Schloß Lenzburg

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Aus der Reihe: Historische Schweiz #1
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Schloß Lenzburg
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Herausgeber

Erik Schreiber

Historische Schweiz

e-book 100

Schloss Lenzburg

Erscheinungstermin: 01.09.2021

© Saphir im Stahl

Verlag Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Simon Faulhaber

Lektorat: Peter Heller

Vertrieb: neobooks

Schloss Lenzburg

in Geschichte und Sage

von

Donald Wedekind

Solothurn.

Buchdruckerei Gassmann, Sohn.

1891.

Schloss Lenzburg

Bevor das Christentum in Helvetien festen Fuss gefasst, arbeitete schon die erste Menschenhand an den Mauern, welche den wilden Felsengipfel inmitten des Aargau künftighin krönen sollten. Die Zeiten der Pfahlbauer waren vorüber, ihre Hütten eingestürzt, ihr Geschlecht verschollen. Lange Jahre verstrichen, da drängten über die unwirtbaren, schnee- und eisbedeckten Kämme der Alpen die Römer. Hastigen Schrittes stiegen sie die steilen Schluchten der Reuss und der Rhone hinunter und fanden das Land leer, verlassen. Nur an den Grenzen trafen sie vereinzelte Stämme an, die sich über kurz oder lang unter die strenge römische Zucht beugten. Weiter nach Norden wurde der Ehrgeiz Roms gehemmt. Starke Völker traten dem Eroberer entgegen, an deren natürlicher Kraft die italische Kriegskunst abprallte. Und als dann auch der Bewohner der allemannischen Gaue von der Defensive zur Offensive überging, da war es Sache der Römer, ihre eroberte Provinz Helvetien mit aller Kraftanstrengung zu behaupten. Eine Legion nach der andern wurde entweder über die Alpen gesandt oder aus dem schon früher besetzten Gallien vorgeschoben. Dem Rheine entlang gründete man Militärposten, und zur Unterhaltung dieser Truppen mussten bedeutende Lager errichtet werden. Durch den Zuzug von Handwerkern und Kaufleuten entstanden Niederlassungen, deren bedeutendste und hervorragendste uns unter dem Namen „Vindonissa“ bekannt ist. Von dort aus wurde die römische Besatzung dirigirt, welche sich im Winter meist in die Garnisonsstadt zurückzog, im Sommer die verschiedenen Wachttürme ringsum im Lande besetzt hielt.

Dem strategischen Scharfblick des Römers konnte die vorteilhafte Lage des isolirten Bergkegels an der Einmündung des Aa-Tals in das breitere Aare -Tal nicht entgehen und so wurde auch diese Erhebung mit einem Castell gekrönt. Es steht ganz ausser Zweifel, dass gewisse Teile des Schlosses auf römischen Grundmauern ruhen, deren Dauerhaftigkeit durch ganz Europa, so weit der Römer seinen Fuss gesetzt hat, bekannt ist. Wir haben indessen nicht nötig, die Fundamente der Gebäude zu untergraben um uns von dem einstigen Walten des Welteroberers zu überzeugen. Ein tiefer Spatenstich in das lockere Erdreich genügt, um das interessanteste Beweismaterial ans Licht zu fördern. Man stösst auf Bildnisse römischer Kaiser und Feldherrn, auf Vasen, Schmucksachen, Waffen, Ziegel, auf kupferne und silberne Münzen die Masse. Verfolgt man die Daten der Geschichte, so ersieht man, dass die Römer unter beständigen Kämpfen mit den drohenden Allemannen ihre Provinz doch längere Zeit zu behaupten gewusst. Der regste Verkehr zwischen Italien und Helvetien war dadurch bedingt. Mancher Römer, auf einem Turme der Festung wachestehend, den Blick in die silberne Alpenkette gerichtet, gedachte seiner Geliebten im schimmernden Rom und üppigen Capua.

Ein Schauer mag seinen eisenbeschwerten Körper durchzittert, ein Fluch auf die rauhe Gegend, in die ihn der Ehrgeiz seines Tyrannen verbannte, sich seinen Lippen entwunden haben, und er lachte wohl auch des verrückten helvetischen Zöllners, der, im Solde des Imperatorenreiches lebend, am Abhang des Berges einige Weinstöcke zog, die ihm von einem Soldaten geschenkt worden waren. Der Römerbürger denkt an seinen glühenden Falerner, wenn er von den sauren Trauben seines Zöllners kostet, ohne zu ahnen, dass zwanzig Jahrhunderte später am nämlichen Abhang ein Wein gezogen wird, der bei Kennern in höherem Ansehen steht, als die hitzigen Traubensäfte Italiens.

Aber unser guter Kriegsmann sollte erlöst werden. Er war es nicht unzufrieden, als er hörte, dass im väterlichen Rom Unruhen ausgebrochen und sämmtliche Legionen der Provinz zur Aufrechterhaltung der Ordnung nach Süden ziehen sollten. Froher als sie gekommen, stiegen die römischen Soldaten wieder die Felswände der Alpen empor und begrüssten jubelnden Herzens das blühende Italien. Wie gerne Hessen sie Kriegsruhm und Soldatenehre in dem nebligen Helvetien, war ihnen doch ein Tag in Rom mehr als zehn Jahre jenseits der Alpen. Kaum hatte der italische Kriegsmann den Rücken gekehrt, als der Allemanne die günstige Gelegenheit wahrnahm, mordend und brennend in Helvetien einzufallen. Kein Schwert wurde gegen ihn erhoben. Frei und ungehindert zerstörte er die Anfänge römischer Cultur; wo sein Fuss hintrat, blühte kein italisches Leben mehr. Niederlassungen und Festungswerke zerfielen, Strassen und Brücken wurden ungangbar. Der Allemanne gefiel sich in dieser Wüste und verlangte nicht Tempel noch Amphitheater. Jeder Einwanderer wählte sich seinen Flecken Landes, baute seine Hütte aus leichtem Holz und bald war von der steinernen Cultur des Römers keine Spur mehr vorhanden. Diesem allgemeinen Schicksal entging das Castell auf Lenzburg nicht. Was zerstört werden konnte, wurde zerstört, und kaum wird sich ein allemannischer Bauer auf dem allen Winden ausgesetzten Hügel so wohl befunden haben, dass er sich die verlassene Burg als Sitz auserkoren hätte. Eine Zeit tiefen Dunkels folgt nun, aus welcher uns wenig oder nichts über Lenzburg bekannt ist. Es ist die Aera des aufkeimenden Christentums und der Völkerwanderungen.

Die Allemannen hatten von dem grössten Teil des nördlichen Helvetien Besitz ergriffen und führten in ihrem Heidentum ein dumpfes, trübes Dasein, welches nur dann und wann durch unbestimmte Nachrichten über Krieg und Bürgerzwist unterbrochen wurde, die bisweilen über die Höhen der Alpen herüberdrangen. Da kam wie ein Lichtstrahl das Christentum aus dem fernsten Norden, wohin es die Apostel schon in früheren Zeiten getragen hatten. Fanatisch begeisterte Männer machten sich auf, drangen durch ganz Germanien, bis sie auch in den helvetischen Gauen das Kreuz aufrichteten. Wohin sie kamen, fiel unter dem blanken Beile die Eiche der alten Götter, in dem Ächzen des Holzes glaubten die Zius-Priester das Weinen der verachteten Gottheit zu hören und nicht selten fielen die weissbekutteten Männer den zornentflammten Gemütern der Heiden zum Opfer.

Allmälig erst, als mehr und mehr die hellen Glocken in allen Tälern zu klingen begannen, gelang es der Botschaft vom alleinigen Gotte tieferen, sicherern Grund in den Geistern zu fassen. Vom Rhein, vom Bodensee, von der Klause des heiligen Gallus her wurden Männer durch ganz Helvetien gesandt, und sicherlich wählte sich einer dieser predigenden Pilger auch die von den Trümmern der Römerfeste überragte Halde am heutigen Lenzburger Schlossberg zum Mittelpunkt seiner aufopfernden Tätigkeit. Ein einfaches, rohes Kreuz, daneben eine kleine Hütte zum Schutze vor Ungewittern, das war die ganze Anlage. Dort am Ostabhange unseres Berges mag er gesessen haben, der erste Missionär des mittleren Aargau, in friedlich stiller Betrachtung. Eben will er die Bibel, das kostbare Gut seines nördlichen Vaterlandes schliessen, als ein finsterer Mann des Weges daherschreitet.

Der Mönch redet ihn freundlich an, zeigt auf das Kreuz als das einzig Erlösende und ladet den Fremdling zum Eintritt in seine Klause ein. Lange währt das Zwiegespräch; im Dunkel der Nacht geht man auseinander. „Ob er wohl Recht hat?“, murmelt der allemannische Bauer auf seinem Heimwege. Zu Hause empfängt ihn sein Weib. Auch sie hat während des Tages einen Priester getroffen, und die Liebe, die eingeborne Menschenliebe, hat ihr gesagt, dass ein so sanfter Prediger besser sei, als der rauhe Druide des Waldes. Der Mann ist gerührt von dem zarten Empfinden des Weibes und er ergiebt sich ihr ohne Widerrede. Am nächsten Morgen schon feiern sie ihren ersten Gottesdienst. In heiterem Zwiegespräch ziehen sie zur Einsiedelei. Der weissbekleidete Mann ist umringt von Zuhörern. Mächtig tönt seine Stimme. Hoch hebt er die Hand und zeigt auf den Gipfel des Berges. Vom Morgenlicht bestrahlt, blickt das zerfallende, römische Castell herab, ein Zeuge der Allmacht Gottes. Die Kinder, die goldgelockt zu den Füssen des Predigers liegen und verwundert ihre blauen Augen auf ihn richten, erfassen das Allbesiegende des Christentums. Ein leiser Schauer, das ahnende Vorgefühl der Schmerzen des geknechteten Mittelalters macht ihre zarten Körper erbeben. — Der Allemanne wurde Christ.

Zu dieser Zeit machte sich in Helvetien schon der Einfluss der grossen Herzöge Deutschlands geltend. Der Aargau und mit ihm Lenzburg gehörten zu Burgund, von dorther wurden die Richter ernannt. Solche Richter waren, wie Chroniken verschiedener Autoren berichten, die Grafen von Rore im Gebiete des heutigen Aarau. Sie waren neben den richterlichen Befugnissen mit anderen Vollmachten der ausgedehntesten Art ausgestattet und gelangten auf diese Weise zu grossem Ansehen. Um das Volk in Gehorsam zu halten, bauten sie Burgen, und so gelangen wir allgemach in ein Zeitalter, in welchem nicht, wie bei den Römern, ein einzelnes Volk darauf ausgeht, seine Macht zu vergrössern und demgemäss sein Militär unter dem Schutz fester Plätze fortwährend vorschiebt, sondern wo unzählige kleine Machthaber ihre ererbten Privilegien durch Bauen von Schlössern aufrecht zu erhalten sich bemühen.

Die Gründung des Lenzburger Schlosses fällt in die Mitte des elften Jahrhunderts; indessen finden wir Grafen von Lenzburg schon früher in der Geschichte. Aus dem zehnten Jahrhundert wird uns von einem Ehepaar Arnulf und Hemma berichtet, welche ihre beträchtlichen Besitztümer mehreren Erben hinterliessen. Ihr Landbesitz vergrösserte sich immer mehr, bis ihr Gebiet von den Ufern des Rheines an die beschneiten Abhänge der Alpen reichte. Ausserdem sandten sie Zweige ihrer Familie nach Italien, wo sie hohe geistliche Stellen besetzten. Wir finden den Stamm Derer von Lenzburg zugleich mit den edelsten Geschlechtern im Elsass und südlichen Deutschland genannt. Bei so grosser Ausdehnung ihrer Herrschaft fanden sie es notwendig, eine ihrem Range angemessene Burg zu bauen, und kein Berg konnte ihnen dazu geeigneter erscheinen, als die felsige Erhebung bei Lenzburg.

 

Der Bau ging langsam von Statten. Er wurde um so dauerhafter und fester. Die Steine brachte man aus den nahen Brüchen am Goffersberg, das Holz wurde im Lenzhard und Lindwald geschlagen. Wohl mag damals Lenzburg an den Turmbau zu Babylon erinnert haben, und die frohndienenden Hörigen müssen sich nicht viel besser dabei befunden haben, als die Juden ihrerzeit in Ägypten. Wer wagte in jener Zeit, wo rohe Gewalt herrschte, zu murren. So stand die Burg endlich da, in glänzender Vollendung, von den nahen Habsburgern bereits mit eifersüchtigen Augen bewacht. Die Grafen hielten ihren Einzug in der feierlichsten Weise, nicht ahnend, dass sie die Früchte des Fleisses so vieler Untertanen nur kurze Zeit gemessen sollten.

Immerhin fällt ihre Herrschaft auf der Feste zu Lenzburg mit ihrer höchsten Machtstellung im damaligen deutschen Reiche zusammen. Es war namentlich Kaiser Heinrich IV., den sie sich ganz besonders und in der bemerkenswertesten Weise verpflichteten.

Der junge Kaiser hatte nach der strengen Demütigung vor Kanossa seine Aussöhnung mit dem Papst zu Stande gebracht, und die geistlichen Gesandten zogen sich aus Deutschland durch die Schweiz nach Italien zurück. Eines Tages nun sitzt Ulrich VII., Graf von Lenzburg, im Kreise der Seinen beim Mittagsmahl, als das Horn des Wächters ertönt. Man erhebt sich und blickt in die weite Gegend, um zu erfahren, was die Ursache der Störung sei. Zuerst bietet sich den Blicken nichts besonderes dar. Alles liegt in gewohntem Frieden und ruhig ackert der Hardbauer sein Feld, als plötzlich aus dem Dunkel des Lenzhard ein Haufe nicht sonderlich stark bewaffneter Reiter hervorbricht. Bald wird ein roter Federbusch sichtbar, augenscheinlich das Abzeichen der geleiteten Persönlichkeit. Vorn und hinten reiten braungekleidete Mönche, den Rosenkranz zur Rechten, das Schwert zur Linken im Gürtel. Eine wehende Kreuzfahne zeigt, dass die Leute der Kirche angehören, und der rotwallende Mantel des in der Mitte Reitenden lässt eben genugsam den Prälaten erkennen. Ulrichs erster Gedanke galt dem Abte von Muri, doch was sollte der im deutschen Reiche zu suchen gehabt haben, da seiner doch genug Sorgen zu Hause warteten. Da fällt ihm ein, dass die Zeit der päpstlichen Gesandtschaften in Deutschland abgelaufen, und alle hohen Geistlichen der Curie zur allgemeinen Beratung über Kaiser und Reich nach Rom abberufen sind. Dem Lenzburger klopft sein Herz. Er sieht die listigen Scharlachröcke sich wieder in ihrem Heim zusammentun, um neue Pläne gegen den jungen Heinrich zu schmieden. Sein Rechtsgefühl wallt auf, eingedenk des Eides, den er dem Kaiser geschworen, die Allmacht des Papstes nicht achtend, lässt er sein Pferd satteln, befiehlt zwölf Reisigen aufzusitzen und im hellen Galopp geht es zum Tor hinaus und den Berg hinunter ins weite Tal. Die geistlichen Reiter, Gefahr ahnend, beeilen sich das Schlossgebiet zu verlassen, um freundlicheres Klosterland zu erreichen. Aber noch sind sie nicht über die Bühlhöfe hinaus, als sie schon hinter sich Pferdegeschnaube und Männerstimmen hören. Sie wenden sich um, und der mit dem roten Helmbusch erbleicht, als er einen gepanzerten Ritter, die Reichsfahne schwingend, auf sich lossprengen sieht. Graf von Lenzburg fordert nach einer leichten Verbeugung vor dem Prälaten dessen Schwert, und dieser, die Furcht seiner begleitenden Mönche und des dienenden Schreibers gewahr werdend, wirft seine Waffe mit zornerfülltem Blick von sich. Ruhig lässt er es geschehen, dass der Graf die Zügel seines Pferdes ergreift. Der ganze Tross lenkt um und wendet seine Schritte der stolzen Lenzburg zu, von der herab die mächtige Flagge des deutschen Reiches weht. Oben angekommen wird der Geistliche seines Panzers entledigt und Frau Richenza drängt sich, ihr Söhnchen auf dem Arm, an den Priester heran, um zu erfahren, woher er komme, und wohin ihn sein Weg hätte führen sollen. Da öffnet er zum ersten Mal seine zusammengekniffenen Lippen und wohl wissend, dass er nur Rache von Seite Ulrichs zu erwarten hat, nennt er seinen Namen. „Ich bin Bernhard, Cardinal der heiligen Curie, und Gott und die Welt werden diese Schandtat an Eurem Gemahl rächen, so wahr Kaiser Heinrich im Elend sterben wird!“

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