er es gehört hatte war der geneigte Bug sehr widerstandsfähig gegen Beschuss. Er hatte nur zwei Versuche und konnte nicht experimentieren. Also wollte er das Feuer mehr aus der Flanke auf die Seitenpanzerung eröffnen. Es schneite immer noch und er trug Handschuhe, die würde er später ablegen müssen um das Visier hochklappen und den Abzug betätigen können.

Noch war es bis auf das übliche Störfeuer relativ ruhig, aber er fuhr jedes Mal zusammen, wenn eine Granate explodierte. Nur in der Grundausbildung hatte er ein paar Mal mit dem Karabiner geschossen, ansonsten war er militärisch vollkommen unbeleckt. Er hatte sich in seiner warmen Schreibstube mehr als ein Beamter gefühlt, dem 17 Uhr der Stift aus der Hand fiel und der sich dann seiner Freizeit hingeben konnte. Er hatte es auch für besonders schlau gehalten, andere Soldaten des Lagers an seinen Schummeleien zu beteiligen um sich so auch von ungeliebten Diensten freizukaufen zu können. So wurde er am Nachmittag von niemandem behelligt und konnte tun und lassen was er wollte. Er bastelte, las, spazierte im Sommer durch den Ort, lag auf seinem mit frischer Wäsche bezogenen Bett. Lange war 23 Jahre alt und litt unter der Trennung von seiner Frau. Eines Tages hatte ihn der Teufel geritten und er hatte für ein paar mitgebrachte Lebensmittel mit einer Russin im Wald geschlafen. Die junge Witwe hatte drei Kinder durchzubringen und sich ihm aus purer Not hingegeben. Er traf sich im Sommer regelmäßig mit ihr. Als er später von ihr erfuhr dass sie schwanger sei reagierte er panisch. Wenn das herauskommen sollte hätte das schreckliche Folgen für ihn. Verzweifelt durchdachte er die Situation immer wieder nach allen Richtungen aber kam zu keinem anderen Schluss, dass er die Frau beseitigen musste. Aus der Waffenkammer ließ er einen vollen Ladestreifen für seine Pistole mitgehen und absolut kaltblütig erschoss er die Frau beim nächsten Treffen im Wald. Er warf etwas Reisig über die Leiche und war sich sicher, dass sie nie gefunden werden würde. Am Abend schrieb er einen Brief an seine Frau und berichtete von seiner Sehnsucht nach ihr.

Die Artillerie schoss jetzt heftiger und Lange hockte in seinem Loch. Wut kam in ihm auf, denn irgendjemand aus dem Lager hatte ihn hochgehen lassen. Dabei war es doch für alle eine gute Lösung gewesen, so wie er gehandelt hatte. Bei dem riesigen Bestand fielen ein paar fehlende Konservendosen und Schnapsflaschen eigentlich gar nicht auf. Du warst immer ehrlich zu anderen dachte er selbstmitleidig, und dann so was. Dann hörte er Motorengeräusche, sie kamen.

Dass er sich gerade eingenässt hatte nahm er in der Aufregung nicht wahr.

Martin Haberkorn, 4. Februar 1944, vor Grönland

Als Haberkorn nach dem Auslaufen das Einsatzziel bekannt gegeben hatte war die Stimmung der Männer im Boot auf einen Tiefpunkt gesunken. Das Boot sollte zwischen der Labradorsee südlich von Grönland und dem Nordatlantik Suchstreifen schlagen und möglichst von der amerikanischen Westküste ausgehende Geleitzüge aufspüren. Dass dieses Gebiet einer starken Luftraumüberwachung unterlag musste man niemandem an Bord sagen.

Mitte Oktober im vergangenen Jahr hatten sie diese Stärke des Gegners direkt erleben müssen. Mit der Übergabe von Ersatzteilen, Treibstoff und Proviant durch eine „Milchkuh“ in der Nähe der Azoren sollten die Einsatzdauer und der Einsatzradius des Bootes nochmals erweitert werden. Dieser Befehl des BdU hatte die Männer an Bord wie ein Schlag in die Magengrube getroffen, denn das Boot war schon wegen eines Motorschadens auf Heimatkurs gewesen. Mit den dann verfügbaren Ersatzteilen konnte der Backborddiesel mit Bordmitteln repariert werden. Haberkorn hatte die Besatzung wieder zur Disziplin aufrufen können, aber auch der Einsatz der Männer hatte nichts daran ändern können, dass sie bei den folgenden Angriffsversuchen fortlaufend abgedrängt worden. Die Bedrohung aus der Luft hatte ein Maß angenommen, die einen Unterwasserangriff am Tag zu einer selbstmörderischen Angelegenheit werden ließ, da die Silhouette wenige Meter unter der Wasseroberfläche gut zu erkennen war. Auch die Überwassereinheiten hatten enorm an Schlagkraft gewonnen und vor allem verschiedene Jagdtaktiken, je nach Situation, entwickelt. Einmal aufgespürt war es für die Boote immer schwieriger geworden die Verfolger abzuschütteln, und die Verlustzahlen schnellten wieder in die Höhe. Dazu kam auch, dass immer mehr Eskortschiffe seit dem Frühsommer 1943 mit Hedgehog-Wasserbombenwerfern ausgerüstet worden waren. Diese Werfer hatten sich sehr schnell als äußerst effektive Waffe bewiesen, denn es kam nur bei einem Direkttreffer auf das Boot zur Explosion der Sprengkörper, was vor allem die Ortungsmöglichkeiten deutlich verbesserte. Haberkorn hatte bei seinen Angriffen feststellen müssen, dass die Boote schon weit entfernt von den Geleitzügen von Flugzeugen oder Schiffen geortet werden konnten. 10.000 bis 20.000 Meter waren mittlerweile Standard geworden, und diese Strecke bis zur lockenden Beute der Handelsschiffe ungefährdet zurückzulegen verlangte von den Männern an Bord der U-Boote einen großen Batzen Glück, höchste Risikobereitschaft und Können. Aber eigentlich waren sie nahezu chancenlos. An der Oberfläche reichte ihre Geschwindigkeit nicht aus, sich den schnellen Zerstörern, Fregatten oder Sloops zu entziehen. Dann wurden sie gerammt, mit den Bordwaffen beschossen oder mit flach eingestellten Wasserbomben bekämpft. Unter Wasser kamen die Boote nur begrenzte Zeit und mit einer erbärmlich geringen Geschwindigkeit voran. Waren sie entdeckt worden begann das übliche Spiel, mit wechselnden Tiefen, Kursen und Geschwindigkeiten zu operieren. Angeschlagene und zum Auftauchen gezwungene Boote sahen sich an der Oberfläche dann oft von Überwasserschiffen eingekreist, die alle Mittel anwendeten, um den verhassten Feind zu versenken. Dass den von den absackenden Booten ins Wasser gesprungenen Männern bei Wasserbombenexplosionen die Lungen zerrissen wurden war eben so: es war Krieg.

Haberkorn hatte sich beim Rückmarsch nach mehreren erfolglosen Anläufen noch einmal das KTB angesehen. Er hatte vermerkt:

„16.10.1943,

11 Uhr 25:

Horchpeilung in 335 Grad, Entfernung 27.000 Meter. Geleitzug, Kolbenmaschinen. Sparsamer Sehrohreinsatz beim Zulaufen auf Geräusche mit halber Fahrt. Seegang 3, Sehrohr schneidet immer wieder einmal unter. Durch Luftzielsehrohr in 25 Grad Seeaufklärer erkannt, vermutlich PBY Catalina. Alarmtauchen auf 60 Meter, da Maschine auf 10 Grad eindreht. 30 Minuten Unterwassermarsch mit kleiner Fahrt auf Horchpeilung zu. Geräusche jetzt in 15 Grad, 18.000 Meter Entfernung. Auf Sehrohrtiefe gegangen, Luftraumbeobachtung. Kursänderung auf 50 Grad zum Vorsetzen im Unterwassermarsch. Wegen Tageslicht und guter Sicht auf 40 Meter Tiefe marschiert. Hochpeilung, Turbinengeräusche in 330 und 25 Grad, vermutlich schon Nahsicherung. Bleibe auf 40 Meter. Kurs Geleit mitgekoppelt, zackt und geht dann wieder auf Generalkurs 25 Grad. Geschwindigkeit zirka 6 Knoten. Abstand zum Geleit zirka 14.000 Meter. Setze mich mit großer Fahrt weiter vor. Turbinengeräusche kommen um

 

12 Uhr 13 näher. Wandern dann nach 270 Grad aus. Weiter Unterwassermarsch. Um

12 Uhr 46 zackt Geleit nach 45 Grad, so dass ich plötzlich spitz dazu stehe. Entfernung verringert sich schnell. Sehrohrtiefe trotz Luftgefahr. Erkenne bei Rundblick drei Kolonnen in rechtsweisend jetzt 55 Grad. Entfernung jetzt 8.000 Meter. Zerstörer läuft an Steuerbordseite mit hoher Fahrt entlang und geht zur Spitze. Unerwartet dreht er kurz davor auf 190 Grad. Weggetaucht auf 80 Meter. Um

13 Uhr 09 fallen vier Wasserbomben. Liegen an Backbord zu tief, so dass nur leichte Erschütterungen zu spüren sind. Drehe nach Steuerbord ab und gehe auf 140 Meter. Asdic-Ortung. Schleichfahrt. Turbinengeräusche kommen aus 340 Grad wieder näher, dann Anlauf. Auf 25 Grad gegangen, Bolde ausgestoßen. Vier recht nahe liegende Wasserbomben. Glasbruch. Leichte Leckage Abgasdieselklappe. Zweites Schraubengeräusch gehorcht, diesmal aus 65 Grad. Vermute, dass Zerstörer an Backbord ortete und Zerstörer an Steuerbord per Funk leitet. Gehe auf 180 Meter, und um

13 Uhr 17 fallen vier Wasserbomben, die sehr nah explodieren. Ruderanlage blockiert kurz, auf Handbetrieb umgekuppelt. Hinterer Tiefenmesser ausgefallen. Leichte Gasentwicklung, zwei Zellen gerissen. Drehe von Geleit ab um mich Verfolgung zu entziehen. Gehe auf 90 Meter, zwei Bolde ausgestoßen und tauche dann auf 175 Meter. Schleichfahrt. Asdic pingt wieder, Anlauf aus 210 Grad. Um

13 Uhr 26 fällt Wasserbombenteppich an Backbordseite, der Boot mit 25 Grad kurz krängen lässt. Weiterer Glasbruch. Hinteres Tiefenruder klemmt, Handsteuerung. Nach 20 Minuten, um

13 Uhr 45 läuft Zerstörer wieder an, diesmal aus 15 Grad. Komme durch Kurswechsel und beide AK unter dem Teppich noch gerade weg und laufe weiter ab. Um

13 Uhr 58 sind Turbinengeräusche nicht mehr in der Nähe zu horchen, laufe weiter ab um Schäden zu beseitigen. Horchpeilung um

14 Uhr 15, Geleit ungefähr in Entfernung 21.000 Meter auf Generalkurs. Bin weit abgedrängt worden aber kann wegen Tageslicht nicht auftauchen. Kleine Fahrt in 50 Meter Tiefe. Repariere. Gehe auf Parallelkurs zum Geleit aber erhöhe Entfernung auf 25.000 Meter. Bis

17 Uhr 45 passiert nichts. Halte Fühlung. Batteriekapazität 43 Prozent, CO2 Gehalt 0,7%, O2 Gehalt 26%. Wachfreie auf Kojen, Kalipatronen. Sauerstoffergänzung über Gasflaschen. Entschließe mich zum Laden und Lufterneuerung um

22 Uhr 20 nach Horchpeilung aufzutauchen. Gehe mit großer Fahrt Diesel wieder auf Parallelkurs zum Geleit, da wird um

22 Uhr 47 Motorengeräusch in 275 Grad gehört. Alarmtauchen. Bei 40 Meter Tiefe fallen um

22 Uhr 49 zwei Bomben, aber Einschlag weit achteraus. Bleibe bis

23 Uhr 15 getaucht, dann wieder hoch. Nacht ist sehr hell, Seegang 3. Staffele wieder ran und versuche mich vorzusetzen, aber um

0 Uhr 18 werden wir von Fregatte vermutlich mit Radar in 8.000 Metern Entfernung geortet und unter Wasser gedrückt. Wabo-Verfolgung über 3 Stunden, 47 Wabos, erhebliche Schäden, aber Boot ist tauchklar, dann läuft Gegner ab. Rieche beim Auftauchen um

4 Uhr 10 Öl. In heller Nacht schimmert Ölspur und ist deutlich zu erkennen. Backbordbunker undicht. Entschließe mich zum Rückmarsch, da verräterische Ölspur auch noch

5 Uhr 20 gut zu sehen ist. Laufe über Wasser mit Höchstfahrt vom Kurs des Geleits ab.“

Der Rückmarsch war trotz des undichten Treibölbunkers relativ unproblematisch gewesen und das Boot sofort ins Dock gebracht worden. Dort hatte sich herausgestellt, dass einige Druckkörperspanten ausgetauscht werden mussten. Haberkorn hatte damit gerechnet, denn bei einer der langen Wasserbombenverfolgungen hatte er das Boot erst bei 225 Metern Tiefe abfangen können. Die Sicherheitsreserven des Bootes nahmen bei seinen Entscheidungen bereits einen festen Platz ein, denn nur die Nutzung der dritten Dimension konnte ihnen noch etwas Spielraum geben. Die Prognose des Flottilleningenieurs hatte dann wenig überraschend gelautet, dass das Boot ungefähr 6 Wochen in der Werft blieben müsste. Die Besatzung hatte diese Nachricht mit Freude aufgenommen, es würde Urlaub geben. Martin Haberkorn hatte die Zeit bei Marie und ihren Eltern verbracht aber konnte nicht richtig abschalten, denn auf der nächsten Unternehmung würde es auch nicht leichter werden. Am 4. Dezember 1943 war das Boot erneut ausgelaufen, musste aber wieder in den Stützpunkt zurückkehren, da es beim Tieftauchversuch etliche Undichtigkeiten gegeben hatte. Ohne dass er es beweisen konnte war er aber der Überzeugung gewesen, dass es sich um Sabotage durch die französischen Werftarbeiter handeln würde.

Nach einer recht langen Wartezeit stand er jetzt mit dem Boot im Nordatlantik und wusste genau, dass in diesem Gebiet die meisten der deutschen Verluste eingetreten waren.

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