Die NATO

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3.8 Diskussionsfragen und weiterführende Literatur

Diskussionsfragen:

 Was für einen Blick hat der NeorealisRealismus (Neo-)mus auf internationale Politik und wie steht er zu Kooperation zwischen Staaten?

 Warum bilden Staaten Allianzen und welche Probleme können sie dabei haben?

 Wie funktioniert das Beistandsversprechen der NATO (Art. 5Bündnisfall)? (s. auch 4.3)

 Wie beeinflusst die Existenz eines (wohlwollenden) HegemonHegemonie (USA)en in der NATO die sicherheits- und verteidigungspolitischen Bemühungen der Allianz?

 Warum legen sich Staaten NuklearwaffenAtomwaffen zu?

 Wie wichtig waren NuklearwaffenAtomwaffen für die Verteidigungsbemühungen der NATO?

 Wie funktioniert AbschreckungAbschreckung (nuklear)? (auch: Was ist M.A.D M.A.D.oder das Gleichgewicht des SchreckensGleichgewicht des Schreckens?)

 Warum ist der INFINF-Vertrag-Vertrag so wichtig für europäische Sicherheit? (s. auch Kap. 7)

 Wie war es möglich und warum konnte Deutschland 1955 in die NATO geholt werden?

 Welche Auswirkungen hatte der deutsche WEUWesteuropäische Union (WEU)- und NATO-Beitritt auf die Blockkonfrontation und die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten?

 Welche Mechanismen werden in AbrüstungAbrüstungsinitiativen genutzt, um die Bedrohung durch AtomwaffenAtomwaffen zu verhindern?

 Welche Faktoren haben beim Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs und dem Zerfall der Sowjetunion eine Rolle gespielt? Welche gegensätzlichen Positionen bestehen dazu?

 Warum zog sich Frankreich aus der integrierten Militärstruktur zurück und wie beeinflusste das seine und die alliierte Verteidigungspolitik?

Weiterführende Literatur:

Hellmann, Gunther, Wolfgang Wagner und Rainer Baumann (2014). Deutsche Außenpolitik. Eine Einführung. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Knorr, Klaus Eugen, Hrsg. (1959). NATO and American Security, Princeton Legacy Library. Princeton (NJ): Princeton University Press.

Küntzel, Matthias (1992). Bonn und die Bombe. Frankfurt und New York: Campus.

Newhouse, John (1990). Krieg und FriedenFrieden im Atomzeitalter. München: Kindler.

Siebel, Gunter (1988). Sicherheit im Atomzeitalter. Politik – Strategie – RüstungskontrollRüstungskontrollee. Ein Lehr- und Studienbuch. Frankfurt am Main: Haag + Herchen.

Schöllgen, Gregor (2013). Deutsche Außenpolitik. Von 1945 bis zur Gegenwart. 2 Bd., Bd. 2. München: C.H. Beck.

Schulz, Matthias und Thomas A. Schwartz, Hrsg. (2010). The Strained Alliance. U.S.-European Relations from Nixon to CarterCarter, Jimmy. Washington and Cambridge (UK): Cambridge University Press.

Thies, Wallace J. (2009). Why NATO endures. Cambridge (UK): Cambridge University Press.

Wenger, Andreas und Stefanie Von Hlatky, Hrsg. (2015). The future of extended deterrenceAbschreckung (nuklear): the United States, NATO, and beyond. Washington D.C.: Georgetown University Press.

Wisotzki, Simone (2004). AbschreckungAbschreckung (nuklear) ohne Ende? Die ambivalente NuklearwaffenAtomwaffenpolitik Großbritanniens und Frankreichs. HSFK-Report 2004/11. Frankfurt am Main: Hessische Stiftung FriedenFriedens- und Konfliktforschung.

4 Kollektive Verteidigung nach dem Kalten Krieg: Über Transformation, Terrorismus und die Krim

WieUkraine/Krim(krise) zum Ende des vorherigen Kapitels erläutert, spielte kollektive Verteidigungkollektive Verteidigung für die NATO in den 1990er Jahren kaum eine Rolle, weil Russland aufgrund des post-sowjetischen Transformationsprozesses im Wesentlichen innenpolitische Probleme zu lösen hatte und geopolitisch eine weniger prominente Rolle spielte. Dies sollte sich erst mit den Auseinandersetzungen um den KosovoKosovo(krieg)krieg im Winter 1998/99 (s. Kap. 5.3.2) sowie den Ereignissen um 9/119/11 ändern (Hill 2018, Kap. 5). Dementsprechend lassen sich kollektive Verteidigungkollektive Verteidigungspolitiken nach dem Ende des Kalten Krieges in drei Phasen einteilen: den NATO-Erweiterungsprozess, die Folgen von 9/119/11 und die AfghanistanAfghanistan(kriege)-Intervention sowie das Wiederaufflammen des Systemgegensatzes seit der Annexion der KrimUkraine/Krim(krise) im Jahr 2014. Kapitel 4 wird diese Aspekte und ihre Bedeutung für die Allianz ergründen. Zunächst soll Abschnitt 4.1 die Phase direkt nach dem Ende der Blockkonfrontation beleuchten. Danach wird der für das Verständnis der Entwicklung der NATO zentrale Prozess der OsterweiterungOsterweiterungsprozess diskutiert und wie sich dadurch die Beziehungen zu Russland entwickelten (4.2). Um die Ereignisse des 11. Sep9/11tember 2001 kann eine Neudefinition kollektiver Verteidigungkollektive Verteidigung beobachtet werden, die zu einem starken Engagement der Allianz gegen den internationalen Terrorismus, zuvorderst in AfghanistanAfghanistan(kriege), führte (4.3). (In diese Zeit fällt auch der IrakIrakkriegkrieg als dunkler Fleck US-amerikanischen Unilateralismus.) Diese Epoche kam mit der russischen Invasion der KrimUkraine/Krim(krise) und dem Konflikt in der Ostukraine zu einem jähen Ende und ließ klassische kollektive Verteidigungkollektive Verteidigung erneut in den Vordergrund des Allianzhandelns treten – ein Vorgang, der in Abschnitt 4.4 ausführlich besprochen wird. Abschnitt 4.5 fasst das Kapitel zusammen und geht auf aktuelle Probleme der Sicherheitslage in Europa ein.

4.1 Das Ende der Geschichte, die Friedensdividende und die strategische Neuausrichtung der NATO

DerEnde der Geschichte Zusammenbruch derFriedensdividende Sowjetunion im Dezember 1991 löste verschiedene Debatten über den Zustand von und Chancen in der Weltpolitik aus. Auf breiterer gesellschaftlicher Ebene hatte der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama (1989, 1992) bereits zu Beginn der Transformationsprozesse in der Sowjetunion die These vom Ende der GeschichteEnde der Geschichte (end of historyEnde der Geschichte) aufgestellt. In seinem Aufsatz argumentiert er, dass sich der ideologiIdeologiesche Systemgegensatz zwischen KommunismusKommunismus und LiberalisLiberalismusmus mit dem Auseinanderfallen der Sowjetunion zugunsten des letzteren entschieden habe und die Menschheit durch den Sieg der (westlich-)liberalLiberalismusen IdeologiIdeologiee am Höhepunkt ihrer geistig-ideelleIdeen (Konzept)n Entwicklung angelangt sei. Er prognostizierte einen Siegeszug der liberalLiberalismusen Regierungs- und Wirtschaftsform à la longue durée, erkannte aber auch an, dass bis dahin noch viele materielleMaterialismus Hindernisse zu überwinden seien. Wenngleich wir dieser nahezu triumphalen These heute mit sehr viel Skepsis begegnen, drückte sie doch ein Überlegenheitsgefühl der Zeit aus, dass der Westen über den Osten gesiegt hatte (s. auch Mandelbaum 1990, V). Es besteht nicht wenig Grund zu der Annahme, dass dieses Gefühl und die sich damit ausdrückenden politischen, liberalLiberalismusen Mehrheiten in den 1990er Jahren dazu beigetragen haben, sicherheitspolitische Interessen Russlands bei der Neugestaltung einer europäischen Sicherheitsordnung nicht immer in ihrer Gänze verstanden oder berücksichtigt zu haben, wenngleich von Triumphalismus zu reden wohl zu viel wäre (Hill 2018, 30; Knapp 1997, 260). Dies ist eine Position, die auch der Kritik an der NATO- und EU-OsterweiterungOsterweiterungsprozess zugrunde liegt, wenngleich an dieser Stelle auch das souveräne Streben vieler mittel- und osteuropäischen Staaten in diese Organisationen als politisches Ziel anerkannt werden muss (Marten 2018; Mearsheimer 2014; Meyer 1995).1

Eine andere Diskussion betraf militärpolitische Konsequenzen. Da von der UdSSR keine Gefahr mehr ausging und sich die Weltlage entspannte, wurde in Deutschland (und anderswo) unter dem Schlagwort FriedensdividendeFriedensdividende eine weitgehende Abkehr von Rüstungsausgaben und die Investition der frei werdenden Gelder zu Zwecken der FriedenFriedens- und Wohlstandsschaffung und des Wandels zu Gesellschaften ohne/ mit weniger Formen der Gewalt gesellschaftlich breit diskutiert (Gleditsch et al. 1996; Hamid et al. 2001; Wulf 2011). Die Intensität der Debatte in der Bundesrepublik drückt die gesellschaftliche Verankerung der pazifistisch geprägten KulturKultur der Zurückhaltung (Malici 2006) aus, die die deutsche Außenpolitik nach den Abgründen der beiden Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angenommen hatte. Deutschland sah sich und sieht sich noch immer, auch nach AfghanistanAfghanistan(kriege), primär als ZivilmachtZivilmacht (Deutschland), die Außenpolitik mit nicht-militärischen Mitteln betreibt und die sich für mehr FriedenFrieden in der Welt durch Kooperation stark macht (Maull 2007). In der Tat ermöglichte die neue Situation die Absenkung der Rüstungs- und VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) und eine Verkleinerung der Armeen (s. auch Deni 2017). So fielen die VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) der NATO-Mitgliedstaaten zwischen 1990 und 1999 von $504 Mrd. auf $468 Mrd. (2003er Wechselkurse) ab (NATO 2010). Nicht zuletzt stellte sich die Frage nach der fortgesetzten US-amerikanischen Präsenz in Europa, für die sich die USA schließlich aus Eigeninteresse und wegen der unsicheren Lage in Europa entschlossen – auch mit Blick auf die Notwendigkeit, die Rolle des wiedervereinigteWiedervereinigung (deutsche)n Deutschlands in Europa und der Weltpolitik mit zu gestalten und Deutschland fest im westlichen Bündnissystem zu verankern (Hill 2018, 15ff., 29ff., 60ff.; Mandelbaum 1990). Aus neorealistischer Sicht kann man dies als eine balancingbalancing-Strategie einstufen.

 

In Anbetracht dieser tektonischen Verschiebungen musste das Strategische Konzept der Allianz aus dem Jahr 1968 natürlich angepasst werden. Obwohl das 1991er Konzept (NATO 2010 [1991]) kollektive Verteidigungkollektive Verteidigung nach wie vor als Kernaufgabe der NATO definiert, haben sich Schwerpunkte darin verschoben. Während die AbschreckungAbschreckung (nuklear)srolle von NuklearwaffenAtomwaffen für die Allianz als ultimative Versicherung gegen Aggression unverändert bestehen bleibt, spricht das Konzept davon, „das Prinzip der flexible responseflexible response anzupassen, um sich auf eine geringere Rolle von NuklearwaffenAtomwaffen zu verlassen.“ (Art. 39 – s. auch Heuser 1995, 66). Daher sieht das Konzept die Lösung von Konflikten eher auf der Ebene der Diplomatie oder zur Not konventioneller Auseinandersetzungen (NATO 2010 [1991], Art. 5Bündnisfall6). Zusammen mit der Fortsetzung von AbrüstungAbrüstungsinitiativen schreiben die strategischen Richtlinien somit einen deutlich geringeren Verlass auf NuklearwaffenAtomwaffen fest. Dieser Wechsel basiert auf einer neuen Bewertung der Sicherheitslage in Europa, die zwar Unsicherheit durch den Transformationsprozess der ehemaligen Sowjetstaaten konstatiert, aber das Potential für einen direkten, koordinierten und großflächigen Angriff auf das Bündnisgebiet als quasi inexistent einstuft (NATO 2010 [1991], Art. 9). Dementsprechend sieht das Konzept ein Ende der konventionellen VorneverteidigungVorneverteidigung und den Übergang zu einer „reduzierten Vornepräsenz“ (Art. 39) vor. Sowohl die Gefahren als auch die MachtMachtbalance haben sich durch den Zusammenbruch der Sowjetunion also fundamental zu Gunsten der NATO-Staaten verschoben, sodass eine Reduzierung der Aufwendungen für das Militär – und der Präsenz US-amerikanischer Streitkräfte in Europa! – bei Beibehaltung von militärischen Vorteilen möglich war. Russland wurde nicht mehr als Gegner der NATO angesehen – eine Feststellung, die auch als Unterstützung pro-westlicher Kräfte in Russland gedacht war (Hill 2018, 62ff.).

Gleichzeitig zeichneten sich bereits 1990/91 neue Aspekte in der strategischen Planung der NATO ab, die nicht so klar in das neorealistische Denkmuster aus militärischen Gefahren für das Bündnis passen. Zum Ersten betonen die Formulierungen des Strategischen Konzepts nun deutlicher die positive Rolle liberalLiberalismuser IdeologiIdeologiee und die Notwendigkeit, Demokratien zu unterstützen – verbunden mit der Hoffnung und dem Willen auf Zusammenarbeit mit und einer LiberalisLiberalismusierung von Russland. Zum Zweiten unterstreicht das Konzept, dass es in Dialog und anderen friedlichFriedenen Kooperationsformen die Zukunft einer stabilen sicherheitspolitischen Lage in Europa sieht und dass solche Initiativen von der Allianz unterstützt werden sollten (Broer 1997, 296f.; Hauser 2008, 37f.; NATO 2010 [1991], Art. 23ff.). Zum Dritten deutet es notwendiges alliiertes Engagement im KrisenmanagementKrisenmanagement an (Art. 31ff.) und ebnet so den Weg für die späteren kollektiven Sicherheitkollektive Sicherheitsmissionen der NATO. Dies war eine Politik, die vor allem aus den USA forciert wurde, um flexibler auf die politische Unsicherheit in Europa reagieren zu können (Knapp 1997, 267; Peterson Ulrich 2003, 20f.). Pläne zum Umbau der Streitkräfte zu beweglicheren und flexibleren Einsatzkräften samt schnellen Einsatztruppen (rapid reaction forces, Art. 47), Hauptquartieren und logistischen Unterstützungsstrukturen deuten diese Aufgabenverlagerung ebenfalls an (Broer 1997, 292ff.; Hill 2018, 77ff.).

Mit dem Abzug russischer Truppen aus der DDR und den anderen Staaten des ehemaligen Warschauer PaktWarschauer Pakts sowie Truppen- und Bereitschaftsreduzierungen auch auf westlicher Seite setzte sich in den 1990er Jahren die EntspannungEntspannung(spolitik)spolitik in Europa im Wesentlichen fort (zu deutsch-russischen Beziehungen s. Wallander 1999). 1997 gelang es, mit der Unterzeichnung der NATO-Russland-GrundakteNATO-Russland-Rat (NRC/PJC) sowie der Einrichtung des Ständigen Gemeinsamen Rats (PJC, s. Kap. 2.3.5), die NATO-Russland-Beziehungen auf eine stabile Basis zu stellen, auf der Konfliktmanagement, RüstungskontrollRüstungskontrollee, WMDMittelmeerdialog-Proliferation oder gemeinsame Interessen mit Blick auf die sich abzeichnende Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus besprochen werden konnten (NATO 1997a). 2002 folgte die Ausweitung der Beziehungen im stärker institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierten NATO-Russland-Rat (NRC). Bereits 1998/99 kam es aber zu Spannungen mit Russland, als sich die NATO zur völkerrechtlich illegalen Intervention im KosovoKosovo(krieg)-Krieg gegen Serbien entschied, einem traditionell zur russischen Einflusssphäre gehörenden Staat. Insgesamt standen die 1990er Jahre unter dem Stern des kooperativen KrisenmanagementKrisenmanagements in zerfallenden Staaten (s. 5.3; Schimmelfennig 2003, 40ff.).

Das 1999er Strategische Konzept der NATO trägt diesen Entwicklungen vollends Rechnung. Erstmals ist darin von Einsätzen der Allianz außerhalb des Bündnisgebiets zum KrisenmanagementKrisenmanagement und zur Konfliktprävention die Rede, wie sie z. B. das Engagement der NATO auf dem Balkan kennzeichneten (NATO 2009 [1999], Art. 12, 31f.). Diesen Einsätzen käme neben der Wahrung der Verteidigungsfähigkeit eine zentrale Rolle zur Schaffung von Sicherheit für die NATO-Mitglieder zu (Hill 2018, 151ff.). Das Strategische Konzept rahmt dieses Engagement sowohl mit Bezug zur Sicherung von FriedenFrieden und Herstellung von Sicherheit als auch zu kooperativer Sicherheitkooperative Sicherheit:

„[…] NATO will seek, in cooperation with other organisations, to prevent conflict, or, should a crisis arise, to contribute to its effective management, consistent with international lawVölkerrecht, including through the possibility of conducting non-Article 5 crisis response operations. The Alliance’s preparedness to carry out such operations supports the broader objective of reinforcing and extending stability and often involves the participation of NATO's Partners. NATO recalls its offer, made in Brussels in 1994, to support on a case-by-case basis in accordance with its own procedures, peacekeeping and other operations under the authority of the UN Security Council or the responsibility of the OSCE, including by making available Alliance resources and expertise.“ (NATO 2009 [1999], Art. 31)

Hier und anderswo wird daher die Rolle von Sicherheitskooperation durch die Erwähnung verschiedener NATO-Kooperationsformate (mit Russland, der Ukraine, EAPCEAPC, Mittelmeerdialog, PfP) und internationalen Organisationen (EU, OSZE, WEUWesteuropäische Union (WEU), UN) deutlich hervorgehoben (s. Kap. 5). Somit positioniert sich die NATO als Dienstleister für internationale Organisationen (sofern die NATO-Staaten selbst Interesse am Handeln haben; Adam 2007; Hauser 2008, 38; Knapp 1997, 268; Ringsmose 2016). Das Konzept spricht ebenfalls von der Existenz neuer Gefahren wie der Proliferation von Massenvernichtungswaffen(Non-)Proliferation pooling, auch in Händen nichtstaatlicher Akteure, dem Problem von failing/failed statesfailing states/failed states (Schneckener 2005; Huntington 1993) sowie von Gefahren durch Terrorismus, organisierte KrimUkraine/Krim(krise)inalität und der Unterbrechung globaler Handelsströme (Art. 20ff.), denen die NATO in einem wechselhaften Umfeld gegenüberstünde (Hill 2018, 152f.). Damit goss das Strategische Konzept in verbindliche Worte, was die Realität regionaler Konflikte, neuer globaler Sicherheitsherausforderungen und von Allianzhandeln seit den Jugoslawieneinsätzen und den Kooperationsinitiativenkooperative Sicherheit der 1990er Jahre war. Demgegenüber bleiben die Ausführungen zu Notwendigkeiten kollektiver Verteidigungkollektive Verteidigung relativ unverändert.

Im Zuge der Aufgabenverschiebung zu Krisenprävention und KrisenmanagementKrisenmanagement wird außerdem die Bedeutung von flexiblen, mobilen, schnell verlegbaren und rotierenden Kräften noch stärker als zuvor betont (Art. 5Bündnisfall2ff.). Dazu sollten sogenannte Combined Joint Task ForcesCombined Joint Task Forces (CJTF) geschaffen (CJTFCombined Joint Task Forces (CJTF)) werden, teilstreitkraftübergreifende (combined), multinationale (joint) Verbände, die im Krisenfall durch vorab designierte Hauptquartiere schnell zum Einsatz kommen können. Diese CJTFCombined Joint Task Forces (CJTF) sollten in Kooperation mit der WEUWesteuropäische Union (WEU) und Staaten aus den Partnerprogrammen aufgestellt werden (Hauser 2008, 39; Varwick und Woyke 1999, 131ff.; Gnesotto 1997). Auf dem Prag-GipfelPrager Gipfel (NATO) 2002, nach den Anschlägen von 9/119/11, wurden die CJTFCombined Joint Task Forces (CJTF) in die NATO Response ForceNATO Response Force (NRF) (NRF), eine schnelle Eingreiftruppe von ca. 21.000 Soldat*innen aller Teilstreitkräfte, überführt, die als militärische Speerspitze der Alliierten innerhalb von einer Woche in globale Missionen geschickt werden und dabei auch hoch-intensive Kampfaufgaben übernehmen sollte. Inwieweit die NRF wirklich effektiv und einsatzfähig sein würde, wurde allerdings mit Blick auf Uneinigkeit über Mandatsaspekte (nötiges Sicherheitsratsmandat?), adäquate FähigkeitenKapazitäten (militärische)/ Größe und auch auf den deutschen Parlamentsvorbehalt bei der Entsendung von Streitkräften kritisch diskutiert (Adam 2007, 84f.; Deni 2017, 28f.; Howorth 2003, 238ff.).2 Trotzdem wird durch die Einrichtung der CJTFCombined Joint Task Forces (CJTF) und der NRF der out of areaout of area-Impetus der neuen NATO-Strategie deutlich (Kitchen 2010).

Aufgrund der insgesamt unkritischen Beziehungen mit Russland konnte die AbrüstungAbrüstungs- und RüstungskontrollRüstungskontrollezusammenarbeit zwischen den ehemaligen Gegnern fortgeführt werden, wenngleich es im Bereich nuklearer RüstungskontrollRüstungskontrollee und AbrüstungAbrüstung zunächst kaum signifikante Fortschritte gab. Erickson (2018, 404ff.) führt aus, dass zunächst humanitärhumanitäre Intervention motivierte konventionelle Kontrollvereinbarungen im Vordergrund multilateraler Bemühungen standen, z. B. zum Verbot von Anti-Personenminen oder Streumunition. Im nuklearen Feld sprachen sich die USA (wie auch Frankreich) zunächst gegen einen generellen Teststoppvertrag (Comprehensive Test Ban TreatyCTBT, CTBTCTBT) aus. Nichtverbreitungsinitiativen wurden erst nach dem IrakIrakkriegkrieg stärker unterstützt. 1993 schlossen George H.W. BushBush, George H.W. und der russische Präsident Boris JelzinJelzin, Boris aber STARTSTART I, II & III II ab, der Begrenzungen für Raketen mit multiplen Eintrittsvehikeln (MIRVMIRV (Rakete)s) vorsah. Außerdem konnte 1995 die unbegrenzte Verlängerung des NPTAtomwaffensperrvertrag (NPT)-Vertrags erreicht werden, was ein großer Erfolg war (Müller und Schaper 2003, 14ff., 25, 41ff.). Ein neuer Fokus lag ebenfalls auf der Verhinderung der Proliferation von WMDMittelmeerdialog in die Hände von weiteren Staaten und Terroristen, z. B. durch schmutzige Bomben mit radioaktivem Material oder biologische und chemische Kampfstoffe, die jüngst in SyrienSyrien(krieg) durch Regierungstruppen in fatalen Einsatz kamen (Erickson 2018, 408; Müller und Schaper 2003, 20f., 39ff.). Der Besitz von WMDMittelmeerdialog durch nichtstaatliche Akteure stellt nicht zuletzt ein Problem für klassische AbschreckungAbschreckung (nuklear)skonzepte dar, die auf Interaktionen zwischen Staaten ausgelegt sind – gegen Terroristen oder versteckte Aggressoren hilft die Sicherung einer nuklearen ZweitschlZweitschlagsfähigkeitagsfähigkeit nicht (Deudney 2018, 341ff.). Wegen dieser neuen Schwerpunkte der AbrüstungAbrüstungs- und RüstungskontrollRüstungskontrollediskussionen dauerte es bis 1997, bis ClintonClinton, Bill und JelzinJelzin, Boris wieder über neue Beschränkungen ihrer Nukleararsenale verhandelten.3 Schließlich wurde am 24. Mai 2002 der Strategic Offensive Reductions TreatySTART I, II & III (SORTSTART I, II & III, auch STARTSTART I, II & III III genannt) von US-Präsident George W. BushBush, George W. und dem russischen Präsidenten Vladimir PutinPutin, Vladimir unterzeichnet, der die Zahl stationierter NuklearwaffenAtomwaffen beider Staaten auf 1.700 bis 2.200 Sprengköpfe, zu erreichen im Jahr 2012, limitierte (Müller und Schaper 2003, 53ff.). Der nächste AbrüstungAbrüstungsvertrag, New STARTNew START, sollte erst im Jahr 2010/11 unter MedwedewMedwedew, Dimitrij und ObamaObama, Barack H. ratifiziert werden (Freeman 2011). Ein Aspekt, der stets problematisch zwischen der NATO und Russland blieb, war die OsterweiterungOsterweiterungsprozess der Atlantischen Allianz auf Staaten des ehemaligen Warschauer PaktWarschauer Pakts und der UdSSR. Diesem wichtigen Gegensatz wollen wir uns nun widmen, da er zentral für das Verständnis der Sicherheits- und Verteidigungsdynamiken der 2000er und 2010er Jahre ist.

 
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