Die NATO

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2.2.3 Die späteren Erweiterungen von 1982 bis 2020

Zu Zeiten des Kalten KriegsKalter Krieg erfuhr die Mitgliederstruktur der NATO kaum eine Veränderung und auch der Warschauer PaktWarschauer Pakt blieb mit Ausnahme des Austritts Albaniens im Jahr 1968 (Protest gegen den Einsatz von Warschauer PaktWarschauer Pakt-Truppen im Prager Frühling, s. bpb 2016) ebenfalls stabil. Frankreich war von 1966/67 bis 2009 nicht Teil der integrierten Militärstruktur, da es seine Unabhängigkeit wahren wollte (s. Exkurs Kap. 3), blieb aber aktives Mitglied. 1982 trat Spanien bei, nachdem es nach dem Tod Francos unter König Juan CarlosJuan Carlos I. I. wieder zu einer parlamentarischen Monarchie wurde. So endete die iberische Spaltung der NATO und es entstand territoriale Kontinuität von der amerikanischen Seite des Atlantiks nach Europa bis ans Mittelmeer und die Ostgrenze der Türkei, der nur die Balkanstaaten mit Ausnahme Griechenlands nicht angehörten. Portugal, Mitglied seit 1949, wurde zwischen 1974 und 1976 durch die NelkenrevolutionNelkenrevolution wieder ein demokratischer Staat.

Das Ende des Kalten Krieges nach der deutschen WiedervereinigungWiedervereinigung (deutsche) 1989/90 sowie dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 stellt das einschneidendste Ereignis der Geschichte der NATO dar, da der Feind aufhörte zu existieren. Die Allianz setzte daraufhin einen tiefgreifenden TransformationTransformationsprozess um (s. Kap. 4, 5). In vielen der ehemaligen Sowjet- und Warschauer PaktWarschauer Paktstaaten gab es nach den Revolutionen um 1990 klare politische Mehrheiten, die eine Anbindung an die westlichen Institutionen suchte, denen sie sich kulturellKultur und wertebasiert verbunden fühlten (Alamir und Pradetto 1998). Dies geschah nicht zuletzt aufgrund der Unterdrückung demokratischer Prozesse während der UdSSR-Zeit. Daher dauerte es nicht lange, bis viele Staaten Beitrittsgesuche zur NATO (und für Wirtschaftsfragen zur EU) stellten, um sich den Beistand der Allianz – und der USA als einzig verbliebener Supermacht – zu sichern und nie wieder in eine Abhängigkeits- und Unterdrückungssituation wie vor 1989/90 zu geraten (ibid., s. ausführlich Kap. 4.2). Die Beitritte erfolgten in drei Etappen. Am 12. März 1999 wurden die Tschechische Republik, Ungarn und Polen Mitglieder. Am 29. März 2004 (Prag-GipfelPrager Gipfel (NATO)) folgten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien (NATO 2019j). Nach dieser größten Beitrittswelle der Allianz waren somit alle Warschauer PaktWarschauer Pakt-Staaten mit Ausnahme Albaniens (Beitritt 2009) und drei Staaten der ehemaligen Sowjetunion Mitglieder der NATO, sodass es nun 26 Bündnisstaaten gab. Mit den Demokratisierungswellen in Südeuropa (1970er) und in mittel- und Osteuropa (1990er) bekam auch das liberalLiberalismuse Wertefundament des Bündnisses erneute Bedeutung.

Nach 2004 gab es noch vier weitere Beitritte. 2009 wurden zeitgleich Albanien und Kroatien aufgenommen. Nach Slowenien war Kroatien somit bereits die zweite ehemalige jugoslawische Teilrepublik, die sich der NATO angeschlossen hatte. Die jüngsten Mitglieder der Atlantischen Allianz sind im Moment Montenegro und Nordmazedonien,1 die 2017 bzw. 2020 beitraten. So wurde die Adria zu einem NATO-Binnenmeer (NATO 2018i).

Mit ihren 30 Mitgliedern und ihrer mehr als 70-jährigen Geschichte ist die NordatlantikvertragNordatlantikvertragsorganisation die größte und beständigste multilaterale Militärallianz der Welt. Ihr Auftrag hat sich über die Jahre gewandelt (mehr in Kap. 4, 5), doch kollektive Verteidigungkollektive Verteidigung spielt immer noch eine große Rolle in der NATO – das erste Mal wieder nach den Terroranschlägen vom 11. Sep9/11tember 2001 in den USA und erneut seit der russischen Annexion der KrimUkraine/Krim(krise) 2014. Bis 2014 erlebte Europa so im Wesentlichen eine Epoche ohne GroßmachtGroßmacht(konfrontation)konfrontation. Alte, jüngere und wieder unabhängige Demokratien haben sich dabei nicht nur in der NATO zusammengeschlossen, sondern auch in der EU und OSZE, um ihre gegenseitigen Beziehungen zu verstetigen. Damit wurde die demokratische FriedenFriedenszone ausgeweitet.2 Es gibt immer noch politische Konflikte zwischen den Mitgliedern, aber ihre Austragung mit Gewalt ist quasi undenkbar. Kooperation ist sowohl interessenbasiert (Schutz) als auch durch eine gemeinsame demokratische KulturKultur untermauert. Wie diese westlich-liberalLiberalismuse Wertebasis Kooperation und Konflikt strukturiert, werden die Kapitel 5 und 6 genauer aufzeigen.

2.3 Strukturen


Struktur Anzahl (2019)
International (Military) Staff in Brüssel (zivil und militärisch) 1.700
nationale Delegationsmitglieder (national representatives) 1.500
6.800
500-650
GESAMT ca. 10.500

Tabelle 2:

Mitarbeiter NATO-Strukturen (Quelle: NATO (2018d), persönliche Anfrage; eigene Darstellung)

Seit dem Aufbau der NATO-Strukturen hat sich innerhalb der Atlantischen Allianz ein umfangreiches, weit verzweigtes institutionelles und organisatorisches Geflecht entwickelt. Zum Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs arbeiteten 32.000 Militärs in NATO-Strukturen (plus 500-1.000 Zivilist*innen, NATO 2018d). 2019 beläuft sich diese Zahl nach Wandelprozessen auf ca. 10.500 Beschäftigte – eine Zahl, die bis 2021 angesichts aktueller sicherheitspolitischer Herausforderungen auf 12.000 ansteigen soll.

2.3.1 Politische Führung und Komitees

Als Militärallianz von meist liberalLiberalismusen Demokratien1 herrscht in der NATO trotz des hohen Grades militärischer Integration ein Primat der Politik gegenüber dem Militär. Dieses Primat reicht bis zum Kern der Allianz, dem BeistandsartikelBündnisfall, der nur durch eine einstimmige politische Entscheidung des NordatlantikratNordatlantikrat (NAC)s ausgerufen werden kann (Michel 2014, 107ff.; NATO 2017g; Pouliot 2016, 90). Der NACNordatlantikrat (NAC) ist das einzige Organ, das explizit im Text des Nordatlantikpakts erwähnt wird (Art. 11) und dem es freisteht, weitere Organe einzusetzen. Es gibt keine formalen Regelungen zum Abstimmungsverhalten. Lord IsmayLord Ismay schreibt hierzu:

„The Council have no written rules of procedure; nor has the need for such rules ever been felt. […] Decisions are unanimous; there is no voting. When governments hold divergent views, negotiation continues until unanimous agreement has been attained. There is no question of, say, ten nations forcing four to do what they do not want to do. The Council are no supranationalSupranationalismus body; their members are representatives of sovereign states. It is true that unanimity is not always achieved without considerable patience and a good deal of give and take; but it has always been reached in the end. That is because the interests and objectives of all NATO countries are fundamentally the same, and because the habit of thinking alike and acting alike for the common good is growing daily.“ (Ismay 1955, 60).

Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird die folgende Darstellung den heutigen Stand der NATO-Strukturen wiedergeben. Dort, wo es notwendig ist, werden bedeutende historische Aspekte angesprochen.

Abbildung 3:

Politische Struktur der NATO (Quelle: NATO (2017a, 2018i), eigene Darstellung)

Der GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär weist in dieser Beobachtung zum einen auf die Erleichterung von Kooperation durch gemeinsame Interessen hin und spricht zum anderen die Existenz von SozialisationSozialisationsmechanismen an (Michel 2014, 107ff.), die im Verlauf des Buches weiter thematisiert werden.

Die Zusammensetzung und Tagungsweise des Rats hat sich seit der Gründung gewandelt, heute finden Sitzungen in vier Formaten statt, nämlich als Zusammenkünfte

 der ansässigen NATO-Botschafter (permanent representatives, wöchentlich mind. 1x inoffiziell2 und 1x offiziell);

 der Außenminister (2x jährlich);

 der Verteidigungsminister (3x jährlich);

 der Staats- und Regierungschefs im Gipfelformat (i.d.R. 1x jährlich, s. NATO 2017g).

Der Nordatlantikrat spiegelt somit die Struktur der NATO als intergouvernementale Institution wider, in der alle MachtMacht von den Mitgliedstaaten ausgeht. Daher ist der Austausch enorm wichtig, um gegenseitiges Verständnis über nationale Positionen herzustellen und diese in gemeinsame Politiken zu transformieren, bei denen sich alle Staaten mitgenommen fühlen.

 

Dieser zentrale Bündniskoordinationsprozess im NACNordatlantikrat (NAC) wird durch 20 sektorale Komitees (s. Abb. 3), an denen nationale Delegationsmitglieder sowie Mitarbeiter*innen des International StaffInternational Staff (IS, NATO) (ISInternational Staff (IS, NATO)) teilnehmen, den GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär (s. u.) und die Militärstruktur unterstützt. In den Komitees werden ähnlich dem Ausschusswesen in Parlamenten Fachthemen besprochen, sodass daraus gemeinsame Politiken hervorgehen. Durch die Zusammenarbeit von nationalen Delegierten mit internationalen Mitarbeiter*innen werden in den Komitees die Mitglieder- und die institutionelle Ebene verschränkt, wodurch für inhaltliche Kohärenz und Wissenstransfer gesorgt sowie nationalen Positionen Rechnung getragen wird. Auch transaktional sind die Komitees wichtig, da Politiken durch ständige Strukturen einfacher umgesetzt werden können, als das bei ad hoc-Zusammenarbeit möglich wäre. Genau wie der NACNordatlantikrat (NAC) funktionieren diese Komitees und alle anderen untergeordneten Arbeitsgruppen nach dem Konsensprinzip (NATO 2017a).

Der NACNordatlantikrat (NAC) nimmt also im Handeln der Allianz eine zentrale Rolle ein, weil er für politische Direktion auf Basis nationaler Interessen der Mitgliedstaaten sorgt und daraus Leitlinien für gemeinsames Handeln beschließt. Diese werden dann von den Hauptquartieren umgesetzt. Das einzige Gremium, das auf einer ähnlichen Ebene wie der NACNordatlantikrat (NAC) angesiedelt ist, ist die Nuclear Planning Group (NPGNuclear Planning Group (NPG)). Die NPGNuclear Planning Group (NPG) ist für Fragen zur nuklearen Verteidigung, die Koordination der Nuklearpolitiken der Mitglieder mit AtomwaffenAtomwaffen (USA, Frankreich, Großbritannien), sowie AbrüstungAbrüstung und RüstungskontrollRüstungskontrollee zuständig (NATO 2019n). Der NACNordatlantikrat (NAC) hat nuklearstrategische Diskussionen komplett in die NPGNuclear Planning Group (NPG) verschoben.3

2.3.2 Das Generalsekretariat und der International Staff

Der NATO-GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär – eine Funktion, die bisherInternational Staff (IS, NATO) ausschließlich von Männern ausgeübt wurde – steht im Zentrum des Politikprozesses der Allianz zwischen nationalen Regierungen, International StaffInternational Staff (IS, NATO) (ISInternational Staff (IS, NATO)) und Militärstruktur. Nach den ersten militärischen Integrationsschritten wurde deutlich, dass es einer umfangreicheren politischen Koordination der Allianzmitglieder bedurfte. Daher wurde 1952 das GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatariat geschaffen. Es ist mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, um sicherzustellen, dass Entscheidungen der Allianz umgesetzt werden, oder um neue Politiken und Prozesse anzustoßen, hat aber nur eine begrenzte formale MachtMacht (Hendrickson 2010, 52). Damit ist der GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär de facto das Gesicht und der Sprecher der NATO nach außen und ihr oberster politischer Beamter nach innen, der dem ISInternational Staff (IS, NATO) vorsteht (NATO 2016b). Um die regionale Balance zu wahren, wird das GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatariat durch einen Europäer bekleidet, während der Posten des obersten Militärbefehlshabers (SACEURSACEUR) – in Personalunion ist dies der Kommandeur des strategischen1 Kommandos Allied Command OperationsSHAPE/ACO (ACOSHAPE/ACO) in Mons (Belgien) – durch einen US-Amerikaner besetzt wird (s. auch Ismay 1955, Kap. 6). Bis heute gab es 13 GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatäre und 17 Stellvertretende GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär*innen. GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatäre sollen nach heutiger Praxis zuvor wichtige nationale Posten (ab Ministerebene) bekleidet haben, um die nötige Versiertheit mit dem Thema und vor allem diplomatische Erfahrungen und Kontakte zu haben.


Nat. Amtszeit Nat. Amtszeit
NOR 2014 – ~ Mircea Geoană ROU 2019 – ~
Rose Gottemoeller USA 2016-2019
Alexander Vershbow USA 2012-2016
DK 2009-2014
Claudio Bisogniero ITA 2007-2012
NL 2004-2009 Alessandro Minuto Rizzo ITA 2001-2007
GB 1999-2003
ES 1995-1999 Sergio Balanzino ITA 1994-2001
BEL 1994-1995
DE 1988-1994 Amedeo de Franchis ITA 1989-1994
GB 1984-1988 Marcello Guidi ITA 1985-1989
NL 1971-1984 Eric da Rin ITA 1981-1985
Rinaldo Petrignani ITA 1978-1981
Paolo Pansa Cedronio ITA 1971-1978
ITA 1964-1971 Osman Olcay TUR 1969-1971
James A. Roberts 1964-1968
NL 1961-1964 Guido Colonna di Paliano ITA 1962-1964
BEL 1957-1961 Alberto Casardi ITA 1958-1962
GB 1952-1957 Baron Adolph Bentinck NL 1956-1958
Jonkheer van Vredenburch NL 1952-1956

Tabelle 3:

NATO-GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatäre und Stellvertreter (Quelle: NATO (2016b), eigene Darstellung). Zeitliche Darstellung nur annähernd, formal nicht zusammenhängend.

Um diesen Rollen gerecht zu werden, steht der NATO-GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär nicht nur dem ISInternational Staff (IS, NATO) als verantwortlicher Beamter vor, sondern leitet auch die Sitzungen des NACNordatlantikrat (NAC) sowie weiterer untergeordneter Gremien wie der NPGNuclear Planning Group (NPG) oder von Kooperationsräten (NATO 2016b). Die Kombination der bürokratischen KapazitätenKapazitäten (militärische) und Expertise des ISInternational Staff (IS, NATO) mit dem eigenen politischen Gewicht versetzt den GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär in die Lage, die Geschicke der Allianz maßgeblich zu beeinflussen bzw. Debatten zu lenken. Er wird bei Konflikten zwischen Alliierten zum Diplomaten und Vermittler.

 

Vor allem nach dem Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs ist der Einfluss der GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatäre auf die Strategiedebatte gestiegen. Während der erste GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär, der britische Lord IsmayLord Ismay, im Wesentlichen eine koordinierende Rolle im Hintergrund des NACNordatlantikrat (NAC) spielte und kaum politische Akzente setzte, entwickelte der Belgier Paul-Henri SpaakSpaak, Paul-Henri eigene Vorstellungen, die sich jedoch zunächst nicht durchsetzen. Die folgenden GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatäre StikkerStikker, Dirk U., BrosioBrosio, Manlio, LunsLuns, Joseph und Carrington setzten daher wieder auf eine moderierende Rolle, die mit Blick auf die starken Ungleichgewichte zwischen den Alliierten schwer genug war. In Anbetracht dieser Rolle besagt ein Sprichwort, „dass der GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär weniger General und mehr Sekretär sei“ (Giegerich 2012a, 24). Nach dem Kalten Krieg gab die Notwendigkeit eines strategischen Wandels den GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatären mehr Möglichkeiten, die Strategieentwicklung zu lenken. Der Deutsche Manfred WörnerWörner, Manfred hatte mit seiner Erfahrung als Verteidigungsminister zwischen 1988 und 1994 einen prägenden Einfluss auf das 1991er Strategische Konzept, der Gestaltung kooperativer Sicherheitkooperative Sicherheitsinstitutionen, auf OsterweiterungOsterweiterungsprozess und BosnienBosnien(krieg)einsatz. Dem Belgier Willy ClaesClaes, Willy kam danach die Aufgabe der Durchführung des BosnienBosnien(krieg)einsatzes zu, die ebenfalls die Amtszeit des Spaniers Javier SolanaSolana, Javier prägte. Beide bleiben als Moderatoren im Gedächtnis, die persönliche Autorität gegenüber den Alliierten genossen, und auch bei taktischen Entscheidungen in BosnienBosnien(krieg) und im KosovoKosovo(krieg) mitwirkten. Der Brite George RobertsonLord Robertson setzte die Kapazitätsdebatte auf die Bündnisagenda und spielte eine wichtige Rolle in der Ausweitung des NATO-Mandats im Kampf gegen den Terrorwar on terror nach 9/119/11. Der Niederländer Jaap de Hoop Schefferde Hoop Scheffer, Jaap führte diese Ziele fort und fokussierte sich stark auf AfghanistanAfghanistan(kriege) (Hendrickson 2010). Die beiden Nachfolger, der Däne Anders Fogh RasmussenRasmussen, Anders Fogh und der aktuelle GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär, der Norweger Jens StoltenbergStoltenberg, Jens, brachten jeweils ihr politisches Gewicht als ehemalige Ministerpräsidenten sehr aktiver NATO-Staaten mit ins Amt. RasmussenRasmussen, Anders Fogh zeigte zwischen 2009 und 2014 eine bisher nie gesehene Unabhängigkeit im Amt und pflegte einen direkten, öffentlichen und teils forschen „Maverick“-Stil (Hendrickson 2014, 132ff.), der die an Diplomatie und Konsens gewöhnten Botschafter*innen herausforderte. Trotzdem genossen RasmussenRasmussen, Anders Fogh und StoltenbergStoltenberg, Jens mit ihrem diplomatischen Geschick hohe Autorität unter den Alliierten. Beiden kam die Aufgabe zu, die NATO wieder stärker auf kollektive Verteidigungkollektive Verteidigungsfragen zu trimmen und über zunehmende strategische Divergenzen zu präsidieren (s. Kap. 7). RasmussenRasmussen, Anders Fogh gelang trotz seines eigenwilligen Stils die Verabschiedung des 2010er Strategischen Konzepts, das seine Handschrift trug (Giegerich 2012a, 24f.).

Auch der ISInternational Staff (IS, NATO) der NATO, dem der GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär vorsteht, nimmt seit 1951 eine wichtige Rolle im Politikprozess des Bündnisses ein. Wie jede Bürokratie hat er die Fähigkeit, durch institutionelles Wissen und materielleMaterialismus Durchführungsressourcen das Handeln der Allianz zu gestalten. Durch seine Komposition aus primär zivilen, aber auch militärischen Mitarbeiter*innen und seine Stärke von ca. 1.700 Personen bildet er das politische und militärische Aufgabenspektrum der NATO ab. Der Brüsseler ISInternational Staff (IS, NATO) steht allen Allianzakteuren als Experte zur Verfügung, arbeitet den NATO-Komitees zu und implementiert Entscheidungen (NATO 2017d). Momentan ist der ISInternational Staff (IS, NATO) in acht Abteilungen (divisions), drei unabhängige Büros sowie das Büro des GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatärs (Private Office) eingeteilt. Im Private Office sind sowohl der Stellvertretende GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär untergebracht als auch eine Repräsentantin für Frauen, FriedenFrieden und Sicherheit, die Genderaspekte von Sicherheit und Verteidigung sowie Fragen der Gleichberechtigung bearbeitet. Angegliedert ist dem Private Office das NACNordatlantikrat (NAC)-Sekretariat sowie eine Politikplanungseinheit. Diese Organisation verdeutlicht die zentrale Position des GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatärs zwischen NACNordatlantikrat (NAC) und anderen NATO-Strukturen. Neben den Abteilungen gibt es außerdem Büros für juristische Angelegenheiten, Finanzkontrolle und gemeinsame Ressourcen, die zur Wahrung administrativer Neutralität formal vom GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär weisungsunabhängig sind.

Die acht Abteilungen des International StaffInternational Staff (IS, NATO)s (s. Abb. 3) nehmen aktuell die folgenden Aufgaben wahr:2

 Political Affairs and Security Policy: Sicherheitskooperation mit regionalen Partnerinstitutionen oder Partnerstaaten; RüstungskontrollRüstungskontrollee, AbrüstungAbrüstung und Nicht-Verbreitung von Massenvernichtungswaffen(Non-)Proliferation pooling; politische Konfliktprävention;

 Defence Policy and Planning: Planung der konventionellen und nuklearen Bündnisverteidigung in Koordination mit den Mitgliedstaaten (Tuschhoff 2014, 195ff.);

 Joint Intelligence and Security: Bearbeitung von GeheimdienstGeheimdiensteinformationen (intelligence), Gefahreneinschätzung;

 Emerging Security Challenges: moderne Gefahren (cyber securitycyber security, hybrid warfarehybrid warfare, nichtstaatliche Akteure, Energiesicherheit), strategische Analyse, Einholen wissenschaftlicher Expertise;

 Operations: Durchführung aller militärischen oder zivilen Aktivitäten im Bereich kollektiver Verteidigungkollektive Verteidigung und KrisenmanagementKrisenmanagement;

 Defence Investment: Koordination der Verteidigungsaufgaben der Mitgliedstaaten, NATO-Ausgaben bzgl. Bereitstellung, Betrieb oder Erneuerung gemeinsamer KapazitätenKapazitäten (militärische);

 Public Diplomacy: Medien-/ Presse- und Öffentlichkeitsarbeit;

 Executive Management: Personal- und Finanzwesen (NATO 2017d).

Trotz dieser Ausdifferenzierung bleibt der ISInternational Staff (IS, NATO) bei der Erfüllung seiner Aufgaben auf die Kooperationsbereitschaft der Mitglieder angewiesen, da die Umsetzung der Planungsprozesse in nationaler Kompetenz verbleibt und es mit Ausnahme einiger weniger integrierter Einheiten keine gemeinsame NATO-Armee gibt. Die NATO bleibt eine durch IntergouvernementIntergouvernementalismusalität geprägte Organisation, deren Mitglieder teils eigene politische Ziele verfolgen und deren Verteidigungsorganisation bis hin zur Material- und Führungsebene unterschiedlich bleibt. Negativ könnte man daher formulieren, dass bedeutende Integrationsschritte (stärker standardisierte Streitkräftestrukturen, technische Standards) teils unterblieben sind. Positiv ist anzumerken, dass durch die NATO-Planungen, gemeinsame Übungen und Missionen eine InteroperabilitätInteroperabilitätsfähigkeit entstanden ist, die weltweit einzigartig ist (Tuschhoff 2014). Außerdem haben sich die NATO-Strukturen in ihrer 70-jährigen Existenz angepasst, um neuen sicherheitspolitischen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Somit haben die Strukturen im Sinne institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)tischer Theorie AnpassungsfähigkeitTransformation und Nützlichkeit bewiesen. Aufgrund des intergouvernementalen Charakters der Zusammenarbeit sind Präferenzannäherungsprozessen Grenzen gesetzt. Sie sind aber nicht unmöglich, da die permanente Repräsentation der Mitgliedstaaten durch Botschafter sowie das Konsensprinzip für SozialisationSozialisations- und Angleichungsprozesse sorgen können (Mayer und Theiler 2014; Michel 2014; Pouliot 2016, Kap. 4).